SWR 2019 Warum Kühe Hörner brauchen . Von Peter Jaeggi >< 'Enthornung' >< 'Trumpsches Empathiesyndrom' > Diskurs Aktuell . Gefährliches Mitleiden Die negativen Seiten der Empathie

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Enthornung (P. Jaeggi)
'Enthornung' oder 'Trumpsches Empathiesyndrom'

SWR 2019 Warum Kühe Hörner brauchen . Von Peter Jaeggi ><  'Enthornung' >< 'Trumpsches Empathiesyndrom' > Diskurs Aktuell . Gefährliches Mitleiden Die negativen Seiten der Empathie


I  ENTHORNUNG
SWR Wissen . Warum Kühe Hörner brauchen . Von Peter Jaeggi
Sendung: Montag, 21. Januar 2019, 8.30 Uhr
Redaktion: Gábor Páal Regie: Peter Jaeggi Produktion: SWR 2019
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.

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ÜBERBLICK
Kühen werden die Hörner meist entfernt – aus Kostengründen. Tierschützer halten das für
eine unnötige Qual. Nicht nur in der Schweiz wird das Enthornen der Rinder zunehmend in
Frage gestellt.
Vermutlich mehr als 80 Prozent von Europas Milchkühen haben heute keine Hörner mehr. Dabei spielen Hörner eine zentrale Rolle in ihrem Sozialverhalten. Eine neue Studie zeigt: Mehr als ein Drittel der Kälber leidet nach dem Enthornen noch monatelang.
 
Warum Kühe Hörner brauchen
In der Schweiz gab es zum Thema im November 2018 eine Volksabstimmung. Biobauern wollten erreichen, dass Landwirte, die auf die Enthornung ihrer Kühe verzichten, dafür eine staatliche Unterstützung enthalten - doch der Vorschlag fand in der Bevölkerung keine Mehrheit.
Allein in Deutschland werden jährlich rund 1,4 Millionen Kälber enthornt - wegen der Unfallgefahr. Ein Forscherteam der Universität Bern hat herausgefunden, dass Kälber nach der Enthornungs-Prozedur noch lange an Schmerzen leiden:
„38 Prozent der enthornten Versuchstiere haben am Kopf selbst drei Monate nach dem Eingriff schon bei leichter Berührung Schmerzreaktionen. Mit anderen Worten: Der Schmerz dauert mit Sicherheit länger als drei Monate. “
Möglicherweise halten die Schmerzen ein ganzes Tierleben lang an? – Man weiß es nicht. Die Studie wurde vom Schweizer Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben, dem Bundesamt für Landwirtschaft. Allerdings begrenzt auf die ersten Monate nach der Enthornung. Der Schweizer Tierschutz STS fordert, diese Studie zu verlängern. Nur so lässt sich herauszufinden, wie lange die Tiere wirklich leiden.

Die Hornknospen der Kälber werden weggebrannt

In der Regel werden Kälber mit einem Gerät namens Thermokauter enthornt. Das ist eine Art heißes Brenneisen, das den Hornansatz wegbrennt. Der Thermokauter wird auf ungefähr 600 Grad erhitzt. Dann wird er auf die Hornknospe der Kälber gedrückt und ungefähr 10 Sekunden gehalten, bis ein Ring um die Hornknospe herum ausgebrannt wird. Ein Horn kann so nicht mehr entstehen.

Thermokauter brennt Kälbern Hornknospe weg

Hier wird einem Kalb mit einem Thermokauter die Hornknospe weggebrannt. In Deutschland ist das bis zum Alter von sechs Lebenswochen ohne Betäubung erlaubt.
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Kälber erleiden durch die Enthornung starke Schmerzen
In Deutschland müssen pro Jahr anderthalb Millionen Kälber diese Prozedur über sich ergehen lassen. Sie dürfen bis zum Alter von sechs Lebenswochen ohne Betäubung enthornt werden. Nur Beruhigungs- und Schmerzmittel sind vorgeschrieben. Doch diese Mittel können Schmerzen nicht völlig unterbinden, sagt Gerd Möbius von der deutschen tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz TVT:
„Dazu müsste dringend ein Lokalanästhetikum gegeben werden, um die Schmerzen, die bei der Enthornung entstehen zu reduzieren oder am besten ganz auszuschalten.“

Warum wird überhaupt enthornt?
In der Regel enthornen Bauern ihre Kühe, um sie wirtschaftlicher halten zu können. Landwirte nutzen oft das Argument, dass sich Kühe bei ihren Rangkämpfen in den Laufställen mit ihren Hörnern verletzen würden. Sie befürchten auch, dass Stallarbeiter durch die Hörner der Kühe gefährdet würden. Dem widerspricht Stiftungsratspräsident des Schweizer Forschungsinstitutes für biologischen Landbau, Martin Ott. Er meint, es liege daran, dass Kühe mit Hörnern einfach mehr Raum einnehmen und das für die Bauern nicht wirtschaftlich sei. Kühe ohne Hörner könnten besser in sehr engen Laufställen gehalten werden.
 
Hornknospe Kalb 
Bei Kälbern wächst das Horn aus der Hornknospe heran. Wird sie ausgebrannt, dann kann das Kalb keine Hörner mehr ausbilden.

