SWR2 Wissen Aula - Ralf Caspari im Gespräch mit Professor Ute Frevert : Das ist die sichere Bank! Die Karriere des Vertrauens in der Moderne
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Karriere des Vertrauens
SWR2 Wissen Aula - Ralf Caspari im Gespräch mit Professor Ute Frevert : Das ist die sichere Bank! Die Karriere des Vertrauens in der Moderne
(Abschrift eines Interviews )
Redaktion/Gesprächsleitung: Ralf Caspary; Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 25 Mai 2014, 8.30 Uhr, http://swr2.de
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ÜBERBLICK
Vertrauen ist die Basis vieler Beziehungen
Überall tauchen der Begriff und das dazugehörige Gefühl auf: In der Ehe verlangen die Partner uneingeschränktes Vertrauen voneinander, in der Schule wollen die Schüler den Lehrern vertrauen und umgekehrt, in der Werbung stilisieren sich Firmen als besonders vertrauenswürdig, und in der Geschäftswelt läuft ohne Vertrauen gar nichts. Besonders wichtig ist das Vertrauen in der Politik geworden, als Vertrauensfrage im Parlament, vor allem bei der Beziehung Bürger-Politiker. Professor Ute Frevert, Historikerin, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, zeichnet die Karriere eines Begriffs nach.
Zur Person
Ute Frevert studierte Geschichte und Sozialwissenschaften und habilitierte sich im Fach Neuere Geschichte. Sie lehrte und forschte an den Universitäten in Berlin, Konstanz, Bielefeld, Yale (USA). Seit 2008 ist sie Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte der Moderne, Emotionsgeschichte, Geschlechtergeschichte.
Bücher (Auswahl):
- Vertrauensfragen: Eine Obsession der Moderne. Beck-Verlag. 2013.
- Vergängliche Gefühle. Wallstein-Verlag. 2013
INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: „Du bist die sichere Bank – Die Karriere des Vertrauens in der Moderne“.
Überall wird neuerdings von Vertrauen geredet: Es gibt ja angeblich die Bank deines Vertrauens, es gibt den Arzt deines Vertrauens, wir sollen Politikern und Parteien vertrauen, den Lehrern unserer Kinder und der Firma XY. Doch warum ist das so, warum wird Vertrauen geradezu inflationär zur wichtigen Währung?
Professor Ute Frevert ist Historikerin und Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin, in ihrem neuen Buch mit dem Titel "Vertrauensfragen" zeichnet sie die Karriere des Begriffs Vertrauen nach. Ich begrüße Frau Frevert zum Aula-Gespräch.
INTERVIEW
Frage:
Guten Morgen, Frau Frevert, kann man den Begriff „Vertrauen“ einigermaßen konsistent definieren?
Frevert:
Ja, man kann. Wenn ich mal einen Versuch wagen darf: Ich würde Vertrauen definieren als eine Gefühlshaltung, die mit der Erwartung, der Hoffnung einhergeht, dass die Person, der ich mein Vertrauen schenke, mir wohlgesonnen ist und in ihrem Verhalten meine Interessen, meine Wünsche berücksichtigt.
Frage:
Kann man sagen, dass Vertrauen auf alle Fälle Sicherheit in menschliche Beziehungen bringt, Verlässlichkeit?
Frevert:
Vertrauen ist ja zunächst mal eine Vor-Leistung. Insofern ist Vertrauen selber riskant, denn das Vertrauen, das Sie schenken, muss nicht unbedingt erwidert werden. Vertrauen ist also nicht der Sicherheitscheck, sondern eher eine Gabe, ein Geschenk, das ich jemandem mache, von dem ich etwas zurück haben möchte und von dem ich hoffe, dass diese Gabe, dieses Geschenk dann auch erwidert wird, dass es die andere Person gewissermaßen in die Pflicht nimmt oder ihr eine Gegenleistung fast schon abfordert.
Frage:
Im Vertrauen steckt viel Treue drin, schon vom Wortstamm her.
