SWR2 Wissen: Aula - Jürgen Kegelmann: Manege und Management . Was Führungskräfte vom Zirkus und Artisten lernen können

Diskurs SWR2-Kooperation  
Manege - Management
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SWR2 Wissen: Aula - Jürgen Kegelmann: Manege und Management . Was Führungskräfte vom Zirkus und Artisten lernen können
Der Mensch ist Mittel - punkt .
Autor und Sprecher: Professor Jürgen Kegelmann *
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 16. März 2014, 8.30 Uhr,    http://swr2.de
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
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Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

* Zum Autor:
Jürgen Kegelmann, geb. 1965, studierte an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung in Kehl sowie an der Universität Konstanz. Einige Jahre arbeitete er als Diplom-Verwaltungsfachwirt, 2006 promovierte er zum Doktor der Sozialwissenschaften. Von 1999 bis 2007 leitete er die Stabsstelle Verwaltungsmodernisierung der Stadt Friedrichshafen, später wechselte er zur Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl, dessen Prorektor er seit 2012 ist Seine Themenschwerpunkte sind: Personal- Organisations- und Changemanagement; Governance - Steuerung zwischen Markt-Staat und Drittem Sektor.
Bücher (Auswahl):
- Kegelmann, Jürgen/Martens Kay-Uwe (Hrsg.): Kommunale Nachhaltigkeit. Jubiläumsband zum 40-jährigen Bestehen der Hochschule Kehl und des Ortenaukreises, Nomos Verlag 2013.
- Kegelmann, Jürgen: New Public Management. Möglichkeiten und Grenzen des Neuen Steuerungsmodells, VS Verlag 2007.

ÜBERBLICK
Der Zirkus als Vorbild?Die Manege und das Management haben gleiche Begriffswurzeln, und der Zirkus hat viele Berührungspunkte mit der Unternehmensführung. Zum Beispiel gibt es in beiden Bereichen einen Zirkusdirektor, der "Dompteur" muss hier wie dort den Löwen bändigen, der "Jongleur" muss die Balance halten und der "Clown" spielt die Narrenrolle. Diese "Nummern" gibt es nachgewiesenermaßen auch alle im "Management", und viele Verwaltungen und Firmen sind einem "Zirkus" sehr vergleichbar. Professor Jürgen Kegelmann von der Fakultät für Wirtschafts-, Informations- und Sozialwissenschaften an der Hochschule Kehl, zeigt, warum diese Analogie neue Wege des Managements deutlich werden lässt.

INHALT
[Dieses Manuskript enthält Textpassagen, die in der Sendung aus Zeitgründen gestrichen werden mussten.]
Ansage:
Mit dem Thema: „Manege und Management – Was Führungskräfte vom Zirkus und von Artisten lernen können“.
Das klingt zunächst eigenartig, als ob Manager jetzt auch noch zu Dompteuren gemacht werden sollen oder zu Pflegern, die den Affenkäfig beruhigen sollen. Aber für Professor Jürgen Kegelmann von der Fakultät für Wirtschafts-, Informations- und Sozialwissenschaften der Hochschule Kehl hat der Vergleich eine ersnthafte und kritische Komponente: Indem man nämlich das Mangement mit der Manege vergleicht und durchleuchtet, erkennt man sehr deutlich die Defizite moderner Managementmethoden. Hören Sie also den Vortrag von Jürgen Kegelmann.
Jürgen Kegelmann:
Erinnern Sie sich noch an Ihre Kindheit. Der Zirkus kommt in die Stadt. Die Kinder fiebern der Veranstaltung entgegen. Endlich ist es soweit. Mit Popcorn und Cola ausgestattet, wird der Platz auf der Tribüne gesucht. Es riecht nach Pferd und Sägespänen. Die Musik setzt ein. Die Vorstellung beginnt mit einer Akrobatennummer. Abenteuerlich schwingen die Artisten durch die Lüfte, begleitet vom Ah und Oh der Zuschauer.Als nächstes eine erste Tiernummer, gefolgt von einer Einlage durch den Clown, dessen traurig-lustige Gestalt alle zum Lachen bringt. Dann der Höhepunkt. Die Löwennummer. Der Dompteur, ausgestattet mit „Zuckerbrot“ und „Peitsche“, dirigiert die mächtigen Löwen auf die Plätze und lässt sie durch den brennenden Reifen springen. Todesmutig, legt der Dompteur seinen Kopf in den Rachen des Löwen. Ein leichter Trommelwirbel untermalt die Gefahr. Die Zuschauer bekommen eine Gänsehaut. Tosender Applaus brandet auf, als die Raubtiere das Manegenrund verlassen.
