Manfred Spitzer, Harald Lesch, Gunkl (Günther Paal) : Gott! Wo steckst du?

http://www.swr.de/swr2/wissen/-/id=661224/1muyzmy/index.html

Online-Publikation: Mai 2012 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Manfred Spitzer, Harald Lesch, Gunkl (Günther Paal) : Gott! Wo steckst du? >>
2 CDs , Laufzeit: I. 53:50min; II. 63:00 min ; ISBN 978-3-902533-32-6; 19,90 € / 31,90 SFr
Galila Verlag, A-3492 Etsdorf am Kamp; www.galila.at 

Inhalt
Über Gott reden ja viele, wenngleich die meisten nur glauben, etwas über den Allmächtigen zu wissen. Und die, die etwas zu wissen glauben, Religionswissenschaftler, behaupten, Naturwissenschaftler könnten über Gott sowieso nichts sagen. Die drei Autoren dieses Hörbuch treten den Gegenbeweis an: der Astrophysiker Harald Lesch, der an der Hochschule der Jesuiten Philosophie unterrichtet, der Psychiater Manfred Spitzer, dem Wahnvorstellungen nicht fremd sind und der Intellektuellste unter den Kabarettisten, Günther "Gunkl" Paal, der sich über das Intelligente Design als Gottesbeweis mit dem Vergleich ärgert: "Der See reicht genau bis zum Ufer: Super! Tolles Argument!"

Autorenteam
Manfred Spitzer
ist ärztlicher Direktor der Universitätsklinik in Ulm. Darüber hinaus leitet er das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen, das sich vor allem mit Neurodidaktik beschäftigt. Spitzer ist durch seine zahlreichen Fernsehauftritte und Vorträge weithin bekannt.
Harald Lesch
ist Professor für Theoretische Astrophysik an der Universität München und Professor für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie in München. Als Fernseh- Moderator der ZDF-Sendung „Abenteuer Forschung“ ist er einem breiten Publikum bekannt.
Gunkl < www.gunkl.at >
zählt zu den erfolgreichsten Kabarettisten Österreichs, über den die Süddeutsche Zeitung schreibt: "Gunkl ist Philosoph, Denker und trotzdem unglaublich komisch."

Fazit
Ein Hirnforscher (Manfred Spitzer), ein Astrophysiker (Harald Lesch) und ein Kabarettist "Gunkl" (Günther Paal) diskutieren und fragen auf ihren 2 CDs:" Gott! Wo steckst du?"
Unsere Antwort: Ist doch klar "IN ALLem", wenn wir resümieren, dass Spitzer katholisch, Lesch evangelisch erzogen und Gunkl ein bekennender Atheist ist. Denn allen gemeinsam ist die offen fragende Transzendenz*, die alle drei gemeinsam haben und ihre humorbereite Haltung und Aufbereitung mit lebensbegleitender Lernbereitschaft.
m+w.p12-5
*) Platon Akademie 4
www.kultur-punkt.ch/akademie4/
www.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/index.htm             
  

SWR2 Wissen (Aula) Ernst Peter Fischer und Harald Lesch: Die Geburt der modernen Wissenschaft

<<SWR2 Wissen (Aula) Ernst Peter Fischer und Harald Lesch: Die Geburt der modernen Wissenschaft - Die Entdeckung der himmlischen Ordnung in der Antike >>
Autoren und Sprecher: Professor Ernst Peter Fischer und Professor Harald Lesch * Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch Sendung: Sonntag, 1. April 2007, 8.30 Uhr, SWR 2
http://www.swr.de/swr2/wissen/-/id=661224/1muyzmy/index.html

Bitte beachten Sie:Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichenGenehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

 

ÜBERBLICK Die alten Griechen, allen voran Platon und Sokrates, haben das Vernunftprinzip in die Philosophie eingeführt und damit auch die Grundlagen der modernen Naturwissenschaften gelegt. Die Suche nach einer vernünftigen transzendentalen Ordnung, die sich hinter der sichtbaren Natur verbirgt, macht den Blick frei für allgemeine Gesetzmäßigkeiten. Dies war die entscheidende Voraussetzung, die zur Herausbildung von den modernen rationalen Naturwissenschaften führte. Der Astrophysiker Professor Harald Lesch und der Wissenschaftshistoriker Professor Ernst Peter Fischer zeigen im ersten Teil die wissenschaftsgeschichtlichen Konsequenzen dieser antiken Konzeption auf.

*GESPRÄCHSTEAM

Ernst Peter Fischer,

geboren 1947, ist diplomierter Physiker, promovierter Biologe und habilitierter Wissenschaftshistoriker. Er lehrt an den Universitäten Konstanz und Basel und bemüht sich seit Jahren erfolgreich um Vermittlung naturwissenschaftlichen Wissens in der Gesellschaft.Eines seiner wichtigsten Bücher trägt den Titel "Die andere Bildung". Fischer zeigt darin auf unterhaltsame Weise, warum wir unbedingt ein neues Verständnis der Naturwissenschaften benötigen.

Buchauswahl: - Einstein für die Westentasche. Piper Verlag, München 2005 - Die Bildung des Menschen - Was die Naturwissenschaften von uns wissen. Ullstein Verlag, Berlin 2004 - Die andere Bildung - Was man von den Naturwissenschaften wissen sollte. Ullstein Verlag, München 2003

Prof. Dr. Harald Lesch lehrt theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; seine Forschungsschwerpunkte sind: Schwarze Löcher, Neutronensterne und kosmische Plasmaphysik. Lesch ist Fachgutachter für Astrophysik bei der DFG und Mitglied der astronomischen Gesellschaft. Im Juni 2005 wurde ihm von der DFG der Communicator-Preis verliehen. Dieser persönliche Preis wird an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, die sich in hervorragender Weise um die Vermittlung ihrer wissenschaftlichen Ergebnisse in die Öffentlichkeit bemüht haben.

Bücher: - Kosmologie für Fußgänger. Goldmann. - Big Bang. Zweiter Akt. Bertelsmann. - Physik für die Westentasche. Piper.

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1

Die Geburt der modernen Wissenschaft (1)

Die Entdeckung der himmlischen Ordnung in der Antike

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INHALT 1

Ansage:

Heute mit dem Thema: „Die Geburt der modernen Naturwissenschaften, Teil 1, - die Entdeckung der himmlischen Ordnung in der Antike“.

In der SWR2 AULA startet heute eine vierteilige Reihe, in der es um die Grundlagen und kulturellen Voraussetzungen der modernen rationalen Naturwissenschaften geht. Der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer und der Astrophysiker Harald Lesch sind die Protagonisten dieser Reihe, sie unternehmen in jeweils halbstündigen Gesprächen Exkursionen ins Mittelalter, in die Zeit der Aufklärung und in die Epoche der modernen Quantenphysik.

Wer über die moderne Wissenschaft nachdenkt, muss zu den Quellen reisen, zu den alten Griechen, allen voran zu Sokrates, Platon, Aristoteles, die in der Philosophie das Vernunftprinzip verankert und damit die erste Grundlage für eine systematische Erfassung oder Deutung der Natur und des Kosmos geliefert haben. Die Suche nach einer vernünftigen transzendentalen Ordnung hinter den sichtbaren Dingen ermöglicht in der Antike die Formulierung von allgemeinen Gesetzmäßigkeiten. Allerdings blendeten Philosophen wie Aristoteles die Empirie, die Welt der Phänomene, letztlich aus, ihre Modelle, ihre Vorstellungen basierten auf Ideen, die mit der Wirklichkeit nicht kompatibel waren.

Hören Sie nun also Teil 1, Harald Lesch und Ernst Peter Fischer zeigen die Grenzen und die ästhetischen Elemente der ersten wissenschaftlichen Theorien in der griechischen Antike auf.

Ernst Peter Fischer und Harald Lesch:

Fischer:

Wir wollen wissen, wie Wissen entstanden ist und den historischen Spuren, die zu dem heutigen Kenntnisstand in der Wissenschaft führen, folgen. Beginnen wir in der griechischen Antike mit einem wunderbaren Satz von Aristoteles aus seiner „Metaphysik“: „Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.“ Diesen Satz kennt man aus philosophischen Festreden, wir nicken dann immer zufrieden, fragen uns aber gar nicht, woher dieses natürliche Bedürfnis stammt. Freundlicherweise gibt Aristoteles noch eine Erklärung, denn der Satz geht weiter: „Wir streben von Natur aus nach Wissen, weil wir Freude an der Wahrnehmung der Natur haben.“ Wahrnehmung heißt auf griechisch ?????? (aisthesis). Aristoteles will uns also sagen, dass wir in ästhetischer Hinsicht Freude haben, dass wir ästhetisch neugierig sind, und dann anschließend versuchen, dieses Beobachtete, dieses sinnlich Erfasste in der Natur in irgendeiner Form so zusammen zu stellen, dass dabei Wissen entsteht, das ich ausdrücken und einem anderen mitteilen kann. Meine Grundidee lautet also, dass wir von sinnlichen Beobachtungen ausgehen und sich das Wissen dann systematisch entwickelt, dass die Grundlage der Wissenschaft eine ästhetische ist.

Lesch:

Nun ist Aristoteles nicht der Erste gewesen, der sich über die Welt und die Natur Gedanken gemacht hat. Denn Aristoteles hat eine Philosophie-Geschichte aufgeschrieben, in der alle möglichen Philosophen aufgeführt werden, die vor ihm gelebt haben, z. B. Thales, der wird mit dem Element Wasser zusammengebracht, oder Heraklit mit dem Element Feuer. Also hat Aristoteles die Erfahrung gehabt, dass es schon vor ihm Menschen gab, die sich mit dem Wesen der Welt beschäftigt haben. Besonders interessant an den Griechen finde ich die Abkehr von der Idee, dass die Welt prinzipiell gar nicht zu verstehen sei, dass sie quasi ein göttliches Drama darstelle und der Mensch nur ein unwissender Kulissenschieber sei. Wenn Aristoteles aber demgegenüber sagt, der Mensch sei wissbegierig, dann steckt darin auch das Wort „Gier“. Das bedeutet, es steht dem Menschen zu, die Welt zu untersuchen.

Fischer:

Und die Menschen haben die Instrumente dazu, sei es nun die reine Beobachtung mit den Augen oder auch die Mathematik. Ein Teil dieser großartigen griechischen Kultur repräsentiert ja Pythagoras, der den schönen Satz geprägt hat: „Alles ist Zahl“, weil er über die Zahl quantitativ zum Verständnis der Verhältnisse in der Welt kommen will. Die Aussage von Aristoteles, dass der Mensch von Natur aus nach Wissen strebt, setzt natürlich eine Kenntnis von Menschen heraus, die das schon getan haben. Also musste bereits Wissen vorhanden sein. Daraus lässt sich die spannende Frage ableiten, was ist eigentlich das erste Wissen, das man erreicht hat? Wann kann man sagen, das weiß ich, das ist gesichert, das ist ein Wissen, das ich jemandem mitteilen kann? Wenn ich selbst etwas weiß, aber nicht in der Lage bin, es mitzuteilen, dann komme ich nicht sehr weit damit. Ich glaube, dass die Idee der Rationalität, die Sie angesprochen haben, dass es etwa über Zahlen eine Kommunikationsmöglichkeit gibt, ungeheuer spannend ist. Denn ich muss ja das Wissen in irgendeiner Form als sicheres Wissen haben. Es reicht nicht zu wissen, dass es morgen wieder hell wird oder dass da vorne das Wasser, das Meer ist, sondern ich muss ein Wissen haben, das aus einer Ordnung folgt und diese Ordnung muss systematisierbar sein. Das sind Ausdrücke, die wir heute benutzen, aber das musste auch erst entdeckt werden. Ich glaube, diesen Kommunikationsprozess haben die Griechen gleichsam entdeckt oder fruchtbar gemacht.

Lesch:

Was auf den ersten Blick wahrscheinlich jedem Menschen bei genauerem Nachdenken zunächst auffällt, sind regelmäßige Veränderungen: Die Sonne kommt, die Sonne geht, der Mond geht auf und geht unter, die Positionen der Sterne verändern sich. Schon sehr viel länger dauert es, bis man versteht, wie der Himmel sich „bewegt“. Es gibt die jahreszeitlichen Veränderungen. Das waren wahrscheinlich die wesentlichen sinnlichen Wahrnehmungen der Antike. Die Leute hatten ja damals Zeit – ein großer Vorteil gegenüber der Forschung heute. Sie sind nicht so alt geworden, aber das Wissen, was sich von einer Generation zur anderen übertragen hat, konnte langsam aufgenommen und verdaut werden. Und was müssen das für paradiesische astronomische Verhältnisse gewesen sein: eine Welt ohne Nachtbeleuchtung! Was die Leute damals am Himmel alles gesehen haben, das können wir uns heute überhaupt nicht mehr vorstellen.

Fischer:

Und es ist heute noch ein anderer Verlust zu konstatieren. Wenn die Nachtbeleuchtung den Himmel nicht mehr so richtig beobachten lässt, kann das auch bedeuten, dass unsere Neugierde gar nicht mehr zum Tragen kommt. Neugierde wird ja erst erweckt durch die Möglichkeit der Beobachtung. Ich denke, wenn wir heute beklagen, dass wir die Wissenschaft nicht mehr so leicht vermitteln können, hat das auch damit zu tun, dass die ursprüngliche Neugierde gar nicht mehr vorhanden ist. Ich vermute, dass wir als Kinder noch neugierig sind, aber dann als Erwachsene schon weniger. Dann sehen wir Neonlichter, dann sehen wir etwas Menschengemachtes, aber nicht das, was uns neugierig machen würde. Ein Sternenhimmel macht ja ungeheuer neugierig. Es ist ja ein großartiges Erlebnis, wenn man draußen im Freien ist, wenn man mit einem Schlafsack und einem Campingzelt unterwegs ist in einer Wüste und einfach die Milchstraße bestaunt. Aber wir merken auch, obwohl uns dieser Anblick erstaunt und freut, wie wir sofort nach Ordnung und Strukturen suchen. Und dann fängt eben die Rationalität an, dass man unterscheidet zwischen Sternen, die sozusagen an ihrem Ort bleiben, und Leuchtpunkten, die das nicht tun, den Planeten. Daraus resultieren die nächsten Fragen, nämlich wie bewegen sie sich, was bewegt sich da, wie kommt das zustande. Genau so ist der Satz von Aristoteles zu verstehen: Wir haben Freude an der Wahrnehmung der Welt, bemerken Unterschiede und wollen diese Unterschiede verstehen. Außerdem passiert noch Folgendes: Offenbar ist es den Menschen zueigen, dass sie, wenn sie etwas Erklärungswürdiges gefunden haben, aber eigentlich die rationale Erklärung noch nicht liefern können, Sphären erfinden. Bis übers Mittelalter waren die Menschen zufrieden mit solchen Erklärungsmodellen. Und das deutet ja darauf hin, dass gewissermaßen zu dem Verständnis von Welt nicht nur die äußere Beobachtung zählt, es muss zusätzlich ein Innenleben geben, dass den Menschen bestimmte Erklärungsmuster liefert, die eine Befriedigung schaffen. Denn zum Schluss muss ich ja zufrieden sein mit dem, was ich erkläre. Das Sphärenmodell lieferte für lange Zeit dieses Erklärungsmuster.

Lesch:

Das Modell war ja auch nicht schlecht. Das Modell, wo die Erde im Zentrum steht und alles dreht sich um sie, ist ja zunächst einmal das, was jeder, der den Himmel anschaut, sofort in Rechnung bringen würde. Alles bewegt sich um den Beobachter herum. Warum soll er denn auch seinen eigenen Planeten in Drehung versetzen? Noch Goethe hat zu Eckermann gesagt, es ist eigentlich unvorstellbar, dass wir an eine Welt glauben, wo die Erde sich um die Sonne dreht und nicht alle Gestirne um uns herum drehen. Also das ist ja völlig logisch. Und es hat ja auch funktioniert, das ist ja das Tolle. Die Bewegungen waren alle in dem Ptolemäischen Weltbild enthalten, und für die Seefahrer, die auf das Bild angewiesen waren, weil sie den Gang der Gestirne am Himmel kennen mussten, war dieses Weltbild völlig ausreichend. So richtig kritisch wird es ja für ein Weltbild erst dann, wenn etwas da ist, was nicht mehr so ohne weiteres erklärt werden kann, und dann muss ja u. U. ein Weltbild „in den Gerichtssaal gebracht werden“, auf den Prüfstand kommen.

Fischer:

Wann ist denn aufgefallen, dass man etwas nicht mehr erklären konnte? Man hat ja immer korrigiert und korrigiert, aber eigentlich war man mit diesen ganzen alten Modellen, den Epizyklen, dass man nicht nur Kreisbewegungen hatte, sondern dass auf diesen Kreisbewegungen noch andere Kreisbewegungen aufgesetzt waren, ganz einverstanden. Es ist doch interessant, dass man erst Jahrtausende später unzufrieden wurde mit dem alten griechischen Weltbild. Das setzt ja eine ganz andere Grundauffassung von dem voraus, was damals Natur oder Welt genannt wurde. Wir würden ja heute den Begriff Natur gar nicht mehr für den Kosmos anwenden. Wenn wir Natur sagen, dann meinen wir Wälder, Flüsse, menschliches Leben.

Lesch:

Unsere direkte Umwelt im Grunde genommen.

Fischer:

Aber die Natur war natürlich früher all das, was „draußen“ war. Und man hat merkwürdigerweise von Anfang an – auch eine spannende Überlegung, die man vielleicht auch als Konstante des menschlichen Denkens nachvollziehen sollte – die Welt eingeteilt in das, was sozusagen oberhalb einer bestimmten Sphäre ist und was unterhalb einer bestimmten Sphäre ist. Das war ein schöner akzeptierter Trick. Der Mond galt als die Trennungslinie, oberhalb des Mondes gab es die supralunare Sphäre und unterhalb die sublunare Sphäre. Und wir Menschen sind in der sublunaren Sphäre, und da müssen wir als Erkenntniswesen jetzt die Bewegungen oder die physikalischen Prozesse, die wir beobachten, erklären. Für die Sphäre „da oben“ brauchen wir das nicht, so dachten die Griechen. Dort gelten andere göttliche oder höchstens geometrische Grundstrukturen, die wir niemals vollständig verstehen können. Ist das jetzt nur eine Hilflosigkeit, weil man sagt, da weiß ich nichts darüber, da komme ich sowieso nicht hin? Aber wenn man hilflos ist, kann man doch zugeben, dass man nichts darüber weiß. Das tun wir leider nicht, das taten auch die Griechen nicht. Sie projizierten Wünsche und innere Vorstellungsmöglichkeiten auf diese supralunare Sphäre, sie projizierten das, was für ihr Denken am überschaubarsten ist, nämlich die Kreisstruktur. Und sie fragten gar nicht, weshalb die Kreise überhaupt in Bewegung kommen, sondern das ist halt so. Das ist dann diese Sphäre, die sich dreht und eventuell noch von Musik begleitet wird. Das ist die supralunare göttliche Sphäre, die die Griechen sich vorgestellt haben. In bezug auf diese Sphäre geht es eben um Projektion von geometrischen Modellen, während die Griechen unten auf der Erde, in der sublunaren Sphäre,  ganz klar versucht haben, Kräfte, Bewegungen abzuleiten, aber auf merkwürdige Weise im Gegensatz zu unserem Denken heute. Aristoteles erklärt Bewegung ganz anders als wir das tun.

