SWR2 Feature : Kurt Kreiler: Leben für den Klang - Von der Kunst und den Tücken des Instrumentenbaus . Kurt Kreiler porträtiert Geigenbauer Stefan-Peter Greiner
Leben - Klang (K. Kreiler)
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-ds-swr2-15-1Leben für den Klang
SWR2 Feature : Kurt Kreiler: Leben für den Klang - Von der Kunst und den Tücken des Instrumentenbaus . Kurt Kreiler porträtiert Geigenbauer Stefan-Peter Greiner
Sendung: Sonntag, 18. Januar 2015, 14.05 Uhr
Redaktion: Gerwig Epkes
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2015
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
INHALT
Leben für den Klang
Von der Kunst und den Tücken des Instrumentenbaus
Ein Feature von Kurt Kreiler
O-TON 1 Arbeit des Stimmens am Cembalo
O-TON 2 Zander
Ich führe jetzt die minimalste mir mögliche Bewegung aus: Und das ist dann auch
meistens genau das, was es braucht. - Wenn man gerade aus der Badewanne
kommt, ist das kein Problem – aber im Winter...
(KLANG Ende)
Und man hält sich nicht länger auf als nötig.
Man sagt, Bach brauchte zehn Minuten für ein Instrument mit zwei Registern.
O-TON 3 Zupfgeräusch an Geigensaiten
O-TON 4 Greiner
Wenn man nachts mit der Stradivari durch den Kölner Bahnhof geht und von
irgendeinem Obdachlosen angesprochen wird: Hast du da deine Stradivari drin in
dem Kasten? Dann –ich hab immer den billigsten Geigenkasten genommen, wo ich
die Stradivari reingepackt habe, weil ich dachte, das macht mich sicherer- dann hab
ich natürlich gesagt, klar ist da meine Stradivari drin!
O-TON 5 Klopfen auf ein Holzplättchen, Nachhall
O-TON 6 Ahrend
Ich hatte hier auch mal einen Mitarbeiter, der war fünf Jahre bei uns, wertvoller
Mitarbeiter, guter Mitarbeiter, der konnte alles, und zwar auch ziemlich gut, der
konnte auch Pfeifen machen. Was uns im Endeffekt die Trennung dann beschert hat,
war, dass er sehr kreativ war. Der wollte die Orgel eigentlich von A bis Z bauen.
Wenn der jetzt 30 Jahre hier nur Windladen bauen soll, dann wird er sich selber,
werde ich ihm nicht gerecht. Und so muss man also aufpassen, dass man nicht zu
viele Häuptlinge und auch ein paar Indianer an Bord hat.
O-TON 7 Klopfen auf ein zweites Holzplättchen, Nachhall
O-TON 8 Zander
Man ist z.B. verführt, ein Brettchen von Fichtenholz zu holen und dann zu sagen, ah
hör mal: bomm. Und dann schwingt das natürlich so. Ist auch schön, wenn’s das tut.
Ist auch nicht schön, wenn’s das nicht tut. Aber erst die Verrücktheit dessen, was in
der Saite geschieht, gibt dem Holz die Idee.
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Hier – ich seh natürlich, ob man’s mit nem härteren oder weicheren Holz zu tun hat.
Rot - diese roten, diese Spätholzanteile sind Härte. Dann ein breitjähriges ist eher
weich. Hier zum Beispiel:
(KLANG)
Das ist natürlich schön, ist auch sauber in sich -
und es klirrt auch schön (KLANG) –
so, das ist jetzt mal kleiner (KLANG) – auch schön -
es gibt auch welche, die klingen richtig falsch, hier zum Beispiel (KLANG) -
das ist wie zwei benachbarte Töne – KLANG
der ist nicht rein – da, würde man sagen, ist ein Wolf drin.
A:
Burkhard Zander – Claviermacher, wie neben der Klingel zu seiner Werkstatt zu
lesen ist.
O-TON 9 Arbeit des Stimmens. Akkorde auf dem Cembalo
Zitatorin:
Für mich war’s, als atmete ich ab sofort puren Sauerstoff.
Warum? Das Cembalo zwingt zu höchster Präzision. Der gezupfte Klang des
Cembalos ist präziser als der gehämmerte des Klaviers oder der breite, geblasene
der Orgel. Er ist sofort da, unbestechlich, klar. Man kann nichts verschönern, man
kann auch nichts mit Pedal übertünchen, es fordert unerbittliche Ehrlichkeit. Vielen ist
der Klang zu mager, weil sie in der Musik Sentiment und Romantik suchen, aber für
mich ist Sentiment Brei, Chaos und Betrug. -- Petra Morsbach, Der Cembalospieler.
2008.
O-TON 10 Zander
Ich baue ja nicht nur Cembali, ich baue ja auch Clavichorde, und das drückt so ein
bisschen aus, dass Tasteninstrumente hier gebaut werden, die sehr variieren. Das
Wort „Cembalobauer“ gibt es so nicht, aber den Claviermacher, den hat’s gegeben.
Claviermacher, ich meine, wenn das Clavier mit C geschrieben wird - man benennt
damit jemanden, den es wirklich gegeben hat, nämlich den Hersteller von
Clavichorden.
(MUSIK:
Gerald Hambitzer spielt Bach auf dem Clavichord)
O-TON 11 Zander
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Das Spielen und das Bauen durchdringt sich derartig - Man kann nicht sagen, bis
hierhin arbeite ich und ab da spiele ich. Man kann vielleicht sagen: Es schält sich so
ganz langsam heraus, mit wem man es da zu tun hat. Wer ist denn das da? Bei
Pinocchio ist das doch so. Der schnitzt da diesen Burschen und irgendwann kommt
der Moment, wo der ein Auge zwinkert oder ihn anschaut oder so. Das ist ja auch ein
schöner Vorgang: Man macht sich viele Gedanken, hat seine Pläne und beginnt
dann tatsächlich mit der Herstellung eines Kastens, eines Gehäuses und so weiter.
Und so wie man ein paar Bretter verleimt und zu einem Gefäß verbindet, entsteht
schon so dieses, beim Anklopfen, so das Geräusch: aha, der Klopfton des Holzes
verstärkt sich, je mehr Teile angesetzt sind. Entsprechend kommt dann irgendwann
diese Membran, der Resonanzboden da rein und dann noch später die Saiten, erst
eine Saite, dann mehr. Man fasst es ja dauernd an und spürt natürlich ständig, dass
da sich mehr und mehr etwas regt.
Es ist eher so, dass man schon mal ins Schlingern kommt, wenn’s dann fast fertig ist
und man so ein bisschen das Maß verliert dessen, was man da vor sich hat - da ist
dann vielleicht mal ein Abstand nötig, um dann, na ja, meistens dann am nächsten
Morgen wieder frisch ranzugehen. So.
(MUSIK Ende)
A:
Ein ebenerdiges Werkstattgebäude in Köln-Deutz, versteckt hinter Sozialbauten,
stillgelegter Industrie und einer Durchgangsstraße. Werk- und Wohnstatt zugleich,
ein kleinerer und ein großer, langgestreckter Raum – darin Lagen von Holz, die
Hobelbänke, eine Maschine zum Zuschneiden, eine zum Bohren, zwei Cembali in
Bau, das größere spielfertig, aber noch unbemalt - eine schwarze Katze. Zander,
Jahrgang 1958, rotgelockt und kräftig, baut erlesene Cembali nach Vorbildern des
17. und 18. Jahrhunderts für Auftraggeber aus dem Bereich der Alten Musik.
O-TON 12 Zander
Hat sich destilliert.
KK:
Woraus?
Zander:
Sagen wir mal, die Quersumme von verspürten Neigungen, den Versuchungen
erlegen sein und die Dinge da zusammenzubringen – also Die Musik und das
Handwerk. Das sind ja, kann man ja sagen, die zwei Grundbestandteile. Da zu
lokalisieren, wo es losgeht: bei der Tonerzeugung.