Soweit die kleine Rückführung in die Kindheit und vertraute Erinnerungen. Weniger bekannt ist, dass die Manege, der Zirkus, ein „Spiegel der Welt“ ist, eine „Metapher„ für das Leben. Die „Welt“ wiederum ist nicht nur die Summe von Individuen und Menschen sondern sie ist vor allem „Organisation“. So lautet ein Buch des bekannten Organisationssoziologen Klaus Türk: „Die Organisation der Welt. Herrschaft durch Organisation in der modernen Welt“. Dieser zugegeben sperrige Titel weist darauf hin, dass „die Welt“ primär aus Organisationen besteht, ja die Welt fast Organisation ist. Damit kann der Zirkus auch als ein „Spiegel der Organisation“ gesehen werden.
Organisationen werden „gemanagt“. Management und Manege haben eine gemeinsame Begriffswurzel. Ursprünglich leitet sich der Begriff vom lateinischen „manus“, das ist „die Hand“ ab. „Agein“ wiederum bedeutet „handeln“, „führen“ Managen bedeutet also im übertragenen Sinne soviel wie „an oder in die Hand nehmen“, formen, gestalten. Gleiches vollzieht sich im Rund der Manege, wenn die Pferde gebändigt werden und die „wilde Natur“ zivilisiert wird. Auch dort werden, nicht symbolisch sondern wortwörtlich „die Zügel in die Hand genommen“ und geführt.
Neben dieser etymologischen Nähe von „Manege und Management“ gibt es auch eine historische Nähe. Das Gründungsdatum des modernen Zirkus ist das Jahr 1769. Philip Astley kauft in der Nähe der Westminster Brücke in London ein Grundstück und baut ein „Amphitheater“, in dem Pferdekunststücke vorgeführt werden. Der Zirkus ist laut Definition die „verräumlichte Nähe zwischen Mensch und Tier“, weshalb es die Kunstreiter mit ihrer Akrobatik waren, die der Manege ihr Gepräge geben.
Ebenfalls im Jahr 1769 patentiert James Watt eine Erfindung, die den Wirkungsgrad der Dampfmaschine erheblich erhöht. Um die Fähigkeit seiner Dampfmaschinen zu demonstrieren, erfindet er die Leistungseinheit Pferdestärke. Die Erfindung des modernen Management wird deshalb ebenfalls auf die Mitte des 18. Jahrhunderts beziffert. Denn die industrielle Revolution, einhergehend mit neuen Produktionsmöglichkeiten, führt zur Entstehung von Großorganisationen, die arbeitsteilig produzieren und damit auch Managementaufgaben notwendig machen.
Die etymologische und historische Nähe von Manege und Management ist kein Zufall. Beide Sphären stehen am Anfang des Zeitalters der Moderne, die das Mittelalter ablöst. Zentrale Themen der Moderne sind die Beherrschung der Natur und ihrer Triebkräfte. Die äußere Natur soll dabei ebenso gebändigt werden, wie die innere Natur des Menschen, seine Triebkräfte und Emotionalitäten. Domestizierung, Beherrschung der Natur, die Rationalisierung der Welt – das sind die großen Themen der Moderne, die sich auch in der Manege und dem Management manifestieren. Die gemeinsame Metapher: Das Pferd, die Natur und die Triebe symbolisierend, wird an die Hand genommen, gezähmt.
Neben dieser Gemeinsamkeit von Manege und Management im Sinne einer Zähmung von Mensch und Tier, gibt es aber auch einen signifikanten Unterschied. Während im Management von Organisationen „Realitäten“ in Form von Produkten mit Hilfe von Mensch und Maschinen geschaffen werden, produziert die Manege „Fiktionen“. Hat Max Weber den Beginn der Moderne unter dem Stichwort „Entzauberung der Welt“ beschrieben, so geht es im Zirkus um „Verzauberung“. Der Zirkus, wie auch das Theater und die Kunst sind nicht nur „Spiegel der Welt“, sie sind auch „Gegen-Welten“. Geht es im Management um das Machen und Verstehen, darf man sich im Zirkus auch verwundern lassen. Fiktion statt Fakten, Schein statt Sein.
Ich wähle aufgrund der bisherigen Überlegungen die „Chiffre“ der Manege, um auf wichtige Aspekte des Managements hinzuweisen. Vielleicht können Manager sogar vom Zirkus lernen und damit die normalerweise eher kritisch konnotierte Bemerkung, „hier geht es ja zu, wie im Zirkus“, positiv umdeuten.
