Ralf Caspary im Gespräch mit: Professor Julia Fischer: Mehr Affe als Mensch? Über die soziale Intelligenz der Primaten

Fischer-PrimatenIntelligenz

SWR2 Wissen Aula - 
(Abschrift eines Interviews)
Mehr Affe als Mensch?
Über die soziale Intelligenz der Primaten
Ralf Caspary im Gespräch mit: Professor Julia Fischer *
Redaktion: Die Fragen stellte Ralf Caspary . Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 30. Dezember 2012, 8.30 Uhr, SWR 2

Protagonistin
* Julia Fischer studierte Biologie an der Freien Universität Berlin und habilitierte sich an der Universität Leipzig. Heute arbeitet sie am Deutschen Primatenzentrum der Universität Göttingen. Ihre Forschungen an Primaten führten sie u. a. nach Botswana und in den Senegal.
Buch von Julia Fischer:
Affengesellschaft. Suhrkamp Verlag. 2012.
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ÜBERBLICK
Die moderne Verhaltensforschung hat in den letzten Jahren neue Erkenntnisse darüber gesammelt, was man genau in Bezug auf Kognition, Kooperation und Kommunikation über unsere nächsten Verwandten aussagen kann. Dabei zeigt sich, dass viele Affenarten ein komplexes Sozialverhalten zeigen und auch über eine ebenso komplexe kognitive Intelligenz verfügen, wobei sich beide Kompetenzen immer noch maßgeblich vom Menschen unterscheiden. Dr. Julia Fischer, Primatologin am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen, sagt, wie viel Affe im Menschen steckt, und umgekehrt.


INHALT______________________________

Ansage:
Mit dem Thema: „Mehr Affe als Mensch? – Über die Intelligenz der Primaten“.
Es ist eine faszinierende Frage, wie hoch ist der IQ unserer nächsten Verwandten, wie nah sind sie uns in dieser Hinsicht? Klar, wenn man Filme über Menschenaffengruppe sieht, staunt man über deren komplexes soziales Verhalten, und wenn so ein Silberrücken in die Kamera schaut, meint man, viel Menschliches entdecken zu können.
Doch stimmt das wirklich? Oder anders gefragt: Wie komplex sind denn nur bestimmte Affenarten in sozialer oder mentaler Hinsicht? Die Frage beantwortet Dr. Julia Fischer, Wissenschaftlerin am Deutschen Primatenzentrum Göttingen.
Interview:
Frage:
Guten Morgen, Frau Fischer. Sie beobachten und erforschen Berberaffen, Bärenpaviane, Guinea-Paviane. Was fasziniert Sie so an diesen Tieren?
Fischer:
Ganz unterschiedliche Dinge. An allen Tieren gemeinsam fasziniert mich ihr Sozialleben, die Komplexität der Gesellschaften, in denen sie leben, und dann aber auch die Unterschiedlichkeit. Wenn wir nur die beiden Pavian-Arten betrachten: Sie stehen eng zusammen in einer Gattung, haben aber völlig unterschiedliche Sozialsysteme. Die einen sind sehr hierarchisch, die anderen sehr egalitär, tolerant, sie haben unterschiedliche Ausprägungen der Männchen-, Weibchen-Beziehungen. So gibt es ganz viele Aspekte. Mich interessiert die Diversität dieser Sozialsysteme anzugucken und zu versuchen, sie zu erklären.
Frage:
Wir stammen vom Affen ab und sind genetisch ziemlich nahe beieinander, wir reden ja auch vom „Affen im Menschen“ oder vom „Menschen im Affen“. Wie groß ist bei der Primatologie, bei der Verhaltensforschung die Gefahr, dass man Menschliches ins Tier hinein projiziert?
