Joel Shapiro : Floor Wall Ceiling . 11. 1.– 17. 4. 2017
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Joel Shapiro : Floor Wall Ceiling . 11. 1.– 17. 4. 2017
Saalblatt Information zu Joel Shapiro
Inhalt
Der 1941 in New York geborene und dort lebende Joel Shapiro ist neben Richard Serra der wohl namhafteste amerikanische
Bildhauer seiner Generation. Bekannt wurde er unter anderem mit Skulpturen im öffentlichen Raum.
Beispielen davon kann man vielerorts begegnen, so einer stehenden Figur an der Via Maistra in St. Moritz, einer
hängenden Bronze an einem neuen Gebäude an der Londoner Savile Row oder seiner vielleicht berühmtesten Arbeit
dieser Art am Eingang zum Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C.
Shapiros letzte grössere Ausstellung in der Schweiz fand 1990 in der Kunsthalle Zürich statt. Das Kunstmuseum
Winterthur zeigt nun keine Retrospektive, sondern eine Werkauswahl, die das Gewicht auf die Intimität der Werke
legt. Die Auswahl umfasst frühe Eisen- und Bronzegüsse, eine Gruppe der Reliefs, die unmittelbar daran anschliessen,
und Skulpturen aus dem letzten Jahrzehnt. Daraus ergab sich der Titel – Floor Wall Ceiling –, denn die Werke
liegen auf dem Boden, sie sind an der Wand angebracht und hängen von der Decke. Der Raum wird in allen seinen
Dimensionen bespielt; seine Begrenzungen werden als Ausgangspunkt benötigt, doch die Figuren streben weg
vom Grund und suchen sich dagegen zu behaupten.
An den hier gezeigten Werken lässt sich eine Anzahl von gegensätzlichen Erscheinungsformen von Skulptur beobachten:
Schwere, auf dem Boden platzieren Eisenstücke stehen den im Raum schwebenden dünnen Brettern gegenüber,
die monolithische Metallskulptur der Assemblage, also der aus einzelnen Teilen zusammengesetzten Skulptur,
das gegossene Metall den ausgesägten, mit Draht verbundenen Holzstücken, das rohe oder patinierte Metall der
vielfältigen Farbigkeit. Während die frühen Skulpturen dicht am Boden sind, so dass man sich zu ihnen niederbeugen
muss, treten die neuen Arbeiten dem Betrachter unmittelbar gegenüber, oder sie ziehen den Blick in die Höhe.
Es ist nicht allein ihr Ort im Raum, es ist ebenso ihr Massstab, der unsere Annäherung bestimmt – als winziger
Gegenstand im riesigen Raum oder als anthropomorphe Figur auf Blickhöhe. Manche Werk liegen, zuweilen stehen
sie auf Stützen, oder sie hängen frei von der Decke. Daraus ergibt sich ihr Status – einerseits unverrückbar stabil,
andererseits fragil, gefährdet und beweglich.
Umgekehrt stellt sich die Frage, was die Werke miteinander verbindet. Jeder Raum wirkt wie eine Szene, auf der sich
Dramatisches abspielt. Da ist beispielsweise der Stahlkubus von 1975, eine solide Form, die durch ihre Kompaktheit
und ihr Gewicht den Umraum massiv besetzt. Sie besitzt zwei winzige rechteckige Öffnungen, die wir unwillkürlich
als Fenster oder Zugänge auffassen. Damit treffen wir Annahmen über einen unsichtbaren Innenraum, über eine
mögliche Verbindung zwischen den beiden Öffnungen, und wir überschreiten die unmittelbare Sichtbarkeit, das rein
Phänomenologische, das die Grundlage für die Betrachtung von Skulpturen von Judd bildete. Mit den Annahmen
beziehen wir die Erinnerung ein, denn unsere Vorstellung bezieht sich auf eine Erfahrung, und so stehen wir zwischen
dem gegenwärtigen Moment und der Vergangenheit. Wir bewegen uns in der Betrachtung zwischen Sichtbarkeit
und Vorstellung; der Gegenstand ist zugleich materielles Objekt wie aufgeladenes Symbol, ohne dass wir uns für
das eine oder andere entscheiden können. Doch wir haben uns indirekt bereits entschieden, indem wir uns der Skulptur
zugewandt haben. Ihre Dimension verlangt Innehalten, wir bücken uns unwillkürlich und dringen schauend in
den Raum des Werks ein. Oder wir sehen es aus der Distanz wie die beiden zierlichen Formen in der Raumtiefe und
begreifen intuitiv, dass die Verkleinerung der Skulptur auch bedeutet, sie vor dem unmittelbaren Zugriff zu schützen
und die reale Entfernung durch eine psychologische zu verdoppeln. Die Dimensionen sind messbar, doch die wahrgenommene
Grösse der Skulptur ist mental.
