SWR2 AULA -Vince Ebert : Der Mensch als Affe – Faszination Evolution

Diskurs SWR2-Kooperation
Affe Mensch
Der Mensch als Affe - Faszination Evolution
-c-swr2aula14-8ebert-affemensch
Diskurs-SWR2
Mensch als Affe 
SWR2 AULA -Vince Ebert : Der Mensch als Affe – Faszination Evolution
Autor und Redner: Vince Ebert *
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Sonntag, 10. August 2014, 8.30 Uhr, http://swr2.de
_________________________________________________________________
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

AUTOR*
Vince Ebert wurde 1968 in Amorbach im Odenwald geboren und studierte Physik an der Julius- Maximilians-Universität Würzburg. Nach dem Studium arbeitete er zunächst in einer Unternehmensberatung und in der Marktforschung, bevor er 1998 seine Karriere als Kabarettist begann. Vince Eberts Anliegen: die Vermittlung wissenschaftlicher Zusammenhänge mit den Gesetzen des Humors. Seine Bühnenprogramme „Physik ist sexy” (2004), „Denken lohnt sich” (2007) und „Freiheit ist alles” (2010) machten ihn als Wissenschaftskabarettist bekannt, der mit Wortwitz und Komik sowohl Laien als auch naturwissenschaftliches Fachpublikum unterhält. Mit seinem aktuellen Programm „Evolution“ feierte Vince Ebert im September 2013 Premiere, in der ARD moderiert er regelmäßig die Sendung „Wissen vor 8 – Werkstatt”.
Bücher:
– Bleiben Sie neugierig! rororo. 2013.
– Machen Sie sich frei! Sonst tut es keiner für Sie. rororo. 2011.
– Denken Sie selbst! Sonst tun es andere für Sie. Rowohlt-Verlag. 2008.

ÜBERBLICK
Wenn wir mit der Familie fernsehen, ist das so, als würden wir uns mit der Urhorde ums Lagerfeuer versammeln, wenn ein Mann einem anderen mit seinem großen Wagen imponieren will, ist es so, als würde ein Neandertaler dem anderen mit seiner Keule imponieren, wenn wir uns verlieben, schaltet unser Gehirn auf: Urzeit. Der Physiker und Kabarettist Vince Ebert zeigt, welche Spuren die Evolution in uns hinterlassen hat.

INHALT
Ansage:
Wenn wir mit der Familie fernsehen, ist das so, als würden wir uns mit der Urhorde ums Lagerfeuer versammeln, wenn ein Mann einem anderen mit seinem großen Wagen imponieren will, ist es so, als würde ein Neandertaler dem anderen mit seiner Keule imponieren, wenn wir uns verlieben, schaltet unser Gehirn auf: Urzeit. Der Physiker und Kabarettist Vince Ebert zeigt, welche Spuren die Evolution in uns hinterlassen hat.
Vince Ebert:
Um Leben zu erzeugen, brauchen Sie im Grunde nichts anderes als Ammoniak und Methan. Das sind zwei Gase, die Sie gut kennen. Ammoniak, so riecht es beim Oktoberfest auf der Herrentoilette. Methan ist der Geruch, den Sie in der Kabine erzeugen können, um den Ammoniakgeruch übertünchen zu können. Und das hat man sogar experimentell bewiesen. 1953 hat der Chemiker Stanley Lloyd Miller Ammoniak, Methan und Wasser in einen Kolben gegeben und Strom durchgeschickt. Und tatsächlich: Nach etwa einer Woche bildete sich eine goldbraune ölige Schicht aus Aminosäuren und Zucker. Und genau das sind die absoluten Grundbausteine des Lebens.