(KLANG)
Das Clavichord:
der Finger klebt an der Saite förmlich – der Tastendruck muss aufrecht erhalten
werden, weil der Ton sonst verschwindet. Das ist der große Unterschied: wir haben
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beim Hammerklavier und beim Cembalo eine Auslösung. Das ist, dass das
mechanische Element von der Saite weg sein muss, damit die Saite frei schwingen
kann. Der Hammer muss zurückfallen; der Kiel zupft und lässt die Saite in Ruh. Hier
ist das Gegenteil: wir stossen gegen die Saite – und in diesem Moment wird auch die
Länge der Saite bestimmt. Das Ende meiner Taste definiert die Saitenlänge. In dem
Moment.
(KLANG)
Der Tonumfang ist nicht gering.
(TONLEITER)
Dazwischen liegt ne Menge Musik.
A:
Ob es ihn von Anfang an hingezogen hat zu den Tasten-instrumenten?
O-TON 13 Zander
Das mit dem Harmonieinstrument, das war wirklich eine ausgemachte Sache – also
der Klavierunterricht und der Genuss beim Klavierspiel. Das Hineinhören in Klänge:
und wirklich Harmonien hervorzubringen, was ja des Klavierspielers Geschäft ist -
gleichzeitig immer verbunden mit der Neugier: was ist hinter dem Deckel? Dieses
Spielwerk sich anzuschauen und irgendwie die Materialität des Instrumentes
gleichzeitig zu empfinden, nicht nur die Musik kennenzulernen, sondern den
Gegenstand so als handwerklich interessiertes Kind zu erforschen.
A:
Und wie er Gelingen und Misslingen seiner Arbeit heute beschreiben würde --
O-TON 14 Arbeit des Stimmens
O-TON 15 Zander
Die Sache passt ein bisschen auf sich selber auf. Ich schaffe eine Umgebung, in der
sich physikalische Ereignisse gemäß den Gesetzmäßigkeiten der Natur ereignen.
Wenn ich eine Saite gleichmäßig gezogenen Drahtes spanne und in Schwingung
versetze, dann bildet sie von sich aus regelmäßige Unterscheidungen und
Schwingungsmuster, die wir dann auch als Obertöne bezeichnen. Die produziere ich
nicht. Ich schaffe nur ein System, wo dieses Prinzip angestoßen wird.
(KLANG Ende)
Also zum einen:
So viel kann ich gar nicht falsch machen. Zum anderen kann ich aber schon mit
meiner besonderen Auswahl und Sorgfalt etwas erzeugen, was so, sagen wir mal,
teilbewusst in die Richtung geht, dass es auch dem entspricht, was mir gefällt, und
eine gewisse Konstanz in den Ergebnissen sich abzeichnet, die eine Mischung ist
aus den Naturvorgängen, die ich provoziere - mit Färbungen, die auf meine ganz
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persönlichen Vorlieben und Entscheidungen und Erfahrungen da und dort
zurückgehen. Und das ist natürlich schon sehr erfreulich.
A:
Das Herzstück eines Cembalos oder Clavichords ist der Resonanzboden, gefertigt
aus miteinander verleimten dünnen Brettern aus Nadelholz.
O-TON 16 Zander
Ich muss, wenn ich den Resonanzboden einleime, das Gefühl haben, er widersteht
dem Druck der Saiten und verformt sich nicht oder nur sehr wenig. Ich muss aber
auch wissen, dass er sich von der Schwingung der Saiten bewegen lässt. Das ist
dann so, wie wenn zwei zum Tanz gehen. Wenn der Resonanzboden zu dünn ist,
dann läuft das davon. Dann gibt das einen kurzen, sehr lauten, unedlen Ton.
O-TON 17 Improvisation auf dem Cembalo
[oder Cembalo-Musik]
O-TON 18 Zander
Beim Cembalo haben wir an Resonanzbodenfläche einen halben Quadratmeter,
aber aufgeteilt in ein sehr kurzes und ein sehr langes Stück – bis zu zwei Meter groß.
Was dann mit Rippen von der Unterseite auch stabilisiert wird, damit der Boden nicht
durchhängt. Diese große Fläche Resonanzboden: eine Membran, die auf einem sehr
lang gestreckten Steg alle Saiten passieren lässt. Alle Saiten sind fest verbunden
durch Druck und Anlehnung an Stifte - was man auch die Harfe nennen könnte: eine
große Fläche von relativ dünnem Fichtenholz, die im Hauptsächlichen dazu in der
Lage ist, die extreme Periodizität des Saitengeschehens hörbar zu machen wie ein
Brennspiegel – d.h. eigentlich ist das Holz ein wunderbar geeignetes Material für
diesen Vorgang, aber bringt wenig mit, was diesen Vorgang auslöst.
O-TON 18 kleines Zwischenspiel auf dem Clavichord
O-TON 19 Zander
Also wenn der Resonanzboden so in der Hand liegt und man biegt ihn ein bisschen
und merkt, oh, der ist aber noch steif oder –
Also sagen wir mal so, ich kann ja Geheimnisse verraten, man muss es ja doch tun:
die Stärke des Resonanzbodens liegt in einem Bereich, wo man das mit zwei
Händen schon sehr gut biegen kann, also nicht mehr ganz starr. Und dann gibt es
sowas: wenn man biegen kann und es bietet überhaupt keinen Widerstand, dann ist
es zu dünn. Wenn man es aber biegen will und es will nicht mit, dann ist es noch zu
steif. Und das Ganze spielt sich ab zwischen zwei und vier Millimetern.
(MUSIK:
Isabelle van Keulen spielt Ysaye)
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Zitatorin:
Erst klagte das Klavier wie in Verlassenheit gleich einem Vogel, der seine Gefährtin
vermißt; die Geige hörte und gab Antwort von einem benachbarten Baum. Es war
wie nach der Erschaffung der Welt, als gäbe es noch nichts als diese beiden auf
Erden. – Marcel Proust: Eine Liebe von Swann. 1919.
O-TON 20 Greiner
Der zentrale Weg war bestimmt die Musik. Die Begeisterung für den Klang der
Geige, für die Musik, die man mit der Geige produzieren kann. Die hat mich erst mal
dahin geführt, dass ich Geiger werden wollte. Also über das Geigenspiel, bin ich zum
Geigenbau gekommen. Der ursprüngliche Wunsch von mir war natürlich,
Geigenspieler zu werden. Und da war ich einfach nicht gut genug. (MUSIK Ende)
O-TON 21 Greiner
Und eben diese andere, parallel dazu laufende Passion von mir war tatsächlich das
Handwerkliche. Dass ich gern mit Holz gearbeitet habe, dass ich gerne geschnitzt
habe, dass ich gern Modellbau gemacht habe, Boote gebaut habe, Flugzeuge
gebaut habe, und ich dann diese beiden Leidenschaften, das heißt, das Geigenspiel
oder die Musik und das Handwerkliche verbunden habe und mit 14 Jahren meine
erste Geige gebaut habe, autodidaktisch, die ich also quasi mit Schreinerwerkzeug
und Bastlerwerkzeug und Holz aus einer Schreinerei, die ich dann also, über ein Jahr
hat sich das hingezogen, die erste Geige habe ich dann eben fertiggestellt nach
einem Jahr mühevoller Arbeit.
A:
Stefan-Peter Greiner, Jahrgang 1966, betreibt eine renommierte Geigenbauwerkstatt
in London. Manchmal kehrt er zurück nach Bonn, wo ich ihn in der alten Werkstatt
besuche. Der große Raum ist leer bis auf zwei Stühle und einen Tisch. Darauf ein
Glas Wasser.
O-TON 22 Greiner:
Es gibt ein paar Bücher, die einem auch das zeigen, wie man eine Geige baut. Aber
natürlich, ein Buch kann nie das vermitteln, was ein Lehrherr einem vormachen kann.
Das heißt, die ersten Geigen waren natürlich aus heutiger Sicht fragwürdige Geigen.
Also weder baulich noch klanglich waren die irgendwie brauchbar, aber für mich so
wichtig, dass ich alle aufgehoben habe. Die habe ich noch unten hängen, und – sie
sind auch unverkäuflich, aus zweierlei Gründen. Einmal will sie niemand kaufen, zum
anderen würde ich sie nie verkaufen wollen. Aber es hat mich gepackt. Es war eine
kleine Stadt in der Pfalz, die darüber berichtet hat in der Regionalzeitung, dass ein
junger Mann Geigen baut. Und das hat mich dann schon irgendwo verpflichtet,
weiterzumachen, weil ich dann der Geigenbauer war.