Jede einzelne Figur besitzt diesen doppelten Charakter. Sie geht nicht aus von einer Abbildung, sondern von einer
Form, der jedoch das Figürliche nicht versagt ist. Diese Eigenschaft beobachten wir von Raum zu Raum, so zum
Beispiel an den Reliefs, welche die Ausstellung eröffnen. Jedes einzelne Relief besitzt eine auf den ersten Blick
einfache, meist geschlossene Form; erst auf den zweiten, nicht frontalen Blick erweist sich, dass es zusammengesetzt
ist, einen negativen Raum enthält. Im Unterschied zu Kellys Bildobjekten bleibt der Blick hier nicht an
der prägnanten Form hängen, er verschiebt sich und findet daneben, dahinter, darin etwas anderes, davon Abweichendes.
Jedes einzelne Relief lässt diesen zweiten Schritt vollziehen. In diesem ersten Raum stehen drei
Skulpturen auf Sockeln, beinahe dreissig Jahre später als die Reliefs entstanden. Die erste, zwanzigteilige, eine
Figurengruppe, ferner eine rote Einzelfigur und als drittes ein Werk mit Assoziationen zur Landschaft oder zu einer
Erzählung. Ihrer improvisierten Erscheinung zum Trotz sind die Arbeiten auf dem Hintergrund der Geschichte verankert
– im 19. Jahrhundert bei Carpeaux, auf dessen Danse im Musée d’Orsay das erste Werk direkt Bezug nimmt,
die beiden anderen dagegen bei David Smith und bei dem surrealistischen Giacometti mit seinen bühnenartigen
Konstellationen.
Der mittlere Raum präsentiert Holzskulpturen, die an einem Faden von der Decke hängen und die sozusagen als
Kaskaden aus Klötzen und Latten herunterfallen. Es war Shapiros Wunsch, Skulpturen ohne festen Standpunkt und
ohne stabile Armatur zu schaffen, Skulpturen, die sich nicht einer Tragfläche – Boden oder Sockel – anpassen und
durch das freie Aneinanderfügen von Holzstücken entstehen, so wie eine Zeichnung sich in alle Richtungen entwickeln
lässt. Stahlstifte nieten die Teile zusammen, Drähte geben ihnen wie Muskeln und Sehnen Spielraum und
zugleich eine Struktur, die ihre Erscheinung bestimmt. Jede Figur ist individuell – durch ihre Gestalt, die Höhe,
auf der sie dem Betrachter entgegentritt, den Umraum, den sie definiert, und die Farbigkeit. Sind bereits die Begriffe
Skulptur und Zeichnung gefallen, so kommt damit die Malerei hinzu. Wie jeder Künstler bewegt sich Shapiro nicht
innerhalb einer Gattung; durch seine Arbeit berührt er deren Grenzen und lässt relativ werden, was fixiert schien.
Während des Einrichtens der Ausstellung fiel immer wieder der Satz «I don’t know, let’s look.» Wo sollen wir diese
Skulptur platzieren, welches ist ihre Ansichtsseite, wie hoch oder wie tief soll sie hängen, was verträgt der Raum –
immer wieder: «I don’t know, let’s look.» Das Nicht-Wissen ist nicht Attitude, es ist Bedingung der Arbeit. Es war sie
in den frühen Eisengüssen, und es ist sie vielleicht noch deutlicher geworden in den Werken, die wirken, als habe
man bloss ein paar Stücke Holz in die Luft geworfen. Was das heisst, zeigte sich beim Aufbau des Werks im letzten
Raum. Es trägt den Titel Float und wurde vor einigen Jahren erstmals in New York ausgestellt. Der damalige Galerieraum
unterscheidet sich vom Museumssaal. Eine Wiederholung des Werks hiess im Grunde, damit nochmals neu
zu beginnen, denn es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen, sondern nur Photos, doch diese geben immer nur
Aspekte und nicht das Ganze wieder. Es hiess also, die vier Elemente des Werks in Bezug zu Höhe, Breite und Tiefe
des Raums zu setzen, ohne dass Shapiro oder wir im voraus wussten, was dies bedeuten würde. Ein erstes, grünes
Brett wurde in die Höhe gehalten, hin- und hergeschoben, gewendet, geneigt, bis es richtig in die Luft gesetzt
schien. Doch was heisst richtig? Es gibt kein Wissen darüber, sondern nur Annahmen, die durch die Positionierung
des zweiten, braunen Bretts wieder umgeworfen wurden. Mit diesem ging es weiter, dann mit dem dritten, hellblauen
Brett und dem vierten. Als wir zurücktraten, zeigte sich erst, dass dieses gelbe Stück Holz genau richtig im
Raum lag, um schon von weitem erblickt zu werden. Es war also «richtig» herausgekommen.
