SWR2 Wissen - Dirk Lorenzen: Neuer Ärger mit dem Urknall . Was geschah am Anfang des Universums?
Inflationstheorie - Universum (D. Lorenzen)
Diskurs-SWR2
Inflationstheorie: Universum-Urknall
-ds-swr2-15-1Universum-Urknall
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Kosmische Inflationstheorie
SWR2 Wissen - Dirk Lorenzen: Neuer Ärger mit dem Urknall . Was geschah am Anfang des Universums?
Sendung: Mittwoch, 28. Januar 2015, 08.30 Uhr
Redaktion: Sonja Striegl
Regie: Autorenproduktion
Produktion: SWR 2015
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Service:
ÜBERBLICK
Unser Weltall ist vor etwa 15 Milliarden Jahren im Urknall entstanden, so die gängige Theorie der Astronomen. Im März 2014 verkündeten US-Astronomen, sie hätten Hinweise auf die "kosmische Inflation" gefunden, ein extrem schnelles Aufblähen des Universums unmittelbar nach dem Urknall. Diese Inflationstheorie löst zwar einige Probleme, die die Forscher mit dem Aufbau des Weltalls haben. Doch sie lässt sich kaum widerlegen und postuliert Myriaden von Parallelwelten. Schließlich kam heraus, dass sich das US-Team von simplem Staub im Kosmos hatte in die Irre führen lassen. Aus der nobelpreisverdächtigen Sensation wurde eine Lachnummer und ein Lehrstück dafür, dass es auch im Wissenschaftsbetrieb oft um Eitelkeiten und persönliche Vorlieben geht.
MANUSKRIPT
Autor:
Montag, 17. März 2014, 12 Uhr Ortszeit in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts. In einem kleinen Hörsaal der renommierten Harvard-Universität verkünden vier Astronomen den versammelten Journalisten sensationelle Neuigkeiten:
O-Ton 1 - Chao-Lin Kuo:
„So today, we have detected the other half of inflation, completing the paradigm of inflation...
Übersetzung:
„Heute haben wir einen weiteren Effekt der Inflationstheorie entdeckt: Unmittelbar nach dem Urknall sind Gravitationswellen entstanden, die wir jetzt mit Bicep2 beobachtet haben.“
...gravitational wave in the early universe and that is exactly what we see with Bicep2.“
Autor:
Die Forscher haben mit ihrem Bicep2-Teleskop am Südpol schwache Wirbel am Himmel beobachtet, die sie für direkte Spuren des Urknalls halten. Die Entdeckung läuft weltweit als Topmeldung durch alle Medien: Von einem Einblick in den Moment der Schöpfung ist die Rede und dem Beweis der Inflation, der heute gängigen Theorie für die Entstehung der Welt.
O-Ton 2 - Alan Guth:
„The simplest versions of inflation fit the data beautifully, …
Übersetzung:
„Die Inflationstheorie passt einfach zu schön zu allen Daten, um damit auf dem Holzweg zu sein.”
...too beautiful, I would say, to have much chance of not being on the right track.“
Ansage:
„Neuer Ärger mit dem Urknall: Was geschah am Anfang des Universums?“ Eine Sendung von Dirk Lorenzen.
Autor:
Alan Guth, einer der Begründer der Inflationstheorie, ist froh, dass seine Idee nach mehr als dreißig Jahren vielen als bewiesen gilt. Damit ist er ein heißer Kandidat für den Physiknobelpreis - gemeinsam mit seinem Kollegen Andrei Linde, der gar allerhöchste Mächte anruft:
O-Ton 3 - Andrei Linde [erregt]:
„God would make a stupid mistake missing an opportunity like that and I can not believe that he would do that.“ [etwas Reaktion des Publikums]
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Autor:
Er glaube kaum, dass Gott einen so dummen Fehler gemacht hätte, diese Chance zur Erschaffung der Welt nicht zu nutzen. Doch der himmelhohen Euphorie folgte sehr schnell die knallharte Landung auf dem Boden der Tatsachen. Denn die kosmischen Wirbel stammen wohl doch nicht vom Urknall, sondern gehen eher auf banalen Staub zurück, der zwischen den Sternen herum wabert. Die Sensation verpuffte, nun heißt es Staub statt Stockholm - und auch John Kovac von der Harvard-Universität und Projektleiter von Bicep2 ruderte zurück:
O-Ton 4 - John Kovac:
„No, we are not certain. What we said in March, …
Übersetzung:
„Nein, wir sind uns nicht sicher. Bei der Veröffentlichung des Wirbelmusters haben wir gesagt: Wir sind extrem überzeugt, dass es nicht rein zufällig entstanden ist. Aber in der Wissenschaft brauchen wir immer eine unabhängige Bestätigung - wir brauchen mehr Daten.“
...we always need follow-up. We need confirmation, we need more data.”