Bis sich daraus allerdings komplexes Leben entwickelt hat, hat es ziemlich lange gedauert. Nach rund 2 Milliarden Jahren gab es auf der Erde gerade mal primitive Einzeller – wobei das Wort primitiv ziemlich relativ ist. Eine primitive Salmonelle besteht aus genauso vielen Einzelteilen wie eine Boeing 747. Da bekommt der Song „Flugzeuge im Bauch“ eine vollkommen neue Bedeutung. Allein in unserem Darm tummeln sich 3 kg Bakterien, unser Gehirn wiegt gerade mal die Hälfte. Wer hat hier eigentlich das Sagen? Wir haben doppelt so viele Darmbakterien wie Gehirn. Wahrscheinlich kommt deswegen oft so ein Scheiß raus. Dabei leben wir nur, weil uns Bakterien mit allem versorgen. Wir können nicht ohne sie, aber sie können problemlos ohne uns – es ist ihr Planet. Sie erzeugen Sauerstoff, reinigen das Wasser, machen den Boden fruchtbar. Pro Tag machen 10 Millionen Bakterien in unserem Darm die Drecksarbeit. Aber haben wir es ihnen jemals gedankt?
Ich finde es wirklich schade, dass Bakterien so unbeliebt sind, was wahrscheinlich ein bisschen an ihrem Aussehen liegt: vom Kuschelfaktor ganz weit hinten. Da hat es ein Pandabär schon leichter, weil er so süß ist. Aber was bitte hat ein Pandabär jemals für uns getan? Nichts. In Wirklichkeit ist der Pandabär ein eingebildeter kleiner Schnösel. Der hat ganz bewusst seine Fortpflanzung eingestellt, weil er nicht die Top-Position auf der Toten Liste gefährden will. Für das ökologische Gleichgewicht ist dieser Pandabär vollkommen egal. Aber trotzdem gibt der WWF Millionen dafür aus, um dieses Vieh irgendwie zum Kopulieren zu bringen. Die Wärter vom Pekinger Zoo – das muss man sich mal vorstellen – haben diesen Viechern sogar Pornos vorgespielt, um sie zu animieren. Und man fragt sich: Was waren das für Pornos? Von Menschen? Von Menschen in Panda-Kostümen? Von Menschen in einem Fiat Panda? Wenn dieses blöde Vieh keinen Bock auf Fortpflanzung hat, dann lasst es doch in Gottes Namen aussterben. Wenn der Pandabär ausstirbt, geht mir das am Arsch vorbei. Wenn das Darmbakterium ausstirbt, kann ich nicht mehr kacken.

Warum also sind Bakterien so erfolgreich? Ganz einfach: weil sie eine unfassbare Reproduktionsrate haben. Eine primitive Salmonelle kann am Tag über 200 Milliarden Nachkommen produzieren und wird deswegen auch als der Julio Iglesias unter den Mikroben bezeichnet. Damit sich Lebewesen vermehren können, hat die Natur einen genialen Mechanismus entwickelt, den Sie alle kennen: die DNA. Das ist ein in sich gedrehtes Molekül, auf der die gesamte Erbinformation einer Salmonelle gespeichert ist. Beim Menschen sieht die ganz genauso aus und umfasst bei uns rund 0,5 Gigabyte an Datenmaterial. Das ist jetzt nicht so viel. Sie könnten praktisch Ihren gesamten Freundeskreis auf einem iPad speichern. Gibt’s bestimmt auch bald eine App dafür. Chemisch gesehen ist die DNA ziemlich simpel aufgebaut: Im Grunde genommen ist es eine ewig lange Aneinanderreihung von immer wieder den vier gleichen Bausteinen: Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Und diese vier Bausteine sind in allen Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen komplett identisch. Das einzige, was uns von einer Salmonelle, einer Schnappschildkröte oder Roland Kaiser unterscheidet, ist die ganz spezifische Reihenfolge von Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin.
