Bernie Krause : Vom Ursprung der Musik in der Natur

Lebenswelt
Orchester der Tiere
kunstmann14-1krause-orchestertiere

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Online-Publikation: Januar 2014 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Bernie Krause : Das große Orchester der Tiere . Vom Ursprung der Musik in der Natur . Übersetzt von Sonja Schumacher, Gabriele Gockel  >>
Buch : 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN 978-3-88897-870-8; 22.95 € (D); epub eBook  : 17.99 € (D)
Verlag Antje Kunstmann, München; http://www.kunstmann.de ;

Inhalt
Wenn Bernie Krause seine Mikrofone in ein gesundes Korallenriff senkt, ist der Reichtum der Klänge überwältigend. Das kristallklare Wasser pulsiert mit der akustischen Bandbreite von Geräuschen, die Krustentiere und Fische, ja selbst Seeanemonen erzeugen. Einen Kilometer weiter, wo die Zerstörung sichtbar ist, hört man nur den Klang der Wellen und ein paar Krabben schnappen – trostlose Geräusche einer sterbenden Umwelt.
Seine Leidenschaft für die Natur hat den Musiker Bernie Krause, der einst die elektronische Musik erfand und mit Popgrößen wie The Byrds, The Doors, Bob Dylan und George Harrison zusammenarbeitete, zum Forscher und Pionier der »Biophonie« gemacht. Vierzig Jahre lang hat er die Welt umreist, um den Reichtum der Arten und die einzigartigen Klanglandschaften ursprünglicher Habitate, aber auch deren fortschreitende Zerstörung zu dokumentieren. Er hat am Amazonas Jaguars bei ihrer nächtlichen Beutejagd belauscht, Diane Fosseys Gorillas besucht und den Gesang der Buckelwale aufgenommen. Sein Buch liest sich wie ein Abenteuerroman und ist zugleich ein leidenschaftliches Plädoyer für die Erhaltung einer übersehenen, aber nicht minder bedrohten Ressource: der Musik der Wildnis, die am Ursprung der des Menschen steht.

Autor
Bernie Krause, geb. 1938 in Detroit, studierte Violine und klassische Komposition. 1963 ging er als Gitarrist zu den Weavers. Als Spezialist für elektronische Musik arbeitete er u.a. mit den Byrds, Doors, Stevie Wonder und George Harrison zusammen, war an den Soundtracks zu Kinoklassikern wie Apocalypse Now, Rosemary’s Baby, Love Story und Doctor Doolittle beteiligt und veröffentlichte fünf eigene Alben. 1975 ging Krause zur Universität zurück und promovierte mit einer Arbeit über Bio-Akustik. Auf seinen Weltreisen hat er 15.000 Arten und 4000 Stunden »soundscapes« verschiedener Habitate aufgenommen, von denen die Hälfte heute nicht mehr existiert. Krause lebt mit seiner Frau in Kalifornien.

Fazit
Kompositeur und Spezialist für elektronische Musik und Bio-Akustik  Bernie Krause begegnet mit seinem tief ergreifenden Buch " Das Orchester der Tiere"  dem Ursprung der Musik in der im Tierwesen, das immer noch in uns nachzuklingen scheint. Sonst gäbe es nicht diese grosse Resonanz von Empfindungen in uns. Krause unterscheidet 3 Schichten von Klangformen der Natur, 'die Geophonie, das sind von der Erde selbst erzeugten Geräusche, die Anthropophonie, das ist die Klangwelt des Menschen, und als drittes die Biophonie, das sind die von Pflanzen und Tieren erzeugten Klänge (Zähringer*)'. So kommt Krause zur Erkenntnis, dass 'das Wissen jedes Blattes und jedes Geschöpfes uns beschwört dem zarten Klangteppich der Biophonie unsere Liebe und Sorge zu schenken'. Dem ist nichts also grösstes Lob für Krause hinzuzufügen. m+w.p13-12

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Stimme
SWR2 Forum Buch :
http://www.swr.de/-/id=11991558/property=download/nid=658730/t22g0n/swr2-forum-buch-20131215.pdf

