Prof. Bernhard H. F. Taureck: Poesie gegen Logik - Über Metaphern und Gleichnisse in der Philosophie
Prof. Bernhard H. F. Taureck: Poesie gegen Logik - Über Metaphern und Gleichnisse in der Philosophie
Autor und Copyright: Prof. Bernhard H. F. Taureck. Redaktion: Ralf Caspary, Sendung: Sonntag, 14. März 2004, 8.30 Uhr, Quelle: SWR 2
Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Seit dem Beginn einer schriftlichen Überlieferung der Philosophie bei den Vorsokratikern vor mehr als zweieinhalb tausend Jahren argumentieren die Denker nicht nur mit Hilfe von Schlussfolgerungen, sondern auch mit Hilfe von Metaphern und Gleichnissen.
So bietet zum Beispiel der allererste Satz, der von der europäischen Philosophie überliefert ist, eine metaphorische Aussage. Bei Anaximander nämlich ist die Rede davon, dass alle entstehenden Dinge „einander Recht und Strafe für das Unrecht“ leisten. Recht, Strafe, Unrecht sind jedoch keine Beschreibungs- und Erklärungsangaben über Naturvorgänge, sondern bildliche Deutungen. Denn die Natur tut in Wirklichkeit kein Unrecht, straft nicht und wird nicht bestraft. Xenophanes denkt einen von allen Anthropomorphismen gereinigten Gott, der „alles mit seinem Verstand schwenkt.“ Voller Bilder sind auch die als Fragmente auf uns gekommenen Texte Heraklits, der zum Beispiel schreibt: „Das Steuer des Alls aber führt der Blitz.“ Oder: „Das Wesen der Dinge versteckt sich gern.“ Oder: Wie ein wüst hingeschütteter Misthaufen ist die schönste, vollkommenste Welt.“ Parmenides unterscheidet einen „Weg“ der Wahrheit und der Täuschung und spricht hinsichtlich der Wahrheit von deren „unerschütterlichem Herz“. Empedokles nennt das Meer den „Schweiß der Erde.“ Demokrit bezeichnet Worte als „Schatten der Tat“. Platon verdanken wir ein bis heute beunruhigendes Gleichnis des Menschen als Bewohner eines unterirdischen Höhlengefängnisses. Im Mittelalter erfand Thomas von Aquin die Metapher der „tabula rasa“, der Tafel ohne Schriftzeichen, für unser Bewusstsein.
Die moderne Philosophie hat nicht etwa Abschied genommen von dem Metaphern- und Gleichniseinsatz. Heidegger definiert den Menschen als „Hirt des Seins“ und dreht damit eine Metapher Platons um, nach der wir Menschen eine von den Göttern gehaltene Herde sind. Sartre spricht davon, dass wir zur Freiheit „verurteilt“ sind. Foucault vergleicht die Zukunft der Anthropologie mit einem aus Sand geformten Gesicht am Rande des Meeres, das bald verschwinden werde.
Wer daher der Ansicht wäre, dass mit einer fortschreitenden Emanzipation des philosophischen Denkens von der Sage, von den Mythen, von den sich zwischen Menschen und Göttern zutragenden Geschichten zugleich der Gebrauch von Gleichnissen und Metaphern zurückgehe, würde einen Irrtum begehen. Die philosophische Argumentation bleibt vielmehr auch weiterhin verbunden mit Bildern, mit Metaphern und mit Gleichnissen. Sie bleibt es durchgängig bis in unsere Tage. Und sie bleibt es so vielfach, so eng und so zahlreich, dass man nur mit Erstaunen konstatieren kann, dass diese Tatsache von der Philosophie selbst bisher nicht in Gestalt einer Teildisziplin zum Thema gemacht wurde. Ein Motiv für diese Unterlassung dürfte indes klar und verständlich sein: Es ist die Furcht, dass die Philosophie sich unter der Hand in eine Form der Poesie verwandeln könnte und auf diese Weise ihren Anspruch auf Eindeutigkeit, Wissenschaft und Wahrheit verlieren würde. Es ließe sich gar von einer Literarisierungsangst der Philosophen sprechen. Ist sie begründet?
