Triest . Eine literarisch-humanpolitische Einladung. Herausgegeben und übersetzt von Gaby Wurster und dem SWR2

Kultur Reisen
Triest . Eine literarische Einladung
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Online-Publikation: März 2015  im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Triest . Eine literarische Einladung. Herausgegeben und übersetzt von  Gaby Wurster >>
SALTO: 144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet .ISBN 978-3-8031-1262-0; 15,90 €
50 Jahre Verlag Klaus Wagenbach, Berlin; http://www.wagenbach.de

Inhalt
Triest ist eine der interessantesten Städte Italiens: die einzige, in der Sie in Caféhäusern sitzen können wie in Wien, aber mit Blick auf das blaue Meer der Adria!
Triest liegt im äußersten Nordosten Italiens – sechs Zugstunden von Mailand entfernt, aber nur eine Stunde von Ljubljana. Mit dieser Lage hängt die wechselvolle Geschichte der Stadt zusammen: Jahrhundertelang gehörte Triest zur habsburgischen Donaumonarchie und schwang sich zu einem kosmopolitischen bürgerlichen Zentrum auf. Zugleich war die Stadt geprägt von den bäuerlichen Strukturen des slowenischen Hinterlandes.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Triest kurzerhand von Italien gekauft. Während des Zweiten Weltkriegs waren die Stadt und die sie umgebende Karstlandschaft Schauplatz furchtbarer Kriegsverbrechen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der Triest vom damaligen Jugoslawien trennte, ist die Stadt in den 1990er Jahren zu neuem Leben erwacht.
Die große literarische Tradition Triests spiegelt dieser Band mit Autoren wie Italo Svevo, Umberto Saba und James Joyce, daneben Boris Pahor, Susanna Tamaro, Claudio Magris, Veit Heinichen, Mauro Covacich u. a.

Die Vielvölker - Urbanität
Triest  (italienisch Trieste, slowenisch und kroatisch Trst) ist eine norditalienische Hafen- und Großstadt mit 204.849 Einwohnern (Stand 31. Dezember 2013), darunter eine slowenische Minderheit, an der oberen Adria direkt an der Grenze zu Slowenien. Es ist Hauptstadt der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien und der Provinz Triest.http://de.wikipedia.org/wiki/Triest

Herausgeberin
Gaby Wurster, geboren 1958, ist freie Autorin und Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen, Italienischen, Griechischen und Portugiesischen. Sie lebt in Tübingen.

Fazit
"Triest" Eine hoch-literarische Einladung der Herausgeberin und Übersetzerin von  Gaby Wurster gibt Einblick und Überblick zu einer Kulturregion Europas mit einer Vielvölker-Kulturtradition. Diese Einladung entbirgt unvergessliche Erinnerungen und visionäre Zukunftsgedanken 'zwischen habsburgischer Vergangenheit und europäischer Zukunft', wie es im folgenden vom Sender SWR2 Wissen elementar und signifikant dargestellt wird (m+w.p15-3):

") Triest : Zwischen habsburgischer Vergangenheit und europäischer Zukunft"
Zur Vertiefung des Themas Triest ein weiterer Hinweis:
SWR2 Wissen:  http://www.swr.de/swr2/
Triest
Zwischen habsburgischer Vergangenheit und europäischer Zukunft
Von Aureliana Sorrento
Sendung: Freitag, 13.03.2015, 8.30 Uhr
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Felicitas Ott
Produktion: SWR 2014
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

MANUSKRIPT
Atmo:
Meer, Wind
Autorin:
Man sollte Triest am besten vom Meer aus erreichen, sollte am Molo audace, der kühnen Mole, anlegen und dort an Land gehen. Dann hätte man gleich den grandiosen Anblick der Piazza dell’Unità vor sich: den ehemaligen Regierungspalast, dessen goldene Mosaiken in der Sonne glitzern, das majestätische Rathaus mit seinem hohen Glockenturm, die prunkvollen Bürgerpaläste rundum. Sie scheinen direkt aus dem Meeresblau emporzusteigen.
Ansage:
Triest – zwischen habsburgischer Vergangenheit und europäischer Zukunft. Eine Sendung von Aureliana Sorrento.