Atmo: Akustischer Trenner
Autor:
Unser Kosmos ist nach gängiger Theorie vor etwa vierzehn Milliarden Jahren aus einem extrem heißen und extrem dichten Zustand hervorgegangen. Nach diesem „Big Bang“ oder „Urknall“ war das Universum zunächst ein unvorstellbar heißer Brei aus Materie und Strahlung. Der Weltraum dehnte sich aus, der Brei verdünnte sich und kühlte ab. Erst nach knapp 400.000 Jahren konnten Lichtstrahlen ungehindert durch den Kosmos rasen, ohne stets von heißer Materie verschluckt zu werden. Dieses älteste Licht, das es im Kosmos gibt, ist noch immer am Rande der Welt zu sehen. Egal wohin die Forscher am Himmel auch blicken, überall stoßen sie auf eine äußerst schwache Radiostrahlung. Diese „Mikrowellen-Hintergrundstrahlung“ ist das Nachleuchten des Urknalls, das die Astronomen seit vielen Jahren mit immer besseren Instrumenten untersuchen. Durch die Ausdehnung des Weltalls hat es sich zwar extrem abgeschwächt, enthält aber noch immer unschätzbare Informationen über die Anfänge des Kosmos, erklärt Professor John Carlstrom von der Universität von Chicago:
O-Ton 5 - John Carlstrom:
"We have found small little variations which reflect the seeds of all the structure in the universe actually....
Übersetzung:
„Wir haben beobachtet, dass die Hintergrundstrahlung nicht perfekt gleichmäßig ist, sondern dass es da etwas hellere und dunklere Bereiche gibt. Diese Schwankungen spiegeln die Verteilung der Materie unmittelbar nach dem Urknall wider - und sind letztlich die Samen aller heutigen Strukturen im Kosmos. Mit unseren Beobachtungen können wir Theorien vom Aufbau der Welt bestätigen oder verwerfen. Die Daten passen sehr gut zur Inflationstheorie, nach der sich das
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Universum einen Sekundenbruchteil nach dem Urknall explosionsartig von winzigen Ausmaßen auf enorme Größe ausgedehnt hat.“
...inflationary models where the universe just bursts out of small quantum fluctuation to enormous, enormous sizes."
Autor:
Während „Inflation“ auf der Erde einen sehr negativen Klang hat, ist sie für Kosmologen etwas ganz Wunderbares. Die Inflation ist in gewisser Hinsicht der Knall im Urknall. Erst mit ihr ging es im Kosmos richtig los. Und zwar 10 hoch minus 35 Sekunden nach dem Anfang der Welt: also Null Komma Null Null Null und erst nach 34 Nullen kommt eine Eins Sekunden. Verglichen damit dauert ein Wimpernschlag eine Ewigkeit. Damals war alle Strahlung und Materie fast noch in einem Punkt konzentriert. Das Universum hat sich dann schlagartig aufgebläht, von nicht einmal atomarer Größe etwa auf die Ausmaße der Erde. Danach ging die Ausdehnung des Kosmos im „normalen“ Tempo weiter. Das klingt skurril, löst aber auf elegante Weise das fundamentale Horizontproblem:
O-Ton 6 - Andreas Tammann:
„Wenn Sie weit, weit nach Westen gucken und wenn Sie weit, weit nach Osten gucken in den Raum hinaus, dann sehen Sie dort Gebiete, die nie ein Signal austauschen konnten... Und trotzdem beobachtet man da die gleichen Sterne, man misst da die gleichen Temperaturen und diese Gebiete haben offensichtlich Informationen gemeinsam und das verstehen wir nicht, weil sie ja noch nie in Kontakt waren.“
Autor:
Professor Andreas Tammann von der Universität Basel ist ein Grandseigneur der Kosmologie und überblickt das Fach so souverän wie nur wenige seiner Kollegen.