Um diese Frage zu beantworten, sei von einem seltsamen Satz des berühmten argentinischen Dichters und Essayisten Jorge Luis Borges ausgegangen, der die Philosophen vielleicht das Fürchten lehren könnte. Er lautet: Vielleicht ist die Universalgeschichte die Geschichte der verschiedenen Akzentuierungen einiger Metaphern. (Quizá la historia universal es la historia de la diversa entonación de algunas metáforas.) Sicherlich, Borges geht hier zu weit. Doch er weiß dies und lässt seine Behauptung mit ihrem ersten Wort, dem „vielleicht“, zu einer Vermutung werden. Borges, der Schriftsteller, spricht nicht nur von einer metaphorischen Bindung der Philosophie, sondern von der Universalgeschichte, das heißt von der Gesamtheit der bisherigen Zivilisationen der Menschheit in ihrer Entwicklung. Wenn Borges’ Vermutung zuträfe, dann beruhte diese menschliche Gesamtgeschichte darauf, dass lediglich verschiedene Metaphern ihre Grundlage bilden. Ihr verschiedenes Verständnis ergäbe einen geschichtlichen Wandel.
Dass Borges nicht ganz Unrecht haben dürfte, mag aus wenigen Beispielen deutlich werden. Platon wählte die Metapher „Anblick“ für das, was wahrhaft der Fall ist. Das griechische Wort dafür lautet idéa. In unserer Zeit wird diese Metapher als Idee oder idea indes anders verstanden, nämlich als Einfall, den jemand hat. Die Metaphorik der Idee verschob sich heute auch noch zu einer andern Metapher, die für „sehr wenig“ oder „minimal“ steht. So kann zum Beispiel ein Fotograf jemanden bitten, seinen Kopf eine „Idee nach rechts zu drehen.“ Diese Verwendung von „Idee“ kommt der alten Bedeutung von „Anblick“ übrigens insofern nahe, als es jetzt um etwas geht, was sichtbare Züge von etwas betrifft. In diesem Fall fungiert die alte philosophische Fundamentalmetapher Platons sogar als ein Mittel der Alltagsverständigung. Ein anderes Beispiel ist das griechische Wort „kósmos“, das „Geschmeide“ bedeutet. Die Griechen bezeichneten das All also mit einer Metapher aus der Goldschmiedekunst. Wir haben diese Bezeichnung behalten, wissen jedoch kaum noch, dass ihr eine Metapher zugrunde liegt. Ein weiteres Beispiel liegt in der Metapher „Aufklärung“. Sie bezieht sich auf ein Hellerwerden, auf die Vertreibung von Dunkel oder Dunst durch die hervortretende Sonne. Im 18. Jahrhundert wurde Aufklärung verwendet als Epochenmetapher für das Ende einer Zeit ohne Naturforschung und einer, wie Kant es ausdrückte, „selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Heute verwenden wir die Aufklärungsmetapher anders, nämlich als Informieren. Wer etwa Aufklärung über einen Skandal verlangt, erwartet, dass über einen Vorfall informiert wird.
