SWR2 Wissen : Die teilende Gesellschaft (4) . Die Kommerzialisierung des Teilens . Von Simone Hamm


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SWR2 Wissen : Die teilende Gesellschaft (4) . Die Kommerzialisierung des Teilens . Von Simone Hamm

Wiederholung: Samstag, 19. August 2017, 8.30 Uhr
Erst-Sendung: Samstag, 28. Mai 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Gábor Paál
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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ÜBERBLICK
Online-Teaser:
Mehr Gemeinsamkeit, weniger Ressourcen verschwenden – aus der Idee ist eine Branche geworden: Sharing Economy. Doch das Teilen der Masse macht einige wenige Unternehmen steinreich.

MANUSKRIPT
Intro: Die teilende Gesellschaft
Ansage:
Die Kommerzialisierung des Teilens
Von Simone Hamm
Sankt Martin war ein guter Mann (Lied)
Erzählerin:
St. Martin durchschlug seinen roten Umhang mit dem Schwert und gab die eine Hälfte einem frierenden Bettler. Er teilte. Er wollte nichts im Austausch zurück, ja, er soll so schnell weitergeritten sein, dass er noch nicht einmal die Dankesworte des Bettlers vernehmen konnte. Teilen – sharing – ist heute angesagt wie nie. Das Internet macht’s möglich.
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Taxifahrt
Erzählerin:
Die Uber-Fahrerin, die mich durch New York fährt, hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Heiligen Sankt Martin. Sie teilt mit mir ihr Auto. Aber am Ende der Fahrt erwartet Katherine, dass ich bezahle.
O-Ton Katherine (Uber-Fahrerin):
You really like kill your car for ten dollars an hour.
Übersetzerin:
Du machst dir das Auto kaputt für zehn Dollar Stundenlohn.
O-Ton Jeremy Rifkin:
Any one of us can be a prosumer and produce and share our own goods and services. Share our cars, share our apartments at home, share our cloths and tools, that’s already happening.
Übersetzer:
Jeder kann Prosument werden, seine eigenen Waren und Dienstleistungen anbieten. Das Auto teilen, das Apartment teilen, Kleider und Werkzeuge teilen.
Sprecherin:
Ein Prosument, das ist die Zukunft, das sind Konsument und Produzent in einer Person, jubelt Jeremy Rifkin, Soziologe, Ökonom, Berater der EU-Kommission, Berater Angela Merkels.
O-Ton Jeremy Rifkin:
We are just beginning to glimpse the bare outlines of an emerging new economical system. The collaborative commons.
Übersetzer:
Wir werfen gerade einen flüchtigen Blick auf die unverhüllten Skizzen eines aufstrebenden neuen ökonomischen Systems: Die kollaborativen Gemeingüter.
Erzählerin:
Der kapitalistische Markt bewege sich hin zu einem neuen System des Gemeinguts, der Zusammenarbeit. Die Ökonomie des Teilens werde alles grundsätzlich verändern, die Gesellschaft, die Wirtschaft, unser Denken und Handeln. Das neue Teilen, so Rifkin, verursache keine Kosten. Man gebe ja nur, was man ohnehin habe. Tauschen mache die Menschen frei. Besitz und Eigentum würden ersetzt durch Zugang zu all dem, was man wirklich brauche. Sharing Economy! Tauschen statt kaufen, leihen statt besitzen – teilen! Das ist das neue Motto vor allem in Ballungsräumen wie Berlin, Paris oder New York, wo man viele Nachbarn und wenig Platz hat. Was immer ich will, ich kann es mir mit jemandem teilen: die berühmte Bohrmaschine, die man nur extrem selten braucht. Ein zehnteiliges Service, eine Damasttischdecke, den Koch gleich dazu. Ich muss nur auf die einschlägigen Websites gehen. Jeremy Rifkin prophezeit den Siegeszug eines völlig neuen Wirtschaftssystems. Zugleich sei der langsame Niedergang des Kapitalismus
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unaufhaltsam. Bis auf Weiteres werde es deshalb beide Systeme nebeneinander geben.
O-Ton Rifkin:
Capitalism is going to be transformed, because the capitalism system is actually given birth to a baby. The baby is called the sharing economy on the collaborative commons. It’s a creation of the parents. So now capitalist companies are going to have to learn to live with this progeny, nurture it, let it breathe, let it grow and over the next 25 years we gonna have two economic systems flourishing side by side. The parent, capitalism, the progeny, that’s now matured. We’ve already seeing this. We have young people, part of their lives are in the property market, the exchange economy but we also have young people who are producing and sharing their own videos and their own blogs, now their own renewable energy, their own 3D printed products, they’re sharing their own cars with carsharing, they’re sharing their homes and apartments on airbnb. There is a dual economy already emerging with the digital generation.
