David Hume : Skeptiker und Menschenfreund . Von Rolf Beye


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SWR2 Wissen
David Hume : Skeptiker und Menschenfreund . Von Rolf Beye
Sendung: Donnerstag, 20. August 2015, 8.30 Uhr
Erst-Sendung: Freitag, 6. Mai 2011, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Kölbel
Regie: Günter Maurer
Produktion: SWR 2011
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Service:

ÜBERBLICK
Licht in das Dunkel menschlichen Erkennens zu bringen war das oberste Ziel des Philosophen David Hume. Geboren wurde er am 7. Mai 1711 im schottischen Edinburgh. Er gilt bis heute als eine der wichtigsten Leitfiguren der Aufklärung. Hume stellte den Menschen in den Mittelpunkt seiner Philosophie. Für ihn gab es keine grundlegende Erkenntnis außerhalb unserer Sinneseindrücke und Gefühle. Metaphysische "Erkenntnisse" hielt er für Spekulation. Moralischer Sinn und Mitgefühl, nicht etwa die Vernunft, bildeten für Hume die Grundlage moralischen Handelns. Seine skeptische und zugleich menschenfreundliche Philosophie erhellt bis in die heutige Zeit nachdenkliche Menschen, denen es um die Grundfragen des Denkens und des richtigen Lebens geht. (Produktion 2011)

INHALT
MANUSKRIPT
Zitatorin:
Unser Davie ist ein eigensinniger und exzentrischer Junge! Bücher will er schreiben, und ein bekannter Philosoph will er werden! Das Studium hat er aufgegeben, um Zeit zum Denken zu haben! In die Kirche geht er auch nicht mehr, und mit seinem Onkel streitet er über die Wahrheit der Bibel – ja wo gibt's denn so was!
Sprecherin:
Das sind die Worte einer ziemlich verzweifelten Mutter über ihren Sohn, der anfangs nicht so recht ins Leben fand. Am Ende seines Lebens allerdings galt er als einer der größten Philosophen jener Epoche des 18. Jahrhunderts, die man als Aufklärung bezeichnet.
Ansage:
David Hume – Skeptiker und Menschenfreund, eine Sendung von Rolf Beyer.
Sprecherin:
Geboren wurde David Hume am 7. Mai 1711. Sein Vater war Rechtsanwalt, seine Mutter Hausfrau. Die Familie lebte auf einem bescheidenen Landgut im schottischen Landgut Ninewells und manchmal in Edinburgh. Goldene Löffel waren ihm, dem zweitgeborenen Sohn, nicht in die Wiege gelegt, also musste er sich selbst eine bürgerliche Existenz aufbauen. Er studierte auf Wunsch seiner Eltern Jura in Edinburgh, aber Lust hatte er dazu nicht, so dass er das Studium abbrach, zurück ins elterliche Heim flüchtete und sich dort – wie er selbst später einmal sagte – "losen und ungenauen Gedanken" hingab. Er las dies und das, viel Literarisches und auch Philosophisches, aber gedanklichen Aufschwüngen folgten Verstimmungen, die man als Zeichen einer Erschöpfungsdepression deuten könnte.
Zitator:
Eine Gedankenszenerie schien sich mir aufzutun, die mich über alle Maßen fortriss ..., (dann aber) schien die ganze Begeisterung plötzlich erloschen. Ich konnte meinen Geist nicht mehr zu jenem Gipfel erheben, der mich zuvor mit so außerordentlicher Freude erfüllt hatte.
