Mit Macht gegen digitale Drogen bei Kindern und Jugendlichen


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Digital Drogen
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Professor Gerald Lembke zur BZgA-Studie „Drogenaffinität Jugendlicher“

270.000 Jugendliche (oder 5,8 Prozent) zwischen 12 und 17 Jahren sind laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) internetabhängig. Jugendliche und junge Erwachsene sind wöchentlich im Durchschnitt 22 Stunden online – zum „Kommunizieren, Spielen oder zur Unterhaltung“, so die BZgA. Zu dieser Zeit kommt die Internet-Verweildauer für Schule, Studium und Beruf hinzu. Für noch erschreckender als die absoluten Zahlen hält Professor Dr. Gerald Lembke die rasante Suchtentwicklung: So hat sich in nur vier Jahren die Anzahl der digitalabhängigen Jugendlichen verdoppelt. Lembke ist Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und forscht über das digitale Mediennutzungsverhalten in Gesellschaft, Bildung und Wirtschaft.
Es wird Zeit, so Lembke, nicht nur laufend über die Chancen der Digitalisierung zu sprechen, sondern breitbandig vor den Risiken zu warnen: Derzeit verweigern wir uns als Gesellschaft, Kinder und Jugendliche in verantwortlicher Weise auf eine gefahrvolle digitale Welt vorzubereiten. Sehenden Auges überlassen Bildungsverantwortliche auf breiter Front Jugendliche ihrem digitalen Schicksal, sagt Professor Lembke. Lembke fordert vor dem Safer Internet Day (7. Februar) bundesweite Präventionsprogramme für die digitalen Mediennutzung und ein Aufklärungsprogramm für alle Eltern: „Was die Menschen in einer künftigen digitalen Gesellschaft benötigen, ist keine unreflektierte Digital-Rhetorik von Politik, Lobby und Medien, sondern eine umfassende Präventionsstrategie, an der Eltern, Lehrer und Erzieher im Verbund mitarbeiten.“
Lembke hält es für grob fahrlässig, wenn junge Menschen, die ja souveräne Stützen der Gesellschaft werden sollen, grundlegende Formen des Denkens, Fühlens und Handelns wegen frühzeitig-exzessiver Nutzung von digitalen Geräten kaum noch erlernen und so unversehens in die digitale Abhängigkeit geraten. In diesem Zusammenhang weist Markus Wortmann, der Vereinsgeschäftsführer von „Sicheres Netz hilft“, auf weitere Gefahrenpotenziale hin: „Die Polizei hat in ihrer Arbeit inzwischen fast täglich mit Internetkriminalität zu tun, die bei einer kritischen Medien- und Internetkompetenz der Betroffenen hätte vermieden werden können.
Digitalfreie Räume für Kinder
Es ist daher absolut notwendig, so Lembke, in den ersten 12 Lebensjahren für digitalfreie Räume in Kitas, Kindergärten, Grundschulen und Kinderzimmern zu sorgen. Statt Kinder und Jugendliche massenhaft zu Programmierern auszubilden, wäre ein Unterrichtsfach „Digital-Prävention“ viel besser zur Vorbereitung aufs digitale Leben geeignet. Prävention muss für Lehrer, Erzieher und Eltern zur Pflichtveranstaltung werden. Bevor der Staat Milliarden Steuereuros in die technische Ausstattung von Schulen investiert, sollte es in jeder öffentlichen Einrichtung einen Digitalpräventions-Experten in Daueranstellung geben. Wie ein Datenschutzbeauftragter in Unternehmen und Organisationen, sollte so ein Digital-Lotse ein Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht für den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien bekommen. Dies würde nicht nur das Suchtpotenzial erheblich eindämmen, sondern ganz allgemein für einen souveränen Umgang mit digitalen Geräten im Internet sorgen.
Für Eltern und Familien bedarf es bundesweiter Digital-Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen. Dass solche Kampagnen Wirkung entfalten können, zeigt etwa die Verkehrssicherheitskampagne „Runter vom Gas“ auf den Autobahnen. Bei jedem Fünften wurde diese Kampagne zum Gesprächsthema im Familien- und Freundeskreis. 70 Prozent der Befragten regte „Runter vom Gas!“ zum vorsichtigen Fahren an.

Fünf Digital-Tipps für Familie:
1. Computer haben in Kinderzimmern bei Kindern bis zu 12 Jahren nichts zu suchen. Sie verleiten die meisten Kinder zum Spielen und „Whatsappen“ und nicht zum kritischen Umgang mit digitalen Medien.
2. Der Erwerb von Medienkompetenzen bedeutet, sich aktiv und regelmäßig über Risiken und Nebenwirkungen digitaler Medien auseinanderzusetzen. Ein Jahresgespräch in den Familien reicht da nicht aus: Es muss sich dabei um einen laufenden Begleitungs- und Reflexionsprozess handeln, unterstützt von Pädagogen und anderen Erziehungsberechtigten.
3. Um die digitale Zukunft bewältigen zu können, müssen Kinder und Jugendliche keine Programmiersprache lernen. Viel wichtiger ist es, den Zeitkiller Internet und weitere Internet-Gefahren einschätzen zu können. Die grundlegenden Internet-Kenntnisse und App-Anwendungen lernen sich intuitiv von selbst. Der verantwortungsvolle Umgang mit Digital-Anwendungen jedoch braucht Reflexionsräume mit Eltern und Pädagogen.
4. Damit die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger wird, bedarf es einer Innovationskultur, die danach fragt „Brauche ich das – wozu brauche ich das?“ Die derzeit herrschende, oft blinde Digitaleuphorie ist kein guter Ratgeber.
5. Anlässlich des internationalen Safer Internet Day am 7. Februar können Lehrer, Eltern und Erzieher ein kostenfreies Webinar des Vereins „Sicheres Netz hilft“ absolvieren:

https://www.edudip.com/w/225562.
mailto:christoph.ecken@redaktionsbuero-ecken.de

Über Professor Gerald Lembke
Gerald Lembke ist Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sein Forschungsgebiet ist das digitale Mediennutzungsverhalten. Er ist Buchautor und Berater für den Einsatz und den Umgang mit Digitalen Medien in Wirtschaft und Gesellschaft. Zu seinen jüngeren Publikationen zählen "Im digitalen Hamsterrad" - Ein Plädoyer für den gesunden Umgang mit Smartphone & Co" und "Die Lüge der Digitalen Bildung" mit dem Co-Autor Ingo Leipner.