Übersetzer:
Der Kapitalismus verändert sich, er hat ein Baby geboren. Das Baby heißt Sharing Economy. Jetzt müssen die kapitalistischen Firmen mit dieser Frucht leben, sie nähren, sie atmen lassen, sie wachsen lassen. In den nächsten 25 Jahren werden beide Systeme blühen. Die Eltern, also der Kapitalismus, und die Nachkommen. Das sind junge Leute, die ihre Videos und Blogs miteinander teilen, ihre erneuerbare Energie, ihre 3D-Produkte. Sie teilen ihre Autos. Sie teilen ihre Häuser und Apartments über airbnb. Es entsteht eine zweigleisige Ökonomie in der digitalen Generation.
Erzählerin:
Das Sankt-Martins-Prinzip des Teilens. Ist das die Überwindung des Kapitalismus? Oder nur eine neue, knallharte Form des Kapitalismus? Der in Seoul geborene und in Berlin lehrende Philosoph Byung-Chul Han geht hart ins Gericht mit der schönen neuen Welt des Teilens.
Zitator Byung-Chul Han:
Der Neoliberalismus formt aus dem unterdrückten Arbeiter einen freien Unternehmer, einen Unternehmer seiner selbst. Jeder ist heute ein selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmers. Jeder ist Herr und Knecht in einer Person. Auch der Klassenkampf verwandelt sich in einen inneren Kampf mit sich selbst. Wer heute scheitert, beschuldigt sich selbst und schämt sich. Man problematisiert sich selbst statt der Gesellschaft.1
Erzählerin:
Beispiel airbnb. Auch airbnb wirbt mit dem Sankt-Martins-Prinzip. Da sitzt ein netter Mensch auf dem Sofa und will seine Wohnung mit dir teilen.
Airbnb-Werbung:
Look out at the world! Isn’t it wonderful? And see all the places we call home. On airbnb.com just enter were you want to go, the dates you want to be there and
1 http://www.sueddeutsche.de/politik/neoliberales-herrschaftssystem-warum-heute-keine-revolution-moeglich-ist-1.2110256
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choose from thousands of places. Than decide between a room or having the whole airbnb home to yourself. Before you travel, you can chat with your host, so you are not meeting a stranger. And you can leave reviews for each other after your stay. Make yourself at home, wherever you go, belong anywhere with airbnb.
Übersetzerin:
Schau dir die Welt an! Ist sie nicht wundervoll? Schau dir all die Orte an, die wir Zuhause nennen. Gib einfach nur ein, wann und wohin du möchtest und du kannst unter Tausenden von Plätzen wählen. Willst du ein Zimmer oder die ganze Wohnung? Du kannst vorher mit deinem Gastgeber chatten, dann triffst du keinen Fremden. Du kannst eine Bewertung hinterlassen. Fühl dich überall zu Hause, wo immer du hinkommst – mit airbnb.
Erzählerin:
Die Welt kennenlernen, in einer Stadt wie New York wohnen, ohne 300 Dollar pro Nacht für ein Hotel zu zahlen. Und Familienanschluss gleich dazu. Eine verlockende Idee.
Großraumbüro in San Francisco
Erzählerin:
San Francisco: Headquarter von airbnb. Ein helles Großraumbüro. Dutzende von lässig gekleideten hippen, jungen Menschen vor Apple-Computern. Sie sehen alle so aus, als könnten sie für airbnb modeln. Nathan Blecharczyk, Brian Chesky und Joe Gebbia haben airbnb gründet. Vor fünfzehn Jahren waren sie mittellose Studenten. Heute, in ihren Dreißigern, sind sie mehrfache Milliardäre. Der viel beschworene amerikanische Traum. Mitbegründer Nathan Blecharczyk ist der Technologiechef des Unternehmens:
O-Ton Nathan Blecharczyk:
The idea for airbnb originated October 2007. There is three of us who started the company together. Before there was the company we were all roommates. And at that time the rent on our apartment was raised 25%. And I decided to move out. And Joe and Bryan needed money to pay rent. They had just quit their jobs.
They are both designers and they saw that an international design conference was happening in San Fransisco. And they saw that all the Hotels were sold out. So they got the idea to rent out the extra bedroom in the apartment to designers who were looking for a place to stay. And they ended up hosting three people. They made over 1000 dollars that weekend. They went to the conference with their guest showed them around town. And it was just a great win win for everybody. So after that the three of us got together a few month later and started airbnb.