Lesch:

Bei Aristoteles war der Normalzustand der Zustand der Ruhe.

Fischer:

Können Sie mir überhaupt erklären, wie Aristoteles auf den Gedanken von Bewegung und Ruhe gekommen ist? Denn er muss doch verstanden haben, wenn ich einen Stein nehme und den werfe, verlässt er meine Hand – wieso ist er dann in Ruhe, der fliegt doch weiter?

Lesch:

Für ihn war nur das der natürliche Zustand, wenn sonst nichts passiert, das war für ihn der Zustand der Ruhe.

Fischer:

Trotzdem, wir haben doch gelernt, dass Aristoteles sagt, eine Bewegung hört auf, wenn die Kraft aufhört, die für diese Bewegung zuständig ist. Aber genau das passiert ja nicht, wenn ich einen Stein werfe.

Lesch:

Sie haben recht, das passiert nicht. Deshalb würde ich sagen, Aristoteles war ein echter Pragmatiker. Er hat einfach geguckt, was passiert, und festgestellt, jede Bewegung kommt zur Ruhe. Wir müssen bedenken, die Griechen haben ja insgesamt eine sehr dramatische Weltsicht gehabt, für sie hatte jedes Ding seinen Platz, und wenn es Veränderungen gibt, dann können die nur mit allergrößtem Aufwand bewerkstelligt werden. Deswegen war Aristoteles der Meinung, da alles zu einem harmonischen Zustand strebt, ist der normale körperliche Zustand ein Zustand der Ruhe. Alles andere braucht Anstoß.

Fischer:

Das kann doch aber gar nicht sein. Die Olympischen Spiele würden ja gar nicht funktionieren. Nehmen Sie einen Speer und werfen den, Sie würden ja nur Ihren eigenen Fuß treffen. Ist die Welterklärung der Griechen vielleicht gar nicht so rational, sondern eher systematisch? Aristoteles sagt zwar, wir haben Freude an der Entdeckung der Welt. Aber wenn ich ein Modell habe wie er, ein Modell, das sagt, jedes Ding hat seinen Platz im Kosmos, dann verzichte ich auf die konkrete Wahrnehmung und setze lieber das Modell an die Stelle der Empirie. Mir kommt das nicht ganz geheuer vor. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass Aristoteles das Wort Bewegung in einer ganz anderen Weise verwendet wie wir das heute tun. Denn wenn wir von Bewegung sprechen, dann meinen wir im Zweifelsfall ganz konkret die Bewegung eines mechanischen Körpers, also eines Balles, der rollt, eines Speers, der fliegt, eines Autos, das fährt. Bewegung ist aber auch ein Wort, das auf einen inneren Zustand angewandt werden kann, z. B. wenn jemand erregt ist, befindet er sich in innerlicher Bewegung. Und diese Trennung zwischen dem, was sozusagen physisch passiert und psychisch passiert, war wohl in der griechischen Denkweise gar nicht gegeben.

Lesch:

Warum auch? Für die Griechen war der Mensch ein Teil der Natur. Ich glaube, das darf man nicht unterschätzen. Zur Harmonie des Kosmos gehörte der einzelne dazu.

Fischer:

Der entscheidende Schritt, der meiner Ansicht nach später im 17. Jahrhundert gelingt, in dem sich die modernen Wissenschaften konturieren, ist, dass wir im Unterschied zu den Griechen uns aus der Natur herausnehmen. Wir treten im Sinne Descartes der Natur gegenüber, die Natur wird zum Gegenstand, zum Objekt. Und dieses Heraustreten aus der Natur ist in der griechischen Denkweise gar nicht gegeben. Deshalb ist für die Griechen Bewegung das, was gleichzeitig in mir stattfindet und außerhalb meines Körpers stattfindet, und dann achtet man eben auf solche Ungenauigkeiten wie den Speer oder den Stein nicht. Hauptsache, man hat ein geordnetes System. Aber trotzdem, man hätte doch nachhaken können, es hätte doch einer von den aristotelischen Schülern sagen können, das stimmt doch nicht, der Stein fliegt doch weiter.

Lesch:

Das, was von den Griechen für uns übrig geblieben ist und das, was unser Wissensgebäude im Fundament ausmacht, ist ja vor allen Dingen – nach meiner Ansicht – erstens die Vorstellung, die Natur ist verständlich, ohne dass man die Götter zum Verstehen braucht. Wir können also mit unserer Vernunft und mit unserem Geist etwas von der Welt verstehen. Dafür gibt es sogar mathematische Gesetzmäßigkeiten (Pythagoras „Alles ist Zahl“ lässt sich aus der Natur ableiten). Aber was die Griechen nicht gemacht haben, war die Auseinandersetzung mit Experiment und Theorie. Was sie gemacht haben, war ideale Theorie, also: „Du kannst alles aus deinem Denken heraus ablesen, du kannst alles über die Welt lernen aus dem puren Denken heraus.“ Man nennt das den deduktiven Ansatz, das bedeutet quasi, man denkt sich die Welt von „oben herunter“, man muss keine Experimente machen, sondern man kann aus ganz allgemeinen Prinzipien die Welt erkennen. Das ist Idealismus in Reinkultur.

Fischer:

Ich vermute, dass deduktive Prinzip ist für die Griechen einleuchtender als z. B. das Gegenteil, das induktive Prinzip.

Lesch:

Vom Einzelfall auf das Allgemeine zu schließen.

Fischer:

Das kam ja erst später. Denn wenn Sie einen Einzelfall haben, woher wissen Sie, ob der morgen wieder eintritt und ob jeder Einzelfall das gleiche ergibt.

Lesch:

Genau da liegt „der Hund begraben“ nach meinem Dafürhalten. Die Griechen waren unglaublich scharf darauf, ein Weltbild zu kreieren, das alles erklärt, in das alles Phänomenale reinpasst. Viele meiner Kollegen sagen, das Tolle an der Physik sei, dass man nie so ganz genau weiß, was der nächste Tag bringt. Aber ein Weltbild, wie es in der Antike wunderbar rational durchdacht worden ist - ewige Gesetze, Einheit der Natur, mathematische Naturgesetze -, hat damit nichts zu tun, weil es Ordnung suggeriert, Harmonie, Statik. Heute sind wir vor allem an diesem programmatischen Charakter der Wissenschaft interessiert, dass Wissen sich eben wirklich verändern kann, vermehren kann und nicht so ein statischer Kasten ist, der irgendwann voll ist. Ich glaube, in der Beziehung haben die Griechen ein echtes Problem gehabt.

Fischer:

Sie meinen also, dass die Griechen nach einem geschlossenen geordneten System suchten, in das alles eingefügt werden konnte und wurde? Die Zahl symbolisiert ja so ein System. Die heilige Zahl war ja die Zahl 4. Deshalb musste man ganz bestimmte Elemente wählen, 4 an der Zahl, die vielleicht aus einem Urelement entstanden sind. Aber wenn man die 4 benannt hatte, dann fragte man auch nicht weiter, denn man hatte ein in sich geschlossenes System. Man hatte z. B. die vier Himmelsrichtungen, mit denen alles geordnet war, man orientierte sich an vier Elementartugenden, die man den Menschen zuschrieb.

Lesch:

Die vier Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Aristoteles hat noch ein fünftes dazu genommen.

Fischer:

Aristoteles hat zunächst überlegt, woher die vier Elemente kommen. Und er hat eine Urform der Materie postuliert, im Fachjargon „Prima Materia“ oder  „Urstoff“ genannt. Und merkwürdigerweise ist dieser Gedanke heute wieder aktuell. Denn dass tatsächlich aus einem Urstoff vier Elemente entstehen, ist gar nicht so abwegig. Denken Sie an die Urknall-Theorie, die knüpft an die Urmaterie-Hypothese in gewisser Weise an. Aber bleiben wir beim Thema Ordnung. Die Griechen haben offenbar ein Weltbild gesucht, das sich mathematisch begründen lässt, sich also in eine von den Zahlen gegebene Ordnung fügt. Wenn wir heute Erklärungen suchen, suchen wir immer auch nach den kausalen Zusammenhängen. Wenn wir von Bewegung sprechen, dann fragen wir nach der Ursache, der Kraft. Nach Ursachen haben die Griechen gar nicht gesucht.

Lesch:

Aristoteles hat z. B. mit dem ewigen Kosmos begonnen. Nach den Anfängen hat er gar nicht gefragt. Also beim wichtigsten Weltbild, das man überhaupt darstellen kann, nämlich wenn es um den ganzen Kosmos geht, da hat er sich um die Anfänge gar nicht gekümmert.

Fischer:

Das ist vielleicht auch ein sinnvoller Ansatz. Der Gedanke an den Anfang braucht ja eine ganz andere Form von Glauben oder eine ganz andere Form von Wissenschaft. Das kam dann 2000 Jahre später. Aber es ist trotzdem erstaunlich, dass wir aus der Antike ganz bestimmte Fragestellungen und Einteilungen übernommen haben. Wir haben ja immer noch das Gefühl, es gäbe eine sublunare Sphäre. Der Mond z. B. ist ja immer noch ein beeindruckendes Beobachtungselement. Wir sind zwar in gewisser Weise schlauer geworden, haben aber dennoch eine Sehnsucht nach dieser Ordnung, die dem antiken Weltbild zueigen war.

Lesch:

Das schöne an dem antiken Weltbild ist ja, dass der Mensch ein Teil vom Ganzen ist. Er kann sich in diesem Weltbild wohl aufgehoben fühlen. Das heutige Bild des Kosmos - der Kosmos ist leer, riesig, wie tot - gleicht doch eher einem Absurdistan.

Fischer:

Wir kennen aus der Zeit der Griechen ja die Sternbilder, die wir heute nur mit Schwierigkeiten entdecken können. Aber wenn ich heute frage, was ist mir lieber: ein Sternenbild oder eine Lehre mit Gasexplosionen und Quantenmechanik, dann nehme ich doch an, dass den meisten Menschen das Sternenbild lieber ist. Das erscheint vertraut, ich weiß, dass dort ein Zelt, das Himmelszelt, ist, das mich umgibt, dass ich hier auf der Erde in einer geschützten bevorzugten Position bin, in der ich mich wohl fühlen kann, die für mich da ist. Deshalb finde ich es verstehbar, weshalb mehr Menschen sich mit Astrologie befassen als mit Astronomie. Sie sind Astrophysiker, lässt Sie das kalt?

Lesch:

Nein, aber ich glaube wie Sie, dass es ein großer Fehler ist, Wissenschaft von denjenigen zu trennen, die sie machen. Lehrer an der Hochschule oder an einer Schule sollten ihren Studenten oder Schülern erklären, warum man eigentlich Wissenschaft betreibt, was die Antriebsfeder ist. Dann kommen wir nämlich wieder zurück auf den Satz aus der Metaphysik des Aristoteles, die Wissbegier. Es gibt Leute, die sind geldgierig, andere sind ruhmsüchtig und wieder andere sind neugierig. Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir aus guten Gründen offenbar mit einem Riesenkonto an Neugier ausgestattet, damit wir die Welt erforschen. Und die Astrologie liefert anscheinend vielen Menschen ein plausibles humanes Weltbild, das ihre Neugier befriedigt, ein bisschen wie Ptolemäus damals, und solange das zufriedenstellend ist, brauchen wir auch kein anderes. In den Wissenschaften existiert aber, nicht zuletzt, weil wir diese Trennung vorgenommen haben, eine Riesenkluft zwischen dem, was Wissenschaft heutzutage ist, und dem, was sie damals war. Damals war sie wesentlich bedeutsamer als heute. Heute ist Wissenschaft im Grunde eine große kalte Informationserzeugungsmaschine. Deswegen werden auch die Organisationsstrukturen der wissenschaftlichen Bereiche immer größer. Damals war das eine Sache von wenigen Einzelnen, die sich teilweise aus der Welt heraus in Akademien zurückgezogen und sich mit so existenziellen Fragen beschäftigt haben, was ist das für eine Welt und wie müssen wir sie deuten. Aber sie waren immer unter den Menschen. Ich glaube, es gibt keine schlimmere Entwicklung, als Universitäten draußen vor die Stadt zu stellen. Die müssen mitten in die Stadt unter die Leute, damit alle wissen, was dort gemacht wird und auch Kontakt dazu kriegen. Es wäre katastrophal, wenn aus der Vorstellung heraus, dass die Wissenschaften nichts mit dem Leben zu tun haben, letztlich die Idee resultiert, dass die Universitäten auch nichts mehr mit uns zu tun haben.

Fischer:

Ich will auf zwei Punkte nochmal eingehen. Die Neugierde halte ich für ganz essentiell. Ich glaube, dass wir als Kinder so neugierig sind, wie Aristoteles es beschrieben hat: wir sind ästhetisch neugierig, wir haben Lust, mit unseren Sinnen die Natur zu erobern. In unserem Schulunterricht findet das aber nicht mehr statt. Da werden den Schülern begriffliche Informationen und Gesetzmäßigkeiten beigebracht, die zwar richtig sind, die sie aber als ästhetische Wesen nicht besonders ansprechen. Ich glaube, dass man viel mehr Lust am wissenschaftlichen Treiben gewinnen könnte, wenn man der ästhetischen Neugierde ihren Lauf lässt. Zum zweiten Punkt: Astrologie heißt ja eigentlich Sinn der Sterne. Insofern drückt das Wort aus, was wir eigentlich suchen, nämlich den Sinn in den Sternen. Wir sagen ja immer: „Am Anfang war das Wort“, logos. Die eigentliche Frage war nicht, wo stehen die Sterne, sondern was sagen sie dir. Und das vermisst man heute manchmal. Wenn ich von einer genauen kosmischen Expansion spreche, dann macht das auf mich bezogen wenig Sinn, denn ich habe eine ganz andere Bedürftigkeit, schließlich habe ich ursprünglich die Frage gestellt mit meinen Sinnen. Das Sinnliche soll ja zum Sinnvollen werden. In der griechischen Wissenschaft war das noch vorhanden. Ich glaube, dass wir genau diese Debatte wieder aktualisieren sollten, und die müsste dann – da gebe ich Ihnen Recht – in der Mitte der Stadt geführt werden, nicht am Rande.

Lesch:

Ich glaube, das wäre sonst ein Riesenfehler, weil man viele Menschen entmutigen würde, ihrer eigenen Neugier nachzugeben. Dazu passt auch wieder das Motiv der Wissbegier. Das Interesse an etwas, das man auch nicht begründen muss, ist ja auch etwas, was einen in ästhetischer Hinsicht ausmacht. Man möchte einfach etwas lernen, etwas mitnehmen, ganz ohne Computer oder Bücher, es geht einfach darum, dass man das Gefühl bekommt, man hat etwas von der Welt verstanden, das man auch weitererzählen und zu sich in Beziehung setzen kann. Ein schönes Beispiel ist der Mondkalender, von dem ich eigentlich gar nichts halte. Aber wenn ich erfahre, dass ich ohne den Mond gar nicht auf unserem Planeten leben würde, weil die Erde sich ohne den Mond in 10 Stunden um die eigene Achse drehen würde, weil Dauerwindgeschwindigkeiten von mehreren hundert Stundenkilometern existierten, dann ist das hochinteressant und betrifft mein Leben!

Fischer:

Bei der Sinnfrage geht es ja darum, ich möchte den Ort verstehen, an dem ich bin. Bin ich zufällig hier? Das wäre sinnlos und kränkend. Wenn mir jemand sagen würde, ich sei nur zufällig hier, fände ich das nicht besonders berückend. Dazu bräuchte ich die ganze Wissenschaft nicht. Aber wenn ich mir sage, dass ich hier an einem Ort bin, der gewissermaßen im Kosmischen ausgewählt wurde, der eine Ausnahmestellung hat, dann ist das tröstlich und menschlich. Wie gesagt, was würde passieren, wenn der Mond weg wäre oder wenn unser Magnetfeld verschwinden würde. Wir auf der Erde leben wirklich an einem ausgewählten geschützten Ort. Hoimar von Ditfurth hat es in einem seiner Bücher so formuliert: Wir sind Kinder des Weltalls. Mit dieser Vorstellung fühle ich mich besser, insbesondere wenn sie mit der Rationalität, die wir bei den Griechen doch so bewundern, erklärt werden kann und ich das nicht nur irgendwelchen Predigern oder astronomischen Gespinsten abnehmen muss. Dieser Zusammenhang zwischen dem sinnlich Erfahrbaren und der Theorie und Begrifflichkeit kann die Freude an der Wissenschaft verstärken.

Lesch:

Das Schöne, was die Griechen uns gegeben haben, ist nach meinem Dafürhalten: Sie haben immer daran geglaubt, dass die Welt ein Geheimnis ist, dass es aber möglich ist, hinter dieses Geheimnis zu kommen, dass also etwas da sein muss, was es wert ist, erforscht, ergründet und begründet zu werden. Das halte ich für das ganz große Erbe, das uns die Griechen überlassen haben.

Fischer:

Dieser Gedanke kann sogar zur Lebensführung beitragen, z. B. aufgrund des Verständnisses, dass ich durch Neugierde und Systematisierung , die mir rational möglich ist, gewinne. Ich glaube ja auch, dass die ästhetische Neugierde, von der Aristoteles spricht, die Quelle der moralischen Betrachtungsweise ist, denn wenn ich etwa mein Gegenüber betrachte, dann habe ich auch zunächst einfach Freude, dass es ein Individuum ist, das mir entgegentritt, sich mir öffnet. Und dann habe ich gewissermaßen einen ästhetischen Zugang, der zu einem moralischen wird, weil ich das Besondere des Menschen, der mir gegenübersitzt, erkenne. Und ich glaube, dass in diesem Wahrnehmungsprozess die grundlegende Fähigkeit der Menschen, aufeinander zuzugehen, liegt. Schon in der Antike wurde formuliert, dass diese Fähigkeit zum Menschsein gehört. Das ist Teil der humanen Lebensführung, die wir von den Griechen übermittelt bekommen haben. Auf dieser Grundlage ist auch die Wissenschaft entstanden, die wir später umgeformt haben, um etwas anderes daraus zu machen.