A:
Greiner gehört heute zu den weltweit begehrtesten Geigenbauern. Seine Instrumente
konkurrieren mit denen der alten italienischen Meister.
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O-TON 23 Greiner
Ich hab die Schule nur deswegen fertig gemacht, weil ich keine Lehrstelle gefunden
habe gleich. Weil es eben damals sehr schwer war, überhaupt eine Lehrstelle zu
finden. Man hat im Grunde ein Prozent genommen der Bewerber. Ich bin aber eher
jemand, der dann erst recht, wenn man Steine in den Weg gelegt bekommt, dann
erst recht den Weg gehen möchte. Das ist ein bisschen mein Charakter, dass der
Widerstand, der mir entgegengesetzt wurde, mich eher noch stark gemacht hat.
(MUSIK:
Kim Kashkashian unterrichtet Brahms)
O-TON 24 Greiner
Ich hab hier in Bonn gelernt bei einem Geigenbauer, der auf meine Frage, warum er
mich denn genommen hat, weil ich habe eben, wie gesagt, viele Ablehnungen vorher
bekommen auf meine Anfrage, und er hat mir dann – ich hab dann mir eine Antwort
erhofft, die in die Richtung ging, weil ich talentiert bin und weil ich irgendwie schon
schöne Geigen vorher gebaut habe. Aber seine Antwort war, ich hätte seiner Frau
gut gefallen. Vom Endergebnis spielt das dann ja doch keine Rolle, aber das war
eine sehr schöne Antwort.
(MUSIK Ende)
O-TON 25 Greiner
Er konnte es mir nicht erklären, wie man gute Geigen baut, aber er konnte immer
kritisieren und sagen, das ist nicht gut. Das heißt, er hat einfach ein fantastisch gutes
Auge gehabt - einen Weg konnte er mir nicht beschreiben, aber das Ziel konnte er
mir recht gut vorgeben. Von daher ging im Grunde dieser ganze autodidaktische
Anfang, den ich hatte, ging dann weiter auch während der Lehre. Und vielleicht auch
ein Segen in meinem Fall, weil ich mir die Dinge selbst erarbeiten musste und von
daher nicht auf einem schon vorgefertigten Pfad gegangen bin, sondern mir meinen
Weg eben selbst gemacht habe. Deswegen bin ich vollkommen frei von Traditionen
und Konventionen habe ich meinen Geigenbau für mich selbst entwickelt.
Wir sprechen über den Anfang, über die ersten Geigen, die ich gebaut habe und
Leuten gezeigt habe. Kalte Finger, Angst – also auf keinen Fall dieses souveräne
Auftreten, dass ich gesagt hab, guck mal, was für eine tolle Geige ich gebaut habe.
Sondern der Musiker nimmt die in die Hand, guckt die an, spielt darauf, und dann
höre ich, ob sie gut ist oder nicht, und merke, kommt der damit klar oder nicht. Dann
stellt sich eine Erleichterung ein.
(MUSIK:
Christian Tetzlaff spielt Bach, Sonata No.3, Adagio)
O-TON 26 Greiner
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Und ich war dann auch dreist und hab dann gefragt, darf ich auch mal Ihre Stradivari
spielen? Darf ich die beiden mal vergleichen, dass ich dann auch erlebe, wo ist der
Unterschied? Warum kritisieren Sie meine Geige, warum tauschen Sie die nicht
einfach um und spielen morgen anstatt mit der Stradivari die Greiner? Woran liegt
das? Können Sie es mir vormachen, kann ich selbst erfahren, darf ich vergleichen?
Und da war viel Hilfe von Leuten wie Shlomo Mintz und Perlman und die ganzen
berühmten Geiger, Gideon Kremer – und die waren eigentlich alle meine Opfer am
Anfang. Und die zentrale Figur für mich war dann tatsächlich der Christian Tetzlaff,
der natürlich ein sehr mutiger, innovativer junger Geiger ist, der einfach gesagt hat,
ich setze mich über diese Konventionen hinweg, ich muss keine Stradivari spielen.
(MUSIK Ende)
(Klangfigur auf der Orgel)
Zitator:
Vor langer Zeit, ich war noch ein Kind, nahm ich mit einem riesigen Schlüssel in der
Hand den Weg auf die Orgelempore. Die schwere, knarrende Tür und der
verwinkelte Stiegenaufgang waren für mich bereits der Prolog für ein langes Gedicht
von der Materie. Die Orgel zu betasten wie den Hals eines Pferdes - mit dem Auge
ein Bruchstück einer Skulptur zu erfassen, in deren Mitte sich eine majestätische
Zinnpfeife erhebt - mit der Ferse oder der Zehenspitze die glatte, schimmernde Latte
des Pedals zu berühren, abgenützt durch den Abrieb des Dis - oder einen jener
Knöpfe aus Elfenbein in die Hand zu nehmen, die zum Abruf der Klangfarben
bestimmt sind: all dies war die Begegnung mit dem alterslosen Tier. – Jean Guillou:
Erinnerung und Vision. 1984.
O-TON 27 Ahrend
Was wir jetzt hören werden und gar nicht hören wollen, der Henny setzt sich schon
den Ohrenschützer auf, ist das Runden dieser --
O-TON 28 In der Pfeifenwerkstatt wird eine Pfeife durch Schlagen gerundet
A:
Hendrik Ahrend in der großen sonnendurchfluteten Werkstätte in Leer.
(KLANG Ende)
O-TON 29 Ahrend
Das ist ja so, ich bin hier gegenüber geboren, das heißt, diese Orgelbauwerkstatt war
von Anfang an meine Heimat. Ich bin hier oft gewesen, dieses, wir haben das gerade
gehört, das Schlagen der Pfeifen, das ist ein Geräusch, was ich mit meiner Kindheit
verbinde, weil das hört man ja bis draußen. Man spielt draußen und hört dann
ständig dieses Schlagen von dem Ausformen der Pfeifen. Wenn man irgendwas
basteln wollte, kam man hierher, hielt die Mitarbeiter von der Arbeit ab und hat sich
eben sein – was weiß ich – seinen Gewehr- oder Pfeil-und-Bogen-Zuschnitt hier
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irgendwie zurechtgemacht und hatte hier im Holzlager zum Teil verbotenerweise
Verstecken gespielt, und nahm diesen Geruch wahr von allem, was damit … ja, also
frisches Holz, trockenes Holz und Erde und so. Das sind alles ganz heftige
Erfahrungen, ich denke jetzt gerade an dieses Holzlager, aber auch hier in der
Werkstatt, alles bekannte Sachen.
So habe ich erst mal Orgelbau gelernt, völlig ohne Zwang, also ich kann mich nicht
erinnern, dass mein Vater mal irgendwas gesagt hatte, außer als ich ihn mal fragte,
was kannst du mir denn raten, und da hatte eben bloß die eine Antwort parat, und
das hat er aber nie betrieben. Ich habe dann hier gearbeitet nach dem Abitur, und
habe dann schließlich eine Lehre gemacht beim Johannes Rohlf im Schwarzwald,
ein ganz hervorragender Meister, einige Jahre, bin dann auch mal wieder zurückgekommen,
und war dann hier wieder im Betrieb, aber alle Mitarbeiter und auch mein
Vater erschienen so jung, und ich kam mir so ein bisschen vor wie der Lehrling mit
entsprechenden Rechten, aber auch mit Pflichten des Nachfolgers, und das war für
mich eine Zeit lang bedrohlich. Und dann habe ich noch mal was ganz anderes
gemacht, habe noch mal studiert und bin Mitte der 90er-Jahre wiedergekommen,
konnte das viel mehr wertschätzen und habe dann also 2000 die Meisterprüfung
gemacht und bin schließlich hier als Nachfolger immer mehr tätig geworden.