Die DNA ist die Basis fürs Leben, und die DNA ist natürlich auch die Basis für die schönste Nebensache der Welt: geschlechtliche Vermehrung. Wie funktioniert das? Ganz einfach: Das Weibchen gibt 50 Prozent seiner Gene, das Männchen gibt 50 Prozent seiner Gene und daraus entsteht ein 100 Prozent neues Lebewesen. Das ist für die Männchen super, für die Weibchen oft eine Lose-Lose-Situation. Denn die Weibchen geben 50 Prozent ihrer Gene ab, müssen danach aber oft 100 Prozent der Arbeit machen, für 70 Prozent des Gehalts. Denn die meisten höheren männlichen Wirbeltiere agieren nach dem sogenannten Fuck & Go-Prinzip. Falls Sie des Englischen nicht mächtig sind, „Fuck & Go“ bedeutet genau das, was Sie denken. Weibliche Spinnen haben das Problem gelöst, indem sie das Männchen nach der Begattung einfach auffressen. Die vernaschen ihn also ein zweites Mal. Noch schlimmer: Heuschreckenweibchen beißen dem Männchen sogar während der Kopulation den Kopf ab. Aber das stört die Männchen gar nicht. Ohne Hirn wird die sexuelle Leistungsfähigkeit sogar noch erhöht. Es werden mehr Spermien übertragen und außerdem spart man sich danach dieses peinliche Rumgequatsche, wie es unter Heuschrecken so üblich ist.
Warum hat die Natur Sex erfunden? Eine sehr schlüssige Erklärung könnte sein: Sex ist gesund. Lebewesen, die sich asexuell vermehren, sind wesentlich anfälliger für Parasiten. Das hat man zum ersten Mal bei Schnecken herausgefunden. Im normalen Tagesgeschäft sind Schnecken Selbstbefruchter. Bei Parasitenbefall jedoch schalten sie blitzartig auf Sex um – also blitzartig im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Das heißt also, der Schneckerich macht die Schnecke nicht deswegen an, weil sie so ein scharfes Luder ist, sondern weil er die Krätze loswerden will. So gesehen ist Sex eine sehr effiziente Abwehrstrategie gegen Parasiten. Ein Aspekt, der bei der Partnerwerbung viel zu wenig Beachtung findet. „Hallo, ich bin Vince. Lust auf eine kleine Wurmkur?“ Bei Mikrobiologinnen schlägt der Satz ein wie eine Bombe.
Aber auch andere Frauen können intuitiv den Partner erkennen, dessen Genkombination besonders gut zu ihnen passt. Wissenschaftler haben Frauen an gebrauchten Männer-T-Shirts schnüffeln lassen und sie dann gebeten, ihren Duftfavoriten auszuwählen. Und tatsächlich wählten die Frauen diejenigen Männer aus, deren Gene so gebaut waren, dass der potentielle Nachwuchs ein optimales Immunsystem gehabt hätte. Also, liebe Männer, wenn Sie das nächste Mal von Ihrer Frau gefragt werden: „Wieso lässt Du immer Deine Schmutzwäsche rumliegen?“, dann sagen Sie einfach: „Weil unsere Pheromone zu den olfaktorischen Rezeptoren passen, so dass die immungenetische Vielfalt unseres Nachwuchses garantiert ist.“
Und das alles nur, weil die Natur vor 900 Millionen Jahren flächendeckend die freie Liebe eingeführt hat. Daraus sind zwar eine Menge Probleme entstanden, andererseits war das aber der Startpunkt für eine unglaubliche Artenvielfalt. Innerhalb kürzester Zeit sind die bizarrsten Lebensformen entstanden. Die Tintenfischart Sepia apama zum Beispiel trifft sich einmal im Jahr zu einer riesigen Fortpflanzungsorgie in Südaustralien. Dabei benutzen die schwächeren – also die benachteiligten – Männchen einen genialen Trick: Sie wechseln in einer Art Travestie die Farbe und täuschen vor, ein Weibchen zu sein. Dadurch kommen sie an die streng bewachten Weibchen ran, dann ändern sie wieder ihre Farbe und paaren sich mit ihnen. Vom Tintenfisch zum Tuntenfisch. In Deutschland heißt das Kölner Karneval.
