SWR2 Wissen Margrit Braszus: Was hilft bei Alzheimer? Streit um die Therapie

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Alzheimer? Streit um die Therapie
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SWR2 Wissen Margrit Braszus: Was hilft bei Alzheimer? Streit um die Therapie

Sendung: Mittwoch, 21. September 2016, 08.30 Uhr
Redaktion: Sonja Striegl Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

MANUSKRIPT
Atmo: akustischer Trenner
O-Ton 1 - Michael Nehls, Arzt und Molekularbiologe:
Die Evolution hat unser Gehirn darauf ausgerichtet intakt zu bleiben solange es nur geht und zu schützen solange es nur geht. Unser Gehirn ist das letzte Organ, was seinen Geist aufgibt. Deswegen ist es vollkommener Unsinn zu behaupten, Alzheimer sei eine Krankheit die automatisch mit dem Alter käme.
O-Ton 2 - Christian Haass, Alzheimer-Forscher:
Alles, was wir momentan sagen können, ist, dass zum ersten Mal eine Therapie dazu geführt hat in einigen wenigen Patienten über einen relativ kurzen Zeitraum den Gedächtnisverlust aufzuhalten und zu verlangsamen.
O-Ton 3 - Konrad Beyreuther, Molekularbiologe:
Bei den manifesten Formen an denen der Patient erkrankt ist, ist ein derartig massiver Nervenzelluntergang zu beobachten. Man kann kein leeres Gehirn therapieren.
O-Ton 4 - Wolfgang Karner:
Wir sind in der Medizin gewohnt, dass Maßnahmen rasch greifen, das passiert bei diesem Konzept nicht. Die Therapie braucht sowohl von dem Arzt als auch von dem Patienten Geduld.
Atmo: akustischer Trenner
Sprecher:
„Was tun bei Alzheimer? - Der Streit um die Therapie der Volkskrankheit“. Eine Sendung von Magrit Braszus.
Autorin:
Alzheimer - das große Vergessen. Meist schleicht es sich ins Leben, so wie bei der 63-jährigen Angela Strecker aus Friedrichshafen:
O-Ton 5 - Angela Strecker:
Ich habe gedacht, was ist passiert? Ich habe doch den Weg immer gefunden. Dann kamen eben im Haushalt Dinge dazu, wo ich ständig in den Keller lief und schaute, was haben wir noch an Gemüse und so weiter. Ich bin ständig nur noch treppauf-treppab gelaufen. Ich habe gesagt, irgendetwas stimmt nicht mehr mit mir. Ich habe nichts mehr zustande gebracht. Es war deprimierend.
Autorin:
Auch ihr Mann Peter Strecker bemerkte die Veränderungen.
O-Ton 6 - Peter Strecker:
Sie hat Termine vergessen. Sie hat zum Teil Namen vergessen von ganz guten Bekannten, oder wenn man jemand getroffen hat, dann wollte sie im Voraus wissen, „wie heißen sie noch mal, sag mir bitte den Namen, mir fällt er überhaupt nicht mehr ein“. Dann kamen die Kinder und sagten: Papa was ist denn eigentlich mit der Mama
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los, die fragt immer das gleiche und vergisst dann trotzdem, was wir miteinander ausgemacht haben.
Autorin:
Die Streckers suchten Rat bei Ärzten. Zunächst wurde bei Angela Strecker Burnout, dann Depression diagnostiziert. Sie wurde von Arzt zu Arzt gereicht.
O-Ton 7 - Peter Strecker:
Dann kam der Schritt zum Neurologen. Davor noch Gehirnuntersuchung, Vitamin D-, Schilddrüsen-Unterfunktion usw. Es wurde abgeklärt, was auszuschließen wäre. Weitere Tests, die dann immer schlechter geworden sind innerhalb von relativ kurzer Zeit. Es ist vermutete Demenz vom Alzheimer-Typ, so lautete die Diagnose. (Zwischenbemerkung - Frau Angela Strecker: Das war ganz schrecklich.) Da wird einem mehr oder weniger auch die Zukunft unter den Füßen weggezogen.
Autorin:
Ehemann Peter Strecker war verzweifelt. Er informierte sich über die Krankheit und erfuhr, dass bei Ausbruch von Alzheimer im Schnitt nur noch sieben Lebensjahre zu erwarten seien und die Krankheit nicht heilbar sei. Damit wollte er sich nicht abfinden und stieß bei der Internetrecherche auf den Arzt Wolfgang Karner, der in Freiburg die erste Alzheimer-Praxis in Deutschland führt. Karner verordnete der Alzheimer-Patientin Angela Stecker keine Medikamente, sondern einen neuen Lebensstil.