Lassen Sie uns drei Thesen näher betrachten:
1. In Manege und Management geht es von Beginn an, um „Domestizierung“, um ein „an die Hand nehmen“. Also, das gleiche Thema, umgesetzt in unterschiedlichen Arenen. Das sind zum einen der Zirkus, die Arena der Körperbeherrschung, der Kunst-Stücke, der Verzauberung – zum anderen das Management in Organisationen, die Arena der Geistbeherrschung durch Planung und Koordination, der „Werk-Stücke“, die Welt des Formens und Gestaltens.
2. Das moderne Management beruht auf Grundüberlegungen, nämlich einem Rationalitäts- und Domestizierungsverständnis, das viele Bereiche ausblendet und
damit die Wirklichkeit nur halb abbildet. Hier kann die „Manege“ eine Hilfe sein, vom klassischen Management ausgeblendete Themen wieder einzuführen.
3. Vor allem drei Themen sind es, die klassische Managementkonzeptionen ausblenden. Diese Themen können anhand der drei großen Motivgruppen des Zirkus dargestellt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass anerkannt wird, dass der Zirkus und seine Darstellung eine Chiffre ist, ein Code, der entschlüsselt, de-chiffriert werden kann.
a. Die erste große Motivgruppe im Zirkus sind die Tiernummern. In der Regel sind dies Pferde-, Raubtier- oder Elefantennummern. Themen sind hier der Umgang mit dem Animalischen, den Trieben und Emotionen und ihrer „Bändigung“. Diese Ur-Themen der Emotionalität, des „Kampfes der Triebe“ finden auch in Organisationen statt, aber sie werden von den klassischen Managementkonzeptionen nur wenig thematisiert. Das Büro als Kampfplatz von „Platzhirschen“, die Organisation als „Haifischbecken“. Dies ist die Realität in Unternehmen und Verwaltungen, aber sie wird tabuisiert. Ein spitzfindiger Managementforscher hat Organisationen als „rationalisierte Irrationalität“ beschrieben. Der Zirkus thematisiert dieses wichtige Thema symbolisch auf der Grundlage der Tierdarbietungen.
b. Die zweite Motivgruppe im Zirkus sind die Akrobatennummern. In der Fachsprache werden sie als „equilibristische“ Nummern bezeichnet. Gemeinsames Thema aller dieser Darbietungen ist es, das „Gleichgewicht zu halten“. Equilibristiker sind „Gleichgewichtskünstler“, die Gegenstände oder sich selbst ausbalancieren. Hierzu gehört die Boden- und Luftakrobatik, beispielsweise das Jonglieren, die Seiltanzer und die Trapezkünstler. De-chiffriert wird hier die Lebens- und Organisationsmetapher des „Gleichgewicht Haltens“, des „Dilemmamanagements“ Das klassische Management negiert häufig Dilemmata und Widersprüchlichkeit und setzt stattdessen auf Eindeutigkeit und Klarheit. Ziele müssen eindeutig formuliert sein, Organisationen brauchen klare Zuständigkeiten und Entscheidungsstrukturen, Kennzahlen sollen objektiv die Zielerreichung messen. So verständlich die Sehnsucht nach Eindeutigkeit, Objektivierbarkeit und Steuerbarkeit ist, so real sind doch in Organisationen Mehrdeutigkeiten, Widersprüchlichkeiten und „Gegen-Sätze“. Vom Zirkus lernen heißt, Widersprüche, Mehrdeutigkeiten zu erkennen lernen und hilfreich auszubalancieren. Auch hier gilt wieder: Klassische Eindeutigkeitsvorstellungen sind ein Mythos und die Kunst des „Dilemmamanagement wird im Zirkus metaphorisch vermittelt.
c. Die dritte Motivgruppe in der Manage sind die Clownsdarbietungen. Das zentrale Thema des Clowns ist das „Scheitern“, der Misserfolg. Der „dumme“ August versteht die Dinge nicht, er stolpert und fällt hin. Ganz anders die Welt des modernen Managements: Der Manager ist der „Macher“ und die moderne Organisation steht für Machbarkeit und Beherrschbarkeit. Der Misserfolg wird negiert. Vom Zirkus lernen, hieße hier das „Scheitern“, dem Misserfolg ins Auge zu schauen und ihm den Beigeschmack der Katastrophe zu nehmen.