O-Ton 7 - Andreas Tammann:
„Und ich sage das jetzt vielleicht zu persönlich, aber das Gebiet im Westen kann nicht wissen, wie heiß das Gebiet im Osten war, weil noch nie ein Lichtstrahl von einem Ort zum anderen reisen konnte. In der Inflationstheorie ist das furchtbar Schöne, vor der Inflation war das Universum klein und diese beiden Gebiete da im Westen und im Osten waren Nachbarn, und die lagen innerhalb ihres Horizontes und konnten Lichtstrahlen austauschen, die konnten sich genau in der Temperatur ausgleichen."
Autor:
So erklärt die Inflationstheorie auf ganz einfache Weise, dass der Kosmos in alle Richtungen in etwa gleich aussieht. Zudem erklärt sie, wie Sterne und Galaxien entstanden sind. Zu Beginn der Inflation spielte die Schwerkraft keine Rolle - das Universum war noch so klein, dass allein Quanteneffekte dominierten. Minimale Schwankungen im Quantenbereich sind während der Inflation zu großen Gebieten mit etwas mehr oder etwas weniger Materie angewachsen. Wären Materie und Strahlung im anfänglichen Einheitsbrei perfekt gleichmäßig verteilt gewesen, hätten sich nie die kosmischen Strukturen ausgebildet. Dann gäbe es heute keine Galaxien, keine Sterne, keine Planeten - und keine Menschen.
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Atmo: Akustischer Trenner
O-Ton 8 - Max Tegmark:
„Ich bin Max Tegmark, ein Physikprofessor. Ich komme ursprünglich aus Schweden her, arbeite aber jetzt am MIT.“
Autor:
In den neunziger Jahren hat Max Tegmark am Max-Planck-Institut in München exzellent Physik und Deutsch gelernt. Mittlerweile ist der auch mit fast 50 Jahren noch immer sehr jugendlich wirkende Forscher am renommierten Massachusetts Institute of Technology, MIT, in Cambridge in den USA tätig - und er ist einer der größten Anhänger der Inflationstheorie.
O-Ton 9 - Max Tegmark:
„Vor 1980 hatten wir ein Big Bang Modell voller peinlicher Probleme. Was so toll ist mit dieser Inflationstheorie ist, dass es alle diese Probleme löst. Gleichzeitig! … Ich finde es auch einen sehr schönen Theorie, weil für mich ist das Allertollste, was wir Wissenschaftler tun können, extrapolieren: Und Inflation ist die allerextremste Extrapolation in der Geschichte des Wissenschafts.“
Autor:
Dass das Universum seine Existenz Quantenschwankungen und einer kurzzeitigen extrem schnellen Ausdehnung verdanken soll, erschien anfangs als völlig absurde Idee, die viele Forscher nicht ernst nahmen. Zu vermessen schien der riesige Sprung, den Alan Guth und Andrei Linde gemacht hatten, um mit heutigen physikalischen Gesetzen die völlig unvorstellbaren Zustände beim Urknall zu beschreiben. Doch im Laufe der Zeit haben sich immer mehr Kosmologen mit dieser Idee angefreundet. Denn die Inflation hat geholfen, viele Probleme der „normalen“ Urknalltheorie zu lösen. Zudem hat sie etliche Phänomene vorhergesagt, die tatsächlich beobachtet wurden - etwa, dass das Universum geometrisch flach ist. Das bedeutet, dass überall die uns vertraute Geometrie gilt und im Kosmos die Summe der Winkel eines Dreiecks stets 180 Grad beträgt, erklärt Max Tegmark:
O-Ton 10 - Max Tegmark:
„Wir Wissenschaftler können niemals Theorien beweisen, wir können sie nur widerlegen. Wenn wir mehrere Jahre versuchen, etwas zu widerlegen, mit immer noch besseren Messungen und eine Theorie immer noch überlebt, dann fangen wir an, es ernst zu nehmen. Das ist, was zum Beispiel mit Einsteins Gravitationstheorie geschehen ist und was in letzter Zeit auch mit der Inflationstheorie geschehen ist.“
Autor:
Bisher passen die Daten exzellent zur Inflation - und gut ein Dutzend Experimente weltweit testen diese Theorie weiter. Doch direktes Licht aus der Ära der Inflation, also aus der unmittelbaren Anfangszeit unseres Kosmos, gibt es nicht. Die ältesten Lichtstrahlen, die sich im Universum beobachten lassen, haben sich eben erst 400.000 Jahre nach dem Urknall auf den Weg gemacht. Doch was während der Inflation passiert ist, könnte sich irgendwie in dieser Hintergrundstrahlung verewigt haben - durch sie lässt sich das Universum hinter die Kulissen blicken. Allerdings sind diese Beobachtungen äußerst aufwändig und die Interpretation der Daten ist oft nicht eindeutig.