O-Ton 8 - Wolfgang Karner, Alzheimer-Arzt:
Und da gehört ganz wesentlich Bewegung dazu, auch Bewegung, wo mal ein Schweißtropfen läuft. Da gehört aber auch Entspannung dazu. Weiterer wichtiger Faktor ist die Ernährung. Der Verzicht auf Zucker, das Reduzieren von Weißmehlprodukten, von Milchprodukten, insbesondere Milchprodukten die Transfettsäuren enthalten. Es gibt einfach Dinge, die sind, ich sage gerne Hirngesund und es gibt Dinge, die sind weniger Hirngesund. Wir wussten schon aufgrund einer amerikanischen Studie, dass erste Verbesserungen manchmal auch erst nach sechs Monaten auftauchen, und bei Frau Strecker waren so die ersten lichten Momente schon nach drei Monaten. Dass sie sich an den Weg hat erinnern können bei den Wanderungen. Dass sie wieder wusste, welcher Vorrat an Nahrungsmitteln im Keller lagert.
O-Ton 9 - Peter Strecker:
Durch diese Therapie hat sich dermaßen viel verändert bei meiner Frau. Wir sind fast jeden Tag unterwegs, machen lange Spaziergänge, schlafen viel länger, das ist ganz wichtig, dass man einfach den Druck aus dem Leben nimmt, also kein Stress. Wir haben die Ernährung umgestellt. Hätte mir früher bei Gott nicht vorstellen können auf meine geliebten Käsespätzle zu verzichten. Aber es geht auch mit Gemüse, mit Fisch, mit Kokosfett. Ich habe mich da vollkommen praktisch angepasst, weil allein, kann das ein Kranker nicht machen. Auch der Partner muss diesen Weg mitgehen. Man versteht sich besser, man kann sich besser rein fühlen, man kann viele Dinge dann auch übernehmen und, was auch noch der Fall ist, man braucht viel Geduld.
Autorin:
Dass Ehemann Peter Strecker bei der vorgeschlagenen Lebensumstellung mitgemacht hat, hat den Erfolg der Alzheimer-Therapie bei seiner Frau beschleunigt.
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O-Ton 10 - Angela Stecker:
Mein Mann unterstützt mich da. Beim Laufen ist das ideal, dann kann er mir wieder Bilder zurückbringen, dann kommt es bei mir wieder schneller, und das ist was Tolles. Ich laufe auch gerne wieder, wir sind viel unterwegs, und da kann man sich so viel erzählen, auch vom früheren Leben. Die Namen von den Personen, die wir treffen, Erinnerungen sind auch wieder gekommen und ich kann auch wieder normal reden, das konnte ich am Anfang auch nicht mehr. Ich bin nur noch außer Haus gegangen, wenn ich niemanden sah, mit dem ich reden musste. Das sind so Dinge, die jetzt gar nicht mehr vorhanden sind. Im Gegenteil, ich kann wirklich meinen Haushalt wieder machen.
Autorin:
Angela Strecker geht es augenscheinlich wieder gut. Die Alzheimer-Symptome sind bei ihr deutlich zurückgegangen. Das wurde nach viermonatiger Therapie durch neurologisch anerkannte Untersuchungen bestätigt.
O-Ton 11 - Wolfgang Karner:
Wir haben Kontrolluntersuchungen bei Frau Strecker, die dieses Ergebnis ganz offensichtlich belegen. Man kann nicht von wissenschaftlichen Beweisen sprechen, das wäre zu früh, aber es gibt Testverfahren, die bei dem externen Facharzt für Neurologie durchgeführt wurden, und die auch bei ihm eine deutliche Verbesserung der Testergebnisse zeigen. Und es gibt ein bildgebendes Verfahren bei dem, bei dem im letzten Jahr bei Frau Strecker sehr rasch fortschreitendem Erkrankungsverlauf sich glücklicherweise ein Stillstand oder vielleicht eine gering gradige Besserung zeigt.
Autorin:
Die 63-Jährige ist die erste Patientin in der Freiburger Alzheimer-Praxis, die geheilt werden konnte. Die Heilungsmethoden, nach denen sie behandelt wurde, beruhen auf den Theorien des Freiburger Arztes und Molekularbiologen Michael Nehls. Er hat über Jahre unzählige Studien zu Alzheimer ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass Alzheimer keine schicksalshafte Alterserkrankung ist, der man ohne Chance auf Heilung ausgeliefert ist.