Frevert:
Ja, da haben Sie vollkommen recht, obwohl, wenn man es historisch betrachtet, es sehr interessant ist, dass Vertrauen sich, zumindest seit dem 19. Jahrhundert, eigentlich als der stärkere, der häufiger gebrauchte Begriff gegenüber Treue durchsetzt. Im Sprachgebrauch des beginnenden 21. Jahrhunderts ist von Treue sehr viel weniger die Rede als von Vertrauen.
Frage:
Spielen bei Vertrauen eher emotionale Aspekte die wichtige Rolle oder gibt es auch rationale Aspekte?
Frevert:
Die Unterscheidung zwischen emotional und rational ist in sich schon schwierig, weil wir seit ungefähr 20, 30 Jahren – „wir“ heißt die Neurowissenschaftler, die
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SWR2 Aula vom 25. Mai 2014
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Gespräch mit Professor Ute Frevert
Kognitionswissenschaftler, die sich damit ja auch beschäftigt haben – eigentlich argumentieren, es gibt nicht so etwas wie eine a-rationale, von jeder Art von kognitiver Reflexion getrennte Emotion, und es gibt auch keine kognitive Haltung oder Operation, die ohne Gefühle funktioniert. Diese klare Trennung, die man seit der Aufklärung versucht hat zu institutionalisieren, läuft eigentlich nicht mehr so. In dem Begriff steckt eben wirklich eine gefühlte Disposition drin, es steckt aber auch etwas drin wie Erfahrung. Ich würde nicht unbedingt jemandem vertrauen, von dem ich überhaupt nichts weiß, dem ich sozusagen blind vertraue. Sondern ich brauche eine gewisse Erfahrung, die mir zeigt, dass diese Person, wie ich am Anfang definiert habe, mir wohlgesonnen ist und in ihrem Verhalten meine Interessen reflektiert.
Frage:
Kann man sagen, ab wann der Begriff in deutschen Wörterbüchern auftauchte? Das ist ja ein Zeichen dafür, dass der Begriff in die Gesellschaft aufgenommen wurde.
Frevert:
Das ist schon ein ganz wichtiges Indiz. Wir haben festgestellt, dass ungefähr um die 1730er-Jahre der Vertrauensbegriff lexikonfähig wird. Allerdings auch in einer unglaublich interessanten Weise lexikonfähig, nämlich als einer, der hochprekär wirkt: Vertrauen steht als Oberbegriff da, und der Autor, der sich über viele Seiten damit auseinandersetzt, ist eigentlich sehr skeptisch, ob er Vertrauen positiv oder negativ bewerten soll. Er beobachtet, und insofern sind Lexika eben auch Spiegel der Zeit, dass in seiner Umgebung der Vertrauensbegriff immer positiver aufgeladen ist, dass bestimmte Gruppen von Menschen ihn benutzen und auch preisen als Fundament menschlicher Beziehung. Und er selbst warnt davor, diese Vertrauens-Euphorie zu weit auszufahren. Er sagt, das sei keine keine gute Idee, Menschen sind in der Regel so unbeständig, selber so unsicher, dass man eigentlich nicht auf sie bauen kann. Wer wirklich sein Vertrauen in Menschen setzt, hat falsch gebaut. Und derjenige, auf den man das Vertrauen setzen soll, dem man in dem Sinne fast blind vertrauen kann und soll, das sei eben nur Gott. Der würde einen nicht enttäuschen. Alle anderen würden einen enttäuschen. Der größte Teil dieses wirklich langen Artikels setzt sich richtig theologisch mit dem Gottvertrauen auseinander und lässt diese andere säkulare Linie, diesen Trend, Vertrauen in Menschen zu setzen, den er beobachtet, aber scharf kritisiert, außen vor.
Frage:
Das heißt, Anfang des 18. Jahrhunderts haben wir noch eine religiöse Überformung des Begriffs?
