Thomas Kemnitz, Robert Conrad, Michael Täger: Stillgelegt: 100 verlassene Orte in Deutschland und Europa

Kultur-Reisen
Stillgelegt: 100 verlassene Orte - EU
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Online-Publikation: Oktober 2015 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< DuMont Bildband: Thomas Kemnitz, Robert Conrad,  Michael Täger:  Stillgelegt  >>
Taschenbuch: 224 Seiten; 12,7 x 3,5 x 19,7 cm ;  ISBN-13: 978-3770188888; EUR 29,99
MAIRDUMONT . D-73760 Ostfildern; http://www.mairdumont.comhttp://www.baedeker.com;

http://www.thomaskemnitz.de;
http://www.robert-conrad-fotografie.de;
https://www.facebook.com/MichaelTaegerFotografie

Inhalt
Ungenutzte Werkhallen und Förderschächte, verfallene Heilanstalten, Kultur-  und Sportstätten, vor sich hin rottende Kriegsdenkmäler, Bunker, und Kasernen – Orte im Dornröschenschlaf. STILLGELEGT bannt 100 dieser Orte in Deutschland und Europa in eindrucksvolle Bilder und erzählt ihre Geschichte(n).
Die Fotografien von Thomas Kemnitz, Robert Conrad und Michael Täger dokumentieren ohne falsche Sentimentalität das Schicksal von Orten und Gebäuden, die aus unterschiedlichen Gründen verlassen und dem Verfall preisgegeben wurden – weil sich politische Konstellationen verändert haben, bestimmte Industriezweige aufgegeben wurden, Orte ihre Bedeutung verloren haben. Sie erzählen vom Aufbruch und Unternehmergeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts, vom Glauben an Technologie und Fortschritt, von den beiden Weltkriegen, der Teilung Deutschlands und den Veränderungen durch den Fall des Eisernen Vorhangs.
Die 100 Orte werden nicht chronologisch, sondern nach ihrer ursprünglichen Nutzung, auf fünf Kapitel verteilt, vorgestellt – für den Betrachter ein Gewinn, kann er doch auch Parallelen zwischen verwandten Objekten ausmachen oder Entwicklungen innerhalb einer Bauaufgabe nachvollziehen. Am Ende der Kapitel werden in kurzen, informativen Texten die wichtigsten Fragen zu den Objekten beantwortet: Wann und von wem wurden sie gebaut? Für welche Nutzung? Wieso wurden sie verlassen? Wie ist der Zustand heute?
 Ob verfallene sozialistische Denkmäler, gesprengte Bunker oder außer Betrieb genommene Autofabriken - in ihrem Verfall spiegeln diese Orte die bewegte Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder. Ohne zu verklären, hält STILLGELEGT diese Geschichte(n) in eindringlichen, großformatigen Farbfotografien fest.

Stillstand kann aber auch als Katastrophe über
uns hereinbrechen, ungeplant, plötzlich, nach
einem heftigen Auflehnen gegen das Unvermeidbare.
Was beiden Situationen gemeinsam ist, ist
die Phase des Übergangs zwischen Nutzen und
endgültigem Verfall und Verschwinden.
Stillstand – eben war hier noch Leben, Bewegung.
Schon im nächsten Moment ist alles wie
erstorben, tot. So mag es in der ukrainischen
Stadt Prypjat gewesen sein, als die Einwohner
von der Reaktorkatastrophe im nahen Tschernobyl
überrascht wurden. Von jetzt auf gleich
mussten die Menschen ihren Lebensmittelpunkt
aufgeben und fliehen, nicht selten nur mit dem,
was sie am Leib hatten und in wenigen Koffern
und Schachteln mit sich tragen konnten.
Fast dreißig Jahre später kann man das d em
Ort noch ansehen – Michael Täger hat diesen
Moment eingefangen. Als das Unglück geschah,
war er noch nicht geboren. Seine Kollegen
Robert Conrad und Thomas Kemnitz kamen
eine Generation vor ihm zur Welt. Sie sind
aufgewachsen in der Gesellschaft des real existierenden
Sozialismus mit dem Versprechen
auf gleiche Behandlung aller Menschen. Vielleicht
gelingt es ihnen deshalb so gut, noch im
Stillstand die Wider sprüche aufzudecken und
festzuhalten.

Autorenteam
Thomas Kemnitz,
geb. 1966 in Schönebeck: 1990-94 Fotografie- und Computeranimations-Studium, Abschluss als Diplom-Mediendesigner. Seit 1998 Mitarbeiter im Studio für digitale Medien im Fachbereich Gestaltung und Kultur der HTW Berlin. Seit 1996 Betreuung des Forschungsprojektes »VIMUDEAP.info - Virtuelles Museum der Toten Orte«.
Robert Conrad,
geb. 1962 in Quedlinburg. Nach Studium von Kunstgeschichte und Architektur seit 1998 Arbeit als Architekturfotograf für den Berliner Senat, Landesdenkmalämter, Architekturbüros, Museen und Verlage, daneben Ausstellungen zu freien Fotoprojekten. Besonderer Schwerpunkt ist die Dokumentation von Bauten der klassischen und der Nachkriegsmoderne.
Michael Täger,
geb. 1990 in Wolfsburg: Abitur und Studium der Fahrzeugtechnik in Wolfsburg. Seit 2013 freiberuflicher Fotojournalist im Bereich Reportage- und Sportfotografie. Schwerpunkt ist die Dokumentation der Veränderungen in den Neuen Bundesländern und Osteuropa seit der politischen Wende und dem Abzug der Sowjetarmee.