Übersetzer:
Die Idee für airbnb kam uns 2007. Joe, Brian und ich teilten uns eine Wohnung. Die Miete war gerade um 25 Prozent angehoben worden, so zog ich aus. Und die anderen beiden brauchten dringend Geld. Sie sind beide Designer und in diesen Tagen gab es eine Design-Konferenz in San Francisco. Und sie sahen, dass alle Hotelzimmer ausgebucht waren. Da vermieteten sie das Extrazimmer, sie hatten drei Designer zu Gast. Sie haben 1.000 Dollar gemacht an diesem Wochenende. Sie sind gemeinsam auf die Konferenz gegangen und haben den Gästen die Stadt gezeigt.
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Das war eine absolute Win-win-Situation. Ein paar Monate später haben wir airbnb gegründet.
Erzählerin:
Airbnb bringt Mieter oder Wohnungs-Besitzer zusammen. Airbnb ist ausschließlich für die Abwicklung der Buchung verantwortlich. Eigenen Angaben nach wurden seit Gründung der Plattform in über 34.000 Städten weltweit 60 Millionen Gäste empfangen. Der rasante Aufstieg gelang mit Investoren von der Wall Street, die laut Wall Street Journal 1,5 Milliarden Dollar in das Startup steckten. Die Geldgeber sind diverse Finanzinvestoren wie General Atlantic, ein weltweit führendes Investmenthaus, oder Kleiner Perkins Caufield & Byers, eine im Silicon Valley angesiedelte Venture-Capital-Gesellschaft. Mehrere Investoren kommen aus China. Airbnb gilt mit geschätzten 25 Milliarden Dollar als wertvoller als die Marriot-Hotelkette.
New York Stadtgeräusche
O-Ton Nathan Blecharczyk:
Well, in early 2009 we hyper focused on New York City.
Übersetzer:
2009 haben wir New York ins Visier genommen.
Erzählerin:
New York, der Magnet für Touristen. Hotelzimmer sind teuer, Wohnraum fast unerschwinglich. Selbst ein kleines Apartment ist in Manhattan nicht unter 3.000 Dollar Monatsmiete zu haben. Warum nicht den teuren Wohnraum teilen und Gäste aufnehmen, fragte sich Joshua aus West Village?
O-Ton Joshua:
It efforts me as an artist to be an artist. I use part of this income to survive.
Übersetzer:
Es ermöglicht mir, Künstler zu sein. Ich brauche das, um zu überleben.
Erzählerin:
Jennifer lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Brooklyn. Sie vermietet ihr Drei-Zimmer-Apartment, wenn sie auf Reisen ist.
O-Ton Jennifer:
It’s really hard to feel that my home is a hotel. I feel like someone who is welcoming a lot of people who became friends. The key is, that it’s something people should do with their primary home. Financially it really helps my family. Rents here have skyrocket in the ten years we have been.
Übersetzerin:
Mein Zuhause fühlt sich jetzt wirklich nicht wie ein Hotel an. Ich heiße Leute willkommen, die Freunde werden. Und es hilft meiner Familie. Die Mieten sind in die Höhe geschossen in den zehn Jahren, seit wir hier leben.
New York: East Village
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Erzählerin:
Die Kehrseite. Till wollte in New York ein Praktikum machen und unbedingt in Manhattan wohnen. Erfolglos versuchte er, ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft zu finden. Dann ging er zu airbnb und fand einen Platz in einer Wohnung in der Lower East Side – nicht gerade ein feines Viertel.
O-Ton Till:
Also das ist eine Wohnung mit vier Zimmern. Da wohnen in jedem Zimmer mindestens zwei Leute. Und in meinem Zimmer wohnen drei. Ich zahl 900 Dollar im Monat.
Erzählerin:
Macht, wenn die Zimmer ausgelastet sind, 8.100 Dollar im Monat für den Vermieter. Da dürfte ein feines Plus herauskommen. Seit zwei Monaten wohnt Till in New York und hat in seinem Apartment eine hohe Fluktuation erlebt:
O-Ton Till:
Ich war immer mit einem, der da dauerhaft wohnt, in einem Zimmer, bin dann abends schlafen gegangen und er war nicht da. Und dann wach’ ich morgens auf und dann liegt da jemand anders, den ich überhaupt nicht vorher gesehen habe.
Erzählerin:
Auch Daniel machte ein Praktikum in New York. Bei airbnb hat er einen Platz In einem Dreizimmer-Apartment gemietet. Daniel zahlte 800 Dollar.