Sprecherin:
Seine Depressionen zeigten auch psychosomatische Symptome. Ein hässlicher Hautausschlag überzog ihn, ein unappetitlicher Speichelfluss machte ihm zu schaffen. Kurzum, er war ein pubertierender Achtzehnjähriger, ein Mensch auf der schmerzhaften Suche nach sich selbst. Es war die Philosophie, die ihm dazu verhalf, seine Krise zu überwinden. Doch Vorsicht, wenn hier von Philosophie die Rede ist, darf man nicht an Abgehobenes denken, schon gar nicht an akademisches Philosophieren. Darauf aufmerksam macht Jens Kulenkampff, Professor der Philosophie in Erlangen, der die Hume-Forschung durch Übersetzungen, gelehrte Abhandlungen und eine Biographie über den Philosophen bereichert hat.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Wenn ich jetzt an David Hume denke, dann sollte man sich vielleicht als erstes klar machen, dass der Philosophiebegriff zu seiner Zeit nicht derselbe ist wie heute. Es ist ein sehr, sehr umfassender Begriff gewesen, und da gehörte im Grunde alles an Wissenschaften dazu, was man sich überhaupt nur vorstellen kann. Es gehört im Grunde genommen auch alles Literarische dazu oder auch die ganze Geschichte, Geschichtsschreibung, das gehört alles dazu, eigentlich alles, was Menschen am menschlichen Leben, an der menschlichen Geschichte, an der Natur interessieren kann, es gehörte einfach alles dazu.
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Sprecherin:
Hume selbst hat seinen philosophischen Befreiungsakt in das Jahr 1731 datiert. Und wenn man seiner Beschreibung folgt, dann hört sich das, was er als Befreiung erlebte, eigentlich gar nicht spektakulär an:
Zitator:
Da ich jetzt Zeit und Muße hatte, begann ich ernsthaft zu überlegen, wie ich bei meinen philosophischen Überlegungen vorgehen sollte. Ich fand, dass (alle Philosophen) unter demselben Mangel litt(en), nämlich gänzlich spekulativ zu sein und mehr auf Erfindungen als Erfahrung zu beruhen. Jeder nahm nur seine eigene Phantasie, (seine Einbildungskraft) im Errichten von Lehrgebäuden ernst, ohne die menschliche Natur zu beachten. Ich entschloss mich daher, die menschliche Natur zum Hauptgegenstand meines Studiums zu machen.
Sprecherin:
David Hume nimmt also Abschied von allen hochfliegenden Spekulationen, wie sie durch Philosophie und Theologie geistern, will einfach nur die menschliche Natur ergründen. Gelten lassen will er nur, was zurückzuführen ist auf sinnliche Erfahrungen, die er „Perzeptionen“, Vorstellungen nennt.
Zitator:
Hassen, lieben, denken, fühlen, sehen, alles dies ist nichts als perzipieren.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Was ist das zentrale Stück seines Philosophierens? Wir klassifizieren ihn immer so in der Geschichtsschreibung als einen Empiristen. Wir sagen, er ist einer der führenden englischen Empiristen des späten 17. und dann vor allen Dingen 18. Jahrhunderts. Das ist auch insofern richtig, als in seinem Philosophieren, in seinem Denken die Berufung auf Erfahrung immer zentral ist. Aber die große Frage ist: Was heißt das eigentlich genau? Ich glaube, es ist der Versuch, uns klar zu machen, dass wir als sinnlich, wahrnehmend, mit unserer Umwelt verbundene Wesen und mit ihr kommunizierende Wesen, auf sie reagierende Wesen und sie aufnehmende Wesen genau ein Stück dieser Umwelt selbst sind. Sein Bestreben ist immer, wenn sie uns überfallen, uns zu befreien von intellektuellen Problemen, die wir nicht lösen können, weil unsere geistigen Kapazitäten dafür nicht gemacht sind. Und darin sehe ich dieses Humane, also den Menschen so nehmen, wie er ist von Natur aus.
Sprecherin:
Hume hat zehn Jahre gebraucht, um sein empiristisches Philosophieprogramm umzusetzen. Das Ergebnis war der Traktat über die menschliche Natur, der in den Jahren 1739 und 1740 erschien, das Werk eines Achtundzwanzigjährigen, über sechshundert Seiten lang. Seine Kernthesen hat er selbst in einem kurzen Abriss zusammengefasst:
Zitator:
Der erste Lehrsatz besagt, dass alle unsere Perzeptionen, alle unsere Vorstellungen ihren Ursprung in unseren impressions, unseren (Sinnes)eindrücken haben, und dass wir an nichts zu denken vermögen, was wir nicht zuvor gesehen oder im Geiste unmittelbar empfangen haben. So können wir uns beispielsweise keine richtige Vorstellung von dem Geschmack einer Ananas machen, ohne sie wirklich gekostet zu haben.
