Hemmnisse bei der Therapie des Vorhofflimmerns abbauen
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Berlin - Weißbuch beschreibt Versorgungssituation bei Vorhofflimmern – Experten fordern mehr Aufklärung und verbesserte Früherkennung
Fast jeder fünfte Schlaganfall geht auf die Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern zurück. Dabei können Blutgerinnungshemmer bei Menschen mit Vorhofflimmern Schlaganfälle wirksam verhindern. Allerdings scheitert eine optimale Therapie häufig an Unsicherheiten bei Patienten und Ärzten. Das ist ein Fazit des „Weißbuch Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern“, das IGES-Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit medizinischen Experten verfasst haben.
„Unbestritten gibt es Fortschritte in der Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern. Es besteht jedoch bei der Identifikation betroffener Patienten und bei der Einnahmetreue geeigneter Medikamente Verbesserungsbedarf“, sagt Hans-Holger Bleß, Leiter des Bereichs Versorgungsforschung am IGES Institut bei der Vorstellung des Weißbuchs in Berlin.
Fünffach erhöhtes Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern
Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung im Erwachsenenalter. Rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind Schätzungen zufolge betroffen. Vorhofflimmern ist stark altersabhängig. So ist bei den über 74-Jährigen bereits jeder Zehnte erkrankt. Aufgrund des demografischen Wandels gehen Experten davon aus, dass die Zahl der Betroffenen von zwei Prozent im Jahr 2008 bis auf 2,7 Prozent im Jahr 2020 steigen wird. „Die steigender Zahl von Menschen mit Vorhofflimmern macht deutlich, wie wichtig eine wirksame Prävention ist, damit nicht gleichzeitig die Zahl von Schlaganfällen zunimmt“ ,sagt der Leiter des IGES Instituts, Prof. Bertram Häussler.
Beim Vorhofflimmern schlägt das Herz unregelmäßig. Als Folge können sich Blutgerinnsel (Thromben) im Herz bilden. Lösen sie sich und verstopfen eine Hirnarterie, kommt es zum ischämischen Hirninfarkt, der häufigsten Schlaganfallart. Menschen mit Vorhofflimmern haben ein fünffach erhöhtes Schlaganfallrisiko. Da Vorhofflimmern häufig beschwerdefrei verläuft, bleibt es oft unentdeckt. Bei manchen Patienten ist der Schlaganfall der erste Hinweis auf ein Vorhofflimmern.
Gefahr eines Schlaganfalls wird unterschätzt
Die Hemmung der Blutgerinnung mit der so genannten oralen Antikoagulation (OAK) ist das Mittel der Wahl, um Schlaganfälle durch Vorhofflimmern medikamentös zu verhindern. Allerdings bestehen bei Patienten vielfach Ängste vor unerwünschten Blutungen als eine der bekannten Nebenwirkungen der OAK.
„Irrtümlicherweise wird die Angst vor Blutungen unter Blutgerinnungshemmern als viel bedrohlicher erlebt als das Risiko, einen lebensgefährlichen und oft folgenreichen Schlaganfall zu erleiden“, erläutert Prof. Michael Näbauer, Oberarzt am Klinikum der Universität München. Unnötige Therapieabbrüche seien die Folge und gefährdeten den Erfolg der Schlaganfallprävention.
Unsicherheiten bei der Therapieentscheidung
Auf Seiten niedergelassener Ärzte hemmen neben Unsicherheiten durch das Blutungsrisiko vor allem das Alter und Begleiterkrankungen der Patienten sowie eine erwartete Therapieuntreue das Einleiten einer oralen Antikoagulation, selbst wenn ein hohes Schlaganfallrisiko besteht, berichtet das Weißbuch.
So ist bei knapp jedem zweiten behandlungsbedürftigen Patienten mit Vorhofflimmern über die Hälfte des Jahres nicht sicher durch eine Verordnung eines Blutgerinnungshemmers abgedeckt. Das zeigen Analysen von Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen.
Sogar in der spezialisierten, fachärztlichen Versorgung erhalten Studien zufolge zwischen 13 und 43 Prozent der Patienten mit Vorhofflimmern keine OAK. Acht bis 20 Prozent der Patienten mit Vorhofflimmern erhalten zur Schlaganfallprävention statt einer oralen Antikoagulation weniger wirksame Thrombozytenaggregationshemmer, etwa Acetylsalicylsäure (ASS).
Umgekehrt deuten Studien darauf hin, dass bestimmte Patienten mit Vorhofflimmern ohne erhöhtes Schlaganfallrisiko unnötigerweise eine OAK erhalten und damit einem unnötigen Blutungsrisiko ausgesetzt sind.
Hausärzte stärken und Patienten aufklären
„Vor allem in der hausärztlichen Basisversorgung müssen wir mehr Handlungssicherheit und Strukturen für eine verbesserte Früherkennung des Vorhofflimmerns schaffen“, sagt Näbauer. Zudem müssten Patienten sachlich und verständlich über die Risiken des Vorhofflimmerns und den Nutzen einer Behandlung zum Schutz vor Schlaganfällen aufgeklärt werden. Außerdem könnten gezielte Betreuungsangebote wie ein Arzneimittelcoach die Einnahmetreue unterstützen.
Hintergrund Schlaganfall
Der Schlaganfall gehört in Deutschland zu den zehn häufigsten Todesursachen und ist der häufigste Grund für bleibende Behinderungen im Erwachsenenalter. In Deutschland kommt es jährlich zu rund 240.000 Schlaganfällen. Etwa jeder dritte mit einem erstmaligen Hirninfarkt stirbt innerhalb eines Jahres. Betroffene mit Vorhofflimmern in der Vorgeschichte haben oft eine besonders schlechte Prognose nach einem Schlaganfall.
Das Weißbuch „Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern“ ist im Thieme Verlag erschienen. Es entstand mit finanzieller Unterstützung der Unternehmen Bayer Vital, Boehringer Ingelheim Pharma, Bristol-Myers Squibb, Daiichi Sankyo Deutschland und Pfizer Deutschland.
Über das IGES Institut: Forschen – Entwickeln – Beraten für Infrastruktur und Gesundheit
Das IGES Institut wurde 1980 als unabhängiges Institut gegründet. Seither wurde in über 1.600 Projekten zu Fragen des Zugangs zur Versorgung, ihrer Qualität, der Finanzierung sowie der Gestaltung des Wettbewerbs im Bereich der Gesundheit gearbeitet. In jüngerer Zeit wurde das Spektrum auf weitere Gebiete der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeweitet: Mobilität und Bildung. Das IGES Institut gründet seine Arbeit auf hohe Sach- und Methodenkompetenz und bietet in allen Arbeitsgebieten einen breiten Zugang zu eigenen und zu Datenquellen anderer Institutionen. Gemeinsam mit den Unternehmen CSG und IMC (beide Berlin), AiM (Lörrach) sowie HealthEcon (Basel) beschäftigt die IGES Gruppe mehr als 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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