New York Straßengeräusche
O-Ton Daniel:
Das ist so eine Abzocke. Zwischenzeitlich war eine Dusche kaputt, sodass es nur eine Dusche für 24 Personen gab. Die wollen, dass man cash zahlt, sodass überhaupt kein Zahlungsverkehr zu sehen ist.
Erzählerin:
Als Sven airbnb mit diesen Verhältnissen konfrontierte, sagte man zunächst, man habe nur Rückmeldungen von glücklichen Kunden:
O-Ton Daniel:
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da noch nie einer beschwert hat. Schon allein von den 24, die ich kennengelernt habe, haben sich acht beschwert. Und das taucht aber nirgends auf.
Erzählerin:
Wie hatte doch Nathan Blecharczyk, Mitbegründer von airbnb in seinem San Franciscoer Büro gesagt, als wir nach genau solchen Vermietern fragten?
O-Ton Nathan Blecharczyk:
That isn’t pure average user. They maybe one or two folks like that in the system, but that by enlarge isn’t airbnb.
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Übersetzer:
Das ist nicht unser Durchschnittskunde. Vielleicht gibt es ein, zwei schwarze Schafe, aber das ist ganz sicher nicht airbnb.
New York Straßengeräusche
Erzählerin:
Schwarze Schafe? Das sieht der New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Schneidermann anders.
O-Ton Eric Schneiderman:
Contrary to what they are saying is not nice people seeking to make ends met by renting out a spare room. Much of their revenue comes from people who have two, five, twenty, eighty apartments that are up for rent all the time. All year long. Those are illegal hotels. And you are not allowed to run an illegal hotel.
Übersetzer:
Im Gegenteil zu dem was sie sagen, sind es eben nicht nette Leute, die versuchen, mit Zimmervermietungen über die Runden zu kommen. Etliche bieten zwei, fünf, zwanzig, achtzig Apartments an. Das ganze Jahr lang. Das sind illegale Hotels. Und es ist nicht erlaubt, ein illegales Hotel zu führen.
Erzählerin:
Die Vorstellung, airbnb bringe Mieter, die gerade zufällig ein Zimmer freihaben, mit Menschen zusammen, die ein Zimmer suchen, ist eine Illusion. Der typische airbnb-Vermieter ist nicht die alte Dame in Harlem, für die die Wohnung zu groß ist und die man sogar unterstützt, indem man sich bei ihr einquartiert. 80 Prozent aller airbnb-Wohnungen in New York werden einzig und allein zu dem Zweck angemietet, Zimmer unterzuvermieten, so eine Studie des Soziologen Tom Slee. Die Vermieter wohnen – wie in den Apartments, in denen Till und Daniel Schlafplätze gemietet haben – längst nicht mehr dort. Airbnb arbeitet – zumindest in den Großstädten – längst wie eine Hotelkette, nur verdeckt.
O-Ton Schneiderman:
There are not investors, they are speculators.
Übersetzer:
Es sind keine Investoren, es sind Spekulanten.
Erzählerin:
Zudem ist es viel lukrativer, eine Wohnung kurzzeitig an Durchreisende zu vermieten, statt langzeitig an einen festen Mieter. Das wirkt sich in einer Stadt wie New York sofort auf den Mietspiegel aus. Die Mieten steigen noch schneller. So gibt es noch weniger Wohnraum für die, die sich diese horrenden Mieten nicht leisten können.
Airbnb, so Eric Schneiderman, spiele ein doppeltes Spiel:
O-Ton Eric Schneiderman:
What they are telling investors are things: we just passed higher in the number of hotels, we just passed Hilton. They are selling to investors the idea that this is a hotel network. They are telling the public, that it’s not.
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Übersetzer:
Sie erzählen ihren Investoren: Wir haben jetzt immer mehr Hotels, mehr als die Hilton-Kette. Den Investoren erzählen sie, airbnb sei ein Hotel-Netzwerk. Der Öffentlichkeit sagen sie, nein, so sei das nicht.
Erzählerin:
Hotels erfüllen Brandschutzauflagen, schließen Versicherungen ab, haben Sicherheitspersonal. Hoteliers zahlen Steuern. Auch die privaten Gastgeber sollten Steuern zahlen, dazu rät airbnb auf seiner Website. Doch in der Praxis, so Nathan Blecharczyk, sähe das anders aus:
O-Ton Nathan Blecharczyk airbnb:
The issue of hotel taxes. First of all it various. Every city has different rules. In the case of New York it’s the responsibility of the host to pay that. The hosts are not able to pay that, because when they the paper work, the first question is: What is your hotel name? What is your license number? And they just don’t know how to answer that. So they don’t do it.