Lesch:

Die Griechen haben festgestellt, der Mensch strebt nicht nur nach Erlösung, sondern er will auch etwas wissen. Und diesen Übergang müssen wir uns jetzt im nächsten Teil unseres Gesprächs, in dem es um das Mittelalter geht, anschauen. **

Die Geburt der modernen Wissenschaft (2)

Das 16. Jahrhundert und seine neuen Voraussetzungen

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INHALT2

Ansage:

Heute mit dem Thema: „Die Geburt der modernen Naturwissenschaft, Teil 2 – das 16., 17. und 18. Jahrhundert und die neuen Voraussetzungen“.

Nach dem Ende des Mittelalters kommt es in Europa zu einer neuen Blütezeit für die Kultur und vor allem die Naturwissenschaften. Sie wurde vor allem ermöglicht durch eine neue Hinwendung zur Empirie, zur konkreten Erfahrungswirklichkeit, durch technische Innovationen, wie die Entwicklung des Fernrohrs und Mikroskops, und durch Einführung einer neuen Methode der rationalen Analyse, die man gemeinhin als „Reduktionismus“ bezeichnet. Der Philosoph Descartes hat diese Methode entwickelt.

Auf diese Elemente gehen der Astrophysiker Harald Lesch und der Wissenschaftsgeschichtler Ernst Peter Fischer im zweiten Teil ihrer Gesprächsreihe ein, und natürlich kommen sie auch auf eine Revolution zu sprechen, auf das neue kopernikanische Weltbild, das ohne die eben erwähnten Innovationen nicht hätte entwickelt werden können.

Ernst Peter Fischer und Harald Lesch:

Fischer:

Wir wollen uns heute langsam der Neuzeit nähern, dem 16./17. Jahrhundert und dafür kein einleitendes Zitat benutzen, sondern eine hübsche Geschichte: In seinen Tischreden hat Martin Luther sich darüber beklagt, dass die Astronomie, die doch eigentlich so gut sein sollte und alles vorhersagen konnte, doch nicht so recht funktionierte. Irgendwie kamen die Konjunktionen immer etwas später, als vorhergesagt, die Sonnenfinsternisse oder Mondfinsternisse traten ein paar Tage später ein. Das hat Luther beklagt. Damit rief er natürlich Leute auf den Plan, die in astrophysikalischer Hinsicht alles besser machen wollten. Einer von denen war Kopernikus.

Lesch:

Man muss hinzufügen, dass Martin Luther einer von den klassischen Vertretern war, die im Grunde genommen von Naturwissenschaften gar nicht viel gehalten haben. Das war für ihn nicht so wichtig. Luther argumentierte: „Was kann mir ein Baum über Gott erzählen?“ Aber es ist bezeichnend für die Krise, in die das Weltbild der guten alten Antike während der Lutherzeit hineingekommen ist. Denn die Menschen merkten, irgendetwas kann mit diesem alten Weltbild nicht stimmen. Sie beobachten zunehmend Himmelsbewegungen, die sie nicht mehr verstehen. Und im Gegensatz zur Antike und zum Mittelalter beobachten die Menschen mittlerweile präziser. Während bei den Griechen jede Beobachtung mit den Sinnen, also etwa den Augen gemacht wurde, hatte man jetzt Geräte entwickelt, mit denen man viel genauer sehen konnte. Die Probleme, die im späten Mittelalter mit dem alten antiken Weltbild auftauchen, haben viel damit zu tun, dass man viel besser hinschauen konnte und dadurch Phänomene entdeckte, die man vorher einfach nicht wahrnehmen konnte.

Fischer:

Wir reden zwar noch nicht vom konkreten leistungsfähigen Fernrohr, aber der Gedanke an das Fernrohr war immerhin schon da. Im 13. Jahrhundert hat Bacon gesagt, wie schon wäre es, wenn wir die Sterne näher sehen könnten. Es war ein Fernrohr, das er im Sinn hatte. Er kannte natürlich noch nicht die optischen Möglichkeiten oder das Glas, das man schleifen konnte, aber das wurde kurz darauf entwickelte im 14./15. Jahrhundert. Anfang des 17. Jahrhunderts war das erste Fernrohr gebaut, erst von einem holländischen Brillenmacher, dann stark verbessert 1609 von Galileo Galilei. Und von dem Moment an begann eine ganz neue Ära der Kosmologie. Die Menschheit teilt sich ein in solche Menschen, die durch das Fernrohr schauen, und solche, die das gar nicht wollen. Selbst Goethe war noch der Meinung: „Fernröhre verderben nur den reinen Menschensinn“. Aber wieder zurück zu Martin Luther und seiner Mahnung an die Astronomie, dass sie nicht mehr stimmte. In diesem Kontext kam Nikolaus Kopernikus auf eine hübsche einfache Idee.

Lesch:

Er setzte die Sonne ins Zentrum des Sonnensystems und ließ die anderen Planeten um die Sonne herum kreisen. Es war nicht mehr die Erde der Mittelpunkt, sondern die Sonne. Das ist die berühmte kopernikanische Wende. Aber Kopernikus hat bei seinen Überlegungen gleichzeitig einen Fehler gemacht: Er ist nämlich immer noch davon ausgegangen, dass die Planeten und deren Bahnen harmonisch sind, weil von Gott gemacht. Das führte zu dem Problem, dass dieses kopernikanische Weltbild immer noch nicht stimmte. Die Kreisbahnen von Kopernikus waren lange nicht so gut wie die epizyklischen Bahnen im Ptolemäischen Weltbild. Und das hat wohl auch ein bisschen den Misserfolg des Kopernikanischen Weltbildes verursacht.

Fischer:

Das ist eine merkwürdige Entdeckung der Wissenschaftsgeschichte, dass man mit Kopernikus ja sehr unzufrieden war. Er hat nicht besser erklärt als Ptolemäus, er hat eher noch unwahrscheinlichere Ideen eingeführt. Zwar wird heute immer behauptet, dass Kopernikus in dem Moment, wo er die Erde aus der Mitte der Welt nahm, sie an den Rand gedrängt hätte. Aber das ist ein Missverständnis. Das Mittelalter hat ja die zentrale Position der Erde nur zugelassen, weil es die niedrigste ist. Der niedrigste Punkt in einer räumlichen Konstruktion ist die Mitte. Kant hat später mal vom „Abtritt der Welt“ gesprochen, und auf dieser Position befand sich die Erde. Und Kopernikus riskierte es, die Erde näher zu den Göttern, die ja nicht in der Mitte positioniert waren, zu bringen. Das war ein sehr revolutionärer Gedanke. Leider hatte er kein gutes wissenschaftliches Argument dafür, er hatte keine Beobachtungsdaten, die für diese These sprachen. Außerdem hatte man ihm gesagt, den Gedanken habe es schon vor Tausenden von Jahren gegeben und er sei verworfen worden, weil die empirische Evidenz dagegen spreche. Z. B. spricht ja auch der Sinneseindruck dagegen, denn ich sehe ja, dass die Sonne aufgeht, und ich sehe, dass die Sonne untergeht. Und dabei tritt natürlich eine Spaltung ein, nämlich ich kann offenbar auf zwei Weisen etwas wissen, das ist das, was Kopernikus uns mitteilt: Ich kann einerseits etwas wissen durch die Sinne, aber andererseits setze ich mich über den Sinneseindruck hinweg und versuche, ein Gesamtverständnis der Himmelsbewegungen zu erlangen. Letzteres hat Kopernikus versucht. Das finden wir heute ganz sensationell und denken, die ganze Welt müsste zu seiner Zeit aufgeregt umher gehüpft sein vor Freude. Aber in Wahrheit hat sich gar keiner darum gekümmert, die Leute hat das völlig kalt gelassen, Melanchthon hat z. B. gesagt: Wen interessiert das alles, es gibt wichtigere Dinge.

Lesch:

Daran hat sich heute nicht viel geändert. Wenn die Wissenschaft etwas entdeckt, verschwindet das doch recht schnell wieder hinter Korruptionsaffären, Promigeschichten usw. Immer noch ist Wissenschaft etwas für Wenige. Aber dennoch ist die Grundlage unseres abendländischen Denkens, wie ich finde, die Suche nach Wissen. Und wenn wir hier vom Mittelalter sprechen oder von Kopernikus, der ja schon in die Renaissance, in die Neuzeit gehört, dürfen wir eines nicht vergessen: Wir haben mit den Griechen und Römern und der Zeit, von der wir gerade reden, Epochen, in der die Leute auch gedacht haben, sie waren ja nicht dumm – aber sie hatten im Gegensatz zu Kopernikus ein Riesenproblem, sie mussten nämlich die Vernunft, die Wissbegier zusammenbringen mit Religion, also mit der klaren theologischen Vorgabe: Wahrheit ist, was sich mit dem katholischen Religionsinhalt deckt. Daraus entwickelte sich dann im Mittelalter ein Denksystem, die Scholastik, die eine systematische Methode zur Wahrheitsfindung liefern wollte: Man hörte ein Argument an, hörte das Gegenargument und entschied dann, was die Wahrheit ist. Also man hatte ein sehr formales Schema entdeckt, ein sehr exaktes Denken entwickelt im Rahmen dieser scholastischen Philosophie. Und das ist der Punkt, der später auch ganz wichtig wird, wenn man sich damit auseinander setzt, wie können wir dieses Neue, diese Anomalien der Empirie, die sich dann z. B. in Fernrohren zeigten, wie können wir diese Phänomene in Wissen übertragen. Ein klares gesetzmäßiges Denken, was meines Erachtens von den Römern stammt, der Glaube der Griechen, dass die Natur verständlich ist und zu guter Letzt die Synthese der beiden Denkweisen in der scholastischen Philosophie, das sind für mich die drei drei Pfeiler, die für hin zu Kopernikus und dann zu den ganz Großen der mittelalterlichen und der neuzeitlichen Wissensgesellschaft in Europa führen.

Fischer:

Hier finden tatsächlich zwei große Traditionen zusammen: die Wissenschaftstradition und die religiöse Tradition. Beide Bereiche sind spezifisch für uns Menschen: Wir sind sowohl transzendenz- und glaubensfähig als auch wissenschafts- und rationalisierungsfähig. Und das muss jetzt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit zusammengebracht werden. Der erste, der das systematisch riskiert, ist Keppler. Keppler betrachtet ja seine Wissenschaft als Gottesdienst, und er ist für die neue kopernikanische Anordnung der Planeten mit der Sonne im Zentrum aus religiösen Gründen. Denn das ist für ihn sozusagen der angemessene Platz eines Zentralgestirns, und ich kann gewissermaßen in der Bewegung der Planeten einen Ewigkeits-Charakter erkennen. Und für Keppler ist das Kopernikanische Modell quasi die Verwirklichung der Trinität im Himmel. Also versucht er, alles in diesem Sinne zu deuten, und daraufhin entwickelt er seine Planetengesetze. Und jetzt ist plötzlich das erfüllt, was man in der Antike erhofft hatte, nämlich eine mathematische Beschreibung dieser Gesetze. Das muss ein unbeschreibliches, ein existentielles Erlebnis gewesen sein. Keppler dankt übrigens Gott dafür, nicht Pythagoras oder seinem Verstand, sondern Gott. Ich glaube, er hat wohl heilige Raserei empfunden, ist tagelang nicht ins Bett gekommen und hat große Partys gefeiert – und er hat dabei eine Methode entwickelt, wie man das Volumen von Weinfässern bestimmen kann, um nicht betrogen zu werden. Das ist eine unglaublich spannende Geschichte. Jetzt arbeitet Keppler auch mit einem Fernrohr, und das eröffnet ihm ganz neue Welten, die übrigens die Vorstellung, es gebe nur ideale Welten jenseits des Mondes, zerstörten. Eine berühmte Entdeckung sind ja die Sonnenflecken. Plötzlich ist diese kosmische supralunare Welt gar nicht mehr rein, sondern sie hat Flecken. Und Galilei macht ja z. B. die Entdeckung, dass der Mond gar keine ideale Kugel ist, sondern er hat Berge und Hügel. Jetzt also, im frühen 17. Jahrhundert, entsteht eine ganz neue Wissenschaft. Historiker sprechen in bezug auf diese Jahre zwischen 1610 und 1620 von der Geburt der modernen Wissenschaft in Europa.

Lesch:

Das gab es nur in Europa. Dieses Jahrhundert ist das europäische Jahrhundert

Fischer:

Ja, Keppler aus Deutschland bzw. Württemberg, um genauer zu sein, Francis Bacon aus England, der die Postulate aufstellt, die wir heute in der Kurzform kennen „Wissen ist Macht“. Damit ist eigentlich gemeint, dass man die Natur verstehen muss, um sie für den Menschen nutzbringend einsetzen zu können. Denn der Grundgedanke Bacons ist: Damals war man nicht mehr nur neugierig, sondern man war auch gewissermaßen orientiert an der menschlichen Situation. Die Lebensbedingungen der Menschen im ausgehenden 16. Jahrhundert waren nicht so erfreulich. Man muss sich nur zu überlegen, was damals passierte, wenn jemand Kopf- oder Zahnschmerzen hatte, da passierte nämlich gar nichts. Also das sind Dinge, die mussten verbessert werden. Die Frage war nur, wie. Und als Antwort fand man die Anwendung systematischer, rationeller Wissenschaft, die zunächst mal natürlich kosmologisch orientiert war. Dann kommen noch der Italiener Galilei und nicht zu vergessen der Franzose René Descartes, der dem Ganzen einen methodischen Rahmen gibt und der uns sagt, wie wir überhaupt Dinge analysieren, nämlich durch das Verfahren, das wir bis heute benutzen und das man als Reduktionismus bezeichnet. Spannend ist dabei für mich, was jetzt tatsächlich von der Antike abweicht: Erstens die Einführung der induktiven Logik, also ich frage jetzt, wie kann ich aus einer einzigen Beobachtung eine allgemeingültige Aussage ableiten, also zu Wissen kommen. Und der zweite Punkt ist, dass Francis Bacon feststellt, dass der Beobachter, also der Mensch, der Natur gegenübersteht. Das Wort „Gegenstand“ tauchte damals in der deutschen Sprache auf, lateinisch: das Objekt, und seitdem sprechen wir von „objektiver Kenntnis“, die ein Subjekt machen kann. Das Wort „Subjekt“ kommt übrigens aus dem Lateinischen: „subjacere“, also ich bin derjenige, der sich der Natur unterwirft, und indem ich mich der Natur unterwerfe, kann ich sie beherrschen. Das ist diese hübsche Dialektik, die in dieser Kurzformel „Wissen ist Macht“ drinsteckt.

Lesch:

Bacon hat wie viele andere ja auch in dieser Zeit erkannt, dass es so nicht mehr weitergeht, wie es bis dahin gelaufen ist. Das Weltbild des Mittelalters basierte ja auf der Prämisse: Es gibt Gott, und Gott illuminiert gewissermaßen die Welt, er illuminiert auch diejenigen, die sich damit beschäftigen, was die Welt eigentlich ist, er kann sie sozusagen erleuchten. Und jetzt kommen auf einmal Wissenschaftler, die fangen an mit diesem Induktionsansatz, sie wenden sich den Phänomenen zu, und sie führen das Experiment ein. Sie nörgeln an dem traditionellen religiös gefärbten Weltbild herum, das könne doch gar nicht stimmen. Kaum eine Szenerie kann man sich eindrucksvoller vorstellen, als Galilei zum Kardinal sagte: „Guck doch ins Fernrohr rein, ich kann’s doch nicht ändern, ich habe die Welt nicht gemacht, guck doch rein!“ Und der Kardinal wendet sich ab: „Nein, da guck ich nicht rein, das mache ich nicht.“ Diese Szene muss unglaublich gewesen sein.

Fischer:

Ich meine, es war so, dass man mithilfe der geeigneten Instrumente mehr sehen kann und auch mehr sehen will. Und trotzdem hatte das neue Weltbild damals noch immer eine griechische Grundstruktur. Denn Galileo mahnt an, die Sprache, in der wir Wissen ausdrücken, müsse die Sprache der Mathematik oder Geometrie sein. Mich wundert, wie er auf diese Idee kommt. Denn er selbst hat doch Zeit seines Lebens kein einziges mathematisches Gesetz gekannt. Wie kann er dann verkünden, dass das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben werden müsse.

Lesch:

Das möchte ich auch gerne wissen. Auf jeden Fall zeugt das von echtem Gottvertrauen in die Mathematik, nun fängt man an zu messen, Zahlen aufzuschreiben, zu subtrahieren, multiplizieren usw. In diesem Zusammenhang muss man sagen, da haben die Griechen sozusagen „durchregiert“, bis weit in die frühe Neuzeit hinein sind ihre Vorstellungen und Prämissen gültig: Es gibt Naturgesetze, die Natur ist eine Einheit und sie lässt sich mathematisch beschreiben.

Fischer:

Dabei sind diese Gesetze noch gar nicht vorhanden, eigentlich kann man wirklich nur von einem Versprechen reden. Aber diese Versprechen sind, wie wir wissen, Jahrhunderte später tatsächlich von Isaac Newton erfüllt worden mit seinem bekannten Prinzip: Kraft gleich Masse mal Beschleunigung. Er war schon sehr mutig. Eigentlich war er auf der Suche nach dem sogenannten Fallgesetz, er fragte, wie kann ich die Strecke, die beim freien Fall zurückgelegt wird, mit der Zeit, die dabei vergeht, korrelieren. Leider ist er nicht auf das richtige Gesetz gekommen. Ähnliches kann man bei Keppler feststellen. Er versuchte, den Gang des Lichtes bei Brechungsphänomenen zu beobachten, es ist ihm auch nicht gelungen. Trotzdem – beide waren besessen und überzeugt davon, dass es solche Naturgesetze gibt. Das muss offensichtlich ein urmenschlichen Vertrauen sein, und ich vermute, dass wir das so haben, weil wir gar keine andere Chance haben. Wenn wir nicht so eine Ordnung, die aus uns kommt, auf die Natur projizieren können, um die Natur verständlicher zu machen, dann braucht man diese Ordnung gar nicht.

