Frühchenalarm: Neugeborenen-Zentren droht Schließung – Neue gesetzliche Vorgaben setzen Geburtstationen unter Druck
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DGPM 2019: 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin in Berlin
Die hochaktuelle Diskussion ist ein Top-Thema beim 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) e. V. vom 28. bis 30. November 2019 in Berlin.
Pressevertreter sind herzlich zur Tagung eingeladen. Akkreditierungen bitte über die Homepage oder über den Pressekontakt.
Die Pressekonferenz findet am 28.11.2019 von 12:30 bis 13:30 Uhr im MARITIM Hotel Berlin, Stauffenbergstraße statt. Bitte vorherige Anmeldung unter mailto::presse@conventus.de.
ÜBERBLICK
Damit Frühchen die bestmögliche Betreuung erhalten, um zu überleben, soll für jedes Kind unter 1000 Gramm eine eigene Pflegekraft zur Verfügung stehen. So fordert es das Gesetz bis spätestens 2020 – aber das kann kaum eine Geburtsklinik leisten. Wenn schon jetzt Kliniken ihre Betten für die kleinen Patienten sperren und Hochschwangeren mit anstehenden Frühgeburten das Risiko von Krankentransporten zugemutet wird, stellt das die Sinnhaftigkeit des gesetzlichen Erlasses zur Qualitätssicherung der Perinatalzentren in Deutschland in Frage.
INHALT
Rund 9000 Kinder kommen jedes Jahr in Deutschland mit einem Gewicht von weniger als 1500 Gramm auf die Welt. Damit sie überleben können, sollen sie die bestmögliche Betreuung erhalten. Dazu wurde als Vorgabe eine 1:1-Betreuung von Frühchen eingeführt. Für jedes Kind eine eigene Pflegekraft – das setzt die Perinatalzentren unter Druck. Die hochspezialisierten Pflegefachkräfte stehen nicht zur Verfügung. Es gelten momentan noch Übergangsregelungen. Dann droht den meisten Frühchenstationen das systematische Schliessen oder Abbauen von eigentlich vorhandenen Bettenkapazitäten.
Berlin. Für jedes intensivtherapiepflichtige Kind, das mit einem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm zur Welt kommt, muss ab dem 1.1.2020 rund um die Uhr eine eigene Pflegekraft zur Verfügung stehen. Diese Forderung der 2014 vom Gemeinsamen Bundesausschuss aus Ärzten und Krankenkassen (GBA) erlassenen Qualitätssicherungsrichtlinie Früh- und Reifgeborene „QFR-RL“ muss in Perinalzentren in mindestens 95 Prozent aller Schichten umgesetzt sein. Doch diese strengen Kriterien kann bis heute kaum eine der 300 Frühchen-Stationen in Deutschland erfüllen. Die meisten müssten früher oder später mindestens Betten, die dringend für die Patientenversorgung benötgt werden, abbauen oder schließen – so das Ergebnis einer aktuellen Studie, die beim beim 29. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) e. V. vom 28. bis 30. November 2019 in Berlin vorgestellt wird – der ältesten und mit Abstand größten Fachgesellschaft für das interdisziplinäre Gebiet "Perinatale Medizin" im deutschsprachigen Raum für den gesamten Bereich der Geburtshilfe, Neonatologie und Hebammenwissenschaft.
Die GBA-Vorgabe, dass für die Betreuung eines einzigen Kindes in jeder Schicht rund um die Uhr eine eigene neonatologische Intensivpflegekraft bereitgehalten wird, kann kaum ein deutsches Perinatalzentrum dauerhaft leisten, ohne die notwendige Versorgung der anderen Patienten einzuschränken. „Die hier vorgelegte Studie zeigt, dass die geforderte 1:1-Versorgung exakt der Grund dafür ist, dass auf den Frühchenstationen nicht die geforderte Personalkapazität gewährleistet werden kann.“, so Prof. Dr. med. Michael Schroth, Klinik Hallerwiese Cnopfsche Kinderklinik Nürnberg, Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin. „Anhand der vorliegenden Daten können wir zeigen, dass die G-BA-Vorgabe die meisten Perinatalzentren personell in die Enge treibt“
Um die Auswirkungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen des GBA-Erlasses für die Frühchen-Stationen zu untersuchen, startete das Verbundperinatalzentrum Mittelfranken, ein Verbund von vier großen Kinderkliniken in Mittelfranken – mit 10.000 Geburten pro Jahr eins der stärksten Zentren bundesweit – unter der wissenschaftlichen Leitung der Cnopfschen Kinderklinik erstmals eine Studie mit der Auswertung der notwendigen Versorgungsdaten. Das Ergebnis wird von Markus Kleeberg bei der DGNR-Fachtagung in Berlin vorgestellt unter dem Titel: „Qualitätssicherungs-richtlinie Früh- und Reifgeborene des Gemeinsamen Bundesausschusses als Qualitätsrisiko? Analyse des Erfüllungsgrads und der Konsequenzen für die Patientenversorgung“.