Wie kann die Natur nur so etwas wollen? Die Antwort darauf lieferte vor rund 150 Jahren Charles Darwin. Seine Theorie war so einfach wie genial: Durch geschlechtliche Vermehrung entstehen beim Nachwuchs immer wieder kleine zufällige Veränderungen im Erbgut, sogenannte Mutationen. Wenn eine solche Mutation dazu führt, dass man ein bisschen besser im Leben zurechtkommt, dann erzeugt dieser Mutant auch ein paar mehr Nachkommen und das Merkmal setzt sich mit der Zeit durch. So ist zum Beispiel die Büffelhaut entstanden, weil Büffel ohne Haut immer wieder auseinandergefallen sind. Diesen Vorgang nennt man natürliche Selektion. Die geht zwar in sehr kleinen Schritten voran, ist aber enorm durchsetzungsfähig. Ein Mutant, der nur ein Prozent mehr Nachkommen erzeugt als die Konkurrenz, hat diese schon nach drei-, viertausend Generationen komplett verdrängt – wenn nicht was anderes dazwischen kommt.
Zwischenfälle gab es im Lauf der Evolutionsgeschichte eine Menge. Wäre zum Beispiel vor 65 Millionen Jahren kein Meteorit auf die Erde gefallen, dann säßen die Dinosaurier immer noch im Chefsessel. Das muss eine galaktische Katastrophe gewesen sein. 75 Prozent aller Lebewesen wurden auf der Erde vernichtet. Bei den Tyrannosaurus Rexen lag die Quote sogar bei 100 Prozent. Falls Sie in Statistik nicht ganz fit sind, das sind ziemlich alle. Obwohl die Ozonschicht der Erde komplett zerstört war und jahrelang kein ordentliches Sonnenlicht auf den Planeten fiel, hat eine kleine unbedeutende Gruppe von Spitzhörnchen überlebt, die Vorfahren aller heutigen bekannten Säugetiere einschließlich uns Menschen. Ohne die Vernichtung der Dinos gäbe es das Spitzhörnchen nicht und gäbe es uns Menschen nicht. Der frühe Vogel fängt vielleicht den Wurm, aber erst die zweite Maus bekommt den Käse.
Die Chance, dass so eine Katastrophe noch einmal passiert, ist übrigens ziemlich hoch. Im Schnitt trifft uns nämlich alle 50 Millionen Jahre so ein großer Brocken. Wir sind also sozusagen überfällig. Ich glaube, ich weiß auch wann: am 31. August im Jahr 4.500. An diesem Tag endet nämlich der Outlook-Kalender. Aber auch dann wird die Geschichte der Evolution weitergehen, mit wahrscheinlich vollkommen anderen Lebensformen. Das Tolle und gleichzeitig Verstörende an der Evolutionstheorie ist, dass sie kein Ziel kennt. Sie folgt keinem Plan. Sie ist eine
Spielwiese für Gene. Und zum Schluss kommt etwas dabei heraus, was den Anschein erweckt, dass es von Anfang an geplant gewesen wäre. Charles Darwin hat uns gezeigt, dass man keinen Schöpfer braucht, um die Vielfalt der Natur zu erklären. Und er hat uns gezeigt, dass wir Menschen alles andere sind als die Krone der Schöpfung. Wir haben zum Beispiel zwei Nieren, aber nur ein Gehirn. Das macht überhaupt keinen Sinn. Wenn eine Niere ausfällt, arbeitet die andere weiter. Wenn das Hirn ausfällt, arbeitest du bei RTL.