Kühe mit Hörnern sind nicht gefährlicher
Eine Reihe von Studien belegt, dass Kühe nicht gefährlicher sind, nur weil sie Hörner haben. Eine der jüngsten Studien beschäftigt sich gerade mit „Hörnern im Laufstall“. Forscher der Universität Kassel haben drei Jahre lang deutschlandweit 39 Milchkuh-Betriebe auf hornbedingte Tierschäden untersucht. Die Agrarwissenschaftlerin Julia Johns hat die Studie wissenschaftlich begleitet. Ihr Ergebnis:
„In behornten Herden nehmen die Auseinandersetzungen mit Körperkontakt eher ab. In hornlosen Herden dagegen sind Verletzungen häufiger, da die Tiere sich mit Körperkontakt, also mit Kopfstoß, gegenseitig verletzen.“

Hörner dienen den Tieren auch zur Kommunikation
So reichen oft kleine Bewegungen mit dem gehörnten Kopf um Distanz zu schaffen. Hornlose Kühe hingegen brauchen dazu oft den Kopfstoß, also direkten Körperkontakt.
Gehörnte Kühe führen zu weniger Verletzungen im Stall - so lautet eine weitere Erkenntnis der Kasseler Studie: Auf Bauernhöfe, in denen sämtliche Kühe Hörner tragen, treten keine oder sogar weniger hornbedingte Schäden und Verletzungen auf als in Ställen mit teilweise enthorntem Tierbestand. Das ist für Forscherin Johns ein Hinweis darauf, dass Ställe so gebaut werden können, dass trotz Hörnern wenig passiert. Dabei geht es primär darum, das Konkurrenzverhalten der Tiere untereinander zu minimieren, indem man ihnen mehr Platz zugesteht.
 
Rangkampf Kühe
In behornten Herden nehmen die Auseinandersetzungen mit Körperkontakt eher ab. Die Kühe können sich mithilfe ihrer Hörner offenbar besser verständigen.
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Hörner sind die Klimaanlage der Kuh

Die Hörner sorgen dafür, dass die Kuh einen kühlen Kopf behält. Sie kann über die Hörner überschüssige Wärme ableiten und so vor allem das Gehirn schützen. Das legen mehrere Studien nahe. Je heißer das Klima, umso grösser sind deshalb die Hörner. Und umgekehrt. In kühlen Weltgegenden wachsen kleinere Hörner.
Kühe fühlen sich offenbar am wohlsten bei Temperaturen von knapp unter null Grad bis plus 25 Grad. Oberhalb davon kann das Tier Hitzestress erleben. Unterhalb davon empfindet das Tier auch Kältestress. Die Hörner haben da eine Regulationsfunktion.

Wenn in der Herde Ruhe herrscht, kommt es selten zu Hornunfällen

Voraussetzung für Ruhe in der Herde sei eine gute Mensch-Tier-Beziehung, so die Forscher. Das bedeutet freundlich und geduldig sein mit den Tieren, sie streicheln, ruhig sprechen, nicht anschreien, nicht schlagen, nicht stoßen. Allerdings reiche ein einmaliges Streicheln nicht. Es brauche einen permanenten positiven, freundlichen Kontakt. Davon können Kälber auf Groß- und Riesenbetrieben mit vielen tausend Tieren aber nur träumen.

Massentierhaltung Kühe

Aus wirtschaftlichen Gründen werden viele Kühe heute in Groß- und Riesenbetrieben untergebracht. Viel Platz bleibt dem einzelnen Tier da nicht.
Kühe und Kälber verbringen ihr kurzes Leben oft in vollautomatisierten Ställen
Zwischen Mensch und In Deutschland leben europaweit die meisten Milchkühe. In den größten Ställen stehen über tausend Kühe. Vollautomatische Melk- und Fütterungssysteme, Reinigungsroboter, automatische Fellpflege … Die Zukunft des beziehungslosen Mensch-Tier-Verhältnisses hat längst begonnen.

Eine Kuh lebt im Schnitt nur zweieinhalb Jahre
Die Nutzungsdauer einer Kuh beträgt in großen Tierhaltungen gerade mal zweieinhalb Jahre, sagt Anet Spengler, Schweizer Agrar-Ingenieurin und Nutztierwissenschaftlerin vom FIBL, dem weltweit führenden Forschungsinstitut für biologischen Landbau. Spengler kritisiert, das sei unglaublich kurz. Dieses kurze Leben und damit verbunden ständig neue Tiere im Stall trägt nicht zu Herdenruhe und zu einer guten Beziehung zwischen den Tieren und auch zwischen Tier und Mensch bei.

Ist die Zucht von hornlosen Rindern eine Alternative?
Mit der Zucht hornloser Rinder wird bereits in großem Stil experimentiert. Bei einigen Rinderrassen könnte es in wenigen Jahren gar keine horntragenden Kühe mehr geben. Die Nutztierwissenschaftlerin Anet Spengler kritisiert:
„Das Wegzüchten ist ja noch schlimmer als einfach wegnehmen. Denn dann können Kühe überhaupt keine Hörner mehr ausbilden, obwohl wir nicht einmal genau wissen, für was alles sie sie ausbilden“.
Da an einem Wesensmerkmal aller Rinder gezüchtet wird, sind die Effekte, die das auf die Genetik haben könnte, vollkommen unbekannt.
 
Kühe im Stall
Einige Rassen werden mittlerweile extra hornlos gezüchtet.
Spielen die Hörner auch für die Verdauung der Wiederkäuer eine Rolle?

