WR2 Glauben - Lebenslänglich Reformator . Der Theologe Hans Küng – ein Nachruf . Von Jörg Vins

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Weltethos - H. Küng . J.Vins

SWR2 Glauben - Lebenslänglich Reformator . Der Theologe Hans Küng – ein Nachruf . Von Jörg Vins

Sendung: 11.4.2021, 12.05 Uhr Produktion: SWR 2018
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ÜBERBLICK
Der Tübinger Theologe ist der berühmteste seiner Zunft. Schon lange vor dem
Zweiten Vatikanischen Konzil entwarf er eine Vision von Kirche, wie sie dann im
Konzil selbst diskutiert und beschlossen wurde. Die Sendung beleuchtet sein Leben
und Wirken.

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MANUSKRIPT:
Zur katholischen Kirche gehört der Papst. Das ist schon seit mehr oder
weniger zweitausend Jahren so. Die meiste Zeit saß der Papst in der
Ewigen Stadt Rom. Aber es gibt ja nicht nur den Papst in Rom. In
Wahrheit ist die katholische Kirche komplexer und komplizierter. Es gibt
zudem eine Instanz, die nicht in der Hierarchie verankert ist, aber
dennoch viele Jahre wie eine fleischgewordene Mahnung wirkte und
weltweit Beachtung fand. Seit Jahrzehnten bohrt der Theologe Hans
Küng immer und immer wieder in der 2000 Jahre alten römischen
Kirche ein dickes Brett. Darauf steht: Reformen in der katholischen
Kirche.
„Ich bin natürlich betrübt darüber, dass nun diese Sexualskandale
überhaupt die Schwächen unserer Kirche deutlich gemacht haben
und jetzt nicht nur diese Sexualskandalkrise da ist, sondern eine
Krise der Kirche überhaupt. Und ich sehe natürlich, dass viele
Menschen jetzt sich von der Kirche abwenden. Wir haben viele
Austritte und wir haben einen Imageverlust sondergleichen, ein
historischer Vertrauensverlust, und wir sind noch nie – seit der
Reformation, meine ich – in einer so tiefen Krise gestanden.“
So positionierte sich Hans Küng noch nach 2010, nachdem der
Missbrauchsskandal der katholischen Kirche in Deutschland offenbar
wurde. Mittlerweile ist es um Hans Küng ruhiger geworden,
altersbedingt und der Parkinson’schen Krankheit geschuldet. Aber er
verfolgt weiter die Reformbemühungen von Papst Franziskus mit
Aufmerksamkeit. Vielleicht mochte es dem einen oder anderen so
vorkommen, als ob Hans Küng als kritische Instanz in der Kirche
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maßlos überschätzt wird, vielleicht sogar, weil er sich selbst
überschätzt hat. Schließlich ist er doch nur Theologe ohne Lehramt.
Ein Witz, der in den 70er-Jahren die Runde machte, scheint das sogar
zu belegen. Die Scherzfrage, über die sogar der damalige Papst Paul
VI. gelacht haben soll, lautete:
Warum kann Hans Küng nicht Papst werden?
Antwort: Weil er dann nicht mehr unfehlbar wäre!
Damit ist eigentlich alles benannt: das Spannungsverhältnis zwischen
dem Papstamt und der Theologie Küngs, das Thema, an dem es sich
entzündet hat, nämlich die Frage der Unfehlbarkeit, und die
Neigung Hans Küngs, sehr selbstbewusst und auch mit einer gewissen
Eitelkeit seine Sache zu vertreten. Dass mit Benedikt XVI. ein
ehemaliger Tübinger Kollege die Leitung der Kirche innehatte, dass
beide ungefähr gleich alt sind und beide noch letzte lebende
Zeitzeugen und Mitarbeiter des Zweiten Vatikanischen Konzils, ist eine
kuriose Zuspitzung, die das Leben inszeniert hat. Wahr ist: niemand
anderes in der katholischen Kirche hat ein solches Renommee in der
ganzen Welt. Und Küng hat geschafft, was außer ihm wohl keiner
schafft, nämlich dass er im Jahr 2010 zeitgleich in den großen
europäischen Tageszeitungen wie etwa Le Monde, La Republica, in
der Neuen Zürcher und der Süddeutschen Zeitung einen offenen
Brief an die Bischöfe der Welt veröffentlichen kann. Darin ruft er sie
auf, endlich offen die Sachlage der katholischen Kirche zu
diskutieren.
