Prof. Hans Diefenbacher: Wachstum macht noch keinen Wohlstand
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SWR2 Wissen: Aula 
 Autor: Prof. Hans Diefenbacher *
 Redaktion: Ralf Caspary / Gabor Paal
 Sendung: Sonntag, 10. Januar 2010, 8.30 Uhr, SWR2
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 ÜBERBLICK
 "Unser Land braucht Arbeit, dafür brauchen wir Wachstum", erklärte Angela Merkel gebetsmühlenhaft in ihrem Wahlkampf. Sie stand damit nicht alleine: "Wachstumskräfte mobilisieren" gehört seit jeher zum Wortbaukasten deutscher Politik. Frankreichs Präsident Sarkozy hat dagegen bereits gefordert, sich vom Bruttoinlandsprodukt als Erfolgsmaßstab zu verabschieden. Auch in den Wirtschaftswissenschaften werden die Schwächen dieses Gradmessers deutlich: Wirtschaftswachstum führt eben auch zu steigendem Ressourcenverbrauch und Klimaerwärmung. Umgekehrt werden Kindererziehung oder ehrenamtliche Tätigkeiten überhaupt nicht als volkswirtschaftliche Leistung verbucht. Der Heidelberger Umweltökonom Hans Diefenbacher hat deshalb für die alte Bundesregierung ein Konzept für einen nationalen Wohlfahrtsindex entwickelt, das Glück und Wohlstand einer Nation besser erfassen soll. Erstaunliches Ergebnis: Nach diesen Zahlen geht es in Deutschland seit zehn Jahren kontinuierlich bergab. Prof. Hans Diefenbacher lehrt Volkswirtschaft an der Universität Heidelberg und leitet den Bereich Frieden und Nachhaltige Entwicklung an der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft.
 * Zum Autor:
 Prof. Hans Diefenbacher ist Beauftragter für Umweltfragen bei der Evangelischen Kirche
 Deutschland. Er studierte Volkswirtschaft in Freiburg und Heidelberg, promovierte 1983
 und habilitierte sich im Jahr 2000 zum Thema „Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. Hans
 Diefenbacher ist Mitglied bei mehreren Vereinigungen, so u. a. bei der Vereinigung
 Deutscher Wissenschaftler, der Society for International Development, der International
 Association of Energy Economists und bei der Internationalen Martin-Buber-
 Gesellschaft.
 Bücher (Auswahl):
- (Hrsg.) Die Entwicklung. Die Gesellschaft. 2 Bände. Metropolis-Verlag. 2007.
 - Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 2001.
 Fazit vorangestellt - zu: SWR2 Wissen: Aula - Prof. Hans Diefenbacher: Wachstum macht noch keinen Wohlstand" Ein ganz grossartige Zeitanalyse mit Prognose: lapidar und klar, messerscharf in der Aussage..." w.p. 10-1
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 INHALT
 Ansage:
 Heute zum Thema „Wachstum schafft noch keinen Wohlstand“. In ihrem Werbespot vor
 der Bundestagswahl erklärte Angela Merkel gebetsmühlenhaft, unser Land braucht
 Arbeit, dafür brauchen wir Wachstum. Mit diesen Worten steht sie nicht alleine:
„Wachstumskräfte mobilisieren“, das gehört seit jeher zum Wortbaukasten deutscher
 Politiker aller Parteien. Und zu ihren Ritualen gehört auch, dass uns alle Vierteljahr das
 Statistische Bundesamt die neuesten Wachstumszahlen verkündet und die Politiker
 darauf erwartungsgemäß reagieren: mit Erleichterung oder - je nachdem - Besorgnis.
 Viele Wirtschaftswissenschaftler halten die Fixierung auf das Wachstum dagegen schon
 lange für überholt, und das ist keine rein akademische Debatte mehr. Auch Frankreichs
 Präsident Sarkozy hat bereits gefordert, wir sollten uns davon verabschieden, unser
 Wohlergehen am Bruttoinlandsprodukt zu messen. Aber wie sonst? Der Umweltökonom
 Hans Diefenbacher hat noch für die alte Bundesregierung an einem Vorschlag
 mitgearbeitet, er hat ein Konzept entworfen für einen Nationalen Wohlfahrtsindex, der
 das Wohlergehen der Nation besser erfassen soll als die alten Kennzahlen
 Bruttoinlandsprodukt und Wirtschaftswachstum. Prof. Diefenbacher lehrt Volkswirtschaft
 an der Universität Heidelberg und ist zugleich Beauftragter für Umweltfragen der
 Evangelischen Kirche Deutschland. In der folgenden SWR2 Aula erläutert er, warum die
 herkömmliche Wachstumsmessung in die Irre führt und wie er dazu kommt zu sagen,
 dass es bei uns in Wirklichkeit seit zehn Jahren kontinuierlich bergab geht.