Lesch:

Wenn ich mir überlege, was Kant alles über die Natur geschrieben hat in seinem unnachahmlichen Stil, und ich müsste gleichzeitig vieles von dem, was Newton in seiner Mechanik ausgerechnet hat, in Worte fassen, ich müsste meterweise Bände schreiben, um das einigermaßen ausdrücken zu können. Die Mathematik, die Sprache der Mathematik hat dagegen den Riesenvorteil, dass sie eine Sprache ist, in der Information ganz verdichtet übermittelt werden kann. Bei den mathematischen Symbolen handelt es sich ja eigentlich um Verdichtungssymbole. Eine riesige Menge an Lösungen steckt z. B. in einer einzigen Gleichung drin. Das sieht man ihr auf den ersten Blick gar nicht an. Ich denke, Carl Friedrich von Weizsäcker hatte recht, als er sagte: Das Tiefste, was wir von der Natur überhaupt sagen können, sind wahrscheinlich die mathematischen Naturgesetze. Gibt es eine andere Möglichkeit, die Natur zu erfassen?

Fischer:

Das ist ja genau die Frage, die wir uns heute stellen müssen, die Sie sich als Astrophysiker sicher jeden Tag stellen. Zweifellos gibt es Menschen, die mit der Mathematik ungefähr so gut zurecht kommen wie ich mit einem Saxophon, nämlich überhaupt nicht. Ich frage mich, wie man diesen Menschen helfen kann. Nehmen wir das Beispiel der Relativitätstheorie von Albert Einstein. Wer versteht schon, was da genau dahintersteckt? Dabei beschreibt Einstein die Welt, in der wir leben. Ist es nicht unfair, dass die Beschreibung der Welt, in der ich lebe, in einer Sprache geschieht, die ich nicht verstehe? Also ist die Aufgabe der richtigen Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse gestellt. Aber Sie haben meiner Ansicht nach das Schlüsselwort schon genannt: Die Mathematik arbeitet mit Symbolen. Nun sprechen Symbole nicht nur meine Rationalität an, sondern auch meine ganze Emotionalität. Und es gibt eben Menschen, die haben ein falsches Verständnis von mathematischen Symbolen. Für sie sind das eigentlich keine Symbole, sondern irgendwelche Regeln, die sie mit viel Anstrengung auch noch nachvollziehen müssen, aber irgendwann wenn, es über das Integrieren etc. hinausgeht, kommt das Gefühl der Resignation auf. Also müssen wir versuchen, andere Symbole zu finden. Ich denke da z. B. an Symbole der Kunst, an eine Verbindung von Mathematik und Kunst.

Aber kommen wir zurück zu unserem Thema. Zunächst mal ist festzuhalten, dass mit Hilfe der Mathematik die Natur immer genauer und besser beschrieben werden konnte. Isaac Newton hat kurz vor 1700 in seinen „Prinzipia Mathematica“ das Weltbild konturiert, das wir auch heute noch haben. Aber wir dürfen noch etwas nicht vergessen: Was uns bis heute noch beschäftigt, das ist der Einfluss von Descartes. Er trennt das, was in der Antike noch vereint ist, nämlich das Psychische und das Physische, er spricht von „res cogitans“, das entspricht quasi einer geistigen Welt, und von „res extensa“, das ist die Körperwelt. In unserer ganz modernen Wissenschaft haben wir heute damit zu kämpfen, diesen kartesischen Schnitt, diese Trennung wieder aufzuheben. Bei Aristoteles ist es ja noch so gewesen, dass ich etwa das Wort Bewegung beliebig für innere und äußere Bewegung benutzen konnte. Wenn wir heute von Bewegung sprechen, müssen wir spezifizieren, ist die Seele gemeint oder die Bewegung eines Speers, beide Bereiche sind getrennt, Descartes trennte sehr scharf, aber offenbar trifft das in seiner Zeit auf fruchtbaren Boden, denn seine Zeitgenossen und auch wir Modernen nehmen das auf, wir kommen damit erfolgreich zurecht. Denn er ist ja auch jemand, der am menschlichen Wohlleben interessiert war und gerne den Nutzen seiner Gedanken sehen wollte.

Die andere Sache, die Descartes einführt, er gibt eine Systematik vor. Er sagt, wir verstehen einen Gegenstand nur, indem wir ihn zerlegen in seine Einzelteile. Wir zerlegen z. B. einen Organismus in die Organe, die Organe in die Gewebe, wir zerlegen die Gewebe in die Zellen, die Zellen in die Moleküle. Dieses Verfahren nennt man Reduktionismus, und das funktioniert bis in die heutige Zeit – mit Schwierigkeiten natürlich. Jedenfalls haben wir seit Descartes diese Vorgabe, wir zerlegen, wir trennen, aber wir streben zugleich auch eine Einheit an. Wir möchten nach wie vor das Ganze erklären. So erfolgreich die Wissenschaft vom 17. Jahrhundert an wird, so erfolgreich uns die Wissenschaft die Möglichkeiten liefert, die wir heute als Zivilisationsmenschen haben, so lässt sie doch das einheitliche Weltbild, das wir aus der Antike kennen, vermissen.

Lesch:

Man kann nicht alles haben, man kann nicht zwei Herren dienen. Es gibt eben nur diese beiden Möglichkeiten: Entweder man nimmt etwas auseinander wie Descartes oder man betrachtet das Ganze wie die Griechen. Natürlich könnte man auf den aristotelischen Satz zurückkommen, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Das ist sicherlich etwas, was uns im 20. Jahrhundert noch sehr beschäftigen wird, wenn es nämlich um den Begriff der Wechselwirkung geht. Aber für den Moment halten wir fest, dass Aristoteles die Wissbegier des Menschen und Descartes den Zweifel des Menschen begründet haben. Nun sind ja Zweifel und Wissbegier zwei sehr wichtige Elemente naturwissenschaftlichen Tuns. Dazu gehören Fragen wie: Stimmt denn das, was ich da lese, überhaupt, ist das richtig, was ich sehe? Ein großer Teil unseres wissenschaftliches Programms hat ja mit diesen Zweifeln zu tun. Aber den Descarteschen Schnitt, den Sie erwähnt haben, gleicht für mich dem Grand Canyon, und zwar dem Grand Canyon, in den man ganz schnell hineinfällt, wenn man Wissenschaft nur von außen betrachtet. Der Mensch fühlt sich selbst, er ist ein Lebewesen mit Hoffnungen, Visionen, Ängsten usw., er ist einmalige Unwiederholbarkeit, vor allem aber auch ein zeitliches Wesen. Und auf der anderen Seite ist die Welt der Dinge mit Naturgesetzen, die angeblich ewig gelten, mit Symmetrien, Erhaltungssätzen. Da kann man sich schon mal fragen, was habe ich als Einzelner, als Subjekt mit dieser Welt zu tun? Und ich glaube, ein großer Teil der Ablehnung von Naturwissenschaft rührt daher, dass über den Decarteschen Graben viel zu wenig Brücken gebaut worden sind, höchstens vielleicht Hängebrücken, bei denen es einem ziemlich übel werden kann, wenn man darüber geht. Mit diesen Brücken meine ich zum Beispiel das Physik-Studium. Also wir müssen die Trennung von Descartes in Natur und Mensch, Objekt und Subjekt wieder überwinden, es zeigt uns nur keiner, wie uns das gelingen kann. Descartes ist natürlich jemand, der uns ganz klar gezeigt hat: durch das Zerteilen eines großen Problems erhält man kleinere Probleme, die man auch lösen kann. Das ist das eigentlich Wichtige und sozusagen das Erfolgsgeheimnis der Physik.

Fischer:

Es ist sogar das Erfolgsgeheimnis der ganze Wissenschaft. Descartes zerlegt sozusagen von oben nach unten, das passiert ganz automatisch bei einem Experiment, beim Zerschneiden eines Körpers z. B., und dabei entstehen Ebenen, also die Ebene der Organe, die Ebene der Gewebe, die Ebene der Zellen, die Ebene der Moleküle. Und auf jeder Ebene etabliert sich im Gefolge von Descartes eine Wissenschaft: die Molekularbiologie, die Histologie, die Physiologie, die Atomphysik und die Physik der Elementarteilchen, und über allem die Kosmologie.

Lesch:

Aber wenn ich zum Arzt gehe, will ich doch auch nicht als Biomatsch mit Überbau angeguckt werden, als bloßer naturhafter Körper, der nach Gesetzen funktioniert!

Fischer:

Der Arzt sollte natürlich die Einheit von Körper und Geist im Blick haben, aber zunächst mal muss er diagnostizieren. Und das bedeutet, dann guckt er nur eine Zelle an, ein Gewebe oder ein Organ, und dann sind Sie eben der „Magen“ von Zimmer 13. Der Erfolg der Baconschen Wissenschaft bestand ja in der Kreierung der Objektivität, also wir können die Welt beschreiben, als ob wir gar nicht dabei wären. Das ist übrigens auch der Newtonsche Triumph, der Mensch kommt im naturwissenschaftlichen Weltbild gar nicht mehr vor, sondern nur die sachliche, objektive, vollständige Beschreibung von etwas. In der Medizin hat das eben zur Folge, dass auch der Mensch ein Objekt geworden ist. Nur ist der Mensch niemals nur Objekt, sondern immer auch Subjekt, obwohl es ganz bequem sein kann, Objekt zu sein: Ich lasse mich vermessen, ich lasse mich untersuchen, ich lasse mich mit einer Tablette versorgen. Der Gedanke, dass Objektivität möglich ist, dass dadurch eine vollständiges Wissen erreichbar ist, wird über Newtons Erfolg vermittelt. Nun hat Newton nicht nur die Versprechen von Galilei, Bacon und Descartes umgesetzt, sondern Newtons Erfolg verleitet ja auch noch einen großen Philosophen, nämlich Immanuel Kant, zu der Annahme, dass die mathematische exakte Beschreibung der Natur das Ende ist, die Wahrheit an sich, ein Endpunkt einer geschichtlichen Entwicklung. Tatsächlich ist ja die „Kritik der reinen Vernunft“ von Kant nicht nur eine Kritik an der Vernunft, sondern eine Verherrlichung von Newton. Das sollte man mal deutlich machen. Da wird gesagt, dass Newton alles gewusst hat und wir können uns nach ihm zur Ruhe setzen. Und das ist ja eigentlich der Grundgedanke der Aufklärung. Die Aufklärung sagt, dass die rationale Behandlung möglich ist, dass sie vollständig ist und dass sie sozusagen auch zu einem Menschenbild führt, in dem ich dem Menschen sogar sagen kann, wie er zum irdischen Glück kommen kann. Das sind die Manifeste der Aufklärung etwa um 1790 herum, die im Gefolge der Newtonschen Physik entstehen. Die Physik wird zum großen Vorbild für die Wissenschaften, auch für die Wissenschaft, die die Menschen und die Gesellschaft betrachtet – und gleichzeitig wehren sich Leute plötzlich dagegen. Und damit sind wir in der Epoche der Geistesgeschichte, die mit dem 19. Jahrhundert beginnt. In diesem Jahrhundert tritt der Aufklärung die Romantik entgegen, die sagt, dass die Vernunft auch ihre Grenzen hat und es Dinge gibt, an die die Wissenschaft nicht heranreicht. Das einfachste Beispiel dafür ist der Mensch als Individuum. Denn das Individuelle entzieht sich der Physik. Ein Experiment setzt voraus, dass etwas immer wieder reproduzierbar ist. Das ist das menschliche Leben nicht.

Lesch:

Ich gebe Ihnen völlig recht. Aber eine Sache müssen wir noch ansprechen. Dieser Gedanke, dass das Weltbild eigentlich komplett ist, dass die Natur wie eine Maschine ist, die man ganz genau berechnen kann, die mich als Mensch nicht berührt, mit der ich machen kann, was ich möchte, ohne dass es für mich Konsequenzen hätte, damit schlagen wir uns heute immer noch herum, auch wir glauben doch, wir hätten mit der Natur nichts zu tun, sie würde wie eine Maschine funktionieren.

Fischer:

Ja, und wir können beliebig viel Macht über sie gewinnen. Und das führt im 19. Jahrhundert nicht nur zum Gedanken der Romantik, sondern gleichzeitig entsteht die Industrialisierung, die auf Naturausbeutung basiert, die wir heute mit allen Komplikationen zu spüren bekommen.

Lesch:

Zusammengefasst können wir also sagen, der Verzicht auf metaphysische Fragestellungen, die Hinwendung zur mathematischen exakten Methodik hat zwar zu dem riesigen Erfolg der Naturwissenschaften geführt, aber auch zu jeder Menge Schwierigkeiten. Und über diese Schwierigkeiten müssen wir im nächsten Teil reden

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Die Geburt der modernen Wissenschaft (3)

Quantensprünge und andere Revolutionen

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INHALT 3

Ansage:

Heute mit dem Thema: „Die Geburt der modernen Naturwissenschaften, Teil 3 - Quantensprünge und andere Revolutionen“.

In der letzten Sendung haben der Astrophysiker Harald Lesch und der Wissenschaftsgeschichtler Ernst Peter Fischer gezeigt, wie das 17. und 18. Jahrhundert von der Descarteschen Rationalität durchdrungen ist. Die Natur wurde als Maschine gesehen, die nach statischen Gesetzen funktioniert, die man mit Hilfe der Mathematik präzise beschreiben kann.

Dieses Paradigma wird im 19. Jahrhundert überwunden: Mit der Quantenmechanik halten der Zufall, das Uneindeutige, das Unbestimmbare und die Statistik Einzug in die Naturwissenschaften. Die gute alte Newtonsche Mechanik gilt nur noch für den Makrokosmos, nicht mehr für die Welt der Atome.

Die Grundlagen der neuen Weltsicht beschreiben im dritten Teil Ernst Peter Fischer und Harald Lesch.

Ernst Peter Fischer und Harald Lesch:

Fischer:

Wir wollen uns allmählich der Moderne nähern, aber wir müssen noch kurz über das große 19. Jahrhundert reden, das in Bezug auf die Wissenschaften gerne unterschätzt wird. Ich habe früher den Eindruck gehabt, man springt sofort von der Renaissance in die Moderne, aber dazwischen liegt eben das spannende 19. Jahrhundert, das für die Gesellschaft und die Wissenschaft eine große Bedeutung hatte, in dem die Industrialisierung entsteht. Aber es entsteht auch ein ganz neuer Gedanke. Das ist der Gedanke der Wahrscheinlichkeit und der Statistik. Plötzlich sind die Naturgesetze nicht mehr deterministischer Art wie sie bei Newton noch sind, sondern sie nehmen einen statistischen Charakter an. Gerade die Gesetze, die im 19. Jahrhundert entdeckt werden, die für die Evolution gelten oder für die Physik, für die kinetische Gastheorie, die versucht, Thermodynamik oder Wärmelehre zu treiben, indem sie z. B. die Temperatur, den Druck eines Gases aus der Bewegung seiner Teilchen folgert, gerade diese Gesetze sind von der Statistik stark geprägt. Der amerikanische Philosoph Charles S. Peirce hat einmal darauf hingewiesen, indem er etwa die Physik des 19. Jahrhunderts mit Darwins Theorien verglichen hatte. Und Darwin sagt ja nicht, wenn da eine bestimmte Nische ist, dann wird sich genau ein Lebewesen entwickeln, das da hineinpasst, sondern es wird eine Wahrscheinlichkeit geben, dass sich das Leben mit den und den Eigenschaften entwicklen wird. Also ist die Grundüberlegung von Darwin statistischer Art. Der Amerikaner Charles S. Peirce hat dafür eine merkwürdig-hübsche Formulierung gefunden: Er sagt, die Welt besteht eigentlich aus Gesetzen des Hickeldy Pickeldy, also wir leben in einer Welt voller Hickeldy Pickeldy, und das Wunder ist, das wir gar nicht so agieren. Denn ich rede ja nicht Hickeldy Pickeldy, ich weiß ja, was ich als nächstes sage, ich mache verständliche Aussagen. Wie mache ich das eigentlich in einer Welt, die eigentlich von Wahrscheinlichkeiten und von Statistik regiert wird? Wie weiß ich, welches Bier ich bestelle, ob ich Rot- oder Weißwein will? Wie komme ich in einer Welt der Statistik und Wahrscheinlichkeit zu einer klaren Entscheidung, z. B. zu der Entscheidung, dass ich jetzt aufhöre zu sprechen.

Lesch:

Ich glaube, dass diese Hinwendung der modernen Physik zur Statistik etwas damit zu tun hat, dass die Wissenschaften die Wirklichkeit immer mehr zur Kenntnis nehmen. Sie reden weniger von einer idealen Welt, sondern gehen dazu über, Tatsachen beschreiben zu wollen. Und dabei wird deutlich, so einfach, wie man bisher dachte, ist es gar nicht. Es gibt immer leichte Veränderungen und Abweichungen vom Normalfall, der Normalfall lässt sich nicht mal mehr eindeutig definieren, sondern es ist immer etwas Hickeldy Pickeldy.

Fischer:

Man macht viele Messungen, die nicht immer dasselbe Ergebnis bringen. Es gibt plötzlich immer die Schwankungen.