Borges hat insofern Recht mit seiner Vermutung, die Universalgeschichte beruhe auf verschiedener Akzentuierung weniger Metaphern, als wir uns ja über Epochen, über Beziehungen zur Natur und über grundlegende Konzepte tatsächlich über Metaphern wie „Kosmos“, „Aufklärung“ oder „Idee“ kollektiv verständigen. Doch es folgt daraus nicht, dass die Gesamtgeschichte lediglich auf diesen Metaphern beruht. Richtiger ist zu sagen, dass wir kollektiv mithilfe von Metaphern auf unsere Geschichte und die Natur Bezug nehmen. Unsere Gesamtgeschichte stellt selbst etwas dar, das wir als Ganzes gar nicht zu Gesicht bekommen können. Keine Theorie der Geschichte ist in der Lage alle Ereignisse zu ordnen und zu erklären. Und selbst wenn sie dies schaffte, so wäre die Geschichte inzwischen bereits wieder weiter gelaufen und brächte neue, nicht voraussagbare Ereignisse. Angesichts dieser Verhältnisse dürfen wir, von Borges’ Bemerkung ausgehend, sagen, dass wir vor einer theoretisch nicht präsentierbaren Gesamtheit wie der unserer eigenen Geschichte nicht zu verzagen brauchen. Wenn es uns nicht gelingt, alles zu umfassen, so haben wir ja das Mittel gleichnishafter und metaphorischer Rede, um das, was sich uns als Ganzes entzieht, dennoch anzudeuten. Sprachliche Bilder markieren dabei ein Bewusstsein des Nichtwissens und eine Öffnung in Richtung auf das, was uns entzogen ist.
Wie steht es nun mit der zuvor angesprochenen Literarisierungsangst durch Metaphern bei den Philosophen im Hinblick auf die Philosophie? Das Beispiel des Satzes von Borges legt es nahe, dass unsere fundamentalen Weltbezüge auf Metaphern umgestellt werden sollen. Die Grundlage der Universalgeschichte sind Metaphern. Dies ist ein wichtiges Beispiel für eine mögliche Literarisierung der Philosophie. Die Philosophie wird sich dagegen verwahren. Sie könnte dabei etwa wie folgt argumentieren: Für die Universalgeschichte der Menschheit ist die Philosophie zuständig. Sie konzipiert mithilfe von begrifflichen und nicht etwa von metaphorischen Unterscheidungen Erklärungen für Anfang, Verlauf und Ziel der Geschichte. Dies hat sie seit dem 18. Jahrhundert in Angriff genommen. Als Gemeinsamkeit zwischen verschiedenen Denkern wie Kant, Hegel oder Marx hat sich dabei eine Orientierung der Gesamtgeschichte zur Emanzipation aller Menschen hin ausgebildet. Die Menschheitsgeschichte ist unterwegs zu einer gewaltfreien Selbstbestimmung aller Menschen. Um dies darzustellen, so lautet das Argument weiter, mögen Metaphern manchmal dienlich sein, doch es ließe sich auch auf sie verzichten. Der Satz von Borges dagegen würde dieser begrifflichen Fassung der Universalgeschichte unnötig den Schein einer bloßen Bilderrede verleihen. An die Stelle des Begriffs der sich entwickelnden Freiheit träten Metaphern. Genau dies würde die begriffliche Arbeit der Philosophie literarisieren, stören und am Ende behindern.
Dieses Argument scheint überzeugend und schlüssig zu sein. Wenn die philosophische Arbeit hinausläuft auf die begriffliche Sicherung eines kollektiven Emanzipationsprozesses, warum sollte sie dann noch auf Metaphern beruhen? Die philosophische Deutung der Geschichte, wie sie in den verschiedenen Entwürfen eines Kant, Hegel oder Marx angelegt ist, bildet keinen Roman, der so oder anders mit vielen Bildern erzählt wird.
Man erkennt hieraus deutlich, dass aus der Sicht der Philosophie vor allem eines gilt: Metapherngebrauch führt zur Abschwächung, zur Beliebigkeit, zur Aussagelosigkeit philosophischer Theoriebildung. Die Literarisierungsangst der Philosophen scheint berechtigt zu sein. Metaphern und Gleichnisse scheinen keine genuin philosophischen Formen der Wahrheitsfindung zu bilden. Philosophisches Denken scheint prinzipiell auf Bilder verzichten zu können. Es gründet sich wesentlich auf Begriffe und Begriffsverbindungen. Metaphern und Gleichnisse gehören in ein anderes Feld, nämlich das der Poesie. Diese Ansicht hatte derjenige Denker nahe gelegt, dem wir vor 2300 Jahren die erste Theorie der bildlichen Rede verdanken: Aristoteles. Metaphern zu finden, so Aristoteles, sei das Geschäft nicht des Denkers, sondern des Dichters. In der Philosophie bedeute die Metaphernverwendung stets eine Trübung der Aussage.