 Hans Diefenbacher:
 Das Wachstum der Wirtschaft ist in den letzten 30 Jahren immer mehr zur Verheißung
 schlechthin geworden. Politiker, viele Medien und ein großer Teil der Bürgerinnen und
 Bürger erwarten sich Wohlstand und Lebensqualität vom Wachstum.
– „Kanzler, tu was!“ titelte die Bildzeitung im September 2003. Was war der Grund für
 diesen Hilferuf? - Das Wirtschaftswachstum lag bei „nur“ einem Prozent.
– „Deutschland - am Ende“ - so die Überschrift in einer Finanzmarkt-Zeitschrift im März
 2004 - da betrug das Wachstum ein halbes Prozent.
– „Ein Wachstum von 3 % sollte doch einfach möglich sein!“ das ist die Sehnsucht vieler
 Politikerinnen und Politiker bis heute. Und Burkhard Schwenker gab noch 2006 bei einer
 großen Tagung in Berlin die Devise aus - Zitat - „Ziel ist: Verdoppelung des deutschen
 BIP in 30 Jahren.“
 – Die EU-Staats- und Regierungschefs werden am 11. Februar bei einem Sondergipfel
 in Brüssel eine neue Wirtschaftsstrategie der Union beraten. Die EU brauche mehr
 Wachstum, um ihr Sozialmodell zu finanzieren, erklärte der neue ständige Ratspräsident
 der EU, Herman Van Rompuy, am Montag in Brüssel. Die 0,7 Prozent Wachstum, die im
 laufenden Jahr erwartet werden, werden in der Pressemitteilung der Union als „Mini-
Wachstum“ bezeichnet.
 In der Natur beobachten wir Wachsen und Vergehen, in stetem Rhythmus. In der Natur
 wächst nichts unbegrenzt. Nur in der Ökonomie soll dies möglich sein, wenn man all den
 Verlautbarungen der Politiker, aber auch mancher Wissenschaftlern Glauben schenkt -
 Grenzen des Wachstums werden zwar immer wieder diskutiert, der Bericht an den Club
 of Rome hat Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts für Aufsehen gesorgt -
aber in die Zielsetzungen der Politik hat der Gedanke einer Wachstumsbegrenzung
 noch keinen Eingang gefunden. Im Gegenteil: Die neue Regierung hat mit der
 monströsen Wortschöpfung „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ diesem Unverstand
 zumindest vorläufig die Krone aufgesetzt. Kann das langfristig gut gehen? Oder kommt
 es, um kurzfristiger politischer Erfolge willen, gar nicht mehr darauf an?
 Dabei bräuchte es zunächst nur einen einfachen Taschenrechner, um sich klar zu
 machen, dass unbegrenztes Wirtschaftswachstum weder möglich und vermutlich auch
 gar nicht sinnvoll wäre. Ein Wachstum von einem Prozent pro Jahr führt zu einer
 Verdoppelung des Anfangsbetrages in 72 Jahren. Wächst etwas mit drei Prozent, so
 verdoppelt sich der Anfangsbetrag in 23,5 Jahren. Bei vier Prozent Wachstum wäre
 nach ungefähr sieben Generationen das 1000fache des Anfangsbetrages erreicht. Und
 wäre seit Christi Geburt irgendetwas mit nur einem Prozent kontinuierlich gewachsen,
 hätten wir heute das unvorstellbare 44millionenfache des Anfangsbetrages erreicht.
 Traditionell gilt nun das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Schlüsselindikator nicht nur für
 westliche Volkswirtschaften; an ihm orientieren sich weltweit Politik und Öffentlichkeit bei
 der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung eines Staates und des Erfolgs oder
 Misserfolgs der jeweiligen Wirtschaftspolitik. Wenn von Wachstum die Rede ist, dann ist
 in aller Regel das Wachstum des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts eines Landes
 gemeint. Wohl deshalb wurde dieser ökonomische Leit-Indikator auch in die
 bundesdeutsche Nachhaltigkeitsstrategie seit 2002 übernommen - und zwar nicht nur
 als eigenständige Zielgröße, sondern auch als Bezugsgröße in anderen Indikatoren wie
 der Energie- und der Ressourcenproduktivität oder im Verkehrsbereich. Gerade an
 diesem Tatbestand - dass nach Ansicht der deutschen Regierungen, gleich welcher
 Couleur, das Wirtschaftswachstum auch ein Indikator für eine erfolgreiche
 Nachhaltigkeitsstrategie sein soll - entfachte sich - nach ersten kritischen
 Einschätzungen bereits in den 1980er Jahren - eine neuerliche Diskussion um die
 Aussagefähigkeit des Bruttoinlandsprodukts. Denn Nachhaltigkeit liegt nur dann vor,
 wenn wir unsere Bedürfnisse so befriedigen, dass die nach uns kommenden
 Generationen auch die Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.
 Nachhaltigkeitsstrategien sprechen daher notwendig Themen wie soziale Gerechtigkeit
 und ökologische Tragfähigkeit an; sie versuchen, eine ökonomische Entwicklung in
 Gang zu setzen, die auch in Zukunft Bestand haben kann. Das Bruttosozialprodukt,
 verbunden mit dem Ziel kontinuierlichen Wachstums, gerät hier erkennbar in ein
 Spannungsfeld.