Frevert:
Ja, man könnte aber auch sagen, der Begriff ist religiös penetriert. Er kommt aus der religiösen Sprache, und die Übertragung auf nicht-religiöse Beziehungen, auf Beziehungen der Menschen untereinander wird damals ausprobiert, wird aber auch sehr skeptisch gesehen.
Frage:
Und wann sieht man das positiver?
Frevert:
Das Blatt wendet sich ungefähr 50 Jahre später zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, als der Vertrauensbegriff erstens häufiger in den Lexika auftritt, auch mit vielen unterschiedlichen Wendungen und Komposita – der Vertrauensarzt, der Vertrauensbeweis, zusammengesetzte Begriffe, die mit Vertrauen gekoppelt sind – , und zweitens ist der Begriff sehr stark bezogen auf die Beziehung von Freunden. Die vertrauten Freunde, das ist ein Begriff, den man sehr häufig findet. Freundschaft wird als Explorations- oder Laborraum des Vertrauens definiert.
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Gespräch mit Professor Ute Frevert
Frage:
Von Gottvertrauen ist dann weniger die Rede?
Frevert:
Davon ist kaum noch die Rede. Es ist nicht weg, das 19. Jahrhundert ist nicht säkular, das läuft weiter, aber es wird nicht thematisiert. Was darüber gestülpt wird und was viel mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist das Vertrauen zwischen Menschen. Es ist interessant, dass man mit Freundschaft anfängt. Freundschaft gibt es natürlich schon lange und überall, in der Antike wimmelt es von Freunden, aber es wimmelt davon ganz besonders in dieser Umbruchzeit zur bürgerlich-modernen Gesellschaft, weil in dieser Zeit Freunde nicht mehr das sind, was sie vorher waren. Vorher war man in der Regel befreundet mit Familienmitgliedern, also es geht um Freundschaften zwischen Cousins, Kusinen, Onkeln und Tanten, dafür wurde der Freundschaftsbegriff benutzt. Die vollkommene Entkoppelung zwischen Familien- und Gesellschaftssystem passiert erst um 1800. Und dafür ist dann der Vertrauensbegriff auch so wichtig.
Frage:
Um 1800 gab es z. B. in der Dichtung geradezu einen Freundschaftskult, etwa bei den Romantikern sowieso. Was signalisiert das für die Gesellschaft?
Frevert:
Das signalisiert, dass es jenseits dieser langen ausgefahrenen und vertrauten Beziehungen innerhalb von Familiensystemen etwas Neues gibt, dass man mit fremden Menschen, mit denen es keine Genealogie der Familie, auf die man sich verlassen kann, gibt, Beziehungen knüpft, die emotional sehr viel intensiver sein können als die, die man mit Familienmitgliedern pflegt. Also die Ausdehnung des Individuums auf eine ihm eigentlich fremde, nicht blutsverwandte Welt. Diese neue Struktur ist sehr riskant, weil sie nicht durch irgendwelche Institutionen gedeckt ist, das ist eine hoch individualisierte Beziehung, deshalb wird der Vertrauensbegriff wichtig.
Frage:
Das Risiko spielt eine große Rolle, es entsteht durch diese Herauslösung des modernen Menschen aus traditionellen Bindungen.
Frevert:
Absolut. Und mit dieser Herauslösung geht ganz viel an Freiheitschancen einher, aber es ist auch riskant, man konnte auf die Nase fallen. Natürlich konnte man das vorher auch. Die Vorstellung, dass vormoderne Verhältnisse sicher gewesen sein sollen, ist absurd. Unsicherheit wabert überall. Nur sind sie vorher immer noch als einzelner Mensch eingebunden in klare Familiensysteme, klare ständische Systeme, sie wissen einfach, zu welchem Stand sie gehören, sie können den auch nicht verlassen. Sie sind hinein geboren, sie sterben in diesem Stand. Das heißt, der Horizont des Einzelnen ist begrenzt. Damit geht eine gewisse Sicherheit einher. Und diese Sicherheit geht flöten in dem Moment, in dem sich diese ständischen Verhältnisse auflösen, in dem Familie weiterhin wichtig ist, aber eher verkleinert wird. Nicht mehr die Großfamilie ist wichtig, sondern die Konstellation Vater-Mutter-Kind gewinnt im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert an Bedeutung. In diesem Zusammenhang findet eine Herauslösung, eine Autonomisierung des Individuums statt, auf dem nun alle Erwartungen lasten, dass es alles richtig macht.