Sprecherin:
Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass all das, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, tasten und fühlen, wesentlich ist für den Aufbau unserer ganz alltäglichen Erfahrungen. Kniffliger aber wird es, wenn man genauer hinschaut oder hinhört, wenn man präzise analysiert und reflektiert. Und genau das macht eben – im Unterschied zum Alltagsmenschen – ein Philosoph, wenn er philosophiert. Hume selbst gibt ein Beispiel, das wieder ganz alltäglich erscheint.
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Zitator:
Ich sitze hier in meinem Zimmer, mit meinem Gesicht dem (Kamin)feuer zugewandt, (die Zimmertür im Rücken.) Alle Gegenstände, die auf meine Sinne einwirken, befinden sich im Umkreis von einigen Metern um mich herum. Indem ich nun so dasitze, höre ich plötzlich einen Lärm wie von einer Türe, die sich in ihren Angeln dreht, und ein wenig später sehe ich einen Briefträger auf mich zukommen.
Sprecherin:
Aber was hat der Philosoph wirklich sinnlich empirisch wahrgenommen? Einfach nur ein Geräusch. Dass es aber das Geräusch einer sich öffnenden Tür gewesen ist, das fügt seine Einbildungskraft der Wahrnehmung hinzu. Und diese Einbildungskraft wird nicht gelenkt von Vernunft und Verstand, sondern schlicht und einfach durch Gewohnheiten, durch Assoziationen, durch Erinnerungen. Es war halt immer schon so, dass sich das gehörte Geräusch mit einer sich öffnenden Tür verbunden hatte.
Zitator:
So ist Gewohnheit die große Führerin im menschlichen Leben.
Sprecherin:
Solche Einsichten verdichteten sich bei Hume zu einer veritablen Erkenntniskritik. Sie machte ihn zu einem Skeptiker in Sachen rationaler Erkenntnis. Berühmt wurde seine Kritik am Kausalitätsprinzip, dem bisher nicht hinterfragten Prinzip des alltäglichen und wissenschaftlichen Verstandes, wonach aus einer Wirkung notwendigerweise auf eine Ursache geschlossen wird.
Atmo:
Aufeinander stoßende Billardkugeln
Zitator:
Auf dem Tisch hier liegt eine (Billard)kugel; eine zweite bewegt sich mit einer gewissen Geschwindigkeit auf die erste zu. Sie stoßen zusammen, und die Kugel, die zuerst in Ruhe war, wird nun in eine gewisse Bewegung versetzt. Es ist wohl klar, dass sich die Kugeln einander berührten; es ist gleichfalls offenkundig, dass die Ursachenbewegung vor der Wirkungsbewegung stattfand. Wiederholen wir das Experiment mehrfach, ergibt sich (drittens), dass zwischen Ursache und Wirkung ein konstanter Zusammenhang bestehen muss.
Sprecherin:
Auch diese Beschreibung leuchtet ein. Doch gibt es wieder einen Haken: Die sinnlichen Eindrücke vermitteln nämlich nur das Nacheinander von Eindrücken; dass man diese Eindrücke im Sinne eines notwendigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs versteht, ist Zutat der spekulativen Einbildungskraft.
Zitator:
Die Imagination, (die Einbildungskraft, die Phantasie), (dieses) unbeständige und trügerische Prinzip (ist es), das uns Schlüsse aus Ursachen und Wirkungen ziehen lässt.
Sprecherin:
In der praktischen Lebenswelt spielt diese Erkenntnisskepsis keine Rolle. Denn es gilt Humes allgemeine Maxime:
Zitator:
Sei ein Philosoph, aber inmitten all deiner Philosophie bleibe ein Mensch!