Obwohl die Evolutionstheorie inzwischen durch unzählige Beweise bestätigt ist, stören sich einige daran. Bei meinen Vorträgen sagen zum Beispiel regelmäßig Zuschauer: So etwas Kompliziertes wie das menschliche Auge, kann doch unmöglich durch einen ungeplanten Prozess entstanden sein, da muss doch ein schöpferischer Plan dahinterstecken. Ich habe das am Anfang für einen Witz gehalten und gesagt: „Ja, oder das menschliche Schienbein. Ein nahezu perfektes Sinnesorgan, um im Dunkeln scharfkantige Möbelstücke zu finden.“ Aber manche Zuschauer finden das überhaupt nicht witzig und sagen: „Ich glaube nicht, dass die Evolution, sondern dass ein intelligenter Designer für alles verantwortlich ist.“ Meine klassische Standartantwort ist: „Wenn uns wirklich ein intelligenter Designer erschaffen hat, warum hat er dann so etwas Unnötiges wie den Blinddarm entwickelt? War er vielleicht Chirurg?“ Wenn man sich wirklich im menschlichen Körper umguckt, muss man einfach an einem intelligenten Designer zweifeln. Das linke Ohr ist mit der rechten Hirnhälfte verbunden, Luft- und Speiseröhre sind gekreuzt, die Abwasserleitung läuft direkt durchs Vergnügungsviertel. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt, aber Innenarchitektur ist mit Sicherheit nicht seine Stärke. Die Menschen sagen dann: „Evolution ist nur eine Theorie.“ Da haben sie recht. Evolution ist nur eine Theorie. Gravitation ist auch nur eine Theorie. Trotzdem springt keiner vom Dach, weil es nur eine Theorie ist. Und natürlich haben Menschen recht, wenn sie wissenschaftliche Erkenntnisse anzweifeln. Das ist ja der Grundgedanke von Wissenschaft: skeptisch sein. Deswegen sage ich auch ganz klar: Bleibt skeptisch. Lasst den Designer weg, aber bleibt skeptisch. Denn in der Wissenschaft kann man nie sicher sein, ob eine Theorie zu 100 Prozent korrekt ist. Aber man kann die Behauptungen einer Theorie überprüfen. Man muss sie sogar überprüfen.
Ich kann mich erinnern, als ich während meines Physik-Studiums bei einer Semester-Party war, habe ich mit meinem Astronomie-Professor angestoßen, ohne ihm dabei in die Augen zu gucken. Und er sagte noch zu mir: „Tja, Herr Ebert, jetzt haben Sie sieben Jahre schlechten Sex.“ Und er hat recht gehabt. Empirisch überprüft. Okay, ich gebe zu, alles kann die Evolutionstheorie, also die Veränderung von Genen durch Mutation und Selektion, natürlich auch nicht erklären. Wie zum Beispiel hat es der Mensch in den letzten 100.000 Jahren geschafft, so erfolgreich zu werden? Denn in dieser Zeit hat sich unser Gehirn genetisch nicht wesentlich verändert. Unser Betriebssystem läuft auf einer Hardware, die das letzte Mal bei der Geburt von Johannes Heesters upgedated wurde. Das, was unsere letzte Entwicklungsstufe vorangetrieben hat, das waren nicht mehr unsere genetischen, biologischen Veränderungen, sondern unsere Gedanken, Ideen, Erfindungen. Die Sumerer erfanden das Rad, die Babylonier die Metallverarbeitung, der Baden-Württemberger den Bausparvertrag. Und das hat die Welt innerhalb von kürzester Zeit komplett verändert. Ohne die Erfindung der Glühbirne müssten wir heute noch bei Kerzenlicht fernsehen.
Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins bezeichnete diese Gedanken, Ideen, Innovationen als sogenannte „Meme“, in Anlehnung an das Wort Gene. Und wenn eine Idee, ein Mem klug ist und das Überleben sichert, dann setzt es sich ganz ähnlich durch wie ein Gen, das gegen Erkältungen schützt. Inzwischen nehmen sogar diese Meme an und geben sie weiter. In deutschen Großstädten imitieren immer mehr Singvögel die Klingeltöne von Handys, quasi als innovativer Balzruf. In manchen Dörfern werfen sich Amseln inzwischen sogar in elektrische Weidezäune, einfach um zusätzlich zu vibrieren. Das zeigt, nicht immer ist ein erfolgreiches Mem für alle von Vorteil. Die Erfindung von Alkohol zum Beispiel ist für Asiaten nicht ganz so lustig, weil denen ein Enzym zum Alkoholabbau fehlt. Deswegen haben die Japaner aus Rache mit Karaoke gekontert.