O-Ton 12 - Michael Nehls:
Wir wissen, dass Menschen extrem alt werden können, ohne Alzheimer zu bekommen, und dass die Natur uns darauf ausgelegt hat, dass wir bis ins hohe Alter geistig fit bleiben können. Und diese Fähigkeit hängt ganz stark davon ab, wie wir unser Leben gestalten. Gestalten wir unser Leben so, wie unser Leben ausgerichtet war über Jahrhunderttausende in der Evolution, dann ist diese Fähigkeit zum lebenslangen Wissen ansammeln erhalten, auch bis ins höchste Alter. Gestalten wir unser Leben aber anders, so wie wir es heute in der modernen Zeit machen, dann entwickeln sich Krankheiten. Alzheimer ist dann eine Krankheit wie jede andere auch, auch ein Herzinfarkt ist altersabhängig, auch ein Bluthochdruck. Krebs-Krankheiten entwickeln sich auf Dauer. Aber der Lungenkrebs kommt nicht, weil wir alt werden, sondern weil wir lange rauchen.
Atmo: akustischer Trenner
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Autorin:
Alzheimer ist eine Form der Demenz, bei der sich Proteine im Gehirn fehlerhaft zusammenfalten und miteinander verkleben. Dies zeigt sich in sichtbaren so genannten Plaques, die in einer Kettenreaktion Nervenzellen im Gehirn absterben lassen. Dieses Eiweiß heißt Beta-Amyloid. Seit Jahren versuchen Forscher, die Klumpen aus dem Gehirn von Alzheimer-Patienten zu entfernen. Für Nehls dagegen ist das Beta-Amyloid eine wichtige Substanz, die dabei hilft, Erinnerungen abzuspeichern.
O-Ton 13 - Michael Nehls:
Gegen dieses Auslöschen von früheren Erinnerungen, dafür ist das Beta-Amyloid da. Deswegen ist unser Organismus darauf angewiesen, eine Balance zwischen Bildung dieses Eiweißstoffs, zum Schutz der Nervenzellen, zu halten, und Abbau dieses Stoffes, wenn die Erinnerung langfristig im Großhirn gespeichert ist. Diese Balance wird dadurch erreicht, dass zum Beispiel im Schlaf dieser Stoff abgebaut wird, so dass man am nächsten Morgen wieder aufnahmefähig ist für neue Erinnerungen im Hippocampus. Und wenn man chronischen Schlafmangel hat, häufig gestörten Schlaf hat, wird dieser Abbau gestört. Dann kommt es zu einer Ansammlung von diesem Eiweißstoff und dann eben zur Verklumpung. Mit der Folge, wenn das chronisch ist, zur chronischen Schädigung des Hippocampus.
Autorin:
Der Hippocampus ist der Teil im Gehirn, in dem Informationen zusammenfließen und zu Erinnerungen verarbeitet werden. Die Erinnerungen werden dann an anderen Stellen des Gehirns abgelegt. Werden die Zellen des Hippocampus geschädigt, können neue Ereignisse nicht erinnert werden. Allerdings können Nervenzellen im Hippocampus sich neu bilden, bei einem 90-Jährigen genauso effektiv, wie bei einem 18-Jährigen, erklärt der Experte.
Atmo: akustischer Trenner
O-Ton 14 - Michael Nehls:
Zu Zeiten, als es noch kein Wikipedia gab und kein Google, da war einfach das Erfahrungswissen der älteren Menschen das entscheidende Kriterium fürs Überleben. Wenn wir diese Fähigkeit außer Kraft setzen, indem zum Beispiel gewisse Mängel in unserer Lebensweise existieren, das kann ein einfacher Vitaminmangel sein, aber auch vielleicht Bewegungsmangel, Schlafmangel, dann verliert der Hippocampus vorübergehend die Fähigkeit, sich zu regenerieren und zu wachsen, und dann kann die Krankheit ausbrechen. Wenn wir aber unsere Lebensweise so umgestalten, dass der Hippocampus wieder seine normale natürliche Funktion übernehmen kann, dann regeneriert er wieder.
Autorin:
Für Nehls ist der Zusammenhang zwischen Ernährung und Lebensstil der ausschlaggebende Faktor bei der Entstehung von Alzheimer.