Lesch:

Genau. Und so entwickelt sich die Fehlerrechnung, der Fehler wird mit angegeben, die Empirie, also die experimentellen Wissenschaften, werden wichtiger und wichtiger. Und man stellt fest, dass die hehren Ziele einer Theorie, einer Gottesschau mit mathematischen Naturgesetzen, nicht zutreffen. Die Wirklichkeit beinhaltet, wenn man sie pragmatisch betrachtet, ein Sowohl-Als-.Auch, und da ist die statistische Beschreibung der Welt natürlich etwas ganz Wichtiges, und sie führt auch zu einer Lösung eines Problems. Man kommt nämlich zu dem Schluss, die Wirklichkeit ist eine zeitliche mit einer Vorher-Nachher-Situationen oder anders ausgedrückt: Vorher war es anders als nachher. In der Newtonschen Mechanik spielte diese Struktur keine Rolle. Die Newtonschen Vorgänge können vorwärts und rückwärts ablaufen, da würde man überhaupt keinen Unterschied machen können. Und da ist die Statistik natürlich der durchschlagende Erfolg, denn wir wissen jetzt, die Welt hat eine bestimmte zeitliche Struktur

Fischer:

Einer der großen Heroen dieser modernen Physik ist Max Planck. Max Planck hat seine Doktorarbeit über den berühmten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik geschrieben, für den die Statistik besonders wichtig ist. Den ersten Hauptsatz gab es schon seit 1840/50 etwa. Der besagt im wesentlichen, dass die Energie konstant ist. Das ist übrigens gar kein einfacher Satz, denn wenn die Energie konstant ist und weder erzeugt noch vernichtet werden kann, dann muss sie immer da gewesen sein. Wie war das dann am Anfang der Welt? Aber das ist ein weites Feld. Es folgt dann eben der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Er fängt mit technischen Überlegungen an, es geht um das Verständnis von Maschinen, die Energie in Arbeit umwandeln. Daraus ergibt sich die Frage, wie kann man die Umwandlung möglichst effektiv gestalten. Dabei stellt man fest, dass die Energie nicht ausreicht, um eine Maschine sinnvoll zu beschreiben. Man erfindet eine Größe, die man „Entropie“ nennt oder auch „freie Energie“, die kann man genau definieren. Und das Wort Entropie klingt nach dem griechischen Wort für Ordnung, ist aber so geformt, dass es dieselbe Silbenzahl hat wie Energie, also es geht um Energie und Entropie. Und für diese Entropie kann man auch einen Hauptsatz formulieren. Der besagt nun, dass in einem physikalischen System die Entropie immer nur zunimmt. Und damit hat plötzlich die Zeit eine Richtung, die Richtung nämlich zunehmender Entropie, zunehmender Unordnung. Und jetzt geht es darum, die Ursachen für dieses Gesetz zu verstehen. Meinen Studenten erzähle ich dann gerne folgendes Beispiel: Wenn man einen blauben Tropfen Tinte in ein Glas Wasser fallen lässt, dann verteilt sich die blaue Farbe so, dass sie sich nie wieder zurück zum Tropfen entwickeln wird. Das einzelne Tintenmolekül bewegt sich zwar so, als ob es jederzeit rückwärts laufen könnte, nur die Tinten-Moleküle alle zusammen machen das nicht. Wo kommt die Richtung der Zeit her? Ein große fantastische Frage. Natürlich unterscheidet man die physikalische von der kosmischen und der biologischen Zeit. Aber alle gehen in dieselbe zeitliche Richtung, nämlich nach vorne. Der Zeitpfeil weist immer auf Systeme mit höherer Information, mit höherer Komplexität. Dieses Rätsel lässt sich auf keinen Fall mehr wie früher mit einer dogmatischen oder deduktiven Ordnung lösen, das wird jetzt zum Problem der modernen Physik.

Lesch:

Ich glaube, der große Begriff, der in den ganzen statistischen Theorien des 19. Jahrhunderts drinsteckt, ist der Begriff der Wechselwirkung, dass nämlich Teile in irgendeiner Art und Weise etwas voneinander „erfahren“, etwas voneinander „wissen“. Und diese Erfahrung ist gleichzeitig immer mit einem Informationsverlust behaftet, denn eine Information braucht einen Moment, bis sie zu einem Teilchen gelangen kann, und auf diese Art und Weise geht immer ein bisschen Information verloren. Dieser Informationsverlust der einzelnen Teilchen untereinander addiert sich in einem riesigen System zu einem gewaltigen Informationsverlust. Und deswegen, weil z. B. die Scherben einer Tasse nichts mehr voneinander wissen, wenn sie auf dem Boden gelandet sind, werden sie sich auch nie wieder zusammenfügen, und die Tintenmoleküle werden sich auch nie wieder zusammenfinden, weil sie irgendwann den Kontakt zueinander verloren haben.

Fischer:

Das finde ich interessant: Sie benutzen das Wort Information, das eigentlich nach dem 2. Weltkrieg in die Physik eingeführt wurde von Erwin Schrödinger in seinem berühmten Büchlein „Was ist Leben“. Aber da stellt er ja genau die Frage: Wie ist es möglich, dass das Leben nicht am zweiten Hauptsatz der Thermodynamik scheitert. Denn es gelingt ja zum Beispiel den Genen immer wieder, Ordnung herzustellen, und es gelingt der Evolution sogar, die Ordnung zu vergrößern. Also im Gegensatz zu dem, was einfach ausgedrückt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik sagt, demzufolge die Entropie wächst, wobei die Entropie einfach verstanden werden kann als ein Maß für die Unordnung. Wie macht das Leben das nun? Schrödinger schlägt vor, man müsse so etwas wie Information einführen. Wir verstehen heute unter dem Begriff Information z. B. das, was in der Zeitung steht oder was mir mitgeteilt wird. Das ist natürlich auch Information, aber Schrödinger und Sie meinen damit eine physikalische Größe wie Druck oder Temperatur. Aber wie soll man sich das denn vorstellen, Herr Lesch, wie wissen Atome etwas voneinander?

Lesch:

Ein Teilchen erfährt von anderen Teilchen z. B. durch Felder oder Konzentrationsunterschiede. Nehmen wir das Beispiel elektromagnetischer Felder: Wenn es sich um geladene Teilchen handelt, dann spürt ein positives Teilchen ein anderes positives Teilchen, es wird von ihm abgestoßen. Negative Teilchen ziehen sich dagegen an. Anderes Beispiel: Innerhalb eines Gases können aus neutralen Atomen Konzentrationsunterschiede für die einzelnen Atome oder Moleküle Anlass dafür sein, sich in eine gewisser Richtung zu bewegen.

Fischer:

Der Begriff der Information ist benutzt worden, um den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu verstehen, indem man sagt: Es handelt sich ja in bezug auf das Leben auf der Erde oder in bezug auf den Kosmos nicht um ein oder zwei Teilchen, auch nicht um tausend oder Milliarden, sondern es geht um zehn hoch zwanzig Teilchen.

Lesch:

Ein Kubikzentimenter Luft hat zehn hoch zwanzig Teilchen.

Fischer:

Das ist eine unvorstellbare Zahl, die es uns unmöglich macht, über alle Teilchen informiert zu sein. Also müssen wir doch gleichzeitig als Wissenschaftler, die Teilchen beobachten, auf Information verzichten. Aber damit meinen wir nur so eine Art von Unwissen. Wir versuchen gleichzeitig aber, dem Informationsgedanken eine positive Wendung zu geben, um damit das physikalische Weltbild weiter entwickeln zu können. Seit neuestem scheint ein Gedanke des amerikanischen Physikers Archibald Wheeler an Bedeutung zu gewinnen, der auch den Begriff des „schwarzen Loches“ begründet hat, das vor ihm „gravitationsbedingte instabile stellare Materie“ hieß, ein Zungenbrecher, für den sich kein Mensch interessiert. Schwarzes Loch dagegen klingt schon spannender. Wheeler hat gesagt, es könnte doch sein, dass nicht wir Informationen über die Welt bekommen, sondern dass die Welt im Grunde genommen aus den Informationen überhaupt erst entsteht. Die hübsche englische Formulierung lautet: „It from bit“. Wenn am Anfang der Welt wirklich die Information steht, dann kann man auch nachvollziehen, dass sie quantisierbar ist, denn Informationen gibt es nur im Paket, Bit für Bit. Das halte ich für ein großartiges Forschungsprogramm. Ich glaube, dass in den nächsten Jahren auf diesem Feld ein Durchbruch gelingen könnte, um tatsächlich die Information als fundamentale Größe in die Physik einzuführen. Darin würde auch Ihr Konzept der Wechselwirkung sich einfügen können.

Lesch:

Ich bin mir ganz sicher, dass das passieren wird. In bezug auf den Begriff Entropie ist es schon so: Leben ist reine Wechselwirkung. Also dass wir beide hier sitzen, dass es jemanden gibt, der uns zuhört, das basiert ja auf der Voraussetzung, dass die Einzelteilchen, die sich zusammengeformt haben, immer noch so funktionieren und zusammenbleiben, und das bedeutet, quantenmechanische Eigenschaften, von denen noch zu reden sein wird, sind verschwunden, die Unordnung nimmt eben nicht zu, nicht alles wird vom Zufall, von der Wahrscheinlichkeit, vom Unbestimmten bestimmt. Ich will noch mal zurückkommen auf die Frage, wieso gibt es überhaupt Lebewesen, wenn doch alles zum Zerfall drängt? Natürlich wächst die Entropie stetig. Wenn man aber sehr viel Energie bekommt, dann ist es einem System sozusagen gestattet, für einen winzige Zeitspanne im Vergleich zum Alter des Universums seine Ordnung nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern sie ständig zu erweitern. Und wir bekommen diese Energie, nämlich von der Sonne, so dass wir soviel Energie zur Verfügung haben, dass Moleküle sich strukturieren konnten und so ein Phänomen wie Leben überhaupt aufbauen konnten. Wir sind nicht Gleichgewichtssysteme. Der zweite Hauptsatz sagt, wenn ein System im Gleichgewicht ist, dann wird es seine Entropie weiter und weiter vergrößern. Es mag aber winzig kleine Inseln geben, in denen die Entropie sich sogar für kurze Zeit verringert. Das trifft für die Erde doch zu

Fischer:

Wenn ich Ihnen zuhöre, habe ich immer das Gefühl, dass die Entropie meines Gehirns abnimmt ...

Lesch:

Herr Fischer, die Wärme, die wir beide als biologische Lebewesen produzieren, ist so gewaltig, wir erhöhen eigentlich ständig die Entropie.

Fischer:

Ihren Gedanken der Wechselwirkung und des Informationsaustausches, finde ich unheimlich spannend. Denn der verbindet ja die europäische Wissenschaft mit ganz anderen Gedankensystemen. Im asiatischen Raum ist das „Zwischen“ das eigentlich Wichtig, da kommt es auf das Individuum gar nicht an, sondern auf die Wechselwirkung zwischen den Individuen. Ich habe sozusagen einen Zusammenhang, in dem ich mich befinde, von dem ich etwas weiß und den ich spüre. Und dieser Gedanke ist kompatibel mit ihrer Idee von der Wechselwirkung, denke ich. Das ist ein asiatisches Element. Und es könnte ja sein, dass die moderne Wissenschaft mit ihrem Erfolg manchmal genau davon abgesehen hat, weil nicht die Beziehung bei ihr alles ist, sondern das Gesetz. Mit einem Gesetz habe ich aber als Individuum nichts zu tun, ich schaue darauf, benutze es vielleicht oder nicht. Der asiatische Ansatz ist dazu eine Alternative, er macht die Naturwissenschaften offen für Beziehungen, auch für mich als Individuum. Dann macht auch diese Idee, dass die Information am Anfang ist, Sinn. Denn ich kann ja in der Welt nur sein, indem ich in Wechselwirkung mit ihr trete und von ihr Informationen bekomme. Das ist ein großer Gedanke, der übrigens aus der Quantenmechanik stammt. Merkwürdigerweise wird diese Wissenschaft, die einem so fremd erscheint, wenn man sie zum ersten Mal hört, immer vertrauter, wenn man sich nur auf sie einlässt. Für mich macht den entscheidenden Schritt Werner Heisenberg, wenn er versucht, das Bohrsche Atommodell auf bestimmte Weise zu verstehen. Er kommt auf den Gedanken, dass das klassische Bohr-Modell, das einen Atomkern in der Mitte hat, um den sich die Elektronen auf ihren normalen Umlaufbahnen bewegen, unsere Erfindung ist, dass es gar nicht auf reale Weise in der Natur existiert. Heisenberg drückt das so aus: Die Bahn des Elektrons existiert nur deshalb, weil wir sie beobachten und beschreiben. Und jetzt ist genau das erfüllt, was man immer schon vermutet hat, dass wir die Natur nur dadurch verstehen, dass wir ihr eine Form geben. Werner Heisenberg hat das dann später mit dem Grundgedanken der Quantenmechanik verbunden: Die Quantenmechanik sagt uns eigentlich, dass eine reine Kausalbeschreibung der Welt gar nicht möglich ist, sondern ich muss der Welt erst mal eine Form geben, um dann den Kausalgedanken anzuwenden. Das ist natürlich wieder Ihre Wechselwirkung.

Lesch:

Genau. Ich muss überhaupt erst mal hingucken, damit ich weiß, was los ist. Es muss irgendeine Art von Interaktion, von Wechselwirkung zwischen Teilchen geben, es muss auch eine Wechselwirkung zwischen dem Beobachter, also dem Forscher, und dem Beobachteten geben. Zur Quantenmechanik lassen sich ja prinzipiell unglaublich viele fürchterliche Sätze finden. Richard Feynman hat mal eine seiner Vorlesung „Shut up and calculate“ genannt, „Halt den Mund und rechne“, als wenn das Ganze nur noch ein reines Rechenverfahren wäre. Das Fürchterliche an diesem Rechenverfahren ist, es ist zugleich wirklich die präziseste Theorie, die wir haben, aber diese präziseste Theorie, die wir haben, präsentiert uns eigentlich immer nur statistische Aussagen, also Sowohl-Als-Auch-Aussagen. Und so geraten wir jetzt in eine Gedankenwelt hinein, in der wir bar jeder Anschauung, völlig fern von jeder alltäglichen Anschauung es auf einmal mit der Welt von Einzelteilchen zu tun haben, die die alte griechische Frage, was ist die Welt oder aus was besteht die Welt, aktualisiert. Bleiben wir mal auf der atomaren Ebene. Die Quantenphysik zeigt uns, wenn wir Teilchen beobachten, dann verändern wir den Zustand dieser Teilchen. Und es ist sogar so, dass das, was da beguckt wird, sich durch unser Beobachten so stark verändert, dass wir überhaupt nicht mehr erfahren, was wir uns eigentlich da anschauen. Wenn das nicht Wechselwirkung in Reinkultur ist!

Fischer:

Die spannendste philosophische Entdeckung ist ja das Prinzip der Unbestimmtheit von Heisenberg. Der zufolge haben die Dinge keine Eigenschaft, solange ich sie nicht bestimme, sie sind eigentlich unbestimmt, bis der Beobachtungsprozess sie bestimmt, was natürlich ein Informationsaustausch ist. Ich nehme Information auf und ich führe Information quasi zu den beobachteten Dingen. Das ist die Wechselwirkung. Ich befinde mich als Beobachter in einer Beziehung. Und dadurch entsteht in gewisser Weise die Form, in der ich die Natur verstehe. Ich finde das ungeheuer spannend. Man hat nur das Gefühl, wenn man von der klassischen Physik auf dieses Thema geleitet wird, dass es sofort ein Problem gibt. Man braucht eine ganz neue andere Sprache, um das zu beschreiben. Und man hat dabei natürlich immer wieder Einsteins Kritik im Ohr: Man wird mir doch auch nicht sagen, dass der Mond nicht da ist, wenn niemand hinschaut.

Lesch:

Das wurde genauso missverstanden wie die Katze von Erwin Schrödinger. Das ist eben das Problem der Quantenphysik, sie gilt für die atomare Welt, aber die Welt um uns herum, funktioniert nach anderen Gesetzen.

Fischer:

Die Quantenmechanik führt auch das Prinzip des Zufalls ein. Die Welt ist eben nicht mit deterministisch, sondern sie ist offen für unsere Interpretationen. Und wir können eben durch Wechselwirkung zu der Welt kommen. Ich finde, das ist eine wunderbare Geschichte. Quantenmechanik ist doch eigentlich viel natürlicher als sie gemeinhin dargestellt wird. Sie enthält auch etwas von dem Geheimnis, das Sie in unserem letzten Gespräch erwähnt haben, das Geheimnis, das die Welt bewahrt. Genau das sagt Quantenmechanik aus. Sie haben zwar verdeutlicht, wir haben eine ganz präzise Theorie, aber auf der sprachlichen Ebene hat die Quantenmechanik uns eigentlich mitgeteilt, dass die Dinge, von denen wir meinten, dass wir sie verstanden hätten, doch geheimnisvoll bleiben. Ein einfaches Beispiel: Bevor Einstein 1905 seine Arbeit über das Licht machte, über die Quantennatur des Lichtes, die ihm ja den Nobelpreis eingetragen hat, war sich die Physiker sicher, dass das Licht eine Welle ist, deren Länge man bestimmen kann, deren Polarisation und Brechungsindizies man bestimmen kann. Einstein dagegen operiert mit statistischen thermodynamischen Modellen und sagt, Licht muss wie ein Gas aus Atomen bestehen. Daraus schließt man heute, Licht ist Welle und Teilchen zugleich. Das zeigt: Die Quantenmechanik offenbart uns das Licht als Geheimnis, wie kann etwas Welle und Teilchen zugleich sein, was ist das Licht denn nun eigentlich genau? Was es wirklich ist, weiß ich nicht. Es bleibt geheimnisvoll. Aber das ist vielleicht ganz gut, denn das Geheimnisvolle ist ja das, was Menschen lockt. Wir erfinden sogar Geheimnisse, um uns daran zu berauschen.

Lesch:

Es ist aber unheimlich schwierig, die Quantenphysik in irgendeiner Weise mit unserer Umwelt in Verbindung zu bringen. Das trifft zwar für viele Bereichen der Physik zu, aber die Quantenmechanik scheint keinen Bezug zu unserer Wirklichkeit zu haben. Sie veranlasst uns zu Sätzen wie: „Man kann nicht beide Seiten einer Medaille gleichzeitig sehen“. Oder: „So, wie du hinguckst, so siehst du die Dinge.“ Diese Sätze sind für manche Menschen eine lächerliche Aussage. Andere versetzen sie in Erstaunen: „Das kann doch nicht sein, das Ding muss doch, ohne dass ich hinschaue, da sein mit seinen Eigenschaften.“ Das ist aber gar nicht der Punkt, sondern es geht darum, dass das Ding eben in einer bestimmten konkreten Weise eben nicht da ist.

Fischer:

Es ist als Möglichkeit vorhanden, und je nachdem, wie ich dieses Ding als Wissenschaftler beobachte, zeigt es mir seine unterschiedlichen Wirklichkeiten, seine Möglichkeiten. Das ist übrigens eine wunderbare Idee, dass ich der Welt gar nicht sage, dass sie festliegt, sondern dass sie eine Summe von Möglichkeiten darstellt. Das möchte ich doch von mir selbst auch, ich möchte auch eine Vielzahl von Eigenschaften haben. Insofern gewinnt mittels Quantenmechanik die Welt wieder an Sympathie. Sie ist genauso, wie ich sein möchte, nämlich eine Summe vieler Möglichkeiten. Ich finde, die Quantenmechanik beinhaltet ein sehr humanes Weltbild.