Und das zeigt, auch nach 3.000 Jahren Logik, Wissenschaft und Philosophie sind wir noch immer nicht besonders rational. Wir sind Rudeltiere, Steinzeitmenschen in Hugo Boss-Anzügen sozusagen. Und wir grenzen uns gegenüber anderen Rudeln ab. Und dabei ist das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, uns oftmals wichtiger als etwas Richtiges, Kluges zu tun. Wenn uns zum Beispiel vor zehn Jahren jemand gesagt hätte: Ihr werdet irgendwann mal in schicke Designerläden gehen und kleine Aludöschen mit Kaffeepulver drin für 3,50 Euro kaufen, da hätte doch jeder gesagt, was für eine beknackte Idee. Warum machen wir das? Wir machen das, weil es alle anderen auch machen. „Quatsch“, sagt meine Frau, „weil vielleicht ja George Clooney vorbeikommt.“
Wir Menschen sind Herdentiere, wir sind anpassungsfähige Opportunisten. Und trotzdem ist im Laufe der Evolutionsgeschichte etwas Merkwürdiges mit uns Menschen passiert. Wir haben irgendwann mal begonnen, Sympathien für Personen zu entwickeln, die weit über unseren eigenen Stamm, über unsere eigene Kultur hinausgehen. Zum Beispiel spenden wir Blut für Menschen, die wir in unserem Leben nie persönlich sehen werden. Oder schicken unsere Kleidung nach Afrika, wobei man auf T-Shirts mit dem Aufdruck „Bier formte diesen wunderschönen Körper“ verzichten sollte.
Es wird ja immer gesagt, der Mensch ist schlecht, der Mensch ist das grausamste Lebewesen auf der Erde, weil wir die Einzigen sind, die zum Spaß töten. Pah, da kennen Sie Katzen schlecht. Als meine Frau zu mir nach Frankfurt gezogen ist, hat sie ihre zwei Katzen mitgebracht, sehr süße verschmuste Tiere – für uns. Die gemeine Spitzmaus hat eine vollkommen andere Meinung dazu. Es hat genau einen Sommer gedauert, da gab es in unserem Hof kein Lebewesen unter 10 cm mehr. Und zwar nicht, weil unsere Katzen hungrig waren. Nein, das war einfach ein Hobby von denen. Die haben sich erst die Bäuche mit Whiskas vollgehauen und dann ging’s raus zur ethnischen Säuberung.
Wir Menschen sind nicht ganz schlecht, wir sind human. Und Humanität ist tatsächlich eine typisch menschliche Eigenschaft. Deswegen heißt sie auch so. Und der Grund liegt in unserer Gehirnentwicklung. Wenn wir geboren werden, hat unser Gehirn nur etwa 30 Prozent seiner Größe erreicht. In dieser Phase sind wir vollkommen hilflos. In den ersten sechs Jahren wächst es auf 90 Prozent an und hat erst mit 23 Jahren seine volle Perfomance erreicht. Da sind wir aber schon 10 Jahre geschlechtsreif. Unser Hirn hängt unseren Hoden 10 Jahre hinterher! Aber das ist gut so, denn dieses langsame Gehirnwachstum ist die Basis für Lernfähigkeit.