Dass eine Skulptur bildlich gesprochen auf Zusehen hin gebaut werden kann, macht sie nicht weniger real. Sie ist
dies sogar um so mehr, denn das reale Dasein jedes einzelnen Teils ist das, worauf sie sich stützt – materiell gefühlt
und bildlich gesprochen. Für Shapiro gibt es keine ideale Form, sondern nur pragmatisches Umgehen mit den Dingen,
die man sich zurechtlegt, bis sie stimmen. Die Teile von Float schweben im Raum, doch die Ösen und Fäden, die
dafür benötigt werden, sind nicht versteckt. Nicht die Illusion ist das Ziel; es geht um Anregungen zum Schauen, um
das Einklinken des Betrachters in die aktuelle Anordnung der Elemente. Pragmatisch vorgehen heisst, handelnd zu
einer für den Ort stimmigen Lösung zu kommen, die unter anderen Gegebenheiten durch eine andere, nicht weniger
richtige ersetzt werden kann. Dass daran nichts Unverbindliches ist, muss jeder für sich bestätigen, der sich mit
dem Werk im Raum aufhält. Es ist kein flaches Bild, das man von der Türe aus oder durch das Fenster sieht, Float gibt
es allein in Bezug auf Raum und Betrachter, es ist seines, Schritt für Schritt.
Der Katalog mit Photographien von Serge Hasenböhler und einem Text von Dieter Schwarz erscheint ca. Anfang
März. Er kann bei der Aufsicht bestellt werden.
© 2017 Kunstmuseum Winterthur
Inhalt
Der 1941 in New York geborene und dort lebende Joel Shapiro ist neben Richard Serra der wohl namhafteste amerikanische
Bildhauer seiner Generation. Bekannt wurde er unter anderem mit Skulpturen im öffentlichen Raum.
Beispielen davon kann man vielerorts begegnen, so einer stehenden Figur an der Via Maistra in St. Moritz, einer
hängenden Bronze an einem neuen Gebäude an der Londoner Savile Row oder seiner vielleicht berühmtesten Arbeit
dieser Art am Eingang zum Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C.
Shapiros letzte grössere Ausstellung in der Schweiz fand 1990 in der Kunsthalle Zürich statt. Das Kunstmuseum
Winterthur zeigt nun keine Retrospektive, sondern eine Werkauswahl, die das Gewicht auf die Intimität der Werke
legt. Die Auswahl umfasst frühe Eisen- und Bronzegüsse, eine Gruppe der Reliefs, die unmittelbar daran anschliessen,
und Skulpturen aus dem letzten Jahrzehnt. Daraus ergab sich der Titel – Floor Wall Ceiling –, denn die Werke
liegen auf dem Boden, sie sind an der Wand angebracht und hängen von der Decke. Der Raum wird in allen seinen
Dimensionen bespielt; seine Begrenzungen werden als Ausgangspunkt benötigt, doch die Figuren streben weg
vom Grund und suchen sich dagegen zu behaupten.
An den hier gezeigten Werken lässt sich eine Anzahl von gegensätzlichen Erscheinungsformen von Skulptur beobachten:
Schwere, auf dem Boden platzieren Eisenstücke stehen den im Raum schwebenden dünnen Brettern gegenüber,
die monolithische Metallskulptur der Assemblage, also der aus einzelnen Teilen zusammengesetzten Skulptur,
das gegossene Metall den ausgesägten, mit Draht verbundenen Holzstücken, das rohe oder patinierte Metall der
vielfältigen Farbigkeit. Während die frühen Skulpturen dicht am Boden sind, so dass man sich zu ihnen niederbeugen
muss, treten die neuen Arbeiten dem Betrachter unmittelbar gegenüber, oder sie ziehen den Blick in die Höhe.
