Ralf Caspary, Sonja Striegl: „Aus dem Bauch heraus - Die Macht der Intuition“
SWR2 Wissen -
Autor und Sprecher: Ralf Caspary
Redaktion: Sonja Striegl
Sendung: Mittwoch, 5. März 2008, 08.30 Uhr, SWR2
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ÜBERBLICK
Gefühl aus dem Bauch heraus
Egal, was wir machen, wofür wir uns entscheiden: Für den neuen Job im Ausland, für den teuren neuen Wagen, für die Mietwohnung im Zentrum oder die bestimmte Aktie - fast immer spielt dabei die Intuition die entscheidende Rolle und eben nicht die Ratio. Die Intuition führt uns wie ein Kompass durchs Leben und sie macht dabei interessanterweise selten Fehler. Gerade in der komplexen Welt, in der wir uns täglich entscheiden müssen, behält die Intuition die Übersicht und die Oberhand.
Ralf Caspary zeigt in seinem Feature, wie die Intuition funktioniert, und warum es falsch ist, ihr jegliche Logik abzusprechen.
INHALT
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Musik: Esoterische Musik
Zitatorin:
„Die Intuition ist eine göttliche Gabe, sie ist der Königsweg zur höheren göttlichen Wahrheit und Weisheit, sie ist ein Verbindungskanal zu unbekannten Quellen und Erkenntnisformen, der immer funktioniert.“
Musik: Esoterische Musik
Autor:
So sieht das die esoterische Fraktion. Doch die Intuition hat nichts mit Mystik und dem Göttlichen zu tun, dafür viel mit menschlichen Emotionen, mit Wissen, dem Unbewussten und der Funktionsweise des Gehirns.
„Aus dem Bauch heraus - Die Macht der Intuition“ - eine Sendung von Ralf Caspary.
O-Ton 1 - Collage (Wissenschaftler):
Bas Kast: Der Kopf wäre ja völlig überfordert, wenn wir all diese Tausende von Entscheidungen, die wir den ganzen Tag treffen müssen, wirklich treffen müssten. Er könnte sich ja mit nichts anderem mehr beschäftigen.
Gerald Traufetter: Intuition, das ist eigentlich das Erkennen von Dingen, die man schon mal gesehen hat. Also eigentlich greifen wir auf unsere Erfahrung und auf unser Wissen zurück. Dieses Wissen ist allerdings nicht wirklich bewusst vorhanden, sondern unbewusst.
Manfred Spitzer: Wenn man es ein bisschen mehr spezifizieren wollte, dann geht es bei Intuition ganz sicher um unbemerkte Prozesse, und da muss man ganz klar sagen, das Allermeiste, was in unserem Kopf abläuft, von dem kriegen wir überhaupt nichts mit.
Gerd Gigerenzer: Es ist gefühltes Wissen, was drei Eigenschaften hat: Erstens, das Ergebnis ist sehr schnell im Bewusstsein; zweitens, die Gründe, die der Intuition unterliegen, sind nicht im Bewusstsein; und drittens, dennoch ist das Ganze stark genug, um uns zum Handeln zu bringen.
Autor:
Das letzte Statement stammt von Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Er hat ein viel gelobtes Buch über die Intuition geschrieben und konnte in Experimenten und Studien ihre Mechanismen analysieren und darstellen: Intuition zapft - so Gigerenzer - Bereiche des Unbewussten an, die wichtiges Erfahrungswissen in Form von bestimmten Regeln und Mustern gespeichert haben.
