ROTH-ZEIT. Eine Dieter Roth Retrospektive
W+B Agentur-Presseaussendung Juli/August 2003
<<Horror Vacui-Lust mit List verpackt –vom parodierenden Enzyklopädisten "diter"
Ereignis- und Katalogbuchbesprechung
387<<ROTH-ZEIT. Eine Dieter Roth Retrospektive>>
Bis 14. September im Schaulager www.schaulager.org, Basel-Münchenstein
18. 10 - 11.1.2004: Museum Ludwig Köln
10 März – 7. Juni 2004: The Museum of Modern Art, Queens & PS1 Contemporary Art Center, New York
Konzeption, Herausgabe und Direktion: Theodora Vischer
Kuratorische Mitarbeiter und Beiträge: B. Walter, D. Dobke, C. Jenny, H. Naef, B. Roth
Restaurierung: Gertrud Otterbeck
Katalogbuch: 304 S.; 286 farbige, 120 sw-Abbildungen, kartoniert, CHF 49.-
Lars Müller Publishers, CH-5401 Baden, 2003 / www.lars-mueller-publishers.com
Mit fünfundzwanzigjähriger Freundschaft kann Maja Oerti, Präsidentin der Laurenz-Stiftung in ihrer Hommage an Dieter Roth (1930-1998) einleitend feststellen, dass es das Werk eines Universalkünstlers zu entdecken und bewundern gilt.
Was heisst hier universal begabt zu sein: Dieter Roth ist vor allem bildender Künstler und Büchermacher. Dabei ist seine dreissigjährige Freundschaft mit Boekie Woekie – books by artists, Amsterdam <www.boekiewoekie.com>- besonders hervorzuheben, mit dem er über 100 Künstlerbücher in Kleinstauflagen mit Laserprints hervorbrachte. Entgrenzend wirkt er als Filmer, Musiker, Autor und refomierender Sprachkünstler, indem sich auch seine schweizerische Herkunft auf eine konstruktivistisch-abstrahierende Weise zeigt – in seinem Beitrag in der Zeitschrift material, 1959: etwas tvn das laicht fält / zb aine saite ler lasen /...Wobei hier dagegen zu bemerken ist, dass diter (ab 50er Jahre)wie er sich seither nennt, immer von einem Horror Vacui ausgeht – hier im Text sich selbst parodierend - und die Leere zwischenzeilig und metaphorisch als homerischen Schrecken spürt, wie alle seine Arbeiten Zeugnis davon abgeben.
Inhaltlich gliedert Theodora Vischer in grossartiger Klarheit das Katalogbuch, beginnend mit einer Hommage von Maja Oeri, setzt die Chronlogie und Werkkommentare voran und gliedert den Lebenswerk-Prozess chronologisch in fünf überschaubare Themenbereiche:
I Anfänge 1945-52. Eines seiner Selbstbildnisse, aus der Not der Zeit begreiflich, ist auf einem ausgefaltetem Konservenblech eingeritzt, eingefärbt und mit einem schweren Objekt monotypisch in das Papier gepresst. Es zeigt bereits im Verfahren den Ansatz von Roth’s Arbeitsphilosophie, die er im Spätwerk dann ausbordend nutzt, ganz im Sinne dieser neuen Zeit für ihn, die überbordende Fülle, bis zum Verlieren/Entgrenzung in ihr, mit sich bringt.
II Im Zeichen des Konkreten 1953-59. In dieser Zeit lernt er bei seinen ausgedehnten Reisen in Nordeuropa seine isländische Lebenspartner/innen kennen, stellt von Island aus gesehen präzise fest – Raumleere und Kälte gleichsam schamanisch erspürt - " ..hir haben sie das häsliche leben und die schöneren selen dort haben si das schönere leben und di häslichen selen." So nähert er sich auch bildsprachlich erneuernd buchstabeneffizient der Konkreten Poesie, die von Gomringer-Ulm bis zu Artmann-, Jandl-, Berdel-Wien...gestaltet wird. Es entstehen Designmöbel, Schmuck-, kinetische Objekte und Drehbilder..die nur im ersten Blick mit schweizerischen Konstruktivismus verwandt sind.
Bereits davor und erst rechti in III Entgrenzungen 1960-70 zeigt sich die parodische Geste von Roth. Das beste Beispiel liefert die Literaturwurst – Martin Walser’s Halbzeit – gewidmet. Dabei verwurstet er präzise nach italienisch-spanischem Originalwurstkonzepten aus dem Buchobjekt Halbzeit und den Ingredienzen wie Zwiebel, Chili-Pfeffer, Salz, Paprika, Lorbeerblätter und NATURDARM eine Verwurstungs-Serie, die 1974 ihren Abschluss findet, in Friedrich Hegels Gesamtwerk in 20 Bänden, in einer Schlachterei hergestellt und in einer Installation aus Holz präsentiert. Damit befindet sich Roth nicht nur auf IV Auf neuem Terrain 1971-79, sondern in seinem ureigenstem Gefilde: Parodie, präzisiert präsentiert und in einem seriellen Zusammenhang enzyklopädisch strukturiert,
was sein V Spätwerk 1980-98 mit seinen TV-/Türmen und Gestellen/Installationen geradezu überbordend auszeichnet: am Beispiel Löwenturm und das bis heute verwesende Schimmelmuseum, was Konservatoren laufend beschäftigt: Arbeitsplatz und Tätigkeitsfeld sichernd.