Autorin:
Die prächtige Piazza ist eine Hinterlassenschaft der Habsburger. Vom Ende des 14. Jahrhunderts bis 1918 stand Triest unter der Herrschaft der österreichischen Kaiser. Sie machten aus diesem nördlichsten Adria-Hafen ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. Als Triest 1918, am Ende des Ersten Weltkrieges, von Italien annektiert wurde, verlor die Stadt ihr Hinterland und ihre Bedeutung als Handelshafen. Heute leidet Triest unter der Wirtschaftskrise wie andere italienische Städte auch. Zog es bis vor dem Ersten Weltkrieg noch Einwanderer aus ganz Europa und dem Mittelmeerraum an, wandern heute 3.000 junge Triester pro Jahr aus, um anderswo Arbeit zu suchen. Viele in Triest trauern den österreichischen Zeiten nach und wollen, dass sich die Stadt von Italien löst.
Atmo:
Demo in Wien
Autorin:
Im Sommer 2013 marschierten die Anhänger der Bewegung Trieste Libera – „Freies Tries“ – durch Wien. Sie trugen Transparente, auf denen „Unser Hafen ist Euer Hafen“ zu lesen war. Denn sie wollen nicht nur die Unabhängigkeit ihrer Stadt von Italien erstreiten, sondern auch die alten wirtschaftlichen und politischen Bindungen an Österreich und Mitteleuropa wieder beleben. Roberto Giurastante führt die Bewegung an.
O-Ton – Roberto Giurastante, darüber Übersetzer:
Die Bewegung Freies Triest versucht, an die Geschichte der Stadt zu erinnern. Denn die, die seit 1918 über diese Stadt und ihr Umland herrschen, haben diese Geschichte verleugnet und aus dem Gedächtnis unserer Bürger gelöscht. Aber man kann keine Zukunft aufbauen, wenn man sich der eigenen Wurzeln nicht bewusst ist. Unsere Wurzeln liegen in der 536 Jahre langen Zugehörigkeit Triests zum Habsburgischen Reich. Wenn man uns sagt, Triest sei schon immer eine italienische Stadt gewesen, können wir bloß lachen. Bei den Volkszählungen der italienischen Republik hier, wurde die Frage, nach der Nationalität der eigenen Vorfahren, immer mit „ Staatsbürger Österreich-Ungarns“ beantwortet.
Autorin:
Die Polemik gilt der offiziellen italienischen Geschichtsschreibung, nach der Triest schon immer eine qua Sprache und Kultur italienische Stadt gewesen und 1918 von der österreichischen Fremdherrschaft befreit worden sei.
Atmo:
Meer, Wind
Autorin:
Triest liegt an der nordöstlichsten Bucht der Adria, am Fuß des Karstgebirges, sie wird von der slowenischen Grenze fast vollständig umschlossen. Seit dem frühen Mittelalter teilten sich Italiener und Slowenen das Gebiet zwischen Küste und Karst. Eine Grenzstadt am Kreuzpunkt zwischen Ost und West, Mitteleuropa und Mittelmeer.
Atmo:
Bora am Hafen, Klappern der Masten
Autorin:
Wenn unterschiedliche Luftmassen aus Nord- und Süd-Europa an der Adria aufeinander prallen, wird Triest zum Revier der Bora. Die kalten und harten Fallwinde überfallen die Stadt von Nordosten, rasen durch die Straßen und Plätze, peitschen das Meer auf, lassen die Fahnenmasten auf der Piazza dell’Unità rasseln und die Bäume schwingen wie Grashalme.
Atmo:
Café Tommaseo
Autorin:
Die schönste Zuflucht vor dem Wind bieten in Triest die Cafés, in denen immer noch der Geist Österreich-Ungarns herrscht. Im Café Tommaseo an der Uferpromenade locken zierliche rotsamtene Sofas zwischen hellrosa bemalten, stuckdekorierten Wänden zum Verweilen. Die prächtig ziselierte Ladenkasse, die wie ein Museumsstück auf einem Stehtisch thront, könnte aus einer Erzählung von Stefan Zweig gefallen sein. Hier treffe ich den Historiker Roberto Spazzali.
O-Ton – Roberto Spazzali, darüber Übersetzer:
In Triest hat eine Verdrängung der Geschichte stattgefunden, die von unserer nationalliberalen Führungsschicht vorangetrieben wurde. Sie war um der Macht willen bereit, jedem Herrscher ihre Loyalität zu bezeugen: zuerst den Österreichern, dann den Savoyer Königen Italiens, und schließlich dem italienischen Faschismus. Deshalb muss sie die Geschichte verleugnen.