Der Spiegel-Journalist Gerald Traufetter hat ebenfalls ein Buch über das Thema geschrieben; er nennt ein für ihn typisches Beispiel, das zeigt, wie Intuition funktioniert:
O-Ton 2 - Gerald Traufetter:
Also was mich beeindruckt hatte, ich hab mal den Landesfeuerwehrchef in Hamburg gesprochen, und der erzählte mir, wie er als junger Feuerwehrmann ins Alsterhaus zum Einsatz gerufen wurde, eine brennende Treppe vor sich sah und dachte, na, da gehe ich noch schnell hoch; und ein alter Feuerwehrmann sagte, halt, nicht mehr weitergehen. Und diese Treppe ist tatsächlich eingebrochen kurze Zeit später. Warum wusste der Mann das eigentlich? Und der junge hat ihn das auch gefragt. Und der Erfahrene sagte, ja, ich hab da so im Rücken so ein Gefühl in solchen Situationen. Und das bringt mich eigentlich darauf, das als Beispiel zu verwenden. Dieses Knacken, das eine Treppe, ein Holz in so einem Feuer von sich gibt, das ist ein ganz bestimmtes Muster, und der alte Feuerwehrmann erkennt dieses Muster, der kann das blitzschnell innerhalb von wenigen Sekunden aus seinem Gedächtnis abrufen, dass das jetzt gefährlich wird.
Autor:
Psychologen und Neurowissenschaftler sind diesen Mustern, diesen Funktionsweisen und Regeln der Intuition auf der Spur, und sie haben neue Erkenntnisse gewinnen können. Gerd Gigerenzer und seine Kollegen entwickelten zum Beispiel einen einfachen psychologischen Test, der ein wichtiges Muster der Intuition deutlich werden lässt. Es handelt sich um die „Rekognitionsheuristik“, um die Wiedererkennungsregel.
Gigerenzer und sein Team haben amerikanische und deutsche Studenten Folgendes gefragt:
Zitator:
„Welche Stadt hat mehr Einwohner, Detroit oder Milwaukee?“
Autor:
Die amerikanischen Studenten waren geteilter Meinung - rund 40 % entschieden sich für Milwaukee, die anderen für Detroit. Bei den Deutschen fiel das Ergebnis ganz anders aus:
O-Ton 3 - Gerd Gigerenzer:
Nach rationalen Prinzipien würde man erwarten, na ja, gut, die müssen auf Zufallsniveau ungefähr sein. Aber tatsächlich haben fast alle Deutschen die richtige Antwort, nämlich „Detroit“, gefunden. Wie kann das sein? Die Antwort ist verblüffend einfach. Also diese Deutschen gehen intuitiv vor. Wenn Sie sie fragen, warum sie die richtige gefunden haben, dann sagen sie, na ja, das war mein Gefühl. Die Antwort ist, sie haben eine einfache Regel benutzt, die wir „Rekognitionsheuristik“ nennen, das heißt, man geht nach dem, was man kennt. Viele der Deutschen hatten von Detroit gehört, und die Regel „geh mit dem, was du kennst, von dem man schon mal gehört hat“ ist eine einfache Faustregel, die in vielen Situationen sehr sehr erfolgreich ist. Und das Interessante ist, die Amerikaner, die mehr wussten, konnten diese Regel nicht anwenden, sie hatten von beiden Städten gehört.
Autor:
Die deutschen Studenten hatten so gut wie kein aktuelles Faktenwissen über die beiden Städte abgespeichert, deshalb verließen sie sich ganz auf ihre Intuition und auf deren Regel, die lautet:
Zitator:
„Wenn du den Namen der einen Stadt, aber nicht den der anderen erkennst, dann schließe daraus, dass die wiedererkannte Stadt mehr Einwohner hat.“
Autor:
Mit dieser, wie Gigerenzer es nennt, „Rekognitionsheuristik“, kann man nicht nur bei der TV-Show „Wer wird Millionär“ gewinnen, sondern sie kommt auch dann zur Anwendung, wenn wir uns als Konsumenten durch den Dschungel des unendlich großen Warenangebots kämpfen müssen. Auch da werden wir ja mit unzähligen Produktinformationen konfrontiert: Dieses Shampoo hier hat bestimmte Proteine für glänzendes Haar, jenes hat zusätzlich noch einen Wirkstoff, der Schuppen verhindert, dieses kostet wiederum 4 Cent weniger als jenes. Und was macht unsere Intuition? Sie blendet die Informationen einfach aus und sucht stattdessen dasjenige Produkt aus, das wir schon kennen, sie geht stur nach der Wiedererkennung vor.