Mein Vater hat so einen großen Schatten geworfen, und wenn man das nicht so
recht versteht, das Ganze, was damit zusammenhängt, dann ist das ein, ja, schon
eher bedrohlich. Jetzt, wo man das ein paar Jahre gemacht hat, kann man ziemlich
gut einschätzen, wo waren denn seine Stärken und seine Schwächen, die jeder
Mensch natürlich hat, und dann ist das Ganze ein bisschen menschlicher.
A:
Anders als Zander und Greiner ist Hendrik Ahrend, Jahrgang 1963, kein
Alleinarbeiter. Er hat im Jahr 2005, nach Jahren des Studiums und der Mitarbeit, die
Werkstatt seines Vaters Jügen Ahrend übernommen, der sie 1954 gründete und zu
Weltruhm führte. Jürgen Ahrend ging als erster Orgelbauer der Nachkriegszeit den
Weg zurück zu den alten Meistern der Barockzeit, deren Techniken er studierte und
deren Werke er kundig restaurierte oder aus der Asche neu erstehen ließ.
O-TON 30 Ahrend
Mein Vater hat eben zwei Dinge - eigentlich einen untrüglichen Sinn für Qualität, was
das Klangliche angeht, aber auch ein sehr gutes technisches Verständnis. Er denkt
sich rein in den alten Orgelbauer und sieht diese Pfeifen vor sich – man muss sich ja
vorstellen, kein Mensch auf der Welt hatte je so viele alte Pfeifen gesehen, also vom
heutigen Standpunkt aus, gesehen wie mein Vater. Niemand, zu keiner Zeit. Und das
hat sich eigentlich nur gefestigt, dieses Wissen, oder diese Idee, wie die Alten die
Pfeifen behandelt hatten, und das hatte nun einmal nicht viel zu tun mit der Ideologie
der Orgelbewegung, und deswegen hat er sich dagegen gewandt, hat gesagt, ich
finde den alten Klang schön, und, ja, in den 50er-Jahren schaute man eigentlich nicht
zurück. Das war nicht sehr populär, aus verschiedenen Gründen. Er hatte da kein
Problem, zurückzuschauen und zu sagen, wir machen das wieder so wie die Alten. -
Ja, so konsequent war er auch nicht, er hat auch gesagt, wir benutzen Kreissäge und
haben ein Klo, was mit Wasserspülung funktioniert, nicht? Man kann das ja sehr weit
treiben, handgeschmiedete Nägel oder so etwas, da wollte er nichts von wissen.
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A:
Hendrik Ahrend, der einen mittelständischen Betrieb mit acht Mitarbeitern leitet, hat
die Werkliste seines Vaters seit 2005 fortgesetzt mit zwölf Neubauten und zehn
Restaurierungen:
Stift Pernegg, Österreich; Kantens, Holland; Våler, Norwegen; Brixen, Italien;
Pischelsdorf, Österreich – Melle, Hollern, Königswusterhausen, Buttforde und Kloster
Möllenbeck in Deutschland.
(MUSIK:
Roland Dopfer spielt Scarlatti)
O-TON 31 Ahrend
Wir haben diese Teilung in der Werkstatt, das heißt, Holzwerkstatt und
Metallwerkstatt. Die Metallpfeifenbauer sind Spezialisten, das ist ein Klempner sagte
man früher, heute sagt man ja Anlagenbauer, der also mit Metall arbeiten kann, eine
Engelsgeduld hat und ein tolles Verständnis für Qualität hat, der Hinnie Manssen.
Haidy Ronke macht auch Pfeifen, macht vieles andere auch, hat das hier gelernt und
macht das super gut. Das heißt, das sind schon mal Spezialisten. Hier in der
Holzwerkstatt haben wir – jetzt muss ich mal überlegen – drei Tischlermeister. Es ist
sowieso, wenn man gute Leute haben will, dann kann man natürlich nach der
Qualifikation gucken. Ich habe eins, zwei, drei Tischlermeister, glaube ich, einen
Orgelbaumeister, der zeichnet, plant, und der kann natürlich auch alle Gewerke im
Orgelbau. Der hat natürlich einen anderen Ansatz vom Orgelbau, ein anderes
Verständnis. Der ist auch an der Orgel insgesamt mehr interessiert.
Ich mache die Intonation und Büroarbeit, und das beschäftigt mich vollauf. Intonation,
das konnte mein Vater immer sehr, sehr schnell. Der konnte schneller intonieren als
ich, völlig klar. Und vielleicht kann ich das auch mal so schnell, aber bei uns kommt
es aufs Endergebnis an - und dann kümmere ich mich natürlich um die Planung. Das
heißt, ich pfusche Herrn Seitz ins Handwerk, der hier die Zeichnungen macht, und da
reden wir auch drüber und wägen ab, was gute Ideen sind. Überhaupt sehe ich es
gerne, wenn jemand Ideen hat.
(MUSIK Ende)
O-TON 32 Ahrend
Manchmal wacht man um sechs auf und hat komische Gedanken oder um fünf, und
hat dann um neun Uhr vielleicht einen klaren Kopf, und da hilft es natürlich auch
sehr, wenn man eine Familie hat wie meine Frau Andrea, die mir unglaublich den
Rücken stärkt – Ich neige auch so ein bisschen zum Grübeln: Wie komme ich jetzt
aus dieser Situation - Man hat da was gesagt oder muss man noch, oder man muss
dort noch was machen und weiß nicht gleich, wie man’s hinkriegen soll, rein zeitlich,
oder eine Entscheidung fällen, soll ich jetzt noch mal nach Norwegen und an dieser
Orgel arbeiten, obwohl ich eigentlich keine Zeit habe, aber der Kunde möchte es
gerne, und solche Sachen. Die spuken einem manchmal im Kopf rum, ganz banale
Dinge. Und da ist es ganz gut, wenn man jemanden hat, der meinen Kopf aufsetzt
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wieder richtig und sagt, jetzt mal ganz langsam, mach eins nach dem anderen und
dann sehen wir das schon. Das ist bei mir der Fall. Ich glaube, das war bei meinem
Vater auch größtenteils der Fall, sonst kann man das gar nicht aushalten. Das ist
eine Belastung, so ein Betrieb.
- Ich jammre auf hohem Niveau angesichts unserer Auftragslage, das kommt ja bei
anderen Betrieben noch dazu, dass die das nicht haben. Die haben ja alle
Schwierigkeiten und noch dazu eine bedrohliche Auftragslage.
A:
Eine mittelgroße Orgel aus der Werkstatt Ahrend kostet nicht unter 500.000 Euro.
Eine Greiner-Geige nicht unter 35.000 Euro. Für etwa denselben Preis verkauft
Zander ein großes Cembalo inklusive Bemalung.
O-TON 33 Greiner
Wenn ich heute anfangen würde, mit Familie und mit Verpflichtungen, wenn ich da
heute anfangen würde mit dem Bau neuer Geigen, dann – das ginge gar nicht. Das
heißt, bis man davon wirklich leben kann, vergehen minimum zehn Jahre. Vorher
muss man sich irgendwie über Wasser halten.
O-TON 34 Zander
Zunächst mal gilt das doch als Gewerbe. Allerdings hat das Finanzamt ja für
Kunstgegenstände den reduzierten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Darunter
fallen Musikinstrumente in der Regel nicht. In meinem Falle habe ich beim Finanzamt
erreicht, dass auf mich keine Gewerbesteuer angesetzt wird. Gewerbesteuerfreiheit
besteht also für Selbstständige, insofern bin ich von Gewerbesteuer befreit - und
habe allerdings auch es geschafft, bei der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven
Mitglied zu werden. Bei diesen auf Prototypen beruhenden Instrumenten, die sehr
viel Gestaltungsfragen bereithalten, hat man diese Ausnahme zugelassen. Insofern
profitiere ich von dem Sozialversicherungssystem und bin mir dessen auch bewusst,
dass da doch dann die Gesellschaft eigentlich sich ein bisschen daran beteiligt, die
wirtschaftliche Basis zu vereinfachen.