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O-Ton 11 - Max Tegmark:
„Der Traum von allen Inflations-Enthusiasten ist, eine überzeugende Messung machen von Gravitationswellen. Wir haben letztes Jahr die sensationelle Nachricht von dem Bicep2-Team gekriegt, wo sie gesagt haben, ja wir haben es gefunden. Später haben andere Leute gesagt: Ah, nicht so schnell, nicht so schnell, das war vielleicht nur Staub.“
Autor:
Das Bicep2-Team hat in der Hintergrundstrahlung charakteristische Wirbel gesehen. Daran besteht kein Zweifel. Allerdings ist unklar, woher diese Wirbel stammen. Die Natur hält mindestens zwei mögliche Erklärungen bereit: Vielleicht gaukeln nur banale Staubteilchen in unserer Milchstraße den Kosmologen eine große Entdeckung vor. Oder die Wirbel gehen wirklich auf die Gravitationswellen vom Urknall zurück. Damals wurden große Massen sehr stark beschleunigt. Nach der Einsteinschen Relativitätstheorie sollten dabei kleine Erschütterungen durch den Weltraum gelaufen sein - eben die Gravitationswellen, die dann zu dem Wirbelmuster in der Hintergrundstrahlung geführt hätten.
O-Ton 12 - Max Tegmark:
„Das Problem war, nur weil es am Himmel ist, bedeutet es nicht notwendigerweise, dass es vom Urknall kommt. Da waren die Modelle, die die Bicep-Leute genutzt haben, für Galaxienstaub und so, nicht so gut, wie sie glaubten.“
Autor:
Weil das Bicep2-Team selbst über keine guten Staubmessungen verfügte, wurde bei einem Vortrag auf einer Tagung kurzerhand eine vorläufige Staubkarte von Kollegen abfotografiert. Die hatte der ESA-Satellit Planck gemessen und diese Daten wurden etwas nach Gefühl in die Auswertung eingearbeitet. Dieses Vorgehen ist wissenschaftlich - höflich formuliert - äußerst ungewöhnlich. Es lässt sich wohl nur dadurch erklären, dass die Bicep2-Forscher unbedingt die Ersten sein wollten, denen diese epochale Beobachtung gelungen ist. Der ESA-Satellit Planck hat inzwischen die Hintergrundstrahlung des gesamten Himmels und ebenso die Staubverteilung vermessen. Jetzt kombinieren die Kosmologen diese Daten mit den Bicep-Messungen.
O-Ton 13 - Max Tegmark:
„Falls dieses Jahr wir zeigen können, dass mindestens ein Teil von diesem Signal, das Bicep2 gesehen hat, nicht Galaxienstaub gewesen ist, sondern ein Signal vom Urknall, dann glaube ich, dass Alan Guth und Andrei Linde und jemand anders vielleicht einen Nobelpreis bekommen wird. Denn wir haben überhaupt keine andere Erklärung für so ein Signal. Ich glaube, dass dann viele Leute überzeugt sein werden, dass Inflation wirklich passiert ist.“
Atmo: Akustischer Trenner
Autor:
Doch die Inflationstheorie durchlebt in der Kosmologen-Welt eine ganz besondere Achterbahnfahrt. Zunächst wurde sie als spleenige Idee einer kleinen Gruppe von Theoretikern abgetan. Dann galt sie vielen als Tatsache - und ist inzwischen doch wieder einiger Kritik ausgesetzt. Paul Steinhardt, Inhaber der Albert-Einstein-
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Professur an der Universität Princeton, hat einst wichtige Teile der Inflationstheorie mit entwickelt. Jetzt aber sieht er fundamentale Probleme. Seiner Meinung nach wäre selbst eine Messung der Gravitationswellen alles andere als ein „Beweis“ der Inflation.
O-Ton 14 - Paul Steinhardt:
„The major concern about inflation theory to me is its extraordinary flexibility in terms of what it can produce...