Hinweise darauf hat die deutsche Agrarwissenschaftlerin Jenifer Wohlers gefunden:
„Das Horn ist bei den Milchkühen innen hohl und hat eine Verbindung zum Stirnraum. Das heißt, wenn die Kuh atmet wird auch die Stirn mit durchgeatmet. Da die Kuh ein Wiederkäuer ist, atmet sie auch die Gase, die sie in ihrer Verdauung produziert, nämlich Methangase und Kohlendioxid, bis in die Hörner hinein. Die Hörner sind dann ganz stark durchblutet.“
Wohlers geht davon aus, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Atmung bis in die Hörner hinein und der effektiveren Verdauung. Das ist jedoch bisher nicht wissenschaftlich belegt. Belegt ist aber, dass sich der Schädel bei enthornten Kälbern anders entwickelt. Sie haben ein höheres, etwas spitzeren Stirnbein als bei Tieren mit Hörnern. Agrar-Ingenieurin Anet Spengler geht davon aus, dass diese höhere Stirnbein-Wölbung eine Kompensation sein könnte für den fehlenden Horn-Hohlraum.
 
Kuhhorn innen
Die Hornhöhle ist mit dem Schädel verbunden.
Die Hörner der Milchkuh sind für die Bauern teuer

Denn Landwirte bekommen für ihre Erzeugnisse nicht den Preis, der für eine ethisch verantwortbare Tierhaltung nötig wäre. Es gibt aber Milchproduzenten und Verarbeiter, die Milch und Käse explizit von horntragenden Kühen verkaufen. Demeter ist ein Beispiel dafür. Demeter-Milch ist dementsprechend teurer als Milch von anderen Milchproduzenten.
Weitere Recherchen und Interviews zum Thema hat unser Autor Peter Jaeggi auf seiner eigenen Website in dieser Broschüre zusammen gefasst.
Online: Anja Braun
Stand: 21.1.2019, 9.12 Uhr
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MANUSKRIPT-  GESPRÄCH
Kuhhornmusik
O-Ton Ulrich Mück:
Eigentlich ist das Horn ein Organ, das mit dem Gesamten der Kuh verbunden ist. Ein
Würdeorgan und als Kommunikationsorgan eher auch zu bezeichnen.
Zitat:
Das Enthornen bedeutet für die betroffenen Tiere eine ungerechtfertigte
Schadenszufügung.
O-Ton Ulrich Mück:
Ganz grundsätzlich muss man sagen, dass es keine Hinweise und keine
wissenschaftlichen Untersuchungen gibt, dass horntragende Rinder gefährlicher wären,
nur weil sie Hörner haben.
2
O-Ton Martin Ott:
Wenn wir nur an die Finanzen denken, da wäre es auch sehr gut, den Kühen ein Bein
abzuzüchten. Dann hätte ich nur noch an drei Klauen Krankheiten.
Ansage:
Warum Kühe Hörner brauchen. Eine Sendung von Peter Jaeggi.
Musik „Mühe mit den Kühen“
Erzähler:
„Mühe mit den Kühen“, singt Marc Trauffer aus der Schweiz. Dort waren die Hörner Ende
2018 ein Thema, das die ganze Nation bewegte und weltweit Schlagzeilen machte. Das
Stimmvolk lehnte nämlich knapp ab, dass Bauern, die Rindern und Ziegen ihre Hörner
belassen, vom Staat Geld erhalten.
Die Schweizer Landwirtschaftslobby wehrte sich erfolglos dagegen. Viele Bauern teilten
nämlich die Ansicht, die auch Bauern in der EU vertreten. Wie der Südschwarzwaldbauer
Oswald Tröndle.
O-Ton Oswald Tröndle:
Die Hörner … ich sag jetzt mal, Hörner und mit den Tieren arbeiten ist für mich ein Gräul,
ja.
Erzähler:
Auf seinem Betrieb in Höchenschwand im Kreis Waldshut stehen derzeit rund 130
Milchkühe. Allesamt hornlos. Oswald Tröndle sitzt im Kreisvorstand des Badischen
landwirtschaftlichen Hauptverbandes. Wir stehen in seinem Laufstall, in dem sich die
Tiere frei bewegen. Allerdings sind die Liegeboxen darin ziemlich eng. Mehr als zwei
Drittel von Deutschlands Kühen werden in Laufställen gehalten.
O-Ton Oswald Tröndle:
Also ich mein, man muss die Tiere halten, man muss die Tiere führen mit einem Seil,
dann sind Hörner dran. Je größer die Einheit ist, umso risikoträchtiger ist das mit den
Tieren. Und wenn der Mensch da zwischen den Tieren ist und es kommen aufs Mal die
Hörner ins Spiel, kann das für den Menschen extrem bedrohlich werden.
Erzähler:
Ein oft gehörtes Argument. Martin Ott widerspricht. Er ist einer der prominentesten
Schweizer Biobauern sowie Buchautor und Stiftungsratspräsident des
Forschungsinstitutes für biologischen Landbau. In der Schweiz leitet Ott die Schule für
biodynamische Landwirtschaft.
O-Ton Martin Ott:
Ich kann einfach aus Erfahrung sagen, das sind Argumente, die etwas Wirtschaftliches
zudecken. Es ist in gewissen Laufställen einfach nicht möglich, Kühe mit Hörnern zu
haben, ohne einen unheimlichen Aufwand oder zusätzliche baulichen Maßnahmen, die
man treffen muss, und das sind dann alles Argumente, die die Bauern dann brauchen,
und dann meinen sie ihren eigenen Stall.
3
Erzähler:
Der älteste ökologische Anbauverband Europas ist Demeter. Demeter ist auch das Label
für Lebensmittel aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft. Es verbietet seinen
angeschlossenen Betrieben als einziges Label die Enthornung der Tiere. Ulrich Mück ist
seit 30 Jahren Demeter-Berater in Bayern. Wenn er für Kuhhörner plädiert, holt er weit
aus, geht zurück bis in die Anfänge der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Kuh
und ihren Hörnern.
O-Ton Ulrich Mück:
In den Höhlenzeichnungen ist ganz wunderbar zu lesen, dass den Menschen damals die
Hörner ganzheitlich als ein Organ der Rinder erschienen sind, was unbedingt mit drauf
musste.
Erzähler:
Bereits vor etwa 40.000 Jahren zeichneten Steinzeitmenschen Ur-Rinder mit ihren
mächtigen Hörnern auf Felsen.
Musik „Stille Nacht“
O-Ton Ulrich Mück:
Die Krippe … im Mittelalter seit dem 12. Jahrhundert steht ein horntragender Ochse an
der Geburtsstätte des Jesus. Die heutige Berufsgenossenschaft hätte wahrscheinlich
große Einwände dagegen, dass das jetzt ein horntragender Ochse ist. Aber es war mal
so und es zeigt auch, dass dieses horntragende Tier eigentlich keine Bestie ist und dass
es dem Menschen sehr angenähert werden kann.
Erzähler:
Die Sichtweise von Ulrich Mück. – Die wohl älteste Krippendarstellung stammt aus dem
4. Jahrhundert. Zu sehen in den Vatikanischen Museen auf dem Sarkophag der
Kaisergattin Crispina. Erstaunlich: Maria und Josef sind im Hintergrund. Dafür steht der
behornte Ochse neben dem Esel direkt an der Krippe. Scheint ganz so, als ob das
Christenvolk keine Angst vor horntragenden Ochsen hatte, sagt Ulrich Mück und fragt
sich: Wie sonst würden sie ihn so nahe zum Kind stellen? – Apropos Kinder:
Musik „Kinderlied ‚ABC‘“
Erzähler:
Die Hörner der Kuh stecken sogar im ersten Buchstaben unseres Alphabets. Die Urform
dieses Buchstabens geht nach heutigem Forschungsstand auf eine 4.000 Jahre alte
ägyptische Hieroglyphe zurück. Ein Bildzeichen, das einen Ochsenkopf mit Hörnern
darstellt. Da waren die Hörner noch oben. Im Lauf der Jahrtausende gelangte das
Zeichen über das phönizische und griechische schließlich ins lateinische Alphabet. Dabei
hat es sich verändert und gedreht – so dass die einstigen Hörner die Füße des
Buchstabens A geworden sind.
Kuhhornmusik
Erzähler:
Im Horn der Kuh steckt auch Musik. Der Schweizer Musiker Roland Schwab entlockt
dem Kuhhorn solche Töne. Vermutlich verwendeten bereits unsere frühesten Vorfahren
4
Tierhörner zu Signalzwecken. Zum Beispiel die Hörner vom Urahnen all unserer
Hausrinder, dem wildlebenden Auerochsen.
Kuhhornmusik
Erzähler:
Ur-Hörner hatten in uralten Kulturen des Nahen Ostens und Europas eine spirituelle
Bedeutung. Lyraförmige Hörner sind in frühzeitlichen und antiken Darstellungen das
kosmische Symbol für die Verbindung des Irdischen mit dem Universum.
Eine Reihe von Studien belegt, dass Kühe nicht gefährlicher sind, nur weil sie Hörner
haben. Eine der jüngsten heißt „Hörner im Laufstall“, 2018 von der Universität Kassel
veröffentlicht. Drei Jahre lang wurden deutschlandweit 39 Milchkuh-Betriebe auf
hornbedingte Tierschäden untersucht. Die Agrarwissenschaftlerin Julia Johns hat die
Studie wissenschaftlich begleitet. Ihr Ergebnis:
O-Ton Julia Johns:
Da konnten wir auch teilweise die Literatur bestätigen, dass in behornten Herden die
Auseinandersetzungen mit Körperkontakt tendenziell eher abnehmen und eher in
hornlosen Herden auftreten.ö Dort können auch Blutergüsse unter der Haut auftreten,
wenn sich da die Tiere mit Körperkontakt, also mit Kopfstoß gegenseitig verletzen.
Erzähler:
Denn sind die Hörner da, reicht in der Kommunikation zwischen den Tieren meist nur
eine kleine Bewegung mit dem Kopf, um Distanz zu schaffen. Hornlose Kühe hingegen
brauchen dazu oft den Kopfstoß, also direkten Körperkontakt. – Eine weitere Erkenntnis
der Kasseler Studie:
O-Ton Julia Johns:
Es gibt sehr große Unterschiede zwischen den Betrieben.
Erzähler:
So etwa gibt es Bauernhöfe, in denen sämtliche Kühe Hörner tragen. Trotzdem treten
keine oder sogar weniger hornbedingte Schäden und Verletzungen auf als in Ställen mit
teilweise enthorntem Tierbestand. Für Julia Johns ein Hinweis darauf, dass Ställe so
gebaut werden können, dass trotz Hörnern wenig passiert. Dabei geht es primär darum,
das Konkurrenzverhalten der Tiere untereinander zu minimieren, indem man ihnen mehr
Platz zugesteht.
O-Ton Julia Johns:
Grundsätzlich wird ja erwartet, dass eben ein höheres Flächenangebot benötigt wird.
Hier spricht man von 25 bis 40 Prozent. Was man eben braucht für größere
Abmessungen von Lauf- und Fressgängen sowie im Wartebereich. Das wären dann
ungefähr Mehrkosten von 10 bis 20%. Obwohl wir jetzt in unserem Projekt gesehen
haben, dass eben dieses Zusammenspiel der vielen Faktoren viel wichtiger ist und eben
vielleicht ganz andere Faktoren entscheidend sind als nur dieser größere Flächenbedarf.
Aber eben, grundsätzlich kann ein großflächiger Stall nicht schaden.
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Erzähler:
Susanne Waiblinger ist Professorin am Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der
veterinärmedizinischen Universität in Wien. Im Skype-Gespräch empfiehlt sie eine
weitere unfallverhütende Maßnahme:
O-Ton Susanne Waiblinger:
Ein wichtiger Managementpunkt ist auch, dass man sehr spitze Hörner abrundet, die
können messerscharf sein. Das machen auch Landwirte, die erfolgreich sind. Die feilen
die ein bisschen rund. Da ist schon mal nicht schnelle eine tiefe Verletzung da.
Atmo:
Leute begutachten Kühe im Stall. Stimmen. Kühe muhen. / Deutsche Frau: Die hat
eigentlich schön geformte Hörner / Mann, Schweizer, Hochdeutsch: Ich hab gemeint, ein
Horn sei schön, wenn es so halbmondförmig wäre. Aber jetzt sehe ich Biegungen in alle
Richtungen und das macht es auch sehr schön und elegant. Geschwungen nach vorne
und nach hinten, / Muhen / Interessant wär`s eigentlich die Kühe zu fragen, was ein
schönes Horn ist.
O-Ton Claudia Capaul:
Es geht nicht darum, ob eine Kuh glücklicher ist, sondern es geht darum, dass wir das
Wesen einer Kuh nicht zerstören dürfen. Dass wir sie so lassen, wie sie ist, wie sie
geschaffen wurde. Und dazu gehören die Hörner.
Erzähler:
Auf einem Schweizer Bauernhof wird die Miss Horn gewählt. Die Kuh mit den schönsten
Hörnern.
Kuhhörner sind schön – die Sicht des Menschen. Aus der Sicht von der Kuh ist das Horn
jedoch weit mehr: nämlich ein nützlicher, integrierter Bestandteil ihres Wesens, ihres
Körpers. Ein Augenschein mit dem Biolandwirt Martin Ott in seinem Stall:
Atmo:
Kuhstall
O-Ton Martin Ott:
Also wir sind jetzt hier bei einer Kuh und ich halte sie um den Hals und gehe jetzt mit den
Händen an die Hornbasis. Und wenn ich da nach oben zur Spitze fahre, sehe ich erstens
Ringe, einer zwei, drei, vier. Das sind mal vier Kälber, die sie hat. Jedes Mal bei der
Kalberung gibt es eine gewisse Veränderung bei der Hornbasis, ähnlich wie beim Holz
im Wald. Und wenn ich jetzt da an die Spitze fahre, merke ich sofort an der Hand, dass
die Temperatur rapid abnimmt, von Zentimeter zu Zentimeter und an der Hornspitze
eigentlich die Außentemperatur. Das heißt: Wir haben am Horn eine Kühlung.
Erzähler:
Die Hörner sorgen dafür, dass die Kuh einen kühlen Kopf behält. Sie kann über die
Hörner überschüssige Wärme ableiten und so vor allem das Gehirn schützen. Das legen
mehrere Studien nahe. Je heisser das Klima, umso grösser sind deshalb die Hörner. Und
umgekehrt. In kühlen Weltgegenden wachsen kleinere Hörner, erklärt Ton Baars,
holländischer Milchexperte.
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O-Ton Ton Baars:
Eine Kuh hat einen bestimmten physiologischen Bereich, wo sie sich wohl fühlt und das
ist ungefähr rund um den Null Grad, ein bisschen Minus, und dann ungefähr plus 20, plus
25. Oberhalb davon kann das Tier Hitzestress erleben und unterhalb davon empfindet
das Tier auch Kältestress. Und die Hörner haben da eine Regulationsfunktion.
Kuhhornmusik
Erzähler:
Herdenruhe. Darin sehen Fachleute eines der Erfolgsrezepte zum Vermeiden von Horn-
Unfällen zwischen Tieren und auch mit Menschen. Voraussetzung sei eine gute Mensch-
Tier-Beziehung. Freundlich und geduldig sein mit den Tieren, sie streicheln, ruhig
sprechen, nicht anschreien, nicht schlagen, nicht stoßen. Das sagt auch Martin Ott:
O-Ton Martin Ott:
Nach der Geburt des Kalbes gibt es Momente, wo man gezielt die Mensch-Tier-
Beziehung mit einer Massage pflegen kann und man zwei Jahre später beim Rind den
Unterschied noch sieht beim Kalb im Verhalten, ob es eine solche Massage bekommen
hat oder nicht.
Erzähler:
Allerdings reicht ein einmaliges Streicheln nicht. Es braucht einen permanenten
positiven, freundlichen Kontakt. Davon können Kälber auf Groß- und Riesenbetrieben mit
vielen tausend Tieren nur träumen.
O-Ton Anet Spengler:
Es gibt Betriebe, die das schaffen bis etwa 150 Tiere, sie wirklich individuell zu betreuen,