 Die starke politische Fixierung auf das Bruttosozialprodukt und auf entsprechende
 Wachstumsraten stößt bei nicht wenigen Wissenschaftlern bereits seit geraumer Zeit auf
 Skepsis. Die Zweifel am Sinn dieser Messgröße werden vor allem genährt durch jene
 Kosten in Produktion und Konsum, die nicht zu einer Erhöhung der gesellschaftlichen
 Wohlfahrt beitragen. Negative Begleiterscheinungen für die Umwelt-, Arbeits- und
 Lebensbedingungen in einer Gesellschaft, die im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums
 entstehen können, reichen von Schädigungen von Wasser, Boden und Luft bis zu der
 nicht wieder gut zu machenden Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Aber auch die
 soziale Ausgrenzung der Menschen, die dem Leistungsdruck nicht mehr gewachsen
 sind, der niedrig Qualifizierten, deren Arbeitsplätze um geringer betriebswirtschaftlicher
 Kostenvorteile „erfolgreich“ wegrationalisiert worden sind, all das muss hier
 angesprochen werden.
 Auf diese negativen Folgen reagiert unsere Gesellschaft zum Teil überhaupt nicht - die
 Schäden werden einfach in Kauf genommen - um so leichter und eher, je weiter, wie
 beim Klimawandel, die Schäden erst in der Zukunft auftreten, während den Nutzen
 unseres verschwenderischen Umgangs mit Ressourcen wir heute haben. Auf andere
 Schäden reagieren wir mit so genannten kompensatorischen Ausgaben - etwa zur
 Reparatur von Umweltschäden. Aber diese Ausgaben dienen oft nur dazu, den
 vorherigen Stand der Wohlfahrt und der Lebensqualität wiederherzustellen, etwa wenn
 mit Lärmschutzwänden der Lärm in Wohngebieten verringert wird, der vor dem Bau der
 Schnellstraße gar nicht vorhanden war; wenn Autos nach Verkehrsunfällen repariert
 werden und vieles andere mehr. Bei der Berechnung des BIP/BNE schlagen diese
 Ausgaben aber positiv zu Buche. Auf diese Weise kann ein so genanntes „Leerlauf-
Wachstum“ entstehen: in diesem Fall ist ein kontinuierlich steigender Anteil des
 Wirtschaftswachstums nötig, um negative Folgen des Wirtschaftens zu beseitigen, die
 es ohne dieses Wachstums gar nicht gegeben hätte. Zunehmend zeigt sich in den
 letzten Jahrzehnten, dass diese Aufwendungen vermutlich nicht zum Aufbau einer
 nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung ausreichen.
 Aber auch in gegenteiliger Hinsicht ist das Bruttosozialprodukt als Maßstab für die
 Wohlfahrt einer Gesellschaft unbefriedigend, denn eine Reihe von Wert schöpfenden
 Aktivitäten bleiben im Bruttoinlandsprodukt unberücksichtigt, die positiv zur
 gesellschaftlichen Wohlfahrt beitragen. Die Wertschöpfung durch Hausarbeit und durch
 ehrenamtliche Tätigkeiten wird im Bruttoinlandsprodukt nicht berücksichtigt. Das führt zu
 der paradoxen Situation, dass das Bruttosozialprodukt steigt, wenn zwei Personen sich
 gegenseitig dafür bezahlen, wenn sie ihr Geschirr gegenseitig spülen; wenn beide ihr
 jeweils eigenes Geschirr spülen und diese Ausgabe dadurch sparen, sinkt das
 Bruttoinlandsprodukt wieder. Erinnern Sie sich noch an die Förderung der so genannten
„haushaltsnahen Dienstleistungen“?
Schwerer wiegt jedoch an der Nichtberücksichtigung von Hausarbeit und Ehrenamt im
 Bruttoinlandsprodukt, dass damit eine systematische Missachtung, zumindest aber eine
 zu geringe Wertschätzung dieser Arbeiten einhergeht - und das heißt nichts anderes,
 dass hier in erster Linie - wieder einmal - die Arbeit von Frauen gering geschätzt wird,
 denn diese ganz unverzichtbare volkswirtschaftliche Wertschöpfung führt ja nicht zu
 einem Wachstum, jedenfalls nicht, solange es so gemessen wird wie heute üblich.