  1. Bernie Krause: Das Orchester der Tiere. Vom Ursprung der Musik in der Natur
    Beitrag von Martin Zähringer*
    http://www.swr.de/-/id=11991558/property=download/nid=658730/t22g0n/swr2-forum-buch-20131215.pdf
  2. Der in Kalifornien lebende Musiker, Bioakustiker und Naturfreund Bernie Krause gehört zu den Künstlern, die in produktiven Widersprüchen denken und arbeiten. Produktiv ist seine Verbindung von musikalischer Erfahrung mit ökologischen Interessen. Widersprüchlich ist, dass die gesteigerte akustische Wahrnehmung der Natur, der sich Krause seit Jahrzehnten verschrieben hat, selbst nur mit fortgeschrittener Technologie möglich ist. Bernie Krause reist als Bioakustiker durch die Welt, nimmt systematisch und mit feinstem Aufnahmeequipment die Klanglandschaften der Natur auf und hat jetzt darüber ein Buch geschrieben: „Das Orchester der Tiere“. In diesem Buch findet der Leser nützliche Präzisierungen für eine Ökologie des Klangs. Kraus spricht von drei Grundebenen der Klangwelt: die Geophonie, das sind von der Erde selbst erzeugte Geräusche, die Anthropophonie, das ist die Klangwelt des Menschen, und als drittes die Biophonie, das sind die von Pflanzen und Tieren erzeugten Klänge. Im Rahmen derart methodisch gefasster Klangwelten entsteht Bernie Krauses Ökologie des Klangs, angefangen bei einer Theorie des Ursprungs der Musik aus dem Klang des Urwalds bis zu den Skandalen des anthropophonen Lärms. Zum eingangs erwähnten Widerspruch zwischen Naturerfahrung und Technologie schreibt der Autor folgendes:
    Zitat
    Als ich erstmals einen Frühlingschor in der Morgendämmerung durch den Kopfhörer verstärkt hörte, erkannte ich sofort, dass ich bis dahin mit meinen unfokussierten Ohren einen erlesenen Teil der Wirklichkeitserfahrung versäumt hatte. Klangverstärkung ermöglichte mir, die Sprache der Wildnis auf eine Weise zu dechiffrieren, wie es mir nur mit musikalisch geschultem „kultiviertem“ Zuhören nicht möglich gewesen wäre.
    Es sei ganz ähnlich wie in der Fotografie: Wenn der Fotoapapparat ein Hilfsmittel sein kann, um ohne Kamera sehen zu lernen, sei das mit Rekorder und Kopfhörer genauso. Inzwischen kann Bernie Krause mit einem persönlichen Archiv von über 4500 Stunden Klanglandschaften aus der ganzen Welt aufwarten. Und wieder hilft avancierte Technologie, die Schätze der Natur zu heben. Denn was im Buch in neun Kapiteln und einem Präludium beschrieben wird – der Klang als Mentor einer ökokünstlerischen Entwicklung, die raffiniert abgehörten Geräusche der Erde, das akustische Faszinosum der Regenwälder und die Interaktionen iher Bewohner mit der biologischen Klangwelt, diese selbst als Biophonie beschrieben, Geräuschnebel und Lärm in allen menschlichen habitaten – all das kann via Soundkarte und Internet auf einer Webseite des Verlags abgehört werden. Das macht Spaß, und überhaupt ist der sinnliche Zugang eine wesentliche Grunderfahrung in diesem akustischen Spiel. Der als Präludium bezeichnete Prolog zum Buch z.B. enthält tatsächlich eine Einleitung audiophoner Natur, die ganz frühe Aufnahme eines biologischen Habitats:
    Zitat
    Hier stimmt sich das große Orchester der Tiere ab und offenbart die akustische Harmonie der Wildnis. Es ist der Ausdruck tiefster Zusammengehörigkeit der natürlichen Klänge und Rhytmen des Planeten, die Basslinie dessen, was wir heute in der noch verbliebenen Wildnis hören, und wahrscheinlich ist ein jedes Musikstück, an dem wir uns erfreuen, und ein jedes Wort, das wir sprechen, irgendwann aus dieser kollektiven Stimme hervorgegangen. Es gab eine Zeit, da war dies die einzige Quelle akustischer Inspiration.
    Krause schreibt von zahlreichen Erlebnissen und Berichten, die seine These von der Entstehung von Musik und Sprache aus dem Klang der Natur belegen sollen. Zitiert werden auch Texte und Klangmaterialien von Kollegen. Etwa die des amerikanischen Musikethnologen Louis Sarno, der
    im zentralafrikanischen Regenwald die Verbindungen zwischen menschlicher Musik und den Klängen der Natur erforscht. Krause präsentiert folgende Gesangsaufnahme einer indigenen Gruppe:
    Krause schreibt dazu:
    Zitat
    Die klangliche Umwelt der Gruppe war seit ihrer Ankunft im Dzanga-Sangha-Gebiet die Stimme ihrer Existenz gewesen. Vielleicht war sie sogar das Leuchtfeuer, das ihre Vorfahren in diesen Wald gelockt hatte.
