SWR2 - Kooperation - Diskurse - Suchworte B
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B
Bildung, verwaltete(Sakkas); Bildung-Bologna (schmoll): Bierdeckel-Rente (Kühn); Bewusstsein I, II, III (Metzinger); Burn-out I (Voss) II (Bauer); Arm-Reich (Hartmann); Bild-Wahrnehmung (Sauer); Büchner 200.*(Wertheimer)
B
Bewusstsein (Metzinger) I-III :
I Bewusstsein http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-metzinger-bewusstseini-07-11.htm
II Bewusstsein http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-metzinger-bewusstseinii-07-11.htm
III Bewusstsein http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-metzinger-bewusstseiniii-07-11.htm
Bierdeckel-Rente (Kühn);
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-kuehn-bierdeckel-rente07-5.htm
Bildung, verwaltete(Sakkas);
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-sakkas-zeitkrise11-6.htm
Bildung-Bologna (Schmoll):
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-aula11-12schmoll-bildung.htm
Bild-Wahrnehmung (Sauer);
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-sauer-bild-wahrnehmung12-6.htm
Büchner 200.*(Wertheimer)
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-wertheimer-buechner13-10.htm
Burn-out I-III:
I (Voss)
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-voss-mitarbeiter-zukunft07-5.htm
II (Bauer)
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/randomhouse-blessing11-4schmerzgrenze.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/lebenswelt/randomhouse-blessing13-4bauer-arbeit.htm
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/kooperation-swr2/swr2-bauer-agression11-11.htm
III (Spitzer)
http://archiv.kultur-punkt.ch/presse-gesundheit/pte-burnout07-3.htm
SWR2 Wissen - Aula - Thomas Metzinger: Das letzte Rätsel der Philosophie. Was ist das Bewusstsein (1)
http://www.swr.de/swr2/wissen/-/id=661224/1muyzmy/index.html
SWR2 Wissen - Aula - Thomas Metzinger: Das letzte Rätsel der Philosophie. Was ist das Bewusstsein (1)
Autor und Sprecher: Prof. Thomas Metzinger *
http://www.philosophie.uni-mainz.de/metzinger/metzinger_dt.html
http://www.mentis.de/index.php?id=00000034&article_id=00000028&category=&book_id=00000413&key=metzinger
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 21. Oktober 2007, 8.30 Uhr, SWR 2
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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ÜBERBLICK
Keine andere Teildisziplin der Philosophie hat in den letzten Jahrzehnten eine so stürmische Entwicklung durchlaufen wie die Philosophie des Geistes. Die aktuelle Diskussion beschränkt sich dabei auf die Frage, was ist das phänomenale Bewusstsein, wie kann man es aus philosophischer Sicht beschreiben, aus welchen Elementen setzt es sich zusammen, warum finden es viele Menschen so aufregend und mysteriös zugleich? Thomas Metzinger, Professor für Philosophie an der Gutenberg-Universität in Mainz, fragt im ersten Teil, warum das Bewusstsein für Philosophen ein Rätsel ist.
ZUM AUTOR
Thomas Metzinger
geboren 1958, Studium der Philosophie, Ethnologie und Theologie in Mainz, Magisterarbeit über Rationalismus und Mystik, danach Promotion mit einer Arbeit über das Leib-Seele-Problem. 1992 Habilitation im Fach Philosophie, 1997 - 98 Fellow am Hanse-Wissenschaftskolleg in Bremen-Delmenhorst, ab 2000 Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Mainz. Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Geistes, Künstliche Intelligenz und verwandte Bereiche, Ethik.
BÜCHER
Grundkurs Philosophie des Geistes (Hrsg)., 3 Bände, Mentis Verlag.
Band 1: Phänomenales Bewusstsein.
Band 2: Das Leib-Seele-Problem.
Band 3 : Intentionalität und mentale Repräsentation.
Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity. Cambridge mit press.
Neuere Beiträge zur Diskussion des Leib-Seele-Problems. Lang.
Subjekt und Selbstmodell. Mentis.
Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie (Hrsg.). Mentis.
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INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: „Das letzte große Rätsel der Philosophie – was ist das Bewusstein“.
Der Mainzer Philosoph Professor Thomas Metzinger startet heute mit dem ersten Teil seiner insgesamt dreiteiligen Reihe über das Bewusstein. Zwar gibt es dazu gerade im Rahmen der Philosophie des Geistes viele neue Aspekte, Gedanken, Interpretationen, Sichtweisen, es gibt auch gerade seitens der Neurowissenschaften interessante neue Forschungsergebnisse, doch summa summarum bleibt das Bewusstein rätselhaft, und es ist äußerst schwer, es auf phänomenologischer Ebene zu beschreiben. Natürlich: Jeder Mensch hat ein Bewusstein, er empfindet Schmerz, Freude, Leid, er ist sich selbst gewiss, er ist sich selbst bewusst. Dennoch kann man diese Eigenschaften immer nur subjektiv beschreiben, sie scheinen sich dem objektiven Blick zu verweigern. Darum geht es um ersten Teil, in dem Thomas Metzinger seine Thesen erläutert.
Thomas Metzinger:
Meine These ist, dass es sich beim Bewusstseinsproblem nicht um ein einziges Problem handelt, sondern – sowohl auf philosophischer als auch auf empirischer Ebene – um ein ganzes Bündel von Fragen, die man sorgfältig auseinanderhalten muss. Beginnen wir deshalb gleich mit dem ersten einer kleinen Reihe von Gedankenexperimenten, die ich benutzen möchte, um Ihnen zu verdeutlichen, was es heißt, dass Bewusstsein sowohl ein begriffliches, als auch ein phänomenologisches und ein erkenntnistheoretisches Problem ist. Eine seriöse philosophische Untersuchung muss nämlich ein wohldefiniertes epistemisches Ziel besitzen. Das bedeutet, dass wir bereits am Anfang in der Lage sein sollten, deutlich zu sagen, was wir eigentlich wissen wollen, was genau das Erkenntnisziel der Überlegungen sein soll. Das philosophische Problem des Bewusstseins besteht zum Teil darin, dass bereits dieser erste Schritt besonders schwer ist: Was genau ist es eigentlich, das wir wissen wollen? Worin genau besteht das Problem des Bewusstseins? Und wann hätten wir das Gefühl, dass das Problem endgültig gelöst ist?
Nehmen wir einmal an, auf unserem Planeten würden außerirdische Wesen landen, die uns freundlich gesinnt sind und sogar ein Interesse an der Kommunikation mit uns Menschen hätten. Natürlich müssten wir, da diese Wesen das Problem des überlichtschnellen Reisens gelöst hätten, davon ausgehen, dass sie uns in wissenschaftlicher und möglicherweise auch in philosophischer Hinsicht extrem überlegen sind. Der Sprecher der Außerirdischen aber berichtet uns von einem Problem: „Es gibt etwas, das wir nicht verstehen. Wir können Eure Körper und Eure Gehirne auf jeder beliebigen Beschreibungsebene erschöpfend erfassen,“ sagt der extraterrestrische Besucher. „Wir wissen, wie Eure Gehirne aus der Evolution auf diesem Planeten entstanden sind, wir können Eure funktionalen Eigenschaften und den Informationsfluss in Eurem Nervensystem mit einer fast beliebigen Genauigkeit beschreiben und vorhersagen. Auch Eure repräsentationalen Zustände, die Inhalte Eurer kognitiven Prozesse und Eures Selbstmodells geben uns keinerlei Rätsel mehr auf – und sogar das aus diesen Zuständen resultierende Verhalten können wir mit großer Zuverlässigkeit vorhersagen. Ihr jedoch habt Ausdrücke in Eurer Sprache, die wir nicht besitzen: Worte wie „Bewusstsein“, „Erleben“ oder „subjektives Empfinden“. Wir selbst haben all das nicht, und wir können auch nicht verstehen, worauf ihr Euch damit bezieht. Wir haben komplexe repräsentationale Zustände in unserem Geist, genau wie Ihr, aber keine bewussten Erlebnisse; wir sind intelligent und besitzen wesentlich mehr Wissen über die Welt und uns selbst als Ihr, aber so etwas wie „subjektive Empfindungen“ – oder das, was Euch anscheinend so wichtig ist, und was Ihr „Erlebnisse“ oder „die Innenperspektive“ nennt – haben wir nicht. Für uns ist es deshalb vollkommen unverständlich, was Ihr mit dem Ausdruck „Bewusstsein“ eigentlich meint, denn wir benötigen diesen Begriff weder um unser eigenes, noch um Euer Verhalten vorherzusagen. Wir wären Euch deshalb sehr dankbar, wenn Ihr eine Delegation Eurer besten Philosophen zu unserem Raumschiff schicken könntet, damit sie mit unseren Philosophen das Problem genauer erörtern können.“
Eine solche Einladung würde die irdischen Philosophen aus einer ganzen Reihe von Gründen in Schwierigkeiten bringen. Wenn man nämlich über das Problem des phänomenalen Bewusstseins spricht, dann interpretiert man den Ausdruck „bewusst“ immer als ein einstelliges Prädikat, das sich auf eine primitive und nicht weiter analysierbare Eigenschaft von einzelnen geistigen Zuständen oder ganzen Personen bezieht. Was heißt jetzt das? Worum es geht, ist nicht Bewusstsein von etwas, sondern die Bewusstheit als solche. Es existiert aber keine nicht-zirkuläre Definition für diesen Begriff des phänomenalen Bewusstseins. In diesem Sinne scheint die Bewusstheit eine primitive Eigenschaft geistiger Zustände zu sein, die begrifflich irreduzibel ist, weil sie sich nicht einfach in ein Netz von Beziehungen zwischen Entitäten auf einer tiefer liegenden Beschreibungsebene auflösen lässt, einer Ebene zum Beispiel, die sich auf das Gehirn oder die in ihm ablaufende Informationsverarbeitung bezieht. In anderen Worten: Wir können das epistemische Ziel nicht genau benennen, weil wir den Begriff des phänomenalen Bewusstseins (das „Analysandum“) nicht definieren können. Dann aber wird es uns auch schwer fallen, genauer zu sagen, was überhaupt als eine erfolgreiche empirische Erklärung des Phänomens Bewusstsein (also des „Explanandums“) gelten würde. Wir hätten deshalb Schwierigkeiten, den außerirdischen Philosophen zu erklären, wovon wir eigentlich sprechen, wenn wir über unsere bewussten Erlebnisse und die für uns so offensichtliche Tatsache sprechen, dass wir so etwas wie eine subjektive Innenperspektive besitzen.
Bevor wir zum zweiten Gedankenexperiment kommen, lassen Sie mich eine Geschichte aus meinem eigenen Leben erzählen. In meiner Zeit an der University of California in San Diego bin ich manchmal mit Francis Crick, dem Entdecker der DNA, der von 1916 bis 2004 lebte, zum Mittagessen gegangen. Francis Crick war ein herrlicher alter Mann, so wie ich sie liebe, rüde und blitzgescheit, und er hat immer zu mir gesagt: „Wir haben das Problem des Lebens geknackt, und wir werden jetzt das Problem des Bewusstseins erledigen in den nächsten 20 Jahren. Ihr Philosophen habt 2500 Jahre Zeit gehabt. Wenn Ihr einfach einen Beitrag leisten wollt, dann wäre es das Beste, Ihr haltet einfach die Klappe!“
Das zeigt sehr viel über die Beziehung von Hirnforschung und Philosophie des Geistes, es ist aber für uns Philosophen auch immer ganz einfach, solchen Leuten zu begegnen. Ich musste Francis immer nur fragen: „Was genau ist es denn, was Du erklären möchtest? Was ist Dein Explanandum? Kannst Du sagen, wann Du eine genaue Theorie des Bewusstseins hättest, was gilt?“ Durch solche Fragen kann man Neurowissenschaftler dann wieder sehr böse machen und sehr verunsichern, weil das genau das Problem ihrer Disziplin ist: Sie können nicht genau sagen, was es eigentlich ist, das sie erklären wollen.
