Sucht bewegt – Zugangswege erweitern!

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Sucht bewegt ?!
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Bonn - Die Ausgangslage:
Es wird geschätzt, dass in Deutschland 1.770.000 Personen von Alkohol, 5.580.000 von Tabak, 2.300.000 von Medikamenten, 319.000 von illegalen Drogen und zwischen 111.000 - 415.000 von pathologischem Glücksspiel abhängig sind. Zum Krankheitsbild gehört, dass Betroffene häufig ihr Problem nicht wahrnehmen und suchtspezifische Hilfen aus eigenem Antrieb nur zu einem vergleichsweise geringen Teil in Anspruch nehmen. Darüber hinaus werden suchtkranke Menschen in der Akutversorgung (z.B. Arztpraxen, Krankenhäuser) häufig aufgrund der somatischen (Folge-)Erkrankungen behandelt, ohne die zugrunde liegende Suchterkrankung angemessen zu berücksichtigen.
Im Jahr 2014 standen zudem ca. 340.000 Krankenhausfälle mit einer F10-Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“ lediglich 35.423 Entwöhnungsbehandlungen mit Leistungsträgerschaft der Deutschen Rentenversicherung gegenüber. Viele alkoholabhängige Menschen erreichen von daher nicht oder viel zu spät eine qualifizierte Behandlung. Die mittlere Abhängigkeitsdauer vor Antritt einer stationären Entwöhnungsbehandlung für Alkohol-/Medikamentenabhängige beträgt nach der Basisdokumentation des Fachverbandes Sucht e.V. 14,3 Jahre. Im Vorfeld der stationären Entwöhnung wurden zudem bereits durchschnittlich mehr als 3 Entzugsbehandlungen durchgeführt. Die Inanspruchnahme einer stationären Entwöhnungsbehandlung im Anschluss an eine Behandlung im Krankenhaus aufgrund einer F10-Diagnose beträgt nur knapp 10 % in den 3 Folgejahren.
Dabei ist die Wirksamkeit der Suchtbehandlung ein Jahr nach Behandlungsende durch die Studien des Fachverbandes Sucht e.V. belegt: Im Bereich der Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit beträgt je nach Berechnungsform die katamnestische Erfolgsquote zwischen 77,7 % und 40,9 %, wobei bei letzterer Berechnung alle Nichtantworter (45,7 %) konservativ als rückfällig gewertet werden, also eine deutliche Unterschätzung der Erfolgsquoten stattfindet. Der sozialmedizinische Verlauf 2 Jahre nach stationärer Alkoholentwöhnung in 2010 belegt nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung ebenfalls einen hohen Erfolg: 2 Jahre nach erfolgter Entwöhnungsbehandlung verbleiben 88 % der Frauen und 89 % der Männer im Erwerbsleben.
Andererseits gehen seit Jahren die Antrags- und Bewilligungszahlen für Entwöhnungsbehandlungen kontinuierlich zurück, d. h. der Zugang zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke verengt sich weiter.
Aus diesem Grund hat der Fachverband Sucht e.V. seine diesjährige Tagung unter die Thematik ‚Zugangswege erweitern’ gestellt.
In der S3-Leitlinie ‚Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen’ (2016) wird beispielsweise empfohlen,
• dass Screening- und Diagnostikverfahren zur Früherkennung alkoholbezogener Störungen flächendeckend und systematisch in der medizinischen Grundversorgung (z.B. Arztpraxen, Krankenhäusern) eingesetzt werden sollen und
• dass postakute Interventionsformen, also Entwöhnungsbehandlungen, Patienten im Anschluss an die Entzugsphase als nahtlose weiterführende Behandlung angeboten werden. Dabei stellt die Abstinenz bei abhängigem Konsum die übergeordnete Zielsetzung dar.
Empfehlungen des Fachverbandes Sucht e.V. zur Förderung einer bedarfsgerechten Inanspruchnahme qualifizierter Behandlungsangebote sind deshalb:
• Die öffentlichen Mittel für Suchtberatungsstellen dürfen nicht gekürzt, sondern müssen weiter ausgebaut werden.
• Eine nahtlose Verlegung aus dem qualifizierten Entzug (QE) in die Suchtrehabilitation muss flächendeckend möglich werden. Hierzu fanden bereits entsprechende Gespräche der Suchtfachverbände mit der Deutschen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenversicherung statt. Ein Nahtlosverfahren wird derzeit entwickelt.
• Der qualifizierte Entzug, welcher suchtspezifische wie auch motivationale Interventionen zur Förderung der Inanspruchnahme weiterführender Behandlungsangebote (z.B. Entwöhnungsbehandlung) umfasst, sollte gegenüber einer rein körperlichen Entgiftung Standardbehandlung sein.
• Der Zugang von Patienten mit einer „verdeckten“ Suchtmittelabhängigkeit und von so genannten Risikopatienten (Patienten mit wiederholten Entzugsbehandlungen) aus dem Krankenhaus in spezialisierte Angebote der Suchtberatung und Suchtbehandlung muss verbessert werden.
• Die Früherkennung und Frühinterventionen bei substanzbezogenen Störungen durch den niedergelassenen Arzt müssen verbessert und zudem gesondert vergütet werden.
• Die Änderung der Reha-Richtlinie, die zurzeit zur Vorlage beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) liegt, muss umgesetzt werden, damit Psychologische Psychotherapeuten zukünftig auch suchtspezifische, psychosomatische und psychotherapeutische Rehabilitationsleistungen verordnen können.
• Die Früherkennung einer substanzbezogenen Störung bzw. Suchtproblematik sollte integraler Bestandteil von Gesundheitsuntersuchungen sein, welche mittlerweile auch durch Werks- und Betriebsärzte durchgeführt werden können.
• Der Zugang für substituierte Drogenabhängige zur Entwöhnungsbehandlung sollte verbessert werden.
• Eine Erhöhung der Antrittsquote zur Suchtrehabilitation sollte durch frühzeitige Kontaktaufnahme und Begleitung der Patienten, z. B. im Rahmen von Case-Management und durch Reha-Fallbegleitung, intensiviert werden.
• Ergänzende Zugangswege aus dem Bereich Altenhilfe und –pflege zum Suchtbehandlungssystem sollten geprüft werden (z.B. Berücksichtigung substanzbezogener Störungen im Rahmen der Pflegebegutachtung).

Fazit:
Mehr suchtkranken Menschen als bisher sollte ein möglichst nahtloser Zugang zu Entwöhnungsbehandlungen ermöglicht werden. Dabei setzt der Fachverband Sucht e.V. auf den Dialog mit den Leistungsträgern, insbesondere der Deutschen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenversicherung. Das bewährte System der Suchtberatungsstellen muss erhalten bleiben. Ergänzend wäre es zu begrüßen, wenn auch die vertragsärztliche Versorgung durch Haus- und Fachärzte sowie durch Psychologische Psychotherapeuten möglichst umfassend und unbürokratisch in die Reha-Antragstellung einbezogen werden könnte und insgesamt die Aktivitäten zur Früherkennung und -intervention substanzbezogener Störungen deutlich ausgebaut würden.


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