O-TON 35 Klopfgeräusch auf der Geige
Zitatorin:
„Um diesen silbernen Ton zu erreichen“, sagte der Alte, „muß man die natürlichen
Eigenschaften des Ahorns und der Tanne kombinieren. Die Töne sind in der Natur
immer lebendig, man muß sie nur greifen, zähmen wie einen Vogel, der auf diesen
Hölzern schweigsam herumflattert. Man muß sich mit diesem imaginären Vogel so
lange befassen, bis er anfängt zu singen. Merke dir, die Decke, der Resonanzboden,
wird stets aus Tanne gemacht, der Boden immer aus Ahorn. Der Ton, der aus der
Verbindung der kleineren Schwingungszahl des Ahorns mit der größeren
Schwingungszahl der Tanne erzeugt wird, besitzt ein inneres Verhältnis von zwölf zu
sechzehn. Viele denken, daß der Ton in der Decke und im Korpus gleichmäßig
erzeugt wird, in Wirklichkeit sind das aber zwei verschiedene Töne. Der natürliche
Wohlklang beruht darauf, daß diese beiden Töne in einen einzigen, vollen,
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unteilbaren Ton verschmelzen. Die Natur duldet keine Einförmigkeit.“ -- Anatoli
Winogradow, Die Verurteilung Paganinis. 1936.
O-TON 36 Greiner
Das Argument, das seit Jahren immer wieder gebracht wird und was auch nie
hinterfragt wird: dass das Material, das man verwendet, entscheidend für den Klang
ist. Und ich sage, das Material ist irrelevant für den guten Klang. Ich kann nicht, wenn
die Geige am Ende schlecht klingt, sagen, das lag am Material. Ich kann auch bei der
gut klingenden Geige das Material nicht verantwortlich machen. Und das macht
einen natürlich unendlich frei, indem man sagt, ich setze mich über diese ganzen
Dinge hinweg. Ich kann mit jedem Holz eine gute Geige bauen.
(MUSIK:
Isabelle van Keulen spielt Tango)
O-TON 37 Greiner
Ich vergleiche das damit, dass eine gute Kunst nicht davon abhängig ist, bei der
bildenden Kunst, bei einem Gemälde, welche Farbtube der Maler verwendet hat. Das
ist vollkommen irrelevant für das Ergebnis Bild, nachher. Oder welche Leinwand er
verwendet hat, welche Materialien für die Leinwand, welchen Rahmen, welchen
Spannrahmen – das entscheidet ja nicht darüber, ob es nachher ein gutes,
gelungenes Bild wird. Und das ist aber nach wie vor die Meinung im Geigenbau.
Dass, wenn man die richtigen Materialien verwendet, dann kann man ein gutes
Ergebnis erzielen. Und es herrscht nicht einmal Einigkeit darüber, was überhaupt
gute Materialien sind. Da wird geklopft und geschabt und gemessen –
(MUSIK Ende)
O-TON 38 Zander
Wir sind unwahrscheinlich empfänglich für hochgradig gestimmte Tonverhältnisse.
Das macht uns einfach vergnügt. Und ich sinne als Instrumentenbauer auf Mittel und
Wege, dass sich das ereignet. Und dann stelle ich fest, unter Umständen, dass,
sagen wir mal, bestimmte Holzarten noch leichter und strahlender reagieren als
andere, und, und, und - Das wird dann für mich zur Orientierung, was ich beim
nächsten Mal mache oder wie ich die Sache ausarbeite. Aber einer, also wirklich, das
muss man ja sagen, einer 600-jährigen Geschichte der Zupfklaviere - also von 1480
ist das erste Klaviziterium, das in England im Museum aufbewahrt wird, aber
ikonografisch gibt es den Nachweis auch schon früher - und nach einer Pause von
150 Jahren sind wir jetzt in der Renaissance dieser Instrumente. Wohin will ich das
entwickeln? Bestenfalls bringe ich es wieder zur Blüte.
O-TON 39 Greiner
Vor 30 Jahren waren neue Geigen einfach noch vollkommen ungewünscht. Damals
war also der Widerstand gegen einen, der neue Geigen baut, viel größer als heute.
Das hat mich natürlich auch motiviert, dass die Leute gesagt haben, eine neue Geige
kann nicht gut klingen, einfach aus dem Grund, dass sie neu ist. Das heißt für mich
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als Geigenbauer, der neue Geigen baut, ein Hindernis, das ich gar nicht aus dem
Weg räumen konnte. Und das habe ich eben dadurch umgangen, indem ich gleich
von Anfang an Kopien alter Geigen gebaut habe, bei denen diese Vorurteile gegen
neue Geigen eben gleich ausgeräumt wurden. Die Geigen haben alt ausgeschaut,
waren aber neu. Ich hab sie Musikern gezeigt, die annahmen, es sind alte Geigen,
und die haben dann eben frei von diesem Vorurteil die Geige beurteilt. Und da war
eben nichts mehr davon zu spüren, dass neue Geigen nicht klingen.
Zitatorin:
Es ist zu berichten, wie unser Musiker in einer nächtlichen Gewaltanstrengung das
ganze Instrument auseinenderlegte. Vom steten Wetterumschlag, von Trockenheit
und Nässe, Ruß und Talg war die Orgel derat kümmerlich verdorben, daß etliche
Tasten schon niederhingen, die Kanzellen undicht geworden waren und die Pfeifen
so entsetzliche Heuler ausstießen, als tönten die Posaunen von Jericho. Das mochte
er nicht länger mitanhören, und so trug er Boden und Wände, Balken und Leisten ab,
löste die Tasten, Winkelhaken und Zugruten, die Ventile und Konterventile, nahm
eine Pfeife nach der anderen aus der Windlade und ging daran, jedes Teil der Orgel
vom Staub der hundert Jahre blankzupinseln. Die Empore glich einer Werkstatt, in
der ein Schmied, ein Lohgerber und ein Holzschnitzer gleichzeitig schafften. Jeden
Griff und jeden Schritt verzeichnete er in säuberlichen Plänen, und nicht das
winzigste Leder ging ihm abhanden. Nach Reinigung und Restauration aller Teile
machte er sich mit unendlichem Geschick und unbestechlichen Ohren daran, die
Register einzustimmen. Nahm zwei selbstgefertigte Hörner, konisch und konkav,
bosselte die Pfeifen, dressierte die Spünde mit vorsichtigen Hammerschlägen,
indessen Peter geduldig die Tasten niederhielt, so lange bis die Schwebung des
betreffenden Tones immer geringere Wellen warf und endlich ganz verebbte. Es
währte noch geraume Zeit, bis Elias die Balgnähte ind Ladenfugen abgedichtet hatte.
Er tauchte den Haarpinsel ins Mehl, bestrich die Fugen, und wo das Mehl auch nur
im geringsten abstäubte, hielt er inne, nahm ein Stückchen Schafleder und leimte es
mit heißem Knochenleim auf den zerfressenen Punkt. - Robert Schneider, Schlafes
Bruder. 1992.
O-TON 40 Ahrend
In der Orgel kann man natürlich auch, da kann man sich reinsetzen und sagen, oh,
jetzt ist alles von Mäusen zernagt, und die Pfeifen liegen da, wie sagte Schnitger, wie
die satten Bauren, und liegen darnieder. Das ist natürlich vom musealen Standpunkt
her ein interessanter Aspekt, dass mal jemand mit Handwerkerschuhen da
reingetapst ist und die Pfeifen umgedrückt hat, das haben wir alles schon gefunden –
fürs Museum ist das wichtig, dass diese Spuren erhalten bleiben, man darf also
nichts dran machen. Wenn es um den Klang geht, dann ist es wichtig, dass, wenn
ein paar Pfeifen fehlen, die dann ersetzt werden, und zwar zu den anderen passend,
weil dieses Klangerlebnis, dieses alte Klangerlebnis darauf angewiesen ist, in
gewisser Weise homogen zu sein. Wenn man jetzt einen neuen Spieltisch
herzustellen hat, kann man sich natürlich überlegen, ob man den modern macht,
damit man keine Fälschung begeht, oder man kann sich überlegen, ob das
Instrument nicht optisch genau so wirken soll, wie es mal gewirkt hat. Das ist ja eine
Qualität. Man kann das ja irgendwo vermerken, und schon hat man keine Fälschung
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mehr begangen, aber das Instrument wirkt noch immer so, wie es noch wirken sollte,
und wirkt noch immer als Denkmal.