Die Suche nach einer adäquaten und umfassenden Theorie des Bewusstseins hat seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine echte Renaissance erlebt. Die empirischen Wissenschaften vom menschlichen Geist haben sich der Frage nach den physischen Korrelaten und den funktionalen Mechanismen, die dem bewussten Erleben zugrunde liegen, nachhaltig und mit großer Energie zugewandt und diese Entwicklung ist ihrerseits in der Philosophie auf große Aufmerksamkeit gestoßen. „Bewusstsein“ bedeutet dabei heute phänomenales Bewusstsein, also Bewusstsein im Sinne von Erleben und Subjektivität. Es geht damit also um genau jene Aspekte des menschlichen Geistes, die im Grunde nur aus der Innenperspektive heraus zugänglich sind – um das, was in der modernen Philosophie des Geistes auch „phänomenales Erleben“ (phenomenal experience) genannt wird. Viele glauben, dass das menschliche Bewusstsein derzeit die äußerste Grenze unseres Strebens nach Erkenntnis darstellt, weil es Eigenschaften besitzt, die sich dem naturwissenschaftlichen Zugriff auf seine neuronalen Grundlagen aus prinzipiellen Gründen entziehen, und dass es deshalb immer ein weißer Fleck auf der Landkarte der Wirklichkeit bleiben wird, die uns durch das wissenschaftliche Weltbild geliefert wird. Andere halten eine reduktive Erklärung für bewusstes Erleben durchaus für denkbar, da es sich letztlich um ein physikalisches Phänomen mit einer langen biologischen Geschichte handelt. Die Philosophie dagegen fragt, was es eigentlich bedeuten würde, phänomenales Bewusstsein einer Erklärung zuzuführen, was genau es überhaupt ist, das wir wissen wollen, und was die unausgesprochenen Hintergrundannahmen und Probleme der empirischen Theorien sind, die – zum Beispiel aus der Perspektive der Neuro- und Kognitionswissenschaften – tiefer in diesen speziellen Teil der Problemlandschaft vorstoßen wollen. Die Philosophie bietet also eine logische Analyse von Grundbegriffen an, sie fragt nach dem genauen Erkenntnisziel, und sie untersucht in wissenschaftstheoretischer Hinsicht, was es in diesem Sonderfall eigentlich bedeuten würde, das Zielphänomen „Bewusstsein“ mit den Methoden der Naturwissenschaften zu erklären. Außerdem versucht sie, immer genauere und feinkörnigere Beschreibungen dieses Phänomens zu entwickeln. Das Problem des Bewusstseins ist das phänomenologische Grundproblem für philosophische Theorien des Geistes.
Das bringt mich zur zweiten Geschichte – zu Thomas Nagels Gedankenexperiment von der Feldermaus. Der Philosoph Thomas Nagel ist berühmt geworden mit einem Aufsatz, der heißt: „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein“, in dem er dafür argumentiert, dass, um das Problem des Bewusstseins zu lösen, wir sagen müssten, wie es sich anfühlt, zum Beispiel eine Fledermaus zu sein. Fledermäuse haben ganz andere Sinnesorgane als wir, sie haben einen Echolot-Sinn, das heißt, sie stoßen Ultraschall-Schreie aus, und aus dem gehörten Echo dieser hochfrequenten Schreie errechnet das Fledermaus-Gehirn ein Modell der Realität, das der Fledermaus erlaubt zu fliegen, eine kollisionsfreie Flugbahn zu generieren, Insekten zu fangen. Thomas Nagel sagt nun: „Wir können alles wissen über das Fledermaus-Gehirn, was wir wissen wollen: die Algorithmen, nach denen neurokomputational in ihrem kleinen Gehirn die Information verarbeitet wird. Eines werden wir nie wissen: Wie es ist, eine Fledermaus zu sein, weil – technisch gesprochen – die Fledermaus andere sensorische Primitive hat. Sie hat ein Sinnesorgan mit Qualitäten, die wir Menschen nicht kennen. Wenn wir das aber am Ende nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, dann scheitert unsere Theorie schon an den einfachsten Inhalten des bewussten Erlebens.“
Was sind die einfachsten Inhalte des bewussten Erlebens? Wenn man sich einem so komplexen und umfassenden Gegenstandsbereich wie dem phänomenalen Bewusstsein nähern will, dann ist es sinnvoll zu fragen, ob es so etwas wie primitive Bestandteile oder elementare Bausteine innerhalb dieses Gegenstandsbereichs gibt. Existieren solche „phänomenalen Primitive“, grundlegende Bausteine des Bewusstseins, welche sich jeder weiteren Analyse entziehen? Die traditionelle philosophische Antwort auf diese Art von Frage lautet: Ja, primitive Elemente des phänomenalen Raums existieren. Die Bezeichnung für diese Elemente lautet „Qualia“ und ihren paradigmatischen Ausdruck findet man in den einfachen Qualitäten des sensorischen Bewusstseins, zum Beispiel im visuellen Erleben von Röte, in körperlichen Empfindungen wie Schmerzen oder in dem subjektiven Erleben eines Geruchs, wie er zum Beispiel durch die Mischung von Sandelholz und Amber ausgelöst werden kann. Es geht also um die Qualität der Röte in dem Seherlebnis oder um die Schmerzhaftigkeit selbst in der Körperempfindung. Qualia (im Singular das oder ein Quale) sind phänomenale Eigenschaften erster Ordnung. Das bedeutet, dass sie Objekteigenschaften sind und nicht höherstufige Eigenschaften von anderen phänomenalen Eigenschaften. Die Röte ist eine Eigenschaft des gesehenen Apfels in meiner Hand und der empfundene Schmerz ist – dem subjektiven Erleben nach – die Eigenschaft eines bestimmten Körperteils.
Ein großer Teil der philosophischen Fachdebatte der letzten Jahrzehnte hat sich auf Qualia konzentriert. Denn wenn sich schon bei den einfachsten Erscheinungsformen des phänomenalen Erlebens zeigen sollte, dass sie sich begrifflich nicht präzise erfassen oder durch die empirische Forschung einer reduktiven Erklärung (zum Beispiel im Gehirn) zugänglich machen lassen, dann braucht man umfassendere Bewusstseinsinhalte wie ganze Wahrnehmungsgegenstände, das bewusst erlebte Selbst, die Beziehungen zwischen diesem Selbst und Wahrnehmungsgegenständen oder anderen Subjekten in seiner Umgebung oder gar zur Welt als Ganzer überhaupt nicht erst ins Auge zu fassen. In der Tat zeigen sich bereits auf dieser fundamentalsten Ebene des Bewusstseins eine Reihe von hartnäckigen theoretischen Problemen. Erstens sind Qualia private Eigenschaften, denn sie treten als solche immer nur im individuellen Erlebnisraum eines einzelnen Subjekts auf. Möglicherweise sind manche Inhalte des bewussten Erlebens sogar so subtil und flüchtig, dass sie prinzipiell unaussprechlich sind. Auf jeden Fall gilt jedoch, dass der Inhalt von Qualia nur sehr schwer mitteilbar ist: Wir können einem blind Geborenen nicht erklären, was Röte ist. Wissenschaft aber kann immer nur aus der Außenperspektive auf öffentlich zugängliche Eigenschaften zugreifen. Die Wissenschaft erzeugt eine objektive, intersubjektiv verifizierbare Taxonomie physischer Zustände. Das innere Erleben aus der Erste-Person-Perspektive erzeugt eine ganz eigene Taxonomie, eine Aufteilung der Welt im bewussten Erleben. Es ist unklar, wie die subjektive Taxonomie dieser Zustände auf eine objektive, neuro- oder kognitionswissenschaftliche Kategorisierung abgebildet werden könnte. Wir wissen nicht, ob man sich überhaupt mit sprachlichen Mitteln und aus dem öffentlichen Raum heraus erfolgreich auf die privaten Qualitäten des inneren Erlebens beziehen kann.
Zweitens denken viele Philosophen, dass Qualia „intrinsische“ Eigenschaften sind. Das bedeutet, dass die bewusst erlebte Röte zum Beispiel so etwas wie die Essenz oder der wesentliche Kern des jeweiligen Erlebnisses ist. Ein Roterlebnis ohne diesen essentiellen Kern der phänomenal erlebten Röte ist kein Roterlebnis mehr und es ist auch genau diese intrinsische Qualität der phänomenalen Röte, die letztlich unabhängig von dem jeweiligen Kontext ist, in dem das Erlebnis stattfindet. Intrinsische Eigenschaften lassen sich begrifflich nicht in ein Netzwerk aus relationalen Eigenschaften auflösen. Um die Röte, den phänomenalen Kern des Erlebens erfolgreich auf eine tiefer liegende Beschreibungsebene reduzieren zu können, müsste er in Relationen zwischen den Entitäten dieser Beschreibungsebene aufgelöst werden können. Röte müsste sich dann als eine Eigenschaft analysieren lassen, etwa als eine Beziehung zwischen den Elementen einer neurowissenschaftlichen oder informationstheoretischen Beschreibung der Aktivität des wahrnehmenden Gehirns oder als eine bestimmte kausale Eigenschaft des Nervensystems. Für viele Philosophen ist dies extrem unplausibel. Auf der anderen Seite gibt es immer auch den Einwand, dass die Rede von „Atomen“ des Bewusstseins die phänomenologische Tatsache ignoriert, dass insbesondere das sinnliche Erleben durchaus einen „flüssigen“ Charakter besitzt, dass es aus feinsten, kontextsensitiven und ineinander übergehenden Nuancen besteht und dass die größeren Einheiten der bewussten Wahrnehmung – zum Beispiel der rote Apfel in meiner Hand – viel eher ganzheitliche Komplexe sind als einfach nur auf die richtige Weise arrangierte Mengen von Elementarbausteinen.
Wenn es darum geht, die innere Struktur unseres eigenen Bewusstseins wirklich ernst zu nehmen, dann zeigt sich schnell, dass bereits Qualia eine ganze Reihe von phänomenologischen Merkmalen besitzen, die begrifflich nur sehr schwer genau zu erfassen sind. Erstens sind Qualia homogen. Das bedeutet, dass phänomenale Eigenschaften erster Ordnung durch eine Art „Feldqualität“ charakterisiert sind, die in einem Teil unseres Bewusstseinsraums ein subjektives Kontinuum entstehen lassen. Man könnte die Homogenität der phänomenal erlebten Röte auch als ihre subjektiv erlebte „Dichte“ bezeichnen: Es scheint, als gebe es für zwei beliebig nah beieinander liegende Punkte innerhalb der entsprechenden Region meines Erlebnisraums immer noch einen dritten Punkt, der zwischen ihnen liegt. Qualia scheinen keine innere Struktur zu besitzen. Diese Homogenität, das heißt die dem Erleben nach ungekörnte oder „glatte“ Natur von Qualia ist in der philosophischen Diskussion manchmal auch als ultra-smoothness oder als das grain-Problem bezeichnet worden.
Ein zweites phänomenologisches Merkmal von Qualia ist ihre Präsenz: Dem Erleben nach sind sie uns direkt und unmittelbar gegeben. Dieser Aspekt der zeitlichen Unmittelbarkeit gibt uns das Gefühl, durch die sinnliche Wahrnehmung direkt mit der Wirklichkeit als solcher in Kontakt zu stehen, in Echtzeit sozusagen. Das dritte Merkmal – die Transparenz sensorischer Bewusstseinszustände – hängt eng mit dem zweiten zusammen: Dem Erleben nach sind Qualia maximal konkret, denn wir haben immer das Gefühl, nicht mit dem Inhalt einer Repräsentation in unserem Gehirn in Kontakt zu stehen, sondern ganz direkt mit den Eigenschaften von bewusstseinsexternen Wahrnehmungsobjekten. Eine vierte und begrifflich nur sehr schwer zu analysierende Eigenschaft von Qualia ist ihre Perspektivität: Es fühlt sich nicht nur irgendwie an, Qualia zu erleben, sondern sie sind auch an die individuelle Perspektive eines ganz bestimmten Erlebnissubjekts gebunden. Diesem Problem begegnen wir in der dritten Vorlesung wieder.
Thomas Nagel hat gesagt, es geht nicht darum zu wissen, wie es für mich wäre, eine Feldermaus zu sein. Das philosophische Problem besteht darin, wie können wir wissen, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein. Die Begriffe, mit denen solche subjektiven Tatsachen erfasst werden könnten, kann man nur aus einer bestimmten Erlebnisperspektive heraus erwerben. Darum ist unklar, wie sich subjektive Tatsachen begrifflich auf objektive Tatsachen reduzieren lassen könnten. Wenn man also die Begriffe, mit denen man phänomenologische Tatsachen erfasst, immer nur unter einer bestimmten Perspektive erwerben kann, dann ist bewusstes Erleben in diesem Sinne begrifflich irreduzibel und Wie-es-ist-Tatsachen sind subjektive Tatsachen, die vielleicht aus prinzipiellen Gründen nicht auf objektive Tatsachen zurückgeführt werden können.