Frage:
Ich komme zum romantischen Liebesideal, was ja auch mit Freundschaft zu tun hat. Das ist emotional sehr aufgeladen, die Romantiker meinten, man verliert sich im anderen, findet sich aber gleichzeitig selbst, findet die Welt im anderen, das gesamte Universum, man gibt sich
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Gespräch mit Professor Ute Frevert
ihm hin, man öffnet sich. Man verschmilzt. Das ist ja ebenfalls eine sehr risikoreiche Beziehung.
Frevert:
Es ist geradezu abenteuerlich, und das Interessante ist, gerade weil es so emotional aufgeladen ist, so pathetisch ist und unglaublich viele Versprechungen macht, ist es heute immer noch attraktiv. Manche sagen, dass die romantische Liebe heute überhaupt erst lebbar ist. Im 18. Jahrhundert war sie eine Vision, die nur sehr selten realisiert werden konnte, weil die faktischen Verhältnisse andere waren, und die totale Freisetzung des Individuums, die totale Ermöglichung der romantischen Liebe findet erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts statt. Was damit einher geht ist, wir haben vorhin darüber gesprochen, dass der Begriff der Treue und der Begriff des Vertrauens vom Wortstamm her viel gemein haben, und selbstverständlich ist es bis heute so, dass wenn man sich kirchlich verbindet, nach wie vor diesen Treueschwur ablegt. Aber über diese Konstanz der Treue, die ja eher eine Pflicht ist, eine Verpflichtung, auch eine Selbstverpflichtung, ist der Begriff des Vertrauens, der dann in die romantischen Beziehungen mit einwandert, einer, der nichts mit Pflicht zu tun hat, sondern ich komme immer wieder auf den Begriff des Geschenks: Es ist ein Geschenk, das ich einem anderen mache, indem ich sage, ich öffne mich Dir ganz im Sinne auch dieses romantischen Ideals, und ich erwarte von Dir oder ich hoffe darauf, dass Du diese Öffnung, die Überantwortung meines Selbst an Dich nicht verrätst und mich nicht fallen lässt. Der Treueschwur ist einmalig, aber das Vertrauen ist eine Praxis, die jeden Tag wieder neu bestätigt werden muss.
Frage:
Sie sprechen in Ihrem Buch davon, dass sei wahre schweißtreibende Beziehungsarbeit
Frevert:
Genau, Vertrauen als Arbeit. Das ist nicht einmal gesagt und dann können wir es ad acta legen, sondern das muss durch Praxis immer wieder verstärkt werden, es muss gelebt werden.
Frage:
Dann muss es auch Codes geben, die zeigen, wie man Vertrauen versprachlicht und wie man Vertrauen immer wieder herstellen kann?
Frevert:
Durchaus. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass der Vertrauensbegriff sich in den Lexika, die wir im 19. und 20. Jahrhundert haben, verbindet mit unglaublich vielen anderen Begriffen. Daran sieht man, wie stark er in Beziehungen insgesamt einwandert.
Frage:
Sie untersuchen in Ihrem Buch verschiedenste Systemfelder, es geht um Liebesverhältnisse, Freundschaft, um Pädagogik, Ökonomie, Politik. Und Sie stellen immer wieder fest, wie wir es ja jetzt mehrfach schon gesagt haben, ab Beginn der Moderne wird Vertrauen wichtig, geradezu obsessiv. So heißt Ihr Buch im Untertitel: „Eine Obsession der Moderne“. Wie kommt es zu dieser Obsession?