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Sprecherin:
Aus lebenspraktischen Gründen glaubt der Mensch nämlich an das, was die strenge empiristische Theorie skeptisch in Frage stellt. Geleitet von einer Art instinktiver Intelligenz verlässt sich der Mensch auf das, was über den Verstand hinausgeht. Jens Kulenkampff verdeutlicht den kniffligen Zusammenhang.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Nehmen wir dieses berühmte Beispiel: Unter gewissen sehr strikten Voraussetzungen oder Forderungen können wir aus dem Umstand, dass die Sonne bisher jeden Tag aufgegangen ist, nicht darauf schließen, dass sie das morgen auch tun wird, aber – und jetzt kommt der entscheidende Punkt – trotzdem sind wir uns dessen absolut sicher. Aber warum sind wir uns dessen sicher? Jetzt kommt dieses berühmte Prinzip ins Spiel, das man vielleicht auch merkwürdig findet und so furchtbar unphilosophisch klingt, es ist die Gewohnheit, es ist custom und habit, es ist die Gewohnheit. Aber was steckt da hinter, was steckt da drin? Da steckt etwas meiner Ansicht nach sehr Wichtiges drin, nämlich dass Hume sagt, ja, wir sind an diese Welt auch hinsichtlich unserer kognitiven Fähigkeiten angepasst, und das gibt diese Sicherheit, weil gleichsam – klingt jetzt ein bisschen paradox – sozusagen eine animal-intellektuelle Sicherheit da ist, die wir haben als an unsere Umwelt angepasste Wesen.
Sprecherin:
Humes Zeitgenossen haben die lebenspraktischen Aspekte seiner skeptischen Erkenntniskritik nicht zur Kenntnis genommen. Besonders die seinerzeit allmächtigen Autoritäten der schottischen Kirche sahen sich herausgefordert. So einer wie Hume, der alles auf natürliche Erfahrung gründen wollte, der deshalb die traditionellen Lehren der Religion für Phantasiegespinste hielt, so einer konnte nur ein Atheist sein. Kein Wunder also, dass die kirchlichen Amtsträger ihm Steine in den Weg legten und seine Bemühungen um eine Professur in Edinburgh zweimal vereitelten. Und Hume selbst? Wie reagierte er wohl auf all diese Anfeindungen? Vielleicht einfach so, wie er es gerne hielt, wenn er in intellektuelle Krisensituationen geriet.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Es gibt eine sehr schöne Stelle – mitten in seinem frühen Hauptwerk, in dem Traktat; an der Stelle schildert Hume den philosophischen Gelehrten in seiner Studierstube, der sich dort mit abstrakten Problemen abmüht, die er nicht lösen kann. Und dann irgendwann ist dieser arme Mensch von seiner Tätigkeit ermüdet, tritt aus der Studierstube heraus, und was passiert jetzt? Alles das, was ihn eben geplagt hat, das fällt gleichsam von ihm ab, das ist wie die Sonne, der Sonnenschein lässt diese Finsternis, diese Nacht der quälenden Gedanken verschwinden und den betreffenden Menschen hinaustreten ins Leben und ihn wieder vollkommen vertraut sein mit seiner Umgebung.
Atmo:
Pferde
Sprecherin:
Nachdem seine akademischen Ambitionen vereitelt waren, verließ Hume das heimatliche Schottland, wirkte kurzzeitig – schließlich musste er auch Geld verdienen – als Hauslehrer in der Nähe von London, trat dann in die Dienste eines Generals, mit dem er, zum Kriegsgerichtsrat ernannt, aber immer seekrank an der bretonischen Küste herumschipperte, in militärische, aber eher harmlose Scharmützel verwickelt wurde. Ganz nebenbei entdeckte er die Freuden der Geselligkeit, sprach dem Essen und Trinken zu, was seinen zunehmenden Leibesumfang erklären mag, erfreute sich eines neuen Hobbys, dem Kartenspiel. Im Jahre 1748 ist er in diplomatischer Mission in Wien und Turin unterwegs, Besonders erinnert er sich auch an eine „angenehmste Rheinfahrt“, vorbei an Kleve, Köln, Koblenz.
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Zitator:
(Wir) reisten die ganze Zeit hindurch an den Ufern des Rheins, manchmal in offenen, schönen, gut gepflegten Ebenen, dann wieder eingesunken zwischen hohen Bergen, nur getrennt durch den schönsten Fluss der Welt. Ein Berg ist immer bis zum Gipfel mit Wald bedeckt, der nächste mit Weinreben. Gewiss hat es nie ein solches Zusammen wilder und kultivierter Schönheiten an einem Ort gegeben.