Diese drei skizzierten großen Themen werden im klassischen Management tabuisiert. Redet der Risikoforscher und Soziologe Ulrich Beck in seinen Auslassungen über die moderne Gesellschaft von der „halbierten Vernunft“, so könnte man im Anschluss an Beck vom „halbierten Management“ reden. Die Manege wiederum als Gegen-Welt stellt die andere Hälfte vor, in der die Ausblendungen wieder eingeblendet werden.
Ohne nun auf die Vielzahl von Managementansätzen einzugehen, möchte ich aufzeigen, dass die klassischen Managementvorstellungen diesem „halbierten Management“ entsprechen. Bereits die Begriffe wie „TQM-Total Quality Management“, „KVP-Kontinuierlicher Verbesserungsprozess“, „Management by“-Methoden vermitteln durch die Wahl der Begriffe die Eindeutigkeits- und Machbarkeitsphilosophie. Bücher wie die „100 TOP Management Tools“ suggerieren ebenfalls, dass es nur auf die erfolgreiche Auswahl von Instrumenten ankommt, um die „Zügel“ im eigenen Laden „in der Hand zu halten“.
Jeder aber, der Verantwortung als Manager und Mitarbeiter in Organisationen übernimmt weiß, dass es so einfach auch wieder nicht ist. Auch die moderne Managementforschung hat dieses Managementverständnis, wie erwähnt, längst als „Mythos“ entlarvt. Trotzdem ist es in den Köpfen und den propagierten Konzepten noch sehr präsent.
Um das klassische Managementverständnis zu verstehen lohnt auch hier wieder ein Blick zurück zum „Ursprung“. Wie sollte es anders sein, die Zeitreise beginnt um das Jahr 1770.
Im Jahr 1776 veröffentlicht Adam Smith sein berühmtes Buch „Wohlstand der Nationen“. Hierbei betont er als zentrales Wohlstandsprinzip die Arbeitsteilung, die er am Beispiel einer Stecknadelfabrik wie folgt beschreibt: „So wie die Herstellung von Stecknadeln heute betrieben wird, ist sie nicht nur als Ganzes ein selbständiges Gewerbe. Sie zerfällt vielmehr in eine Reihe getrennter Arbeitsvorgänge. Der eine Arbeiter zieht den Draht, der andere streckt ihn, ein dritter zerschneidet ihn, ein vierter spitzt ihn zu, ein fünfter schleift das obere Ende, damit der Kopf aufgesetzt werden kann. (…) Um eine Stecknadel anzufertigen, sind somit etwa 18 verschiedene Arbeitsvorgänge notwendig, die in einer Fabrik jeweils verschiedene Arbeiter besorgen“. Er endet mit der Aussage. „So waren die Arbeiter imstande täglich etwa 48.000 Nadeln herzustellen, jeder 4.800 Stück. Hätten sie indes alle einzeln und unabhängig voneinander gearbeitet, so hätte der Einzelne gewiss nicht einmal 20, vielleicht sogar keine einzige Nadel am Tag zustande gebracht“.
Die Arbeitsteilung ist also der Ausgangspunkt des Managements. Man könnte sogar sagen, dass es bei allen Managementdenkern und Praktikern immer darum ging, das Grundprinzip der Effizienzvorteile durch Arbeitsteilung zeitgemäß zu variieren. Es wundert deshalb nicht, dass eine gängige Definition von Management so lautet: „Unter Management wird die zielgerichtete Führung, Gestaltung und Entwicklung arbeitsteiliger Organisationen verstanden. Die arbeitsteilige Organisation wird hier zur Voraussetzung für Management.
Ein weiteres Begriffsmerkmal ist die Zielorientierung, also die Orientierung an einem erstrebenswerten Zustand in der Zukunft, der durch „Führung, Gestaltung und Entwicklung“ erreicht werden soll. Die konkreten Managementfunktionen die sich aus der Aufgabe „führen, gestalten und entwickeln“ ableiten lassen, sind „Legion“. Will man sie ein wenig ordnen, so bieten sich zwei Achsen an. Die eine Achse orientiert sich an dem Kontinuum „Stabilität und Wandel“, die andere an dem Spannungsfeld „Aufgabe vs. Mensch“.
So bedeutet managen „Ordnung herstellen“, d. h. Wiederholbarkeit, Verlässlichkeit, Standardisierung. Dies geschieht durch Organisationsstrukturen, die Zuordnung von
Kompetenzen auf Funktionsträger, die Definition von Abläufen, die für die notwendige Stabilität und Kontinuität sorgen. Gleichzeitig gilt es, Entwicklung und Innovation zu ermöglichen. Dies bedeutet Veränderung und Wandel.