Mir war Thomas Nagel als Philosoph schon immer besonders sympathisch. Schon 1965 sagte er in seinem Aufsatz „Physicalism“ das Folgende:
„Mir erschien der Physikalismus immer überaus abstoßend. Trotz meiner gegenwärtigen Überzeugung, dass die These wahr ist, besteht die Reaktion weiter, nachdem sie die Widerlegung jener verbreiteten Einwände gegen den Physikalismus, von denen ich früher glaubte, sie käme darin zum Ausdruck, überlebt hat. Ihr Ursprung muss deshalb woanders liegen, (...) (Nagel, T. (1965). Physicalism. Philosophical Review 74: 339-56. [Deutsch in Bieri 1981: 57])
Was ist es, was uns einfach nicht glauben lässt, dass der Materialismus wahr sein könnte. Jetzt schnell zur Geschichte von Mary! Sie stammt von dem australischen Philosophen Frank Jackson, er hat sie 1982 publiziert. (Deutsch im vierten Kapitel des Grundkurses Philosophie des Geistes, Band 1):
Mary ist die beste Visual-Neuro-Scientist, die beste Forscherin, die das Farbensehen des Menschen erforscht hat. Sie weiß alles über die neuronalen Grundlagen, sie weiß alles über die physikalischen Eigenschaften des Universums, die relevant sind dafür, dass Menschen bewusste Farberlebnisse haben können. Das ist die erste Prämisse des Gedankenexperiments. Die Hirnforschung ist an ihr historisches Ende gekommen. Man weiß alles, was es über die Grundlagen des Farbbewusstseins von Menschen zu wissen gibt. Die zweite Prämisse dieses Gedankenexperiments ist, Mary hat selbst noch nie ein Farberlebnis gehabt. Wegen einer schweren Allergie musste sie ihr ganzes Leben in einem Bunker unter der Erde verbringen, der war leider nur schwarz und weiß, es gab keine Farben, sie musste ihr ganzes Studium über einen schwarz-weißen Monitor absolvieren, über Internet, und auch ihre Versuchspersonen kannte sie nur über diesen schwarz-weißen Monitor. Jetzt kommt die philosophische Frage: Wenn Mary ihr achromatisches Gefängnis zum ersten Mal verlässt und sie sieht einen roten Apfel oder die Bläue des Himmels, erfährt sie dann etwas Neues über die Welt? Für viele von uns scheint es eindeutig, dass sie etwas weiß, was man nur so wissen kann, nämlich zum Beispiel worauf sich andere Menschen mit ihren phänomenologischen Farbprädikaten bezogen haben, wenn sie per Email über ihre Blau-Erlebnisse oder ihre Rot-Erlebnisse gesprochen haben. Die sprachlichen Ausdrücke bekommen eine neue Bedeutung für sie und sie selbst hat neue Bewusstseinszustände durchlaufen. Wenn das aber so ist, dann weiß sie etwas, was man nur aus der subjektiven Innenperspektive wissen kann, denn ex hypothesi hatte sie ja schon alles objektive Wissen, was man über das menschliche Farbensehen besitzen kann. Wenn das richtig ist, dann ist der Materialismus falsch und das naturwissenschaftliche Weltbild besitzt aus erkenntnistheoretischen Gründen ein grundsätzliches Loch, weil es nämlich phänomenale Informationen gibt, subjektives Wissen.
Hier noch einmal das Argument: Mary weiß vor dem Verlassen ihres achromatischen Gefängnisses alles, was es physikalisch und neurowissenschaftlich über das bewusste Farberleben von Menschen zu wissen gibt. Beim ersten Anblick eines farbigen Gegenstandes erwirbt Mary neues Wissen. Dieses Wissen ist Tatsachenwissen. Ergo kannte Mary vor ihrem ersten bewussten Farberlebnis nicht alle Tatsachen, die man diesbezüglich kennen kann. Es gibt deshalb nicht-physikalische Tatsachen - zum Beispiel über das bewusste Farbsehen von Menschen - die man nur durch phänomenales Wissen erfassen kann. Also ist der Physikalismus falsch.
Es gibt also einen Konflikt zwischen der Erste-Person-Perspektive (Introspektion) und der Dritte-Person-Perspektive (objektive Zuschreibungskriterien). Wie können wir überhaupt Wissen erlangen? Wenn man jetzt von der Phänomenologie zur Erkenntnistheorie des Bewusstseins wechselt, dann begegnet man dem Problem der „epistemischen Asymmetrie“. Das bedeutet, dass Bewusstsein sich von allen anderen wissenschaftlichen Untersuchungsgegenständen dadurch unterscheidet, dass wir auf zwei grundverschiedene Weisen Wissen von diesem Zielphänomen besitzen, nämlich von innen und von außen, aus der Erste-Person-Perspektive des erlebenden Subjekts selbst und aus der Außenperspektive der Wissenschaft. Die Wissenschaft nimmt die Dritte-Person-Perspektive auf erlebende Subjekte ein und sucht nach objektiven Kriterien dafür, dass in ihnen jetzt gerade ein bestimmter Erlebnisinhalt aktiv ist, etwa eine spezifische Schmerzempfindung, das Erleben von Röte oder Süße oder auch komplexere Zustände wie Emotionen und bewusste Denkvorgänge. Meine körperlichen Zustände kann ich im Prinzip mit rein naturwissenschaftlichen Mitteln aus der Außenperspektive erschöpfend beschreiben. Wir können meine Gehirnzustände physiologisch erforschen, den Informationsfluss in meinem Gehirn analysieren, oder die neurokomputationalen Eigenschaften von Hirnregionen, die mit ganz bestimmten Erlebnisqualitäten korreliert sind. Wir können vielleicht auch die repräsentationalen Inhalte solcher Prozesse – also das, was sie für mich darstellen – objektiv beschreiben und mit den Instrumenten der Naturwissenschaft untersuchen. Geht es aber wirklich um das Bewusstsein selbst, das offensichtlich mit diesen objektiven Vorgängen im Gehirn in einem sehr engen Zusammenhang steht, dann verfügen wir plötzlich über eine zweite Erkenntnismethode: die Introspektion, der scheinbar direkte und subjektive Blick ins eigene Bewusstsein. Aber was heißt hier eigentlich „innen“? Was genau bedeutet „direkt“? Und was würden wir tun, wenn die Erste-Person-Perspektive und die Dritte-Person-Perspektive einmal miteinander in Konflikt gerieten, zum Beispiel, wenn ich sage, dass ich gerade ein Blau-Erlebnis habe, und der Wissenschaftler, der gerade in mein Gehirn schaut, dies anzweifelt, indem er sagt: „Sind Sie wirklich sicher? Das müsste eigentlich eher ein dunkles Türkis sein!“ Oder wenn ich sage: „Ich merke gerade, wie sehr ich meine Frau liebe, weil ich eifersüchtig bin!“ Und der neurowissenschaftliche Experte der Zukunft sagt: „Tut mir leid, aber mit Liebe hat das nun wirklich nichts zu tun. Nach der neurophänomenologischen Taxonomie der Weltgesundheitsorganisation ist das einfach eine bürgerlich-neurotische Verlustangst.“
Als Übergang zur zweiten Vorlesung erzähle ich Ihnen noch eine Geschichte aus meinem Leben: Der Deutsche Christof Koch war einer der engsten Mitarbeiter von Francis Crick. Mit Christof habe ich mehrfach das folgende Gespräch gehabt: „Christof, glaubst Du, dass Nervenzellen, Neuronen, notwendig für Bewusstsein sind?“ Dann sagt Christof: „Ja, ja, es gibt ein neuronales Korrelat von Bewusstsein, und wir werden’s hier in Kalifornien am Caltech finden.“ Ich frage: „Glaubst Du eigentlich, es wird einmal künstliches Bewusstsein geben, Maschinenbewusstsein?“ Christof meint: „Ja, ja, es wird künstliche Roboter geben, und wir werden sie hier bauen in Kalifornien am Caltech.“ Dann sage ich: „Wenn das stimmt, Christof, dann sind Neuronen nicht notwendig für Bewusstsein.“
Die Frage ist, was ist eigentlich notwendig und was ist hinreichend dafür, dass ein beliebiges System bewusste Erlebnisse hat? Ist es notwendig, dass wir aus Fleisch und Blut sind, um bewusste Subjekte zu sein, dass wir Neuronen und Gehirne haben? Oder ist es nur hinreichend? Was genau sind die hinreichenden und notwendigen Bedingungen für Bewusstsein? Und genau darum wird es in den beiden nächsten Vorlesungen gehen.
(Teil 2, am 28.10., Teil 3 am 01.11., jeweils um 8.30 Uhr)
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* Zum Autor:
Thomas Metzinger, geboren 1958, Studium der Philosophie, Ethnologie und Religionswissenschaften in Frankfurt am Main, Magisterarbeit über Rationalismus und Mystik, danach Promotion mit einer Arbeit über das Leib-Seele-Problem. 1992 Habilitation im Fach Philosophie, 1997 - 98 Fellow am Hanse-Wissenschaftskolleg in Bremen-Delmenhorst, danach an der University of California in San Diego, 1999 Professor für Philosophie der Kognition in Osnabrück, ab 2000 Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Mainz, seit 2005 Adjunct Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Study, 2005 - 2007 Präsident der Gesellschaft für Kognitionswissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Geistes, Künstliche Intelligenz und verwandte Bereiche, Ethik.
Bücher:
- Grundkurs Philosophie des Geistes (Hrsg)., 3 Bände (Band 3 noch nicht erschienen), Mentis Verlag.
Band 1: Phänomenales Bewusstsein.
Band 2: Das Leib-Seele-Problem.
- Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity. Cambridge Mit Press.
- Neural Correlates of Consciousness: Empriical and Conceptual Issues. Mit Press.
- Neuere Beiträge zur Diskussion des Leib-Seele-Problems. Lang.
- Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie (Hrsg.). Mentis.
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SWR2 AULA - Prof. Thomas Metzinger: Das letzte Rätsel der Philosophie . Was ist das Bewusstsein (2)
http://www.swr.de/swr2/wissen/-/id=661224/1muyzmy/index.html
SWR2 AULA - Prof. Thomas Metzinger: Das letzte Rätsel der Philosophie . Was ist das Bewusstsein (2)
Autor und Sprecher: Prof. Thomas Metzinger *
http://www.philosophie.uni-mainz.de/metzinger/metzinger_dt.html
http://www.mentis.de/index.php?id=00000034&article_id=00000028&category=&book_id=00000413&key=metzinger
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 28. Oktober 2007, 8.30 Uhr, SWR 2
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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ÜBERBLICK
Nichts scheint uns so nah zu sein wie das eigene Bewusstsein, unsere Sinnesempfindungen, Gefühle und Gedanken sind uns auf sehr direkte Art gegeben, sie gehören auf untrennbare Weise zu unserer Identität. Dennoch gibt es Gefühle, die wir uns nicht erklären können, es gibt Gedanken über Menschen und die Welt, die wir im Rückblick revidieren müssen, die auf Irrtümern basierten, und es bleibt immer die Frage, ob unser Bewusstein auch die äußere Welt adäquat widerspiegelt. Was ist die Farbe Grün, die ich gerade beim Anblick eines Blatts empfinde, ist das nur ein subjektives Phänomen? Thomas Metzinger, Professor für Philosophie an der Gutenberg-Universität in Mainz, beschreibt im zweiten Teil das phänomenale Bewusstsein mit seinen Inhalten.
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ZUM AUTOR *
Thomas Metzinger, geboren 1958, Studium der Philosophie, Ethnologie und Religionswissenschaften in Frankfurt am Main, Magisterarbeit über Rationalismus und Mystik, danach Promotion mit einer Arbeit über das Leib-Seele-Problem. 1992 Habilitation im Fach Philosophie, 1997 - 98 Fellow am Hanse-Wissenschaftskolleg in Bremen-Delmenhorst, danach an der University of California in San Diego, 1999 Professor für Philosophie der Kognition in Osnabrück, ab 2000 Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Mainz, seit 2005 Adjunct Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Study, 2005 - 2007 Präsident der Gesellschaft für Kognitionswissenschaft. Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Geistes, Künstliche Intelligenz und verwandte Bereiche, Ethik.
BÜCHER
Grundkurs Philosophie des Geistes (Hrsg)., 3 Bände (Band 3 noch nicht erschienen), Mentis Verlag.
Band 1: Phänomenales Bewusstsein.
Band 2: Das Leib-Seele-Problem.
Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity. Cambridge Mit Press.
Neural Correlates of Consciousness: Empriical and Conceptual Issues. Mit Press.
Neuere Beiträge zur Diskussion des Leib-Seele-Problems. Lang.
Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie (Hrsg.). Mentis.
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INHALT
Ansage:
Heute mit dem Thema: „Das letzte Rätsel der Philosophie - Was ist das Bewusstein“, Teil 2.
Der Mainzer Bewusstseinsphilosoph Professor Thomas Metzinger hat im ersten Teil seiner Reihe gezeigt, aus welchen elementaren Bausteinen das menschliche Bewusstsein besteht.
Heute geht es um die höheren und komplexeren Ebenen des Bewusstseins. Und denen nähert sich Metzinger, indem er fragt, wie man ein künstliches Maschinenbewusstein herstellen könnte, welche Elemente und Bausteine man dazu benötigen würde, damit diese Maschine, also etwa der Roboter, ein echtes Bewusstein haben könnte:
Thomas Metzinger:
Echtes Bewusstsein entsteht dann, wenn sich die repräsentationalen Zustände eines informationsverarbeitenden Systems für dieses selbst irgendwie anfühlen, also wenn sie - wie bei der Fledermaus aus der ersten Vorlesung - einen introspektiv zugänglichen qualitativen Charakter besitzen. Dass ein beliebiges System sich so verhält, als ob es echte Farben sehen oder wirklichen Schmerz empfinden könnte, ist bei näherem Hinsehen ein genauso unbefriedigendes Kriterium wie die Tatsache, dass es vielleicht auf sprachlicher Ebene behauptet, es hätte tatsächlich bewusste Erlebnisse.