Sprecherin:
Er hat auf seinen Reisen interessante Leute kennengelernt. In Frankreich wurde Hume von Königen empfangen, in geselligen Salons herumgereicht, von namhaften Philosophen wie Diderot und d'Alembert gerühmt. Mit Jean Jacques Rousseau verband ihn zunächst Freundschaft, später jedoch entfremdeten sie sich. Auch eine Liebesbeziehung mit einer gewissen Comtesse de Bouffler-Rouverel hielt nicht lange. Erfolgreicher war Hume in seinen philosophischen Studien. Und da schreibt er dann unablässig an seinen Essays, arbeitet an seiner Untersuchung über den menschlichen Verstand, schreibt die Geschichte Englands, die ihn nicht nur zu einem gerühmten Historiker macht, sondern ihm viel Geld einbringt, so dass er, der als "armer Philosoph" begann, als Schriftsteller schließlich materiell ganz gut dastand.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Er hat sich also durchschlagen müssen, und es ihm dann später gelungen, mit seinen Publikationen – und das ist etwas sehr Ungewöhnliches für die damalige Zeit – so viel Geld zu verdienen, dass er davon leben konnte. Und darauf ist er dann sehr stolz gewesen. Das ist in der damaligen Zeit völlig ungewöhnlich, dass kam sehr selten vor.
Sprecherin:
Humes gesellige und schriftstellerische Umtriebigkeit in vielen Bereichen hatte auch philosophische Folgen. Denn sie führte ihn dazu, seine moralphilosophischen Studien zu vertiefen. In ihnen tritt der menschenfreundliche Philosoph hervor, der schon im Traktat die Sympathie und eben nicht – wie viele andere damals und heute – die Vernunft als grundlegende Quelle aller Moral betrachtete.
Zitator:
Keine Eigenschaft der menschlichen Natur ist bedeutsamer als die uns eigentümliche Neigung, mit anderen zu sympathisieren und auf dem Wege der Mitteilung deren Neigungen und Gefühle in uns aufzunehmen. Ein gutmütiger Mensch teilt sofort die Stimmung seiner Umgebung (mit). Wenn die Erde freiwillig alles hervorbrächte, was ihm nützlich und angenehm ist, er würde doch elend sein, bis ihr ihm wenigstens einen Menschen gebt, mit dem er sein Glück teilen und dessen Wertschätzung und Freundschaft er genießen kann.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Sympathie heißt vom Wort her Mitempfinden, Mitleiden, und da ist alles drin, da kommt es einfach darauf an, dass ich die Situation des andern erfassen kann und wie es ihm geht. Und das ist die Voraussetzung für meine moralische Reaktion.
Sprecherin:
Aber Hume wäre nicht ein bedeutender Moralphilosoph, wenn er nur – wie auch andere seiner Zeitgenossen – die Sympathie gepriesen hätte. Er hat tiefer geschürft und dabei erkannt, dass moralische Urteile nicht in der schwachen Vernunft gründen. Hume zeigt diesen Sachverhalt in seiner berühmt gewordenen Analyse eines Mordes.
Zitator:
Ich denke etwa an den absichtlichen Mord. Betrachtet denselben von allen Seiten und seht zu, ob ihr das finden könnt, was ihr (das Böse), das Laster nennt. Wie ihr das Ding auch ansehen möget, ihr findet nur gewisse Affekte, Motive, Willensentschließungen und Gedanken. (Das Böse), das Laster entgeht euch gänzlich, solange ihr den Gegenstand nur
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betrachtet. Ihr könnt es nie finden, sofern ihr nicht euer ganzes Augenmerk auf euer eigenes Innere richtet und dort ein Gefühl der Missbilligung entdeckt, das in euch angesichts dieser Handlung entsteht.
Sprecherin:
Auch diese Sätze hören sich zunächst nicht besonders spektakulär an; sie stellen aber infrage, was Philosophen vor Hume – wie Sokrates, Plato oder Aristoteles – und Philosophen nach Hume wie etwa Immanuel Kant vertreten haben, nämlich die Auffassung, dass Moralität aus der Vernunft hervorgeht, ja mit ihr geradezu identisch ist. Ganz anders Hume, der den Ursprung der Moralität in Gefühle verlagert, in emotionale Stellungnahmen, die meistens ganz spontan entstehen. Ein Mord wird ganz automatisch missbilligt, ja verabscheut und gilt moralisch als böse; gebilligt, ja moralisch hoch geschätzt hingegen werden fröhliche, gesellige Menschen, die besonnen und taktvoll agieren, die wohlwollend und großherzig mit anderen umgehen.