Diese Ansicht hat die Philosophie in ihrem Selbstverständnis traditionell bestimmt und ist auch heute noch wirksam. Trifft sie jedoch wirklich zu? Dass die Philosophie ein Interesse an einer Findung und Sicherung zutreffender Aussagen hat, ist verständlich. Doch trifft es zu, dass Bilder dabei eher störend als hilfreich sind? Wie zuvor bemerkt wurde, verwenden die Denker nicht eben selten Metaphern und Gleichnisse. Dies steht deutlich im Kontrast zu ihrem durch Aristoteles geprägten Selbstverständnis. Wie soll man diesen Kontrast deuten? Handelt es sich um einen simplen Widerspruch zwischen Anspruch und Praxis? Oder besteht vielleicht doch eine innere Affinität zwischen Philosophie und Metaphorik?
Diese Fragen lassen sich beantworten, wenn man die genannten philosophischen Entwürfe der Universalgeschichte einmal etwas genauer betrachtet. Beginnen wir mit Kant. Er vertritt die Theorie, dass es künftig weniger Kriege geben werde, weil die gesamte Erdoberfläche bewohnt sein wird, so dass von diesem Zeitpunkt an Handelsbeziehungen viel interessanter sind als Kriege. Wie aber erklärt Kant den Drang der Menschen, nach und nach die gesamte Erdoberfläche in Besitz zu nehmen? Diese Frage beantwortet Kant mit Sätzen wie: Die Natur verfolgt einen Zweck und bedient sich dazu des Krieges. Oder: „Die Natur will unwiderstehlich, dass das Recht zuletzt die Obergewalt erhalte.“ Oder: Es „garantiert die Natur, durch den Mechanism in den menschlichen Neigungen selbst, den ewigen Frieden.“ In all diesen Fällen wird die Natur mit Willen, Absichten, mit Zwecken und planvollem Handeln ausgestattet. Natur wird metaphorisch verwendet. Kant reflektiert nicht auf den metaphorischen Status dieser Sätze, doch er lässt erkennen, dass es sich um metaphorische Äußerungen handelt. Kants Universalgeschichte wird auf diese Weise zu einem Geschehen, das nicht etwa nur von menschlichen Planungen abhängt. Vielmehr soll gelten, dass unsere Planungen offenbar von einer weiseren und stärkeren Naturmacht gelenkt werden. Um dies auszusagen, benötigt Kant die Metaphorik einer wollenden zwecktätigen Natur, die uns in Dienst nimmt. Auf diese Weise zeigt sich etwas Unerwartetes: Eine metaphorische Redeweise wird nicht etwa von einer begrifflich orientierten Argumentation ausgeschlossen, sondern sie wird offenbar von ihr benötigt. Die Metaphorik einer planvoll handelnden Natur fügt sich bei Kant in seine Argumentation ein. Anders als es das Selbstverständnis der Denker vermuten lässt, wird die Metapher nicht als verzichtbarer Schmuck gewertet, sondern sie wird offenkundig für das Argumentieren selbst benötigt.