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„Also ich kann nicht akzeptieren, dass die Bischöfe weiterhin
aufgrund eines Eides einen uneingeschränkten Eid auf den Papst
ablegen innerhalb der Bischofsweihe und dann aufgrund dieses
Gehorsamseides so konformistisch sind wie sich zur Zeit der
Episkopat verhält, dass man praktisch kaum noch abweichende
Meinungen hört. Also da muss gesagt werden, dass ein Bischof in
erster Linie Gott selber verpflichtet ist im Gewissen, und so wie er sich
uns in Jesus geoffenbart hat und nicht, wie es im mittelalterlichen
Codex steht.“
Unter anderem forderte Küng damals ein neues Konzil oder
mindestens eine Bischofsversammlung sowie dezentrale Lösungen
bei der Bewältigung der Krise, wie etwa die Aufhebung des
Zölibats. Heute, acht Jahre später wird mindestens über
dezentrale Lösungen immer wieder diskutiert und die viri probati,
als verheiratete, bewährte Männer als Priester sind kein Tabu
mehr. Papst Franziskus selbst eröffnet diese Diskussionen, die die
unmittelbaren Vorgänger tabuisiert haben. Gleichwohl tun sind
die Bischöfe eher schwer mit der franziskanischen Öffnung. Kaum
ein Bischof, der mutig voranginge. Der gewohnte sich
vergewissernde Blick über die Alpen, den hat man halt immer
noch so drauf.
In jeder Buchhandlung finden sich heute die Bücher Küngs zu
Fragen der Theologie und des Dialogs unter den Religionen. Der
SWR drehte vor 20 Jahren über die Weltreligionen eine siebenteilige
Fernsehreihe mit dem Titel „Spurensuche“.
Dass er in der Kirche kein Kriecher geworden ist, mag auch mit seiner
Herkunft zu tun haben:
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„Ich komme natürlich aus dem Land Wilhelm Tells, und wir sind also
nicht in einem Untertanenstaat groß geworden. Wenn also ein
Schweizer Bauer einem Schweizer Bundesrat, also einem unserer
sieben Regierungsmitglieder, die Hand gibt, so wird er eher den
Kopf etwas höher hochhalten als sonst und auf gar keinen Fall einen
Knicks machen. Also wir sind gewohnt, geradeheraus zu reden.
Warum soll man da immer nur kriechen, warum soll man da mit
dem schiefen Blick durch die Gegend laufen? Ein aufrechter Gang
geziemt auch einem Theologen.“
Wie sagte doch der ehemalige Vorsitzende der Deutschen
Bischofskonferenz Robert Zollitsch einmal „Küng ist halt ein
Schweizer!“ Na also. So begegnete Hans Küng auch den
Menschen immer mit offenem Blick und festem Händedruck. Seine
Hände könnten gut die eines Landwirts sein, wobei ihnen die
Schwielen fehlen. Ein schlanker Mann kommt einem entgegen,
dessen Gesicht meist von der Sonne gebräunt war. Sein
mittlerweile graues Haar trägt er einfach zurückgekämmt, so wie
vor 70 Jahren schon.
Hans Küng wurde am 19. März 1928 geboren im Schweizerischen
Sursee. Das Elternhaus war bürgerlich und gutsituiert.