O-Ton 15 - Michael Nehls:
Wir ernähren uns heute eher auf eine Art und Weise, die zu chronischen Entzündungen führen, auch im Gehirn, und die chronische Entzündung wiederum fördert die Bildung von Beta-Amyloid und verhindert den Abbau. Was braucht unser
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Gehirn? Es braucht genügend Schlaf, dafür muss man halt sorgen, vielleicht mal abends früher den Fernseher ausmachen, wir brauchen soziales Miteinander, vielleicht mehr als nur E-Mails schreiben, sich wirklich einmal mit den Leuten unterhalten, ihnen in die Augen schauen und ein Gespräch führen. Wir brauchen gesunde Ernährung. D. h. die Nebenwirkungen einer gesunden Alzheimer-Therapie ist die, dass der ganze Körper gesundet.
Autorin:
Vor allem Bewegungsmangel kann ein Auslöser für das Absterben von Gehirnzellen sein, sagt Nehls. Sobald der Mensch sich bewege, stelle sich das Gehirn darauf ein, neue Erfahrungen zu speichern. Dies rege die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus an. Bei körperlicher Untätigkeit dagegen bleibe das Gehirn im Ruhemodus und bilde keine neuen Nervenzellen. Das könne auch nicht durch geistige Arbeit, Bücher lesen, am PC sitzen ausgeglichen werden. Das könnte erklären, warum so renommierte Intellektuelle wie der Tübinger Rhetorik-Professor Walter Jens an Demenz erkrankten. Entschieden widerspricht der Freiburger Experte den Behauptungen einiger Forscher, die Verkümmerung des Hippocampus sei nur durch pharmazeutische Wirkstoffe aufzuhalten.
O-Ton 16 - Michael Nehls:
Es ist viel bequemer, eine Pille zu schlucken, als sein Leben zu verändern. Und diese Bequemlichkeit wird uns auch eingedoktort. Man wird zum chronischen Patienten und schluckt ein Leben lang Pillen. Bisher kann ja kein Medikament Alzheimer heilen; außer einer Lebensumstellung. Was die Pille aber kann, möglicherweise irgendwann vielleicht, den Alzheimer-Prozess verzögern. Für die Industrie wunderbar, wir haben statt sieben Jahre Krankheit zehn Jahre Krankheit. Das heißt, zehn Jahre können wir Medikamente verkaufen, aber den Patienten geht es nicht wirklich besser.
Musik
Autorin:
Die Alzheimer-Forschung läuft auf Hochtouren. Ein Fünftel aller Neurowissenschaftler weltweit arbeitet auf diesem Gebiet.
Die Krankheit entdeckte vor 110 Jahren der Frankfurter Psychiater Alois Alzheimer. Das Erinnerungsvermögen seiner Patientin Auguste Deter schien bereits mit 55 Jahren ausgelöscht. Nach ihrem Tod fand er die Eiweißklumpen, die das Gehirn seiner Patientin quasi durchlöchert hatten. Die nach ihm benannte Erkrankung ist eine Alterserscheinung, die unausweichlich ist, davon ist Christian Haass überzeugt. Denn aus dem Amyloid-Vorläuferprotein APP, das in jeder menschlichen Zelle gebildet werde, entstehe durch zwei molekulare Schnitte, giftiges Amyloid-Beta-Peptid. Der Leiter des Münchner Zentrums für neurogenerative Erkrankungen und Leibniz-Preisträger glaubte zunächst, dass dieser Vorgang, der zur Bildung zerstörerischer Plaques im Gehirn führt, nur bei Alzheimer-Patienten stattfindet. Doch Haass konnte giftiges Beta-Amyloid auch im Blut nicht Erkrankter und bei sich selbst nachweisen.
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O-Ton 17 - Christian Haass:
Dieses kleine Eiweiß produzieren wir leider Gottes alle, ständig jeder von uns, auch wenn wir gesund sind. Und dieses Eiweiß hat die dumme Eigenschaft, zu verkleben und diese verklebten Klumpen, die töten nachher Nervenzellen ab. Und im Endeffekt ist es nur eine Frage der Zeit, dass genügend von diesen Klumpen vorhanden sind. Wenn ein Patient verstorben ist, dessen Gehirn voller Plaques war, und er noch keine Alzheimer Symptome zeigte, würde ich sagen, wenn er noch länger gelebt hätte, würde er die entwickelt haben. Das heißt, wir alle haben ein extrem hohes Risiko.