 Fassen wir kurz den ersten Schritt zusammen: In der Wahrnehmung von Politik und
 Öffentlichkeit hat sich das quantitative Wirtschaftswachstum als Leitgröße der Politik
 über die letzten Jahrzehnte immer mehr in den Vordergrund geschoben. Lange Zeit war
 ja auch die Strategie, ökonomische und soziale Probleme über Wirtschaftswachstum zu
 lösen, weitgehend erfolgreich - zumindest an der Oberfläche und wenn man nicht die
 Folgen der damit verbundenen Wirtschaftsweise für die zukünftigen Generationen
 berücksichtigt. So wird nur langsam akzeptiert, dass es Wirtschaftswachstum ohne
 Wohlfahrtszuwachs geben kann - dann nämlich, wenn die negativen Effekte des
 Wachstums die Wohlfahrtsgewinne wieder aufzehren. Und auch das Gegenteil ist
 möglich: ein Zuwachs an Lebensqualität, der kein Wirtschaftswachstum braucht. Die
 logische Schlussfolgerung, unser Verständnis der gesellschaftlichen Wohlfahrt vom
 ökonomischen Wachstum abzulösen, erscheint dennoch und nicht nur in Deutschland
 bislang kaum vorstellbar, wenn nicht sogar revolutionär. Denn damit wäre
 möglicherweise eine Abkehr, zumindest aber eine Ergänzung des in Politik, Wirtschaft
 und Öffentlichkeit dominanten Bruttosozialprodukts für das Wohlergehen einer
 Gesellschaft verbunden.
 Gerade in den letzten Jahren hat sich indes eine lebhafte internationale Diskussion
 darüber entwickelt, wie gesellschaftlicher Fortschritt und Wohlfahrt inhaltlich und
 methodisch besser gemessen werden können; eine Diskussion, an der sich nicht nur die
 Wissenschaft sondern auch Institutionen wie die Europäische Union, die OECD und die
 Vereinten Nationen beteiligen. Eine Reihe von Berichtssystemen und Indices wurden
 veröffentlicht, die in ihrer Gesamtheit viele Lücken der Wohlfahrtsmessung schließen,
 ohne dass sie immer speziell zu diesem Zweck konzipiert worden wären: So gibt es
 Sozial- und Umweltberichterstattungssysteme, Umweltökonomische Gesamtrechnungen
 und Indikatoren zur Erfassung der Lebensqualität. Um dem Bruttoinlandsprodukt jedoch
„auf Augenhöhe“ eine Alternative gegenüberstellen zu können, wird es erforderlich sein,
 nicht nur ergänzende Berichterstattungs- und Indikatorensysteme zu konzipieren,
 sondern die verschiedenen Aspekte einer Wohlfahrtsrechnung in einem neuen
 Wohlfahrtsindex zusammenzufassen. Wie könnte das gehen?
 Um die bisherigen Defizite der Sozialproduktberechnung sichtbar zu machen, schlagen
 mein Kollege Roland Zieschank von der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien
 Universität Berlin und ich einen neuen nationalen Wohlfahrtsindex vor, der das
 Bruttoinlandsprodukt zumindest ergänzen könnte. Dabei erfinden wir das Rad
 keineswegs neu, denn ähnliche Ansätze gibt es mittlerweile bereits gut 25 Jahre. Der
 Index ist aus mehreren Teilindikatoren zusammengesetzt. Er ist eine monetäre
 Kenngröße, dass heißt, alle Teilindikatoren liegen jährlich als Größen vor, die in
 Geldeinheiten bewertet sind - oder sie könnten theoretisch in dieser Form vorliegen,
 wenn die Daten in der erforderlichen Qualität bereit gestellt würden. Hier liegt ein
 Problem, auf das ich noch zu sprechen komme. Insgesamt umfasst der neue Nationale
 Wohlfahrtsindex in seiner Grundvariante 21 Teilindikatoren.
– Der NWI geht von der Basisgröße „Privater Verbrauch“ aus, also vom Konsum der
 Privaten Haushalte. Dieser Ausgangspunkt beruht auf der Annahme, dass der Private
 Verbrauch - der Konsum von Gütern und Dienstleistungen durch die Haushalte - diesen
 einen positiven Nutzen stiftet und damit zur Wohlfahrt beiträgt. Wir maßen uns also nicht
 an, Menge und Qualität des Konsums zu bewerten.
– Aufgrund der Überlegung, dass ein zusätzliches Einkommen für einen armen Haushalt
 eine höhere zusätzliche Wohlfahrt stiftet als für einen reichen Haushalt, wird der Private
 Verbrauch mit der Einkommensverteilung gewichtet. Das bedeutet: Je ungleicher verteilt
 das Einkommen einer Gesellschaft ist, desto niedriger ist - unter sonst gleichen
 Bedingungen - der NWI.
– Dann wird die nicht über den Markt bezahlte Wertschöpfung durch Hausarbeit und
 Ehrenamt einbezogen. Die Entscheidung, diese Formen der Wertschöpfung im
 Bruttoinlandsprodukt nicht zu berücksichtigen, war bereits zur Zeit der Konzeptbildung
 der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung kontrovers diskutiert worden. Aufgrund von
 Untersuchungen über die Zeitverwendung der Bundesbürger wissen wir ungefähr, wie
 viel Zeit die Menschen mit Hausarbeit und mit ehrenamtlicher Tätigkeit in Deutschland
 verbringen. Diese Zeit wird mit dem sehr niedrigen Stundensatz, den ungelernte
 Haushaltshilfen durchschnittlich bekommen, bewertet und in den Wohlfahrtsindex positiv
 eingerechnet.