Fischer:
Die ist sehr groß. Es ist unbestritten, dass es eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit gibt. Affen haben Hände, sie haben Füße, sie haben sehr ausdrucksvolle Gesichter. Gerade bei den Berberaffen ist das ganz fantastisch, wie viele Mundbewegungen sie machen können, sie haben eine extrem bewegliche Oberlippe. Das ist natürlich entzückend. Aber ich denke, es muss unser Anspruch als AffenforscherInnen sein, einen Schritt zurück zu gehen und zu versuchen, die Affen an und für sich zu verstehen und nicht nur in Bezug auf ihre Ähnlichkeit zu uns oder unsere Ähnlichkeit zu ihnen.
Frage:
Aber wie macht man das – dieses an und für sich Verstehen, das ist doch schwierig?
Fischer:
Ja, aber es gibt eine „methodische Strenge“, man kann sich selbst ein bisschen disziplinieren in der Interpretation, so dass man versucht, theoriegetrieben zu arbeiten. Für uns ist Evolutionstheorie das wichtige Rahmenwerk, das wir haben, mit dem wir Hypothesen generieren und dann versuchen, den Affen auch in seiner Ökologie zum Beispiel zu verstehen, also wo lebt er, was für Fressfeinde hat er, welche Nahrung hat er usw. Also es geht gewissermaßen darum, mehr aus der Perspektive des Affen versuchen, es zu verstehen. Natürlich haben wir immer eine menschliche Brille auf, aber das hat ja jeder Forscher.
Frage:
Ich kann mich entsinnen an alte Fernsehserien mit Bernhard Grzimek, er brachte Tiere mit ins Fernsehstudio, manchmal einen Affen, und er vermenschlichte den. Der Affe hatte einen Namen, er wurde auch von Grzimek angesprochen. Und es wurde gesagt, gucken Sie mal, dieses possierliche Tierchen hier. So gehen Sie nicht vor?
Fischer:
Nein, das machen wir natürlich nicht, obwohl unsere Tiere auch Namen haben. Wir haben zwei Ebenen: Die eine Ebene ist gewissermaßen die methodisch strenge mit dem Versuch, sich die Affen diszipliniert anzugucken oder auch disziplinär anzugucken. Und dann redet man als Forscher ja trotzdem nochmal darüber, nachmittags oder abends, wenn man zusammen im Camp sitzt und sagt, hast du den und den gesehen, wie der sich heute aufgeführt hat, das ist grässlich und so. Also natürlich hat man eine zweite Ebene, das ist ganz klar.
Frage:
Die Affen, die Sie beobachten, haben alle Namen bekommen von Ihnen?
Fischer:
Ja. Verschiedene Forschercamps haben ihre Traditionen, wie sie die Tiere nennen. Ein Kollege von mir hat Krankheiten als Namen genommen. Das haben wir nicht gemacht.
Frage:
Wie heißen Ihre Affen?
Fischer:
Unsere Affen heißen leider so wie wir. Die Studierenden hatten Vortritt, die Doktoranden, die das Projekt inzwischen hauptsächlich führen und die Kernarbeit vor Ort machen. Deshalb habe ich gesagt, sie dürfen sich das aussuchen, und sie kamen darauf, dass die Affen wie wir heißen und die senegalesischen Mitarbeiter und Freunde heißen. Das führt manchmal zu Verwirrung, wenn einer sagt, also Kurt war heute wieder schlimm, dann weiß man nicht, wer gemeint ist, der Affe oder der Mensch.
Frage:
Es gibt aus meiner Sicht zwei große Forschungsräume: das Labor und das Freiland. Welcher Raum bietet denn bessere, authentischere Ergebnisse? Kann man das sagen?