„Ja, wir waren zweifellos eine konservativ-katholische Familie,
allerdings eher, wie soll ich sagen, der fröhlichen Natur, also so
pietistisch ging’s da nicht zu. Aber immerhin, das war für uns
selbstverständlich, unsere Mutter war sehr gläubig, mein Vater war
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etwas mehr liberal, aber hat das jedenfalls alles doch sehr
mitgemacht und auch bejaht. Ich hatte insofern, meine ich, gute
Voraussetzungen, dass wir in unserem kleinen Städtchen ein großes
Schuhgeschäft hatten, zwar nicht reich, aber wohlhabend waren,
nicht Elite, aber immerhin also doch alle intelligent, und wir hatten
eigentlich alle in der Schule gute Leistungen und konnten uns
gestatten, doch schon recht früh Reisen zu machen. Insofern habe
ich die ersten 20 Jahre in der Schweiz natürlich unter sehr
glücklichen Umständen leben können.“
Hans Küng kennt seinen Wert. So ist er schon davon überzeugt, dass
– wenn es denn nicht die Theologie gewesen wäre – er eine leitende
Position in der Politik oder in der Wirtschaft eingenommen hätte.
Architekt wäre auch eine Möglichkeit gewesen. Stattdessen hat es
ihm die Theologie angetan – und zwar als Priester.
„Damals Priester zu werden, war ja schon mehr als einen Job
wählen. Das war ja auch verbunden mit dem Zölibat, und das war
nun nicht gerade das, was ich schätzte, das musste man halt in Kauf
nehmen. Dass man sich von vornherein zur Ehelosigkeit entschloss,
das hat auch alle überrascht in der Klasse, weil ich nicht so der Typ
war für Theologie. Und trotzdem habe ich das mit Überzeugung
angestrebt und so ist es ja dann auch gekommen.“
Aber wenn schon Theologie, dann richtig. Küng will – nach dem
Abitur 1948 in Luzern – nach Rom an die päpstliche Universität
Gregoriana, an die katholische Kaderschmiede schlechthin.
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Normalerweise wird man vom Bischof dorthin geschickt. Küng
schickt sich selbst.
„Ich wollte einfach mal auch eine klassische Ausbildung haben, und
ich war bereit, mich da einer strikten Disziplin zu unterwerfen, die
sehr verschieden war von unserem liberalen Gymnasium, wo wir
kaum irgendwelche Einschränkungen hatten in Luzern.
Und ich habe das auch am Anfang alles ganz schön mitgemacht,
bis ich halt merkte, dass das auch problematisch war.“
In Rom studiert er bis 1955 Philosophie und Theologie – alles auf Latein
selbstverständlich. Aber er eckt schon an. Sein Präfekt, der spätere
Augsburger Bischof Josef Stimpfle, verlangt von ihm, dass er, morgens
um sechs, seine Kommilitonen kontrolliert, ob sie auch meditieren:
„Also, Herr Präfekt, das mach ich nicht. Darauf er: Das müssen Sie
aber machen. Dann ich: Ich mach es trotzdem nicht. Dann sagte er:
Das war aber immer so. Dann sagte ich: Das ist mir egal, ich mach
es nicht. Dann sagte er: Dann muss ich aber mit dem Rektor reden
und ihm das sagen. Dann sagte ich: Ja, dann sagen Sie es halt dem
Rektor. Dann ging er zum Rektor, und dann kam der Bescheid
zurück vom Rektor: Wenn Herr Küng das nicht machen will, braucht
er das nicht zu machen. Ich habe das nicht als einen Triumph
angesehen, aber immerhin, dass man da meine
Gewissensentscheidung in dem Fall geachtet hat, das hat mir doch
imponiert, und ich bin so immerhin drei Jahre unter dieser strengen
Zucht durchgekommen.“
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In Paris schreibt Küng 1957 seine Dissertation – auf Französisch. Das
Thema:
„Rechtfertigung. Die Lehre von Karl Barth und eine katholische
Besinnung“. Grob gesagt geht es um die Frage: Werde ich von
Gott geliebt, allein weil ich an ihn glaube, so die Protestanten, oder
kann man dieser Liebe sozusagen etwas nachhelfen durch eine
Reihe von guten Werken, so die Katholiken. Diese Arbeit Küngs
sollte eine Art Grundstein werden für die Annäherung beider
Konfessionen in dieser Frage, die erst 1999 durch eine gemeinsame
Erklärung und ihre feierliche Unterzeichnung in Augsburg besiegelt
wurde. Küng wird dazu allerdings nicht eingeladen, denn 20 Jahre
vorher, im Dezember 1979, entzieht ihm die Katholische Kirche die
kirchliche Lehrerlaubnis. Sein Ökumenisches Institut und er müssen
die Tübinger katholische Fakultät verlassen.