Das zweite Beispiel ist Hegel, der Kants welthistorische Überlegungen in erweitertem Maßstab fortsetzt. Wir lesen bei Hegel unter anderem den Satz: „Das ist die List der Vernunft zu nennen, dass sie die Leidenschaften für sich wirken lässt […] Die Idee bezahlt den Tribut des Daseins und der Vergänglichkeit nicht aus sich, sondern aus den Leidenschaften der Individuen.“ Hier wird mit mehr als einer Metapher gearbeitet. Die Rede ist nämlich nicht nur von einer „List der Vernunft“, sondern auch davon, dass die Idee einen Tribut zahlt. Wenn wir versuchen, diesen für Hegels Universalgeschichte grundlegenden Satz zu umschreiben, so ergibt sich etwa folgendes: Die Vernunft nicht des Menschen, sondern die allgemeine Vernunft der Welt selbst lässt die menschlichen Leidenschaften für sich wirken. Nicht sie selbst vergeht, sondern die Menschen. Wir finden hierbei, dass wir für die berühmte Metapher „List der Vernunft“ etwas anderes einsetzen können, zum Beispiel, dass die allgemeine Vernunft die Menschen für sich arbeiten lässt, als Mittel verwendet, täuscht und anderes mehr. Wir werden auf diese Weise zwar die Metapher „List der Vernunft“ los, doch der Preis besteht darin, dass wir andere Metaphern an ihre Stelle setzen müssen, wenn wir die Bedeutung der „List der Vernunft“ umschreiben wollen. Wieder stoßen wir auf eine Metapher mitten in einem begrifflich-argumentativen Zusammenhang der Erklärung von Universalgeschichte. Die Vernunft wird infolge der Metapher der List zu einer Person, die uns Menschen als Mittel für ihre Absichten benutzt, uns dies aber nicht wissen lässt. Wiederum zeigt uns die Philosophie durch ihr eigenes Tun, dass sie die Metapher nicht als bloßen entbehrlichen Redeschmuck behandelt, sondern für ihre eigene Argumentation nutzt.
Das dritte Beispiel ist Karl Marx. Er verwendet dabei eine Metaphorik, die seither inflationär verwendet wurde, ohne dass man sich darüber Rechenschaft ablegt, dass es sich um eine Metaphorik handelt. Es ist das Bild eines „Überbaus“ bzw. das einer „Basis“. Im Manifest der kommunistischen Partei heißt es: Das Proletariat, die unterste Schicht der jetzigen Gesellschaft, kann sich nicht erheben, nicht aufrichten, ohne dass der ganze Überbau der Schichten, die die offizielle Gesellschaft bilden, in die Luft gesprengt wird. In seiner Schrift Zur Kritik der politischen Ökonomie schreibt Marx: Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Überbau und Basis bilden hier Metaphern aus dem Bereich der Architektur. Nicht unwichtig ist dabei die Erinnerung, die uns das Grimmsche Wörterbuch bereitstellt: „Überbau“ bedeutet nämlich nicht nur derjenige Bau, der auf einem Fundament erreichtet wird. Er kann laut Grimm vielmehr auch das unzulässige Bauen über eine Grenze hinaus und damit so etwas wie „Raubbau“ bezeichnen. Marx verwendet die Metapher des Überbaus in beiderlei Sinn. Überbau bezeichnet bei ihm nicht nur das auf einer Basis errichtete Gebäude, sondern markiert zugleich dessen illegitimen Status. Die Überbau-Metapher besagt somit bei Marx den Inbegriff aller gesellschaftlichen und politischen Institutionen in ihrer illegitimen Funktion der Unterdrückung der Arbeitenden. Wir stoßen somit zum dritten Mal auf eine Metapher mitten in einem begrifflich-argumentativen Zusammenhang der Erklärung von Universalgeschichte. Wiederum zeigt uns die Philosophie durch ihre diskursive Praxis, dass sie die Metapher nicht als bloßen entbehrlichen Redeschmuck behandelt, sondern produktiv für ihre eigene Argumentation einsetzt.