Im Freiland ist man natürlich näher an den Problemen dran, die die Affen tatsächlich haben. Die müssen etwas zu essen finden, sie müssen aufpassen, dass sie selbst nicht zum Futter für ein anderes Tier werden, sie müssen sich in ihrer Umgebung zurechtfinden. Da untersuchen wir mehr die ökologischen und sozialen Probleme, die sie haben. Aber es gibt auch andere Aspekte des Verhaltens von Affen, an die wir im Freiland schlecht rankommen. Da hat die Laborforschung Vorrang. Wenn ich Experimente machen kann, Intelligenztests, die ausloten, was sind denn eigentlich die Extreme der Intelligenz oder auch des kommunikativen Verhaltens, da kommt man weiter, wenn man im Labor arbeitet.
Frage:
Wenn man Primaten beobachtet wie Sie, muss man versuchen, unsichtbar zu werden? Die Präsenz des Menschen verfälscht doch wahrscheinlich Verhaltensweisen der Tiere.
Fischer:
Das ist sicher richtig. Wir wissen nicht, wie sich unbeobachtete Affen verhalten. Natürlich verfälscht man das Verhalten. Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung mit Berberaffen, die in einem Gehege in Südwestfrankreich leben: Da gab es ein Weibchen, die hat immer neben mir gesessen. Und ich habe mir überlegt, warum sie immer neben mir war. Mir wurde klar, sie wurde dann nicht angegriffen, weil die Affen keinen Ärger in meiner Nähe machen wollten. Wenn ich so untersuchen würde, wie oft sie angegriffen wird, würde ich ein ganz anderes Ergebnis erhalten, als wenn ich nicht da wäre. Im Freiland kann einem so etwas auch passieren, dass man durch seine Präsenz die soziale Dynamik leicht verändert. Aber wir versuchen, das zu minimieren, indem wir mit den Tieren wirklich nicht interagieren im Sinne einer Begrüßung, wir versuchen immer, einen guten Abstand von fünf bis acht Metern zu halten.
Frage:
Sie erforschen die sozialen, kognitiven, emotionalen Kompetenzen der Affen. Beginnen wir mal bei den sozialen, also beim Gruppenverhalten der Affen. Kann man bei diesen drei Arten von Affen sagen, die Sie untersuchen, wie eine Gruppe von Berberaffen zum Beispiel strukturiert ist?
Fischer:
Berberaffen sind ein interessantes Beispiel für eine ganz klassische Gesellschaft. Die Weibchen bleiben in der Geburtsgruppe und formen damit auch den Kern der Gruppe. Das sind die Matriclans, das sind die Mütter, Tanten, Kusinen, Schwestern. Sie hänge alle zusammen und sind die wichtigsten Bezugspartner. Die Männchen verlassen die Geburtsgruppe, wenn sie halbwüchsig sind. Berberaffen sind nicht nur um die Verwandtschaft herum strukturiert, sondern sie haben auch sehr starke verlässliche Freundschaften. Es kann sein, dass der wichtigste Partner für ein bestimmtes Weibchen nicht eine Verwandte ist, sondern ein Affe aus einem anderen Clan. Sie unterstützen sich, helfen sich bei Streitigkeiten. Hier sieht man, dass nicht nur die Gene ausschlaggebend sind, sondern die Wichtigkeit einer starken Bindung an und für sich für sie einen Wert darstellt. Das ist sehr interessant. Es gibt
Affenarten, die sehr viel nepotistischer sind. Da geht es ausschließlich darum, wer mit wem verwandt ist, sonst gibt es keine starken Beziehungen.
Frage:
Wie werden solche Freundschaften geschmiedet?
Fischer:
Vor allem, indem man sich laust – wir nennen das „grooming“ in der Fachsprache –, also dass die Tiere da sitzen und sich gegenseitig das Fell pflegen, das Unterstützen ist wichtig, Oder wichtig ist auch Toleranz bei der Futteraufnahme, also dass man nahe beieinander sitzt und die Nähe des anderen duldet, obwohl es gerade etwas Leckeres gibt, was man am liebsten für sich selbst hätte. Das sind alles Zeichen für Wohlwollen. Am Ende kommt es vor allem darauf an, hilft man dem anderen, wenn er verprügelt wird.