und dann würde ich mal sagen, ist Schluss.
Erzähler:
Anet Spengler, Schweizer Agrar-Ingenieurin und Nutztierwissenschaftlerin vom FIBL,
dem weltweit führenden Forschungsinstitut für biologischen Landbau. In Deutschland
leben europaweit die meisten Milchkühe. In den größten Ställen stehen über tausend
Kühe. Vollautomatische Melk- und Fütterungssysteme, Reinigungsroboter, automatische
Fellpflege … Die Zukunft des beziehungslosen Mensch-Tier-Verhältnisses hat längst
begonnen.
Anet Spengler:
In Ländern, wo ganz große Tierhaltungen sind, ist die Nutzungsdauer noch bei
zweieinhalb Jahren. In Israel ist sie bei 1,7 Nutzungsjahren. Bei uns in der Schweiz ist
sie auch tief – 3,5 bis 4 Jahre; aber höher als in der EU. Das ist, würde ich sagen, die
Konsequenz, welche die deutlichste Sprache spricht über die ganzen Herde hinweg
zweieinhalb Jahre Nutzungsdauer. Das ist unglaublich wenig. Also die Tiere leben nicht
lange, weil sie es nicht aushalten.
Erzähler:
Dass das kurze Leben und damit verbunden ständig neue Tiere im Stall auch nicht zur
Herdenruhe und damit zu einer guten Beziehung zwischen den Tieren und auch
zwischen Tier und Mensch beitragen, liegt auf der Hand.
7
Atmo:
Enthornung
Erzähler:
Wie ein Kalb enthornt wird, demonstriert ein Video des Agrarportals Landwirt.com auf
YouTube Man sieht, wie nach dem Wegscheren der Haare der Hornansatz mit einem
Thermokauter weggebrannt wird.
O-Ton Claudia Spadavecchia:
Der Thermokauter ist die übliche Methode, praktisch in allen Ländern bei jungen Kälbern.
Und da wird ein Brenneisen warm gemacht. Es wird erhitzt auf ungefähr 600 Grad. Und
dann wird es auf die Hornknospe draufgelegt und ungefähr 10 Sekunden gehalten, bis
ein Ring um die Hornknospe herum ausgebrannt wird.
Erzähler:
Erzählt Claudia Spadavecchia. Ein Horn kann so nicht mehr entstehen. Claudia
Spadavecchia ist Professorin für Veterinäranästhesiologie und Schmerztherapie an der
Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern. Allein in der Schweiz müssen jährlich etwa
200.000 Kälber diesen Eingriff über sich ergehen lassen. In Deutschland etwa anderthalb
Millionen. Hier dürfen sie bis zum Alter von sechs Lebenswochen ohne Betäubung
enthornt werden. Nur Beruhigungs- und Schmerzmittel sind vorgeschrieben.
O-Ton Claudia Spadavecchia:
In der Schweiz und in Österreich wird es nicht mehr erlaubt, also muss man die Tiere
unter Schmerzausschaltung enthornen. Und das kann eben auch von Tierhaltern
gemacht werden, wenn sie die entsprechenden Kurse gemacht haben. Bis im Alter von
drei Wochen kann der Tierhalter selber enthornen.
Erzähler:
Die in Deutschland vorgeschriebenen Beruhigungs- und Schmerzmittel können
Schmerzen nicht völlig unterbinden, sagt Gerd Möbius von der deutschen
tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz TVT:
O-Ton Gerd Möbius:
Es müsste zwingend ein Lokalanästhetikum gegeben werden, um die Schmerzen, die bei
der Enthornung entstehen zu reduzieren beziehungsweise auszuschalten.
Erzähler:
Denn selbst bei hoher Dosierung mit einem Schmerz- und Beruhigungsmittel bäumen
sich die Kälber beim Brennen oftmals auf, sagt Veterinär Gerd Möbius. Ziel ist es aber,
ganz von der Enthornung wegzukommen, nämlich mit der Haltung beziehungsweise
Zucht hornloser Rinder. Claudia Spadavecchia und ihr Team haben eine
aufsehenerregende Studie gemacht. Es ging dabei um die Frage, wie lange ein Kalb
nach der 600-Grad- Enthornungs-Prozedur noch Schmerzen hat. Es ist weltweit die erste
Langzeitstudie zu dieser Frage.
O-Ton Claudia Spadavecchia:
Eine Erkenntnis der ersten Studie ist, dass die lokale Überempfindlichkeit länger bleibt
als nur die zwei, drei Tage, die bis jetzt bekannt waren. Und was wir sagen können, was
ebenfalls eines der Hauptresultate ist, dass es keine signifikanten Unterschiede gibt,
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wenn wir die Tiere im Alter von einer Woche oder vier Wochen enthornt haben. Das ist
sicher ein sehr wichtiger Befund für die Länder, die Frühenthornung ohne Schmerzmittel
erlauben. Weil das sollte man eben natürlich aus diesem Grund nicht unbedingt machen,
also das ist ein klarer Befund.
Erzähler:
Untersucht hat die Universität Bern auch die Langzeitschmerzen. 38 Prozent der
enthornten Versuchstiere zeigten am Kopf auch noch drei Monate nach dem Eingriff
schon bei leichter Berührung Schmerzreaktionen. Mit anderen Worten: Der Schmerz