Ist nicht die Universalgeschichte selbst, sondern sind die großen begrifflich konzipierten philosophischen Theorien der Universalgeschichte somit nicht doch maßgeblich von Metaphern bestimmt? Wird Borges’ Diktum nicht gerade durch das Tun dreier bedeutender Denker wie Kant, Hegel und Marx mittelbar bestätigt? An der Tatsache, dass Metaphern sich mit der universalgeschichtlichen Argumentation verbinden, führt kein Weg vorbei. Wenn die Metaphern hier entfielen, entfiele auch die Argumentation. Wenn bei Kant die Natur nicht den Zweck verfolgte, dass das Recht siegt, dann bräche ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner universalhistorischen Beweisführung weg. Wenn bei Hegel die Vernunft nicht listig wäre und die Leidenschaften der Menschen für die Erreichung überindividueller Zwecke benutzte, dann käme Hegels weltgeschichtlicher Diskurs nicht zustande. Wenn bei Marx kein räuberischer Überbau bestünde, dann gäbe es keine revolutionäre Theorie der künftigen Weltgeschichte. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Metaphernverwendung in der Philosophie stets unumgänglich erfolgt. Es reicht zu konstatieren, dass sie faktisch von der Philosophie eingesetzt wird. Zu korrigieren ist daher zunächst das Selbstverständnis der Philosophie, das den Einsatz von Bildern zur Beweisführung ausschließt und dabei einer Selbsttäuschung erliegt.
Trotzdem lohnt es sich weiter zu fragen: Sind Bilder für die Philosophie entbehrlich oder unentbehrlich? Die Bildgegner werden sich nämlich noch nicht mit der aufgezeigten faktischen Metaphernbenutzung bei Kant, Hegel, Marx und anderen zufrieden geben. Sie könnten einwenden, dass diese Denker eben irrten, wenn sie sich so eng mit Metaphern eingelassen haben. Es gibt offenbar noch einen starken Grund, der für eine Eliminierung von Bildern aus der Philosophie spricht. Er lautet: Wenn es darum geht, etwas als es selbst zu bezeichnen, so stören Bilder dabei nur. Man wolle ja nicht wissen, wie etwas ungefähr, sondern wie es genau beschaffen ist. Wenn wir zum Beispiel wissen wollen, was Wissenschaft ist, dann wollen wir erfahren, was sie als solche bedeutet und nicht hören, dass Wissenschaft gleichsam ein Spiel oder eine Kunst ist. Wenn wir wissen wollen, was Wahrheit bedeutet, dann wollen wir herausfinden, was sie als solche bedeutet und nicht hören, dass sie gleichsam ein Licht ist. Wenn wir wissen wollen, was der Mensch ist, dann wollen wir bestimmen, was er als Mensch bedeutet und nicht hören, dass er ein denkendes Schilfrohr ist, als welchen ihn Blaise Pascal im 17. Jahrhundert bezeichnet hat.
Die Bilderfreunde unter den Philosophierenden – wenn wir unterstellen, dass es sie gibt oder zumindest geben kann - stehen diesen Argumenten gegenüber nicht mit leeren Händen da. Sie können nämlich zurückfragen: Und was ist der Mensch als Mensch? Darauf gibt es bis heute sehr viele Angaben, jedoch keine eindeutige Antwort und es ist nicht entschieden, welche der zahllosen Antworten denn eher das Wesen des Menschen trifft als andere. Zu den Definitionen des Menschen gehören auch metaphorische Angaben wie das bereits angeführte denkendes Schilfrohr, aber auch zum Beispiel Kloake von Unwissenheit, Bestie, Traum eines Schattens. Zu den klassischen, von Aristoteles gelieferten Definitionen des Menschen gehören zwei Angaben: Der Mensch sei ein vernünftiges Lebewesen und er sei ein politisches Lebewesen. Die Bilderfreunde unter den Philosophierenden zweifeln, dass es sich bei diesen Angaben tatsächlich um völlig unmetaphorische Definitionen handelt. Wenn die Metapher nicht, wie Aristoteles wollte, eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen zwei Vorstellungen darstellt, sondern wenn die Metapher zweierlei völlig Verschiedenes, was eigentlich gar nicht miteinander verbindbar ist, zusammenfügt, dann ist auch vernünftiges Lebewesen eine Metapher. Denn wir finden im Begriff eines Lebewesens Zellen, Selbststeuerung, Stoffwechsel, Anpassung an Umwelt und vieles mehr, aber nirgendwo das Attribut vernünftig. Dasselbe gilt für die Angabe politisches Lebewesen. Was auch immer wir als Prädikate eines Lebewesens aufzählen mögen, das Prädikat politisch können wir ihm nicht wirklich, sondern nur im übertragenden Sinn zuschreiben.