Autorin:
Seit kurzem erst wird die Frage erforscht, durch welche natürlichen Faktoren einzelne Menschen oder ganze Populationen vor Alzheimer geschützt sind. Eine groß angelegte Studie in Island im Jahr 2012 gab Aufschluss:
O-Ton 18 - Christian Haass:
Man hat zum ersten Mal eine Genveränderung gefunden, bei Menschen auf Island, die regelmäßig über Generationen hinweg bis zu 100 Jahre und älter wurden, ohne jegliche Art von Demenz zu entwickeln. Man fand eine Genveränderung, die bewirkt, dass dieses Amyloid weniger gemacht wird. Das ist eine 30- bis 40-prozentige Reduktion, das reicht schon aus, um diese Menschen komplett vor Demenz zu schützen, zeigt aber auch gleichzeitig, dass das Amyloid tatsächlich die Krankheit auslöst.
Autorin:
Man kann Menschen nicht genetisch manipulieren, um damit eine Alzheimer-Erkrankung auszuschließen, sind sich die Forscher einig. Aber Antikörper könnten dabei helfen, die Plaques im Gehirn von Alzheimer-Patienten aufzulösen, um damit den Krankheitsverlauf zu stoppen. Solche Antikörper werden meist im Labor hergestellt und wirken wie ein Impfstoff, erklärt der Münchner Experte:
O-Ton 19 - Christian Haass:
Man impft wie bei einem Virus, Kinderlähmung zum Beispiel, gegen die Plaques, gegen den Hauptbestandteil der Plaques, gegen dieses Amyloid. Diese Antikörper gehen ins Gehirn rein, dort suchen sie sich natürlich genau das, wogegen sie gerichtet sind, sprich die Plaques selber, die Ablagerungen, und markieren die Plaques regelrecht. Und solche markierten Plaques werden dann erkannt von speziellen Fresszellen im Gehirn. Und diese Fresszellen die merken das, wenn da irgendwo was markiert ist, die laufen regelrecht drauf zu, und fressen diese Plaques dann regelrecht weg.
Autorin:
Zwar könnten dabei keine kaputten Nervenzellen wiederhergestellt werden, räumt Haass ein, aber eine Teststudie zeige, dass der Zerfallsprozess für einen gewissen Zeitraum leicht verzögert werden könne.
O-Ton 20 - Christian Haass:
Der Beleg besteht darin, dass man über 52 Wochen hinweg eine verstärkte Stabilisierung des Gedächtnisses erreichen konnte. Je mehr Antikörper man gibt, umso eher wird diese Gedächtnisleistung stabilisiert.
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Autorin:
Mit den neuen Antikörpern, so hoffen Forscher, könne der Durchbruch beim Kampf gegen den geistigen Verfall gelungen sein. Amerikanische und Schweizer Pharmafirmen entwickelten Wirkstoffe, die bestimmte Enzyme der giftigen Eiweißablagerungen ausschalten oder die Gehirnzellen vor ihnen schützen sollen. Eine Studie mit 1300 Patienten zeigte, dass das Denk- und Bewegungsvermögen weniger stark nachließ, als in der Vergleichsgruppe. Insgesamt blieb ein durchschlagender Erfolg der Antikörper aus. Zwar bildeten die Plaques sich zurück, doch der Zustand der Patienten verbesserte sich nicht:
O-Ton 21 - Christian Haass:
Man hat die Plaques entfernen können und trotzdem ist die Krankheit fortgeschritten, was dazu führte, dass man öffentlich die ganze Alzheimer-Forschung heftig kritisiert hat, dass wir alle am falschen Zielmolekül arbeiten. Das Problem an diesen gescheiterten klinischen Versuchen war gewesen, dass man zu spät angefangen hat, und man bei diesen Versuchen erst gelernt hat, dass diese Krankheit extrem früh angelegt wird. Diese Plaques entstehen viel früher als der Gedächtnisschwund überhaupt messbar ist. Man muss in der Klinik sehr sehr früh eingreifen, um überhaupt das Fortschreiten der Erkrankung verhindern zu können.
