Wir zeichnen Felix Bayer, Spiegel-Online aus - für die Würdigung von Bob Dylan
Wir zeichnen aus
.wz-spiegel-bayer16-10bob-dylan
Wir zeichnen Felix Bayer, Spiegel-Online aus - für die Würdigung von Bob Dylan
Spiegel online
Nobelpreis für Literatur Bob Dylan : Popmusik & Literatur
https://de.wikipedia.org/wiki/Bob_Dylan
ÜBERBLICK
Bob Dylan Literaturnobelpreis Tradition und Gegenwart versöhnt : Nobelpreisträger Bob Dylan
Er ist eine lebende Legende - Songs wie "Blowin' in the Wind" oder "Masters of War" wurden zu Zeitgeisthymnen der Hippie-Generation. Bis heute hat Bob Dylan zahlreiche philosophische wie musikalische Wandlungen durchgemacht. Auch aufgrund seiner poetischen Texte erhielt er 2016 den Literaturnobelpreis.
Nobelpreisträger Bob Dylan: Gestern und heute versöhnt
Noch 2008 schimpfte die Schwedische Akademie über die US-Literatur. Und jetzt kürt sie Bob Dylan.
In Zeiten von Donald Trump ist das genau die richtige Entscheidung.
Ein Kommentar von Felix Bayer
mailto:Felix.Bayer@spiegel.de
http://www.spiegel.de/impressum/autor-10320.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Bob_Dylan
13.10.2016
Kommentar
"Endlich mal einer, den man kennt" - das war der Stoßseufzer mancher Kolleginnen und Kollegen, als am Donnerstagmittag Bob Dylan als Nobelpreisträger für Literatur gekürt wurde.
Aber das ist nicht der Grund, warum dies eine gute, ja, schlaue Entscheidung der Schwedischen Akademie war. Ngugi wa Thiong'o aus Kenia, Ko Un aus Südkorea und etliche andere wären sicher auch würdige Empfänger der höchsten Ehrung der literarischen Welt gewesen. Doch zur Wahl von Bob Dylan könnte man - mit dem Preisträger - sagen: "Don't think twice, it's alright".
Es lässt sich kaum bezweifeln: Dylan webt auf virtuose Weise weit überdurchschnittlich viele Querbezüge und Anspielungen in seine Songtexte ein - und findet doch immer wieder zu den prägnanten Slogans, die zu seiner Kunstform dazu gehören.
Und auch, wenn man zweimal darüber nachdenkt, ist die Entscheidung in Ordnung. Damit, dass es diese Texte würdigt, beweist das Nobelpreis-Komitee einen erweiterten und zeitgemäßen Literaturbegriff - den es mit dem Verweis auf die antiken Griechen, die ihre Dichtung ebenfalls zu Musik vortrugen, auch literaturhistorisch verwurzelte.
Die Entscheidung für Dylan als bloßes "Spässken" der Akademie anzusehen, wie das Denis Scheck in einem schnellen Statement tat, zeugt jedenfalls von einer ziemlich eingeschränkten Sichtweise auf Literatur.
Zudem hat sich die Schwedische Akademie mit der Entscheidung für den US-Musiker aus einer Falle befreit, in die sie ihr einstiger Ständiger Sekretär (eine Art Jurysprecher) Horace Engdahl gebracht hatte.
Engdahl hatte 2008 geätzt, amerikanische Schriftsteller seien zu isoliert und unwissend, um große Literatur zu schreiben. "Sie übersetzen nicht genug, und sie nehmen nicht wirklich am großen Dialog der Literatur teil", sagte der schwedische Kritiker damals. US-Schriftsteller seien zu empfänglich für Trends in ihrer eigenen Massenkultur und das ziehe "die Qualität ihrer Arbeit nach unten
Diese Standpauke mochte kurz nach dem Ende von acht Jahren unter George W. Bush gepasst haben - aber sie löste auch in der folgenden Zeit, als unter Barack Obamas Präsidentschaft progressivere und weniger isolationistische Kräfte wieder diskursives Oberwasser bekamen, in den USA das Gefühl aus: Bei der Nobelpreiswahl sind wir außen vor.