Gegenbeispiel: Flussbarsche. Flussbarsche haben bereits bei ihrer Geburt ein vollständig entwickeltes Gehirn. Da kommt nichts mehr dazu. Und genau deswegen sind die doof wie ein Kastenweißbrot. Lernfähigkeit gleich null. Das Flussbarsch-Männchen betreibt einen riesigen Aufwand, um sich zu paaren, aber in dem Moment, in dem die Jungen schlüpfen, sagte es sich: Futter! Die fressen ihren eigenen Nachwuchs, weil sie zu doof sind, ihn zu erkennen. Ganz anders wir Menschen: Wir päppeln unsere Kinder auf, bringen ihnen lesen, schreiben und fahrradfahren bei, finanzieren ihnen die Ausbildung, das Studium, die Hochzeit, stecken ihnen Geld zu, wenn sie ein Reihenhäuschen kaufen wollen, nehmen ihre Kinder übers Wochenende, wenn sie ihren Selbsterfahrungsworkshop und lassen sie schließlich wieder bei uns einziehen, weil der feine Herr Schwiegersohn seit drei Jahren eine Affäre mit seiner Sekretärin hat. – So doof sind Flussbarsche eigentlich gar nicht. Zumindest ist ihr Leben übersichtlich. Und wir haben in den letzten 10.000 Jahren eine Welt erschaffen, die wir im Grunde nicht mehr verstehen. Pro Tag müssen wir in unserem modernen Leben bis zu 20.000 kleinere oder größere Entscheidungen treffen: Zucker oder Süßstoff, CDU oder SPD; Scheidung oder Durchhalten. Jeden Tag! Da muss man ja wahnsinnig werden. Eine Sirene ertönt – Atomkrieg oder Mittagspause? – Man weiß es nicht.
Wenn Sie vor 150.000 Jahren als ein männlicher Homo sapiens an ein Wasserloch gekommen sind und einen fremden Artgenossen trafen, da mussten Sie genau vier Entscheidungen treffen: männlich oder weiblich, wenn weiblich, paarungsbereit oder nicht, wenn männlich, Freund oder Feind, wenn Feind, stärker oder schwächer. In nur 0,3 Sekunden mussten Sie eine klare Entscheidung treffen, sonst gab es nichts mehr zu entscheiden, kein Meeting, kein Coaching, keine Mediation, kein Telefonjoker. Im Grunde genommen lief vor 150.000 Jahren alles auf die Alternative hinaus: Vögele es oder töte es. Vier simple Fragen, eine Entscheidung.
Und dann kam Starbucks. Wir sind die erste Generation, die bei einem Soja Frappuccino Grande Latte Doubleshot in Frieden, Freiheit und Sicherheit von ganzem Herzen unglücklich sein kann. Unser modernes Leben macht uns fertig. In den USA hat neulich ein Typ mit einer Schrotflinte seinen Laptop zusammengeschossen und das Ganze auf Youtube gestellt. So eine Art Screenshot. Da ist irgendwas mit der Installation schiefgelaufen und da ist der ausgetickt. Hasta la vista, Windows vista! Und man kann’s verstehen. Neulich schickt mir die Telekom ein neues Handy, beim Auspacken finde ich einen Zettel „Ihr Handy funktioniert nicht? Rufen Sie uns an.“ Deswegen besteht eine der Hauptfunktionen unseres Gehirns in der Abwehr von unnötigen Informationen, zumindest von Informationen, die wir nicht intuitiv erfassen können. Einen guten Freund aus 60 Metern von hinten erkennen zu können, das fällt uns leicht. Ein Computer kann das nicht, der hat keinen guten Freund. Dafür kann der blitzschnell 73 mit 26 multiplizieren. Ein Mensch, der das kann, hat meistens auch keinen guten Freund.
Logik und Rationalität, Elemente, auf die wir im Grunde genommen so stolz sind, sind eigentlich nicht unsere Kernkompetenzen. Deswegen laufen Programme über Männer und Frauen auch wesentlich erfolgreicher als Programme über partizielle Differentialgleichungen. Was ich persönlich sehr schade finde. Alles, was mit Zahlen, Statistiken, Formeln, Wahrscheinlichkeiten zu tun hat, mögen wir nicht. Da schalten wir ab, das ist uns viel zu anstrengend. Beim Lotto-Spielen sagen wir: Die Chance auf einen Hauptgewinn beträgt 1 zu 140 Millionen – es könnte mich treffen. Beim Rauchen sagen wir: Die Chance auf Lungenkrebs 1 zu 1.000 – Warum sollte es ausgerechnet mich treffen? Andererseits: Sterben müssen wir alle. Oder wie es der große Guru Lorenz Meyer gesagt hat: Wenn du jeden Tag so lebst, als wäre es dein letzter, wird es irgendwann auch mal so weit sein.
