Heinrich Zille – Kinder der Straße

Online-Publikation: April 2008 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Ausstellung: Heinrich Zille – Kinder der Straße. Zeichnung, Grafik, Fotografie 22. Juni bis 31. August 2008 . Städtische Galerie Villingen-Schwenningen. In Kooperation mit der Akademie der Künste Berlin und dem Lindenau-Museum Altenburg >>
Katalogbuch: Die Ausstellung führt neben dem 'bekannten Zille und seinem Milljöh', auch erstmals die verschiedenen künstlerischen Medien zusammen, in denen Zille tätig war: Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Arbeiten für die illustrierte Presse und Filme. Der Titel der Ausstellung ist dem 1908 erschienenen ersten Buch 'Kinder der Straße' angelehnt. Der Katalog erscheint als Begleit-Buch im Verlag Schirmer/Mosel, München: 192 Seiten, 5/5-farbig gedruckt, Bildteil von 140 Seiten, broschiert gebunden im Format 19 x 24 cm. Laden- und Abgabepreis an der Museumskasse : € 29,80.
www.villingen-schwenningen.de/Staedtische-Galerie.659.0.htmlwww.adk.de/www.lindenau-museum.de

Inhalt
Lange hatte ein Reporter in Zilles Arbeitsstube gesessen. – Schließlich fragte er: „Was kann ich denn nur über Sie schreiben, Herr
Professor?“ – „Jjooben Sie denn, det sich die Leute für mich interessieren?“ – „Aber natürlich, brennend!“ – „Na, wenn det so i ,dann schreiben Sie man, det ick mit Vornamen Heinrich heeße und Bilderken mache.“ Heinrich Zille
Zum 150. Geburtstag von Heinrich Zille ehrt die Städtische Galerie Villingen- Schwenningen das Schaffen des populären Berliner Künstlers.
Die Ausstellung führt neben dem ‚bekannten Zille und seinem Milljöh’ auch erstmals die verschiedenen Medien zusammen, in denen Zille tätig war: Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Arbeiten für die illustrierte Presse und Filme.
Neben einem umfangreichen Rahmenprogramm, das die Ausstellung begleitet, wird durch viele Aktionen und Benefizprojekte die Off Road Kids Stiftung, die sich den heutigen 'Kindern der Straße' fürsorglich annimmt, unterstützt.
Heinrich Zille setzte als Zeichner, Grafiker und Fotograf den 'kleinen Leuten', den Gestrandeten und Verlierern der wirtschaftlich
aufstrebenden Metropole im Berlin des beginnenden 20. Jahrhunderts, ein Denkmal. Seine oft bissig gezeichneten Kommentare zur sozialen Not wie seine anrührende Nähe zu den Menschen in den überfüllten Mietskasernen, den Tagelöhnern oder den 'Kindern der Straße', veröffentlichte er in auflagenstarken Illustrierten. Im 'Simplicissimus', in der Zeitschrift 'Jugend' und im von Gustav Meyrink in Wien redigierten Blatt 'Der liebe Augustin' erschienen regelmäßig seine Werke. Bald kannte jeder den 'Pinsel-Heinrich', wie das ordentliche Mitglied der Preußischen Akademie der Künste von den Menschen in Berlin liebevoll genannt wurde, und als 'Raphael der Hinterhöfe' genießt er bis heute große Popularität. Heinrich Zille entstammte armen Verhältnissen. Nach kurzer Schulzeit erlernte er den Beruf eines Lithographen und arbeitete später als Drucker bei der renommierten 'Photographischen Gesellschaft'. Hier kam er mit den seinerzeit modernsten Reproduktions- und Drucktechniken in Berührung, zu deren Weiterentwicklung er beitrug. Vor diesem Hintergrund entstand sein fotografisches und zeichnerisches Werk, das mit seinem geschärfter Blick auf das Leben der damaligen 'Unterschichten' Bildfindungen hervorbrachte, die alsbald dieAufmerksamkeit liberaler Künstlerkreise im wilhelminischen Berlin erregten. Einer seiner wichtigsten Förderer wurde der Maler MaxLiebermann, der das Besondere der Zilleschen Begabung und seinenmitunter dunklen Humor sehr schätzte.
„Man hat Sie einen Humoristen genannt, der Schwänke, lustige und traurige Bilder vorführ t . Gewiß tun Sie das und werden es hoffentlich noch lange tun, denn dies tut uns not in dieser traurigen Zeit. Aber Sie sind viel mehr als ein Humorist: Sie haben Humor. Und diesem Humor, der so selten i s t wie ein weißer Rabe, verdanken Sie Ihre Popularität und Ihre Größe als Künstler.“ Max Liebermann 1907 verlor er seinen Arbeitsplatz und wagte den Schritt in eine freie Künstlerexistenz. Im Jahr darauf
veröffentlichte er sein erstes Buch 'Kinder der Straße', das dieser Ausstellung den Titel gibt und gleichsam ihr Zentrum bildet. Es wurde ein großer Erfolg und erlebte bis 1929 zahlreiche Auflagen. 1913 erschien 'Mein Milljöh', Zilles zweiter Bestseller, dessen Titel zu einer Art Synonym für sein Werk wurde.
Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Produktivität. 1917 wandelte sich Zille zum entschiedenen Kriegsgegner und widerrief gleichsam in dem Zyklus 'Kriegsmarmelade' (1917/18) die Ulk-Zeichnungen früherer Jahre. In der Folge veröffentlichte er die berühmten grafischen Zyklen 'Hurengespräche' unter Pseudonym, mit dem falschen Erscheinungsjahr 1913. In der Zeit der Weimarer Republik wurde Zille zu einer unumstößlichen Instanz in Berlin, andererseits machte man ihn auch zu einem einträglichen 'Markenzeichen'. Mit seiner Popularität unterstützte er soziale und politische Initiativen, ohne sich direkt einer Partei anzuschließen. Wegen 'sittlicher Anstößigkeit' seiner erotischen Blätter wurde er verschiedentlich anklagt. In seinen späten Jahren veröffentlichte Heinrich Zille noch eine Reihe von Büchern, in denen er sein Lebenswerk rekapitulierte. Am 9. August 1929 starb der Künstler in seiner Charlottenburger Wohnung und wurde unter großer Anteilnahme der Berliner Bevölkerung auf dem Waldfriedhof in Stahnsdorf beigesetzt. Heinrich Zilles Werk zählt heute zu den 'bekanntesten Unbekannten' der Berliner Kunst. Es ist zwar in zahllosen Bildbänden präsent, wurde aber nur selten durch Ausstellungen in seiner Einheit von künstlerischer Qualität und sozialer Genauigkeit gewürdigt. Zille scheint im Bewusstsein vieler Menschen abgelegt als abgestandene Berlin-Folklore vom 'Papa Zille'. Doch hat er nichts weniger verdient als das. Diese Ausstellung versucht erstmals, den sozialen Kern seiner Arbeit und die Empathie des Künstlers für die Verlierer der Industriegesellschaft wieder freizulegen, ohne die humoristische Seite dieses Werks außer Acht zu lassen.
„…Dann gibt es noch einen dritten Zille, und dieser ist mir der liebste. Der ist weder Humorist für Witzblätter noch Satiriker. Er ist restlos Künstler. Ein paar Linien, ein paar Striche, ein wenig Farbe mitunter – und es sind Meisterwerke.“ Käthe Kollwitz