– Sechs Indikatoren bilden zusätzliche soziale Faktoren ab, die im Bruttoinlandsprodukt
 in dieser Weise nicht berücksichtigt werden. Einerseits werden Wohlfahrt stiftende
 Ausgaben des Staates für Gesundheit und Bildung addiert, andererseits Kosten etwa
 von Kriminalität oder Verkehrsunfällen abgezogen.
– Ökologische Faktoren werden durch neun weitere Indikatoren erfasst: Ausgaben zur
 Kompensation von Umweltschäden, Schadenskosten aufgrund unterschiedlicher
 Umweltbelastungen und Ersatzkosten für den Verbrauch nicht erneuerbarer
 Ressourcen.
– Schließlich enthält der NWI in seiner Grundform zwei ökonomische Indikatoren, und
 eine zusätzlich ausgewiesene Variante des NWI bezieht darüber hinaus (negativ) die
 Nettoneuverschuldung öffentlicher Haushalte ein. Denn die Schulden, die heute
 entstehen, müssen zukünftige Generationen bedienen, die dadurch ihren
 Handlungsspielraum einengen müssen. Positiv im neuen Wohlfahrtsindex werden
 hingegen die öffentlichen Ausgaben zum ökologischen Umbau der Wirtschaft mit
 berücksichtigt, denn wir gehen davon aus, dass ein solcher Umbau die Wohlfahrt der
 zukünftigen Generationen steigern wird.
 Ich habe es schon oben angedeutet: Die Verlässlichkeit der Datengrundlage ist für die
 einzelnen Indikatoren noch sehr unterschiedlich. Während einige Werte auf leicht
 verfügbaren Daten aus offiziellen Statistiken beruhen, handelt es sich bei anderen um
 Schätzwerte, die bei einer Weiterentwicklung des NWI durch vertiefende Analysen
 geprüft werden müssen. Auch die Frage der Bewertung in Geldeinheiten kann mit den
 vorhandenen Daten und Methoden noch nicht immer völlig zufrieden stellend gelöst
 werden. Wie viel Schaden richtet zum Beispiel eine Tonne Kohlendioxid an, die
 beispielsweise durch den Verbrauch von Kohle oder Erdöl an die Atmosphäre
 abgegeben wird? Das Bundesumweltamt hat hierzu eine Studie vorgelegt, die als ein
 höchst wahrscheinlich nicht zu hoher Wert den Betrag von 70 Euro pro Tonne angibt.
 Mit diesem Betrag rechnen wir - aber das könnte sich durch zukünftige Klimaschäden
 auch als viel zu niedrig herausstellen.
 Vergleicht man nun den aus den sozialen, ökologischen und ökonomischen
 Teilindikatoren aggregierten Nationalen Wohlfahrtsindex für den Zeitraum 1990 bis 2007
 in seiner modifizierten Form mit dem BNE, ergibt sich folgendes Bild: Das
 Bruttoinlandsprodukt steigt in dieser Zeit fast kontinuierlich leicht an. Der Nationale
 Wohlfahrtindex steigt in den ersten Jahren, 1990 bis 1994, stärker an als das
 Bruttoinlandsprodukt. Seit dem Jahr 2001 sinkt der Nationale Wohlfahrtsindex jedoch
 stetig - mit Ausnahme des Jahres 2004 -, während das Bruttoinlandsprodukt weiter
 wächst. Worauf hat dies nun zu sagen?
 Die wichtigste Erkenntnis des Vergleichs ergibt sich aus dem Verlauf der Kurven, an
 dem sich ablesen lässt, ob das Bruttoinlandsprodukt die Richtung von
 Wohlfahrtsänderungen korrekt anzeigt. Die unterschiedliche Entwicklung der beiden
 Kurven weist darauf hin, dass dies möglicherweise nicht der Fall ist: Während das BNE
 über die gesamte Periode recht stetig ansteigt, erreicht der nationale Wohlfahrtsindex,
 wie gerade ausgeführt, um das Jahr 2000 seinen Höhepunkt und sinkt in den letzten
 Jahren erkennbar. Verantwortlich für das Sinken des NWI sind insbesondere die
 zunehmende Ungleichheit der Einkommensverteilung und die negativen Effekte im
 Umweltbereich, deren quantitativ größter Posten die Ersatzkosten für den Verbrauch
 nicht erneuerbarer Ressourcen darstellen. Positiv eingehende Faktoren, insbesondere
 der Wert der Hausarbeit und ehrenamtlicher Tätigkeiten, die ebenfalls zunehmen,
 können dies nicht ausgleichen. Und wieder einmal zeigt sich: Nicht alle wirtschaftlichen
 Aktivitäten steigern die Wohlfahrt der Menschen, bei einigen überwiegen die negativen
 Folgen im ökologischen und sozialen Bereich, andere wirtschaftliche Aktivitäten werden
 nur unternommen, um vorherige negative Folgen wieder gut zu machen.