Übersetzer:
Das Thema Steuern. Jede Stadt hat da eine andere Regelung. In New York muss der Gastgeber die Steuern zahlen. Da wird gefragt: Der Name Ihres Hotels? Ihr Autokennzeichen? Und die Gastgeber wissen nicht, was sie antworten sollen und füllen das nicht aus.
New York Straßengeräusche
Erzählerin:
In New York ist Gastfreundschaft zu einem Geschäft geworden. Nicht nur, wenn es um Unterkünfte geht. Nachbarschaftshilfe jeglicher Art wird zur Dienstleistung. Hemden aus der Reinigung holen, auf dem Wochenmarkt ein Bund Möhren kaufen, das alles gibt es jetzt gegen Bezahlung. Besonders nachgefragt: Ikea-Möbel zusammensetzen. Das bietet die Plattform Task Rabbit an. Wer den Hund kurz ausführt, wer Essen für eine kranke Mutter kocht, der ist ein Mikrounternehmer. Allerdings ohne Vertrag. Ohne Kranken- und Rentenversicherung. Und wer krank wird oder in Urlaub fahren will, muss sehen, wie er klarkommt.
O-Ton Trebor Scholz:
Vieles, was halt früher privat war, ist jetzt professionell. Ein Austausch, der früher zwischen Freunden stattgefunden hat, wird jetzt financialized. Mittelsmänner schieben sich in diese Beziehungen und kassieren. Austausche finden jetzt auf Plattformen statt, also durch Apps, Web-Apps.
Erzählerin:
Das Private wird durchökonomisiert, sagt Trebor Scholz. Scholz lehrt an der renommierten New School, jener New Yorker Universität, die zwischen 1933 und 1945 für viele deutsche Wissenschaftler Zufluchtsort und Arbeitsstätte wurde. Sein winziges Büro ist vollgestopft mit Büchern. Und dann steht da noch ein Fahrrad. Mit dem kommt der dunkelhaarige Mittvierziger jeden Tag aus Brooklyn. Scholz untersucht die Arbeit im digitalen Zeitalter.
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O-Ton Trebor Scholz:
Ich glaube, es ist wichtig zu verstehen, was passiert durch die Sharing Economy hier in den USA. Dass das beiträgt zu der Bewegung der Arbeit zum Internet. Das Angestelltenverhältnis wird aufgelöst. Alle sind Freiberufler. In den USA ist jeder dritte Arbeitende ein Freiberufler. Und was hier in den USA im Unterschied zu Deutschland passiert, ist, dass die überhaupt keine Rechte haben. Das heißt also Gesundheitsversicherung, Antidiskriminierungsgesetze, all die Sachen, die die Arbeiterbewegung vor 150 Jahren erkämpft hat, haben sich halt plötzlich in Luft aufgelöst über Nacht. Das Wochenende, der 8-Stunden-Arbeitstag – all diese Arbeitsrechte sind eliminiert.
Erzählerin:
Beispiel Uber: Uber wirbt mit der Freiheit: Die Fahrer können selbst bestimmen, wann sie fahren. Doch nur wenn sie Fahrgäste befördern, sind sie versichert, nicht wenn sie leer zu dem Ort fahren, zu dem sie gerufen werden, und auch nicht auf der Rückfahrt. Wer für die normale Uber-Klasse „Uber X“ fährt, braucht in vielen Städten keinen Personenbeförderungsschein, keinen Gesundheitstest, kein polizeiliches Führungszeugnis. Es gibt keinen Funk, kein Taxameter. In New York immerhin, so wirbt Uber auf seiner Website, bekommen die Fahrer eine eintägige Schulung. Als die Nutzer kritisierten, dass hier jeder fahren darf, der einen Führerschein und ein Auto hat, reagierte Uber schnell und führte teurere Klassen ein, in denen man einen professionellen Fahrer mieten kann.
Die 13.000 gelben New Yorker Taxis hingegen werden von privaten Unternehmen betrieben und benötigen eine städtische Zulassung. Für diese Fahrer gelten die Fair-Labor-Standards von 1938, wie etwa Mindestlohn, Überstundenbezahlung oder Schutz vor Diskriminierung. Sie sind gewerkschaftlich organisiert. Sie haben eine Taxifahrerausbildung und sind versichert.
Uber behält mindestens 20 Prozent der Umsätze seiner Fahrer ein. Die Fahrer kennen einander nicht, ebenso wenig wie alle anderen Menschen, die über eine Plattform Dienstleistung anbieten. Und das ist gewollt, so Byung-Chul Han:
Zitator Byung-Chul Han:
Früher standen Unternehmen miteinander in Konkurrenz. Innerhalb des Unternehmens war dagegen eine Solidarität möglich. Heute konkurriert jeder mit jedem, auch innerhalb eines Unternehmens. Diese absolute Konkurrenz erhöht zwar die Produktivität enorm, aber sie zerstört Solidarität und Gemeinsinn.