dauert mit Sicherheit länger als drei Monate. Ein Leben lang? – Man weiß es nicht. Die
Studie wurde vom Schweizer Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben, dem
Bundesamt für Landwirtschaft. Es ist vom Schweizer Tierschutz STS hart kritisiert
worden, weil es die Studie nicht fortsetzte. Um herauszufinden, wie lange die Tiere
wirklich leiden.
Kuhhornmusik
Erzähler:
Bei älteren Rindern reicht die Stirnhöhle bis in die Hörner. Deshalb kann es laut Susanne
Waiblinger bei einer Enthornung Stirnhöhlen-Infektionen geben, verbunden mit langen
Heilungsprozessen. Vor allem bestehe ein Risiko für chronische Schmerzen. Sind die
Hörner schon da, sei dieser Eingriff nicht akzeptabel. Außer bei einer medizinischen
Indikation, etwa nach einer Hornfraktur.
Atmo:
Meckern Ziegen
Erzähler:
Was für Kühe und Rinder gilt, gilt auch für Ziegen. Das Horn ist Teil ihres Seins. Beispiel
Rangkämpfe. Ziegen stellen sich dabei auf die Hinterbeine, lassen sich nach vorne fallen
und prallen mit den Köpfen aufeinander. Die Hörner fangen den Aufprall ab. Dazu
Susanne Waiblinger von der Universität Wien:
O-Ton Susanne Waiblinger:
Wenn sie keine Hörner haben, da haben wir selber eine Untersuchung bei Ziegen
gehabt, da traten bei enthornten, hornlosen Tieren mehr Verletzungen auf als bei den
behornten Ziegen. Vor allem im Stirnbereich. Die Köpfe sind einfach nicht dazu gemacht,
häufig aufeinander zu prallen.
Erzähler:
Deshalb, so die Fachtierärztin für Tierhaltung und Tierschutz und für
Verhaltensforschung, sei eine Enthornung bei Ziegen abzulehnen. Bei Kitzen sei der
Eingriff noch deutlich belastender als bei Kälbern. Denn der Ziegenschädel ist sehr dünn
und die Hornknospen im Verhältnis zur Kopf sehr groß.
O-Ton Susanne Waiblinger:
Und Ziegen dürfen, wenn sie älter als vier Wochen alt sind, nicht mehr enthornt werden,
während bei Rindern, wenn sie älter sind, auch enthornt werden darf, was allerdings
grundsätzlich abzulehnen ist.
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Erzähler:
Wenn sie einen vorgeschriebenen Enthornungskurs besucht haben, dürfen Ziegenhalter
in der Schweiz selber enthornen. Unter der Leitung von Claudia Spadavecchia
untersuchte ein Team der Universität Bern im Jahr 2018 die Enthornungspraxis in der
Ziegenhaltung. Das Resultat ist erschreckend: Ein Drittel der Tiere war nicht
angemessen betäubt. Ein Großteil zeigte Schmerz-Reaktionen
Immer mehr werden auch Ziegen hornlos gezüchtet. Keine gute Idee, findet die
Nutztierwissenschaftlerin Anet Spengler vom Forschungsinstitut für biologischen
Landbau.
O-Ton Anet Spengler:
Bei Ziegen hängt die Hornlosigkeit sehr oft zusammen mit der Unfruchtbarkeit. Wenn das
junge Tier die Hornlos-Gene vom Vater und von der Mutter bekommen hat, dann ist es
homozygot hornlos. Das hat es vom Vater und von der Mutter, das heißt homozygot.
Solche Tere sind in der Regel unfruchtbar.
Erzähler:
Bei Rindern sei es anders. Sie werden bei der Hornloszüchtung nicht unfruchtbar. Mit
Ausnahmen. Anet Spengler:
O-Ton Anet Spengler:
Es gibt Beobachtungen aus den USA, dass Stiere, die homozygot hornlos gezüchtet
wurden, wenn sie so um die vier Jahre alt sind, diesen Korkenzieherpenis ausbilden. Der
dreht sich und dann kann er nicht mehr befruchten. Aber am Anfang nicht.
Erzähler:
Allerdings spielt dies heute in der rationalisierten Landwirtschaft kaum noch eine Rolle –
Kühe werden fast ausschließlich künstlich mit Samen befruchtet, den man zuvor den
Wunsch-Stieren abgenommen hatte. Von solchen mit normalem und solchen mit
Korkenzieher-Penis.
Kuhhornmusik
Erzähler:
Allein in Deutschland jedes Jahr gegen etwa 1,4 Millionen Kälber enthornt. Vermutlich
mehr als 80 Prozent von Europas Milchkühen haben heute keine Hörner mehr. Bei
einigen Rinderrassen könnte es in wenigen Jahren gar keine horntragenden Kühe mehr
geben. Die Nutztierwissenschaftlerin Anet Spengler und der Kuhexperte Ulrich Mück:
O-Ton Anet Spengler:
Wir dürfen niemals damit anfangen, die Hörner einfach wegzuzüchten. Das ist ja noch
schlimmer als einfach wegnehmen, wenn wir wegzüchten. Dass sie sie nicht mehr
ausbilden können, wenn wir nicht einmal genau wissen, für was alles sie sie ausbilden.
O-Ton Urich Mück:
Ich meine, dass Kühe mit Hörnern einen großen kulturellen Wert haben und dass sie
zudem auch für die Vielfalt der Genetik der Rinder eine große Rolle spielen. Man züchtet
da eigentlich an einem Wesensmerkmal aller Rinder. Denn Rinder sind Hornträger,
10
zoologisch gesehen, und die Effekte, die es haben könnte auf die Genetik, die sind