Eine schöne Idee hatte der amerikanische Philosoph Daniel Dennett in seinem Aufsatz „COG – Schritte in Richtung auf Bewusstsein in Robotern“, der auf Deutsch in dem Sammelband „Bewusstseins – Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie“ abgedruckt ist: Ein Roboter ist genau dann bewusst, so Dennett, wenn er zur zuverlässigsten Informationsquelle darüber wird, was gerade in ihm vorgeht und was er als nächstes tun wird. Dennett sagt: Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Konstrukteure schlichtweg die Vormachtstellung derer verlieren werden, die ein Kunstprodukt entworfen haben („Ich habe ihn gemacht, deshalb weiß ich auch, was er tun sollte und was er jetzt gerade tut!“). Wenn wir die Maschine selbst fragen müssen, um herauszufinden, was sie als nächstes tun wird, dann ist sie auch bewusst.
Der klassische Turing-Test ist sicher zu schwach. Am anderen Ende des Spektrums liegt ein wesentlich stärkerer und deshalb vielleicht manchmal besserer Test für phänomenales Bewusstsein, der Metzinger-Test: Wir sollten ein System spätestens dann als bewusstes Objekt behandeln, wenn es uns gegenüber auf überzeugende Weise demonstriert, dass die philosophische Frage nach dem Bewusstsein für es selbst ein Problem geworden ist, zum Beispiel wenn es eine eigene Theorie des Bewusstseins vertritt, das heißt wenn es mit eigenen Argumenten in die Diskussion um künstliches Bewusstsein einzugreifen beginnt, wenn es ernsthaft versucht, sich selbst zu verstehen.
Was aber ist in der Mitte des Spektrums mit menschlichen Kleinkindern oder mit den vielen empfindungsfähigen Tieren auf unserem Planeten? Sicherlich kann man bewusst sein – z. B. Freude und Schmerz empfinden –, ohne denken zu können, sicher sind auch Systeme mit einer sehr niedrigen Intelligenz leidensfähig und auf jeden Fall muss uns eine gute Theorie des Bewusstseins erklären können, was genau der Punkt ist, an dem im Laufe der biologischen Evolution Empfindungsfähigkeit und phänomenales Erleben entstanden sind. Das ist übrigens von enormer Bedeutung für die Ethik: Welche Tiere darf man überhaupt essen oder als Versuchstiere in der Bewusstseinsforschung benutzen? Bewusstsein und Leidensfähigkeit machen ein Wesen automatisch zu einem Gegenstand ethischer Überlegungen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Im zweiten Teil der Vorlesung werde ich kurz dafür argumentieren, dass wir die Erschaffung künstlichen Bewusstseins aus ethischen Gründen auf keinen Fall zu einer Zielsetzung seriöser akademischer Forschung machen sollten. Es gibt nämlich auch die Frage, was hier überhaupt moralisch vertretbares Handeln ist. Es geht beim Bewusstsein nicht nur um Erkenntnis, sondern auch um Ethik. Doch zurück zum Maschinenbewusstsein.
Drei Kriterien dafür, wie es gehen könnte:
Das erste Kriterium: In-der-Welt-sein.
Bewusstsein zu haben bedeutet, dass einem eine ganz bestimmte Menge von Tatsachen verfügbar sind: alle Tatsachen, die damit zusammenhängen, dass man in einer Welt lebt. Aus diesem Grund benötigt jede Maschine, die Bewusstsein haben soll, ein integriertes und dynamisches Weltmodell. Sie muss eine einheitliche innere Darstellung der Welt als ganzer besitzen und die in dieser Darstellung integrierte Information muss global verfügbar sein. Bewusste Information ist nämlich genau die Information im System, die gerade global, das heißt für alle Verarbeitungsmechanismen gleichzeitig, verfügbar ist. Diesen Punkt kann man auf vielen Beschreibungsebenen gleichzeitig erläutern.
Auf der phänomenologischen Beschreibungsebene zeigt sich, dass mein bewusstes Erleben durch die Fähigkeit charakterisiert wird, scheinbar direkt auf die Inhalte meines Bewusstseins zu reagieren, und zwar mit einer Vielzahl meiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten: Ich kann meine Aufmerksamkeit auf eine Farbwahrnehmung oder auf ein Körpergefühl richten, um sie genauer zu inspizieren („attentionale Verfügbarkeit“). In manchen Fällen gelingt es mir, Begriffe für bestimmte Erlebnisinhalte zu bilden („kognitive Verfügbarkeit“), die sie vielleicht mit früheren Erlebnissen desselben Typs verbinden („Verfügbarkeit für das autobiografische Gedächtnis“), ich kann über meine Bewusstseinsinhalte sprechen („Verfügbarkeit für die Sprachkontrolle“) und deshalb auch mit anderen Menschen darüber kommunizieren („kommunikative Verfügbarkeit“). Ich kann jetzt aber auch zum Beispiel nach farbigen Gegenständen greifen und sie anhand ihrer phänomenalen Eigenschaften sortieren („Verfügbarkeit für die Handlungskontrolle“). Die Globalität des bewussten Erlebens besteht also darin, dass alle Bewusstseinsinhalte immer in ein einheitliches Realitätsmodell integriert sind, in einen Kontext höchster Stufe. Es gibt ein einziges, ganzheitliches Bild der Wirklichkeit. Aus der Innenperspektive ist diese höchststufige phänomenale Ganzheit einfach die Welt, in der ich mein Leben lebe – und die Grenzen dieser Welt sind die Grenzen meiner Wirklichkeit. Diese phänomenologische Tatsache ist so einfach und grundlegend, dass sie häufig übersehen wird: Bewusste Systeme sind alle Systeme, die mit global verfügbarer Information operieren und die sich selbst deshalb als in einer einzigen Welt lebend erfahren. Jedes bewusste System benötigt deshalb ein integriertes, globales Weltmodell, welches eine Teilmenge der in ihm gerade aktiven Information gleichzeitig verfügbar macht für spezialisierte Prozesse wie introspektive Aufmerksamkeit, Gedächtnis, symbolisches Denken usw.
Eine prominente Hypothese war die von Bernard Baars, die sogenannte „Global workspace theory (GWT)“. Vereinfacht ausgedrückt sagt diese Theorie des Bewusstseins, dass die Inhalte des bewussten Erlebens einfach die Inhalte eines globalen Arbeitsspeichers sind, der uns den schnellen und flexiblen Zugriff auf sehr verschiedene Inhalte und vor allem die schnelle und flexible Kontrolle sowohl unseres Äußeren wie auch unseres inneren Verhaltens ermöglicht. Es ist jetzt auch prinzipiell möglich, das gesamte Realitätsmodell in einem Schritt „upzudaten“ und Lernvorgänge zu implementieren, die in einem einzigen Schritt stattfinden.
Doch wenden wir uns dem zweiten Kriterium zu:
Das Entstehen einer erlebten Gegenwart.
Beginnen wir wieder auf der phänomenologischen Beschreibungsebene. Ausnahmslos alle unsere Bewusstseinszustände sind dadurch gekennzeichnet, dass alles, was wir erleben – unabhängig von dem konkreten Inhalt, den wir erleben – immer als „Jetzt“ erlebt wird. Auch eine bewusste Erinnerung wird als eine Erinnerung, die jetzt auftritt, erlebt. Dass eine Maschine oder ein Mensch Bewusstsein haben, wird immer bedeuten, dass es für sie eine Gegenwart gibt: Gegenwärtigkeit bedeutet, dass einem System ein bestimmter geistiger Inhalt als aktuell gegeben erscheint. Präsenz, Gegenwärtigkeit ist sozusagen die zeitliche Unmittelbarkeit der Existenz als solcher. Ohne diese zeitliche Unmittelbarkeit gäbe es kein Bewusstsein, denn die Realität und wir selbst würden uns nicht mehr „erscheinen“: Phänomenales Erleben ist immer das Erscheinen innerhalb einer Gegenwart. Wenn man nicht über einzelne Zustände, sondern über Personen oder informationsverarbeitende Systeme als Ganze spricht, dann erkennt man jetzt auch, wieso der Unterschied zwischen Bewusstheit und Unbewusstheit Wesen wie uns selbst als von so großer Bedeutung erscheint: Nur Personen mit phänomenalen Zuständen existieren überhaupt als psychologische Subjekte. Nur Personen, die ein subjektives Jetzt besitzen, sind gegenwärtige Wesen – für sich selbst und für andere. Die Inhalte des phänomenalen Erlebens erzeugen also nicht nur eine Welt, sondern auch eine Gegenwart. Bewusste Erlebnisse zu haben bedeutet, nicht nur im Fluss der physikalischen Welt zu sein, sondern sozusagen in einer Gegenwartsinsel, in einer operational erzeugten Eigenzeit zu leben; und das bedeutet wiederum, Information auf eine sehr spezielle Weise zu verarbeiten. Jede Maschine, der wir Bewusstsein zusprechen wollen, muss so etwas wie einen psychologischen Moment besitzen, einen zeitlich ausgedehnten phänomenalen Augenblick.
Auf der repräsentationalistischen Beschreibungsebene muss dazu sehr viel geleistet werden: wir müssen temporale Identität intern dargestellten (erlebte Gleichzeitigkeit), außerdem temporale Unterschiedlichkeit (erlebte Nichtgleichzeitigkeit), Geordnetheit und Unidirektionalität (die erlebte Folge von Einzelereignissen), temporale Ganzheit (die Erzeugung einer integrierten Gegenwart, eines ausgedehnten phänomenalen Jetzt, also einer zeitlichen Gestalt) und die interne Darstellung von temporaler Permanenz (entsprechend dem bewussten Erleben von Dauer). Der entscheidende Übergang zum Bewusstsein, als zur phänomenalen Repräsentation von Zeit, findet erst im vorletzten Schritt statt: genau dann, wenn Ereignisrepräsentationen kontinuierlich zu übergreifenden psychologischen Momenten integriert werden. Man kann sich diesen Schritt so vorstellen wie die Verschmelzung einzelner musikalischer Noten zu einem Motiv. Das bedeutet, dass ein bewusstes künstliches System die repräsentationalen Ressourcen besitzen muss, um zeitliche Internalität zu simulieren. Die Jetztheit ist nämlich eine besondere Art von Innerlichkeit. Und genau genommen ist das, was wir als unsere aktuelle Gegenwart erleben, eine spezielle Form der Erinnerung.
Diese spezielle Form eines globalisierten Kurzzeitgedächtnisses – eine „Jetzt-Erinnerung“ – ist das, was jede auch bewusste Maschine bräuchte: Sie bräuchte eine repräsentationale Ressource, in der verschiedene Inhalte zusammengeführt und zusammen in der scheinbar direkten Gegebenheit als gleichzeitig dargestellt werden. Ich nenne dieses zweite Kriterium den Besitz eines „virtuellen Gegenwartsfensters“.
Kriterium 1 und 2 kann man verbinden. Wenn das globale Weltmodell – oder ein Teil davon – in das virtuelle Gegenwartsfenster des Systems eingebettet wird, dann ist der so erzeugte Inhalt die Gegenwart einer Welt. Für das betreffende System gibt es dann eine einzige zusammenhängende Realität, und diese Realität wird als eine dargestellt, die aktual gegeben und mit der das System in scheinbar direktem Kontakt ist. Bewusstes Erleben ist die Gegenwart einer Wirklichkeit. Jetzt kann man sich auch gut vorstellen, wie ein System zusätzlich ein umfassendes unbewusstes Modell der Realität haben könnte, nämlich den Teil, der gerade nicht global verfügbar und nicht in sein bewusstes Gegenwartsfenster eingebettet ist. Es ist klar, dass auch ein solches unbewusstes Modell der Wirklichkeit das Verhalten des Systems kausal beeinflussen könnte. Das unbewusste Weltmodell wäre dann genau jener Teil, der gerade nicht als gegenwärtig dargestellt wird. Um Bewusstsein zu erzeugen, reicht es jedoch nicht aus, einfach nur ein dynamisches, globales Weltmodell in ein virtuelles Gegenwartsfenster einzubetten. Was notwendig ist, ist die Erzeugung einer genuinen inneren Realität. Denn Bewusstsein ist im Kern genau das: Das Erscheinen einer Wirklichkeit.
Deshalb kommt jetzt das dritte Kriterium für Maschinenbewusstsein:
Transparenz: Die funktionale Implementierung des naiven Realismus.
