Stefan Klein: Wirken des Zufalls
Stefan Klein: Zufall
Wann immer wir Menschen etwas Neues in die Welt setzen oder schlicht unser Leben ändern wollen, können wir das Wirken des Zufalls nutzen. Denn schließlich bestimmen Zufälle zu einem großen Teil das menschliche Leben: Von der Entwicklung der Persönlichkeit eines Kindes über die berufliche Laufbahn bis zur Wahl des Lebenspartners. Das englische Wort „chance" bringt diese Wahrheit wunderbar auf den Punkt. Es bedeutet eben nicht nur Zufall, sondern auch Möglichkeit, ja sogar Glück. Wir Menschen neigen aber dazu, diese Chancen zu übersehen. Denn unser Gehirn, ständig auf der Suche nach Mustern und Regeln, ist ein großer Vereinfacher. Oft nehmen wir gar nicht wahr, womit wir nicht gerechnet haben, und übersehen dadurch Gelegenheiten. Statt neue Möglichkeiten zu prüfen und zu nutzen, haftet das Gehirn am Altbekannten und erzeugt lieber durch vorschnelle Erklärungen eine Illusion von Sicherheit.
So überschätzt der Mensch systematisch die Kenntnis seiner Umgebung, unterschätzt aber zugleich sein Talent, aus Überraschungen Vorteil zu ziehen. Zu Unrecht, denn wir hätten allen Anlass zu Selbstvertrauen. Immerhin konnte unsere Art, der homo sapiens, sich in der Natur deswegen durchsetzen, weil sie im Gegensatz zu fast allen anderen Geschöpfen auf keine bestimmte Umwelt festgelegt ist. Der Mensch zeichnet sich durch seine besondere Fähigkeit aus, aus allen Umständen das Beste zu machen. Und mit diesem Talent ist jeder von uns auf die Welt gekommen. Es kommt nur darauf an, es zu nutzen.
In einer so komplexen Welt wie unserer heutigen genügt der naive Umgang mit dem Ungewissen nicht mehr. Und dabei ist niemand allein auf das angewiesen, was ihm die Natur mitgegeben hat. Wir sind den Illusionen, die unser Gehirn über den Zufall erzeugt, nicht ausgeliefert. Wie wirkungsvoll Menschen mit angepassten und lernbaren Strategien das Unvorhersehbare bewältigen können, hat die Forschung in den letzten Jahren überzeugend gezeigt. Nur wer den Zufall versteht, kann die Chancen unserer Zeit nutzen.
* Zum Autor:
Stefan Klein, 1965 in München geboren. Studium der Philosophie und Physik in München, Grenoble und Freiburg. Promotion über Biophysik. Klein war von 1996 - 1999 Wissenschaftsredakteur beim SPIEGEL, von 1999 - 2000 bei GEO. Er lebt jetzt als freier Autor in Berlin.
Bücher:
- Die Glücksformel oder Wie die guten Gefühle entstehen. Rowohlt.
- Alles Zufall. Die Kraft, die unser Leben bestimmt. Rowohlt.
- Die Tagebücher der Schöpfung. Vom Urknall zum geklonten Menschen