Autorin:
Die Früherkennung erweist sich als Problem bei der Bekämpfung von Alzheimer. Neueste Forschungen stellen eine Frühdiagnose mittels eines einfachen Geruchstests in Aussicht. Erkrankte können im Frühstadium einfache Gerüche nicht mehr gut voneinander unterscheiden. Darmstädter Forschern ist es gelungen, die typischen Eiweißablagerungen in einem frühen Stadium der Erkrankung in der Nasenschleimhaut nachzuweisen. Nach zuverlässigen Verfahren, die ein frühes Alzheimer-Stadium aufdecken, wird weiter geforscht, so Christian Haass:
O-Ton 22 - Christian Haass:
Es wird vehement danach gesucht, so genannte Biomarker zu finden im Gehirn, Flüssigkeiten im Gehirnwasser oder im Blut, das ist recht schwierig. Es gibt allerdings eine Methode, die recht gut funktioniert, wo man den Patienten in so eine Röhre schieben kann, und so das ganze Gehirn sichtbar machen kann. Und man kann diesen Patienten ein bestimmtes Medikament geben und dieser Stoff setzt sich auf die Plaques drauf und macht die Plaques so im Gehirn sichtbar, und zwar ohne den Patienten in irgendeiner Weise zu schädigen. Da kann man früh erkennen, wann sich Plaques entwickeln im Gehirn.
Autorin:
Diese Methode, mithilfe des so genannten Positronen-Emissions-Tomographen das Alzheimer-Risiko feststellen zu lassen, wird in den meisten großen Kliniken angewendet.
O-Ton 23 - Christian Haass:
Je früher desto besser. Das Risiko steigt ab 50 aufwärts doch deutlich an. Im Prinzip müsste man jeden untersuchen, was natürlich nicht machbar ist. Da diese bildgebenden Verfahren sehr teuer sind.
Musik
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Autorin:
Diese Untersuchung kostet rund 1400 Euro. Etwa ein Prozent der Patienten erkranken bereits zwischen dem 30sten und 55sten Lebensjahr. Sie tragen ein Alzheimer förderndes Gen in sich und haben ein vielfach erhöhtes Risiko, daran zu erkranken. Konrad Beyreuther, Alzheimer-Pionier aus Heidelberg und Entdecker des Beta-Amyloids, hat diese Zusammenhänge zwischen Genetik und Alzheimer 30 Jahre lang erforscht:
O-Ton 24 - Konrad Beyreuther:
Im Augenblick ist es so, dass die Wissenschaft erstaunt ist, dass wir nicht Sklaven unsrer Gene sind. Da gibt's Menschen die erkranken 20 Jahre später, als man erwartet und das sind zum Teil eineiige Zwillinge, die die gleiche Erb-Ausstattung haben, nur die Lebensführung ändert sich. Dann sieht man eben, dass die Lebensführung die ganz große Rolle spielt auch bei ganz schwierigen, in die Krankheit zwingenden Genveränderungen. Wir nennen diese Art Veränderung Epigenetik.
Autorin:
Ob ein Gen aktiviert wird und es dadurch zum Ausbruch der Krankheit kommt, so der Experte, oder ob das Gen blockiert wird, hänge stark mit der Lebensführung zusammen. Bei einem Träger des Alzheimer Gens, der nicht übergewichtig ist, und keinen Bluthochdruck hat, springe das Gen gar nicht an.
O-Ton 25 - Konrad Beyreuther:
Ich schau mir jeden Tag 30 Veröffentlichungen an und da kommt eben ganz klar raus, dass 30 Prozent von Alzheimer durch die Lebensführung bedingt sind, etwa 69 Prozent haben etwas zu tun mit erblicher Belastung, die aber eben auch durch die Lebensführung kontrollierbar ist, und nur etwa ein bis 0,1 Prozent ist ganz schwierig zu handhaben, es gibt etwa 1000 Menschen in Deutschland, die in die Krankheit gezwungen werden, aufgrund eines Erbdefekts.
Autorin:
Der renommierte Alzheimer-Forscher hat jahrzehntelang nach einer medikamentösen Therapie gegen Alzheimer gesucht. Davon ist er abgekommen. Denn inzwischen steht für ihn fest, dass Alzheimer zu den Zivilisationskrankheiten gehört, wie Diabetes, Bluthochdruck und Krebs. Auch bei diesen Krankheiten spiele die Lebensführung eine wesentliche Rolle und nur zu einem gewissen Prozentsatz die genetische Veranlagung. Beyreuther geht davon aus, dass von den 1,5 Millionen Alzheimer-Fällen in Deutschland, 700 000 auf Risikofaktoren zurückzuführen sind.