(KLANGfigur auf der Geige)
O-TON 41 Greiner
Man kann natürlich nur die Dinge erreichen und dann vielleicht auch mal übertreffen,
wenn man sich möglichst genau an die Vorgaben hält. Und das ist nun mal ein
bisschen der Charakter der Geige, dass das Ideal orientiert wird an den alten
berühmten Geigen. So definieren wir einen Geigenklang. Dass wir sagen, okay,
Stradivari, Guarneri hat das vorgegeben. Es ist also kein absoluter Klang, sondern ist
mehr der relative Klang zu dem, wie diese Geigen klingen.
(KLANGfigur auf dem Clavichord)
O-TON 42 Zander
Je dünner die Seite, umso mehr bildet sie aus von Obertönen,
die ja alle mathematisch und dann auch räumlich so ineinandergreifen, dass man nur
staunen kann. So, und wenn da mehrere Töne zusammentreffen, die jede diesen
Regenbogen an Klangfarben mitbringen – diese ganze Aufschaukelung in Szene zu
setzen, die die Natur uns anbietet, das halte ich nicht für ausgeschöpft.
(MUSIK:
Isabelle van Keulen spielt Ysaye)
O-TON 43 Greiner
Ich hab ja nach der Lehre in Köln Musikwissenschaft studiert und Kunstgeschichte.
Hab über dieses Studium einen Physiker kennengelernt, der Jahre über dieses
Thema geforscht hat, eben nicht im Bereich der Musikwissenschaft, sondern im
Bereich der Physik. Der war Physiker, war Akustiker, der Herr Dr. Dünnwald. Und
habe mich mit ihm im Grunde zu einer Geigenbau-Einheit verbunden. Er hat also
diese akustischen Elemente eingebracht, ich die handwerklich-künstlerischen. Wir
haben mit unseren wissenschaftlichen Untersuchungen recht klar definiert, warum
die berühmten altitalienischen Geigen als gut klingend empfunden werden, nämlich,
weil sie eben dem menschlichen Gesang sehr nahe kommen. Das heißt, er hat viele
hundert Instrumente hat er vermessen und hat aufgrund der Obertonstruktur die
parallele zweite Gesangsstimme hergestellt, vielmehr, er hat eine Vokalhaftigkeit im
Geigenklang feststellen können und hat eben da dann festgestellt, dass viele
berühmte Geigen von Stradivari und Guaneri näher an dieser Gesanglichkeit dran
waren als billige, einfache, als schlecht klingend bezeichnete Fabrikinstrumente. Und
hat das sogar noch weiter eingegrenzt, hat gesagt, diesen Vokal, den eine gute
Geige hat, den können wir auch weiter noch einengen, wir können sagen, es ist ein
E-I-Vokal. Das heißt, es ist kein O und U, sondern E-I.
Und jetzt ist natürlich dann, wenn wir als Ideal den menschlichen Gesang annehmen,
ist immer ein noch besser und noch näher daran-Kommen möglich.
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O-TON 44 Cembalo-Klang
[oder Cembalo-Musik]
O-TON 45 Zander
Hier in der Mitte sind nochmal Saiten angehängt - dieses Oktavregister, was hier
gespannt wird, die Etage unten drunter, da sind nochmal Saiten, die liegen ja tiefer –
die sind nicht am Gehäuse angehängt, sondern frei hier mitten am Resonanzboden –
hör mal:
(KLANG, Klopfen, MUSIK)
Wir spielen ganz viel mit Überlappungen von Klänge. Also was wir nicht tun: ganz
plötzlich Töne dämpfen. Das haben wir beim Cembalo nicht gern.
(KLANG)
Das Eisen hat mehr Brillanz; ich mag das Eisen lieber. Das Messing verhält sich
anders. Weil es weicher ist, ist der „Plock“, wie das losgeht – hebt es sich da etwas
mehr an als das Eisen, das vielleicht mehr als Ganzes mitgeht – und damit ist der
erste Anstoß, die erste Welle unterschiedlich. Der Messington, der verschwindet
doch schneller, er ist nicht so aufgeladen mit Kraft.
(KLANGfigur auf der Orgel)
O-TON 46 Ahrend
Intonieren besteht aus - oder sagen wir mal so, man kann bei einer Pfeife Dinge
verändern. Man muss zunächst mal ein handwerkliches Verständnis dafür haben,
was passiert eigentlich, wenn ich, mal angenommen, zum Beispiel den Kern einer
Pfeife erniedrige, dann spricht sie schneller an, und wenn ich das Oberlabium
rausziehe, spricht sie auch schneller an, und wenn ich dann noch ein bisschen mehr
Wind gebe, dann spricht sie auch schneller an, oder - ich kann also viele Sachen, die
man gar nicht messen kann.
Man muss da immer bei sagen, dass das, die Intonation ja schon bei der
Mensuration beginnt, das heißt, bei der Festlegung der Pfeifendurchmesser. Oder
überhaupt bei der Festlegung aller klangbestimmenden, vorher festzulegenden
Parameter, zum Beispiel auch die Disposition hat auch was mit Intonation zu tun, im
weiteren Sinne. Also dann bringe ich die Pfeifen tatsächlich hier in der Werkstatt
schon zum Klingen, und gleiche dann nur aus in der Regel in der Kirche schließlich.
Das ist ein Vorgang, den die erfolgreichen Orgelbauer früher auch gemacht haben.
Ich gucke mir den Raum genau an, fahre vorher noch mal hin – wir können uns ja
heute schneller bewegen als damals in einer Kutsche –, habe dann einen Eindruck
von einer Raumakustik und kann dann hier schon ziemlich viel vorbereiten, und das
passiert eigentlich nie, dass man sich da verhaut. - Da geht es um die Balance
innerhalb der Orgel, da geht es um jede einzelne Pfeife, soll sie eher schärfer
klingen, soll sie eher grundtönig klingen, welche Anzahl von Obertönen soll sie
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haben, wie soll das Obertonspektrum verteilt sein, das kriegt man irgendwie mit, und
irgendwann sieht man einer Pfeife an, na, was kann ich denn hier rausholen. Dann
spricht man sie an, und dann erzählt die einem das, das ist schwer zu beschreiben.
O-TON 47 Zander
Das sind dann so die Stellen, an denen man das Gefühl hat: das war genau das
Richtige, was ich jetzt hinzugefügt habe oder was ich gerade getan habe.
(MUSIK:
Roland Dopfer spielt Scarlatti)
O-TON 48 Zander
Ja, sicher, wie überall sind die Glücksmomente die, wo die Identifikation mit dem
Gegenstand vollständig erscheint - auch heftige Zuneigung dem Material, aber auch
dem Wesenhaften des Instruments, aber auch dem Gefühl gegenüber, dass es eine
Stimme ist, mit der man sich selber hört.
Zitator:
Die erste alte Orgel, die ich - mit welcher Mühe! - errettet habe, ist das schöne Werk
von Silbermann zu Sankt Thomas in Straßburg. „In Afrika errettet er alte Neger, in
Europa alte Orgeln“, sagten meine Freunde von mir. - Albert Schweitzer, Aus
meinem Leben und Denken. 1931.
(MUSIK Ende)
O-TON 49 Greiner
KK:
Und jetzt der springende Punkt. Sie haben ein Ideal, eine Klangvorstellung, und
wissen auch über physikalische Voraussetzungen Bescheid – Sie können Ihr Ideal
vom Gefühl und von der Physik her eingrenzend beschreiben. Aber Sie arbeiten mit
Holz und Saiten. Wie schaffen Sie es, dass das Ideal und die Materie
zusammenkommen?