Musik: Esoterische Musik
Autor:
Die Intuition blendet also das Zuviel an Informationen aus und funktioniert nach dem Motto: Weniger ist mehr, und dieses Weniger ist aus neurowissenschaftlicher Sicht vor allem auch viel ökonomischer.
Stellen Sie sich vor, die deutschen Studenten hätten bei dem Städtequiz alle Informationen über Detroit und Milwaukee mühsam recherchiert und gegeneinander abgewogen. Hätten Sie jemals eine Entscheidung treffen können?
Das komplizierte Verfahren des Abwägens nennt man übrigens „moralische Algebra“. Sie ist wegen ihrer Kompliziertheit und Rationalität die Antipodin der Intuition. Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast mit einem Beispiel aus seinem Bekanntenkreis:
O-Ton 4 - Bas Kast:
Das war in diesem Fall der Bekannte eines Forschers, den ich besucht habe in Berlin. Und der liebte eben zwei Frauen, machte sich so eine Pro- und Contra-Liste, weil er sich entscheiden musste, die Frauen wussten voneinander, und jetzt haben sie ihm die Pistole auf die Brust gesetzt. Und er musste sich entscheiden, er machte sich eine Liste: Welche Frau sieht besser aus, mit welcher kann man sich besser unterhalten, mit welcher werde ich im Alter wahrscheinlich eher glücklich. Und als er die Liste gemacht hatte, hatte er eine Punktzahl, und siehe da, er spürte instinktiv, die Frau, die die meisten Punkte hat, war nicht die Frau, die er wirklich liebte, sondern das war die andere. Und er entschied sich dann letztlich für das Urteil seines Herzens und lebte lange mit der Frau glücklich, wie mir der Forscher erzählt hat.
Spielszene:
„Für Anne spricht, das sie gut kochen kann, das sie sparsam ist, ach ja, sie ist außerdem sehr gesellig, das ist wichtig für mich, gegen sie spricht wiederum, das sie keinen Sport treibt, das sie in körperlichen Dingen manchmal sehr ungeschickt ist, ach schade, wo ich doch so gerne Sport treibe.
Für sie wiederum spricht, dass sie eine perfekte Hausfrau ist, sie hält das Haus wirklich sauber, das mag ich, gegen sie spricht wiederum, dass sie sich nicht für Politik interessiert, oh Mann, das ist ein Defizit. Ich kann mich einfach nicht entscheiden.“
Autor:
Das Verfahren der moralischen Algebra ist etwas für konsequente Rationalisten, die ihrer Intuition misstrauen und allein auf die Macht der Logik setzen. Es galt lange Zeit als das Herzstück der rationalen Entscheidungstheorie und basiert zugleich auf zwei einfachen Annahmen: Mehr Information ist immer besser, und: Das Gehirn kann diese Informationen immer souverän bewerten und sich dann anhand logischer Schlüsse für das Richtige entscheiden. Doch gerade die Intuition zeigt, dass das nicht immer richtig ist, Bas Kast:
O-Ton 5 - Bas Kast:
Ich denke, die Faustregel ist gerade, und das ist paradox, wenn es komplex wird, wenn Sie viele Informationen berücksichtigen müssen, also zum Beispiel bei einer Partnerwahl, ein Mensch besteht nun mal aus sehr sehr vielen Informationen, aber auch bei anderen Sachen wie beim Kauf einer Immobilie oder so, dann sollten Sie sich auf Ihr Bauchgefühl verlassen. Und wenn es einfach wird, dann eher auf den bewussten Verstand.