Aber für Küng steht ohnehin schon seit Langem fest, dass eine
kirchliche Karriere für ihn nicht in Frage kommt, obwohl Paul VI.
ihn gerne in den Vatikan geholt hätte:
„Früh krümmt sich, was ein Kardinal werden will, nicht? Also man
muss natürlich dann schon – das hat mir der Papst damals auch
gesagt – ich sehe noch seine Geste, wie er so mit seinen schlanken
Händen so die Linie – ja, man muss sich halt etwas anpassen.“
Während Papst Paul VI. auf den Fall Küng noch mit viel
Zurückhaltung reagiert, kommen mit Johannes Paul II. 1978 andere
Zeiten. Karol Wojtyla ist ein Mann der Disziplin, der mit Küng aufräumt.
Dabei behält man Küng schon von Anfang an im Auge. Schon
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anlässlich seiner Dissertation über die Rechtfertigungslehre wird in
Rom ein Dossier angelegt:
„Ja, mein Dossier hat die Nummer 399/57/i – ‚i’ ist die
Indexabteilung, also für die verbotenen Bücher – ‚57’ ist das Jahr
1957 meiner Promotion – ‚399’ ist die Akte 399.“
Dieses Dossier enthält all seine Vergehen und dokumentiert so
ungewollt den dringenden Reformbedarf der Kirche. Küng legt
den Finger immer wieder auf die Wunde.
„Wenn die Partei immer recht hat, wie im Kreml damals, ja, da
können Sie keine Reformen durchführen, die haben ja immer recht.
Wenn der Papst bzw. die Römische Kurie immer recht haben, wenn
das, was auch die Bischöfe notgedrungen oft zustimmen, wenn das
von vornherein stimmt, können Sie keine Reformen durchführen.“
Aber genau das verlangt er unermüdlich. Seine Kritiker und Gegner
werfen ihm nicht selten in der Auseinandersetzung Arroganz und
Selbstgefälligkeit vor. Aber vielleicht ist man in der katholischen
Kirche einfach auch die offene Aussprache und Direktheit immer
noch nicht so gewohnt, wie das beispielsweise heutzutage in der
Öffentlichkeit gang und gäbe ist. Hans Küng hat für sich selbst immer
ganz klare Kriterien:
„Für mich ist immer ein ganz entscheidender Grund gewesen, was
würde Jesus selber tun, wenn er in dieser Situation wäre? Würde der
jetzt diese Enzyklika etwa über Empfängnisverhütung
unterschreiben? Das kann ich mir nicht im Traum vorstellen. Und
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dann noch ein weiteres Motiv, das immer sehr gut war, zur
Gegenkontrolle: Gewinne ich mit dieser meiner Entscheidung
persönlich etwas, oder nichts? Und da konnte ich doch sehr oft
feststellen, dass es sehr viel bequemer gewesen wäre, wenn ich
mich anders entschieden hätte. Dass das mir mehr Ruhe gegeben
hätte, weniger Ärger, ich habe natürlich oft sehr gebüßt für meine
Entscheidung.“
Bei Lichte betrachtet, hat man eigentlich damit rechnen können,
dass die Kirchenbehörde eines Tages Maßnahmen ergreifen würde.