Autorin:
Verdrängt wurde beispielsweise, dass sich die Bürger Triests 1382 freiwillig den Habsburger Erzherzögen unterwarfen, um von ihnen Schutz vor Venedig zu erhalten. Diese gewaltige Seemacht, damals unangefochtene Herrscherin der Adria, wollte den Aufstieg Triests zu einem ersthaften Konkurrenten verhindern. Deshalb überfiel ihre Flotte Triest immer wieder und verhinderte, dass sein von den Römern gebauter Hafen erweitert wurde. Die Großstadt Triest sei eine Schöpfung der Habsburger, sagt Roberto Spazzali.
O-Ton – Roberto Spazzali, darüber Übersetzer:
Die Entstehung des modernen Triest lässt sich genau datieren: Im März 1719 erließ Karl VI. von Habsburg ein Dekret, mit dem er Triest und Fiume, dem heutigen Rijeka, den Status von Freihäfen gewährte. Aber es sollten noch dreißig Jahre vergehen, bevor etwas geschah.
Autorin:
Um Händler und Geschäftsleute nach Triest zu locken, verfügte Karl VI. eine steuerfreie Handelszone außerhalb der Stadtmauern. Kaiserin Maria Theresia, die ihm 1740 auf den Thron folgte, setzte das Werk ihres Vaters fort. Paolo Parovel, Journalist, Essayist und geistiger Mentor der Bewegung Freies Triest, erzählt:
O-Ton – Paolo Paravel, darüber Übersetzer:
Maria Theresia hat die Mauern der Altstadt abreißen und die Salinen, die sich damals an der Stelle der heutigen Theresienstadt befanden, zuschütten lassen. Jeder Karren, der leer in die Stadt kam, um hier Waren abzuholen, war verpflichtet, auf der Hinfahrt Steine und Erde zu transportieren, die benötigt wurden, um das erste Viertel der neuen Stadt aufzubauen, das nach Maria Theresia Borgo Teresiano, Theresienstadt, genannt wurde.
Atmo:
Wasserplätschern
Autorin:
Nach und nach entstanden auch die anderen historischen Viertel, die sich von der Küste aus die Hügel hinauf erstrecken. Die neoklassizistischen Fassaden der Häuser brachten Triest den Titel „Wien am Meer“ ein. Die opulenten Bauwerke entsprachen dem wachsenden Reichtum der Stadt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in Triest viele Schifffahrtsgesellschaften, Reedereien, Werften und Versicherungsgesellschaften gegründet. Das neue Großbürgertum ließ sich an der Uferstraße repräsentative Paläste bauen, die den Domizilen des Adels in Nichts nachstanden. Der Schriftsteller Scipio Slataper schrieb 1912:
Zitator:
Ich gehe durch die Straßen Triests und freue mich über seinen Reichtum, ich freue mich über die dröhnenden Karren, die vorbei fahren, über die straff gespannten, grauen Säcke voll Kaffee, über die Kisten, in denen zwischen Spitzen und Papierüberzügen dralle Orangen liegen, über die Reissäcke, aus deren Zollstanzen eine feine Spur weißen Schnees herausfließt, über die Fässer voll bernsteinfarbenen Kolophoniums, über die Wollballen, über die Ölfässer, über all die schönen und guten Waren, die aus dem Orient, aus Amerika und Italien durch uns zu den Deutschen und Böhmen gelangen.
Autorin:
Aurelio Slataper, der Enkel des Schriftstellers, erzählt:
O-Ton – Aurelio Slapater, darüber Übersetzer:
Vor dem Ersten Weltkrieg war Triest, was seinen Umschlag angeht, der siebtgrößte Hafen der Welt und der drittgrößte des Mittelmeers.