Frevert:
Wenn wir nochmals zur Definition der Moderne kommen wollen: Im Prinzip haben Sie es selber schon gesagt – die Auflösung ständischer Bindungen, die Freisetzung des Individuums – man kann das ungefähr datieren auf die Umbruchzeit seit der Französischen Revolution, die überall in Europa, und darüber reden wir, sowas wie bürgerliche Gesellschaften, nachständische Gesellschaften realisiert, langsam, peu à peu, nicht auf einmal und auch noch mit starken Überhängen. Aber das führt dazu, dass das Individuum des eigenen Glückes Schmied wird, für sich selber verantwortlich ist und sich nicht mehr
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darauf verlassen kann, dass es starke institutionelle Sicherungen gibt im Sinne der Familien- und sozialen Beziehungen, die das Individuum tragen, sondern das Ich muss selber raus in die Welt. In dem Zusammenhang gibt es viel mehr Risiken, viel mehr Riskantes, man kann deutlicher scheitern, aber man kann natürlich auch gewinnen. Um das Risiko des Scheiterns zu minimieren und die Chance des Gewinnens zu optimieren, ist Vertrauen so wichtig als eine Basis, auf der jetzt soziale Beziehungen zwischen Menschen in ganz verschiedenen Feldern neu austariert werden. Man kann natürlich auch sagen, die Moderne ist die Zeit, die einerseits das Vertrauen braucht, die andererseits aber auch Vertrauen zwischen Menschen ermöglicht in einer Weise, die frühere Gesellschaften nicht zustande gebracht haben. Das liegt daran, dass die Moderne selber Institutionen schafft, ganz vorrangig geht es um die Verlässlichkeit des Rechts, die es Menschen leichter macht, sich auf Beziehungen einzulassen, die vorher ganz anders abgefedert worden sind. Das heißt also, wenn ich eine Handelsbeziehung anknüpfe, sagen wir mal im 16. oder 17. Jahrhundert, mit einem Partner, der weit weg ist, dann habe ich sehr wenig in der Hand, um zu garantieren oder zumindest die Erwartung zu hegen, dass dieser andere Partner in meinem Sinne dieses Geschäft abwickeln wird. Das ist seit dem 19. Jahrhundert anders und es ist auch heute sehr viel anders, weil wir Handelsrecht haben, wir haben die Möglichkeit – nicht immer, aber zumindest auf dem Papier – jemanden, der sich seinen Verpflichtungen entzieht, dafür zur Verantwortung zu ziehen. Insofern ist das Vertrauen, was ich eigentlich brauche, um ein riskantes Geschäft in Gang zu bringen, heute im Prinzip geringer als im 16. oder 17. Jahrhundert, als es diese Regelungen noch nicht gab.
Frage:
Sie beschreiben in Ihrem Buch auch die Reformpädagogik, die sich im Laufe der Herausbildung der Moderne entwickelt hat. Da wird das Verhältnis Lehrer-Schüler auch ein Vertrauensverhältnis mit Licht- und Schattenseiten. Schattenseite deshalb: Sie beschreiben z. B. auch die Odenwaldschule, die natürlich ganz stark auf dieses Vertrauensverhältnis setzte. Das zeigt aber auch, dass Vertrauen ein Abgrund sein oder schaffen kann?