O-Ton 26 - Konrad Beyreuther:
Diese sieben Risikofaktoren kennt jeder. Sie sind fast identisch mit denen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Das ist erst mal mangelnde Bewegung, zweitens die Depression, die Antriebsschwäche wenn man sich ins Bett legt und die Decke über den Kopf zieht, sich nicht bewegt und nicht denkt, das ist nicht gut für das Gehirn. Drittens ist das Bluthochdruck, das Herz wird gebraucht. Dann kommt Übergewicht, heißt wir essen zu viel, verbrennen zu viel Nahrung wir produzieren zu viel aggressiven Sauerstoff, der nächste Risikofaktor ist geistiges Uninteresse also keine Neugierde. Der nächste Risikofaktor ist Rauchen, der letzte Diabetes, weil das
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Gehirn eben nur vom Zucker lebt und wenn man unterzuckert ist, was bei Diabetes gelegentlich passiert, ist das nicht gut für die Nervenzellen.
Autorin:
Dass tatsächlich die Lebensweise bei der Entstehung von Alzheimer entscheidend ist, konnte der Heidelberger Forscher durch ein Experiment mit Labormäusen nachweisen: Eine Mäusegruppe bekam Laufräder in den Käfig gestellt, jede Woche neues Spielzeug, Baumaterial und sie bekam abwechslungsreiche gesunde Nahrung. Die Vergleichsgruppe im langweiligen Laborkäfig hatte nur wenig Stroh, eine Trinkflasche und im Fressnapf das normale Tierfutter.
O-Ton 27 - Konrad Beyreuther:
Wenn man diese dann vergleicht mit den Mäusen, die ein schönes Ambiente haben, dann erkranken die Mäuse in dem schönen Ambiente viel später. Das war eigentlich der erste wirklich ganz überzeugende Ansatz. Dann hat man bei den Menschen geschaut, wie sieht es denn bei den Menschen aus, die sich fünf Mal in der Woche bewegen, wie schaut es mit den Veränderungen im Gehirn aus, das kann man ja heute alles messen. Man will frühzeitig sagen: Mädchen, Junge, Du musst was tun.
Autorin:
Messbare Verbesserungen bei der Alzheimer-Erkrankung ließen sich beispielsweise durch die Finger-Studie nachweisen, die 2015 in Finnland veröffentlicht wurde. An 1260 Menschen mit Risikofaktoren Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht wurde getestet, ob ein vielseitiges und ganzheitliches Gesundheitsprogramm vor Alzheimer schützen kann. Eine Hälfte der Probanden wurde über zwei Jahre lang zu einem gesunden Lebensstil angeleitet, mit mediterraner Ernährung, viel Sport und Gedächtnistraining. Das Ergebnis war signifikant: Nach zwei Jahren schnitten diese Probanden in der Gedächtnisleistung um 150 Prozent besser ab als die Kontrollgruppe, die ihre Lebensführung nicht verändert hatte.
Musik
Autorin:
Vor einem Jahr prognostizierte die Londoner Organisation „Alzheimer Disease International“, dass sich die Zahl der Alzheimer-Kranken bis zum Jahr 2030 weltweit verdoppeln werde auf dann 74 Millionen; im Jahr 2050 könnten es sogar über 130 Millionen sein. Die steigenden Kosten zur Behandlung der Erkrankten seien eine Herausforderung für Gesundheits- und Sozialsysteme, warnten Experten im jüngsten Welt-Alzheimer Bericht 2015: So koste etwa in Deutschland die Behandlung eines Alzheimer-Patienten zwischen 25.000 und 43.000 Euro pro Jahr.
Doch entgegen der Prognosen zeichnet sich in Deutschland eine andere Entwicklung ab.
O-Ton 28 - Konrad Beyreuther:
Bei Alzheimer geht die Zahl der Neuerkrankungen zurück. Und das hat wahrscheinlich mit dem Risikofaktor Herzkreislauf zu tun. Wir wissen heute, dass die Menschen sich mehr bewegen, mehr auf Ihr Gewicht schauen, auf ihr Cholesterin schauen und wir sprechen von einer kardiovaskulären Revolution. Und die
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Konsequenz scheint zu sein, dass die Zahl der Neuerkrankungen bei Alzheimer um 20 % zurückgegangen ist in den letzten 20 Jahren.
Autorin:
Und das ganz ohne Medikamente, ohne irgendwelche Pillen und ohne teure Therapien. Wichtig und entscheidend ist die Aufklärung darüber wie Alzheimer entsteht, und wie man selbst gegensteuern kann, davon ist Molekularbiologe Michael Nehls überzeugt. Seine Theorien und Erkenntnisse zur Erkrankung, die im Juli 2016 in der medizinischen Fachzeitschrift „Journal of Molecular Psychiatry“ veröffentlicht wurden, macht er auch in Vorträgen publik - wie zum Beispiel in Karlsruhe.