Es ist nicht allein ihr Ort im Raum, es ist ebenso ihr Massstab, der unsere Annäherung bestimmt – als winziger
Gegenstand im riesigen Raum oder als anthropomorphe Figur auf Blickhöhe. Manche Werk liegen, zuweilen stehen
sie auf Stützen, oder sie hängen frei von der Decke. Daraus ergibt sich ihr Status – einerseits unverrückbar stabil,
andererseits fragil, gefährdet und beweglich.
Umgekehrt stellt sich die Frage, was die Werke miteinander verbindet. Jeder Raum wirkt wie eine Szene, auf der sich
Dramatisches abspielt. Da ist beispielsweise der Stahlkubus von 1975, eine solide Form, die durch ihre Kompaktheit
und ihr Gewicht den Umraum massiv besetzt. Sie besitzt zwei winzige rechteckige Öffnungen, die wir unwillkürlich
als Fenster oder Zugänge auffassen. Damit treffen wir Annahmen über einen unsichtbaren Innenraum, über eine
mögliche Verbindung zwischen den beiden Öffnungen, und wir überschreiten die unmittelbare Sichtbarkeit, das rein
Phänomenologische, das die Grundlage für die Betrachtung von Skulpturen von Judd bildete. Mit den Annahmen
beziehen wir die Erinnerung ein, denn unsere Vorstellung bezieht sich auf eine Erfahrung, und so stehen wir zwischen
dem gegenwärtigen Moment und der Vergangenheit. Wir bewegen uns in der Betrachtung zwischen Sichtbarkeit
und Vorstellung; der Gegenstand ist zugleich materielles Objekt wie aufgeladenes Symbol, ohne dass wir uns für
das eine oder andere entscheiden können. Doch wir haben uns indirekt bereits entschieden, indem wir uns der Skulptur
zugewandt haben. Ihre Dimension verlangt Innehalten, wir bücken uns unwillkürlich und dringen schauend in
den Raum des Werks ein. Oder wir sehen es aus der Distanz wie die beiden zierlichen Formen in der Raumtiefe und
begreifen intuitiv, dass die Verkleinerung der Skulptur auch bedeutet, sie vor dem unmittelbaren Zugriff zu schützen
und die reale Entfernung durch eine psychologische zu verdoppeln. Die Dimensionen sind messbar, doch die wahrgenommene
Grösse der Skulptur ist mental.
Jede einzelne Figur besitzt diesen doppelten Charakter. Sie geht nicht aus von einer Abbildung, sondern von einer
Form, der jedoch das Figürliche nicht versagt ist. Diese Eigenschaft beobachten wir von Raum zu Raum, so zum
Beispiel an den Reliefs, welche die Ausstellung eröffnen. Jedes einzelne Relief besitzt eine auf den ersten Blick
einfache, meist geschlossene Form; erst auf den zweiten, nicht frontalen Blick erweist sich, dass es zusammengesetzt
ist, einen negativen Raum enthält. Im Unterschied zu Kellys Bildobjekten bleibt der Blick hier nicht an
der prägnanten Form hängen, er verschiebt sich und findet daneben, dahinter, darin etwas anderes, davon Abweichendes.
Jedes einzelne Relief lässt diesen zweiten Schritt vollziehen. In diesem ersten Raum stehen drei
Skulpturen auf Sockeln, beinahe dreissig Jahre später als die Reliefs entstanden. Die erste, zwanzigteilige, eine
Figurengruppe, ferner eine rote Einzelfigur und als drittes ein Werk mit Assoziationen zur Landschaft oder zu einer
Erzählung. Ihrer improvisierten Erscheinung zum Trotz sind die Arbeiten auf dem Hintergrund der Geschichte verankert
– im 19. Jahrhundert bei Carpeaux, auf dessen Danse im Musée d’Orsay das erste Werk direkt Bezug nimmt,
die beiden anderen dagegen bei David Smith und bei dem surrealistischen Giacometti mit seinen bühnenartigen
Konstellationen.