Lesch:

Jetzt muss ich Ihren Enthusiasmus etwas dämpfen. Wir sind vom 19. Jahrhundert langsam ins 20. Jahrhundert gewandert. Wir erinnern uns, im 19. Jahrhundert fand während der Industrialisierung die Umwandlung von Wissen in Technologie statt. Im 20. Jahrhundert verstärkt sich das noch. Namentlich die Quantenmechanik gewinnt immer mehr an Bedeutung. Vielleicht ein Drittel des Welt-Bruttosozialprodukts wird durch die Quantenmechanik erwirtschaftet, Stichworte sind hier: Computer, Laser usw. Es gibt aber eine merkwürdige Zäsur. Man erkennt, die Welt besteht aus Teilchen, die Teilchen bestehen aber offenbar nur aus Energie, und diese Energien, nämlich die Bindungsenergie, kann freigesetzt werden. Und sie wird freigesetzt 1945 zum Beispiel in Form der Atombombe. Das Wissen, das eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern zusammengebracht hat, hat auf einmal vorher nie da gewesene globale Konsequenzen, das war zugleich ein erster Schritt in Richtung der Globalisierung von Wissen. Die Atombombe führt zur Frage: Ist die Welt noch sicher vor uns Wissenschaftlern

Fischer:

Ich denke, ohne die Wissenschaft wäre sie noch unsicherer. Die Wissenschaft hat natürlich durch die Atombombe die Möglichkeit geschaffen, so in die natürlichen Zusammenhänge des Lebens einzugreifen, dass es irgendwann mit dem Leben unverträglich wird. Und ich denke, ihre Aufgabe liegt jetzt darin, dafür zu sorgen, dass die Menschen sich mit der Natur wieder vertragen. Es könnte sein, dass wir durch die Macht der Atombombe endlich das Ende des Baconschen Zeitalters erreichen werden, dass wir also nicht mehr so sehr die Macht in den Vordergrund stellen, die Naturbeherrschung, sondern die moralischen, ethischen Aspekte eins sinnvoller Einsatzes unseres Wissens. Die Baconschen Idee, mit der ja die moderne Wissenschaft angefangen hat, enthält ja auch den Gedanken, dass man immer mehr Fortschritte erzielt, die uns immer mehr Macht über die Natur verleihen, aber irgendwann merken wir, dass die Macht, die wir an einer Stelle ausüben, zur Ohnmacht an anderer Stelle führt. Nehmen wir die zur Zeit wieder viel diskutierte Verunreinigung der Atmosphäre: Wir haben zwar die Macht, chemische Stoffe zu synthetisieren, aber keine Macht mehr, sie aus der Atmosphäre zurück zu holen. Darüber müssen wir uns neue Gedanken machen. Also wir können das alte Modell des Fortschritts, das Modell der zunehmenden Machtgewinne in der Wissenschaft nicht mehr weiterführen. Wir sollten von der Idee, dass wir nur durch Wachstum und Machtzuwachs etwas erreichen können, Abschied nehmen und vielleicht einen Weg in Richtung eines neuen Umgangs mit der Natur einschlagen. Das Stichwort hierzu ist Nachhaltigkeit. Denn es geht ja nicht darum, dass wir die Natur beherrschen, sondern dass wir mit der Natur zu einer verträglichen Symbiose finden. Die Physik hat lange Jahre, auch vermittelt durch ihre Erfolge, die Komplexität der Natur vernachlässigt, sie hat auch die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur vernachlässigt.

Lesch:

Diese Meinung teile ich. Wir sind in einer Phase der Moderne angelangt, in der wir die Geister, die wir riefen, besser beherrschen lernen müssen. Und das wird uns nicht gelingen, wenn wir die Natur gemäß Descartes in ihre Einzelteile zerlegen, sondern wir müssen das Ganze betrachten, die Einheit von Mensch und Natur.

***

Die Geburt der modernen Wissenschaft (4)

Der Anfang aller Dinge

INHALT 4

Ansage:

Heute mit dem Thema: „Die Geburt der modernen Naturwissenschaften, Teil 4 -Zurück zum Anfang“.

Trotz des technischen Fortschritts, trotz der hochentwickelten wissenschaftlichen Disziplinen wie der Astrophysik oder der Molekularbiologie, wird man immer wieder konfrontiert mit dem Rätselhaften, dem Geheimnisvollen, mit der Frage nach dem Urgrund aller Dinge.

Im letzten Teil ihres Gesprächs kehren der Astrophysiker Harald Lesch und der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer wieder zum Anfang ihren Gespräche zurück, zur griechischen Antike mit ihrer Tendenz, Kunst und Wissenschaft zu vereinen. Genau das fordern Lesch und Fischer im Hinblick auf die modernen Naturwissenschaften, und sie zeigen auch, dass die heutige Komplexität der Welt ganz andere Strukturen des wissenschaftlichen Arbeitens erfordert.

Ernst Peter Fischer und Harald Lesch:

Fischer:

Zunächst muss man sagen, dass die Welt im 20. Jahrhundert sehr wissenschaftsorientiert ist. Wir haben die Atomenergie, die Molekularbiologie, die Neurobiologie. Gleichzeitig ist das Jahrhundert geprägt von Unstetigkeiten, denken Sie an die Quantenmechanik, dann an die Relativitätstheorie, danach kommt eine Unbestimmtheit, dann entdecken die Mathematiker, dass es selbst in ihrem Bereich Sätze gibt, die sie gar nicht entscheiden können, also es gibt eine Unentscheidbarkeit. Die Chaosforschung kommt dazu, also eine Unvorhersagbarkeit. Und dann gibt es noch die Fuzzy- Logik, eine Ungenauigkeit. Ich nenne das alles ironisch die Unsinnigkeit der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts. Auf der anderen Seite, wenn wir zurückblicken, stehen wir heute als Wissenschaftler glänzend und souverän da. Wir haben ein Standardmodell der Kosmologie, ein Standardmodell der Elementarteilchen, ein molekulares Dogma, wir haben ein absolut sicheres Paradigma, das zeigt, wie das Leben sich entwickelt hat, von der DNS aus. Wir haben auch scheinbar die Frage nach dem Ursprung des Lebens geklärt. Es sieht so aus, als könnten wir uns nun zurücklehnen und mit der Philosophie beginnen. Ist es tatsächlich so? Wissen wir alles, oder haben wir nur wenig Fantasie?

Lesch:

Das ist eine gute Frage. Vielleicht fangen wir einfach mal mit Erklärungen an. Das Standardmodell der Kosmologie sagt: Das Universum hat seinen Anfang vor 13,7 Milliarden Jahren, drei Minuten nach dem Anfang waren die ersten beiden Teilchen Wasserstoff und Helium entstanden, das Universum entwickelt Strukturen, also Sterne und Galaxien. Das fand ungefähr die ersten 100 Millionen Jahre nach dem Beginn statt. Seit seinen Anfängen breitet sich das Universum stetig aus und es kühlt sich ständig ab. Vor 4,5 Milliarden Jahren ist der Stern entstanden, den wir Sonne nennen. Vor 4 Milliarden ist auf unserem Planeten, der Erde, etwas passiert, was wir nicht ganz genau verstehen, nämlich der Übergang von toter zu lebendiger Materie. Und hier stoßen wir wieder auf die gute alte griechische Frage, aus was besteht denn nun die Welt, und die kann ich beantworten mit: sechs Quarks. Es gibt also Quarks und es gibt Leptonen. Und damit ist eigentlich alles fertig, die Welt ist gemacht. Aber was das alles bedeutet, wissen wir immer noch nicht. In der Kosmologie gibt es z. B. die dunkle Materie und dunkle Energie. Und diese beiden machen ungefähr 95 Prozent des Energieinhaltes unseres Universums aus. Da besteht noch Wissensbedarf, denn beide sind noch recht wenig erforscht. Das trifft auch auf die Elementarteilchenphysik zu, für die wir noch keine große Theorie haben, die alles miteinander vereinigt. Wir haben nur Kataloge, also Quark 1, Quark 2 bis zu Quark 6. Aber wir erwarten eigentlich eine große vereinigende Theorie. Es ist leider so, dass in den Anfängen nun mal keiner dabei war, also weder am Anfang des Universums noch am Anfang des Lebens. Das heißt, alles ist nur Rekonstruktion, und da liegt schon wieder ein Problem, dass wir eigentlich gerne reproduzierbare Ergebnisse hätten. Also wir müssten ein neues Universum kreieren, und das Leben können wir im Reagenzglas heute noch nicht erzeugen.

Fischer:

Standardmodell heißt doch, dass vielleicht nicht jeder Physiker mit jedem Detail einverstanden ist, aber dass dennoch eine allgemeine Zufriedenheit in der Gemeinschaft herrscht mit den Grundzügen des Modells. Ich frage mich, ob in diesen modernen Modellen nicht nur einfach antike Grundmodelle wiederholt werden. Ich meine das wie folgt: In der Kosmologie spricht man vom Urknall, bei Aristoteles wäre das die Urmaterie. Aus dem Urknall entstehen die vier Elemente Raum, Zeit, Materie und Energie, das waren bei Aristoteles Feuer, Wasser, Erde, Luft. Das ist dieselbe Grundstruktur. Oder auf die Teilchen bezogen: Sie haben zwar von sechs Teilchen gesprochen, aber tatsächlich gibt es vier Grundbausteine, das Elektron, das dazu gehörende Neutrino und dann zwei Quarks, die anderen sind in höheren energetischen Familien untergebracht. Könnte es nicht sein, dass sich da nicht die Weisheit der Physiker, sondern die Grundstruktur des menschlichen Denkens zeigt, und dass wir deshalb damit zufrieden sind und das haben, ja, so muss es gewesen sein, es kann gar nicht anders gewesen sein.

Lesch:

Physiker sind auch Menschen, und von daher bin ich ganz zufrieden mit einem Modell, wenn es das erklärt, was man vor sich hat. Das Schöne ist, dass wir in den Naturwissenschaften von diesem Wechselspiel zwischen Experimenten und Theorie leben. Wenn das Experiment etwas hervorbringt, was keine Theorie erklären kann oder vorhergesagt hat, dann bedeutet das, alte Theorien zu erweitern. Die müssen nicht falsch sein, aber sie müssen um etwas Neues erweitert werden. Aber, ganz einfach ausgedrückt, von irgendetwas muss man ja ausgehen. Natürlich dürfen die Standardmodelle nicht als starre Dogmen betrachtet werden, die es gar nicht zulassen, gegen sie zu argumentieren. Das wäre der Tod der Wissenschaft. Es stimmt, wir sind im Moment recht zufrieden mit unseren Theorien. Und es passt ja auch alles. Bis wir die Grenzen der Theorien erreichen, dann passt es eben nicht mehr.

Fischer:

Die Standardmodelle beinhalten ja viel Rationalität. Ich möchte aber gerne auf die „Nachtseite der Wissenschaft“, wie ich sie gerne nenne, zu sprechen kommen, die deutlich macht, dass die Modelle ihren Ursprung quasi in der Tiefe unserer Bewusstseinsstrukturen haben. Es gibt bei Kant den Hinweis, dass wir nicht in Raum und Zeit sind, sondern Raum und Zeit sind in uns. Vielleicht sind die Standardmodelle, von denen wir reden, aus einem kollektiven Unbewussten des Wissens entstanden, das sich symbolisch als Theorie verdichtet und so kommunizierbar wird. Und deshalb sind wir auch so zufrieden mit diesen Theorien. Ich glaube nämlich auch, dass der Urknall im Grunde genommen so aussieht wie die Welt bei Aristoteles. Deutet sich darin nicht das Muster an, in dem Menschen denken, mit dem Unterschied, man spricht heute nicht von der Hölle, sondern von energetischer Reaktion, so dass wir die Zufriedenheit mit den Standardmodellen daraus ableiten können, dass wir die neuen experimentellen Messungen, Befunde und Theorien mit den archaischen Wünschen, die die Menschen immer haben, zusammenbringen. Das wäre doch ein befriedigender Status.

Lesch:

Ich würde das genauso bestätigen. Letztlich drängt es uns doch immer zu der Frage nach der Ursache von etwas. Wir lassen uns ja heute nicht mehr so ohne weiteres davon abhalten, nach Ursachen und Anfängen zu fragen. Und der Big Bang oder der Urknall drückt auch ein bisschen Hilflosigkeit aus, was am Anfang gewesen ist, wissen wir nämlich auch nicht so genau. Es ist interessant, die Reaktionen der Menschen zu beobachten, wenn man ihnen sagt, die Welt hatte einen Anfang. Allen steht sofort die Frage ins Gesicht geschrieben: Und was war davor? Oder wenn ich sage, das Universum dehnt sich aus, werde ich regelmäßig mit der Frage konfrontiert, wohin dehnt es sich denn aus. Ich antworte dann, Kosmologie ist Innenarchitektur. Wir können immer nur über die inneren Eigenschaften des Universums reden, mehr können wir nicht sagen. Letztlich sind unsere Standardmodelle Resultate einer sehr langen, teilweise extrem detailreichen gegenseitigen Stützung, wo die Experimente und theoretischen Vorhersagen sich in einem großen Netzwerk gegenseitig stützen. Und was bleibt, ist die Möglichkeit der Verneinung, dass wir zu einem Ergebnis sagen können, nein, das glaube ich nicht. Oder die Frage, was war denn davor? Das heißt, wir haben auf der einen Seite ein gewisses Zufriedenheitsgefühl, aber auf der anderen Seite immer wieder den nagenden Zweifel, den Descartes zur Methode in der Wissenschaft gemacht hat. Das müssen wir akzeptieren. Ich würde das übrigens nicht die „Nachtseite der Wissenschaft“ nennen, sondern die „wirkliche Wissenschaft“.

Fischer:

Mit Nachtseite meine ich nicht etwas Negatives, sondern einfach etwas, das nicht im Bewusstsein greifbar ist, was sich uns auf andere Weise mitteilt, zum Beispiel als Einfall oder als plötzlicher Gedanke, dessen eigentliche Herkunftsquelle ich nicht kenne. Aber ich habe noch eine andere Frage. Wenn ich Bücher über die moderne Kosmologie oder Elementarteilchenzusammenhänge lese, dann wird immer davon gesprochen, dass man eine Sache nicht übersehen darf, nämlich dass unsere beiden grundlegenden Theorien, die Relativitätstheorie in ihrer allgemeinen Form, die man auch Feldtheorie nennen könnte und die von einem Kontinuum in der Welt ausgeht, und die Atomtheorie nicht vereinbar seien. Die Atomtheorie ist ja die Theorie, die im wesentlichen von Quantensprüngen ausgeht, die also sozusagen Lücken und gerade kein Kontinuum hat. Aber wenn ich den Anfang der Welt verstehen will, dann muss ich das Lückenhafte und das Kontinuierliche, also sozusagen die Zahl und die Linie zusammenbringen. Das geht aber schon in der Mathematik nicht. Wie wollen Sie das in der Physik machen? Es haben sich zwei Lager gebildet, von denen das eine sagt, alle einzelnen Theorien werden wir auflösen in einer umfassenden Quantengravitationstheorie, das andere dagegen meint, das brauchen wir gar nicht, weil wir ohnehin immer von einem dualen Verständnis ausgehen, wir haben wahrscheinlich immer eine Kontinuumsdarstellung und zugleich eine partikuläre Darstellung, so wie wir wissen, dass das Licht zugleich Welle und Teilchen ist. Wird sich Ihrer Meinung nach in der Zukunft möglicherweise eine Einheitstheorie bilden?

Lesch:

Ich habe mir schon oft vorgestellt, jemand hätte sie gefunden an einem Samstag Abend und hätte sie dann am Sonntag versucht, seiner Frau zu erklären. Dann frage ich mich, was macht er wohl am Montag? Wird das überhaupt jemand verstehen, und wenn ja, wird dadurch etwas verändert? Natürlich haben wir das Ziel, diese große vereinigte Theorie zu entwickeln. Mir scheint nur das immense Problem zu sein, dass diese großen vereinigten Theorien immer schwieriger und schwieriger zu überprüfen sind. Die Naturwissenschaften können zwar nie herausfinden, ob eine Theorie richtig ist, aber sie können durch Experimente feststellen, ob sie falsch ist. Das ist ja immerhin etwas. Aber das wird in der Tat immer schwieriger. Wir kommen jetzt schon mit den großen Beschleunigern an einen Punkt, wo man gerade noch etwas messen kann, wo auch die Gesellschaft noch bereit ist, Mittel für auszugeben. Aber wenn wir jetzt sagen würden, wir brauchen 3 Milliarden, um einen größeren Beschleuniger zu bauen, der mindestens die Größe der Milchstraße haben müsste, um den Anfang der Welt rekonstruieren zu können, dann würden uns alle den Vogel zeigen! Das wäre vielleicht interessant, aber nicht mehr relevant, weil es wohl kaum noch zu vermitteln wäre. Deswegen wird, glaube ich, die Physik, wenn sie sich da verläuft, einen großen Teil ihres Potentials im Grunde genommen gar nicht ausnutzen. Es gibt nämlich andere Bereiche in der Physik, die im 20. Jahrhundert immer mehr an Bedeutung gewinnen, nämlich die Beschreibung von Lebenssystemen, von Neurosystemen. Das wird viel zuwenig von den Physikern beachtet. Es könnte sein, dass auf lange Sicht die Entwicklung der großen vereinigten Theorien eine Sackgasse ist und dass man wieder zurückkehren muss, um sich anzuschauen, was ist denn wirklich um uns herum. Denn wenn Physiker anfangen Aussagen zu machen, wie das Universum vor dem Urknall gewesen ist, dann wende ich mich mit Grauen ab und möchte davon nichts mehr wissen.