Greiner:
Tja. Mein Achselzucken wird ja nicht aufgenommen vom Mikrofon. Es sind natürlich
erst mal die Voraussetzungen, die ich schaffen muss. Das heißt, ich muss natürlich
eine Geige entsprechend dem bauen, dass sie die Möglichkeit mit sich bringt, gut zu
klingen. Das heißt, ich muss die Wölbung, die Holzstärken, die Form, die S-Löcher,
die Halswinkel, diese ganzen Dinge müssen natürlich stimmen. Aber wenn ich zwei
Geigen mit dem gleichen Material identisch baue, habe ich oft eine enorme
klangliche Streuung, die eigentlich nicht sein dürfte nach diesen Kriterien, dass ich
sage, ich hab die doch genau gleich gebaut. Warum klingen die unterschiedlich? Ja,
der Unterschied ist nicht, dass die unterschiedlich klingen, sondern die eine ist
einfach besser, das ist ein klarer Fall. Und ergo beschäftige ich mich natürlich dann
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mit der schlechteren Geige, möchte die genauso gut oder besser als die schon
bessere machen.
KK:
Was kann man denn im Detail machen? Die Wandstärken justieren oder mit dem
Steg oder -?
Greiner:
Ich hab mich früher sehr gescheut, da drüber zu sprechen, weil es für mich so eine
Art von Betriebsgeheimnis war, wo ich dachte, wenn ich das verrate, dann kann es
jeder. Mittlerweile gehe ich da gelassener mit um, spreche auch darüber, weil ich
eben merke, es kann dann auch nicht jeder, wenn er die Info hat. Und es ist auch gar
nicht schlecht, wenn andere mit den gleichen Methoden arbeiten, weil wir ja einen
enormen Bedarf an guten Geigen haben, an bezahlbaren guten Geigen.
Das Wichtigste ist für mich, dass ich an einem unlackierten Instrument den Klang
einrichte. Das heißt, ich mach das unlackierte Instrument spielbar. Das ist im Grunde
der Schlüssel zum Erfolg. Das gibt einem erst die Möglichkeit, alle Möglichkeiten, die
man hat, einen Klang zu verändern, auszuschöpfen. Das heißt, ich habe viele
Parameter, die ich ändern kann. Einige kann ich nicht ändern, zum Beispiel Material,
kann ich nicht mehr ändern, kann aber die Holzstärken von außen ändern. Das heißt,
ich kann von außen minimale Dinge wegschaben, minimal Holz wegschaben an der
Außenseite der Geige, was ich am lackierten Instrument natürlich nicht mehr machen
kann. Und diese Abstimmung der Platten ist einfach das Wichtigste, und zwar nicht
der einzelnen Platten. Es gibt, wie Sie beschrieben haben, viele Geigenbauer, die
dann klopfen, die einzelnen Platten anklopfen und glauben, damit irgendeine
Aussage über den späteren Klang zu bekommen. Da sind so viele Schritte
dazwischen – das wäre, wie wenn ich an der Zusammensetzung von dem Blech von
einem Auto eine Aussage treffen könnte über die spätere Geschwindigkeit, die das
Auto vielleicht erreichen kann. Da gibt es ja keinen Zusammenhang, wirklich. Aber an
dem fertigen Instrument dieses Tuning durchzuführen, indem ich minimale Dinge
ändern kann, da, wo ich es ändern – wo es die Möglichkeit gibt, das heißt, Holzstärke
ändern von außen, damit kann man also sehr weit kommen. Danach wird lackiert.
Wenn man da ist, wo man hin möchte. Und dann kann ich noch mal an den
klassischen Einrichtungsmethoden, das heißt, den Stimmstock, das ist ein kleiner
Stock, der zwischen Decke und Boden geklemmt wird, den hin und her verschieben.
Ich kann aber auch noch minimale Dinge am Steg, am Griffbrett, am Saitenhalter
ändern, eben diese externen Dinge.
(MUSIK:
Cembalo)
O-TON 50 Zander
Die beste Art, zu Instrumenten zu kommen ist, einen Zwilling mitlaufen zu lassen –
dass nicht nur ein Ergebnis, sondern zwei Ergebnisse nachher sind – das ist sehr
leicht zu vergleichen, wenn ein Pianist ein großes Programm einstudiert und dann
nur ein Konzert dafür hat, wo er doch mehrere Konzerte spielen könnte.
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O-TON 51 Greiner
Mein Vorgehen ist immer, dass ich zwei Geigen parallel einrichte. Und immer die
eine die andere überholen lasse. Und dieses Eintrimmen von Geigenklang kann man
mit dem Abschmecken von einem Gericht, von einer Suppe vielleicht, vergleichen.
Dass man die Gewürze dazu macht, das sind dann die Obertöne. Man hat dann ein
bisschen davon, ein bisschen davon, und Gewürze, die sich gegenseitig dann auch
wieder aufheben.
O-TON 52 Ahrend
Über Klänge zu reden, geht ja schon gar nicht, oder wie ich das jetzt erreiche, mit
Maßnahmen, die man nicht mal messen kann – Kernhöhe kann man nicht messen,
das ist völlig unmöglich.
KK:
Ein schönes Mysterium.
Ahrend:
Deswegen kann man es auch nicht zum Zehntel des Preises aus China bestellen,
und das beschert uns noch ein einigermaßen gutes Leben. Das ist einfach so, das
hat was zu tun mit dieser Kultur, das hat was zu tun mit der Idee, dass eine - dass
der Kirchenbau ohne die Idee von Klängen überhaupt nicht passiert wäre. Das ist
völlig undenkbar, dass eine Kirche gebaut worden ist mit so hohen Decken. Ich kann
mir auch lieber 2,70 Meter vorstellen, da kann ich auch viele Leute unterbringen,
wenn ich gut lüfte. Aber das hat man nicht gemacht, und ich glaube auch nicht, dass
das nur mit der Idee zu tun hatte, dass irgendwas nach oben weist, denn Gott ist
überall. Das hat was mit Klang zu tun, und erst dann kommt eine bestimmte
Emotionalität im Menschen zustande, die wir mit der Orgel befördern können. Und
das zu erleben, wie Menschen sich dabei verhalten, wie die das im Einzelnen
aufnehmen und dann Rückmeldung geben, das ist eine ganz tolle Belohnung, wenn
man die Intonation anscheinend richtig gemacht hat.
O-TON 53 Zander
In dem Sinne ist ne Serie im modernen Klavierbau aus ner
Fabrik viel konstanter als wenn hier zwei Modelle entstehen - und bei den dünnen
Materialstärken das Eigenleben und auch ein bisschen das Irrationale mehr einen
Raum kriegt. Je mehr Irrationalität hier reinkommt, umso unkontrollierbarer, aber
auch interessanter wird die Geschichte. Und wenn es vollständig rational ist, ist es
als Musikinstrument zur Gemütsbewegung tendenziell ungeeignet.
(MUSIK:
Gerald Hambitzer, Bach)
O-TON 54 Zander
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Wie man so sagt:
die Musik erinnert uns daran, dass es noch was Höheres über uns gibt.
KK:
Aber das Holz und die Saiten und das Blech werden mitgenommen in die
Transzendenz?
Zander:
Ja, ja, ja, ja! Es kommt aus dem Alltag. Ich erinnere mich, wie mal auf einer
Griechenland-Reise auf einem Spazierweg so ein kleines Kapellchen da auftauchte
und man lief ein bisschen drin rum und blickte auch mal hinter den Altar, und da war
so eine kleine Ansammlung von Utensilien, um da also Weihrauch zu entzünden und
Kerzenfeuer und so, so ein bisschen Brimborium zu entfachen für einen
Gottesdienst, wo man dann vorne nichts davon sieht, aber so die Utensilien der
religiösen Verzückung. Und da dachte ich: Das ist doch irgendwie ganz schön, dass
die auch ganz normale Streichhölzer benutzen.
(MUSIK Ende)
Zitator:
Ein Druck des Fingers auf das Elfenbein - und der Atem strömt aus, verhalten und
großartig oder heftig und zart, genau so, wie man sich den Gesang des Waldes oder
der Wüste oder irgendeiner lebhaften und ursprünglichen Kraft vorgestellt hätte. Die
unzähligen Kombinationen der Klangfarben scheinen ein Ausdruck des vielfältigen
Reichtums der Natur zu sein. - Jean Guillou: Erinnerung und Vision. 1984.