Der mittlere Raum präsentiert Holzskulpturen, die an einem Faden von der Decke hängen und die sozusagen als
Kaskaden aus Klötzen und Latten herunterfallen. Es war Shapiros Wunsch, Skulpturen ohne festen Standpunkt und
ohne stabile Armatur zu schaffen, Skulpturen, die sich nicht einer Tragfläche – Boden oder Sockel – anpassen und
durch das freie Aneinanderfügen von Holzstücken entstehen, so wie eine Zeichnung sich in alle Richtungen entwickeln
lässt. Stahlstifte nieten die Teile zusammen, Drähte geben ihnen wie Muskeln und Sehnen Spielraum und
zugleich eine Struktur, die ihre Erscheinung bestimmt. Jede Figur ist individuell – durch ihre Gestalt, die Höhe,
auf der sie dem Betrachter entgegentritt, den Umraum, den sie definiert, und die Farbigkeit. Sind bereits die Begriffe
Skulptur und Zeichnung gefallen, so kommt damit die Malerei hinzu. Wie jeder Künstler bewegt sich Shapiro nicht
innerhalb einer Gattung; durch seine Arbeit berührt er deren Grenzen und lässt relativ werden, was fixiert schien.
Während des Einrichtens der Ausstellung fiel immer wieder der Satz «I don’t know, let’s look.» Wo sollen wir diese
Skulptur platzieren, welches ist ihre Ansichtsseite, wie hoch oder wie tief soll sie hängen, was verträgt der Raum –
immer wieder: «I don’t know, let’s look.» Das Nicht-Wissen ist nicht Attitude, es ist Bedingung der Arbeit. Es war sie
in den frühen Eisengüssen, und es ist sie vielleicht noch deutlicher geworden in den Werken, die wirken, als habe
man bloss ein paar Stücke Holz in die Luft geworfen. Was das heisst, zeigte sich beim Aufbau des Werks im letzten
Raum. Es trägt den Titel Float und wurde vor einigen Jahren erstmals in New York ausgestellt. Der damalige Galerieraum
unterscheidet sich vom Museumssaal. Eine Wiederholung des Werks hiess im Grunde, damit nochmals neu
zu beginnen, denn es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen, sondern nur Photos, doch diese geben immer nur
Aspekte und nicht das Ganze wieder. Es hiess also, die vier Elemente des Werks in Bezug zu Höhe, Breite und Tiefe
des Raums zu setzen, ohne dass Shapiro oder wir im voraus wussten, was dies bedeuten würde. Ein erstes, grünes
Brett wurde in die Höhe gehalten, hin- und hergeschoben, gewendet, geneigt, bis es richtig in die Luft gesetzt
schien. Doch was heisst richtig? Es gibt kein Wissen darüber, sondern nur Annahmen, die durch die Positionierung
des zweiten, braunen Bretts wieder umgeworfen wurden. Mit diesem ging es weiter, dann mit dem dritten, hellblauen
Brett und dem vierten. Als wir zurücktraten, zeigte sich erst, dass dieses gelbe Stück Holz genau richtig im
Raum lag, um schon von weitem erblickt zu werden. Es war also «richtig» herausgekommen.
Dass eine Skulptur bildlich gesprochen auf Zusehen hin gebaut werden kann, macht sie nicht weniger real. Sie ist
dies sogar um so mehr, denn das reale Dasein jedes einzelnen Teils ist das, worauf sie sich stützt – materiell gefühlt
und bildlich gesprochen. Für Shapiro gibt es keine ideale Form, sondern nur pragmatisches Umgehen mit den Dingen,
die man sich zurechtlegt, bis sie stimmen. Die Teile von Float schweben im Raum, doch die Ösen und Fäden, die
dafür benötigt werden, sind nicht versteckt. Nicht die Illusion ist das Ziel; es geht um Anregungen zum Schauen, um
das Einklinken des Betrachters in die aktuelle Anordnung der Elemente. Pragmatisch vorgehen heisst, handelnd zu
einer für den Ort stimmigen Lösung zu kommen, die unter anderen Gegebenheiten durch eine andere, nicht weniger
richtige ersetzt werden kann. Dass daran nichts Unverbindliches ist, muss jeder für sich bestätigen, der sich mit
dem Werk im Raum aufhält. Es ist kein flaches Bild, das man von der Türe aus oder durch das Fenster sieht, Float gibt
es allein in Bezug auf Raum und Betrachter, es ist seines, Schritt für Schritt.
Der Katalog mit Photographien von Serge Hasenböhler und einem Text von Dieter Schwarz erscheint ca. Anfang
März. Er kann bei der Aufsicht bestellt werden.
© 2017 Kunstmuseum Winterthur