Übersetzung:
„Meine größte Besorgnis bezüglich der Inflation ist, dass diese Theorie außerordentlich flexibel ist. Sie kann praktisch zu allen erdenklichen Phänomenen führen. Sie ist extrem empfindlich gegenüber den Bedingungen vor der Inflation - wenn man die ein wenig ändert, kommen sofort ganz andere Dinge heraus. Zudem sagt die Inflation nicht nur ein Weltall voraus, sondern ein Multiversum. Man kann also jeden erdenklichen kosmischen Zustand entstehen lassen.“
...you can account for every conceivable cosmological possibility.“
Autor:
Nach den meisten Varianten der Inflationstheorie ist beim Urknall nicht nur das uns vertraute Universum entstanden - sondern es sind während der kurzen Phase der inflationären Ausdehnung schier unendlich viele Paralleluniversen aufgeplatzt. Deren Zahl liegt irgendwo jenseits von 10 hoch 500, also einer 1 mit 500 Nullen. Allerdings sind alle diese Welten für uns nicht beobachtbar. Das klingt völlig fantastisch, würde aber rein philosophisch das Copernicanische Prinzip triumphal vollenden. Danach leben wir an einem ganz durchschnittlichen Ort im Kosmos: Unsere Erde steht nicht im Zentrum der Welt, sondern ist Planet unter Planeten. Gleiches gilt für die Sonne, einen Durchschnittsstern am Rand der Milchstraße, die ihrerseits eine von Myriaden Galaxien ist. Es wäre nur konsequent, sollte auch unser Universum nur eines von vielen sein. Max Tegmark staunt, dass manche Kollegen für das Multiversum der Inflationstheorie nur Kopfschütteln übrig haben:
O-Ton 15 - Max Tegmark:
„Wir Menschen haben mehrmals das gleiche Fehler gemacht, eine Art Hybris, wo wir gesagt haben: Nein, nein, wir Menschen sind so wichtig, dass wir ein sehr großer Teil von alles sein müssen. Und deswegen muss die ganze Wirklichkeit, die wir kennen, sehr klein sein. Es muss alles so klein sein, dass wir es sehen können. Falls wir es nicht sehen können, kann es nicht existieren. Das finde ich arrogant. Das klingt wie ein Strauß mit seinem Kopf im Sand, der sagt, falls ich es nicht sehen kann, existiert es nicht.“ [lacht]
Autor:
Es mag philosophisch schön sein - doch rein naturwissenschaftlich birgt das Multiversum ein erhebliches Problem. Wenn alle möglichen Varianten von Universen irgendwo existieren, lässt sich die Inflationstheorie kaum widerlegen - jedes beobachtbare Phänomen kommt in vielen Paralleluniversen vor. Im Multiversum ist alles möglich - und daher hält Paul Steinhardt die Inflation für gescheitert:
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O-Ton 16 - Paul Steinhardt:
„There’s no test you can make of the theory, that can disprove it...
Übersetzung:
„Es gibt keinen Test dieser Theorie, der sie widerlegen könnte. Und wenn eine Theorie in das Stadium kommt, in dem man sich keinen Test vorstellen kann, um sie auszuschließen, dann überschreitet sie eine Grenze. Das bringt sie dann von der Naturwissenschaft zu etwas, was man wohl Metaphysik nennt - es macht die Theorie wissenschaftlich bedeutungslos.“
...into what you might call metaphysics - an makes the theory scientifically meaningless.”
Autor:
Als Paul Steinhardt diesen Vorwurf kürzlich auf einer Podiumsdiskussion erhob, entgegnete Alan Guth, der Begründer der Inflation, auf ebenso erregte wie entlarvende Weise:
O-Ton 17 - Alan Guth:
„I think, anybody, who looks seriously at the history of science, realizes that the old Popper idea...
Übersetzung:
„Ich glaube, dass jeder, der sich ernsthaft die Wissenschaftsgeschichte ansieht, erkennt, dass die alte Idee von Karl Popper mit den widerlegbaren Theorien obsolet ist. Danach sollte man eine Theorie testen, testen und immer wieder testen, bis man ein Experiment findet, das nicht zur Theorie passt und sie somit ausschließt. Aber so funktioniert Wissenschaft heute nicht mehr.
… Science is an arena of competing ideas...