 Wenn wir also durch die Berechnung des Wohlfahrtsindex zeigen können, zumindest
 aber den begründeten Verdacht haben, dass gerade in den letzten Jahren das
 Wirtschaftswachstum keineswegs immer zu einer Steigerung der Wohlfahrt und damit
 der Lebensqualität der Menschen im Land geführt hat - müsste das nicht Folgen haben
 für die wirtschaftspolitische Debatte? Müsste es nicht Folgen haben für die
 Beantwortung der Frage, an welchen Kriterien wir Erfolg oder Misserfolg unserer
 Wirtschaftspolitik messen? Heißt das nicht, dass wir in der Politik viel stärker auf die
 Wohlfahrt als der zentralen Zielsetzung abstellen müssten und die Rolle des
 ökonomischen Wachstums - vor allem aufgrund seiner Fragwürdigkeit unter
 ökologischen und sozialen Gesichtspunkten - als gesellschaftlicher Zielsetzung viel
 zurückhaltender bewerten müssten?
 Diese Überlegungen lassen sich weiter präzisieren:
 1. Der NWI eröffnet die Chance, andere Quellen des Wohlstands und der Wohlfahrt
 besser zu erkennen und zu stärken: Hierzu gehört eine gerechtere
 Einkommensverteilung, die Wertschätzung sozialer Netzwerke und bürgerschaftlichen
 Engagements und die Minderung von Umweltbelastungen und Verbrauch nicht
 erneuerbarer Ressourcen.
 2. Diese anderen Quellen der Wohlfahrt bilden nicht zuletzt einen wichtigen „Puffer“ in
 Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs. Denn der Nationale Wohlfahrtsindex wird in
 der Wirtschaftskrise voraussichtlich weniger sinken als das Bruttoinlandsprodukt - nicht
 zuletzt wird dadurch erneut deutlich, wie wichtig eine gut funktionierende soziale und
 ökologische Infrastruktur ist und eine stabile regionale Ökonomie. Eine Gesellschaft mit
 diesen Eigenschaften wird weniger krisenanfällig sein gegenüber importierten
 Katastrophen aus der globalen Ökonomie.
 3. Die Abhängigkeit einer Gesellschaft von den ökonomischen Wachstumsraten als
 zentraler Orientierungsgröße würde abnehmen, wenn sie sich nicht nur am
 Bruttoinlandsprodukt, sondern auch am neuen Nationalen Wohlfahrtsindex. An
 orientieren würde. In mehreren westlichen Staaten sind die BIP-Kennzahlen künstlich
 hoch gehalten worden. Das ginge über massive Verschuldungsstrategien und über die
 entsprechende Aufblähung und Überbewertung monetärer Vermögenswerte - von
 Immobilien bis Finanzderivaten. Ein modern konstruierter Wohlfahrtsindex würde hier -
bei entsprechend zeitnaher Datenverfügbarkeit - Frühwarnsignale liefern können.
 4. Umgekehrt: Die Wohlfahrt mit den Aspekten, wie sie im Nationalen Wohlfahrtsindex
 enthalten sind, kann auch weiter steigen, selbst wenn das traditionelle wirtschaftliche
 Wachstum sich abschwächt oder stagniert. Mehr noch: Eine stetige Zunahme ist, zum
 anderen, im Prinzip nicht prinzipiell problematisch - im Unterschied zu Steigerungen des
 Bruttoinlandsprodukts, die in der Regel zumindest ökologisch nicht nachhaltig sind.
 5. Die stärkere Orientierung an gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt ermöglicht - um
 einen Diskussionsvorstoß zum „Kern“ der traditionellen ökonomischen
 Argumentationsmuster zu unternehmen - eine stärkere Hinwendung zu qualitativem
 Wachstum: Während es beim Bruttoinlandsprodukt vollkommen neutral, um nicht zu
 sagen, gleichgültig ist, ob eine bestimmte Wirtschaftsaktivität nachhaltig oder nicht
 nachhaltig ist, ist beim Nationalen Wohlfahrtsindex dies nicht der Fall, im Gegenteil: Es
 wird unmittelbar ersichtlich, ob ein Staat Wachstum auf Kosten seiner natürlicher
 Ressourcen erzielt oder auf anderem Wege, und ob der die Umwelt dabei belastet oder
 nicht. Die Staaten, die eine Nachhaltigkeitsstrategie ausgearbeitet haben und zielstrebig
 umsetzen, könnte der Nationale Wohlfahrtsindex eine wesentlich bessere Richtschnur
 für Erfolg oder Misserfolg geben, vor allem in mittel- und langfristiger Perspektive.