Autorin:
Aber der wirtschaftliche Aufschwung der Stadt war auch einer klugen Einwanderungspolitik zu verdanken, meint Slataper:
O-Ton – Aurelio Slapater, darüber Übersetzer:
Zunächst Maria Theresia, dann, im größeren Umfang, Kaiser Joseph II. gewährten allen Glaubensgemeinschaften absolute Religionsfreiheit. Das zog Leute aus dem ganzen südöstlichen Mittelmeer nach Triest: türkische Muslime, Juden, griechisch Orthodoxe, Protestanten. Wenn ein Jude einen Standort wählte, um ein Unternehmen zu gründen, entschied er sich für Triest, weil er hier alle Freiheiten genoss. Während er in Venedig, einer schon ziemlich liberalen Stadt, zwar seinen Glauben ausüben durfte, aber im Ghetto leben musste. Daraus resultierte jener Kosmopolitismus Triests, den die italienische Geschichtsschreibung negieren möchte. Infolge dieser Gesetze kamen 12 Glaubensgemeinschaften nach Triest.
Atmo:
Kroatische Kirchengesänge
Autorin:
Die Kirche von Sant’Antonio Nuovo ist die einzige katholische Kirche der Theresienstadt. Die müssen sich italienische, slowenische und kroatische Katholiken teilen.
Atmo:
Kroatische Kirchengesänge
Autorin:
Zählte Triest um 1800 noch 30.000 Einwohner, waren es 1910 bereits 230.000. Nur die Hälfte waren Italiener. Ein Viertel der Einwohner waren Slowenen, der Rest waren Deutschösterreicher, Kroaten, Serben, Griechen, Armenier, Briten und Türken. Triest war eine Vielvölkerstadt im Vielvölkerstaat der Habsburger. Damir Murkovic, der Präsident der Kroatischen Gemeinschaft Triests, erzählt:
O-Ton – Damir Murkovic, darüber Übersetzer:
In den Behörden Triests sprach und schrieb man auf Italienisch, Slowenisch, Kroatisch und Deutsch. Alle amtlichen Dokumente wurden in diesen vier Sprachen verfasst.
Autorin:
Um die Jahrhundertwende erschienen in der Stadt 560 Zeitungen und Zeitschriften in allen hier vertretenen Sprachen. Manche Periodika erschienen sogar zwei- oder mehrsprachig. Die kosmopolitische Atmosphäre zog Künstler und Schriftsteller von überallher an. Auch James Joyce lebte hier, mit Unterbrechungen, von 1904 bis 1920. An dieses Triest, die Stadt seiner Kindheit, erinnerte sich Umberto Saba 1957:
Zitator:
Ihr größter Zauber bestand in ihrer Vielfalt. Um die Ecke zu biegen bedeutete, den Kontinent zu wechseln. Es gab Italien und die Sehnsucht nach Italien, es gab Österreich, das doch gar nicht so böse war, wie man dachte, es gab den Orient und die Levante mit ihren Händlern in rotem Fez, und vieles anderes mehr. Fast immer kehrten wir in einer jüdischen Konditorei in der Altstadt ein, einer Konditorei, die man eher antikdenn alt nennen müsste, und in der die besten Süßspeisen zubereitet wurden, die ich je gegessen habe.
Autorin:
Aurelio Slatapers Familiengeschichte ist typisch für Triest. Die Slatapers stammen von Slowenen aus Split im heutigen Kroatien ab. Ein Vorfahre zog dann zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia nach Triest. Seine Nachkommen haben sich der italienischen Kultur im Laufe der Zeit so weit angepasst, dass Aurelio Slatapers Großvater, der Schriftsteller Scipio Slataper, ein glühender italienischer Patriot wurde. Mehr noch: ein Irredentist.
Der Irredentismus war eine nationalistische Bewegung, die aus dem Königreich Italien nach Triest überschwappte, nachdem Italien 1866 dank Preußens Hilfe Venetien erhalten hatte und Triest damit näher gerückt war. Die Irredentisten wollten die sogenannten „unerlösten Gebiete“, d. h.: die italienischsprachigen Gebiete anderer Nationen, in den Schoß des Mutterlandes Italien führen. Sein Großvater Scipio habe allerdings nur einen „kulturellen Irredentismus“ vertreten, meint Aurelio Slataper. Radikalere Irredentisten wie Ruggero Timeus heizten hingegen die Stimmung mit Parolen an, die das ideologische Gefasel der Faschisten vorwegnahmen.
Zitator:
Als Theoretiker glaube ich, dass die Kultur nicht durch die Übereinstimmung, sondern durch den Kampf der Rassen voranschreitet …
Autorin:
… schrieb Timeus. Dabei ist nur schwer verständlich, wie der Nationalismus überhaupt nach Triest kommen konnte. Noch 1848, als Venetien und die Lombardei sich gegen Österreich erhoben, blieben die Triester dem Haus Habsburg treu. Triest erhielt sogar den Titel „allertreueste Stadt des Kaiserreichs“. Vermutlich ging der Triester Nationalismus aus der Rivalität zwischen den zahlenstärksten Bevölkerungsgruppen hervor: den Slowenen und den Italienern.