Vielmehr sind wir in einer Arena konkurrierender Ideen. Und im Moment ist die Inflation die mit Abstand am weitesten akzeptierte Theorie der Kosmologie.“
...too beautiful, I would say, to have much chance of not being on the right track.“
Autor:
Den Begründern der Inflation mag die große Zustimmung eine persönliche Genugtuung sein, aber wissenschaftliche Erkenntnis ist kein demokratischer Prozess. In der Forschung wird nicht darüber abgestimmt, wie die Natur funktionieren sollte. Jahrtausende lang waren sich fast alle Gelehrten einig, dass die Erde im Zentrum der Welt steht und von der Sonne umkreist wird. Doch mit der Wirklichkeit hatte das bekanntlich nichts zu tun... Es ist fast schon tragisch: Da haben die Kosmologen jahrzehntelang ein Modell entwickelt, das viele Schwächen alter Theorien beseitigt - doch plötzlich ergeht es ihnen wie dem Zauberlehrling und sie werden die Geister der Inflation einfach nicht mehr los. Manche räkeln sich etwas betriebsblind wohlig im warmen inflationären Nest. Kosmologen irren oft, doch nie quält sie ein Zweifel, höhnte schon vor langer Zeit der große russische Astrophysiker Jakov Zeldovich über seine Zunft. Auch Andreas Tammann, der seit einem halben
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Jahrhundert den Aufbau der Welt erforscht, weiß nur zu genau, wie Mode und Stimmungen eine ganze Disziplin dominieren.
O-Ton 18 - Andreas Tammann:
„Es wird von den Naturwissenschaften gesagt, dass sie objektiv seien. Das impliziert irgendwie auch, dass die Naturwissenschaftler objektiv seien, und Nichts ist unwahrer als das. Alle Naturwissenschaftler sind Persönlichkeiten. Die haben eigene Hirne, eigene Urteile und eigene Vorurteile. Diese Urteile und Vorurteile unterliegen auch Modeströmungen. Es gibt gewisse Sachen, die man plötzlich furchtbar wichtig und entscheidend findet und andere Dinge, von denen man sagt, die sind jetzt erledigt.“
Atmo: Akustischer Trenner
Autor:
Selbst wenn sich eine der Varianten der Inflationstheorie doch noch bestätigen ließe, so wären die Astronomen weit entfernt von einem umfassenden Verständnis des Universums. Denn nach dieser Theorie kommt die normale, uns aus dem Alltag vertraute Materie nur auf fünf Prozent des gesamten Inhalts des Kosmos. Dagegen soll etwa ein Viertel auf die ominöse Dunkle Materie entfallen: eine rätselhafte Substanz, die weder leuchtet, noch Licht verschluckt. Sie verrät sich nur indirekt durch ihre Anziehungskraft auf sichtbare Materie, erklärt Professor Joachim Wambsganß, Direktor am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg:
O-Ton 19 - Joachim Wambsganß:
„In den 30er Jahren hat man … gemerkt, dass Sterne in Galaxien und Galaxien in Galaxienhaufen sich mit größerer Geschwindigkeit bewegen, als es eigentlich nach den Theorien von Newton oder Einstein der Fall sein sollte. Daraus hat man geschlossen, dass man nicht alle Materie kennt. Fritz Zwicky, ein schweizerisch-amerikanischer Astronom, hat das missing matter oder missing mass genannt. In den 70ern wurde das dann Dunkle Materie genannt, dark matter, und das war und ist nach wie vor einer der nicht wirklich verstandenen Aspekte in der Kosmologie, in der Astronomie.“
Autor:
Mit der Dunklen Materie haben sich die meisten Forscher im Laufe der Zeit angefreundet. Die alternative Erklärung für die merkwürdige Bewegung der Sterne und Galaxien wäre, dass die Anziehungskraft im Kosmos ganz anders ist, als es Newton und Einstein beschrieben haben. Aber an der lieb gewonnenen Gravitationstheorie mag kaum jemand rütteln. Ende der 90er Jahre wollten die Astronomen dann messen, wie die gegenseitige Anziehung der Materie im All die Ausdehnung des Kosmos langsam abbremst - so wie ein nach oben geworfener Stein von der Erdanziehung angehalten wird und wieder zurückfällt. Doch die Experten wurden völlig überrascht:
O-Ton 20 - Joachim Wambsganß:
„In den letzten Jahren hat es nun aber eine Reihe von Entdeckungen gegeben, die darauf hindeuten, dass sich die Ausdehnung nicht nur nicht abbremst, sondern sogar noch beschleunigt wird, dass durch eine Art negativen Druck alle Materie im Weltall noch voneinander abgestoßen wird. Dies wird unter dem Begriff Dunkle Energie