Zum anderen ist das Management einem organisatorischen Auftrag verpflichtet. Produkte müssen effizient hergestellt und mit Gewinn verkauft werden. Diesen „Sach- und Aufgabenzwängen“ stehen Menschen gegenüber, die motiviert und geführt werden müssen.
Die Geschichte zeigt, dass zu unterschiedlichen Zeiten Managementfunktionen dominant waren. Am Anfang des Managements standen die „Stabilität“, also die Herstellung von Ordnung und die Aufgabe im Vordergrund. Deutlich wird diese Orientierung, wenn man die ersten Managementdenker befragt. So war Frederick Taylor der Vordenker der Fließbandproduktion, die Henry Ford umsetzte. Er zergliederte die Tätigkeiten in möglichst viele, reproduzierbare Teilschritte und begründete eine konsequente Trennung von „Hand- und Kopfarbeit“, Planung und Ausführung. Die Funktionen des Managements bestanden hierbei hauptsächlich in der Planung der Abläufe, der Koordination der Tätigkeiten, der Kontrolle der Zielerreichung und der Zurverfügungstellung von Ressourcen und Personal. In dieser Funktionsbeschreibung von Management steht die Sach- und Stabilitätsfunktion im Vordergrund. Die Menschen wie auch das Thema Innovation und Veränderung werden komplett ausgeblendet.
Dass auch die Dimension „Mensch“ entscheidend ist, ist der „Human Relation Bewegung“ zu verdanken, die in den 1920er-Jahren entstand. Bahnbrechend waren hierbei die „Hawthorne – Experimente“ von Elton Mayo. Ganz im Sinne Taylors sollte untersucht werden, wie sich die Arbeitsbeleuchtung und die Arbeitsräume auf die Leistung von Arbeiterinnen, die Schaltdrähte auf kleine Metallplatten löteten, auswirkten. Hierbei wurden Untersuchungsreihen angestellt, in denen die Lichtverhältnisse für bestimmte Gruppen positiv verändert wurden, während sie für andere „Kontrollgruppen“ gleich blieben, ja sogar, verschlechtert wurden. Völlig überraschend stiegen die Leistungen nicht nur bei den Gruppen, die eine bessere Beleuchtung erhielten, sondern auch bei den Kontrollgruppen. Ja, sogar in den Gruppen wurden die Leistungen gesteigert, die unter verschlechterten Lichtbedingungen arbeiten mussten.
Dieses unerwartete Resultat und seine Erklärung ging als „Hawthorne Effekt“ in die Managementgeschichte ein und begründete eine neue, verhaltenswissenschaftlich orientierte Managementforschung. Den Grund für die Leistungssteigerung in den Kontrollgruppen sah Mayo darin, dass die Arbeiterinnen durch das Forschungsprojekt „Aufmerksamkeit“ erhielten, das in der Folge zu einem stärkeren Selbstwertgefühl und besseren Arbeitsleistungen führte. Die Erkenntnis: Nicht nur materielle Anreize motivieren die Mitarbeiter sondern auch menschliche Zuwendung, kollegiale Unterstützung und partnerschaftliche Zusammenarbeit.
So bezeichnet Mary Parker Follet „Management als die Kunst, mit anderen Leuten Dinge zusammen zu erledigen“ und Peter Drucker, den viele als der größte Managementdenker des 20. Jahrhunderts verehren, verweist auf die zentralen Managementfunktionen, die da sind: Mitarbeiter motivieren, Mitarbeiter beurteilen und Mitarbeiter entwickeln.

Heute wird neben den Personalührungsfunktionen des Managements die Innovationsfunktion betont. So fußt das Kernprinzip der Produktion von Toyota auf der Idee des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, Kaizen, genannt. Täglich wird nach Möglichkeiten gesucht, das Fertigungsverfahren weiterzuentwickeln und nach neuen Lösungsansätzen zu suchen. Die ständige Verbesserung wird Teil des Systems und sie ist nicht mehr die Sache des TOP-Management, sondern jeden einzelnen Mitarbeiters, ja sogar des gesamten Produktionsnetzwerkes einschließlich der Kunden und Zulieferer.
Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Weiterentwicklungen im Managementdenken beruht das skizzierte Steuerungs- und Managementverständnis auf folgenden Grundannahmen: Die Ziele werden an der Spitze des Unternehmens gebildet, eindeutig formuliert und in Form von messbaren Zielgrößen festgelegt. Die Planung wird dann als analytischer Ordnungsprozess verstanden, mit dem Ziel Unwägbarkeiten und Zufälle auszuschließen. Entscheidungen werden auf der Grundlage umfassenden Wissens, eindeutiger Ziele und klarer Kenntnis von Zweck-Mittel-Kausalitäten getroffen und danach stringent von den Verantwortlichen „vor Ort“, also an der Basis, umgesetzt. Die Kontrolle als letzte Phase im Managementkreislauf ist der Zwillingsbruder der Planung und erfolgt mit Hilfe von objektiven Kennzahlen, die die Zielerreichung messen und abbilden.
Das Menschenbild, das sich hinter dieser Steuerungslogik verbirgt, ist rasch erschlossen. Es ist der „rational man“, also der rationale, sachorientierte Akteur, der klare Ziele hat und mit umfangreichem Wissen ausgestattet die notwendigen Instrumente anwendet, um das Ziel zu erreichen. Es ist auch der „homo ökonomikus“, der auf der Grundlage individueller Nutzenkalküle entscheidet.
Auch wenn dieses idealtypische Menschen- und Organisationsbild vielfach widerlegt ist, gibt es noch heute das Bild des Managers, der, ganz im Sinne eines Helden, die Übersicht hat und mit Hilfe von „Schlüsselkennzahlen“ und daraus abgeleiteten Entscheidungen den „one best way“ findet und „die Schneißen durchs Dickicht schlägt“. Gelingt dies nicht, muss er abtreten.
Revisionen dieses heroenhaften Management- und Führungsverständnisses gibt es schon seit langem. So hat Herbert Simon von der begrenzten Rationalität gesprochen. Entscheidungen werden unter Unsicherheit getroffen, das Wissen ist nicht allumfassend, weshalb es „optimale“ Entscheidungen gar nicht gibt. Originalton eines Managers: „Ich weiß oft selbst nicht, was die richtige Entscheidung ist. Ich weiß nur, dass ich entscheiden muss und dass es manchmal besser ist, eine falsche als gar keine Entscheidung zu treffen. Gleichzeitig muss ich nach außen Gewissheit kommunizieren, damit die Mitarbeiter dann auch die Entscheidung mittragen und umsetzen“. Infsofern gehört Entscheidungsunsicherheit zum Alltag, weshalb Entscheidungen oft aus dem „Bauch“ heraus, intuitiv, getroffen werden. Dies sind nur ganz wenige Beispiele, die darauf hinweisen, dass die gängigen Managementbilder „Folklore“ sind, während die Realität anders aussieht. Insofern lohnt ein Blickwechsel. Wenn klassische Managementkonzeptionen mehr Schein als Sein sind, die das Affektive, Irrationale, Mehrdeutige, Un-Entscheidbare ausblenden, dann könnte es ja sein, dass umgekehrt, der „Schein“, dargestellt durch die Manege, einen Blick auf das „Sein“ preisgibt.

Gehen wir die Motivgruppen der Manage im Einzelnen noch einmal durch: Motivgruppe 1 waren die Tiernummern. Zentrales Thema der Tiernummern ist die Domestizierung, nicht des Kopfes, sondern der Affekte und Triebe. Damit wird der Blick geöffnet für „Energien und Kräfte“, die wenig mit klassischer Sach- und Aufgabenlogik zu tun haben.
Fakt ist. In Organisationen „tobt der Kampf“, Machtspiele, in der Organisationsforschung, „Mikropolitik“ genannt, sind die Regel. Mit Mikropolitik ist das Arsenal an Techniken gemeint, mit denen im Unternehmen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um eigene Interessen durchzusetzen und zu verteidigen. Dabei kann Mikropolitik sowohl eine konstruktive und produktive als auch eine destruktive und störende Seite haben. O-Ton eines Managers: „Je höher man die Karriereleiter im Unternehmen hinaufsteigt, desto weniger geht es um Sachfragen. 75 % der Zeit verbringe ich mit der Abwehr von Angriffen bzw. mit der Positionierung der eigenen Abteilung. Christian Scholz hat hierfür den Begriff des „Darwiportunismus“ geprägt. Opportunistisch werden die Gelegenheiten genutzt, um im Unternehmen gemäß dem Dogma des „survival of the fittest“ zu überleben. Dies ist bis zu einem gewissen Grad notwendig, geht es doch auch darum, sich für seinen eigenen Bereich einzusetzen und die notwendigen Ressourcen und Aktionsräume zu erkämpfen. Es wird allerdings dann kontraproduktiv, wenn es nur noch um „Machtfragen“ geht und sich ein „Kampf aller gegen alle entwickelt“. Hier geht es dann darum, die „Macht- und Geltungstriebe“ einzuhegen. Vom Zirkus lernen heißt, sich der Macht- und Domestizierungsspiele und der dazugehörigen Emotionen wie Aggressivität, Angst und Hoffnung bewusst zu machen und sie bewusst zu gestalten.