Bis 1915 lieferten sich Slowenen und Italiener Scharmützel in der Stadt; es gab Angriffe und Brandanschläge auf Kultur- und Sporteinrichtungen beider Parteien. Dann zog Italien in den Ersten Weltkrieg, um Österreich die „unerlösten Gebiete“ zu entreißen. Am 3. November 1918 legte das italienische Kriegsschiff „Audace“, „das Kühne“ an der Mole San Carlo an, die nach diesem Schiff in „kühne Mole“ umbenannt wurde. Ein General nahm Triest für das Königreich Italien in Besitz.
Atmo:
Bibliothek
O-Ton – Ksenija Majovskij, darüber Übersetzerin:
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des habsburgischen Reichs ist eine Welt zu Ende gegangen.
Autorin:
…sagt Ksenija Maojowski, Bibliothekarin in der slowenischen Bibliothek Triests.
O-Ton – Ksenija Majovskij, darüber Übersetzerin:
Das kosmopolitische, multiethnische Triest ist damals verschwunden. Erst jetzt, hundert Jahre später, taucht das meiner Ansicht nach echte Gesicht der Stadt wieder auf. Es gibt endlich eine offenere, freundlichere Haltung uns Slowenen gegenüber. So hoffen wir, dass Triest langsam wieder die kosmopolitische Stadt wird, die sie einst war.
Autorin:
Die Italiener, die 1918 die Verwaltung Triests übernahmen, begannen sofort, jede Spur aller nicht-italienischen Kulturen in der Stadt zu tilgen. Als erstes schlossen sie die deutschsprachigen Schulen, Vereine und Kultureinrichtungen. Die deutschsprachige Minderheit wurde durch Schikanen zum Verlassen der Stadt genötigt. Auch das gesamte slowenische Bürgertum packte die Koffer. Etwa 150.000 Menschen flohen damals aus Triest und der umliegenden Region Julisch-Venetien.
1919 tauchen die ersten, von Triester Nationalisten gegründeten faschistischen Schlägertrupps auf. Angeblich wurden in Triest zum ersten Mal Schwarzhemden getragen, die später zum Symbol des faschistischen Italiens schlechthin wurden. Die frühen Triester Faschisten waren vor allem auf die Verfolgung von Sozialisten und Kommunisten und von Slowenen und Kroaten aus.
O-Ton – Paolo Parovel, darüber Übersetzer:
Die Schwarzhemden zogen durch die Dörfer auf den Anhöhen über Triest und schlugen Leute zusammen, vergewaltigten, stahlen und brandschatzten. In einem Dorf hier in der Nähe haben sie einen Wirt an die Tür eines Stalls genagelt. Lauter Geschehnisse, die man verdrängt, vergessen, verschwiegen hat.
Autorin:
Nachdem sie 1922 an die Macht gelangt waren, betrieben die Faschisten eine Politik der Unterdrückung und Zwangsassimilation der sprachlichen Minderheiten, erzählt Paolo Parovel.
O-Ton – Paolo Parovel, darüber Übersetzer:
Schlimmer als der Brand des Narodni Doms waren die Enteignungen der Banken, die Schließung sämtlicher Kulturinstitute, der Zeitungen, der Schulen. Das Verbot, die eigene Muttersprache zu sprechen. Leute wurden auf der Straße verprügelt, weil sie Slowenisch sprachen. Es kam dazu, dass Eltern vermieden, mit ihren Kindern Slowenisch zu sprechen, aus Angst, sie würden aus Versehen in der Schule Slowenisch sprechen.
Autorin:
Die Bewegung Freies Triest gibt sich heute betont multikulturell, vielsprachig, internationalistisch, antifaschistisch und antirassistisch. Schon der auf der Webseite dreisprachig angegebene Name „Trieste libera / Svobodni Trst / Free Triest“ soll den Willen signalisieren, das kosmopolitische Triest aus der Zeit der habsburgischen Herrschaft wiederzubeleben. Die 2011 entstandene Bewegung hat inzwischen etwa 3.000 Mitglieder und 30.000 Sympathisanten. An einer Demonstration im Herbst 2013 nahmen 8.000 Menschen teil.