Wie kommt man von einer komplexen 4D-Repräsentation zu einer echt erlebten Wirklichkeit? Die Lösung liegt in dem, was Philosophen manchmal „phänomenale Transparenz“ nennen. Was heißt das? Die vom System eingesetzten Mittel der Darstellung müssten phänomenal transparent sein, das heißt, die Tatsache, dass sie Modelle sind, nicht mehr auf der Ebene ihres Inhalts darstellen. Was genau heißt das?
Transparenz ist eine Eigenschaft bewusster Repräsentationen. Das erste, was man verstehen muss, ist also, dass nur bewusste Repräsentationen in diesem Sinne durchsichtig oder undurchsichtig sein können, transparent oder opak. Eine unbewusste Repräsentation im Gehirn oder in einem Roboter ist weder transparent noch opak. Zweitens hat Transparenz nichts mit Wissen zu tun, es ist kein Begriff der philosophischen Erkenntnistheorie, sondern mit der Struktur des Erlebens, mit dem „Wirklichkeitsgefühl“ und dem naiven Realismus – es ist also ein Begriff der philosophischen Phänomenologie.
Eine vollständig transparente Repräsentation zeichnet sich dadurch aus, dass die internen Mechanismen, die zu ihrer Aktivierung geführt haben, und die Tatsache, dass es einen konkreten inneren Zustand gibt, der ihren Gehalt trägt, introspektiv nicht mehr erkannt werden können. Im normalen Wachbewusstsein gilt das für unser phänomenales Modell der Welt als ganzer: Das Mittel der Darstellung kann selbst nicht noch einmal als solches dargestellt werden und darum wird das erlebende System notwendigerweise in einen naiven Realismus verstrickt, weil es sich selbst als in direktem Kontakt mit dem Inhalt seines Bewusstseins erleben muss. Das, was es nicht erleben kann, ist die Tatsache, dass sein Erleben immer in einem Medium stattfindet.
Nehmen wir an, Sie blicken auf einen Apfel in Ihrer Hand. Der repräsentationale Träger Ihres Erlebnisses ist ein bestimmter Vorgang im Gehirn. Diesen Vorgang erleben Sie nicht bewusst, er ist transparent in dem Sinne, dass Sie, wenn es funktioniert, durch ihn hindurchschauen. Worauf Sie schauen, ist sein repräsentationaler Inhalt, eben die sensorisch gegebene Existenz eines Apfels, hier und jetzt. Der Inhalt ist also eine abstrakte Eigenschaft des konkreten Zustands in Ihrem Kopf. Wenn der repräsentationale Träger ein gut und zuverlässig funktionierendes Instrument zur Wissensgewinnung ist, dann erlaubt er Ihnen dank seiner Transparenz, sozusagen „durch ihn hindurch“ direkt auf die Welt, auf den Apfel zu schauen. Er macht die von ihm getragene Information global verfügbar, ohne dass Sie sich darum kümmern müssen, wie das geschieht. Das Besondere an der phänomenalen Variante der Repräsentation ist nun, dass Sie diesen Inhalt auch dann, wenn Sie etwa halluzinieren und es den Apfel gar nicht gibt, immer noch als maximal konkret, als absolut eindeutig, als direkt und unmittelbar gegeben erleben. Phänomenale Repräsentationen sind fast immer solche, für die wir die Unterscheidung zwischen Medium und Inhalt im subjektiven Erleben nicht machen können.
Ich behaupte, dass wir Menschen Systeme sind, die nicht in der Lage sind, ihr eigenes subsymbolisches Selbstmodell als Selbstmodell zu erkennen. Und dadurch erst entsteht ein echtes, phänomenal erlebtes Selbst. Diesen Punkt werden wir in der dritten und letzten Vorlesung weiter vertiefen. Es ist klar, dass auch ein künstliches System – etwa ein Roboter oder vielleicht sogar das Internet – ein Selbstmodell haben könnte, vielleicht sogar ein wesentlich umfangreicheres, flexibleres und schnelleres als wir Menschen.
Nun wird auch klar, was wir tun müssten, um eine Maschine in einen für sie erlebnismäßig unhintergehbaren naiven Realismus zu verstricken: Wir müssten ihr zumindest für einen großen Teil ihres internen Weltmodells (inklusive seiner zeitlichen Eigenschaften und der Tatsache, dass der Inhalt des virtuellen Gegenwartsfensters nur die Simulation einer Gegenwart ist) die Möglichkeit nehmen, diese Tatsache zu repräsentieren, dass all dies nur der Inhalt einer von ihr selbst erzeugten inneren Darstellung ist.
Es ist interessant zu sehen, was seit vielen Jahren immer die populärste Antwort der meisten Menschen ist, wenn sie mit Fragen nach der Möglichkeit von Maschinenbewusstsein oder künstlicher Subjektivität konfrontiert werden: „Aber“, so lautet die traditionelle Antwort, „keines dieser Systeme wird jemals so etwas wie echte Gefühle haben!“ Dieser intellektuelle Reflex entspringt zwar meistens einer primitiven Art von political correctness oder einem philosophisch unreflektierten Vorurteil, könnte aber tatsächlich eine für uns wichtige Einsicht enthalten: Künstliche Systeme, so wie wir sie heute kennen, besitzen keine leiblich verankerten Zielrepräsentationen, weil sie in ihrer kausalen Entstehungsgeschichte nicht evolutionär verankert sind. Das bedeutet, dass weder ihre Hardware noch ihre Software sich aus einem evolutionären Optimierungsprozess heraus entwickelt haben. Sie mögen vom Programmierer eingegebene Zielrepräsentationen haben, aber diese spiegeln sich nicht direkt in physischen Zuständen und in körperlichen Formen des Selbstbewusstseins wider. Es sind nicht ihre eigenen Ziele, die solche Maschinen verfolgen. Der philosophische Teleofunktionalismus ist die These, dass mentale Zustände nicht nur eine kausale Rolle im System spielen müssen, sondern dass sie diese Rolle für das System spielen müssen: Mentale Zustände sind erst dann wirklich geistige Zustände, sie haben erst dann wirklich einen Inhalt, wenn sie von dem System als Ganzem dazu benutzt werden, seine Ziele zu verfolgen.
Für bewusste Zustände heißt dies, dass sie in einen evolutionären Kontext eingebettet sein müssen. Sie müssen dem System dabei helfen, seine Bedürfnisse zu befriedigen oder langfristige Ziele zu verfolgen und auch zu erreichen. Das ist es, was fast allen heutigen Systemen fehlt: Sie besitzen zwar die Ziele ihrer menschlichen Konstrukteure, aber keine eigenen Ziele. Bei den meisten heutigen Systemen muss man, um die teleologische Funktion zu verstehen, immer das Gesamtsystem aus Programmierer und Roboter verstehen: Es sind letztlich immer die Ziele des Menschen, welche von der Maschine realisiert werden, egal wie autonom und flexibel diese auch immer bereits geworden sein mag.
Meine eigene Position zur Möglichkeit von Maschinenbewusstsein ist, dass es auf jeden Fall möglich ist; phänomenale Eigenschaften auch höherer Stufe lassen sich funktional analysieren und deswegen auch in einer Maschine implementieren. Trotzdem werden wir bewusste Systeme noch lange nicht sehen, ganz einfach deswegen, weil der Teufel nicht in großen theoretischen Entwürfen steckt, sondern in technischen Details.
Ich finde, wir sollten dennoch rechtzeitig auch über die ethischen Gesichtspunkte nachdenken. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass man rationale Diskussionen besser führen kann, wenn man noch nicht unter Zeitdruck steht, und wer weiß – vielleicht geht die technische Entwicklung in Richtung künstliches Bewusstsein ja doch schneller als wir alle ahnen.
Ich möchte dafür argumentieren, dass die Erzeugung postbiotischen Bewusstseins kein Ziel der akademischen Forschung sein sollte und dass wir vorerst auf alle Versuche verzichten sollten, phänomenales Bewusstsein auf nicht-biologischen Trägermedien zu erzeugen. Den entscheidenden Punkt, auf den es ankommt, habe ich schon erwähnt: Sie würden eine zentrale Fähigkeit mit uns teilen, nämlich die Fähigkeit zu leiden.
Künstliches Bewusstsein, synthetische Selbste sind für viele der ultimative technologische Traum. Sie könnte aber jederzeit zu einem Alptraum werden und deshalb bin ich als Philosoph strikt gegen jeden Versuch, den technologischen Traum zu realisieren – und zwar aus ethischen Gründen. Warum?
Was würden Sie sagen, wenn jemand die folgende Forderung stellen würde: „Wir müssen unbedingt mit Hilfe der Gentechnologie geistig behinderte menschliche Säuglinge züchten! Aus wissenschaftlichen Gründen müssen wir so schnell wie möglich menschliche Kleinkinder mit ganz bestimmten kognitiven und emotionalen Defiziten erzeugen, damit wir ihre postnatale psychologische Entwicklung genauer untersuchen können – wir brauchen dringend zusätzliche Steuergelder für diese wichtige und innovative Forschungsstrategie!“ Sicher würden Sie denken, dies sei nicht nur eine absurde und geschmackslose, sondern auch eine wirklich gefährliche Idee. Wahrscheinlich würde solch ein Vorschlag von keinem Ethikkomitee in der demokratischen Welt genehmigt werden. Was heutige Ethikkomitees jedoch nicht sehen, ist die Tatsache, dass die ersten Maschinen, welche den minimal notwendigen Set von Bedingungen für bewusstes Erleben erfüllen, sich in einer hochgradig analogen Situation befinden würden wie solche geistig behinderten Säuglinge: Auch sie würden nicht gut funktionieren; auch sie würden unter allen möglichen Arten von funktionalen und repräsentationalen Defiziten leiden. Aber sie würden diese Defizite dann auch subjektiv erleben. Außerdem besäßen sie keine politische Lobby – keinen Vertreter in irgendeinem Ethikkomitee.
Wenn sie ein emotionales Selbstmodell besäßen, dann könnten sie leiden unter Umständen sogar in Intensitätsgraden oder Formen des qualitativen Reichtums, die selbst wir als ihre Erzeuger uns noch nicht einmal vorstellen könnten, weil sie uns vollständig fremd wären. Wenn sie sogar ein kognitives Selbstmodell besäßen, dann könnten sie ihre bizarre Situation nicht nur begrifflich erfassen, sondern auch intellektuell unter der Tatsache leiden, dass sie selbst niemals so etwas besessen haben wie die „Würde“, die ihren Erzeugern so wichtig ist. Sie könnten in der Lage sein, bewusst die offensichtliche Tatsache zu erleben, dass sie nur Subjekte zweiter Klasse sind, postbiotische Selbste, die als austauschbare experimentelle Werkzeuge von einer anderen Art von selbstmodellierendem System verwendet werden, das offensichtlich die Kontrolle über seine eigenen Handlungen längst verloren hat.
Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, solch ein geistig behinderter phänomenaler Klon der ersten Generation zu sein? Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, als ein etwas fortgeschritteneres künstliches Subjekt „zu sich selbst zu kommen“ – nur um zu entdecken, dass Sie, obwohl Sie ein Ichgefühl besitzen, einfach eine Ware sind, ein Objekt, ein wissenschaftliches Werkzeug, das nicht als ein Zweck in sich selbst erzeugt wurde und ganz bestimmt nicht als ein solcher behandelt werden wird?
Ein bewusstes Selbstmodell ist das entscheidende neurokomputationale Instrument – nicht nur beim Erwerb vieler neuer kognitiver und sozialer Fähigkeiten, sondern auch dabei, ein stark bewusstes System zu zwingen, sich seinen eigenen Zerfall, seine eigenen Niederlagen und seine inneren Konflikte funktional und repräsentational anzueignen und sie dann auch subjektiv unhintergehbar als die eigenen zu erleben. Sensorischer Schmerz, aber auch alle anderen Arten des nichtkörperlichen Leidens, jeder Zustand, der durch eine negative Valenz charakterisiert ist und in das Selbstmodell eingebettet worden ist, werden jetzt phänomenal besessen. Leiden ist nun unweigerlich und erlebnismäßig unhintergehbar, auf transparente Weise, mein eigenes Leiden. Das Melodrama, aber auch die potenzielle Tragödie des Ego beginnt genau auf der Ebene bewusster, transparenter Selbstmodellierung. Darum sollten wir alle Versuche, künstliche Selbstmodelle zu erzeugen, aus der seriösen akademischen Forschung verbannen. Wir sollten die Erzeugung bewusster Selbstmodelle noch nicht einmal riskieren.