Autor:
Es gibt viele psychologischen Experimente, die diese Paradoxie veranschaulichen, die deutlich machen, dass bei einem großen Input an Informationen die Intuition dem logischen Verstand eindeutig überlegen ist. Der Hirnforscher Manfred Spitzer fasst das Ergebnis eines Tests zusammen, bei dem Studenten sich anhand verschiedener Informationen entscheiden mussten, ein bestimmtes Auto zu kaufen:
O-Ton 6 - Manfred Spitzer:
Sie bitten Studenten, ein Auto zu kaufen und präsentieren ihnen gleichzeitig Informationen dazu: wir haben hier Auto a, b, oder c oder d, und dann: Auto a fährt so schnell, b hat eine Klimaanlage und so weiter. Und dann variieren Sie: Die Studenten bekommen entweder vier Infos pro Auto oder 12 Infos, und dann muss die eine Gruppe der Studenten nach Erhalten der Infos vier Minuten nachdenken und sich dann entscheiden, eine andere Gruppe muss ganz schnell kopfrechnen, und dann sagt man nach vier Minuten Stop und: Welches Auto kauft ihr? Und jetzt kommt das verblüffende Ergebnis: Wenn man vier Charakteristika pro Auto im Kopf hat und soll dann durch Nachdenken sagen, welches Auto ist denn so das Beste, dann kriegt man das in gut der Hälfte der Fälle richtig raus. Wenn man keine Zeit hat zum Nachdenken, ist man ein bisschen schlechter. Wenn man 12 Charakteristika pro Auto hat, das macht ja bei vier Autos immerhin 48 Dinge, die man im Kopf haben sollte und gegeneinander abwägen müsste, und man denkt dann vier Minuten nach, dann kriegt man gerade noch in 20 bis 25 Prozent der Fälle das richtige Auto gekauft. Das heißt, man kauft irgendeins der vier zufällig und ist nicht besser als der Zufall. Wenn man aber keine Zeit hat zum Denken, weil man Rechnen muss und hinterher sagt, jetzt entscheide Dich doch aus dem Bauch raus, was nimmst Du jetzt für ein Auto, dann lagen die Leute in 60 Prozent der Fälle richtig. Das heißt, sie waren wirklich am allerbesten und auf jeden Fall signifikant besser, als wenn sie Zeit zum Denken hatten. Mit anderen Worten: Die Wissenschaft hat festgestellt, wenn Sie eine komplizierte Entscheidung zu fällen haben, einen Rat: bloß nicht denken. Denn durch Denken stören Sie Ihr Gehirn bei der Arbeit.
Autor:
Manfred Spitzer, Hirnforscher aus Ulm, über den Vorteil der Intuition beim Auto-Experiment. Sie läuft quasi hinter dem Rücken des bewussten logischen Denkens ab und springt immer dann plötzlich und spontan ein, wenn das logische Denken überfordert ist aufgrund von zuviel Informationen. Diese Überforderung wiederum hat in erster Linie mit den begrenzten Kapazitäten unseres Kurzzeitgedächtnisses zu tun:
O-Ton 7 - Manfred Spitzer:
Wenn ich aber ganz viele Informationen über A und B habe, einmal ist das besser, einmal das, und ich habe vielleicht nicht nur aus A und B auszuwählen, sondern aus noch viel mehr Möglichkeiten, dann wird’s irgendwann mal unüberschaubar. Dann muss man sagen, kommen wir mit unserem Denken schnell an unsere Grenzen, und das liegt ganz einfach daran, das wissen wir auch seit 50 Jahren, nämlich seit den Untersuchungen von George A. Miller, der zur „magic number 7“ was geschrieben hat, dass wir nämlich nur etwa 7 Sachen in unserem Denken sozusagen zur Verfügung haben, und wenn wir mehr Dinge gleichzeitig bedenken sollen, dann schaffen wir das schlichtweg nicht. Sieben geht grad noch so, plus/minus zwei.