Zitator:
Alle Moral beruht auf unseren Gefühlen. Und wenn uns eine Handlungs- oder Geisteseigenschaft auf eine gewisse Art gefällt, nennen wir sie tugendhaft.
Sprecherin:
Der Verstand hingegen ist schwach. Er, der Verstand, kann nämlich nur Tatsachen feststellen, also das, was ist; nicht der Verstand aber, sondern der moral sense, eine Art emotionaler Sensibilität sozusagen, sagt uns, was sein soll, was nicht sein darf, was geboten, was erlaubt oder verboten ist. Diese Einsicht hat man später das "Humesche Gesetz" genannt. Hume selbst hat seine Einsicht in einem berühmt berüchtigten Kernsatz zusammengefasst, der auch heute noch im angelsächsischen Sprachraum Abiturienten zur Kommentierung aufgegeben wird.
Zitator:
Vernunft ist nur ein Sklave der passions, der Affekte und soll es sein; sie, (die Vernunft), darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben, (also den passions, den Affekten) zu dienen und zu gehorchen.
Sprecherin:
Da mag sich der eine oder andere die Augen reiben. Meinte Hume tatsächlich, dass sich der Mensch von Passionen, Affekten – und da denkt man natürlich an heftige Leidenschaften – leiten lassen soll. Soll man sich etwa irrationalen Antrieben wie Zorn, Gier, Eifersucht, Neid überlassen statt der Stimme der Vernunft zu folgen?
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Was ist der entscheidende Punkt? Der entscheidende Punkt ist, dass nach Humes Meinung ein moralisches Urteil, wenn wir das richtig verstehen, immer mit einem persönlichen Engagement, mit einer persönlichen Stellungnahme verbunden ist. Wir können nicht sozusagen rein neutral feststellen, dieses und jenes ist ein Verbrechen dieser und jener Art gewesen. Wir können es nicht, höchstens verkrampft oder künstlich, aber natürlicherweise ist es nicht so, sondern verbunden mit der Stellungnahme: So soll es nicht sein. Und nicht nur, so soll es nicht sein, also eine abstrakte Idee, sondern eigentlich immer mit einem Impuls, dem Missstand abzuhelfen, verbunden – helfen dem Hingefallenen oder was es auch sei. Also ein moralisches Urteil ist viel mehr als ein bloßes verstandesmäßiges Urteil. Es ist verknüpft mit dem Impuls zum Handeln.
Sprecherin:
Nimmt man Humes Moralphilosophie heute ernst, dann ahnt man, worauf es ankommt, wenn es um die viel diskutierten Fragen von moralischer Erziehung und Bildung geht. Ansprache an die Vernunft reicht in Sachen Moral eben nicht aus, sondern auf emotionale Sensibilisierung kommt es an, zunächst im familiären Nahbereich, wenn ganz alltägliche
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Tugenden wie Sympathie und Einfühlung, Mitgefühl und Mitleid eingeübt werden. Auch im gesellschaftlichen Umfeld kommen moralische Gefühle zur Geltung, also dann, wenn man es mit wildfremden Leuten zu tun hat, auch mit solchen, die einem nicht unbedingt sympathisch sind. Dann greift das, was Hume einfach sense of duty, Pflichtgefühl nennt. Dann erfüllt man ganz selbstverständlich seine bürgerlichen Pflichten, verhält sich fair und anständig anderen gegenüber, betrügt und lügt nicht und hält seine Versprechen.
Zitator:
So hoch, wie wir unser eigenes Glück und Wohlergehen schätzen, ebenso müssen wir es gutheißen, dass Gerechtigkeit und Menschenliebe geübt werden, durch die allein der Gesellschaftsbund aufrechterhalten werden kann und jedermann in der Lage ist, die Früchte wechselseitigen Schutzes und Beistandes zu ernten.