Erzählerin:
Uber bestimmt, was ein Fahrer verdient. Und das kann sich schnell ändern. Als im Dezember 2014 in Australien Menschen aus Angst vor einem drohenden Terroranschlag in Uber-Taxis stiegen, wurden die Fahrer angewiesen, astronomische Summen zu verlangen. Uber verteidigte sich: Ein Algorithmus gebe bei hoher Nachfrage automatisch höhere Preise vor. Das sei ein Hebel, an dem man auch juristisch eingreifen könne, so der New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman:
O-Ton Eric Schneiderman:
If you just take advantage of an emergency situation and this only applies in times of emergency that’s price goiching – it’s defended in the statute. We are looking at whether or not in times of emergency they have been any violations bei Uber. We are
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by no means challenging their fundamental business model … We are not going after the Uber business model.
Übersetzer:
Wenn man einen Vorteil aus einer Notsituation zieht, ist das Wucherei. Und das überprüfen wir: Ob Uber im Fall einer Notsituation Regeln verletzt. Das Uber-Geschäftsmodell selbst greifen wir nicht an.
Erzählerin:
Das hat Bill de Blasio, Bürgermeister von New York, versucht und sich eine blutige Nase geholt. Ursprünglich wollte er Uber-Fahrzeuge ganz aus der Stadt heraushalten. Er fürchtete einen Verkehrskollaps. Immerhin gibt es schon 63.000 Taxis und Leihwagen auf New Yorker Straßen. Und er fürchtete um das Einkommen von Tausenden von New Yorker Taxifahrern. Ein Jahr lang wollte er testen, ob mehr Taxen wirklich notwendig seien. Uber schlug zurück und begann eine gigantische Kampagne mit dem aggressiven Slogan: de Blasio, verzieh’ Dich:
O-Ton Uber-Kampagne:
Uber to de Blasio: take a hike. In an effort to lobby against the Bill de Blasio administration proposal to cup the number of Uber cars in the roads of nyc for one year, Uber has added a new feature to it’s app. It’s called de Blasio. And when selected the normally buzzling map of Ubers driving around the city goes blank und users are encouraged to sign a petition against the purposed cab …
The city contains it needs a year to study the impact of the increased amount of four wheel hired vehicles on traffic conguestion. Uber says it costs New Yorkers jobs and limit the access to ride. The company claims the administration is caving the pressure of the cab industrie which donated de Blasio to his campaign …
Meanwhie Uber continues to show blank maps on its apps and hope his users can pressure de Blasio into backing down.
Übersetzer:
Wir sind entschieden gegen den Vorschlag der de Blasio-Administration, Uber für ein Jahr aus New York zu verbannen. Uber hat eine Anwendung zu seiner App hinzugefügt. Da, wo normalerweise die Uber-Autos durch die Straße flitzen, ist gähnende Leere. Und die Benutzer werden aufgefordert, eine Petition gegen die Verbannung der Uber-Autos zu unterschreiben. De Blasio steht unter dem Druck der Taxiunternehmen, die seine Wahlkampagne mitfinanziert haben. Die Uber-Fahrgäste sollen ihrerseits Druck auf de Blasio ausüben.
New York Straßengeräusche
Erzählerin:
Uber-Fahrgäste brachten Protestnote um Protestnote ein, bis de Blasio klein beigab.
Im Februar 2016 haben die Uber-Fahrer wieder protestiert. Diesmal gegen Uber selbst. Denn so wie das Unternehmen die Tarife willkürlich anheben kann, so kann es sie auch senken. Und Uber hatte beschlossen, für Fahrten in New York 15 Prozent weniger zu verlangen.
In San Francisco wiederum läuft immer noch eine Sammelklage gegen Uber. Fahrer hatten geklagt, weil sie wie Selbstständige behandelt würden, aber letztlich keine seien.
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Während die Fahrer bluten, boomen die Sharing-Plattformen. Allein in New York generiert airbnb eine Million Übernachtungen pro Jahr. Und das, ohne ein einziges Hotel gebaut zu haben, ohne eine einzige Rezeptionistin oder ein einziges Zimmermädchen eingestellt zu haben.