Frage:
Sie haben angedeutet, dass bei Bären- und Guinea-Pavianen diese Struktur anders ist. Kann man denn sagen, jede Affenart hat eine bestimmte Kultur in Bezug auf Gruppenbildung?
Fischer:
Das würde ich nicht sagen, sondern: verschiedene Affenarten haben verschiedenes artspezifisches Verhalten. Ob das eine Kultur, also eine Art sozialer Tradition ist, dass die eine Gruppe aggressiver miteinander umgeht als die andere, da muss man innerhalb einer Art genau gucken. Das ist auch gemacht worden. Es gibt einen Fall, bei dem das ganz gute nachgewiesen wurde. Da wurden aus einer Gruppe von Anubis-Pavianen die Männchen herausgeworfen, weil die sich ständig irgendeiner Lodge in Afrika angenähert und Essen geklaut haben. Daraufhin wurde das eine ganz friedliche Gruppe, also nachdem sie die Männchen verloren hatten. Die Forscher, die das beobachtet haben, sagten, wenn neue Männchen in die Gruppe kamen, wurden sie so sozialisiert, dass sie auch nicht aggressiv waren. Für ein paar Jahre hatte diese Gruppe einen ganz anderen sozialen Stil als andere Gruppen.
Frage:
Gibt es denn in den Primatengruppen Intrigen gegen missliebige Kollegen?
Fischer:
Wir haben eigentlich keine Evidenz dafür, dass es wirklich so etwas gibt wie Intrigen im Sinne, dass einer Pläne schmiedet.
Frage:
Mobbing zum Beispiel?
Fischer:
Das gibt es. Aber das kann auch aus einer Situation heraus entstehen, also dass einer einen anderen angreift. Bei Bärenpavianen ist das so, dass sie sich gerne dazu gesellen, wenn einer schon am Boden liegt und sich auch noch beteiligen und den mit verprügeln. Dass eine Gruppe oder drei oder vier Tiere gegen ein Tier vorgehen, das kann es schon geben. Aber richtig schlimm ist es, zum Beispiel auch bei den Berberaffen, wenn es zwischen den Gruppen zu Aggressionen kommt. Sie sind nach
innen eigentlich relativ friedlich, sie streiten nicht so richtig, sondern kabbeln sich eher oft, aber versöhnen sich auch gleich wieder. Aber wenn Berberaffen ein Tier aus einer anderen Gruppe in die Fänge kriegen, dann Gnade dem Gott. Das ist wirklich sehr bösartig und kann bis zum Tod gehen.
Frage:
Welchen evolutionären Sinn haben solche komplexen Gruppen?
Fischer:
Ich bin keine Verfechterin der Gruppenselektion im Sinne von: die Tiere verhalten sich zum Wohl der Gruppe und die Gruppe muss überleben. Aber natürlich hat ein einzelnes Tier etwas davon, wenn es in einer gut funktionierenden Gruppe lebt, also einer Gruppe, die sich zu verteidigen weiß, die sich gegen andere durchzusetzen weiß. Insofern sind Verhaltensweisen bei Einzelnen evolutiv herausgebildet worden, die dieser Gruppe oder dem Gruppenverhalten dienen. Und warum es spezifische Artunterschiede gibt, ist schwer zu ergründen, weil man einen Teil der Ursachen in der Vergangenheit sucht oder finden müsste. Und das ist ja nicht immer so einfach festzumachen, wie waren die ökologischen Bedingungen vor X-Hunderttausend Jahren, um daraus etwas abzuleiten, warum die einen Affenarten egalitärer und die anderen despotischer geworden sind.
Frage:
Es gibt Primatologen, Volker Sommer gehört dazu, die sagen, weil Affen in komplexen Sozialgefügen leben, sind sie so intelligent. Je größer die Gruppe, desto größer auch das Gehirn. Da gäbe es eine eindeutige Korrelation. Stimmt das?