Atmo:
Demonstration
Autorin:
Die Mitglieder der Bewegung betonen auch die enge Bindung der Triester an ihren Hafen. In der Stadt scheint jeder davon überzeugt zu sein, dass der italienische Staat den einstigen Wirtschaftsmotor Triests vernachlässigt. Roberto Giurastante meint:
O-Ton – Roberto Giurastante, darüber Übersetzer:
Italien hat dem Hafen Triest alles weggenommen, was ihn zum Aufschwung gebracht hatte. Es hat den Schiffsverkehr auf andere italienische Häfen umgeleitet, die technische Ausstattung des Hafens, die Kräne etwa, abmontiert und in anderen Häfen aufgestellt. Es hat dann die Werften geschlossen, die einen der wichtigsten Wirtschaftszweige dieser Stadt ausmachten, und lässt die Freihandelszonen ungenutzt.
Autorin:
Das 65.000 Quadratmeter große Areal im Norden der Stadt liegt seit 40 Jahren still. Die Schienen der Güterzüge, die einst die Kais mit Mitteleuropa verbanden, verschwinden heute unter Buschwerk und Unkraut. Aber auch der Neue Hafen im Süden der Stadt verfügt über Freihandelszonen. Und in seine Infrastruktur hat der italienische Staat tatsächlich Milliarden Lire investiert. Ende der 1960er-Jahre wurde die Transalpine Pipeline TAL gebaut, die Triest mit Bayern und Österreich verbindet. 2012 sind 35 Millionen Tonnen Erdöl über die TAL nach Mitteleuropa geflossen. Hinsichtlich seines Umschlags ist Triest immer noch der drittgrößte Adria-Hafen nach dem slowenischen Koper und Venedig. Aber er spielt bei weitem nicht die Rolle, die er vor 1918 spielte, sagt Damir Murkovic:
O-Ton – Damir Murkovic, darüber Übersetzer:
Triest war der einzige Hafen des Kaiserreichs. Es gab zwar noch den Hafen von Rijeka, war aber als Umschlagplatz bei weitem nicht so wichtig wie Triest. Nun stellen sie sich vor, was passiert, wenn dieser Hafen einer der zwanzig italienischen Häfen wird.
Atmo:
Einzug der Truppen Titos
Autorin:
Weder die Alliierten noch italienische Partisanen befreiten Triest von den Faschisten, der SS und der deutschen Wehrmacht, die seit 1943 Norditalien besetzt hielten. Den Partisanenkampf gegen die Besatzer führten Slowenen in der Grenzregion an. Am 1. Mai 1945 zog Titos jugoslawische Armee in Triest ein.
O-Ton – Roberto Spazzali, darüber Übersetzer:
Die Jugoslawen besetzten die Stadt bis zum 9. Juni 1945. Dann wurde vereinbart, dass sie sich aus Görz, Triest, und Pola zurückzogen. Mit dem Pariser Friedensvertrag, der im September 1947 in Kraft trat, erhielt Jugoslawien fast zwei Drittel von Julisch-Venetien, während Triest und sein Umland zum Freien Territorium Triest erklärt wurden, das wiederum in zwei Zonen geteilt wurde: Zone A wurde von den Alliierten, Zone B von Jugoslawien verwaltet.
Autorin:
Das Freie Territorium Triest war ein unabhängiger Staat unter dem Protektorat der Vereinten Nationen – zumindest auf dem Papier des Friedensvertrags, der auch den Hafen Triest als internationalen Freihafen anerkannte.
In Wahrheit wurde Zone B bald zu einem jugoslawischen Territorium, während in Zone A, die von einer alliierten Militärregierung verwaltet wurde, sich allmählich die Kräfte durchsetzten, die Triest an Italien binden wollten. 1954 wurde in London eine provisorische Vereinbarung unterzeichnet, die Zone A der italienischen Verwaltung unterstellte und die jugoslawische Verwaltung in Zone B bestätigte. 1975 erklärte der Vertrag von Osimo den vorläufigen zu einem endgültigen Zustand. Heute ficht die Bewegung Freies Triest die Gültigkeit dieses Vertrags an, sagt ihr Anführer Roberto Giurastante:
O-Ton – Roberto Giurastante, darüber Übersetzer:
Der Vertrag von Osimo ist ein bilaterales Abkommen zwischen Italien und Jugoslawien. Er kann nicht den Friedensvertrag von 1947 aufheben, der von 21 Staaten unterschrieben wurde.