Sprecherin:
Folgt der handelnde Mensch also seinen moralischen Gefühlen, dann ist das nützlich für ihn und nützlich für die Gesellschaft im Ganzen. War Hume deshalb ein Utilitarist? Für Utilitaristen leitet sich das Moralischsein von Handlungen aus ihrem Nützlichsein ab, getreu dem Motto: Ich handle moralisch, weil und wenn es mir und anderen nutzt. Das ist jedoch keinesfalls das, was David Hume unter „moralischem Handeln“ verstand.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Warum werden bestimmte Verhaltensweisen von uns als tugendhaft bezeichnet und warum werden andere als nicht tugendhaft bezeichnet. Und die Antwort, die er gibt, ist eigentlich eine ganz einfache: Das Tugendhafte wird deshalb so bezeichnet, weil es für die Gemeinschaft nützlich ist. Jetzt kommt ein ganz furchtbar wichtiger Punkt: Man ist jetzt geneigt, Hume für einen Utilitaristen zu halten. Das stimmt aber nicht. Denn im Bewusstsein des Einzelnen gibt es kein Räsonnement der Art, ich verhalte mich jetzt tugendhaft so, weil es nützlich ist, oder ich bin dankbar Ihnen gegenüber, weil ich weiß, dass ich dann damit rechnen kann, dass Sie mir wieder eine Wohltat erweisen etc.; gerade dieses Nützlichkeitsräsonnement gehört nicht zum moralischen Bewusstsein selbst. Wir lernen das als Kinder und handeln dann, wenn wir das richtig gelernt haben, ganz spontan, klappt nicht immer, das wissen wir leider ja. Aber wo es klappt, ist es genau so, dass wir uns spontan freundlich, entgegenkommend, helfend, was auch immer es sei, zueinander verhalten.
Sprecherin:
In seinen letzten Jahren arbeitet Hume weiter an dem Dialog über natürliche Religion, der aber erst nach seinem Tod erscheinen wird. Und dieses raffiniert und kunstvoll komponierte Werk trägt noch einmal alles äußerst scharfsinnig zusammen, was Hume an der zeitgenössischen Religion und Religionspraxis zu kritisieren hatte, den Aberglauben, der mit der Furcht der Menschen spielt und sie ausbeutet, die Schwärmerei, die Hume gut aus seiner calvinistischen Erziehung heraus kannte. War Hume aber jener Atheist, als der er von den Frommen und Frömmlern seiner Zeit verteufelt wurde? Wenn man jenem Philo folgt, dem fiktiven Gesprächspartner des Dialogs, in dem sich Hume vermutlich selbst porträtiert hat, dann wohl eher nicht.
O-Ton – Jens Kulenkampff:
Wenn man die Dialoge liest, dann ist man ja gerade gegen Ende überrascht, weil eben Philo derjenige ist, der alle Argumente als unschlüssig kritisiert. Jetzt kommt wieder so eine Hume-Geschichte. Plötzlich sagt der Philo etwas, wo man denkt, wieso kommt das jetzt, nämlich da sagt er: Wenn ich mich umschaue und sehe in die Natur, dann kann ich gar nicht anders, als bei diesem wohlgeordneten Kosmos anzunehmen, das bringt mich sozusagen auf den Gedanken an Gott. Mit Hume müsste man sagen, ja, wir sind so gebaut, dass uns der Anblick von Blumen, Pflanzen, Wohlordnung auf diesen Gedanken bringt, das ist absolut überzeugend. Es ist absolut überzeugend, aber es kein Argument. Wir haben nicht Prämissen, und da folgt etwas daraus. Es ist keine rationale Einsicht. Letztlich ist es
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wiederum so etwas Sentimenthaftes. Hume ist da wiederum vollkommen Realist und sagt: Natürlich gibt es so etwas wie ein religiöses Gefühl.
Sprecherin:
Am 25. August 1776 stirbt David Hume. Und wenn man jenem Bericht glauben mag, den Adam Smith angefertigt hat, sein philosophischer Schüler und später gefeierter Weltökonom, dann starb er einen philosophischen Tod, ruhig und gefasst, mit sich selbst im Reinen, auch zuletzt noch seinen fanatischen Gegnern standhaltend, als ob er jenen, die ihn einen Skeptiker, Immoralisten und Atheisten genannt hatten, noch einmal die freigeistige Zunge entgegengestreckt hätte.
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