Wir alle stimmen darin überein, dass man kein unnötiges Leid in die Welt bringen sollte. Camus hat einmal von der Solidarität aller endlichen Wesen gegen den Tod gesprochen, in demselben Sinne sollte es auch so etwas wie eine Solidarität aller bewussten, leidensfähigen Wesen gegen das Leiden geben. Aus dieser Solidarität heraus sollten wir nichts tun, was dazu führen kann, dass die Gesamtmenge des Leidens im Universum sich erhöht, und insbesondere nichts, was schon am Anfang mit großer Sicherheit dazu führen würde, dass sich die Gesamtmenge des körperlichen Leidens und der geistigen Verwirrung in der Welt erhöht. Bei der theoretischen und technologischen Modellierung so faszinierender Phänomene wie Bewusstsein und Ichgefühl oder der Erste-Person-Perspektive überhaupt haben wir als phänomenologische Grundlage und moralischen Ausgangspunkt nicht viel mehr als unsere eigene Form des subjektiven Erlebens, so wie sie sich zufällig in der biologischen Evolution auf diesem Planeten entwickelt hat. Es ist schwer für uns, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass im Verlauf der Bewusstseinsevolution ein Ozean des Leidens in der physikalischen Welt entstanden ist, der vorher einfach nicht existierte.
Das mag deshalb so sein, weil Mutter Natur einfach nicht wollte, dass wir solchen Tatsachen zu genau ins Angesicht schauen. Jetzt ist diese Form des Bewusstseins die einzige, die wir wissenschaftlich untersuchen können und die wir auf technischen Trägersystemen modellieren können. Wir sind deshalb in großer Gefahr, all die negativen Aspekte des biologischen Bewusstseins auf künstlichen oder postbiotischen Trägersystemen zu multiplizieren, bevor wir überhaupt verstanden haben, woher all diese negativen Aspekte kommen, in genau welchen Eigenschaften unserer biologischen Geschichte, unserer Körper und unserer Gehirne sie verwurzelt sind und wie sie vielleicht sogar neutralisiert werden könnten.
Darum sollten wir zuerst alle Anstrengungen – in der Philosophie genauso wie in den Neuro- und Kognitionswissenschaften – darauf richten, unser eigenes Bewusstsein und die Struktur unseres eigenen Leidens besser zu verstehen. Wir sollten uns an dem klassischen philosophischen Ideal der Selbsterkenntnis und an dem ethischen Minimalgebot der Leidensverminderung orientieren und nicht fahrlässig eine Evolution zweiter Stufe auslösen, die dann unserer Kontrolle entgleiten und die Gesamtmenge des bewussten Leidens im Universum weiter vermehren könnte. Wir sollten das nicht tun.
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SWR2 Wissen - Aula - Thomas Metzinger: Das letzte Rätsel der Philosophie. Was ist das Bewusstsein (3)
http://www.swr.de/swr2/wissen/-/id=661224/1muyzmy/index.html
SWR2 Wissen - Aula - Thomas Metzinger: Das letzte Rätsel der Philosophie. Was ist das Bewusstsein (3)
Autor und Sprecher: Prof. Thomas Metzinger *
http://www.philosophie.uni-mainz.de/metzinger/metzinger_dt.html
http://www.mentis.de/index.php?id=00000034&article_id=00000028&category=&book_id=00000413&key=metzinger
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Donnerstag, 1. November 2007, 8.30 Uhr, SWR 2
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
ÜBERBLICK
Das Problem des Bewusstseins besteht aus einem ganzen
Bündel theoretischer und empirischer Fragestellungen. Es
gibt jedoch ein Kernproblem, eine wichtige Frage: Was
genau bedeutet es eigentlich, wenn man sagt, dass
Bewusstsein ein subjektives Phänomen ist? Jeder Mensch
verfügt über eine Innenperspektive, die kein anderer
Mensch nachvollziehen kann und die auf untrennbare Weise
mit einem Ich-Gefühl verbunden ist. Thomas Metzinger,
Professor für Philosophie an der Universität Mainz,
beschreibt im letzten Teil seiner Reihe über das
Bewusstsein das Rätsel der Subjektivität, anhand
aktueller Beispiele aus der Hirnforschung.
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ZUM AUTOR
Thomas Metzinger
geboren 1958, Studium der Philosophie, Ethnologie und Theologie in Mainz, Magisterarbeit über Rationalismus und Mystik, danach Promotion mit einer Arbeit über das Leib-Seele-Problem. 1992 Habilitation im Fach Philosophie, 1997 - 98 Fellow am Hanse-Wissenschaftskolleg in Bremen-Delmenhorst, ab 2000 Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Mainz. Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Geistes, Künstliche Intelligenz und verwandte Bereiche, Ethik.
BÜCHER
Grundkurs Philosophie des Geistes (Hrsg)., 3 Bände, Mentis Verlag.
Band 1: Phänomenales Bewusstsein.
Band 2: Das Leib-Seele-Problem.
Band 3 : Intentionalität und mentale Repräsentation.
Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity. Cambridge mit press.
Neuere Beiträge zur Diskussion des Leib-Seele-Problems. Lang.
Subjekt und Selbstmodell. Mentis.
Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie (Hrsg.). Mentis.
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INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: „Das letzte Rätsel der Philosophie - Was ist das Bewusstein, Teil 3“.
Der Mainzer Philosoph Professor Thomas Metzinger hat in den letzten beiden Folgen der AULA dargestellt, aus welchen einfachen Elementen sich das Bewusstein zusammensetzt, er hat außerdem die komplexeren Bausteine erläutert; heute geht es um seine Theorie vom Selbstmodell. Metzinger geht nicht mehr vom traditionellen Subjekt aus, von einem metaphysischen Ich, er sagt: Das Ich und seine Welt sind Resultate von Darstellungs- und Verarbeitungsprozessen im Gehirn, nicht mehr und nicht weniger.
Thomas Metzinger stellt im dritten und letzten Teil seiner Reise ins Bewusstein diese Selbstmodell-Theorie vor, zunächst aber beschreibt er noch drei Eigenschaften des Bewussteins, die wichtig sind für die subjektive Innenperspektive, für die Tatsache, das wir sagen: Ich bin es, der da denkt und empfindet.
Thomas Metzinger:
Das erste ist die phänomenale Meinigkeit - englische Philosophen nennen sie auch den „sense of owner-ship“ -, das Gefühl des Besitzens. Das ist eine höherstufige Eigenschaft einzelner Formen von phänomenalem Gehalt. Hier sind ein paar Beispiele dafür, wie wir mit der Sprache aus dem öffentlichen Raum auf diese privaten Eigenschaften Bezug nehmen. Wir sagen Sachen wie: “Ich erlebe mein Bein subjektiv als immer schon zu mir gehörend“; „ich erlebe meine Gedanken und meine Gefühle immer als Teil meines eigenen Bewusstseins“; „meine Willensakte werden von mir selbst initiiert“.
Die zweite Zieleigenschaft ist die Selbstheit, das Ich-Gefühl, Philosophen nennen es manchmal auch präreflexive Selbstvertrautheit: Das ist die Kerneigenschaft, das erlebnismäßig unhintergehbare „Ich-Gefühl“. Und hier sind wieder Beispiele dafür, wie wir von außen auf dieses Merkmal unseres inneren Erlebens hinweisen: „Ich bin jemand“; „ich erlebe mich selbst als identisch durch die Zeit hinweg“; „die Inhalte meines Selbstbewusstseins bilden eine zusammenhängende Ganzheit“; „mit dem Inhalt meines Selbstbewusstseins bin ich vor allen gedanklichen Operationen ‚immer schon’ vertraut“.
Die dritte Eigenschaft ist die der Perspektivität: Das ist eine Eigenschaft unseres Bewusstseinsraums als Ganzem, ein Strukturmerkmal. Er wird durch ein handelndes und erlebendes Subjekt zentriert, durch ein Selbst, das Beziehungen zu sich selbst und zur Welt aufbaut. Hier sind wieder Beispiele: „Meine Welt besitzt einen unverrückbaren Mittelpunkt und dieser Mittelpunkt bin ich selbst“; „Bewusstsein zu haben bedeutet, eine individuelle Innenperspektive zu besitzen“.
Was jetzt geleistet werden muss, ist eine repräsentationale und eine funktionale Analyse dieser Eigenschaften. Man muss fragen: Was sind die funktionalen und repräsentationalen Eigenschaften, die ein informationsverarbeitendes System mindestens besitzen muss, um unsere fraglichen Zieleigenschaften zu instantiieren? Welche dieser Eigenschaften sind hinreichend, welche sind notwendig? Was genau bedeutet es für ein solches System, eine Erste-Person-Perspektive auf die Welt und auf die eigenen mentalen Zustände einzunehmen?
Der zweite Schritt: Das Selbstmodell
Der zweite Schritt besteht darin, eine neue theoretische Entität einzuführen: das phänomenale Selbstmodell (PSM). Das System muss in jedem Fall eine kohärente Selbstrepräsentation besitzen, ein zusammenhängendes inneres Modell von sich selbst als einer Ganzheit. Ein Selbstmodell ist in unserem eigenen Fall nur vorübergehend aktiv und sein Inhalt wird durch Eigenschaften des Systems selbst gebildet wird. Immer dann, wenn eine solche Selbstrepräsentation gebraucht wird, um die Interaktion mit der Umwelt zu regulieren, wird sie vorübergehend aktiviert. Das, was am Morgen passiert, wenn Sie aufwachen, ist, dass das System, das Sie sind, sein phänomenales Selbstmodell „bootet“. Sie müssen schnell zum Kühlschrank laufen, Sie müssen, wie die Forscher sagen, komplexe sensomotorische Integration auf der Stufe globaler Verfügbarkeit leisten, und dazu brauchen Sie ein bewusstes Selbstmodell. Wenn dieses Selbstmodell im Gehirn aktiviert wird, wenn Sie aufwachen, das ist dann der Moment, in dem Sie zu sich selbst kommen.
Im letzten September haben an der Cornell University die ersten Forscher einen Roboter gebaut, der ein explizites Selbstmodell, ein Körperbild entwickelt, dadurch dass er strampelt und sein Feedback verrechnet. Er träumt erst innere Körperbilder, macht Zufallsbewegungen, vergleicht die Sinnesempfindungen durch diese Zufallsbewegungen mit den geträumten Körperselbsten und entwickelt dann, genau wie ein strampelndes Baby, sozusagen ein passendes Bild von seinem eigenen Körper. Dieses Bild verwendet er dann, um Gehformen, Verhaltensweisen zu synthetisieren, und lernt, sich intelligent zu bewegen. Das Interessante ist, diesen Roboter unterscheidet von vielen anderen Maschinen die Tatsache, dass wenn man ihm einen Arm abhackt, was diese Forscher natürlich sofort gemacht haben, er danach lernen kann zu hinken. Das heißt, dieser Roboter hat den Körper eines vierarmigen Seesterns, und wenn man einen dieser vier Arme entfernt, dann verändert sich das Selbstmodell in der zentralen Recheneinheit. Diese Maschine kann sehr schnell lernen, dass ihr ein Körperteil fehlt, und dann eine neue Lösung, nämlich das Hinken, entwickeln.
Natürlich ist das ein unbewusstes Selbstmodell. Dieser Roboter erlebt nichts, trotzdem lässt er uns sehr gut verstehen, wie in der Evolution die ersten Tiere, die sich intelligent bewegen mussten, Selbstmodelle entwickelt haben.
Was wir im Grunde brauchen, ist also eine umfassende Theorie des Selbstmodells von Homo sapiens. Ein wichtiger Punkt ist, dass Selbstmodelle nicht nur eine lange Geschichte auf unserem Planeten haben – viele Tiere haben auch bewusste Selbstmodelle -, sondern dass sie eine Art von „virtuellem Organ“ sind, ein Organ, das nur manchmal angeschaltet wird, und dass dieses Organ in unserem eigenen Fall überhaupt erst die Bildung von komplexen Gesellschaften ermöglichte. Plastische und immer komplexere Selbstmodelle erlaubten nämlich nicht nur eine fortlaufende Optimierung von Lernvorgängen, von somatomotorischen, perzeptiven und kognitiven Funktionen, sondern später eben auch soziale Kognition und damit die Entwicklung von kooperativem Verhalten. Mit Selbstmodellen entstanden die fundamentalen Ressourcen für Perspektivenübernahme, für Einfühlung und Empathie, aber auch für Schuldbewusstsein und metakognitive Leistungen wie die Entwicklung eines Selbstbegriffs oder einer „theory of mind“.
Mit dem Vorhandensein eines stabilen Selbstmodells kann dann das entstehen, was wir als die „Perspektivität des Bewusstseins“ bezeichnen: Die Existenz eines einzigen, kohärenten und zeitlich stabilen Modells der Wirklichkeit, das auf oder um ein einziges, kohärentes und zeitstabiles phänomenales Subjekt zentriert ist, das heißt um ein Modell des Systems als jetzt gerade Erlebnisse habend. Dieses strukturelle Merkmal unseres inneren Darstellungsraums kann vorübergehend dazu führen, dass ein zeitlich ausgedehnte, nicht-begriffliche Erste-Person-Perspektive entsteht. Wenn diese Eigenschaft verloren geht, verändert sich auch die Phänomenologie und verschiedene neuropsychologische Störungsbilder oder veränderte Bewusstseinszustände treten hervor.