Die Sinnhaftigkeit der geforderten 1:1-Betreuung und damit eine bessere Versorgungsqualität von Frühchen sei weder durch Studien belegt noch realistisch umsetzbar, so Professor Schroth: „Die Vorgaben für diesen Personalschlüssel beruhen auf einer einzigen, wenig aussagekräftigen Studie aus England, die in eine deutsche S1-Leitlinie eingegangen ist, deren Überprüfung für das Jahr 2020 ansteht.“ Vor allem aber fehlten die hochspezialisierten Pflegekräfte. Um den geforderten Personalschlüssel zu erreichen, müsste nach Berechnungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) jede Frühchenstation ihr Personal um rund ein Drittel aufstocken. Doch es gibt viel zu wenig ausgebildete KinderkrankenpflegerInnen im Kinder-Intensivbereich. Da nicht genügend hochspezialisierte Pflegekräfte mit dreijähriger Fachausbildung, sechsmonatiger Fortbildung sowie zwei Jahren Spezialpraktika zur Verfügung stehen, bringt die Richtlinie mit den neuen Standards die Geburtskliniken bundesweit in Not.
Gerade bei Frühgeburten ist es wenig vorhersehbar, wann diese zur Welt kommen. Frühchen kündigen sich nicht an, eine entsprechende Versorgungsplanung ist kaum möglich. Perinatalzentren der höchsten Versorgungsstufe (Level 1) , die extrem frühgeborene Kinder versorgen, müssten für alle Schichten einen Bereitschaftspool an Kinderkrankenschwestern vorhalten, für Kinder, die unerwartetzu früh auf die Welt kommen. Kommen beispielsweise intensivtherapiepflichtige Drillinge als Frühchen zur Welt, müssten nach aktuellen GBA- Vorgaben, neun Pflegekräfte pro Tag zusätzlich bereitstehen – eine Situation, die personalplanerisch nicht gestaltet werden kann. Die Kliniken stehen extrem unter Druck, da die Scharfschaltung der Richtlinie in der Praxis somit häufig nicht funktioniert.
Schon jetzt hat sich die Situation an einigen Kliniken so zugespitzt, dass Betten auf der Intensivstation für Neugeborene gesperrt werden mussten: „Weil es ca. 80% der Häuser nicht gelingt, den geforderten Personalschlüssel dauerhaft zu gewährleisten, entsteht die skurrile Situation, dass wertvolle Betten leer stehen und Schwangere trotzdem weggeschickt werden,“, so Prof. Schroth, „einfach aus dem Grund, dass potentielle Hochrisikofrühchen nicht nach dem geforderten Personalschlüssel versorgt werden könnten!“ Eine Verlegung in eine andere Klinik würde gerade für Frühchen ein zusätzliches Risiko bedeuten. Der Druck auf werdende Mütter wächst, überhaupt einen Platz in einem Geburtszentrum zu finden.
Dass Frühchen besondere medizinische Betreuung und viel Zuwendung brauchen, steht außer Frage.
Wenn jedoch Kliniken ihre Betten für die kleinen Patienten sperren und Hochschwangeren mit anstehenden Frühgeburten das Risiko von Krankentransporten zugemutet werden muss, um eine lückenlose 1:1-Versorgung zu finden, erscheint das Ziel – die bestmögliche Betreuung – geradezu auf den Kopf gestellt. Prof. Schroth gibt zudem zu bedenken, dass durch die Vorgaben des G-BA die qualitativ hochwertige und notwendige Versorgung von sehr kranken Reifgeborenen aus dem Fokus verschwindet und hofft, dass ein sinnvoller und praktikabler Diskurs den medizinisch Verantwortlichen der Perinatalzentren wieder mehr Freiheiten einräumt, die notwendige Versorgungsmodalität jedes Intensivpatienten individuell, sinnvoll und selbstbestimmt steuern zu können.
Die hochaktuelle Diskussion um den GBA-Beschluss zur Qualitätssicherung in den Perinatalzentren in Deutschland ist eins der spannenden Kongressthemen bei der Berliner
DGPM-Tagung. Das komplette wissenschaftliche Programm ist einsehbar unter
http://www.dgpm-kongress.de
Kontakt:
Kerstin Aldenhoff
Tel. +49 172 3516916
mailto:presse@conventus.de
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