Fischer:
Organ Utans sind wahnsinnig intelligent, und es gibt kein einsameres Tier als den erwachsenen Orang Utan-Mann, der fast die ganze Zeit alleine da sitzt. Man kann aber auch sagen, der lebt eben nicht in einer großen Gruppe, aber vielleicht lebte er früher in einer großen Gruppe, und dann wird es sehr schwierig, die eine oder andere Erklärung dingfest zu machen oder auszuschließen. Um die Evolution vom großen Gehirn zu erklären wird im Moment meist angenommen: wenn man in einer großen Gruppe lebt, dann muss man zum Beispiel versuchen vorherzusehen, was die anderen Gruppenmitglieder vorhaben oder wer mit wem eine Koalition bildet, wer starke Beziehungen zueinander hat. Dazu braucht man Intelligenz. Sicher ist es richtig, dass Affen extrem genau wissen, wer in der Gruppe mit wem zusammen hängt, wer miteinander befreundet ist, wer wen unterstützt, so dass sie sich eigentlich den ganzen Tag gegenseitig beobachten.
Frage:
Wie machen sie das?
Fischer:
Sie passen auf. Ihr primäres Interesse ist natürlich, etwas zu essen zu bekommen, sich nicht zu verlaufen usw. Abgesehen davon verfolgen sie aber schon sehr genau das Vorgehen in der Gruppe, ob zum Beispiel jemand Streit gehabt hat, ob die sich danach versöhnt haben, welches Männchen mit welchem Weibchen gerade eine enge Paarbeziehung hat. Bei den Bärenpavianen gibt es das zum Beispiel. Sie registrieren ganz genau, welches Männchen hinter welchem Weibchen her ist oder ob es einen Wechsel gegeben hat. Für sie ist es interessant zu beobachten, was bei den anderen gerade los ist, um daraus Schlüsse zu ziehen in Richtung: Was hat das für Folgen für mich? Wenn jemand zum Beispiel gerade versucht, die Ranghierarchie zu durchbrechen und sich gegen andere durchzusetzen, wenn der dann in meine Nähe kommt, könnte das auch für mich gefährlich werden. Ich denke schon, dass das Sachen sind, die die Affen beschäftigen – wenn auch sicher nicht so explizit, wie ich das formuliert habe.
Frage:
Das ist doch ein bisschen wie bei uns, wir beschäftigen uns ja auch 90 Prozent des Tages damit, was die anderen machen.
Fischer:
Das ist richtig. Und da sehe ich auch die größten Ähnlichkeiten: das Beobachten des Sozialverhaltens von anderen, Schlüsse ziehen, Vorhersagen machen, wer wird gegen mich vorgehen, wer wird mir helfen, wer wird mir das Fell kraulen, mit wem schlafe ich heute Nacht zusammen in einem Baum, das sind alles Sachen, die die Affen zumindest emotional irgendwie beschäftigen.
Frage:
Was heißt es, zusammen in einem Baum zu schlafen. Können das auch gleichgeschlechtliche Partner sein?
Fischer:
Eher selten. Es kommt vor, dass ein Männchen mal mit einem Jungtier zusammen schläft oder einem Zwei- bis Dreijährigen, wenn das von der Mutter verstoßen wurde. Da gibt es aber artspezifische Unterschiede. Bei den Berberaffen hat das eine Kollegin von mir genau untersucht und gesehen, dass auch befreundete Weibchen zusammen schlafen, vielleicht noch mit ein, zwei Kindern. Das hängt manchmal auch einfach von der Architektur des Baumes ab, was möglich ist und was nicht. Aber so ganz gerne alleine schlafen eigentlich nur die adulten Männchen. Die kleinen Kinder schlafen äußerst ungern allein, am liebsten natürlich bei der Mutter.
Frage:
Wenn das Soziale so wichtig ist, könnten Sie bestätigen, dass es so etwas gibt wie Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen?