Musik: Esoterische Musik
Zitator:
„Die Intuition (von lateinisch: intueri = betrachten, erwägen) ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen durch sich spontan einstellende Eingebungen zu erlangen, die auf unbewusstem Wege zustande gekommen sind. Quelle: Wikipedia.“
Autor:
Man kann sich also getrost auf das Bauchgefühl verlassen, wenn man ein Auto kaufen will, eine Quizfrage richtig beantworten muss oder sich für die richtige Frau entscheiden soll. In allen Fällen navigiert uns die Intuition sicher durch den Dschungel der Unwägbarkeiten, Unvorhersehbarkeiten und der Datenflut. Sie ist das geeignete GPS in einer hochkomplexen Welt. Und sie hält sich nicht an mathematische oder logische Gesetze, sondern an die Erfahrung. Sie ist, wie Gerd Gigerenzer sagte, „gefühltes Wissen“. Das beweist ein anderes Experiment. Die Versuchsteilnehmer mussten folgende Frage beantworten:
Zitator:
„Linda ist 31 Jahre alt, ledig, intelligent und sagt offen ihre Meinung. Sie hat im Hauptfach Philosophie studiert, als Studentin interessierte sie sich für Fragen der Gleichberechtigung, außerdem demonstrierte sie gegen Atomkraftwerke. Welche der beiden Alternativen ist wahrscheinlicher?
a) Linda ist Bankangestellte,
b) Linda ist Bankangestellte und in der Frauenbewegung aktiv.“
Autor:
Natürlich antworteten die meisten der Teilnehmer intuitiv: Linda ist Bankangestellte und in der Frauenbewegung aktiv. Genau das ist aber ein logischer Fehlschluss. Denn die Gesetze der mathematischen Logik sagen: Eine Konjunktion zweier Ereignisse - also: Linda ist Bankangestellte und aktiv in der Frauenbewegung - kann nicht wahrscheinlicher sein als eines von ihnen allein, oder anders gesagt: Eine Teilmenge kann niemals größer als die Gesamtmenge sein.
Das Experiment ist in der psychologischen Forschung als sogenanntes „Linda-Problem“ bekannt geworden. Es diente lange Zeit als Beweis dafür, dass Menschen zutiefst unlogisch sind.
Der Kognitionspsychologe Gerd Gigerenzer wiederum zeigt in seinem Buch über Intuition, dass hier ein Mechanismus am Werk ist, den man nicht mit mathematischen Methoden bewerten sollte. Die Intuition funktioniert - so Gigerenzer - beim Linda-Problem nach der Relevanzregel, das heißt: Der Versuchsteilnehmer entscheidet sich für eine Antwort, indem er nach der sozialen Relevanz geht, der sozialen Plausibilität. Die schert sich wenig um die mathematische Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Das gilt auch für die dritte Regel, das dritte Muster der Intuition, das Gigerenzer das „verteile gleichmäßig“-Prinzip nennt, das gerade private Geldanleger intuitiv beherzigen:
O-Ton 8 - Gerd Gigerenzer:
Viele Menschen, wenn sie einmal ein bisschen zuviel Geld haben und vor dem Problem stehen, wie soll ich mein Geld anlegen, und sie haben eine Menge von Optionen wie zum Beispiel Aktienfonds, dann ist die Fragen, wie sollen sie das reingeben. Und viele machen „verteile gleichmäßig“. Wenn sie zwei Alternativen haben, fifty-fifty. Ungefähr die Hälfte aller Leute gehen intuitiv vor, ja ich weiß ja nicht wie viel, machen wir es gleichmäßig. Dasselbe Prinzip findet man bei Eltern, die ihre Liebe oder ihre Zeit in Kinder investieren. Sie versuchen, wenn sie mehrere Kinder haben, das möglichst gleichmäßig zu machen. Im Aktienbereich wurde das kritisiert, denn viele Menschen meinen, das kann ja nicht gut sein: „verteile gleichmäßig“. Das Interessante ist, dass Harry Markowitz, der einen Nobelpreis bekommen hat für genau dieses Problem, bewiesen hat, dass es eine optimale Anlagenpolitik gibt, wie man den Gewinn maximiert und das Risiko, die Streuung, minimiert. Aber als Harry Markowitz selbst seine Anlage getätigt hat für seine Altersversorgung, so würde man meinen, hätte er seine nobelpreisgekrönte, komplexe mathematische Formel verwendet. Nein, er hat es nicht getan. Er hat genau dieselbe Intuition verwendet, wie das viele Menschen tun, nämlich „verteile gleichmäßig“. Und er wusste, was er tat.