O-Ton 29 - Michael Nehls, Vortrag in Karlsruhe:
Hippocampus kennen Sie jetzt schon, allerdings von einer lebenden Person, … das ist ein sogenanntes Kernspin- oder Magnetresonanztomographie, da kann man in Scheiben geschnitten sehen, 74-Jährige können ihren Hippocampus genauso wie ihre Muskeln um 2 % wachsen lassen. (blenden)
Autorin:
Auch mit Buchveröffentlichungen: „Die Alzheimer-Lüge“ und „Alzheimer ist heilbar“, hat Nehls vielen Menschen einen Anstoß gegeben, sich über Alzheimer und die eigene Verantwortung dafür Gedanken zu machen. Mittlerweile füllt der Freiburger Arzt und Molekularbiologe mit seinen Vorträgen im ganzen Bundesgebiet große Säle. Seine Thesen und Belege dazu sind für viele Menschen überzeugend.
O-Ton 30 - Umfrage:
Frau: Absolut, davon bin ich überzeugt, tiefst überzeugt. Ich bin davon überzeugt, dass diese Weise, wie er das behandelt, dass das die Therapie ist, die wirkt und hilft: Die Bewegung, die sozialen Kontakte und dann eben Dinge wie Vitamin B12 als Nahrungsergänzung zu sich zu nehmen, Vitamin D-Mangel unter dem wir fast alle leiden. Das sind die wichtigsten Eckpunkte, die ich sehe.
Mann: Ja, das hat mich schon alles überzeugt, was er gesagt hat.
Frau: Man kann ja nix falsch machen, wenn man‘s ausprobiert. Irgendwo ist es einleuchtend, find ich, was er erzählt, die Ernährungsfrage auf jeden Fall, und auch die ganzen Vitamine. Ich kann mir schon vorstellen, dass es stimmt. Ich würde es machen, wenn ich es brauche.
Frau: Was ich mitnehme? Was kann man ändern, ich werde mich noch mehr bewegen. Und sein Buch werde ich auch studieren. Dann werde ich es weiter verbreiten in meiner Nachbarschaft. Fürs Vorbeugen kann man’s ja jedem erzählen.
Autorin:
Aber Michael Nehls hat nicht nur Anhänger. Seine Veröffentlichungen provozieren auch. Pharmaindustrie und einige der Alzheimer-Forscher stellen sich öffentlich gegen seine Thesen. Doch von Anfeindungen lässt er sich nicht beirren.
O-Ton 31 - Michael Nehls:
Was hat sich geändert in den letzten hundert Jahren? Wir sind immer mehr zu einer industrialisierten Gesellschaft geworden. Das Geld steht im Vordergrund, es geht um Umsätze. Um Gewinne, Aktienpreise. In der Medizin ist das nicht anders wie in jeder anderen Industrie. Und natürlich verdient niemand Geld daran, wenn er jemanden auffordert: Beweg dich mehr, iss weniger Wurst, und sorg dafür, dass du
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Schlafhygiene hast, mit der du nachts mal acht Stunden wirklich ruhig schläfst. Wir sind so auf Konsum getrimmt. Das durchzieht alle Lebensbereiche.
Autorin:
Die wesentliche Erkenntnis der neuen Alzheimer-Forschung ist demnach, dass der Lebensstil entscheidend ist. Angela Strecker, die an Alzheimer erkrankt war, ist dem Ratschlag gefolgt, sich auf eine natürliche, gesunde Lebensweise umzustellen. Sie und ihr Mann Peter haben sich gemeinsam auf einen Neuanfang eingelassen und waren bereit, für die ärztliche Unterstützung ein paar tausend Euro aus eigener Tasche zu bezahlen. Und es hat sich gelohnt.
O-Ton 32 - Angela Strecker:
Jetzt geht es mir wunderbar, es hat sich ganz viel verbessert. Ich kann meinen ganzen Haushalt alleine machen. Ich mache wieder neue Rezepte. Es ist ein ganz anderes Leben wieder. Man kann sich freuen und lachen. Man ist nicht mehr in diesem Loch, sondern es geht nach oben und das ist so toll. Ich fühle mich wieder ganz normal.
O-Ton 33 - Peter Strecker:
Diesen Weg gemeinsam zu gehen. Der Partner sieht mehr, was sich verändert. Das geht wieder besser. Das muss man sehen und ansprechen und daran festhalten. Man merkt, es geht aufwärts und nicht mehr abwärts.
Atmo: akustischer Trenner
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