Neues Netzwerkmodell soll Einsichten in die Verarbeitung von natürlichen Reizen in der Sehrinde ermöglichen

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Neuronale Schaltkreise für natürliches Sehen - Stand 2016

ÜBERBLICK
Neuronale Schaltkreise für natürliches Sehen
Wie verarbeitet das Sehsystem natürliche Reize, also das gewöhnliche Sehen im Alltag? Forscherinnen und Forscher suchen schon lange eine Antwort auf diese Frage. Eine neue Entwicklung könnte bisher ungeahnte Einsichten liefern: Die Neurowissenschaftler Dr. Jens Kremkow und Prof. Dr. Ad Aertsen vom Bernstein Center Freiburg der Albert-Ludwigs-Universität haben gemeinsam mit einem Team des französischen Centre Nationale de la Recherche Scientifque (CNRS) in Marseille, des CNRS in Gif-Sur-Yvette und der New York State University/USA ein Netzwerkmodell erstellt, das simuliert, wie die Sehrinde – das fürs Sehen zuständige Areal in der Großhirnrinde – sensorische Reize auswertet. Das Modell könnte dabei helfen, die Verarbeitung natürlicher Reize im Sehsystem besser zu verstehen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Frontiers in Neural Circuits“ veröffentlicht.
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ZUR STUDIE
Freiburg, 20.05.2016
Neuronale Schaltkreise für natürliches Sehen
Künstliche und natürliche visuelle Reize rufen unterschiedliche neuronale Aktivitätsdynamiken in der Sehrinde hervor. Hier sind Antworten eines Neurons während einer künstlichen und natürlichen Stimulation dargestellt. Quelle: Jens Kremkow

Rund um die Uhr empfangen und verarbeiten neuronale Schaltkreise im Gehirn Informationen der Sinneswahrnehmung und ermöglichen dadurch, dass Mensch und Tier ihre Umwelt wahrnehmen und mit ihr interagieren. Schon lange versuchen Forscherinnen und Forscher herauszufinden, wie das Sehsystem natürliche Reize, also das gewöhnliche Sehen im Alltag, verarbeitet. Eine neue Entwicklung könnte bisher ungeahnte Einsichten liefern: Die Neurowissenschaftler Dr. Jens Kremkow und Prof. Dr. Ad Aertsen vom Bernstein Center Freiburg der Albert-Ludwigs-Universität haben gemeinsam mit einem Team des französischen Centre Nationale de la Recherche Scientifque (CNRS) in Marseille, des CNRS in Gif-Sur-Yvette und der New York State University/USA ein Netzwerkmodell erstellt, das simuliert, wie die Sehrinde – das fürs Sehen zuständige Areal in der Großhirnrinde – sensorische Reize auswertet. Das Modell könnte dabei helfen, die Verarbeitung natürlicher Reize im Sehsystem besser zu verstehen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Frontiers in Neural Circuits“ veröffentlicht.

Um die Funktion neuronaler Schaltkreise im Sehsystem zu untersuchen, verwenden Forscher seit Jahrzehnten einfache künstliche Reize, insbesondere sich bewegende Balken. In jüngerer Zeit nehmen auch natürliche Reize eine wichtige Rolle in neurowissenschaftlichen Versuchen ein. „Studien haben gezeigt, dass die Aktivität der Neuronen in der Sehrinde grundlegend anders war, wenn sie jeweils künstlichen oder natürlichen visuellen Reizen ausgesetzt wurden“, erklärt Kremkow. Auf künstliche Reize reagieren Neuronen in der Sehrinde grundsätzlich stark, jedoch zeitlich nicht genau. Natürliche Reize resultieren dagegen in eher schwachen, zeitlich jedoch präziseren neuronalen Antworten. „Es war bislang nicht klar, warum die neuronalen Netzwerke ihre Aktivitätsdynamiken in diesem Fall ändern“, sagt der Wissenschaftler.

Mithilfe des Modells hat das Team nun eine mögliche Erklärung gefunden: Die unterschiedlichen Reaktionen könnten auf bestimmte Eigenschaften der Kommunikationswege zwischen der Netzhaut und der Großhirnrinde zurückzuführen sein. Im Besonderen spiele das filigrane Zusammenspiel von erregenden und hemmenden synaptischen Eingängen der Neuronen in der Sehrinde eine Rolle. Diese so genannten rezeptiven Felder funktionieren ähnlich wie der Sensor einer Kamera, allerdings liefern sie kein punktgetreues Bild der visuellen Umwelt, sondern tragen lediglich zur Kodierung spezifischer Eigenschaften der gesehenen Szene bei. Sie sind in erregende und hemmende Bereiche aufgeteilt. Die Erregung und Hemmung sind während künstlicher Reize zeitlich versetzt und stärken so die neuronalen Antworten. „Bei natürlichen Reizen hingegen fallen Erregung und Hemmung zeitlich zusammen, was die entsprechenden schwachen neuronalen Antworten erklärt“, berichtet Kremkow.

Den Autoren zufolge lasse sich dieser als „Push-and-Pull“ bezeichnete Mechanismus auch auf die Verarbeitung anderer Sinnesreize übertragen. Sei er beeinträchtigt, könnten Menschen womöglich auch ihre Wahrnehmung als gestört empfinden. Somit könnten die Ergebnisse des Teams auch für medizinische Fragestellungen relevant sein.

Originalveröffentlichung:
Kremkow J, Perrinet LU, Monier C, Alonso J-M, Aertsen A, Fregnac Y, Masson GS (2016) Push-Pull Receptive Field Organization and Synaptic Depression: Mechanisms for Reliably Encoding Naturalistic Stimuli in V1. Frontiers in Neural Circuits 10:37; doi: 10.3389/fncir.2016.00037

Kontakt:
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