Frevert:
Es kann dann ein Abgrund sein, wenn es in asymmetrischen Machtverhältnissen benutzt wird, um unter diesem Vertrauensschild Ausbeutung zu betreiben. Mich hat in der Tat sehr beeindruckt, ich sage das mal ganz neutral, wie Gerold Becker, der langjährige Leiter der Odenwaldschule, noch im Jahr 2002 in einem langen Interview eine Eloge des Vertrauens als Grundlage pädagogischer Beziehungen angestimmt hat, während man damals ja auch schon wusste, dass er dieses Vertrauen massiv missbraucht hat. Die gefühlsmäßige Aufladung von pädagogischen Beziehungen hat übrigens eine lange, auch vor-reformpädagogisch-orientierte Tradition; die neuen pädagogischen Ansätze der Aufklärung gehen sehr stark von einer emotional dichten Beziehung zwischen Lehrer und Schüler aus, die wichtig scheint, um überhaupt so etwas wie Lernerfolg sicherzustellen. Aber die Praxis, die die reformpädagogischen Anstalten ungefähr seit 1900 in Internaten institutionalisieren, ist natürlich eine ganz andere als die, die sie in einem klassischen deutschen Gymnasium pflegen. Die erlaubt eben auch, diese Art von Übergriffen über lange Zeit durchzuführen, gegen die sich Kinder kaum wehren können, weil sie nicht in der Machtposition sind gegenüber den Erwachsenen. Und diese Beziehung wird ihnen ja auch verkauft als eine „Vertrau mir, ich weiß, was in deinem Interesse ist und was dir guttut“. Die Einforderung von Vertrauen wird ganz klassisch benutzt, um eigene sehr egoistische Interessen gegen die Interessen des Kindes durchzusetzen. Das ist übrigens etwas, was wir in anderen Bereichen auch beobachten können. Ich würde immer sagen, das Geschenk des Vertrauens ist etwas Wunderbares, aber die Einforderung von Vertrauen – im politischen Bereich, im ökonomischen Bereich –, die Werbung um Vertrauen, von der wir in einer wirklich mittlerweile obsessiven Art und Weise umgeben sind, da sollten alle Warnlichter im Gehirn anfangen zu leuchten und sagen: „wer um mein Vertrauen wirbt, dem sollte ich es möglicherweise gar nicht geben oder mich vergewissern, ob diese Person das Vertrauen auch wirklich verdient.
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Frage:
Vertrauen sickert in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein. Was mich an Ihrem Buch auch fasziniert hat, ist, dass es die Sphäre der Ökonomie so bestimmt, was eigentlich eigenartig ist. Es geht da ja um Konsum, Geld, um materielle Werte. Aber – Sie haben es angedeutet – wir sind plötzlich umstellt von Werbung mit Vertrauenssignalen: die Bank des Vertrauens, der Arzt deines Vertrauens, der Unternehmer des Vertrauens, die Firma deines Vertrauens. Das hört ja gar nicht mehr auf.
Frevert:
Das hört wirklich nicht mehr auf. Ich habe mal versucht herauszufinden, wann das eigentlich anfängt. Die Vertrauenswerbung beginnt in Deutschland ungefähr in den 1950-er Jahren, aber im Verhältnis zu heute noch in Spuren und eher dünn ausgefahren. Die Hochflut des Vertrauensbegriffs taucht eigentlich erst zur Jahrtausendwende auf und hat, glaube ich, wirklich etwas damit zu tun, dass unsere Gesellschaft sich massiv verändert in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft – wir sind alle Konsumenten, wir sind alle Kunden, Kunden beim Arzt, beim Rechtsanwalt, bei der Versicherung usw.. Und die Rechtsanwälte, Ärzte, Versicherungsunternehmen, Banken müssen uns dann eben als Kunden umwerben, und dafür nehmen sie diesen Vertrauensbegriff. Wie gesagt, es gibt ihn schon vorher, aber er begleitet gewissermaßen die Entwicklung von der klassischen Industriegesellschaft hin zu einer jetzt sehr ausstrukturierten Dienstleistungsgesellschaft, die auf diesen persönlichen Beziehungen basiert. Im Rahmen dieser Entwicklung werden die Beziehungen zwischen Kunde und Unternehmen emotionalisiert.
Frage:
Wie ist das in der Politik?