Damit wird die Frage nach der Entbehrlichkeit oder Unentbehrlichkeit der Bilder für das philosophische Denken zu einem Konfliktfall, der in der bisherigen Philosophie nicht vorkam und nicht vorkommen durfte, da man sich auf die Suche von etwas als etwas fixiert hatte und Bilder nur als zu eliminierenden Störfaktor wahrnehmen wollte. Der Konfliktfall besagt: Es ist nicht erkennbar, dass eine Seite mehr Recht hat als die andere. Das Erfassen von etwas als etwas ohne fremde Beimischungen ist legitim. Die entgegengesetzte Einsicht, dass sich das Erfassen von etwas mit anderem bildlich verbinden kann und verbinden darf, ist ebenfalls legitim.
Die Philosophie ist damit vor die Aufgabe gestellt, einen Konflikt, der sich in ihr selbst abspielt, zu entscheiden. Wie wir sehen konnten, ist dieser Konflikt so alt wie die Philosophie selbst, doch er wurde nicht als Konflikt zugestanden. Man verwendete massenhaft Bilder im philosophischen Diskurs, aber man gab darüber keine Rechenschaft und tat so, als gehe es im philosophischen Denken ausschließlich um ein begriffliches, von allen Metaphern und Gleichnissen gereinigtes Denken.
Wie ist dieser Konflikt nun zu lösen? Wenn beide Ansichten, das reine und das bildliche Erfassen von etwas, legitim sind, wenn der Bildgebrauch aus der Philosophie nicht weggedacht werden kann, ohne dass größere Stücke aus ihr wegbrechen, dann liegt es nahe zu sagen: Es geht nicht um ein Entweder Begriffe oder Bilder, sondern um ein Sowohl Begriffe als auch Bilder. Die Schriftzeichen der Philosophie sind, bildlich gesprochen, ähnlich wie die altägyptische Schrift: eine Mischung aus begrifflicher Buchstaben- und übertragender Bildschrift. Die Philosophie verfügt damit offenbar über zwei verschiedene Register, die es erlauben, Verschiedenes miteinander zu verbinden. Das begriffliche Register ist das Folgern, das nicht-begriffliche die Verbindung von Verschiedenem als Metapher oder Gleichnis. Dass es sich so verhält, stellt eine vielleicht neue Einsicht in alte, längst bestehende Sachverhalte dar. Diese neue Einsicht bedarf jedoch weiterer Arbeit. Die bisherige Philosophie müsste daher vermutlich grundsätzlich erweitert werden um etwas, was sich als kritische Ikonologie bezeichnen lässt, das heißt als eine Wissenschaft der Aufklärung über den Bildgebrauch.
Fassen wir angesichts der beanspruchten Neuheit unsere Überlegungen noch einmal zusammen. Wir konnten feststellen, dass die europäische Philosophie seit ihren Anfängen von Bildern, von Metaphern und Gleichnissen durchsetzt ist und dass innerhalb der Philosophie darauf nicht grundsätzlich geachtet wurde. Seit Aristoteles nämlich galt die unausdrückliche Regel, wonach Bilder ihren legitimen Gebrauch nicht in der Philosophie, sondern in der Poesie entfalten.