Autorin:
Das Freie Territorium Triest bestehe de jure immer noch, glaubt Giurastante. Deshalb hat er die Bürger der Stadt aufgefordert, dem italienischen Staat keine Steuern zu zahlen. Als fremder Staat habe er kein Recht auf Steuererhebung in einem Freien Territorium. Manche munkeln, das Versprechen, keine Steuern zahlen zu müssen, sei der wahre Grund des Erfolgs der Bewegung. Nun gehen die italienischen Behörden gegen Giurastante wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung vor.
Atmo:
Demonstration Freies Triest
Autorin:
Aber davon lassen sich die Anhänger der Bewegung nicht einschüchtern. Ende 2013 marschierten sie wieder zu Tausenden durch die Stadt, um die Anerkennung Triests als internationalen Hafen zu fordern. Aber wenn Triest wieder als Freies Territorium anerkannt würde, wäre es kein Mitglied der Europäischen Union mehr. Hat es Sinn, gerade jetzt neue Grenzen zu errichten, wo Triest durch den Beitritt Sloweniens und Kroatiens zur EU mit seinem Hinterland wieder vereinigt worden ist? Die Soziologin Zaira Vidau vom Slowenischen Forschungszentrum Triests meint:
O-Ton – Zaira Vidau, darüber Übersetzerin:
Der europäische Integrationsprozess ist vor allem in der slowenischen Gemeinschaft auf große Zustimmung gestoßen. Bis vor kurzem gab es hier kaum Euroskeptiker. Im Gegenteil: Alle verfielen in Euphorie darüber, dass die Grenze nun auch physisch gefallen war, dass dadurch eine ähnliche Situation entstanden ist wie zur Zeit des k.u.k.Reichs. Dass wir wieder einen offenen Raum haben.
Autorin:
Inzwischen ist die EU-Euphorie auch in Triest abgeklungen. Zum einen, weil Wirtschaftskrise und Spardiktate die negative Seite des Staatenbundes enthüllt haben. Zum anderen, weil die EU Triest keinen wirtschaftlichen Nutzen gebracht hat. Im Gegenteil: Solange Jugoslawien existierte, war das Land ein riesiger Absatzmarkt für die Triester Wirtschaft. In der Stadt wimmelte es von Import-Export-Firmen. Mit der Zerschlagung Jugoslawiens und der Eingliederung von Teilen des Balkans in die EU hat Triest diese Funktion verloren. Auch habe die EU die Bürger Triests ihren Nachbarn nicht wirklich näher gebracht, meint Damir Murkovic, der Präsident der kroatischen Gemeinschaft Triests. Es gebe zwar privat betriebene Bahnlinien von Triest nach Österreich und Deutschland – aber nur für den Warenverkehr.
O-Ton – Damir Mukovich, darüber Übersetzer:
Es gibt keine Passagierzüge nach Wien, Zagreb oder Ljubljana. Es gab sie, aber sie wurden eingestellt, weil sie unrentabel waren.
Autorin:
An eine Integration der Europäer durch EU-Institutionen glaubt Paolo Parovel erst recht nicht.
O-Ton – Paolo Parovel, darüber Übersetzer:
Wir Triester waren Kinder eines wirklich multinationalen Staatsgebildes, das in Jahrhunderten gereift war. Die EU ist nur ein Zusammenschluss von Nationalstaaten, die die nationale Phase nicht überwunden haben.
Autorin:
Parovel, dem geistigen Mentor der Bewegung Freies Triest, schwebt ein Vielvölkerstaat nach dem Muster Österreich-Ungarns vor – wenn auch ein winzig kleiner.
O-Ton – Paolo Parovel, darüber Übersetzer:
Als unabhängiger Mikrostaat mit einem internationalen Freihafen könnte Triest Einwanderer aus allen Himmelsrichtungen anziehen. Das gäbe der Stadt ihre Rolle und ihre Funktion zurück. Wir sind eine Stadt von Eingewanderten! Wir brauchen nun neue Einwanderer, die uns wieder Kultur, Sprachen und neue Impulse bringen.
Atmo:
Meeresrauschen
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