 6. Um einen oft gehörten Einwand an dieser Stelle aufzunehmen: Wir verkennen nicht
 die Automatismen der bestehenden Wachstumszwänge, die durch Zinszahlungen für
 schon bestehende Staatsschulden und Investitionen, durch den internationalen
 Wettbewerb und die Globalisierung sowie durch die Notwendigkeit der Sicherung der
 Sozialsysteme charakterisiert sind, wobei diese Wachstumszwänge die Rezession auch
 nicht verhindern konnten. Der Nationale Wohlfahrtsindex regt aber an, zusätzliche
 Unterscheidungen vorzunehmen, um auf diese Krise angemessen reagieren zu können:
 Differenziert wird in Wachstum finanzieller Kenngrößen und in Wachstum von
 physischen Kenngrößen, das heißt, unterschieden wird zwischen Geldgrößen und den
 Stoff- und Energieströme sowie den Eingriffen in Umwelt und Natur. Das Wachstum von
 privaten Einkommen und staatlichen Einnahmen eines Landes ist als solches kein
 Problem, finanzielle Zuwächse auf Konten belasten zunächst nicht die Ökosysteme.
 Soziale oder politisch relevante Aspekte derartiger Zuwächse werden über die
 Einkommensverteilung und über den Verschuldungsgrad mit angesprochen. Hingegen
 wird man nicht umhin kommen, die physischen Dimensionen des
 Wirtschaftswachstums, also den Energie- und den Verbrauch nicht erneuerbarer
 Rohstoffe, aus klima- und umweltpolitischen und aus ethischen Gründen zu begrenzen:
 Ich nenne nur als Stichworte die Gerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern,
 und die Gerechtigkeit zwischen den jetzigen und den zukünftigen Generationen, die
 zum Leitbild einer aufgeklärten, modernen Wirtschaftswissenschaft werden müssen.
 7. Die Schlussfolgerungen, die wir aus der Gegenüberstellung des
 Bruttoinlandsprodukts und des neuen, nationalen Wohlfahrtsindex ziehen können, sind
 nicht neu. Die Gegenüberstellung verstärkt aber die einer Abkopplung des
 Wirtschaftswachstums vom Energie- und Ressourcenverbrauch, letztlich nicht nur in
 relativen, sondern auch in absoluten Größen. Zum anderen wird damit eine ökologische
 Erneuerung von Wirtschaft und Gesellschaft angesprochen. Stichworte sind hier „Grüne
 Innovationen“ und Investitionen, eine Stärkung der so genannten „ökologischen
 Industrien“, der unbedingte Vorrang der Förderung von Ressourceneinsparungen und
 Effizienzsteigerungen sowie eine gewisse Abkehr von materiellen Produkten als häufig
 stark dominierender Grundlage für die Lebenszufriedenheit in unterschiedlichen
 gesellschaftlichen Schichten.
 8. Inwieweit ein stärker qualitatives Wachstum im skizzierten Sinne wirklich
 ausreichende ökologische Entlastungen, neue Arbeitsplätze, bessere
 Wettbewerbsfähigkeit und eine Entlastung der Staatsausgaben bringt, kann durch eine
 Wohlfahrtsrechnung nicht beantwortet, aber angemessener diskutiert werden. Das neue
 Berichtsystem enthält eine Reihe politischer Potenziale. So verbessert sich die
 Informationsbasis der politischer Entscheidungsfindung, Die Bereitstellung zuverlässiger
 und differenzierter Informationen über eine alternative Sicht der Wirtschaftsentwicklung
 stellt zudem eine wichtige Grundlage für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an
 einer gesellschaftlichen Zieldiskussion dar: Was bedeutet gesellschaftlicher Fortschritt,
 und wie ist er zu erreichen?
 Eine solche Diskussion ist in nächster Zeit ganz unverzichtbar, denn es kann nicht
 einfach theoretisch abgeleitet werden, welche Faktoren in Ergänzung zum traditionellen
 Bruttoinlandsprodukt bei einer Wohlfahrtsmessung berücksichtigt werden müssen.
 Dieser Umstand scheint jedoch immer weniger als Argument dafür herhalten zu können,
 eine solche neue Betrachtung gar nicht zu beginnen. Denn die zuständige Statistik ist
 mit einem zunehmenden Legitimitätsproblem konfrontiert, wenn die Wahrnehmung der
 Lebenswirklichkeit bei einer steigenden Zahl von Menschen von den Aussagen der
 offiziellen Berichterstattung abweicht. Keine Lösung wäre hingegen, die
 volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und die hier skizzierten Ergänzungen aus
 ökonomischer, ökologischer und sozialer Perspektive ganz über Bord zu werfen und
 sich der neuerdings modisch gewordenen Messung von „Glück“ zuzuwenden. Bei allen,
 insbesondere den umfragebasierten Konzepten der Glücksforschung geraten die
 zukünftigen Generationen weitgehend aus dem Blickfeld, und auch die Gerechtigkeit
 zwischen armen und reichen Ländern spielt hier eine nur sehr untergeordnete Rolle.
 Schließlich konnte häufig gezeigt werden, dass sich Menschen unter bestimmten,
 unvorteilhaften Lebensbedingungen an Elend gewöhnen und daher trotz miserabler
 Lebensumstände eine erstaunlich hohe Zufriedenheit äußern können.