Die zweite Motivgruppe. Die Kunst der Jonglage und des Dilemma-Managements
Im Jahr 2013 hat Alex Barren mit 13 Bällen jongliert und ist damit Weltrekordhalter. Genau 13 Führungsdilemmata hat auch Oswald Neuberger in seinem Buch „Führen und geführt werden“ konstatiert. Das Wesen des Gleichgewichtskünstlers besteht darin, dass er die verschiedenen Pole und Spannungsfelder eines Gegenstandes in die Balance bringen kann. Auch die Organisation kann als ein System von Spannungsfeldern beschrieben werden, die in einem Gleichgewicht gehalten werden müssen. Damit werden Manager zu Dilemmakünstlern, denen es gelingt, verschiedene Spannungen nicht nur auszuhalten sondern so fruchtbar zu machen, dass sie sich gegenseitig ergänzen. Zwei exemplarische Beispiele sollen dies verdeutlichen, ausgehend von den bereits bekannten Funktionsachsen des Managements die sich zwischen Person und Sache sowie Bewahrung und Veränderung bewegen.
Erstes Beispiel: Zum einen ist im Unternehmen Kontinuität, Verlässlichkeit und Stabilität zu gewährleisten. Dies gelingt durch klare Funktionszuweisungen, dauerhafte Strukturen und Verlässlichkeit im Umgang mit Mitarbeitern. Der positiven Folge der Berechenbarkeit und Sicherheit steht die Gefahr der „organisationalen Sklerose“ gegenüber. Routinen werden zu Zwängen, auf Fragen der Veränderung wird mit der Killerphrase „das haben wir schon immer so gemacht“ reagiert. Deshalb gilt es den anderen Pol der Veränderung hochzuhalten, Flexibilität einzufordern und

Non-Konformität zu schätzen. Stabilität und Veränderung sind deshalb zwei Pole, die beide gleichzeitig in der Balance gehalten werden müssen.
Zweites Beispiel diesmal auf der Achse Person vs. Sache ist das „Mittel-Zweck-Dilemma“. Der Mensch in der Organisation ist „Funktion“, Mittel zum Zweck. Damit geht eine Leistungserwartung einher. Auch ist er eine Kostenstelle, eine Humanressource. Diesem Mittelcharakter des Mitarbeiters steht die unzweifelhafte Tatsache gegenüber, dass der Mensch nie nur Mittel zum Zweck sein kann, sondern Selbstzweck ist. Sprachlich ironisch oft durch die kleine, aber feine Unterscheidung zum Ausdruck gebracht: Der Mensch ist Mittelpunkt vs. Der Mensch ist Mittel. Punkt! Beides gilt es gleichzeitig zu sehen. Beides ist gleichzeitig wahr. Sach- und Personenorientierung in der richtigen Balance ist die Kunst des Dilemma-Managements.
Diese zwei Beispiele mögen genügen, um aufzuzeigen, dass jede Organisation „Grundspannungen“ birgt, die es „fruchtbar“ zu machen gilt. Eine Auflösung im Sinne eines „entweder – oder“ ist genauso fatal, wie die reine Beliebigkeit. Um im Bild des Seiltänzers zu sprechen. Das Seil muss gespannt sein. Es darf weder reißen noch darf es „durchhängen“. Vom Zirkus lernen heißt hier, sich der Dilemmata und Spannungsfelder in der Organisation bewusst zu werden und sie bewusst zu gestalten, ohne sie nach einer Seite aufzulösen.
Die Dritte Motivgruppe. Der Clown und die „Die Kunst des Scheiterns“
Bis heute wird Management und der Erfolg von Organisationen mit permanentem Wachstum in Verbindung gebracht. Aussagen wie „Der frühe Vogel frisst den Wurm“ oder die typischen Rekrutierungssprüche in Unternehmensberatungen nach dem Motto „up or out“ weisen darauf hin, dass es im Management um ein „schneller, höher, weiter“ geht. Die Karriereleiter ist ein „one way ticket“ nach oben. Kein Wunder, denn das Bild der Machbarkeit gebiert die Angst vor dem Misslingen.