O-TON 55 Greiner
Das war spannend. Wir haben Computertomografie gemacht. Haben die Geige also
am Klinikum in Aachen durchs CT geschoben und haben natürlich alle Daten von der
Geige gehabt, ohne sie zu zerlegen. Ich erinnere mich, wir kamen mit der Stradivari
an, im Nachtdienst natürlich, weil tagsüber konnten wir nicht. Und der Oberarzt, der
hat alle Patienten im Grunde draußen sitzen lassen, weil er unbedingt die Stradivari
untersuchen wollte.
KK:
Das war aber mutig von Tetzlaff, der sagte, das könnt ihr machen mit meiner –
Greiner:
Der wusste das nicht! (Lachen) Das war auch nicht seine Stradivari. Wahrscheinlich
hätte er noch nicht mal was dagegen gehabt.
Natürlich haben wir die Geige auch vermessen beim Dünnwald, haben also
Frequenzkurven gemacht. In dem Moment, in dem man einen Klang sichtbar macht,
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ist der Zeitfaktor ausgeschlossen. Das heißt, ich kann zwei Klänge miteinander
vergleichen, zeitgleich. Das heißt, ich kann einfach zwei Frequenzkurven
übereinander legen und kann zwei Klänge vergleichen, während bei dem reinen
Hörvergleich immer nur ein Hintereinander möglich ist. Und dadurch haben wir am
Ende eben viel gelernt, wie wir die Geigen bauen müssen, um diesen Klang zu
erzeugen, aber vor allem sind wir einfach – diese Intuition wurde dadurch - Wir
haben also auch gelernt, Obertöne zu hören. Wir haben ja jeden Klang ausgebaut
aus dem Grundton und die verschiedenen Obertöne, die eben die Klangfarbe
ergeben. Und das kann man vielleicht vergleichen mit einem Kunstmaler, der eben
die Farbe braun zusammenmischt aus dem entsprechenden Rot- und Blau- und
Gelbton. Das heißt, wir sehen braun, der Maler sieht die Einzelfarbanteile drin.
A:
Greiner, Ahrend und Zander, exemplarisch für die Künstler ihres Fachs, geben den
Musikern Instrumente in die Hand, die durch ihren Obertonreichtum der medial
diktierten Verflachung des Hörens entgegenwirken.
O-TON 56 Greiner
Kollegen von mir sagen immer: du kannst es nicht verhindern, dass man dich erkennt
in den Kopien, die du machst. Du kannst dich nicht verstecken.
O-TON 57 Zander
Es gibt gelegentlichen Rechtfertigungsdruck, ob man denn - ja, ob man denn aus
Aktualitätsgründen seine Zeit überhaupt damit verbringen sollte, nach Rezepten des
16. und 17. Jahrhunderts zu kochen. Das als eine gewisse Selbstverständlichkeit in
der musikalischen Umgebung zu empfinden, davon ist man weit entfernt.
Ornament wird für entbehrlich gehalten. Das ist ja ne Haltung. Aber spätestens, wenn
dem Musiker das auch einfallen würde, kommt man doch dahin, dass die Sache ein
bisschen ihres Wesens beraubt wird. Das Cembalo versteckt sich ja nicht. Das ist ein
Instrument, das gesehen werden will, das sich auch schmückt und von daher auch
ne weibliche Seite hat.
O-TON 58 Ahrend
Viele Orgeln sind dann auch, ja, in Ungnade gefallen, weil eine Mode was anderes
vorgeschrieben hat. Auch unsere geliebten Barockorgeln sind irgendwann nicht mehr
beliebt gewesen, weil man sie auch nicht mehr verstanden hat. Wir können jetzt nur
hoffen, dass die Orgeln im Barockstil – muss man ja sagen – noch eine Weile
populär sind. Und ich glaube, gerade in unserer heutigen Welt, wo vieles schnelllebig
ist und alles auf neueste Entwicklungen hinausläuft, ist das eine ganz wichtige
Sache, und es zieht Menschen durchaus an.
Es werden viele Diskussionen geführt, auch neuerdings wieder über Computertöne,
Elektroinstrumente und sowas, eine ganz ausgeweitete Diskussion über die
Möglichkeiten und Grenzen von Orgelersatzinstrumenten. Ich weiß es nicht – also da
bleibt für mich das Emotionale auf der Strecke, das Echte, nicht? Wir sprechen über
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Erdbeergeschmack ohne Erdbeeren, oder ich gehe noch schnell los und bringe
meiner Frau noch einen Strauß Kunststoffblumen mit, die halten noch länger.
Zitatorin:
Wir suchten ein Hotel, feierten im „Maison Kammerzell“ vor und kamen am nächsten
Morgen um zehn in die Werkstatt zur Übergabe. Es war ein frühlinghafter, sonniger
Tag. In der Werkstatt, einem mittelalterlichen kleinen Gewölbe, war’s so dunkel im
Vergleich zu draußen, dass ich zuerst überhaupt nichts sah. Dann hörte ich aus der
Ecke Kührs dezente, belegte Stimme: „Und sind Sie aufgeregt?“ – „O ja“, sagte ich
„ich bin sehr aufgeregt!“. Inzwischen hatten sich meine Augen an das Halbdunkel
gewöhnt, ich nahm bereits Umrisse wahr, und in diesem Augenblick flutete
Sonnenlicht herein, und das Instrument begann zu funkeln. Ich erkannte die Intarsien
in der Innenseite des Deckels und im Corpus, Lilienranken ganz rund herum, in
echtem Gold! Zuerst also dieses Funkeln, und je mehr meine Augen sich gewöhnten,
desto besser nahm ich auch das Rot wahr, das wrame, edle Burgunderrot. Dann die
Malerei an Seiten und Deckel, Stillleben im Straßburger Stil. Ich erkannte die
Blumen, den Apfel mit der Fruchtfliege drauf – ich, ich Blinder erkannte die
Fruchtfliege, die süßeste gemalte Fruchtfliege aller Zeiten. Ich sank auf den
Klavierschemel und versuchte zu spielen, brachte aber vor Hingabe kaum einen
Akkord zustande. -- Petra Morsbach, Der Cembalospieler. 2008.
O-TON 59 Zander
Die Musiker, die treten auf die Bühne mit der Aktualität des Momentes und mit ihrem
Atem, den sie jetzt in die Sache reinbringen, und möchten natürlich nicht als
Statthalter einer vergangenen Epoche dastehen.
Ich meine, wann ist Musik vergangen? Dieses Phänomen der jederzeitigen
Gewärtigung einer Musik, die wann-auch-immer komponiert wurde – das ist ein
magisches Moment. Dem hat man darin Ausdruck verliehen, dass man den
Gegenstand, der das hervorbringt, entsprechend markiert: dass er aus einer anderen
Sphäre kommt oder in eine andere Sphäre hineinwirkt oder von dorther seine
Berechtigung gefunden hat. Aber dazu muss man die Schwelle überwinden und die
Sorge, sagen wir mal, die beflissene Sorge: ist das, was ich hier jetzt höre, ist das
auch gegenwärtig relevant oder setzt man mir hier ein altes Gericht vor?
Na ja, da sperrt sich natürlich was bei mir, weil ich einfach mit dem Attribut, das
kommt aus der Vergangenheit, nicht verbinde, dass es auch vergangen ist - sondern
es hält an. Es ist immer noch.
O-TON 60 Ahrend
Wer sich einbildet, dass nur das Wort etwas ist, was die Menschen brauchen, der hat
den Menschen nicht verstanden.
O-TON 61 Greiner
Das tiefere Verständnis für den Geigenbau muss aus der Musik kommen. Also ich
kann nicht jemand als Lehrling haben, dem ich dann vielleicht am Ende noch die
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Werkstatt übertrage, dass er mein Nachfolger wird, der nicht als Musiker hier
ankommt. Also, wir machen kein Handwerk hier, wir machen letztlich – dienen der
Musik, dienen dieser Kunstgattung Musik.
(MUSIK:
Naoki Kitaya, Cembalo etc.)
O-TON 62 Zander
Also im Grunde genommen ist natürlich – und das ist dann vielleicht doch ein
Glückszustand – ein Instrument eben ein dauerhafter Mittler zwischen dem
Physischen und dem Geistigen. Und das ist vielleicht ein Punkt, den ich unbewusst
gezielt gewählt habe, oder ein Feld, mich da zu bewegen.
(Absage über der MUSIK)
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