Musik: Esoterische Musik
O-Ton 9 - Manfred Spitzer:
Man hat vor gut 100 Jahren unbewusste Dinge erforscht. Ich meine, das Unbewusste, da denkt jeder an Freud und an Psychoanalyse. Weil Freud, ich sag mal, nie Wissenschaftler war oder nur in jungen Jahren, und da war er eher Neurowissenschaftler, das hat sozusagen nicht Eingang in die ganz normale akademische Forschungslandschaft gefunden. Dann gab es noch diesen unsäglichen Herrn Vikari, der in den 50er, 60er Jahren diese Forschung gemacht hat, dass er vermeintlich eben ein Pepsi-Cola-Bildchen in den Kinos den Leuten vorgeführt hat, die haben’s nicht gemerkt, aber hinterher Cola gekauft. Das Ganze waren erfundene Daten, die er deswegen erfunden hat, um hinterher diese Idee zu vermarkten und damit Geld zu verdienen. Das hat er selber zugegeben. Aber nachdem das erst mal publik wurde, hat natürlich jeder sich mit gewissem Abscheu von dieser Forschung abgewendet. Und es hat dann sehr lange gedauert, bis dann diese Dinge wieder hoffähig geworden sind und auch ernstgenommen wurden.
Autor:
Was der Ulmer Neurowissenschaftler Manfred Spitzer für die Vergangenheit der psychologischen Forschung konstatiert, gilt nicht mehr für die Gegenwart. Die aktuelle akademische Forschung, vor allem die kognitionspsychologische und neurowissenschaftliche, interessiert sich stark für die unbewussten Prozesse beim Wahrnehmen, Denken und auch beim Entscheiden; sie konnte nachweisen, dass sich der Mensch viel stärker von unbewussten Prozessen leiten lässt, als bisher angenommen. Pointiert lässt sich sagen: Der eigentliche Herr im Haus ist nicht das Bewusstein und mit ihm Verstand, Logik, Rationalität, sondern das Unbewusste, und mit ihm Emotion und Intuition. Ständig beweist der Mensch, dass das Bauchgefühl manchmal klüger sein kann als der Verstand. Wenn das tatsächlich so ist, dann sind diejenigen Teile des Gehirns, die für die intuitiven Anteile zuständig sind klüger als unser Bewusstein, sie wissen ja schon alles viel besser. Dann stellt sich die Frage, wo die Intuition neuronal zu lokalisieren ist, stellt sie vielleicht eine geheime Kommandozentrale im Gehirn dar? Manfred Spitzer:
O-Ton 10 - Manfred Spitzer:
Das kann man wirklich nicht sagen, weil die Intuition im gewissen Sinn das ganze Gehirn betrifft, also alle möglichen Areale: mal geht es um die Sprache, dann wieder um die Emotion, dann wieder um mathematische Dinge. Man kann nicht sagen, wo die Intuition sitzt, Sie können ja auch beim Fußballspielen nicht sagen, wo denn eigentlich der Mannschaftsgeist steckt, aber er ist dennoch vorhanden.