Ganz anders der Clown: Er ist ein Meister in der Kunst des Scheiterns. Er ist das Stolpern gewohnt und die Krise ist sein täglich Brot. Er meidet sie nicht, weil sie die ideale Voraussetzung zur Transformation in etwas Neues ist. Dabei verliert er seinen Humor nicht. Er kann über sich selbst lachen, was von der Fähigkeit zur Selbstdistanz zeugt. Wir lieben den Clown nicht dafür, dass er scheitert, sondern weil er es immer wieder aufs Neue versucht. Dem Clown geht es um die Meisterschaft im Nichtvollenden und Bruchstückhaften. Er meidet die Perfektion und bildet eine Gegen-Welt zum Machbarkeits- und Erfolgswahn. Vom Clown lernen, hieße eine Fehlerkultur zu entwickeln, die Fehler als notwendigen Schritt zur Entwicklung sieht, die Misserfolge und Niederlagen ernst, aber nicht zu ernst nimmt und es immer wieder neu zu versuchen. Vom Clown lernen heißt auch, den „Narr“ zuzulassen, Räume in Unternehmen zu öffnen, wo gegen den Mainstream gedacht wird, wo auch unangenehme Wahrheiten aufgedeckt werden, ohne dass Ausgrenzung befürchtet werden muss.

Neben diesen inhaltlichen Motivgruppen, die den Blick auf „Emotionen und Triebe“, „Dilemma und Mehrdeutigkeiten“, „Scheitern und Humor“ richten, gäbe es noch viele weitere, kreative „Manege-Metaphern“ für das Management. Würde der Verlauf der Zirkusvorstellung analysiert, so könnte man feststellten, dass er im Gesamtverlauf, aber auch innerhalb der Einzelnummern, der klassischen Dreiteilung „Einleitung-Höhepunkt-Abgang“ folgt. Dabei ist die Inszenierung perfekt. Der Lichtkegel fokussiert das zentrale Geschehen, die Musik begleitet mit geeigneten Rhythmen und Tönen und die Kostüme sowie die Requisiten verstärken die Dramaturgie. Von der Manege lernen heißt auch, Inszenierung lernen. Das aber ist die hohe Kunst des Marketing, die Drucker neben der Innovation bereits 1954 zu den Kernfunktionen des Unternehmens gezählt hat.

Eine letzte Beobachtung: Jeder Zirkus hat eine Zirkuskuppel, die sehr oft bemalt ist. Meistens sind „Sterne“ abgebildet. Symbolisch ausgedrückt heißt dies:
 Im Zirkus geht es darum, den „Himmel auf die Erde“ zu holen, die Transzendenz in die Immanenz. Die Vision des Zirkus ist es, Staunen zu bewirken. Es geht um das Lachen und das Glück, weshalb der Zirkus, die Manege im Tiefsten ein „Glücksversprechen“ ist.

Könnte es sein, dass auch die Organisation und mit ihr das Management ein Glücksversprechen an die Welt ist, „den Himmel auf die Erde zu holen“? Zufälligerweise, manche würden auch von Koinzidenz sprechen, ist im gleichen Jahr, also 1776, in dem Smith das Buch „Wohlstand der Nationen“ auf der Grundlage der Arbeitsteilung beschrieben hat, die amerikanische Verfassung entstanden. In ihr ist das „pursuit of happiness“, das „Recht auf Streben nach Glück“ formuliert. Und es gibt Stimmen die sagen, ich zitiere: „Die größte Erfindung der Neuzeit ist nicht die Dampfmaschine, Glühbirne, das Telefon oder der Mikroprozessor, nicht einmal die Relativitätstheorie oder die Quantenphysik. Es ist vielmehr das moderne industrielle Großunternehmen und mit ihr die Erfindung des Management, das einem größeren Teil der Weltbevölkerung ungeahnten Wohlstand gebracht hat“.
Diese Einschätzung muss man nicht teilen, aber ich glaube, dass die abschließende Frage erlaubt ist, ob nicht auch hier die Manege einen interessanten Fingerzeig gibt. Unternehmen verkaufen keine Produkte.
Sie verkaufen „Versprechen“, sie verkaufen den „Mythos des Glücks“, wenn sie erfolgreich sind.
Vielleicht gehen Sie ja in nächster Zeit wieder einmal in den Zirkus. Und wieder freuen Sie sich darauf. Und Sie nehmen teil an den zirzensischen Einlagen und den Künstlern aus aller Welt. Und beim Applaudieren freuen Sie sich daran, dass die Manege, als Spiegel der Welt, auch Sie einlädt, die Welt, auch die Welt des Managements, mit anderen Augen zu betrachten.
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