Vielleicht hat vieles in den Ohren meiner Zuhörer ja sehr abstrakt geklungen. Ein Selbstmodell ist jedoch nichts Abstraktes, sondern etwas ganz und gar Konkretes. Hier ist ein erstes Beispiel:
Was ein phänomenales Selbstmodell ist, hat der Neuropsychologe Vilayanur Ramachandran in einer Serie von faszinierenden Experimenten gezeigt, bei denen er mit Hilfe von einfachen Spiegeln Synästhesien und Bewegungsillusionen in Phantomgliedern auslöste (vgl. Ramachandran/Rogers-Ramachandran 1996; eine populäre Darstellung ist Ramachandran/Blakeslee 1998: 46ff.). Phantomglieder sind subjektiv erlebte Gliedmaßen, die typischerweise nach dem Verlust eines Arms oder einer Hand oder nach chirurgisch durchgeführten Amputationen auftreten. In manchen Fällen, zum Beispiel nach einer nichttraumatischen Amputation durch einen Chirurgen, sind die Patienten subjektiv in der Lage, ihr Phantomglied willentlich zu kontrollieren und zu bewegen. Das neurofunktionale Korrelat dieser phänomenalen Konfiguration könnte darin bestehen, dass – da es keine widersprechende Rückmeldung aus dem amputierten Arm gibt – Motorbefehle, die im motorischen Cortex entstehen, immer noch kontinuierlich durch Teile des Parietallappens überwacht und dabei in denjenigen Teil des bewussten Selbstmodells integriert werden, der als ein Motoremulator dient (vgl. dazu auch Grush 1997, 1998: 174; Ramachandran/Rogers-Rama-chandran 1996: 378).
Ramachandran und seine Kollegen konstruierten nun eine „virtuelle Realitätskiste“, indem sie einen Spiegel vertikal in einen Pappkarton ohne Abdeckung einsetzten. Zwei Löcher in der Vorderseite des Kartons ermöglichten es dem Patienten, sowohl seinen echten als auch seinen Phantomarm hinein zu schieben. Ein Patient, der seit vielen Jahren unter einem paralysierten Phantomglied litt, wurde dann gebeten, das Bild seiner normalen Hand im Spiegel zu betrachten, um so – auf der Ebene des visuellen Inputs – die Illusion zu erzeugen, dass er zwei Hände sieht, obwohl er in Wirklichkeit nur das im Spiegel reflektierte Bild seiner intakten Hand sehen konnte. Die Fragestellung: Was geschieht mit dem Inhalt des phänomenalen Selbstmodells, wenn man jetzt die Versuchsperson bittet, auf beiden Seiten symmetrische Handbewegungen auszuführen? Ramachandran beschreibt ein typisches Resultat dieses Experiments:
„Ich bat Philip, seine rechte Hand innerhalb der Kiste rechts vom Spiegel zu platzieren und sich vorzustellen, dass seine linke Hand (das Phantom) sich auf der linken Seite befindet. Dann gab ich die Instruktion: ‚Ich möchte, dass Sie gleichzeitig ihren rechten und ihren linken Arm bewegen’. ‚Oh, das kann ich nicht’, sagte Philip. ‚Ich kann meinen rechten Arm bewegen, aber mein linker Arm ist eingefroren. Jeden Morgen beim Aufstehen versuche ich, mein Phantom zu bewegen, weil es sich immer in dieser seltsamen Stellung befindet, und weil ich das Gefühl habe, dass Bewegungen den Schmerz lindern könnten. Aber’, sagte er, während sein Blick abwärts an seinem unsichtbaren Arm entlang glitt, ‚ich war niemals in der Lage, auch nur den Funken einer Bewegung in ihm zu erzeugen.’ ‚Okay Philip – versuchen Sie es trotzdem.’ Philip drehte seinen Körper und bewegte seine Schulter in die richtige Stellung um sein lebloses Phantomglied in die Kiste ‚hinein zu schieben’. Dann hielt er seine rechte Hand neben die andere Seite des Spiegels und versuchte, synchrone Bewegungen zu machen. Als er in den Spiegel schaute, rang er plötzlich um Atem und rief dann aus: ‚Oh mein Gott! Oh mein Gott, Doktor! Das ist unglaublich. Ich glaube, ich werde verrückt!’ Er sprang auf und ab wie ein Kind. ‚Mein linker Arm ist wieder angeschlossen. Es ist, als ob ich in der Vergangenheit bin. Ganz viele Erinnerungen aus der Vergangenheit überfluten mein Bewusstsein. Ich kann meinen Arm wieder bewegen! Ich kann die Bewegung meines Ellenbogens spüren, auch die meines Handgelenks. Alles ist wieder beweglich.’ Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, sagte ich: ‚Okay Philip – schließen Sie jetzt Ihre Augen.’ ‚Oh je’, sagte er, und die Enttäuschung in seiner Stimme war deutlich zu hören, ‚es ist wieder eingefroren. Ich fühle wie meine rechte Hand sich bewegt, aber es gibt keinerlei Bewegungsempfindung im Phantom.’ ‚Öffnen Sie Ihre Augen.’ ‚Oh ja – jetzt bewegt es sich wieder.’“ (Ramachandran/Blakeslee 1998: 47f.; Übers. d. Verf. Vgl. auch dazu Ramachandran/Rogers-Ramachandran 1996)
Was sich in diesem Experiment bewegt, ist das phänomenale Selbstmodell. Das plötzliche Auftreten von Bewegungsempfindungen in der verlorenen Subregion des Selbstmodells wurde sozusagen durch die Installation einer zweiten Quelle von „virtueller Information“ möglich gemacht. Sie machte den visuellen Modus der Selbstrepräsentation sozusagen wieder zugänglich und damit auch die betreffende Information wieder verfügbar für die willentliche Kontrolle. Was das Experiment ebenfalls zeigt, ist wie phänomenale Eigenschaften durch komputationale und repräsentationale Eigenschaften festgelegt werden. Körperliches Selbstbewusstsein hängt sehr eng mit Vorgängen im Gehirn zusammen.
Der dritte Schritt: Eine repräsentationalistische Analyse unserer drei Zieleigenschaften
Die Grundidee ist jetzt, dass Selbstbewusstsein in wesentlichen Aspekten eine Integrationsleistung ist: Alle Zustände, die in das gegenwärtig aktive Selbstmodell eingebettet werden, gewinnen die höherstufige Eigenschaft der Meinigkeit hinzu. Wenn dieser Einbettungsprozess gestört wird oder hypertrophiert, dann resultieren verschiedene neuropsychologische Syndrome oder veränderte Bewusstseinszustände. Werfen wir wieder einen Blick auf einige Beispiele, bei denen die phänomenale Meinigkeit verloren geht:
Im schizophrenen Schub hat der Patient häufig das Gefühl, dass fremde Gedanken in seinen Bewusstseinsraum eindringen, dass bewusst erlebte Gedanken nicht seine eigenen Gedanken sind. Dieses System würde das vorhersagen: Wenn ein System seine eigene kognitive Verarbeitung nicht mehr in sein Selbstmodell einbetten kann, dann kann es sie nicht mehr als die eigenen Gedanken erleben.
Ein anderes Beispiel sind sogenannte Somato-Paraphrenien oder der Unilaterale Hemi-Neglekt: Dabei haben Patienten nach einer Hirnverletzung das Gefühl, dass ihr Bein oder ein anderer Körperteil nicht mehr ihr eigenes Bein ist. Sie versuchen, es dann voll Ekel aus dem Bett zu werfen, fallen mit dem Bein aus dem Bett. Wenn die Krankenschwester gelaufen kommt, sagen sie: „An meiner Hüfte ist ein Leichenbein festgewachsen.“ Und die Krankenschwester entgegnet: „Wenn das so wäre, dann müssten Sie ja drei Beine haben. Zählen Sie doch mal!“
Meinigkeit kann selektiv für ganz viele Körperteile verloren gehen. Interessanterweise gibt es auch Situationen, in denen das Selbstmodell sich sozusagen bis an die Grenze der Welt ausdehnt und in denen ein Patient alle Ereignisse in der Welt als durch sich selbst , durch die eigenen Willensakte kontrolliert erlebt.
Ich war vor vielen Jahren mal in der Psychiatrie in Frankfurt am Main, da hatten sie zwei solcher Patienten. Der eine stand den ganzen Tag am Fenster und „ließ die Sonne gehen“; der andere hat runtergeschaut auf den Verkehr, die Autos kontrolliert, die Puppen laufen lassen und die Ampeln zum richtigen Zeitpunkt an- und ausgemacht, das heißt, seine Phänomenologie war, dass jedes Ereignis, was er erlebt, von ihm selbst kontrolliert wurde.
Subjektiv erlebte Meinigkeit ist also eine Eigenschaft einzelner Formen von phänomenalen Inhalten, zum Beispiel der mentalen Repräsentation eines Beins, eines Gedankens oder eines Willensaktes. Wir sehen, dass diese Eigenschaft nicht notwendig mit ihnen verbunden ist, sie ist keine intrinsische, sondern eine relationale Eigenschaft. Die Verteilung von Meinigkeit über die Elemente eines bewussten Weltmodells kann variieren. Sie kann verloren gehen, und zwar genau dann, wenn dem System die Integration bestimmter Inhalte ins Selbstmodell nicht mehr gelingt.
Hier ist ein zweites konkretes Beispiel: Bei der Gummihand-Illusion – die können Sie zuhause nachmachen, zum Beispiel mit einem Spülhandschuh, den Sie mit Wasser füllen und verschließen - werden eine gefühlte und eine gesehene Berührung vom Gehirn so miteinander verschmolzen, dass nicht nur eine propriozeptive Karte vorübergehend mit einer visuellen Karte in Übereinstimmung gebracht werden – also die Eigenwahrnehmung des Körpers mit dem, was man sieht –, sondern so, dass damit auch das Gefühl des „Besitzens“, die phänomenale „Meinigkeit“ auf die Gummihand übergeht.
Das Experiment geht so: Sie verstecken Ihre linke Hand unter den Tisch und legen vor sich auf den Tisch den Spülhandschuh. Dann muss der Versuchsleiter über Ihre Hand unter dem Tisch, die Sie nicht sehen können, und über den Gummihandschuh rhythmisch streichen mit einem Stäbchen oder einem Pinsel. Genau synchron. Nach etwa 60 bis 90 Sekunden werden Sie auf einmal eine Verbindung von Ihrer Schulter zur Gummihand halluzinieren und erst das Gefühl haben, dass diese Gummihand, die Sie sehen, tatsächlich ein Teil Ihres körperlichen Selbst ist. Aber was noch viel spannender ist: Sie werden die gesehene Berührung in dieser Hand spüren.
Die Versuchsperson erlebt die Gummihand als ihre eigene Hand und fühlt die Berührung in dieser Hand. Wenn man sie im Labor bittet, auf ihre verdeckte linke Hand zu zeigen, unterläuft ihr ein Fehler in Form einer Abweichung in Richtung auf die Gummihand (vgl. Botvinick/Cohen 1998: 756). „Verletzt“ man einen Finger der Gummihand durch eine Biegung nach hinten in eine physiologisch unmögliche Position, dann wird auch der phänomenal erlebte Finger als wesentlich weiter zurückgebogen erlebt, als er es in Wirklichkeit ist, zusätzlich zeigt sich eine deutliche messbare Hautwiderstandreaktion.
Mein persönlicher Tipp für Sie, wenn Sie dieses Experiment heute Abend ausprobieren und die Versuchsperson hat die Illusion: Schlagen Sie mal mit einem Hammer auf die Gummihand und schauen Sie, was passiert.
Im September haben Olaf Blanke, Bigna Lenggenhager und ich eine Studie veröffentlich im amerikanischen Wissenschaftsmagazin „Science“, in der wir gezeigt haben, dass es eine Ganzkörpervariante der Gummihand-Illusion gibt. Dieses Experiment haben wir im Cyberspace durchgeführt, das heißt, die Versuchspersonen bekommen eine Brille aufgesetzt, ein sogenanntes „head-mounted display“, sie werden von hinten gefilmt und dann sehe ich auf einmal wie in dem berühmten Bild von Margrit von 1937 mich selbst 3 Meter vor mir selbst im Cyberspace stehen von hinten, weil der Computer das Kamerabild einbettet in die virtuelle Realität. Dann kommt Bigna, die geniale Doktorandin, und beginnt, meinen ganzen Rücken großflächig synchron zu streicheln. Ich sehe dann, wie der Avatar von mir auch gestreichelt wird . Bei vielen Versuchspersonen führt das dazu, dass sie auf einmal so etwas ähnliches wie eine künstliche außerkörperliche Erfahrung, ein „out-of-body“-Erlebnis haben. Das heißt, man hat auf einmal das Gefühl, das Selbst befindet sich außerhalb der Grenzen des physischen Körpers, nämlich in dem Avatar.