Fischer:

Ein Markenzeichen der Wissenschaft ist, dass Aussagen durch Experimente überprüft werden müssen. Man könnte monatelang darüber philosophieren, ob Fliegen wohl ein Bewusstsein haben. Aber jetzt machen Sie mal ein Experiment dazu. Das ist das, was zählt. Es hat ja schon lange gedauert, bis ein Experiment gemacht wurde, um zu zeigen, dass Fliegen etwas lernen können. Also charakteristisch für die Wissenschaften ist das Experiment. Ihre Idee ist also, dass Physiker sich jetzt neue Betätigungsfelder suchen, weil sie mittlerweile in Sphären abgewandert sind, die durch Experimente nicht mehr überprüfbar sind, es sei denn, eine Regierung baut einen Beschleuniger von der Größer der Milchstraße. Diesen Wechsel der Physik hat es ja schon einmal gegeben. Ich möchte darauf hinaus, dass die moderne Molekularbiologie, die jetzt massiv voranschreitet und über die Gentechnik und Gendiagnostik und das Genomprojekt ganz neue Ausblicke auf die Evolution und das Verständnis des Lebendigen und des Menschen liefert, dass diese Molekularbiologie das Werk von Physikern ist. Das fängt übrigens schon im 19. Jahrhundert an: der Erfinder der Erbgesetze, Gregor Mendel, war zwar Mönch, aber studiert hat er Physik. Er hat die Statistik gut beherrscht und tatsächlich war sein Grundgedanke der Vererbungslehre ein statistischer Gedanke. Die ganze Genetik ist statistisch. Mendels Vorgänger haben bei einer Pflanze möglichst viele Eigenschaften angeschaut, Mendel hat an vielen Pflanzen eine Eigenschaft angeschaut. Und dadurch konnte er Statistik machen und Wahrscheinlichkeiten angeben, mit deren Hilfe Gesetze aufgestellt werden konnten. Dieser Schritt hat sich im 20. Jahrhundert wiederholt, und zwar in den 1940er Jahren von Max Delbrück und Salvadore Luria. Delbrück und Luria wollten verstehen, wie Bakterien bei bestimmten äußeren Bedingungen sich ändern können. Es ist ihnen gelungen anhand einer statistischen Analyse, die von Fluktuationen in der Bakterienpopulation ausging, auf die Gene der Bakterien und die Mutationsfähigkeit dieser Bakterien zu schließen. Am Anfang der modernen genetischen Wissenschaften standen statistische Überlegungen von Wissenschaften wie überhaupt die Molekularbiologie, wie ich schon sagte, das Werk von Physikern ist und sie auch heute noch so verstanden wird. Wir haben zwar ein wunderbares Standardmodell des Lebens, das heißt zwar nicht so, aber es wird so verstanden: Wir haben am Anfang ein Molekül namens DNS, das Informationen enthält, aus denen kleine molekulare Werkzeuge entstehen, die die Reaktionen der Zelle ermöglichen. Die Zellen schließen sich zusammen zu Verbänden, die als Organe funktionieren und sich zu Organismen zusammenfügen. Das ist ein ganz klarer, systematisch festgelegter Apparat, der sogar durch ein molekulares Dogma der 60er Jahre bestimmt ist, an dem man eine Menge Reparaturen vorgenommen hat, das aber im Grundsatz noch bestehen bleibt, so dass uns die Biologie ein offenbar durchgängig kausales Erklärungsmodell des Lebens bietet. Ich persönlich verspüre dabei aber ein gewisses Unwohlsein. Denn am Anfang steht ja nicht eine Kausalität, sondern am Anfang steht eine Form und den Schluss bildet wieder eine Form. Ich bin fest davon überzeugt, dass weder Ihr noch mein Ohrläppchen kausal erklärt werden kann, auch wenn sicherlich darin eine Menge Kausalität enthalten ist. Wenn man wirklich ein biologisches Verständnis von den Qualitäten, die wir doch vor Augen haben, erreichen will, muss man sich doch an dem orientieren, was Formentstehung zulässt. Das Beispiel, das ich in diesem Zusammenhang gerne benutze, ist: Ein Bild, das Sie vielleicht in einer Galerie oder auch zuhause anschauen, hat natürlich eine Menge Kausalität – Sie brauchen eine Leinwand und Farben, Sie müssen die Farben anrühren, sie müssen trocknen, Sie müssen einen Rahmen um das Bild spannen – das ist Kausalität. Aber das Bild selbst ist nicht kausal. Also ist immer eine andere Entstehungsweise zu suchen als die der Kausalität, und das wäre dann die Frage nach der Formentstehung. Ich könnte mir vorstellen, dass die Physik dazu auch etwas zu sagen hätte, denn schließlich arbeitet sie ja mit Formen. Die Spiralen am Himmel, die Bahnen der Planeten, die wir sehen, das alles sind Formen, die uns schön vorkommen. Ganz am Anfang hatten wir gesagt, die Lust auf Wissen kommt aus der Ästhetik, und die hat etwas mit Formen zu tun. Erklärt die Physik die Entstehung der Formen?

Lesch:

Manchmal ja, manchmal leider nicht. Z. B. die Formen von Galaxien kann man tatsächlich physikalisch verstehen. Andere Dinge aber wieder nicht. Ich benutze gerne ein Bild: Wenn ich eine Schallplatte habe mit meiner Lieblingsmusik drauf, dann wird der Physiker aus der Breite und der Tiefe der Rille niemals das Erlebnis der Lieblingsmusik in mir rekonstruieren können. Er wird nur gewisse Strukturen in den Rillen feststellen, die damit zusammenhängen, dass Musik erklingen kann.

Fischer:

Einstein hat ja gesagt, man kann die 9. Sinfonie von Beethoven auch als Luftdruckkurve darstellen.

Lesch:

Das kann man auch, ja. Aber das wäre wirklich arm. Wenn man Physik in dieser Weise anwenden würde, wäre das eine echte Übertreibung. Ich meine, Physik ist ein Instrument zur Erklärung von Weltbeschaffenheit. Sie hilft beim Weltverständnis, aber sie hilft nicht bei der Lebensbewältigung. Das muss man ganz klar sagen. Es gibt sehr viele Dinge, die sich nicht mit Physik erklären lassen. Eigentlich gibt es nur ein paar wenige Sache, aber die sind dafür ganz ordentlich. Ich glaube, dass gilt für alle Richtungen der Naturwissenschaften. Dieser reduktionistische Ansatz, der sich seit Descartes durchgesetzt hat, dass wir eben diese Teilprobleme lösen, hat leider auch ein bisschen zur Unfruchtbarkeit der Naturwissenschaften geführt, weil sie sich den ganz großen Fragen – was ist die Welt, wie muss ich sie deuten – völlig entzogen haben. Wir stehen heute vor Problemen, die aber ganz stark nach Deutung verlangen, nach Orientierung. Wie sollen wir den Klimawandel deuten? Wir können ihn messen, dabei helfen uns alle Naturwissenschaften. Aber wie müssen wir ihn deuten? Wir haben in der Astronomie z. B. ein ganz neues Feld, was hoffentlich in den nächsten Jahren noch wichtiger wird, weil wir, so hoffe ich wenigstens, im Universum noch Planeten entdecken, auf denen möglicherweise auch Leben zu finden ist, nämlich das Feld der Astrobiologie. Es gibt ökonomische Fragen, die Frage der Endlichkeit von Energieressourcen, alles das sind ja Gebiete, in denen Physik nur noch eine Disziplin unter vielen ist. Und jetzt komme ich wieder zu meinem Lieblingsbegriff der Wechselwirkung. Wir brauchen nicht nur Wechselwirkung, wenn wir über Einzelteilchen reden, wir müssen auch Wechselwirkung unter Wissenschaften haben. Wir brauchen eigentlich z. B. in Universitäten einen völlig anderen Begriff von Zusammenarbeit, weg von den Fakultäten hin zu Projekten, an denen alle, die daran interessiert sind, teilnehmen können, wo es nicht mehr darum geht, dass ein Direktor den einzelnen Fakultäten Geld zuordnet, sondern es muss um den Inhalt gehen. Und da könnte Physik, glaube ich, viel lernen von den organischen Wissenschaften, dass man nämlich aus der Morphologie, aus den Formen erfahren kann, welche Funktion dahintersteckt.

Fischer:

Wir sind ja der kartesischen Methode gefolgt und haben dabei Ebenen des Lebens entdeckt, aber dabei gar nicht bemerkt, dass wir die zwar finden können, wenn wir das Leben gemäß Descartes von oben nach unten zerlegen, aber wenn wir von unten nach oben erklären wollen, dann müssen wir auf jeder Ebene eine neue Qualität auftauchen lassen, also eine neue Form. Die Zelle ist eine neue Form, die ist etwas anderes als ein Molekül, das Gewebe ist wieder eine neue Form. Das wird gerne mit dem feinen Ausdruck Emergenz zur Seite geschoben. Uns bleibt das Gefühl, wir haben etwas erklärt. Das Verrückte ist ja, dass der Aufbau der Welt in diesen Ebenen oder Schichten völlig eindeutig ist, aber nicht erklärt wird, man müsste nämlich nicht nur eine Kausalerklärung finden, sondern vielleicht eine Art Kreativitätserklärung, die ja nicht kausal ist, gar nicht kausal sein kann. Das ist übrigens auch ein uralter Gedanke der Romantik, dass ich kein physikalisches Gesetz für Kreativität habe. Im Moment der Kreativität bin ich ja gerade außerhalb der Naturordnung, weil ich etwas Neues schaffe. Um das zu fördern, da haben Sie völlig Recht, müssen die Fakultäten zusammenfinden. Das nennt man ja manchmal Interdisziplinarität. Es ist merkwürdig, dass Interdisziplinarität überall gefordert, aber nicht besonders gefördert wird. Man hat zwar z. B. den Erwin Schrödinger-Preis ausgelobt für interdisziplinäre Forschung. Aber kaum jemand weiß, wer den bekommt, und die Leute, die ihn bekommen, kommen z. B. aus der Physik und der Chemie. Das ist ja nicht wirklich interdisziplinär, wenn sie physikalische Chemie machen, was es schon immer gegeben hat. Für mich ist Interdisziplinarität, dass man, um bei unserem Beispiel zu bleiben, tatsächlich die Frage der Formentstehung in so einen biologischen Entwicklungsprozess integriert, denn die Gene alleine liefern diese Antworten nicht unbedingt, auch das Modell des genetischen Programms würde nicht viel weiterhelfen, sondern es muss etwas anderes hinzukommen, vielleicht die Ästhetik. Die Frage ist, wie kann man mehr Leute zur Interdisziplinarität ermutigen und in einen solchen Kontext bringen. Ich hab ja mal versucht vorzuschlagen, dass der Nobelpreis sich umorientieren sollte, denn in der Öffentlichkeit stehen die Nobelpreisträger als Stars da, aber sie sind nach Standards des 19. Jahrhunderts ausgewählt. Nobel kannte ja nur die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts. Jetzt über 100 Jahre später im 21. Jahrhundert gibt es wichtigere Wissenschaften. Vielleicht ist die Klimaforschung eine Richtung, die den Nobelpreis bekommen sollte, oder die Ernährungsforschung, nicht mehr unbedingt eine Biologie, die irgendwelche Hormone in Pflanzen analysiert. Diese Interdisziplinarität kann ein Einzelner natürlich nicht machen, dazu gehört eine bestimmte Sozialstruktur, also das sind ganz neue Aufgaben. Was dahintersteht ist die zunehmende Komplexität des Lebens, wir brauchen neue Formen der Wissenschaft, um komplexeren Systemen genauer auf die Spur kommen zu können.

Lesch:

Ja, unbedingt, und zum Glück fürchten wir uns nicht mehr davor. Wir haben sowohl die mathematischen als auch die technischen Methoden, komplexe Systeme zu untersuchen und richtige, vernünftige Erklärungsschemata abzuliefern, was an Komplexität in einem System enthalten ist. Wir können sogar teilweise Vorhersagen treffen, welcher Grad von Komplexität in einem System auftritt. Dazu gibt es wunderbare Beispiele, wie erfolgreich interdisziplinäre Forschung sein kann, dass man nämlich über Zeitreihenanalysen von Ausbrüchen auf der Sonne etwas darüber lernen kann, wie das Herzkammerflimmern funktioniert. Beides sind chaotische Systeme mit nicht vorhersagbaren Elementen und das lässt sich mathematisch gut fassen. Damit sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Gebieten befasst. Ich glaube, dass diese Art von Forderung nach interdisziplinärer Forschung, weil die Probleme auch immer größer werden, sich z. B. in so etwas wie dem Alternativen Nobelpreis niederschlägt, wo Menschen belohnt werden für neue Ansätze. Da ist ein Riesenpotential, weil die neuen Probleme sind nicht die Probleme des 19. oder 20. Jahrhunderts, sondern es sind die Probleme des 21. Jahrhunderts. Was mich eigentlich daran besonders freut, ist, wenn es denn gelänge, mehr interdisziplinäre Projekte ins Leben zu rufen, dann würde man Wissenschaft wieder auf etwas zurückbringen, was sie einmal war und was sie meinem Gefühl nach sein wollte, nämlich ein Gespräch zwischen Menschen. Interdisziplinäre Forschung funktioniert nämlich nur dann, wenn die Beteiligten sich auch tatsächlich verstehen.

Fischer:

Und es ist ein offener Prozess, der sich im Gespräch entwickelt. Ich möchte jetzt nochmal ganz an den Anfang zurück zu den Griechen, mit denen wir ja angefangen haben. Damals galt die Grundüberzeugung, dass die Welt verstanden werden kann, wenn ich nur das geeignete Ordnungsschema, die Zahl, anwende. Wir reden inzwischen schon von unvorhersagbaren Dingen, von uneindeutigen Strukturen. Und es könnte ja sein, dass die Welt selbst gar nicht weiß, wie sie in fünf Minuten aussieht, dass sie soviel Unbestimmtheiten, soviel Schwankungen unterworfen ist. Das würde natürlich ein ganz anderes Gottesverständnis nach sich ziehen. Denn wenn die Welt selbst nicht weiß, wie sie in fünf Minuten aussieht, dann kann es auch niemanden geben, der über der Welt thront. Welche Glaubensrichtung wird dadurch ermöglicht? Denn ich bin ja überzeugt, dass wir Menschen sowohl religiös als auch wissenschaftlich tätig sind. Sie als Astrophysiker müssten sich doch Gedanken darüber gemacht haben.

Lesch:

Ich kann Ihnen nur eine ganz persönliche Antwort geben. Egal wie viel man weiß, die Uneindeutigkeit dieser komplexen Welt lässt sich nicht wegforschen. Die bleibt immer. Ich bin aber sehr optimistisch. Ich bemerke, je mehr man weiß, desto großzügiger wird man dem gegenüber, was man nicht weiß. Ein Satz aus dem Neuen Testament trifft es ganz gut, der sagt: Fürchte dich nicht. Und ich setze dazu: Das wird schon irgendwie werden, die Welt ist nicht klar und eindeutig, jeder hat seine Möglichkeiten, und wer weiß, was die Welt noch mit jedem einzelnen von uns vorhat. In diesem Sinne würde ich sagen, Wissenschaft ist ein offenes Projekt. Die Romantiker haben meiner Ansicht nach viel mehr Recht als die rationalen Wissenschaftler. Und wir können Wissenschaft nur machen mit Hirn und mit Herz.

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OFFENES ENDE

Prof. Harald Lesch: „Vom Chaos zur ersten Ordnung - Die Geschichte des Weltalls, Teil 2

Prof. Harald Lesch: „Vom Chaos zur ersten Ordnung - Die Geschichte des Weltalls, Teil 2“.
SWR2 AULA; Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 22. Januar 2006, 8.30 Uhr
Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Überblick Teil 2:
Prof. Dr. Harald Lesch* lehrt theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; seine Forschungsschwerpunkte sind: Schwarze Löcher, Neutronensterne und kosmische Plasmaphysik. Lesch ist Fachgutachter für Astrophysik bei der DFG und Mitglied der astronomischen Gesellschaft.

Nach der Lesart des Urknall-Modells lässt sich die Entwicklung des Universums als Abfolge von eigenständigen Perioden und Epochen beschreiben, die jeweils auf bestimmten Ereignissen und Eigenschaften beruhen. Es gab zum Beispiel die Quark-Ära, in der sich die ersten Bausteine der heute schweren Teilchen bildeten, dann folgte die Hadronen-Ära, in der die Protonen und Neutronen das Licht des Universums erblickten.
Auf diese Weise verwandelte sich das Chaos des Urknalls nach und nach in eine faszinierende Ordnung. Professor Harald Lesch, Astrophysiker aus München und Träger des Communicator-Preises, schildert im zweiten Teil seiner Geschichte des Universums die Entstehung von Materie kurze Zeit nach dem Big Bang.

Ansage:

Heute mit dem Thema: „Vom Chaos zur ersten Ordnung - Die Geschichte des Weltalls, Teil 2“.

Wir haben in der letzten Sendung den Urknall, die Ur-Explosion, hinter uns gelassen und befinden uns nun in einer ersten „Ruhephase“. Ja, natürlich, das ist äußerst unscharf ausgedrückt, unphysikalisch, unwissenschaftlich, aber manchmal helfen Wörter aus dem Alltag, um das Unbegreifliche zu beschreiben. Mit „Ruhe“ ist Folgendes gemeint: Das Ur-Universum kühlt sich langsam ab, gleichzeitig expandiert es, und gleichzeitig bilden sich in dem Materie- Strahlungs-Brei die ersten Teilchen und die ersten subatomaren Strukturen aus, also z. B. Quarks und Nukleonen.

So, und was da genau passierte, welche Gesetze eine Rolle spielen, erklärt jetzt der Münchener Professor für Astrophysik Harald Lesch im zweiten Teil seiner insgesamt dreiteiligen Geschichte des Universums. Und Achtung: Jetzt wird es wirklich schwierig, denn Lesch wird zeigen, warum sich das Ur-Universum mit Überlichtgeschwindigkeit ausdehnte, warum man es in dieser Phase mit Effekten zu tun hat, die mit Rationalität gar nicht mehr zu erfassen sind.


Harald Lesch:

„Wundere dich also nicht, wenn wir in vielen Dingen, über vieles wie die Götter und die Entstehung des Weltalls nicht imstande sind, durchaus und durchgängig mit sich selbst übereinstimmende und genau bestimmte Aussagen aufzustellen. Wir müssen vielmehr zufrieden sein, wenn wir sie so wahrscheinlich wie irgendein anderer geben.“

Diese Sätze stammen aus Platons „Timaios-Dialog“, in dem der Philosoph versucht darzustellen, wie seiner Meinung nach die Welt entstanden ist. Seiner Ansicht nach gab es eine ideale Welt, und alles, was man über die Welt der Erscheinungen feststellen kann, ist immer nur etwas Wahrscheinliches. Wir wollen nun sehen, ob wir es auch als Astrophysiker in bezug auf die Geschichte und den Beginn des Universums mit solchen Wahrscheinlichkeiten zu tun haben.

Was passierte in den ersten Minuten des Universums, das ist die zentrale Frage. Wir wissen ja schon aus der ersten Sendung, die kleinste relevante Struktur im Universum ist die Planck-Welt: 10-33 cm in der räumlichen Ausdehnung, 10-44 Sekunden in der zeitlichen Ausdehnung. Der Zustand des Universums war allem Anschein nach sehr heiß (1032 Grad) und sehr dicht (1094 g/qcm). Und dann? Ich werde jetzt versuchen Ihnen zu erklären, warum es dann zu einer schlagartigen Explosion gekommen ist, zu einer Expansion des Universums, in deren Verlauf sich die ersten subatomaren Teilchen bildeten.

Stellen Sie sich vor, Sie schauen in den Ofen eines Glasbläsers. Die Temperaturen in dem Ofen bewegen sich um die 1000 Grad. Was sehen Sie? Nichts, es ist einfach zu hell. Und warum ist es so hell? Weil es heiß ist. So verhielt es sich auch zu Beginn des Universums: Wegen der hohen Temperaturen war es sehr sehr hell. Nun war das nicht eine Helligkeit, wie wir sie kennen, wie wir sie wahrnehmen können; denn „unsere“ Helligkeit hat ja etwas mit dem Energiebereich des Lichtes zu tun, den wir mit unseren Augen empfangen können. Das ist das sichtbare Licht. Bei 1032 Grad aber – so heiß war es ja damals - gibt es kein sichtbares Licht mehr, sondern Gamma-Strahlung, da spielt sehr hohe Energie eine Rolle.