O-Ton Trebor Scholz:
Das Interessante ist, dass diese Firmen airbnb und Uber und ähnliche Firmen keinerlei Infrastruktur haben. Dass die Infrastruktur auf dem Besitz der Menschen aufgebaut ist: auf deren Autos, auf deren Zeit, auf deren Wohnung.
Erzählerin:
… so Trebor Scholz. [Doch genau das, betont Jeremy Rifkin, ist das Geheimnis der Shared Economy:
O-Ton Jeremy Rifkin:
But what’s really interesting is the trigger has giving birth to this new economic system.
The trigger is something called zero marginal costs. Marginal costs are the costs of producing an additional united of the good and service after your fix costs are covered. Business people are all aware of marginal costs. Most of the public isn’t. But this idea of zero marginal costs is gonna dramatically intermidly effect every single person in the world in the common years. In every aspect of their life.
Übersetzer:
Wirklich interessant ist, was den Anstoß zu diesem neuen ökonomischen System gegeben hat. Zero marginal costs – null Grenzkosten. Grenzkosten sind die Kosten, die zusätzlich zu den Fixkosten anfallen. Geschäftsleute denken immer an die Grenzkosten. Die meisten Konsumenten nicht. Aber diese Idee von den null Grenzkosten wird in den kommenden Jahren jede einzelne Person betreffen. In jedem Aspekt ihres Lebens.
Erzählerin:
Die sogenannten Grenzkosten werden einfach weitergegeben an die Uber-Fahrer und die airbnb-Vermieter. Wenn sie nicht versichert sind oder keine Steuern zahlen, so ist das ihr Problem. So kann man Dienstleistungen billiger anbieten und die Konkurrenz ausstechen.] Ein Uber-Fahrer verdient, wenn man Benzin und Kosten für den Unterhalt des Autos dazunimmt, noch nicht einmal den Mindestlohn.
Zitator (Uberfahrer):
Ist es wirklich sinnvoll für eine Firma zu arbeiten, die weniger als den Mindestlohn zahlt, aber erwartet, dass du ein Auto für 20.000 bis 30.000 Dollar einbringst?
Erzählerin:
… fragt Uber-Fahrer J. B. auf der Website, auf der er sich mit Kollegen austauscht. Er nennt nur seine Initialen J. B. Aus gutem Grund. Denn ein Fahrer, der Uber kritisiert, bekommt keine Aufträge mehr.
Zitator (Uberfahrer):
Denn wenn dir jemand reinfährt und dein Wagen repariert werden muss, bist du raus aus dem Geschäft. Uber hilft dir nicht. Und dann verlangt diese Firma obendrein, dass du alle Risiken selbst trägst, denn legal kann man sich für so eine Arbeit nicht
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versichern lassen. Die Firma gibt keinerlei Beihilfen und wenn du aus irgendeinem Grund nicht mehr arbeiten kannst, schert sie das überhaupt nicht. Wären wir nicht besser dran, wenn wir für den Mindestlohn bei McDonald’s arbeiten würden?
Erzählerin:
Im freien Wettbewerb, so Rifkin, steige die Produktion und die Preise fielen. Schließlich könne man keine Gewinne mehr machen. Und das sei das Paradox des Kapitalismus; letztlich fresse er sich selber auf in seiner Gier:
O-Ton Jeremy Rifkin:
There is a paradox deeply embedded in the very heart of the capitalist market system. Previosly disclosed. This paradox is been responsible for the tremendous success of capitalism over the last centuries. But here is the irony: The very success of this paradox is now leading to an endgame and a new paradigm emerging out of capitalism would have come.
Übersetzer:
Tief im Herzen des Kapitalismus ist ein Paradox eingebettet. Dieses Paradox hat in den letzen Jahrhunderten zum unendlichen Erfolg des Kapitalismus geführt. Und das ist das Paradox: Erfolgreicher kann das System nicht werden. Ein neues Paradigma wird aus dem Kapitalismus erwachsen.
Erzählerin:
Nur, cui bono – wem nutzt das? Wer gibt den Plattformen das Geld, das sie für ihren Vormarsch brauchen? Damit Uber expandieren kann – von New York bis Peking, hat die Wall Street kräftig Geld zugeschossen. Allen voran Investoren wie Google und Goldman Sachs. Bis Ende 2015 sollen es 12 Milliarden Dollar gewesen sein. Auch die chinesischen Versicherer China Life Insurance und China Taiping Insurance haben laut Angaben von Uber in den vergangenen Jahren investiert. Das gesamte Unternehmen werde dabei mit bis zu 62,5 Milliarden Dollar bewertet, schrieben die New York Times und der Finanzdienst Bloomberg. Airbnb soll schon über 25 Milliarden Dollar wert sein.