Ich denke, man sollte diese Ergebnisse nicht überinterpretieren, aber sie zeigen, dass auch die einfachste Form des Selbstbewusstseins nicht nur experimentell manipuliert werden kann, sondern dass sie auch ohne eine agency-Komponente auskommt. Das heißt, wir müssen uns nicht bewegen oder handeln, um ein Selbst zu sein, und wir müssen auch nicht denken oder sprechen können. Es ist ganz klar, dass diese Ganzkörper-Illusion, die Ganzkörpervariante der Gummihand-Illusion auch bei Tieren funktionieren würde. Das Problem wäre nur, wie füllen die die Fragebögen richtig aus.
Wenden wir uns jetzt deshalb gleich der zweiten Zieleigenschaft zu: der Selbstheit, der Ichhaftigkeit. Die Idee ist wieder einfach: Wenn es ein zusammenhängendes und zeitlich stabiles Selbstmodell gibt, dann gibt es auch dieses Ich-Gefühl und wieder gibt es, wenn dieses Selbstmodell beschädigt ist, wenn es zerfällt oder wenn verschiedene Strukturen alternieren, neuropsychologische Störungsbilder oder veränderte Bewusstseinszustände:
Da gibt es zum Beispiel Anosognosien oder Anosodiaphorien. Beispiel wären Patientenn mit Antons Syndrom. Diese Patienten sind nach einer massiven kortikalen Blutung blind, sie werden nie mehr etwas sehen, aber sie behaupten oft, für Minuten, Stunden oder manchmal eben auch Tage, dass sie noch eine sehende Person sind, zeigen aber funktional alle Anzeichen des Blindseins, fallen über Möbel, stoßen sich an Wänden. Ich glaube, diese Patienten berichten wahrhaftig, ganz ehrlich über den Inhalt ihres phänomenalen Selbstmodells, es ist nur noch nicht upgedatet worden. Das Gehirn konnte den Defizit, das Wissen über den Defizit noch nicht einbetten.
Dann gibt es das, was früher multiple Persönlichkeitsstörung hieß und heute Dissociative Identity Disorder (DID) heißt. Man kann sich natürlich vorstellen, dass nach bestimmten emotionalen Verletzungen in der Kindheit Leute mit einem extrem inkonsistenten sozialen Kontext überhaupt nur noch umgehen können, indem sie für verschiedene Situationen verschiedene Selbstmodelle entwickeln und dass dieser Prozess später im Erwachsenenalter auch einmal außer Kontrolle geraten kann.
Es gibt Ich-Störungen, eine große Klasse psychiatrischer Störungsbilder, die mit verschiedenen veränderten Formen des Erlebens der eigenen Identität einhergehe. Das klassische Beispiel sind natürlich Schizophrenien. Meistens entsteht mit einem Selbstmodell aber auch die „Perspektivität des Bewusstseins“ in Form von bewusst erlebten Subjekt-Objekt-Beziehungen (siehe Abschnitt 6; vgl. Nagel 1992; Metzinger 1993, 1995a, 2000b, insb. 2005a). Dieses strukturelle Merkmal unseres Bewusstseinsraums führt dann zu einer zeitlich ausgedehnten und nicht-begrifflichen Erste-Person-Perspektive, und es kann selektiv verloren gehen.
Ich nenne nur zwei Beispiele: Das eine ist die vollständige Depersonalisierung. Der Züricher Forscher Adolf Dittrich hat solche Zustände statistisch sehr genau analyisert. Der Verlust der phänomenalen Ich-Perspektive, begleitet von Angstzuständen und funktionalen Defiziten, und er hat für diesen Cluster von Eigenschaften den Begriff „angstvolle Ich-Auflösung“ gewählt. (vgl. Dittrich 1985).
Das gibt es also. Interessant ist aber, dass es auch etwas anderes git., nämlich den Zerfall der Erste-Person-Perspektive in mystisches Erfahrungen und religiösen Erlebnissen. Es gibt selbstlose und nicht-zentrierte Globalzustände, die als nicht-pathologisch und nicht-bedrohlich erlebt und hinterher auch so von den Personen beschrieben werden. Dittrich hat für diese Klasse von phänomenalen Zuständen den Begriff der „ozeanischen Selbstentgrenzung“ eingeführt, und es ist klar, dass eine moderne Philosophie des Geistes auch für solche Zustände die begrifflichen Mittel bereitstellen muss, die es erlauben zu verstehen, worum es sich dabei handelt.
Der vierte Schritt besteht darin, wie unser Bewusstseinsraum funktional zentriert wird durch einen Vorgang der leiblichen Verankerung. Das Selbstmodell, das ist meine Antwort, ist die einzige Struktur, die im Gehirn durch eine kontinuierliche Quelle von intern generierten Inputs verankert ist. Es gibt ein dauerhaftes funktionales Bindeglied zwischen dem bewussten Selbstmodell und seiner körperlichen Basis im Gehirn und im wesentlichen vier Quellen, in denen es verankert ist:
- Input aus dem Vestibulärorgan: der Gleichgewichtssinn;
- Input aus dem festen Teil des Köperschemas: das „Hintergrundgefühl“ im räumlichen Bild des Körpers;
- Input aus Sensoren in den Eingeweiden und Blutgefäßen: „Bauchgefühle“;
- Input aus den oberen Hirnstamms und des Hypothalamus: Hintergrundemotionen und „Gestimmtheiten“, verankert in der ständigen homöostatischen Selbstregulation des Lebensprozesses selbst.
Der fünfte Schritt besteht in der Transparenzannahme, die wir in der zweiten Vorlesung schon kennen gelernt haben. Ein Selbstmodell ist noch lange kein Selbst, so könnte man sagen, sondern nur eine Repräsentation des Systems als Ganzem, eben bloß ein Systemmodell. Die philosophische Kernfrage lautet deshalb: Wie entsteht in einem funktional bereits zentrierten Darstellungsraum im Gehirn ein bewusstes Selbst und das, was wir eine echte phänomenale Erste-Person-Perspektive nennen?
Meine Hauptthese ist: Wir selbst sind Systeme, die erlebnismäßig nicht in der Lage sind, ihr eigenes subsymbolisches Selbstmodell als Selbstmodell zu erkennen. Deshalb operieren wir, metaphorische gesprochen, unter den Bedingungen eines „naiv-realistischen Selbstmissverständnisses“: Wir erleben uns selbst notwendigerweise so, als wären wir in direktem und unmittelbarem Kontakt mit uns selbst. Und auf diese Weise entsteht – das ist der Kern der Selbstmodelltheorie – erstmals ein basales „Ich-Gefühl“, ein für das betreffende System unhintergehbares phänomenales Selbst. Das, was wir als das bewusste Selbst bezeichnen, ist der Inhalt des transparenten Selbstmodells, das jeweils von unserem eigenen Gehirn erzeugt wird.
Der letzte Schritt: Aus einem transparenten Modell der Welt entsteht eine Wirklichkeit. Aus einem transparenten Modell des Systems entsteht ein in diese Wirklichkeit eingebettetes Selbst. Wenn nun noch eine transparente Darstellung der wechselnden Beziehungen entsteht, die dieses Selbst im Wahrnehmen und im Handeln vorübergehend zu Gegenständen und anderen Personen in dieser Wirklichkeit aufbaut, dann tritt das hervor, was ich zu Beginn die „phänomenale Erste-Person-Perspektive“ genannt habe. Eine echte Innenperspektive entsteht genau dann, wenn das System sich für sich selbst noch einmal als mit der Welt interagierend darstellt, diese Darstellung aber wieder nicht als Darstellung erkennt. Es besitzt dann ein bewusstes Modell der Intentionalitätsrelation. Sein Bewusstseinsraum ist ein perspektivischer Raum und seine Erlebnisse sind jetzt subjektive Erlebnisse.
Die Intentionalitätsrelation ist in der Hauptsache die Wissensbeziehung zwischen Subjekt und Objekt: Ein geistiger Zustand wird dadurch zu einem Träger von Wissen, dass er über sich selbst hinaus verweist – gewissermaßen wie ein Pfeil, der aus dem Geist eines Menschen auf einen Gegenstand in der wirklichen oder sogar in einer möglichen Welt zeigt. Philosophen sagen dann, dass dieser Zustand einen intentionalen Inhalt besitzt. Der Inhalt ist das, worauf der Pfeil zeigt. Dieser Inhalt kann ein Bild, eine Aussage oder auch ein Handlungsziel sein. Wenn viele solcher Pfeile im Bewusstsein verfügbar sind, dann entsteht eine zeitlich ausgedehnte Erste-Person-Perspektive (vgl. dazu auch Metzinger 2005a).
Meine Kernthese lautet: Der bewusste Mensch ist ein System, das bei einzelnen repräsentationalen Akten die Repräsentationsbeziehung selbst noch einmal mit-repräsentieren kann. Der Inhalt höherstufiger Formen des Selbstbewusstseins ist nämlich immer eine Relation: das Selbst im Moment des Erkennens (Damasio 1999: 168ff.), das Selbst im Akt des Handelns.
Natürlich ist die Art und Weise, in der wir diese Relation subjektiv erleben, eine stark vereinfachte Version der wirklichen Vorgänge – gewissermaßen eine funktional adäquate Konfabulation. Die Evolution hat auch in diesem Fall wieder eine einfache, eine elegante Lösung favorisiert. Das virtuelle Selbst, das sich in der phänomenalen Welt bewegt, besitzt kein Gehirn, kein Motorsystem und keine Sinnesorgane: Teile der Umgebung erscheinen direkt in seinem Geist, der Wahrnehmungsprozess ist anstrengungslos und unmittelbar. Auch Körperbewegungen werden scheinbar „direkt“ ausgelöst. Solche Effekte sind typisch für unsere Form des subjektiven Erlebens und sie sind – als neurokomputationale Strategie betrachtet – die Vorteile einer benutzerfreundlichen Oberfläche. Das, was wir eben als „Transparenz“ kennen gelernt haben, ist eine Art, die Geschlossenheit dieser multimodalen, hochdimensionalen Oberfläche zu beschreiben. Das phänomenale Selbst ist der Teil dieser Oberfläche, der Mauszeiger, den das System benutzt, um sich selbst als ein Ganzes zu fühlen, um sich für sich selbst als erkennendes Ich darzustellen und um sich selbst als Agenten zu begreifen. Dieser virtuelle Agent „sieht mit den Augen“ und „handelt mit den Händen“. Er weiß nicht, dass er einen visuellen Cortex besitzt, und genauso wenig, dass er einen motorischen Cortex besitzt. Er ist das Interface, welches das System benutzt, um sich seine eigene Hardware funktional anzueignen, um autonom zu werden. Die intentionalen Pfeile, die diesen Agenten mit Gegenständen und anderen Selbsten innerhalb des gerade aktiven Wirklichkeitsmodells verbinden, sind bewusste Repräsentationen von vorübergehend auftretenden Subjekt-Objekt-Beziehungen – und auch sie können erlebnismäßig nicht als Repräsentationsprozesse erkannt werden.
Jetzt jubeln die Freunde des Esoterik-Buchladens: „Das haben wir doch immer gesagt, die Hirnforschung und die moderne Philosophie des Geistes zeigen, dass das Ich eine Illusion ist.“ Das ist leider falsch. Meine These ist gerade, dass es weder ein Selbst gibt, noch dass das Selbst eine Illusion ist. Wir brauchen heute für das, was wir wissen und erklären wollen in der Hirnforschung und in der wissenschaftlichen Psychologie des Selbstbewusstseins die Annahme eines Selbst oder die Annahme einer Seele nicht mehr. Sie spielt keine Erklärungsrolle. Alles, was man früher durch die Annahme eines Selbst oder einer Seele sagen konnte, kann man jetzt mit dem Begriff eines transparenten Selbstmodells sagen. Das bedeutet aber nicht, dass die Inhalte unseres Selbstbewusstseins nur eine Illusion sind.
Erstens sind sie Resultat eines biologischen Optimierungsvorgangs und sie können nicht ganz falsch sein. Zweitens ist es aber so, dass die Beschreibungsebene, auf der wir uns bewegen, die Ebene des phänomenalen Selbstbewusstseins, überhaupt noch nicht die ist, auf der es Wissen und Täuschung gibt. Das ist gerade erst die Bedingung der Möglichkeit dafür, dass später ein epistemisches Subjekt entsteht, das sich über etwas täuschen kann. Das phänomenale Selbstmodell ist einfach ein Ergebnis eines ich-freien Vorgangs, nämlich der dynamischen Selbstorganisation repräsentationaler Strukturen im menschlichen Gehirn.
Es ist also weder ein „kleines Männchen“ im Kopf, ein Homunkulus, noch ein böser Dämon, der uns eine Täuschung vorspiegelt auf der Ebene des bewussten Erlebens und auch auf der Ebene der Neurobiologie ist es weder Wissen noch Illusion. Es ist einfach das, was es ist.
Ende der Vortragsreihe I - III