Aber die Angst vor dem Tod steckt uns in den Knochen. Wir können den Gedanken nicht ertragen, dass wir sterblich sind. Dabei ist Sterben für die Evolution zwingend notwendig, und für das Leben erst recht. Damit wir leben können, müssen sich sämtliche Zellen in unserem Körper permanent erneuern. Und dafür müssen andere absterben. Eine Hautzelle lebt vier Wochen, dann stirbt sie ab. Ein rotes Blutkörperchen 120 Tage. Eine Leberzelle 12 Monate, bei manchen auch ein bisschen weniger. Man schätzt, dass etwa alle sieben Jahre sämtliche Zellen in unserem Körper sich mindestens einmal erneuert haben. Und spätestens dann sagen viele über den Partner: „Mensch, der kommt mir so fremd vor.“ Wenn wir alt werden, erneuern sich unsere Zellen immer langsamer und langsamer, Kopierfehler häufen sich und plötzlich steht der Sensenmann vor der Tür. Früher oder später zerfallen wir alle zu Staub, Keith Richards vielleicht ausgenommen.
Und trotzdem können wir uns unsterblich machen, indem wir der Nachwelt etwas von uns hinterlassen. Die einfachste Art, etwas zu hinterlassen: Kinder. Nicht die billigste, aber die einfachste. Unsere Gene leben in unseren Nachkommen weiter und weiter. Oder wir hinterlassen etwas in Form von einer Idee, von einem Mem. Mozarts Musik, Einsteins Formeln, Darwins Evolutionstheorie werden Jahrhunderte überdauern. Platon und Sokrates sind sogar so unsterblich, dass denen die griechische Regierung bis zum heutigen Tag die Renten auszahlt. Aber selbst, wenn wir keine Kinder haben und keine brillanten Gedanken, leben wir nach unserem Tod weiter, zumindest in Teilen:
Jeder von uns besteht aus 10 hoch 28 Atomen. Das sind mehr Atome als es Sterne gibt. Atome, die es schon gab, lange bevor es uns gab. Vielleicht war ja eines Ihrer Atome mal Bestandteil von Kleopatras Nase oder Napoleons Knie. Mit jedem Atemzug atmen wir ein paar Atome von jedem Menschen ein, der jemals auf diesem Planeten gelebt hat. Wenn wir sterben, hauchen wir zwar unser Leben aus und unser Körper zerfällt, aber die 10hoch28 Atome, aus denen wir alle bestehen, existieren ewig weiter. Sie gehen in die Atmosphäre über, verbinden sich mit anderen Elementen und bilden vollkommen neue Dinge: ein Stein, ein Baum, vielleicht sogar ein Darmbakterium. Jedes einzelne Atom in unserem Körper hat Aufenthalte in mehreren Sternen hinter sich. Und wenn wir in den Weltraum blicken, blicken wir tatsächlich unseren eigenen Ursprung an. Alles, was wir hören, alles, was wir sehen, alles, was wir schmecken, und alles, was wir fühlen, alles, was wir hassen, und alles, was wir lieben, wurde in den ersten drei Minuten des Universums ge-/erzeugt und im Inneren der Sterne geschmiedet. Wenn wir sterben, sind wir nicht weg. Nichts von uns verschwindet. Wir sind einfach nur weniger geordnet. Wir brauchen keinen dreifaltigen Gott, um unsterblich zu sein, die drei Hauptsätze der Thermodynamik reichen vollkommen aus.
*****