Die neuen Junkies – Wie verändert sich die Drogenszene?

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Die neuen Junkies – Wie verändert sich die Drogenszene?

Es diskutieren:
Dr. Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Suchtfragen e.V.
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'Wie verändert sich die Drogenszene?'
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Prof. Dr. Volker Auwärter, Forensischer Toxikologe, Universitätsklinikum Freiburg
Prof. Dr. Derik Hermann, Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim
Gesprächsleitung: Ursula Nusser
 Stand: 11.3.2016,
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/swr2-forum/swr2-forum-die-neuen-junkies/-/id=660214/did=16919046/nid=660214/sdpgid=1225446/175kadt/index.html


ÜBERBLICK
Ob Amphetamine, Heroin . Kokain  - die Zahl der Erstkonsumenten von harten Drogen ist im letzten Jahr gestiegen. Gleichzeitig sind auch mehr Menschen an den Folgen des Rauschgifts gestorben - ein Plus von fast 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Neben den altbekannten Drogen, klassische Drogen (Metropolen-Drogen) die besser durchschau und annwendbar sind, gibt es jetzt auch viele neue Substanzen: synthetische Designerdrogen (*), hergestellt im Labor. Sie werden als scheinbar harmlose Kräutermischungen verkauft - häufig ganz legal, weil die Stoffe nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Woher kommt die neue Sehnsucht nach dem Rausch? Warum bleiben staatliche Aufklärungskampagnen wirkungslos? Und ist eine Gesellschaft ohne Drogen überhaupt vorstellbar?

*)Designerdrogen
Am Beispiel Crystal Meth ( Methamphetamin...)

Kaum eine Droge ruiniert den Körper so schnell wie Crystal Meth. In Deutschland ist an der Grenze zu Tschechien der Konsum alarmierend gestiegen. Vor allem Leistungsträger greifen gerne zu.
Dreizehn Jahre lang kennt Miriam M. weder Hunger noch Durst. Sie ist permanent auf 180, ihr Körper in ständigem Alarmzustand. Die Frau aus Franken ist erfolgreich im Job – aber sie ist süchtig nach Crystal Meth, eine synthetische Droge, die ihre Dealer aus Tschechien bekommen. Sie schluckt die Pillen und sie schnupft das weiße Pulver. Das harte Aufputschmittel macht sie euphorisch – bis sie zusammenbricht und endlich Hilfe sucht.
In den Drogenberatungen, vor allem in Süddeutschland, häufen sich derzeit Fälle wie der von Miriam M. Uwe Steinbrenner, Leiter der Drogenberatung Condrobs in München, hat schon viele Abhängige erlebt. "Die Hippie-Zeit ist vorbei", sagt der 56-Jährige, "und diese Droge passt genau in unsere Zeit".

Crystal Meth
steigert Leistung und Selbstwertgefühl, "man wächst über sich hinaus", sagt der Drogenberater. Bis zu 30 Stunden hält das Pulver wach. Wer das Mittel im Blut hat, ist kontaktfreudig, aufgeweckt, sexuell angeregt und niemals müde. Sehr verlockende Wirkungen der Substanz – wären da nicht die negativen Seiten.
"Irgendwann merken die Leute, dass es so nicht mehr weitergeht", sagt Steinbrenner. Die permanente Selbstüberschätzung stößt an Grenzen, gefolgt von Depressionen, Schlafstörungen, Halluzinationen und Psychosen. Drastische Gewichtsreduzierungen und Kollaps des Herz-Kreislauf-Systems sind mögliche körperliche Auswirkungen.
Auch bei der Münchner Drogenberatung häufen sich inzwischen die Crystal-Meth-Fälle. "Das Gefährliche daran ist", sagt Steinbrenner, "dass das Pulver so harmlos erscheint".