 Daher halten wir es für unverzichtbar, jenseits des Bruttoinlandsprodukts ein den
 modernen Gesellschaften angemessenes Maß für Wohlstand zu konzipieren und in der
 regelmäßigen statistischen Berichtserstattung zu verankern. Das zwanzigste
 Jahrhundert mag das Zeitalter der neoliberalen und keynesianischen Wirtschaftstheorie
 gewesen sein, mit der dazugehörigen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Das
 einundzwanzigste Jahrhundert erfordert eine Neujustierung von Prioritäten. Es müssen
 Lösungen gefunden werden, die ein friedliches Zusammenleben der Menschen fördern,
 auf der Basis einer weltweiten sozialen Gerechtigkeit und der Bewahrung der
 Lebenschancen für zukünftige Generationen. All dies ist nur in den Grenzen der
 Verfügbarkeit der Ressourcen möglich, die die Natur uns bietet. Eine zukunftsfähige
 Ökonomie der Nachhaltigkeit erfordert neue Koordinaten, neue Mess-Systeme. Der
 Nationale Wohlfahrtsindex ist hier vielleicht ein sinnvoller Baustein.
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Was halten wir von Achtsamkeit dem Andern gegenüber? Wenig bis nichts
Buchbesprechung
215<<Hans Diefenbacher: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit >> 
Zum Verhältnis von Ethik und Ökonomie
368 S.; gebunden; mit zahlreichen Tabellen, Diagrammen; EUR 39,90
 Wissenschaftliche Buchgesellschaft / WBG, Darmstadt; 2001www.wbg-darmstadt.de
 Dr.rer.pol.Hans Diefenbacher, 48, Diplomvolkswirt und Referent für Ökonomie an der Forschungstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft /FEST in Heidelberg, leistet mit diesem Thema: Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit einen unverzichtbaren säkularen Beitrag zum aktuellen Diskurs. Das sei gleich vorangestellt.
 Diefenbacher bezieht zu den Auswirkungen der globalisierenden Ökonomie auf Gesellschaft und Politik ebenso wissenschaftliche Position als auch zur Alltagsbefindlichkeit auf regionaler Ebene am differenzierenden Beispiel Deutschlands, wenn er die Begriffe in der Alltagswelt beschreibt und die unterschiedlichen Wertmasstäbe in Ost- und West-Deutschland. Er kehrt also in korrekt-gerechter Weise vor der eigenen Tür zur Welt.
 Da steht es klipp und klar (nach Buhlmann,2000): Die Westdeutschen lieben zu aller erst Freiheit, dann Wohlstand, Sicherheit zu aller letzt Gerechtigkeit. Ganz im Gegensatz zu den Ostdeutschen: sie finden Gerechtigkeit als das allerwichtigste, dann folgen Sicherheit, Freiheit und am Schluss Wohlstand.
 "Gerechtigkeitsempfinden, folgert Diefenbacher bezieht neben Wohlstand, Chancengleichheit , Gleichstellung, und wie die Gesellschaft mit Hilfsbedürftigen umgeht. Besonders sind die Ostdeutschen der Ansicht, der Staat müsse dafür sorgen, dass man bei Krankheit, Not und im Alter ein gutes (würdevolles, Anm.d.Rez.) Auskommen hat.
 In fünf Teilen werden beide Begriffe tiefschürfend bearbeitet.Im Teil I wird auch der von der Bevölkerung nicht rezipierte Nachhaltigkeits-Begriff ( Preisendörfer, 1999) mit Umweltbewusstsein bezeichnet, der eine "folgenarme Betroffenheit" auslöst und zu kaum einer Besserung führt.
 Theorie und Empirie bilden Themenbereiche II-III.
 IV-V beinhalten Politik sowie Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. 
 Daraus geht hervor: Es gibt ein theoretisches Zwischen-Fazit: Gerechtigkeit ist in der Nachhaltigkeits-diskussion mehrdeutig, ökonomiefremd (Tritin’s Büchse der Pandora, Anm.d.Rez.)und zum Teil zynisch( Nestlé’s GenSojaStrategie) , wenn sie als strategischer Begriff der Herrschenden missbraucht wird.
 Das Schaubild von Diefenbacher u.a. zu Dimensionen nachhaltiger Entwicklung macht die (mehr) Utopie (weniger) Vision auf einen Blick deutlich: An unterster Stelle steht das Eigenrecht der Natur, flankiert vom Nord-Süd-Verhältnis und Zukünftigen Generationen und generiert als unterste Instanz die Politische Ordnung, darüber Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft, Ökologie. Wenn Kultur so eingezwängt zwischen Politik und Gesellschaft verstanden wird, gibt es kein Auskommen: Anm.d.Rez.
 Das Buch schliesst konsequent mit den Grenzen der Wissenschaft und deren meta-theoretischen Reflexion und zitiert kassandrisch (Kenneth Boulding): "It is absurd to have an exact science (full of Heisenberg principles) in an inexact world..." Fazit: Our inexact world will continue as a banality- horror.