Gleichzeitig leben 40 Prozent aller New Yorker am Existenzminimum.
O-Ton Trebor Scholz:
Diese ganze digitale Arbeit. Das ist so die scheinende, scharfe Spitze von einem Speer des Neoliberalismus, der mit der Zerstörung von den Gewerkschaften einhergeht und auch mit der Umstrukturierung von Jobs. Also insofern denke ich, dass die Situation schlechter wird und dass die Menschen weniger verdienen in dieser Ökonomie – zumindest über die lange Zeit hinweg. Das ist auch etwas, was immer völlig unterschlagen wird
Erzählerin:
Uber fahren, für das Unternehmen task rabbit Ikea-Möbel zusammensetzen oder Müll runterbringen, einkaufen und den Hund rausbringen – immer mehr Menschen verdienen sich so ihr Geld.
Dadurch kommt es zu einer gefährlichen Verschiebung auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt:
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O-Ton Trebor Scholz:
Für Leute, die gut ausgebildet sind und gerade ihren Job verloren haben und jetzt für zwei Monate nach etwas suchen, ist das ideal. Das aber jetzt als eine langfristige Karriere darzustellen, wäre fatal. Es lebt von der Idee von einem Arbeiter, der halt immer gesund ist, der halt immer jung bleibt, immer energetisch ist. Was passiert in dem Moment, wo so ein Task Rabbit-Arbeiter krank wird? Da wird nichts bezahlt. Die Arbeiter in der Sharing Economy, für die das also am besten funktioniert, die sind hochausgebildet, die haben College Degrees, Universitätsabschlüsse, und drängen Arbeiter aus einer Arbeitssphäre wie z.B. diese Jobs: Wohnungen streichen oder Möbel zusammenzubauen, Taxis fahren aus diesen Jobs. Man könnte sagen, das ist eine Stufe runter für die Mittelklasse. Und die Leute, die schon vorher wenig bezahlt wurden, die werden verdrängt und haben dann gar keine Arbeit mehr.
Erzählerin:
Wird es in Zukunft überhaupt noch sichere Arbeitsplätze geben? Angestelltenverhältnisse? Gewerkschaften? Qualität?
O-Ton Trebor Scholz:
Aber wer redet darüber, was diese Ökonomie für die Kinder unserer Kinder und deren Arbeitssituation herbeiführt?
Erzählerin:
Dabei gäbe es andere Möglichkeiten. Wie wäre es, fragt Trebor Scholz, wenn die Sharing-Ökonomie von Gewerkschaften betrieben würde? Von Städten oder Genossenschaften? Städte könnten sich auch zusammentun, um eine Software wie die von airbnb zu entwickeln.
O-Ton Trebor Scholz:
Und dass dann die Profite, also diese 25 bis 30 Prozent, den Bürgern zu Gunsten kommen und nicht diesen zwei, drei Leuten bei airbnb.
Seoul
Erzählerin:
Und das ist keine Utopie. Seoul in Südkorea nennt sich Sharing City, verbannte Uber aus der Stadt und bot selber einen Fahrservice an: Green Car, einen Verleih von Elektromobilen. Sie stehen auf Hunderten von städtischen Parkplätzen bereit.
Doch ist das Bereitstellen von Elektroautos in einer Stadt, die überdies eines der besten und zuverlässigsten U-Bahnsysteme der Welt hat, wirklich schon die Überwindung des Kapitalismus, von der Jeremy Rifkin stolz gesprochen hat? Das Ende des Eigentums? Die neue Gesellschaft der Teilenden?
Zitator Byung-Chul Han:
Es ist aber ein Irrtum zu glauben, dass die Sharing-Ökonomie … ein Ende des Kapitalismus, eine globale, gemeinschaftlich orientierte Gesellschaft einläutet, in der Teilen mehr Wert hätte als Besitzen. Im Gegenteil: Die Sharing-Ökonomie führt letzten Endes zu einer Totalkommerzialisierung des Lebens. Der von Jeremy Rifkin gefeierte Wechsel vom Besitz zum „Zugang“ befreit uns nicht vom Kapitalismus. Wer kein Geld besitzt, hat eben auch keinen Zugang zum Sharing.
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Erzählerin:
Wie Byung-Chul Han zweifelt auch Trebor Scholz daran:
O-Ton Trebor Scholz:
Das ist in keiner Weise das Ende des Kapitalismus, es ist vielleicht nur insofern das Ende des Kapitalismus, dass man fragen könnte, ob das immer noch Kapitalismus ist oder ob es nicht vielleicht sogar etwas ist, was schlimmer ist als Kapitalismus.
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Service:
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