Fischer:
Es gibt zwei Annahmen, wie man Empathie erklären kann. Die eine ist eher kopfgesteuert, also ich sehe jemanden in einer bestimmten Situation, dann überlege ich, was würde das für mich bedeuten. Die andere ist so eine Art emotionaler Spiegelung, also dass ich zum Beispiel sehe, ein anderer macht ein gestresstes Gesicht und das löst bei mir die gleichen Repräsentationen im Gehirn aus, als wenn ich ein gestresstes Gesicht hätte. Und das führt dazu, dass ich mich auch gestresst fühle. Und ich glaube, dass diese Form der Empathie sicherlich auch bei Affen zu finden ist, also über die Wahrnehmung des emotionalen Zustandes eines anderen gewissermaßen angesteckt zu werden und das dann selber auch mitzufühlen. Das würde ich den Affen auf alle Fälle zuschreiben.
Frage:
Das erfordert eine individuelle Mimik. Sie haben vorhin angedeutet, Affen haben individuelle, individualistische Gesichter.
Fischer:
Ja, sie erkennen sich nicht nur an den Gesichtern individuell. Drei Studentinnen haben mal gefragt, ob sich Affen auf Fotos erkennen. Sie haben das experimentell überprüft und herausgefunden, dass sich Affen Fotos von weniger bekannten Gruppenmitgliedern sehr viel länger angeguckt haben als von bekannten. Aber mal abgesehen davon: Sie erkennen sich auch am linken Fuß. Wenn man mit ihnen im Freiland unterwegs ist, im Senegal oder in Botswana, dann erkennen sie sich am Gang über 200 Meter Distanz. Das ist für sie überhaupt das Wichtigste, zu sehen, wer gehört zu mir, wen kenne ich. Also die erkennen sich nicht nur an den Gesichtern.
Frage:
Empathie heißt für mich auch, die Handlungen des anderen vorherzusehen, zum Beispiel wahrzunehmen, der andere ist jetzt gestresst und wird gleich wegrennen. Gibt es so etwas?
Fischer:
Ja, wobei da gibt es so etwas wie ein erkenntnistheoretisches Problem mit der Intention. Erkenne ich die Absicht des anderen als solche? Oder habe ich einfach gelernt, wenn der so aussieht, wenn er so ein gestresstes Gesicht macht, dann wird er als nächstes wahrscheinlich gleich das und das machen. Dazu benötigen wir keine Intention, keine Zuschreibung einer mentalen Kategorie.
Frage:
Wenn das Sozialverhalten so komplex ist, wie Sie das geschildert haben, wie sieht es mit dem Kommunikationsverhalten aus? Ist das ähnlich komplex?
Fischer:
Das ist ein bisschen paradox, zum Teil sicherlich etwas enttäuschend für einige, denn das kommunikative Verhalten ist gar nicht so komplex, wie man das vielleicht vermuten würde, wenn man sich die Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit der Affen-Gesellschaften anguckt. Zumindest was die Gesichtsausdrücke angeht, was die Lautmuster angeht, finden wir, dass Affen mit einer recht übersichtlichen Zahl angeborener Muster auskommen: Bellen, grunzen, schreien, es gibt also eine relativ übersichtliche Anzahl von Lauten, die allerdings sehr fein variieren können in Abhängigkeit von der Kampfkraft oder vom Zyklus des Weibchens. Aber im Prinzip ist dieses Programm genetisch relativ stark eingeschränkt und in keiner Weise mit dem zu vergleichen, was unsere Sprache ausmacht, sei das jetzt eine gesprochene Sprache oder eine Gebärdensprache.
Frage:
Das ist vielleicht auch ökonomisch?
Fischer:
Das ist es sicherlich und es reicht ja offensichtlich auch. Man wundert sich, doch diese Tiere scheinen kein großes Mitteilungsbedürfnis zu haben. Ich kann mir eigentlich vorstellen, dass sie gerne lästern würden, aber sie tun es nicht.