Bild-Autorenteam-Selbstaussagen:

Thomas Kemnitz (* 1966)
»Ich begreife meine Arbeit als ›Heimatkunde
2.0‹. Bei vielen der von mir dokumentierten
Orte gibt es Bezüge zu meiner
Biografie. Der in den ungenutzten Bauten
konservierte letzte Zustand, der an die
einstige Funktion und an die einst dort
tätigen Menschen erinnert, öffnet ein
faszinierendes ›begehbares Zeitfenster‹.
Ziel meines Entdeckens und Dokumentierens
ist, dem Objekt gerecht zu werden:
gutes fotografisches Handwerk,
zielgerichtete Recherche und verantwortungsvolle
Publikation stehen am Anfang
eines Prozesses, der den Kontext nicht
aus den Augen verliert und der – Hand
in Hand mit Reflexion und Kommunikation
– letztlich zum medialen Erhalt des
Ortes beiträgt.«

Robert Conrad (* 1962)
»In den 1980erJahren
wurde das mittelalterliche
Zen trum meiner Heimatstadt,
der Hansestadt Greifswald, durch
Flächenabrisse zerstört. Damals begann
ich gegen den unwiederbringlichen Verlust
von historischem Stadtraum anzufotografieren,
um so zumindest ein zweidimensionales
Abbild des Verlorenen
überliefern zu können. Meine Aufgabe
sehe ich seitdem in der möglichst objektiven
Bilddokumentation von kulturund
sozialgeschichtlich aussagekräftigen
Architekturbeständen, welche sich durch
Verfall und Abriss, aber auch durch
Modernisierung und Umbauten verändern
werden – vom Patrizierhaus in
Flensburg über verlassene Kasernen
des ›Dritten Reichs‹ bis zum Flughafen
Berlin Tegel.«

Michael Täger (* 1990)
»Da ist der Reiz des Unentdeckten,
Unerforschten und Unbekannten. Kein
Museum, sondern Authentizität.
Geschichte zum Anfassen. Das Gefühl,
in die faszinierende Wendezeit zu reisen,
vielleicht die spannendsten und verrücktesten
Jahre unserer Geschichte, von
der es mir selbst nicht vergönnt war,
sie zu erleben. Die Spuren einer Zeit zu
erforschen, über die so wenig bekannt
ist. Und das Bedürfnis, die Zeugnisse
dieser Zeit fotografisch zu konservieren,
bevor sie achtlos zerstört oder abgerissen
werden.«

Fazit
Dem Foto-Team Thomas Kemnitz, Robert Conrad und  Michael Täger ist es ihrem Bildband "Stillgelegt" 100 verlassene Orte in Deutschland und Europa visuell komprimiert, wie zeugnisdeutend  industriearchäologische Bilddokumente mit eindrücklich-expressiven Szenerien ästhetisch zu konterkarieren. 
Das visuelle Diskursbuch ist in  fünf Teilne gegliedert: Produzieren - Leben - Bilden - Transportieren - Schützen 'Bunker »Maybach I '...> 
Quintessenz des Fotobandes enthält die Bildfolge 98-99 mit den Bunker »Maybach I* : Sie weist auf erschütternd-düstere  symptomatische Situationen, in den die im Jetzt sichtbaren Spuren traumatisierte Menschen hinterlassen haben (Täter, Opfer, nachfolgende Betroffene..) . Es sind Szenerien des Grauens vom 2. Weltkrieg, die nachfolgende Besetzung und schliesslich die Schwerindustrie-Produktionsstätten mit ihren trauma-zeugenden wirkenden Niedergang, die gleichfalls düster bis ernüchternd den Betrachtenden sprachfern  'toten-still' entgegen schreien. Ein ausgewöhnliches, ja säkulares Bildwerkzeug zum ernüchternd-melancholischen Diskurs zur Zukunftsbewältigung liegt  vor den BetrachtENDEn. m+w.p15-10

*)Im Ringstollen mit Blick in den Südstollen »Maybach I«, sieht man paradigmatisch die verbunkerte Kommandozentraleder  deutschen Heerestruppen. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gesprengt. Teile der inzwischen touristisch erschlossenen  Nachrichtenzentrale »Zeppelin« nutzte das Oberkommando der sowjetischen Truppen bis 1994 als geschützte Führungsstelle.


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