Und obwohl Küng längst kein unbeschriebenes Blatt ist, kommt der
Entzug der Lehrerlaubnis des Tübinger Theologen am 18. Dezember
1979 doch plötzlich. Die Arbeit zur Rechtfertigungslehre ist nur der
Anfang. Seine Bücher „Strukturen der Kirche“ von 1962 und vor allem
„Unfehlbar? Eine Anfrage“ von 1970 führen dazu, dass Hans Küng als
der Kritiker an Kirche und Papsttum wahrgenommen wird. Papst
Johannes Paul II. hat nie ein persönliches Gespräch mit ihm geführt
und damit mit verantwortet, dass einer der brillantesten Theologen
innerkirchlich ausgegrenzt wurde. Man beschreitet zunächst den
Weg, Küng weniger als Kirchenkritiker, denn als Theologe zu
diskreditieren. Im Jahr 1974 veröffentlicht Küng sein Buch „Christsein“.
Dies nimmt man zum Anlass, ihm die Verkürzung der christlichen
Lehre vorzuwerfen.
Kurz vor der Veröffentlichung der römischen Entscheidung gibt es in
Brüssel ein Treffen mit dem damaligen Bischof von RottenburgStuttgart, Georg Moser, mit dem Apostolischen Nuntius in Bonn,
Guido del Mestri, mit Kardinal Joseph Höffner und einem Vertreter
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der Glaubenskongregation. Die schriftlich vorgetragenen Bedenken
Mosers, diese Entscheidung noch vor Weihnachten zu verkünden,
wo doch selbst Finanzämter säumige Schuldner bis ins neue Jahr
schonen, nützen jedoch nichts. Höffner soll angemerkt haben: „Küng
glaubt doch eh nicht an Weihnachten!“ Sollte heißen: nur keine
falschen Rücksichten.
Auf der Piste beim vorweihnachtlichen Wintersport hat Hans Küng
wenige Tage später die Nachricht erreicht, dass ihm die kirchliche
Lehrerlaubnis entzogen worden sei. In der 20-Uhr-Ausgabe der
Tagesschau vor seiner Bücherwand sitzend, zeigt er sich
entsprechend empört und kampfesbereit:
„Nun, ich bin völlig überrascht worden durch diese Nacht- und
Nebelaktion, und ich muss schon sagen, ich halte es für einen
Skandal, dass in einer Kirche, die sich auf Jesus Christus berufen
will, dass in einer solchen Kirche noch Inquisitionsprozesse im 20.
Jahrhundert durchgeführt werden. Ich gedenke nach wie vor,
als katholischer Theologe in der katholischen Kirche für die
ungezählten Anliegen ungezählter Katholiken einzutreten und in
diesem Sinne die katholische Lehre auch weiterhin zu vertreten;
und das Zweite ist, ich werde dafür kämpfen, dass diese
Entscheidung wieder rückgängig gemacht wird ...“
Der damalige Freiburger Dogmatiker Karl Lehmann, der bereits als
ehemaliger Bischof von Mainz und Kardinal verstorben ist, sprach von
einem „rabenschwarzen Tag für die Theologie“.
Das Renommee Hans Küngs ist seit damals aber weltweit weiter
gestiegen, insbesondere durch sein Projekt Weltethos, bei dem er
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sich auf die Suche gemacht hat, über die Unterschiede der
Religionsgemeinschaften hinaus die ethischen Gemeinsamkeiten
religionsübergreifend zusammenzustellen.
Der Entzug der Lehrerlaubnis hat ihn zwar hart getroffen, aber als
Märtyrer versteht er sich dennoch nicht.
„Damals war es natürlich für mich eine bittere Zeit, und ich bin ja bis
an den Rand der physischen Erschöpfung gekommen. Und da
konnte ich natürlich nicht ahnen, dass das jetzt gerade für mich die
große Befreiung, die Öffnung für völlig neue Gebiete, Probleme,
Menschen sein würde. Aber im Nachhinein kann ich tatsächlich
sagen, ich fühle doch, dass eine Hand mich geleitet hat, dass ich
dankbar bin über diesen zwar schwierigen, aber doch letztlich
fruchtbaren Weg.“
Küng bleibt trotz allem Priester in der Kirche, obwohl die stramm
Rechten wie die stramm Linken genau das stört. Die Rechten, weil
sie die Kirche vor Küng retten wollen, die Linken, weil sie meinen,
dass die Kirche sowieso nicht mehr zu retten ist.