Frage:
Ist das wichtig für Primatologen zu wissen, warum Affen nicht sprechen?
Fischer:
Natürlich, das ist eine wichtige Frage. Gerade wenn man sich mit der Evolution der Sprache beschäftigt. Die Forschung hat 30 Jahre investiert, um nachzugucken, was sind die Ähnlichkeiten, was teilen Affen und Menschen und worauf könnte die menschliche Sprache gewissermaßen aufgesetzt haben, was ist das Substrat, das schon bei den Affen da ist. Man ist inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass das wirklich sehr weit entfernt ist von dem, was wir Menschen an Kommmunikationsmöglichkeiten haben. Weder haben Affen irgendwelche Wörter noch haben sie eine Grammatik, die produktiv ist, die es ihnen erlaubt, die paar Rufe, die sie haben, neu zusammen zu setzen und daraus irgendwie neue Bedeutung zu generieren. Die ganze Intelligenz liegt eigentlich im Zuhörer oder Zuschauer. Der Affe, der einem anderen zuschaut oder zuhört, ist intelligent genug zu sagen, okay, wenn der Affe X diesen Ruf macht in dieser Situation, dann bedeutet es wahrscheinlich als nächstes das und das. Diese Intelligenz auf Seiten des Zuhörers erlaubt, dass das ganze System so gut funktioniert.
Frage:
Das heißt, Sie würden Affen eher als Beobachter, weniger als Konstrukteure bezeichnen?
Fischer:
Ja, auf alle Fälle, das trifft es sehr genau. Die vokale Kommunikation ist nicht besonders ausgestaltet und erst Recht nicht referentiell, es gibt keinen Bezug zur Außenwelt von Seiten dessen, der die Laute macht. Sicherlich sind die Körperhaltungen, Gesten, Gebärden, die vor allem Schimpansen machen oder auch Gorillas, etwas variabler und differenzierter als ihre Lautgebung. Aber auch da fehlen einfach wichtige Kriterien, die die menschliche Sprache aufweist. Man findet nicht, dass sich Gesten wirklich systematisch auf die Außenwelt beziehen, also in dem Sinne, dass Affen einander signalisieren können, da hinten sitzt unser Silberrücken und der hat heute besonders schlechte Laune oder da drüben wachsen besonders frische grüne Sprösslinge. Insofern würde ich sagen, es ist nicht nur eine mechanische Beschränkung, die Affen bei der Lautgebung haben, sondern da fehlt auch etwas im Kopf, nämlich dieses Mitteilungsbedürfnis.
Frage:
Kann man daraus schlussfolgern, dass es in der Evolution einen Sprung gab hin zu uns, zur menschlichen Sprache?
Frage:
Bleiben wir ganz kurz bei den kognitiven Kompetenzen: Haben verschiedene Affenarten Problemlösekompetenz?
Fischer:
Ja, das haben sie sicher, zum Beispiel ist bekannt, dass Orang Utans manuell sehr geschickt sind und mit bestimmten „technischen“ Problemen ganz gut fertig werden, zum Beispiel können sie ein Stöckchen in eine nur knapp geöffnete Frucht einführen. Oder bei Schimpansen sieht man, wenn es um Futterextraktion geht, dass sie sehr technisch begabt sind und daher auch die kausalen Zusammenhänge verstehen. Es gibt eine Schimpansengruppe, die hat so etwas wie Spaten, mit denen sie Sachen ausgraben. Das ist schon sehr beeindruckend. Wenn wir uns den Altweltaffen zuwenden, fällt uns auf, dass sie mit konkreten Problemen ganz gut fertig werden, aber wenn es um abstrakte Zusammenhänge geht, dann scheitern sie grandios. Es ist manchmal wirklich erstaunlich, welche Schlüsse sie nicht ziehen können, wo wir als erwachsene Menschen zumindest sagen würden, das ist doch so offensichtlich, worum es hier geht.