    Ein schön klingender Wald, das hört sich nach romantischer Verklärung an. Aber in Krauses ökologischer Perspektive wird die Biosphäre zum Kulturraum und auch die These vom Ursprung der pentatonischen Tonleiter aus dem Gesang der Vögel nachvollziehbar. Umso mehr beklagt Krause die anthropophonen Störungen. Heutzutage brauche er immer länger, um eine halbwegs ungestörte Biophonie zu finden, die akustische Kriechspur irgendeines Flugzeugs findet er fast überall.
    Krause geht in seiner Ökologie des Klangs von einer speziellen Weiterentwicklung der Bioakustik aus. Angefangen hat er mit dem fachtypischen Sammeln von Einzeltierstimmen im Auftrag von Museen und Forschungsprojekten. Aber bald interessierte ihn das gesamte Klangspektrum in einem Habitat, das er als Biophonie oder eben als „Orchester der Tiere“ mit klaren Strukturen auffasst. Das folgende Klangbeispiel stammt von einer großen Wiese in der Sierra Nevada, das Zitat aus dem Buch bezeichnet Krauses analytisches Modell:
    Zitat
    In einem „Orchester“-Szenario – das geradezu einem evolutionären Ablauf folgt – geben die Insekten den Grundrhytmus vor. Die Frequenzen schwirrender Flügel und die Häufigkeit des Zirpens sind meist je nach Spezies vorgegeben, aber sie verändern sich fast unmerklich, weil sie sich unaufhörlich den von außen einwirkenden Kräften wie der Temperatur, dem Sonnenlicht und dem Wetter anpassen. Sobald die einzelnen Positionen im Audiospektrum belegt sind, gesellen sich die Lurche und Reptilien hinzu und übernehmen klangfreie Nischen. Dann treten die Vögel dem Chor bei, gefolgt von den Säugetieren. Schließlich findet jede Stimme einen freien Kanal oder ein Zeitfenster für ihren Auftritt.
    Im Buch wird dieses Muster in Spektrogrammen visualisiert. Das ist besonders dann interessant, wo es um praktische Nutzungen dieses Verfahrens geht. Krause kann so zum Beispiel zeigen, dass sich die Biophonie eines Habitats nach einer intensiven Waldabholzung ändert, auch wenn es für das Auge nicht so aussehen mag. Das folgende Tondokument von der eben gehörten Wiese verweist - ein Jahr nach dem Holzeinschlag - auf dramatische Veränderungen:
    Wissenschaftliche Beweiskraft hat diese sporadische Versuchsreihe zwar nicht, aber die Methode wäre bei systematischem Einsatz durchaus fruchtbar. Jedes biologische Habitat habe, so Bernie Krause, seine eigene intakte Biophonie, die zusehends von menschlichen Eingriffen gestört wird:
    Zitat
    Ältere, noch halbwegs intakte Lebensräume besitzen noch die klassische akustische Ganzheitlichkeit, in der die subtilsten Hinweise – leichte Irritationen in den Vogelgesängen, Insektenstimmen, deren Intensität nachlässt, Froschchöre, die plötzlich verstummen – meist mehr aussagen als Veränderungen in gefährdeten Habitaten. Mit ihren kontrapunktischen, festen Rhytmen sind sie die Johann Sebastian Bachs des natürlichen Klangs. Ich bin zu der Erkenntnis
    gekommen, dass wir diese Zeichen, die die Urwälder uns geben, aufs Spiel setzen, wenn wir sie ignorieren.
    Politische Aversionen gegen ökoakustische Sensibilisierungen gibt es leider auch. Als Krause einmal für ein Publikumszentrum in einem Nationalpark ein Konzept für performative „Klanglandschaften“ vorschlug, erschien dies den politischen Entscheidern zu „belastet“, sprich zu grün. Es gab dann „Naturklänge“, also gerade das reduktionistische Modell mit dem Fokus auf einzelne Arten, an dessen Überwindung Krause arbeitet. Kein Wunder, wie der Autor notiert: In einem Land, wo sogar der Lärm von Motorschlitten im Wald das heilige Prinzip der freien Selbstentfaltung repräsentiert, wo selbst in Nationalparks Flughäfen für lärmende Kleinflugzeuge gebaut werden - da passe die Sensibilisierung für ursprüngliche Klangräume natürlich nicht ins Bild. Umweltpolitik und ökologisch fundierte Kritik kommen bei Krause nicht zu kurz, alles aber basiert auf einer Ästhetik des Klangs mit klaren Regeln:
    Zitat
    Wenn nichtmenschliche Lebewesen zum Überleben auf ihre Stimme angewiesen sind, benötigt jedes eine Nische, in der es störungsfrei Gehör findet.
    Eines der schönsten Beispiele für die ästhetische Grundierung der Ökologie bei Bernie Krause kommt aus dem Kapitel über den Ursprung der Töne. Der bioakustische Beweis für artenübergreifende Klangwahrnehmung stammt vom Orpheuszaunkönig. Der unterbricht seine pentatonische Melodie, als ihm ein Papagei dazwischen krächzt.
    ***