Manfred Geier: Aufklärung. Das europäische Projekt
Online-Publikation: April 2012 im Internet-Journal <<kultur-punkt>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
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416 S., Hardcover mit Leseband, 978-3-498-02518-2; 24,95 €
Rowohlt Verlag, D-10178 Berlin; www.rowohlt.de; www.rororo.de;
Inhalt
Das europäische Projekt:
AM ANFANG WAR DAS BILD: Wie morgens der Himmel aufklart und die nächtliche Dunkelheit vertrieben wird, so soll auch der menschliche Verstand erhellt werden. Schon 1691 wird der Ausdruck «Aufklärung des Verstandes» lexikalisch verzeichnet. Helle Köpfe sollen mittels deutlicher Begriffe und geschärfter Urteilskraft klar erkennen können, was wirklich der Fall ist. «Aufklärung» ist eine vernunftorientierte Kampfidee gegen «dunkle» Vorstellungen, die alles wie in einem Nebel oder einem Schattenreich verschwimmen lassen. Sie richtet sich gegen Aberglaube und Schwärmerei, Vorurteile und Fanatismus, Borniertheit und Phantasterei. Sie ist zugleich eine positive Programmidee für den richtigen Gebrauch des eigenen Verstandes.
Autor
Manfred Geier, geb. 1943, lehrte viele Jahre Sprach und Literaturwissenschaft an den Universitäten Marburg und Hannover. Jetzt lebt er als freier Publizist und Privatdozent in Hamburg. Buchveröffentlichungen: Kants Welt. Eine Biographie (2003), Worüber kluge Menschen lachen (2006), Die Brüder Humboldt. Eine Biographie (2009). Außerdem mehrere Bände in der Reihe rowohlts enzyklopädie sowie die Rowohlt-Monographien Karl Popper, Martin Heidegger und Der Wiener Kreis.
Fazit
Besonders aktuell erscheint der Diskurs von Manfred Geier "Aufklärung. Das europäische Projekt" wenn er zum Schluss kommt, dass trotz "der planmässigen Steuerung ... durch die Kulturindustrie" die Einrichtung der Welt sehr fragwürdig geworden ist , was jedoch für die Aufrechterhaltung des sokratischen Diskurses in der Polis /Weltgesellschaft und Weltbürgertum um so mehr einnimmt. Geier beginnt seine aufklärende Zeitreise mit John Locke, der 1689 (omen est nomen) mitgestaltet dass im Krönungseid der Majestäten "Übereinstimmung mit den Gesetzen des Parlaments vereinbart ist (nicht Gott sondern ein Vertrag zwischen freien Menschen regelt). Um 1750 folgen die Grundsätze der Moraphilosophie von Diderot und der Consensus communis seines Schülers Shaftesbury als eine Art geistreiches peripathtisches "Promenieren auf den Alleen der Religion, Naturphilosophie und der Kunst"was Metaphysik und unsere Sinnes-/Organe miteinschliesst. Das Hervorragendste und Erschütterndste in diesem überaus treffsicheren Diskursbuch von Geier ist sein Requiem für die mutige Olympe de Gouges, die die Frau als frei geboren öffentlich macht und so auf dem Platz der Revolution 1793 guillotiniert wird. "Die Feinde von Vaterland und Volk - betrügerisch der Maske des Republikanismus bedienend, haben mich skrupellos aufs Schaffot entsandt"schreibt sie in ihrem letzten Brief.
Es folgen der aufgeklärte Selbstdenker Wilhelm von Humboldt mit seinen Ideen für ein Bildungsreforn, die bis heute unvollendet bleibt, da sein Kernvermächtnis des stets offenen und transdisziplinären Denkens sich in den Modulen der Bologna Reform geradezu karikierend generiert - ins Gegenteil pervertiert hat. Der Berliner Kreis der Aufklärer, mit Emmanuel Kant und Moses Mendelsohn, konzentrieren sich auf objektive, vernünftige Erkenntnis und subjektive Fertigkeit zum Nachdenken. Doch nicht zufällig verwendet Humboldt 1792 dazu den organischen (Trieb-)Begriff der "Reife zur Freiheit" in Richtung Mündigkeit. Kant wie Humboldt bis Adorno sahen wohl die langfristigen Schwierigkeiten und Rückschritte (durch Autoritätsgläubigkeit Drill, und Dressur, mal weich mal hart..) voraus, laut Geiger. Fragwürdigkeit durchzieht das Diskursbuch bis zuletzt und ist so Ansporn das europäische Projekt zu einem Weltprojekt mit und für engagierte Weltbürger zu entfalten. m+w.p12-4