In einem bemerkenswerten Artikel für das Magazin "The New Republic" kurz vor der Bekanntgabe des Literaturnobelpreisträgers 2016 hatte der Kritiker Alex Shepherd gemutmaßt, dass dieser Ausschluss nun ein Ende haben könne. Schließlich neige die Akademie durchaus zu Entscheidungen, die auch politische Symbolkraft haben sollen. Und wäre es da nicht der richtige Zeitpunkt, um das weltoffene, liberale Amerika zu unterstützen? Zu einer Zeit, da die Spaltung des Landes so offenkundig wie selten zuvor ist? Zu einer Zeit, da mit Donald Trump ein besonders krasses Beispiel für die Folgen jener kulturellen Ignoranz, die Engdahl angeprangert hatte, nach der Macht greift?
Shepherds Schlussfolgerung allerdings war, dass 2016 Don DeLillos Jahr sein müsse - noch ein Autor, der einen würdigen Nobelpreisträger abgegeben hätte (und dessen Chancen darauf durch Dylans Kür nicht gestiegen sein dürften). Aber Bob Dylan zu prämieren, ist in diesem Zusammenhang sogar noch stimmiger.
Denn Dylans Aufstieg zum Ruhm vollzog sich just in jener Zeit, als sich der Nachkriegskonsens der US-Gesellschaft auflöste und die Republikaner mit Barry Goldwater einen polarisierenden, auf eine Angstkampagne setzenden Kandidaten ins Präsidentschaftsrennen schickten. Bob Dylan war eine Ikone jenes jungen, aufmüpfigen Amerikas, gegen das die Konservativen ihr Land zu verteidigen suchten.
Aber Bob Dylan weigerte sich standhaft, in der Rolle des Protestsängers aufzugehen. Und gerade in den letzten Jahren suchte er konsequent Anknüpfungspunkte in der Musik vergangener Generationen. Zurecht weist die Schwedische Akademie in ihrer Begründung darauf hin, dass Dylan "innerhalb der großen amerikanischen Song-Tradition" neue Ausdrucksformen gefunden habe. Er ist ein Beispiel dafür, dass die Beschäftigung mit eigenen Traditionen nicht zu Isolation und Unwissenheit führen muss.
Mehr zu Bob Dylan
Aus dem SPIEGEL-Archiv
AP
"Ich war ein Wrack": Auszug aus Bob Dylans "Chronicles - Volumne One" (SPIEGEL 42/2004)
"Ich finde Farben scheußlich": SPIEGEL-Gespräch mit Bob Dylan (SPIEGEL 37/2001)
"So ist das Leben - es passiert": Interview mit Bob Dylan über Popmusik, Politik und sein neues Album "Time out of mind" (SPIEGEL 42/1997)
Forum - Diskutieren Sie über diesen Artikel
insgesamt 6 Beiträge
klogschieter gestern, 20:10 Uhr
1. Kein Schriftsteller
Mittelmäßiger Poet. Aber der größte und tollste und wunderbarste Künstler der vergangenen über fünfzig Jahre. Damit das mal klar ist.
j.w.pepper gestern, 21:20 Uhr
2. Ist es vermessen anzunehmen...
...dass die meisten Nörgler über die Entscheidung des Komitees sich hauptsächlich deshalb berufen fühlen, weil Bob Dylan der erste der Geehrten (ungefähr seit Heinrich Böll) ist, den sie kennen und deshalb glauben, eine [...]▼
rainerfiedler1965 gestern, 21:52 Uhr
3. Es ist ja so lustig!
Da geifern sie nun wieder in den Foren, jene Leute, die vermutlich noch nie ein Buch gelesen haben (an der Bewältigung eines einseitigen Zeitungsartikels scheitern sie ja ganz offensichtlich bereits) und sich nun über den [...]▼
Gottloser gestern, 21:59 Uhr
4. Eine sehr weise Entscheidung
Lyrik gehört auch zur Literatur und Bob Dylan hat da im englisch sprachigen Raum sehr viel geleistet und gedichtet. Natürlich wird das den Prosa-Jüngern nicht sonderlich gefallen. Auch mit guter Lyrik, wenn man sie auch noch [...]▼
carinanavis gestern, 22:54 Uhr
5. GROSSartiger Poet
Dylans Songtexte - lyrics - als mittelmäßig zu bezeichnen ist ziemlich verfehlt. Seine besten Werke sind kraftvoll, emotional bewegend und intellektuell anspruchsvoll. Der Einschätzung als größter, tollster etc. der [...]▼
© SPIEGEL ONLINE 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/bob-dylan-literaturnobelpreis-tradition-und-gegenwart-versoehnt-a-1116546.html
****