Auffällig ist, dass Küng zwar immer wieder verbal die Reformen der
Kirche anmahnt, aber sich nie zu einem Akt der Provokation
hinreißen lässt, die seine Rehabilitation nur erschweren könnte.
Küng wird jedenfalls ab 1979 vom Theologen einer Weltkirche zum
Global Player. Das von ihm Mitte der 90er ins Leben gerufenen
„Projekt Weltethos“ scheint ihn wegzuführen vom innerkatholischen
Kleinklein hin zu den Religionen der Welt. Aber das ist wirklich nur ein
Schein:
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„Ich bin ja nie von meinem Zentrum abgewichen. Ich verstehe mich
heute noch als christlicher und katholischer Theologe wie eh und je.
Ich bin in dieser Weltkirche geblieben, aber ich habe jede
Herausforderung aufgenommen, und sozusagen in konzentrischen
Kreisen hat sich mir immer weitere Wirklichkeit erschlossen, hat sich
mein Horizont erweitert, und so bin ich schließlich von den
Problemen der katholischen Kirche zu den Problemen der
Christenheit gekommen und von den Problemen der Christenheit zu
denen der Weltreligionen, der Weltliteratur, des Weltfriedens und
schließlich des Weltethos. Ich verstehe das also nur als eine
Horizonterweiterung und nicht ein Abrücken vom Zentrum.“
Sein Engagement für die simpel klingende Wahrheit, dass der
Weltfrieden nur möglich wird, wenn auch die Religionen
untereinander Frieden geschlossen haben, führt ihn denn auch am
9. November 2001 vor die UNO, zwei Monate nach dem Attentat
auf das World Trade Center. Man ist höchst sensibilisiert für das
Thema. Die ganze Welt hört den Schuhhändlersohn aus
Sursee/Schweiz. Es spricht quasi ein theologischer Nachfahre
Wilhelm Tells.
Wer sich so als Einzelner gegen einen 2000 Jahre alten Apparat
auflehnt, wer schon vier Jahrzehnte im Voraus denken kann wie im
Falle der Rechtfertigungslehre, wer eine kirchliche Karriere
ausgeschlagen hat, weil er sich nicht verbiegen will, der braucht
Rückgrat und Selbstbewusstsein, was manchmal mit Arroganz
verwechselt wird. Bei seiner Emeritierung 1996 findet Hans Küng sogar
humorvoll Distanz zu sich selbst und seiner Neigung zur Eitelkeit. Seine
Entgegnung auf die Lobreden:
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„Herr, vergib ihnen, dass sie so maßlos übertreiben. Aber vergib
auch mir, dass ich so viel Gefallen daran finde.“ (Applaus)
Aber bei derselben Veranstaltung zeigt er auch seine andere Seite,
seine Verwundung und Verletzlichkeit. Gerade hat der Dekan der
Katholisch-Theologischen Fakultät eine Erklärung verlesen. Er fordert
im Namen der Fakultät von der Kirche Küngs volle Rehabilitierung.
Küng will sich bedanken, aber ihm versagt die Stimme, weil Tränen in
ihm aufsteigen.