vollkommen unbekannt.
Erzähler:
Biolandwirt Martin Ott kritisiert, dass für die Enthornung vor allem wirtschaftliche Gründe
zählen. Und nicht das Tierwohl.
O-Ton Martin Ott:
Wenn wir nur an die Finanzen denken, da wäre es auch sehr gut, den Kühen ein Bein
abzuzüchten. Dann hätte ich nur noch an drei Klauen Krankheiten.
Atmo:
Kühe fressen Äpfel
Erzähler:
Kühe beim Apfelfressen. Die Wiederkäuer verwandeln auch Obst, Beeren und Blättern
von Bäumen zu Milch. Möglicherweise spielt das Horn auch bei der Verdauung eine
Rolle. Die deutsche Agrarwissenschaftlerin Jenifer Wohlers:
O-Ton Jenifer Wohlers:
Das Horn ist bei den Milchkühen innen hohl und hat eine Verbindung zum Stirnraum und
die Stirn wird mit durchatmet, wenn die Kuh atmet. Die Kuh ist ein Wiederkäuer. Das
heißt, sie atmet auch ganz viel die Gase, die sie in ihrer Verdauung produziert, die
Methangase und Kohlendioxid, bis in die Hörner hinein. Die Hörner sind dann ganz stark
durchblutet. Und ich gehe davon aus, dass da ein gewisser Übergang sein kann vom
Pansen in die Blutbahn hinein zur effektiveren Verdauung, könnte man sagen.
Erzähler:
Ob Horn und Verdauung tatsächlich zusammenhängen, ist wissenschaftlich nicht belegt.
Was man hingegen beobachtet: Bei enthornten Kälbern entwickelt sich der Schädel bis
zum Erwachsenenalter anders. Nämlich mit höherem, etwas spitzeren Stirnbein als bei
Tieren mit Hörnern. Anet Spengler geht davon aus, dass diese höhere Stirnbein-Wölbung
eine Kompensation sein könnte für den fehlenden Horn-Hohlraum.
Ebenfalls wissenschaftlich nicht belegt ist, dass – wie manchmal zu lesen ist – Kühe mit
Hörnern die bessere Mich geben. Anthroposophen verweisen zwar darauf, dass sich die
Milchkristall-Bilder zwischen behornten und nicht behornten Kühen unterscheiden. Doch
die sogenannte Steigbild-Methode, mit der das angeblich nachgewiesen wurde, ist
wissenschaftlich nicht anerkannt und ihre Aussagekraft gilt als fragwürdig.
Kuhhornmusik
Erzähler:
Hörner könnten auch einen Einfluss auf die Fleischqualität haben. Die Hypothese von
Agroscope, dem Kompetenzzentrum der Schweiz für landwirtschaftliche Forschung:
Rinder und Kühe ohne Hörner könnten mehr Stress haben, weil ihnen ein wichtiges
Instrument fehlt; etwa bei Rangkämpfen und beim Dominanzverhalten. Und Stress
beeinflusst biochemische Vorgänge. Das wiederum könnte sich auf die Fleischqualität
auswirken.
11
Atmo:
Melkmaschine
Erzähler:
Die Hörner der Milchkuh gibt es heute nicht mehr umsonst. Bauern bekommen für ihre
Erzeugnisse nicht den Preis, der für eine ethisch verantwortbare Tierhaltung nötig wäre.
Südschwarzwaldbauer Oswald Tröndle und Demeter-Experte Ulrich Mück:
O-Ton Oswald Tröndle:
Wenn der Konsument will, dass die Tiere Hörner tragen, dann müssen wir mehr
Sicherheitsauflagen beachten, die Produktion wird wesentlich teurer. Und ob der
Konsument dann bereit ist, dies zu entlohnen, hab ich meine Zweifel.
O-Ton Ulrich Mück:
Eine große Forderung ist sicherlich, dass endlich auch die Haltung horntragender Kühe
stärker gefördert wird. Das heißt, dass dieser Mehrplatzbedarf den Betrieben, die Ställe
für horntragende Kühe bauen, auch entgolten wird und ein sehr großer Wunsch ist
natürlich auch der, dass die Verbraucher diejenigen Halter unterstützen. Mit drei Cents
mehr wären die Kosten deckend getragen, die Mehrkosten. Ein kleiner Aufschlag für die
Milch würde es ermöglichen, horntragende Kühe zu halten.
Erzähler:
Wären Sie bereit, Ihren Kühen und Rindern die Hörner zu belassen, wenn Sie mehr Geld
für die Milch bekämen? Die Frage geht an Oswald Tröndle, den Landwirt im
Südschwarzwald.
O-Ton Oswald Tröndle:
Glaub ich nicht. Rein aus Sicherheitsgründen der Mitarbeiter ist das für mich nicht
denkbar, dass ich den Tieren nochmals Hörner hinzüchte, ja.
Erzähler:
Wer das anders sieht und beim Einkauf einen Beitrag an die Erhaltung dieses
Wunderhorns leisten wollen, das zum Wesen und zu einem artgerechten Leben der Kuh
gehört, hat die Wahl.
O-Ton Ulrich Mück:
Es gibt Hornmilch, Demetermilch, ist die Milch von horntragenden Kühen, es gibt auch
einige andere Hersteller, Käsereien, die Hornmilch und Hornkäse herstellen.
Demetermilch ist aber ganz grundsätzlich die Milch von horntragenden Kühen.
Erzähler:
Ob also die Kuh ihre Hörner behalten darf oder nicht, das hängt zumindest ein bisschen
von uns allen ab. Ob wir bereit sind mehr zu bezahlen.
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