Was ist damals also aufgrund dieser Energie passiert? Wir wissen, wenn wir wieder unsere „irdischen Theorien“ zugrunde legen, dass e = mc2 ist, das bedeutet: Die Arbeit von etwas kann sich z. B. dadurch äußern, dass Teilchen spontan entstehen. Nun ist ja Energie weder positiv noch negativ geladen, d. h. Energie kann sich immer in ein Teilchen, z. B. in ein Elektron, und in sein Antiteilchen, das Positron, verwandeln. Sie kann sich aber auch, wenn sie heiß genug ist, z. B. in ein Proton und ein Antiproton verwandeln. Und ein Proton ist immerhin schon fast 2000 Mal schwerer als ein Elektron. D. h. diese Energien müssen höher sein, als wenn ein Elektron oder ein Positron erzeugt wird. Und so kann man mithilfe dieser Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge immer weiter und weiter zurückgehen, und man kommt im frühen Universum tatsächlich an einem Punkt an, an dem die ersten Teilchen entstanden sein müssen. Da hat das Universum schon ein gewisses Alter hinter sich, es ist von 10-43 Sekunden auf 10-35 Sekunden „gealtert“, hat sich entsprechend abgekühlt, und damals müssen die ersten Teilchen aufgetaucht sein.

Das waren allerdings Teilchen, die wir heute in keinem Energiezustand auf der Erde mehr feststellen können. Wir können sie nur „theoretisieren“ und über sie spekulieren, wir können sie nur „wahrscheinlich“ annehmen.

Das ist nicht einfach zu verstehen, denn was wir hier ins Spiel kommt, ist die Verbindung von Elementarteilchenphysik mit Kosmologie, von Mikro- und Makrokosmos. Die frühen Phasen im Kosmos und damit die Erzeugung sämtlicher Neutronen und Protonen im Kosmos – all das fußt auf der Vorstellung, dass die Theorien der Elementarteilchenphysik, die wir im Labor heute nachprüfen können, zu extrapolieren sind zu sehr hohen Energien, die wir nicht ohne weiteres im Labor herstellen können. Aber wie gesagt, wir müssen, wenn wir unsere Theorien beweisen wollen, die Kosmologie mit den Beobachtungen und Experimenten, die wir im Labor machen, zusammen bringen können. Das ist das Wichtige. Es gehört zu den großen intellektuellen Herausforderungen in der Naturwissenschaft, diese Verbindung herzustellen.

Wie fangen wir das an? Sie erinnern sich noch: Aus dem ungeheuer intensiven dichten Anfangszustand von 1032 Kelvin zu einer Zeit von 10-43 Sekunden dehnt sich das Universum aus und kühlt sich dabei ab. Was passiert genau?

Nehmen wir ein Beispiel: Was passiert mit Wasser in der Luft, wenn die Luft warm wird und aufsteigt? Die Luft steigt auf, und in einer bestimmten Höhe kondensiert das Wasser, es bildet sich eine Wolke. Während des Kondensationsvorgangs wird Energie frei. Diese sogenannte „latente Wärme“ führt dazu, dass die Wolke nach oben schießt, dabei kondensiert immer mehr Wasser. So können Wolken schlagartig entstehen und auch riesengroß werden.

Vielleicht kennen Sie auch folgendes Phänomen: Normalerweise gefriert Wasser zu Eis bei 0 Grad Celsius. Wenn es aber sehr sehr langsam abgekühlt wird, kann Wasser selbst bei Minustemperaturen flüssig bleiben. Zur Zeit liegt der Rekord bei ca. – 22 Grad Celsius. Wenn Sie aber bei dieser Temperatur dem Wasser nur „Guten Tag“ sagen, gefriert es sofort, schlagartig. Dieses Phänomen nennt man einen „spontanen Phasenübergang“. Das passiert deswegen so abrupt, weil das Wasser während der ganzen Zeit, als die Temperatur unter 0 Grad absank, in einem „falschen“ Zustand war. Denn eigentlich müsste es ja bei 0 Grad gefrieren. Und bei diesem Gefrieren, genau wie beim Kondensieren von Wasser in der Luft, wird Energie frei. Das müssen wir im Auge behalten, wenn wir uns jetzt die Ausbreitung des Universums in den ganz frühen Phasen anschauen:

Es muss etwas ganz Ähnliches stattgefunden haben, nämlich eine schlagartige Expansion. Das Universum ist in einer Zeit von 10-35 auf 10-33 Sekunden um 26 Größenordnungen gewachsen! Angefangen hat das Universum bei 10-25 cm, und am Ende dieser ersten Phase ist es 1 Meter groß! Das war eine sogenannte „inflationäre Expansion“, die da stattgefunden haben muss. Es muss so stattgefunden haben, weil wir sonst bestimmte Effekte, die wir heute noch beobachten können, gar nicht verstehen würden. Das Universum muss sich mit Überlichtgeschwindigkeit ausgebreitet haben. Darauf führt uns die Schwankung der kosmischen Hintergrundstrahlung.

Ein Widerspruch zur Relativitätstheorie, die besagt, dass die Lichtgeschwindigkeit absolut ist, ist das nicht. Denn die Relativitätstheorie trifft genau wie die Quantentheorie nur Aussagen über innere Eigenschaften, nicht aber über äußere. Alle Aussagen, die ich treffe zum Kosmos, beziehen sich nur auf innere Eigenschaften. Über die äußeren Bedingungen kann ich nichts sagen, die kennen wir nicht. Ich kann Ihnen nicht sagen, was etwa vor dem Anfang des Kosmos, des Big Bang war oder was außerhalb des Kosmos ist. Wir reden also eigentlich nur von der Innenarchitektur.

Aber zurück zu der inflationären Expansion: Die muss also in den frühen Phasen stattgefunden haben, bis irgendwann die Energie verbraucht war. Und seitdem expandiert das Universum ganz normal weiter. Warum muss das so gewesen sein?

Um Ihnen das zu verdeutlichen, muss ich etwas vorgreifen: Das Universum war ja heiß, Strahlung tauchte auf, von dieser Strahlung ist etwas übrig geblieben, die sogenannten „kosmische Hintergrundstrahlung“.

Die kosmische Hintergrundstrahlung, auch das „Echo des Urknalls“ genannt, ist überall im Universum gleichmäßig, homogen und isotrop (etwa 400 Photonen pro cqm). In dieser Hintergrundstrahlung sehen wir die Bewegung der Milchstraße relativ zum Hintergrund. Die Milchstraße bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von ein paar hundert Kilometern pro Sekunde auf den Virgo-Haufen zu, der Virgo-Haufen ist schwerer als die Gruppe, zu der die Milchstraße gehört, und da die Massen sich anziehen, bewegt sich die Milchstraße auf den Virgo-Haufen zu. In der Hintergrundstrahlung können wir diese Bewegung beobachten, das stellt sich in der einen Richtung blau verschoben, in der anderen Richtung rot verschoben dar. Wenn wir diese Effekte abziehen, dann stellen wir fest, die Hintergrundstrahlung ist in jeder Richtung im Universum gleich, vollkommen gleich.

Aber: Es gibt allerwinzigste Temperaturschwankungen in dieser Hintergrundstrahlung. Die Strahlungstemperatur sagt, das Universum hat eine Temperatur von – 271 Grad Celsius. Das ist im Vergleich zu früher sehr kalt. Früher war es zwar viel heißer, aber das Universum ist ja schon 13,7 Milliarden Jahre alt und hat sich entsprechend abgekühlt. Man kann also aus der Strahlung sowohl die Temperatur ablesen, aber auch die Temperaturschwankungen. Das sind ganz minimale Schwankungen (etwa 1 zu 100.000), aber das Entscheidende ist: Am ganzen Himmel kann man diese Schwankungen messen. Wir könnten, wenn unsere Augen empfindlich genug wären für diesen Bereich, den Radio-Bereich z. B., diese Schwankungen mit bloßem Auge am Himmel beobachten, so wie wir auch einen Stern sehen können.

Und jetzt kommt das Interessante: Als diese Strahlung entstand, war das Universum gerade mal 4000 Grad heiß, etwa 400.000 Jahre alt, und alle Teilchen hatten sich bereits zu Atomen formiert, und die Strahlung konnte sich jetzt endlich frei bewegen. Sie wurde nämlich nicht mehr gestoppt durch Elektronen. Jetzt frage ich Sie: Welche Struktur im Universum konnte kausal mit sich „in Beziehung stehen“, als das Universum 400.000 Jahre alt war? Wie groß kann das sein?

Die maximale Geschwindigkeit im Universum ist die Lichtgeschwindigkeit. Also sind die größten Strukturen, die in jeder Temperatur gleichmäßig sein können, höchstens 400.000 Lichtjahre groß. Mehr geht nicht! Nochmal: Wenn das Universum gleichmäßig mit Lichtgeschwindigkeit expandiert wäre, wäre die größte räumliche Ausdehnung der Temperaturfluktuation in der Hintergrundstrahlung 400.000 Lichtjahre gewesen. Es gab also eine bestimmte Erwartung, wie groß die Schwankungen am Himmel waren. Mit einer bestimmten Winkelgröße konnte man das dann auch nachmessen.

Was soll ich Ihnen sagen – die Schwankungen sind viel größer gewesen, als man angenommen hatte! Aus der Tatsache, dass wir Astrophysiker etwas Größeres gesehen hatten, als erwartet, mussten wir darauf schließen, dass das Universum eine Expansionsphase durchgemacht hat, die viel schneller war als die Lichtgeschwindigkeit. Es muss in den ganz frühen Phasen um 26 Größenordnungen innerhalb kürzester Zeit angewachsen sein.

Das wiederum bedeutet, dass das Universum, das wir heute „sehen“, ein „Witz“ ist. Das ist noch gar nichts. Das Universum ist de facto viel viel größer als das, was wir mit unserem Sensorium jemals wahrnehmen können! Die schnelle Abkühlung in den ersten 10-35 Sekunden hat dazu geführt, dass das Universum wahnsinnig schnell gewachsen ist. Und nach diesem Akt war die Materie da.

Ich habe vorhin über Kondensation und Ausfrieren am Beispiel der Wolkenbildung und des gefrierenden Wassers gesprochen. Die schnelle Ausdehnung des Universums hat aufgrund dieser beiden Prinzipien praktisch zur „Kristallisation“ der Materie geführt. Vorher gab es die noch gar nicht. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem sogenannten „Symmetriebruch“. Ein Symmetriebruch ist folgendes:

Symmetrisch ist etwas, was völlig gleich, nicht mehr unterscheidbar ist. Mit Symmetrie hat man es zu tun, wenn es völlig egal ist, in welche Richtung Sie schauen, zu welcher Zeit oder wie Sie schauen.

Und ein Symmetriebruch hat etwas mit Kräften zu tun. Nehmen Sie mal an, wir wären magnetische Lebewesen, die in einer magnetisierten Welt lebten. Wir könnten uns entlang bestimmter magnetischer Feldlinien bewegen, von Norden nach Süden, von Süden nach Norden, was anderes kennen wir nicht. Wenn wir jetzt versuchen würden, uns nur ein bisschen nach rechts oder links zu bewegen, würden wir durch die magnetische Kraft sofort wieder auf die Feldlinien zurückgezogen werden. Auf diese Art und Weise wüssten wir immer ganz genau, wo es lang geht. Wir könnten uns ganz leicht nach vorne und hinten bewegen, nach rechts und links dagegen fiele es uns schwer. Das wäre eine unsymmetrische Welt. Jetzt stellen Sie sich weiter vor, der Magnetismus würde durch Erhitzung aufgehoben – dieses Phänomen kennen wir ja von ferromagnetischen Materialien: die Eigenschaft des Magnetismus verschwindet zum Beispiel bei Eisen oberhalb einer bestimmten Temperatur. Sofort wären wir, an den Magnetismus gewöhnte Lebewesen, völlig orientierungslos, denn nun könnten wir in alle Richtungen laufen. Unsere Welt wäre symmetrischer geworden.

Wenn nun unsere Welt wieder abkühlt, kehrt plötzlich auch wieder der Magnetismus zurück, und alles wäre wie vorher. Das nennt man einen Symmetriebruch: Eine vorher symmetrische Situation (alles war gleichmäßig) wird durch die unsymmetrische, nämlich die Existenz einer neuen Kraft, in unserem Fall der magnetischen Kraft, gebrochen. Soviel zum Symmetriebruch.

Kommen wir nun wieder zurück zum Universum. Denn der Symmetriebruch (die plötzliche Expansion) sorgte dafür, dass die Materieteilchen nacheinander auftauchten, die wir heute kennen: Quarks, die die Nukleonen aufbauen, dann erschienen die Teilchen, die die Wechselwirkungen verursachen, z. B. das Photon, das zwar vorher schon vorhanden war, aber jetzt in stärkerem Maße auftauchte, dann die Teilchen, die dafür sorgen, dass die Atomkerne zusammen bleiben. Denn wie kann es sein, dass in den Atomkernen zwei Protonen, beide positiv geladen, in einem Kern zusammenhängen. Normalerweise würden sich ja gleichnamige Ladungen abstoßen. Was für eine Kraft ist da wirksam, die die Protonen zusammenhält? Diese Kraft wird durch, das wissen wir heute, Kluonen verursacht.

Dann gibt es noch die Leptonen, das sind die leichten Teilchen, also Elektronen z. B. Diese Teilchen entstanden noch die ganze Zeit auf Grundlage des Prinzips des Gleichgewichts, denn die Energie war immer hoch genug, so dass Teilchen- und Antiteilchen-Paare entstehen konnten. Ständig entstanden neue Paare, vernichteten sich wieder, wurden wieder zur Strahlung, das Universum expandierte, wurde kühler – und irgendwann war es für eine bestimmte Familie von Teilchen nicht mehr möglich, neu zu entstehen, weil die Temperatur zu niedrig geworden war.

Und jetzt wird es spannend: Unterhalb einer bestimmten Temperatur war es für bestimmte Teilchen nicht mehr so einfach, im Gleichgewicht mit der Strahlung zu sein. Es bleiben Teilchen- und Antiteilchenpaare übrig. Wenn nun damals genauso viele Teilchen wie Antiteilchen existiert hätten, dann wären wir Menschen zum Beispiel gar nicht da. Denn die Teilchen hätten sich ja gegenseitig vernichtet. Wir können heute mit hoher Präzision messen, wie viel Antimaterie es im Universum gibt, nämlich so gut wie keine. Die entsteht meistens bei Sternexplosionen, aber vom frühen Kosmos ist keine Antimaterie übrig. Das heißt aber, in den ganz frühen Phasen des Universums muss es eine winzige Asymmetrie gegeben haben, die übrig geblieben ist und die dafür gesorgt hat, dass heute noch Materie übrig geblieben ist. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: 5 Milliarden Teilchen haben ihre Partner gefunden, sie haben sich gegenseitig vernichtet. Da blieb nichts mehr übrig. Und auf 5 Milliarden Paare ist ein Single-Teilchen gekommen. Eine winzigste Asymmetrie also in den Naturgegebenheiten hat dafür gesorgt, dass am Ende dieser Vernichtungsphase noch Teilchen übrig geblieben sind.

Sie erinnern sich noch daran, was ich eben gesagt habe: Nach der inflationären Expansion brach die Phase der Materie-Entstehung aus. Die war ja auf einmal da. Aber das Universum entwickelte sich weiter, kühlte ab. Es muss also nach diesem Symmetriebruch zu einem weiteren Symmetriebruch gekommen sein. Nämlich zu dem Symmetriebruch, der darin bestand, dass irgendwelche Teilchen sich nicht so verhalten haben wie die anderen, dass es also nicht egal ist, ob ein Teilchen ein Teilchen oder ein Antiteilchen ist, dass es nicht egal ist, ob es sich links herum oder rechts herum dreht. Es muss einen bestimmten „Vorteil“ für einige Teilchen gegeben haben. Und so können wir sagen, dass in den Frühphasen des Kosmos die Entscheidung getroffen wurde durch die Naturgesetze, die es damals schon gab, dass in diesem Kosmos überhaupt noch etwas übrig bleibt.

Wenn damals eine Symmetrie geherrscht hätte, eine zahlenmäßige Gleichheit zwischen Teilchen und Antiteilchen, bräuchten wir uns gar nicht darüber unterhalten. Die Tatsache, dass überhaupt irgendetwas in unserem Universum da ist, verdanken wir gewissen Asymmetrien in den Anfangsphasen des Universums. Fast könnte ich sagen, das sind „Dreckeffekte“. Wenn unsere Welt vollkommen perfekt und sauber mathematisierbar wäre, dann gäbe es uns gar nicht, dann wäre keine Materie entstanden. Oder anders ausgedrückt: Wir sind das Ergebnis von ein paar netten „Fehlern“.

Also, wir haben jetzt gesehen: Das Universum hat seine erste inflationäre Phase hinter sich, die ersten Teilchen sind da, sie sind übrig geblieben, weil die Naturgesetzlichkeiten am Anfang zu einer winzig kleinen Asymmetrie geführt haben.

Bis jetzt haben wir nur von einem „Licht-Materie-Brei“ gesprochen. Was wir aber immer noch nicht wissen, ist, wie es im Universum überhaupt zu den Strukturen, zu den Galaxien gekommen ist oder auch nur zu Atomen oder Atomkernen. Denn das ist es ja, was wir heute sehen, wenn wir den Kosmos beobachten: Das leere Universum, in dem es hie und da eine Sterneninsel, also eine Galaxie gibt, die sich zu immer größeren Galaxienhaufen zusammen getan haben, und die wiederum zu Galaxiensuperhaufen. Wie ist es dazu gekommen? Wir müssen uns aber auch noch fragen, wie entstand der Wasserstoff, das Helium, wo kommen die anderen Elemente her. Die Antworten darauf gebe ich in der nächsten Sendung.
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* Zum Autor:
Prof. Dr. Harald Lesch lehrt theoretische Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; seine Forschungsschwerpunkte sind: Schwarze Löcher, Neutronensterne und kosmische Plasmaphysik. Lesch ist Fachgutachter für Astrophysik bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Mitglied der astronomischen Gesellschaft. 2005 erhielt Lesch den Communicator-Preis der DFG.

Bücher:
- Kosmologie für Fußgänger. Goldmann.
- Big Bang. Zweiter Akt. Bertelsmann.
- Physik für die Westentasche. Piper.