Musik: Esoterische Musik
O-Ton 11 - Bas Kast:
Die Vernunft reicht zurück an unsere geistigen Wurzeln. Sokrates sagte, ich gehorche nichts anderem in mir als dem logos. Logos ist griechisch und heißt: rationale Sprache. Und dieses Urteil haben wir immer noch, also das herrscht immer noch vor in unserer Gesellschaft. Ich meine, das ist ja auch verständlich. Wenn ein Manager, sagen wir mal, Millionen verschieben muss und dabei Millionen gewinnen, aber auch verlieren kann und er verliert sie beispielsweise, und seine Kollegen fragen, wie hast du denn diese Entscheidung getroffen, und er würde dann sagen, das war irgend so ein Bauchgefühl von mir, irgend eine Intuition, das geht natürlich nicht. Das heißt, wir müssen uns immer rechtfertigen in dieser Gesellschaft, und das tun wir über die Vernunft. Ich denke, dass viele Leute aus dem Bauch heraus entscheiden, auch der Manager, und wir alle unserem Gefühl viel mehr folgen, als wir das wahrhaben wollen, und wir im nachhinein das mit der Vernunft rechtfertigen, was wir eh schon mit dem Bauch entschieden haben, wo wir eh schon dachten, da habe ich ein gutes Gefühl, das mache ich mal.
Autor:
Dem Wissenschaftsjournalisten Bas Kast geht es beim Thema Intuition letztlich um den Versuch, dem rationalen Erbe der Aufklärung etwas entgegenzusetzen. Denn - so Kast - ein Leben unter der Herrschaft der Logik, der Ratio ist ein einseitiges und schematisches, dass den Erfahrungsschatz, den nur Intuition abrufen kann, einfach ausblendet.
Die meisten Journalisten und Wissenschaftler, die der Intuition auf der Spur sind, verfolgen ein ähnliches gesellschaftskritisches Projekt wie Bas Kast. Der Kognitionspsychologe Gerd Gigerenzer plädiert für eine stärkere Beachtung der Intuition beim Verhältnis zwischen Arzt und Patient. Und er kritisiert gleichzeitig ein angeblich erfolgreiches Verfahren der klinischen Entscheidungstheorie, das wiederum auf dem Prinzip der rationalen moralischen Algebra beruht. Es geht um einen komplexen Prozess, bei dem Arzt und Patient zwischen alternativen Behandlungsformen wählen, indem sie alle möglichen Folgen berücksichtigen und dann den Nutzen abschätzen, und zwar mithilfe mathematischer statistischer Gesetzmäßigkeiten:
O-Ton 12 - Gerd Gigerenzer:
Beispielsweise in der Medizin versucht man eine schöne Idee, nämlich Patienten und Ärzte gemeinsam Entscheidungen machen zu lassen, was in gut deutsch „shared dicision making“ heißt, dadurch umzusetzen, dass man diese Methode gemeinsam macht. Das führt dazu, dass es sehr sehr lange dauert, das führt dazu, dass die Patienten sich unwohl fühlen, weil sie den verschiedenen Konsequenzen ungern Zahlen zuordnen, und die Ärzte fühlen sich genauso unwohl damit. Die Alternative ist, nach anderen Prinzipien vorzugehen, die mehr der Intuition des Menschen entsprechen.
Autor:
Ähnlich argumentiert auch der Wissenschaftsjournalist Gerald Traufetter:
O-Ton 13 - Gerald Traufetter:
Wenn Sie zum Beispiel den Mediziner nehmen. Die leiden auch darunter, dass sie, wenn sie dann im Krankenhaus ihre Visite abhalten, eine riesige Liste von Daten haben zu einem Patienten, Blutwerte usw. Und was sie dann halt nicht machen ist, sich den Patienten anzugucken, also zu gucken, sieht der fiebrig aus oder dass man zum Beispiel mal vergleicht, wie sah der gestern aus, wie sieht er heute aus, was hat sich an dem verändert. Also insofern verstellt uns diese ganze Informationsflut, die wir bekommen, eigentlich den Blick auf das Wesentliche und überlagert eigentlich so unsere intuitiven Entscheidungsfähigkeiten.