Frevert:
Ähnlich, wobei da eine ganz interessante Veränderung vom 19. Jahrhundert bis heute feststellbar ist: Der Vertrauensbegriff kommt in die Politik rein als ein Erwartungsbegriff und auch als ein Kampfbegriff der Bürger, die sich, bezogen auf die deutsche Geschichte, z. B. 1848 an den Obrigkeitsstatt wenden und sagen: „Wenn wir dir vertrauen sollen, musst du uns auch vertrauen. Und uns vertrauen heißt, dass du uns Macht abgibst, denn wir können mit dieser Macht schon ganz gut umgehen, wir sind mündige Bürger, wir können teilhaben an der Politik. Teile deine Macht mit uns, vertraue uns, dass wir diese Macht vertrauensvoll ausüben, dann vertrauen wir dir auch.“ Das ist ein Give and Take, eine Bedingung, die an Vertrauen gerichtet wird. Vertrauen gibt man nicht einfach so, man will etwas dafür zurück haben. Man handelt etwas aus mit dem Gegenüber, dem Staat. Ich mache jetzt einen Sprung: Im Nationalsozialismus wird der Vertrauensbegriff ganz wichtig, Führer-Vertrauen wird zu einer Erwartung, fast schon einer Pflicht. Da wird der Vertrauensbegriff vom System her, vom NS-Regime, gewissermaßen gekidnappt und kurzgeschlossen mit dem alten Treue-Begriff. Man muss dem Führer vertrauen, man muss ihm treu sein, alles andere ist Verrat und Verrat wird mit dem Tode bestraft. Nach 1945 wird der Vertrauensbegriff in die Ecke abgeschoben und kommt dann wieder sehr häufig in jeder Art von Wahlwerbung vor. Politiker werben um unser Vertrauen.
Frage:
Auch da sind wir Kunden geworden.
Frevert:
Wir sind Kunden geworden, aber wir sind nicht mehr in der Situation der aufmüpfigen Bürger um 1848, die sagen: „Okay, wir sollen euch vertrauen, aber dafür wollen wir auch etwas haben.“
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Frage:
Wo ist für Sie ein Ausweg aus dieser Vertrauensseligkeit oder dem inflationären Gebrauch des Vertrauens, denn das schlägt ja wieder um in Misstrauen?
Frevert:
Die Gefahr sehe ich bei dem Vertrauensbegriff auch in dem Maße, in dem ihn alle im Munde führen und alles und jedes unter diesem Begriff abgelegt wird, so dass er sich inhaltlich vollkommen entleert. Das finde ich schade, weil der Begriff in der Tat etwas ausdrückt, was im zwischenmenschlichen Bereich sehr wichtig ist. Wenn wir seine Substanz verlieren, dann weiß ich nicht, durch welchen anderen Begriff oder welche andere Gefühlshaltung wir ihn ersetzen sollten. Von daher würde ich dafür plädieren, den Begriff vorsichtiger und diskriminatorischer zu benutzen, also sich genau zu überlegen, ist das jetzt eigentlich Vertrauen, vertraue ich der Deutschen Bahn? Ich verlasse mich darauf, dass die Züge hoffentlich rechtzeitig ankommen. Vertraue ich meiner Bank? Nein, ich weiß, dass sie ihre eigenen Interessen hat und dass sie mich als Kunden in ihr eigenes Interessengeflecht einbindet, aber ich lasse mich von der Vertrauenswerbung nicht um meinen Verstand und meine kritischen Gegenfragen bringen. Es geht um das Abtasten des Begriffs, wohin passt er und wohin nicht, und um eine durchaus sprachpuristische Haltung, die auch daran gewöhnt, den Begriff nur für Verhältnisse zu benutzten, wo er wirklich wichtig ist, nämlich in der Regel für zwischenmenschliche Beziehungen.
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* Ute Frevert studierte Geschichte und Sozialwissenschaften und habilitierte sich im Fach Neuere Geschichte. Sie lehrte und forschte an den Universitäten in Berlin, Konstanz, Bielefeld, Yale (USA). Seit 2008 ist sie Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte der Moderne, Emotionsgeschichte, Geschlechtergeschichte.
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