Hans Küng ist weit davon entfernt, seinen Weg in der Kirche als
Irrweg zu begreifen:
„Ich bin froh, dass ich Theologie gemacht habe, ich finde das eine
tolle Sache. Das war natürlich ein ungeheures Abenteuer,
manchmal auch eine Odyssee, aber, ich muss sagen, ich habe
das alles mit Leidenschaft getrieben und aufs Ganze auch immer
mit Freude.“
Obgleich die volle Rehabilitierung ausbleibt. Eine Überraschung gibt
es allerdings im September 2005. Küngs ehemaliger Kollege in
Tübingen Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI., empfängt den
katholischen Rebell zu einem Vier-Augen-Gespräch in der
Sommerresidenz Castel Gandolfo. Vier Stunden dauert die
Begegnung. Spekulationen keimen auf, es könnte doch noch zu
einer Versöhnung der Kirche mit Küng kommen. Küng schildert seine
Eindrücke damals im SWR so:
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„Es war von Anfang an eine sehr freundliche Atmosphäre. Wir
haben uns beide daran erinnert. Er sagte es selber, es war im Jahr
1983, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben in einer sehr
angespannten Atmosphäre. Jetzt hatte ich den Eindruck, er sei
wieder so, wie ich ihn damals in Tübingen erlebt habe und ihn ja
seit 1957 kenne.“
Man spart allerdings die schwierigen Themen aus, veröffentlicht eine
Erklärung und verabschiedet sich wieder voneinander.
Anschließend gibt es zwar noch Korrespondenz, aber mehr auch
nicht. Allerdings hat Küng auch zu Benedikts Nachfolger, Papst
Franziskus unmittelbar nach seiner Wahl schriftlich Kontakt
aufgenommen. Stolz und gleichzeitig versöhnt zeigt sich Küng, als
ihm Papst Franziskus handschriftlich antwortet und mit „Brüderlich
Franziskus“ unterschreibt. Damit sei er, Küng, hoch zufrieden. Küng
kritisiert weiter die Strukturen der Kirche, auch wenn ihm einige
inzwischen eine gewisse Altersmilde attestieren; seine Reisetätigkeit
hat er alters- und krankheitsbedingt heute eingestellt. Sein Anliegen
bleibt unbequem. Im Jahr 2009 veröffentlicht er ein sehr persönlich
gehaltenes Buch über seinen Glauben. Titel: „Was ich glaube“.
„Gott ist die Liebe. Mir ist das eine gute Umschreibung für das, was
letztlich das ganze Leben zusammenhält und das uns auch
bestimmen darf, dass wir nicht einen grausamen Gott für uns haben,
sondern einen Gott, der uns zugewandt ist, aber eben geheimnisvoll,
nicht vorfindbar. Es ist immer wieder ein neues Vertrauen gefordert,
aber ich habe deutlich gemacht, dass es zwar keine rationalen
Beweise für dieses Vertrauen gibt, wohl aber gute Gründe.“
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2012 gibt Hans Küng bekannt, dass er ab März 2013, also mit seinem
85. Geburtstag, nicht mehr Präsident der Stiftung Weltethos sein
möchte. Im selben Jahr tritt Benedikt XVI vom Papstamt zurück.
Wenn man so will, tritt Küng damit zurück von seinem persönlichen
Alternativprogramm zur katholischen Kirche. Die Stiftung Weltethos
war eine angemessene theologisch-philosophische
Herausforderung, nachdem Rom für einen seiner profiliertesten
Theologen keine Verwendung mehr hatte.
„Ich hoffe, dass ich‘s noch ein paar Jährchen aushalte. Ich habe
immer gesagt, ich möchte doch noch erleben, dass noch einmal
eine Wende in der Kirche kommt. Also jetzt möchte ich doch noch
mit dabei sein. Also, sehen wir mal zu, wie lang es geht. Ich bin
allerdings auch jederzeit bereit, abzutreten.“
Es scheint als ob Hans Küng mit 90 Jahren den Frühlingsduft in der
Kirche, der mit Franziskus kam, noch inhalieren darf. Eine
Rehabilitierung durch seine Kirche – und zwar vor seinem Tod – wäre
ihm zu wünschen. Auch dem Image der Kirche. Aber man muss unter
Umständen in der katholischen Kirche schon sehr alt werden, um
Barmherzigkeit zu erfahren. 90 Jahre ist da kein Alter.
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