Autor:
Die drei Intuitionsspezialisten Gerald Traufetter, Gerd Gigerenzer und Bas Kast fordern unisono in vielen Lebensbereichen eine stärkere Berücksichtigung der Intuition, eine stärkere Berücksichtigung der Maxime „Weniger - ist - mehr“: In der Medizin bedeutet das für Gerd Gigerenzer ein Zurückschrauben der Überdiagnostik, der Übermedikation und der Überbehandlung - für den Kognitionspsychologen sind das alles Symptome eines Systems, das fälschlicherweise das Heil im „Immer-Mehr“ sucht.
Und schließlich zeigt die moderne Intuitions-Forschung, dass die meisten sozialen Interaktionen nicht Resultate komplexer rationaler Kalkulationen sind, die der moralischen Algebra gehorchen, sondern Resultate unserer Bauchgefühle.
Zitatorin:
„Sind Sie ein intuitiver Typ? Hier ist der ultimative Intuitions-Test, Frage 1:
Haben Sie schon einmal folgende Situation erlebt: Sie haben das Gefühl, jemand starrt Sie von hinten an, Sie drehen sich um und stellen fest, dass es stimmt.
Kreuzen Sie an:
Das ist mir schon häufig passiert, ich merke es schnell, wenn mich jemand anstarrt.
Das habe ich noch nie erlebt.
Das habe ich ab und zu mal erlebt.“
Autor:
Zum Schluss soll noch etwas Wasser in den Wein gegossen werden. Denn die Intuition ist nicht immer unfehlbar, nicht immer dem Verstand überlegen, sie kann sich auch irren, was besonders dann fatal ist, wenn das zu Fehlentscheidungen führt, bei denen man viel Geld verlieren kann. Gerald Traufetter:
O-Ton 14 - Gerald Traufetter:
Also es gibt so ein Börsenhandlungssystem, da werden pro Tag für 125 Milliarden Dollar Währung und Edelmetalle gehandelt. Und jeder einzelne dieser Makler, die da zugange sind, die fällen ungefähr 5.000 Entscheidungen am Tag. Und natürlich werden die sich nicht lange aufhalten. Wenn man das genau analysiert, die haben weniger als 1 Sekunde für diese Entscheidung, die dann nachher Millionen- oder Milliarden-Transaktionen nach sich ziehen. Und da ist leider das Bild, das die Intuition da abgibt, ein gemischtes. Also das heißt, natürlich ist ein erfahrener Börsenmensch in der Lage, auch wiederum diese Analogien herzustellen, zu sehen, okay das ist jetzt wieder so ein Fall, wo ich aufpassen muss, oder das kaufe ich nicht oder das kaufe ich. Auf der anderen Seite muss man sagen, sind die Intuitionsdefekte, gerade wenn wir mit Geld umgehen, sehr hoch. Da kommt so ein bisschen altes evolutionäres Erbe zum Spiel, was wir in uns tragen. Ein so ein Beispiel ist, dass wir eine viel stärkere Angst haben vor Verlusten als vor Gewinnen. Das klingt jetzt ein bisschen kompliziert. Aber stellen Sie sich vor, die Kurse an der Börse gehen hoch, das führt letzten Endes dazu, dass Sie relativ schnell Ihre Aktien verkaufen, also Sie nehmen den Gewinn ganz gerne mit. Wenn die aber fallen, dann habe ich so eine panische Angst vor Verlusten, dass ich bereit bin zu spekulieren und völlig hanebüchene, irrationale Dinge zu tun.
Autor:
Ach ja, noch etwas ist der Intuition hinzuzufügen: es geht um das Vorurteil, dass Frauen viel intuitiver seien als Männer, Bas Kast:
O-Ton 15 - Bas Kast:
Viele Studien zeigen, dass Frauen intuitiv viel besser Stimmungen in menschlichen Gesichtern erkennen können, die Ergebnisse sind hier eindeutig. Sie bestätigen das Vorurteil, Frauen seien intuitiver, sie hören mehr auf das Bauchgefühl, sie sind einfühlsamer, emphatischer.