Nun hat der bekannte argentinische Lyriker, Erzähler und Essayist Jorge Luis Borges die Vermutung formuliert, die Universalgeschichte sei nichts als die verschiedene Akzentuierung einiger Metaphern. Wenn wir dies so verstehen, dass wir uns über die Universalgeschichte mit Hilfe von Metaphern verständigen, dann könnte dies für die Philosophie wie eine Bedrohung wirken. Eine Bedrohung, in der verbindliche Begriffe durch unverbindliche Bilder ersetzt würden. Eine Musterung der drei philosophisch anspruchsvollen Universalgeschichtskonzepte von Kant, Hegel und Marx ergab jedoch etwas Unerwartetes: Alle drei arbeiten an zentraler Stelle mit Metaphern, sei es eine rechtliche Ordnung wollende Natur bei Kant, eine listige, die Menschen für Zwecke heimlich nutzende Vernunft bei Hegel oder schließlich ein illegitimer Überbau bei Marx.
Angesichts dieses Faktums einer philosophischen Metaphernnutzung stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Bilder in die Philosophie gehören oder nicht. Hier entsteht der Konflikt eines Gegensatzes zwischen Bildgegnern und Bildbefürwortern. Die Bildgegner berufen sich auf die Erfassung von etwas als etwas ohne fremde Beimischungen als primäre Aufgabe der Philosophie. Die Bildbefürworter geben zu bedenken, dass diese Reinheit nicht zu bestehen braucht, denn bereits die klassischen Definitionen des Menschen als vernünftigen oder politischen Lebewesens können als Metaphern gelesen werden. Dabei muss allerdings die alte aristotelische Sicht verabschiedet werden, welche Bilder als Bezug der Ähnlichkeit von Verschiedenem verstand. Metaphern und Gleichnisse verbinden vielmehr völlig Verschiedenes, das keine Ähnlichkeit aufweist, miteinander. Erst in dieser Eigenschaft werden sie interessant für die Philosophie. So war beispielsweise jene idéa, die Platon zur Bezeichnung der wahren Sache benutzte, in der Bedeutung von „Anblick“ eine Übertragung von etwas Sichtbarem auf etwas, das überhaupt nicht gesehen werden kann. Die Idee sollte das Unsichtbare sein, das mit einem Wort für Sichtbarkeit bezeichnet wurde.
Der innerphilosophische Konflikt zwischen Bildgegnern und Bildfreunden sollte nicht einseitig auf Kosten der Begriffe oder der Bilder entschieden werden. Eine Koexistenz beider erscheint angemessener. Für diese und die anderen Entscheidungen scheint es an der Zeit die Philosophie zu erweitern um eine Wissenschaft der Aufklärung über den Bildgebrauch, das heißt um eine kritische Ikonologie der Philosophie.
Eine so verstandene kritische Ikonologie der Philosophie hätte zunächst ein bestimmtes Ziel: Sie müsste die gesamte bisherige Philosophie in einem anderen Sinn lesen als sie sich selbst hat lesen wollen. Während traditionell nur das als philosophische Aussage galt, was Begriffe und Begriffsverknüpfungen enthielt, so kommen nunmehr auch die bildlichen Mitteilungen hinzu. Doch dabei kann es sich nicht nur um eine bloße additive Hinzufügung handeln. Worum aber dann? Wählen wir ein Bild. So könnten wir sagen, dass bei der bisherigen Lesart der Philosophie Teile der Texte geschwärzt wurden. Diese Schwärzungen galten den Bildern und dienten der Herstellung eines begrifflich eindeutigen Textes. Nehmen wir die Schwärzungen fort, so können wir nicht ausschließen, dass sich in diesem Augenblick der gesamte Textsinn verändert. Der Text muss nunmehr neu entziffert werden. Wenn es sich so verhält, so stehen wir vielleicht tatsächlich vor einer Veränderung des Selbstbildes der Philosophie, deren Folgen in ihren Risiken und in ihren Chancen noch gar nicht absehbar