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zusammengefasst. Das ist physikalisch vielleicht nicht ganz korrekt, aber es ist schon ein griffiger Name, den hat die Astronomengemeinde gleich übernommen.“
Autor:
Unsere normale Materie, die Atome und Moleküle, aus denen wir und alles um uns herum bestehen, also Häuser, Bäume, Sterne, Galaxien et cetera, ist im All nur eine verschwindend kleine Minderheit. Für uns ist sie wichtig, weil sie das beobachtbare Universum ausmacht - tatsächlich aber ist sie wohl kaum mehr als eine kosmische Randnotiz. 95 Prozent der Materie im Universum sind für die Forscher ein völliges Mysterium. Es gibt keinerlei überzeugende Erklärung, woraus Dunkle Materie und Dunkle Energie bestehen. Immerhin hatte die Inflationstheorie so etwas wie die Dunkle Energie vorhergesagt und deren Entdeckung hat der Theorie endgültig zum Durchbruch verholfen. Allerdings ist das nicht wirklich ein Trost, räumt Alan Guth ein:
O-Ton 21 - Alan Guth:
„The most peculiar thing about dark energy is that there is so little of it.“
Autor:
Das Ungewöhnlichste an der Dunklen Energie sei, dass es so wenig davon gebe, betont der berühmte Kosmologie-Professor vom Massachusetts Institute of Technology. Nach der Vorhersage müsste es von der Dunklen Energie 120 Größenordnungen mehr geben, als sich aus den Beobachtungen ableiten lässt. 120 Größenordnungen heißt: Eine 1 mit 120 Nullen. Um diesen Faktor ist die gemessene Dunkle Energie kleiner als der vorhergesagte Wert.
O-Ton 22 - Lawrence Krauss:
„Dark energy is the worst prediction of all of physics.“
Autor:
Der Kosmologe Lawrence Krauss hält die Dunkle Energie schlicht für die schlechteste Vorhersage der gesamten Physik.
Atmo: Akustischer Trenner
Autor:
Doch zu süß schmeckt die Theorie der kosmischen Inflation, zu verführerisch ist ihre mathematische Eleganz, zu beherrschend ist sie seit vielen Jahren, als dass die Astronomen von ihr lassen wollten.
Einen Ausweg bietet das Multiversum mit seinen zahllosen Parallelwelten. Es ist - je nach Sichtweise - wieder einmal Fluch und Segen. Für die einen führt es die Kosmologie in die Sackgasse von Philosophie und Religion, für die anderen ist es der rettende Ausweg: Denn wäre die Dunkle Energie bei uns viel größer, würde das All viel schneller auseinander fliegen. Dann wären nie die Galaxien mit Sternen und Planeten entstanden. Auf gut Deutsch: Das Universum ist eben so, wie es ist, weil es so ist, wie es ist. Das ist eine eher hilflose Erklärung. Doch nicht alle Forscher gehen mit den Grenzen ihres Wissens so gelassen um, wie Joachim Wambsganß:
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O-Ton 23 - Joachim Wambsganß:
„Von daher habe ich da kein Problem damit, dass wir noch nicht alles verstehen. Vielleicht lachen in 50 Jahren die Menschen über unsere Vorstellungen von Dunkler Materie und Dunkler Energie genauso, wie wir über die Physiker lächeln, die Ende des 19. Jahrhunderts vom Weltäther gesprochen haben, der nach damaliger Vorstellung die Welt durchfluten sollte. Und man konnte die Eigenschaften festlegen. Er sollte also transparent sein wie Vakuum, aber gleichzeitig mechanische Eigenschaften wie Stahl haben. Das war nicht lösbar. Dieses Problem hat Einstein auf einen Schlag mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gelöst.“
Autor:
Doch wie sollen die Kosmologen aus dem goldenen Käfig der Inflation ausbrechen? Ideal wäre, wenn sich eine vermeintlich gesicherte Erkenntnis plötzlich als grundfalsch herausstellte - etwa die, dass es doch keine Dunkle Materie gibt, sondern dass die Schwerkraft anders funktioniert als von Albert Einstein beschrieben.
O-Ton 24 - Joachim Wambsganß:
„Möglicherweise, ja, ist die Lösung unserer Fragen, unserer Rätsel auch eine solche, die sich nicht durch ein Experiment von Physikern oder durch eine Beobachtung von Astronomen klären lässt, sondern durch einen völlig neuen Ansatz, durch eine andere Theorie.
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