Sehr hohe Rückfallquote
Franken gilt wegen der Nähe zur tschechischen Grenze als die Hochburg des Crystal-Meth-Konsums, Bayreuth als die "Kristall-Stadt". Am dortigen Bezirksklinikum hat man sich seit sechs Jahren auf die Behandlung von Crystal Meth-Patienten spezialisiert. Die Therapie unterscheidet sich deutlich von der anderer Drogenabhängiger, sagt Oberärztin Hella Schulte-Wefers von der Abteilung Klinische Suchtmedizin.
Anders als etwa bei Abhängigkeit von Opiaten sind Methamphetamin-Konsumenten extrem aufgeputscht und benötigen als ersten Therapie-Schritt eine Ruhephase. Danach geht es etwa um kognitives Training, um die Gedächtnisstörungen zu beheben und um die Behandlung von psychotischen Symptomen, die Patienten leiden zum Beispiel unter Verfolgungswahn. Die Heilungschancen, so die Ärztin, seien gut, die Rückfallgefahr allerdings sehr hoch.
Crystal Meth ist eine alte Droge,
das Pulver hat eine Geschichte. Als Aufputschmittel fand Methamphetamin bereits im Zweiten Weltkrieg millionenfache Verwendung, Soldaten und Piloten hielten sich mit der "Panzerschokolade" wach, unterdrückten ihren Hunger, dämpften die Schmerzen und hellten ihre Stimmung auf. In den Handel kam es in Deutschland unter dem Namen Pervitin und wurde auch nach dem Kriege gerne zur Leistungssteigerung genutzt.
Seit den 70er-Jahren war Crystal Meth,
das sich nun auch in Münchens Schickimicki-Szene ausbreitet, als eine selbsthergestellte Droge bekannt, die vor allem von der verarmten weißen Mittelschicht in den USA konsumiert wurde. Anders als bei Metropolen-Drogen wie Kokain, verbreitete sich der Stoff eher in den ländlichen Regionen Amerikas.
Dort wurde und wird in selbstgebastelten "Labors", ebenso wie jetzt in Tschechien, die Droge aus relativ mühelos zu erwerbenden Zutaten hergestellt: Aus Hustensäften oder Schnupfenmitteln, die die Substanzen Ephedrin und Hyperephedrin enthalten. Sie werden mit Jodwasserstoff in einer chemischen Reaktion reduziert beziehungsweise "umkristallisiert", zurück bleibt das weiße Pulver.
Herstellung auf dem Autorücksitz
Typische Crystal-Labore benötigen mehrere Tage, um eine ordentliche Menge des Stoffes zu produzieren, verwendet werden auf offener Flamme kochende Töpfe, Kanister voller entflammbarer Flüssigkeiten und Hunderte Tabletten des Grundstoffes.
Mittlerweile berichten amerikanische Medien über eine neue Herstellungsformel, wonach nur eine Zwei-Liter-Wasserflasche, ein paar Erkältungstabletten und einige haushaltsübliche Chemikalien benötigt würden. Das Schütteln der Flasche löst eine chemische Reaktion aus und führt zur Gewinnung des kristallinen Pulvers. Damit lasse sich die Droge auf jedem Autorücksitz ohne offene Flamme herstellen.
Heute ist in Europa Tschechien das Hauptherstellungsland von Crystal Meth. Auf rund 370 illegale Labore schätzt Jürgen Thiel, Sachgebietsleiter Rauschgift im Zollfahndungsamt München, die Zahl der dortigen Produktionsstätten. Er berichtet von "alarmierenden Fallzahlen". Die Ursache sieht der Zollfahnder in neuen Vertriebswegen.
Es war bisher bereits bekannt, dass seit den 1990er-Jahren die Droge durch Dealer über die Grenze geschmuggelt und nach Deutschland gebracht wurde. Seit 2006 aber, sagt Thiel, wird Crystal Meth auch mehr oder weniger offen über die Asien-Märkte an der deutsch-tschechischen Grenze vertrieben. Die dortigen Buden-Betreiber hätten sich nach dem Rückgang des Zigaretten-Schmuggels quasi neue "Geschäftsfelder" erschlossen. Über den "Ameisenschmuggel" gelangte die Droge so vor allem in den grenznahen Bereich.
Zahl der Fälle verdreifacht
Und die Droge scheint in Bayern auf dem schnellen Vormarsch zu sein, die Fallzahlen sind in den vergangenen drei Jahren rapide gestiegen. Danach wurden im Jahr 2009 noch 683, 2010 schon 1138 Fälle registriert. 2011 waren es dann bereits 1832. "Damit hat sich die Zahl der Crystal-Meth-Fälle fast verdreifacht", sagt Roland Pfuhl von Sachgebiet Synthetische Drogen des bayerischen Landeskriminalamtes.
Es gibt weiter Indizien für die steigende Verbreitung der synthetischen Droge: Die durch Polizeikontrollen sichergestellte Menge an Crystal Meth stieg von 5,6 Kilogramm in 2010 auf 11,7 Kilogramm in 2011. Allein von den Oberpfälzer Fahndern, die einen dreißig Kilometer langen Abschnitt an der Grenze zur Tschechei kontrollieren, erhöhte sich die Zahl der innerhalb eines Jahres gefassten Kuriere um mehr als zwei Drittel, die Menge des dabei sichergestellten Methamphetamins hat sich mehr als verdoppelt.
War die Droge 2010 in München noch kaum ein Thema der Drogenfahndung, verzeichnete im ersten Halbjahr 2012 die Polizei hingegen 50 Crystal-Aufgriffe in Stadt und Landkreis. Erst vor wenigen Wochen stoppten Fahnder der Bundespolizei ein Fahrzeug auf einer Autobahn in Richtung München und verhafteten einen 42-jährigen Vietnamesen, der unter dem Beifahrersitz zwei Dosen mit einem Kilogramm Crystal Meth verstaut hatte. Der Straßenverkaufswert betrug 100.000 Euro.