Frage:
Können Sie uns ein Beispiel erzählen?
Fischer:
Mit Christian Schlögel zusammen haben wir folgendes Experiment gemacht – das war ein Laborversuch: Ein Affe sitzt an einem Tisch und hat vor sich einen umgedrehten, undurchsichtigen Becher und ein flaches Brett. Er hat gelernt, wenn man unter das Brett Essen legt, dann steht das Brett schräg. Es kann nun aber auch vorkommen, dass man das Essen unter den Becher legt. Dann ändert sich die Lage des Brettes nicht. Der Affe ist nicht in der Lage, daraus den richtigen Schluss zu ziehen und dann unter den Becher zu gucken, sondern der guckt dann wahllos irgendwohin. Das sind Versuche, bei denen man sich schon ein bisschen wundert, wie limitiert das bei Affen ist.
Frage:
Ich höre eine gewisse Enttäuschung aus Ihren Worten.
Fischer:
Nein, ich finde das eher spannend. Es geht um die Frage, wie kann man mit einfachen Mitteln ein recht komplexes soziales System unterhalten. Ich finde das spannend. Für mich ist das nicht enttäuschend. Ich finde es immer enttäuschend, wenn Menschen, denen ich davon erzähle, sagen, der Affe sei nicht mehr so besonders, wenn er uns nicht mehr so nahe ist. So sehe ich das überhaupt nicht. Ich finde, die Affen sind an und für sich sehr interessant, aber auch die Frage nach den Grenzen ihrer Kompetenzen ist interessant.
Frage:
Was war für Sie im Laufe Ihrer Forschungen die verblüffendste Beobachtung oder das verblüffendste Ergebnis?
Fischer:
Das war in unserer Forschungsstation im Senegal. Da saß ein kleiner Pavian ganz oben auf einer Palme und hat jämmerlich geschrien. Er kam da von alleine nicht mehr runter, weil seine Arme zu kurz sind und er nicht den Stamm umfassen konnte. Irgendwann hat sich schließlich ein erwachsenes Tier erbarmt und ist zu dem Kleinen hochgeklettert, hat ihn getröstet – und ist alleine wieder runtergeklettert. Daran erkennt man einerseits die soziale Zugewandtheit, der Große versteht ja durchaus, dass der Kleine Stress hat, aber er kann sich trotzdem nicht entschließen vom Baum runterzuholen.
Frage:
Wie wird es denn weitergehen, was sind Ihre nächsten Forschungsprojekte?
Fischer:
Das Wichtigste ist jetzt, die Forschung im Senegal weiter voranzutreiben. Wir untersuchen dort Guinea-Paviane, die sind wirklich interessant, und unser großes Privileg ist, dass wir die ersten sind, die das so richtig langfristig machen können. Es gab vorher nur eine Studie im Freiland in den 70-er Jahren. Das war auch eine ganz gute Grundlage. Aber wir sind jetzt seit fünf Jahren dabei die Forschung weiterzutreiben. Wir mussten die Paviane zuerst an uns gewöhnen. Deren Sozialsystem ist nochmal ganz anders als das der Savannen-Paviane oder der Mantel-Paviane, die man aus dem Zoo ganz gut kennt. Das sind die mit den weißen Mähnen und den roten Hintern, die niemand schön findet, wie mir immer wieder versichert wird. Guinea-Paviane sehen ganz anders aus. Sie leben in Gesellschaften mit mehreren Ebenen, mit Untergruppen, die wir Partys nennen. Die schließen sich zu größeren Gruppen zusammen, die sich wiederum zusammenschließen können. Aber innerhalb der Gruppen ist alles sehr komplex strukturiert, wir wollen das genau erforschen, wir haben noch viel zu tun.
(Die Fragen stellte Ralf Caspary.)
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