Stressbewältigungsstrategien essgestörter Frauen in sozialen Situationen

 

- Essstörungen und Stress -

- Orthorexie

Psychologisches Institut Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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01.02.2007 Mainz - Studie zur Wahrnehmung, Interpretation und Bewältigung einer sozialen Konfliktsituation bei Frauen mit Essstörungen - Teilnehmerinnen gesucht Stressreiche Situationen im Alltag erleben wir als unangenehm und wir versuchen, diese Situationen auf unterschiedlichste Art und Weise zu bewältigen, um unsere negativen Emotionen zu minimieren. Eine neue Studie des Psychologischen Instituts der Johannes Gutenberg-Universität Mainz untersucht dieses Verhalten bei Frauen mit Essstörungen im Vergleich zu Gesunden. Für diese Studie mit dem Titel "Bewältigungsverhalten von Frauen mit Essstörungen in einer sozialen Interaktion" sucht das Psychologische Institut noch Teilnehmerinnen. Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass Stress und das Verhalten zur Stressbewältigung in Verbindung mit der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Essstörung stehen. Es konnte gezeigt werden, dass vergleichbare Situationen bei Personen mit Essstörungen subjektiv ein höheres Maß an Stress verursachen, als dies bei Gesunden der Fall ist. Besonders uneindeutige, ambivalente zwischenmenschliche Situationen scheinen hierbei den größten Stress zu verursachen. Insgesamt geht man davon aus, dass Frauen mit Essstörungen solche Situationen schlechter bewältigen als Gesunde und dass "stressige" Situationen ein möglicher Auslöser für essstörungsspezifisches Verhalten wie zum Beispiel einen Essanfall sind. "Eine Ursache für dieses weniger angemessene Bewältigungsverhalten könnte sein, dass Frauen mit Essstörungen Defizite im Bewältigungsrepertoire solcher Situationen aufweisen, das heißt, sie wissen möglicherweise nicht, wie sie anders auf Stress reagieren könnten", erläutert Dr. Tanja Legenbauer vom Psychologischen Institut der Mainzer Universität. Essstörungen wie Bulimia Nervosa, auch Ess-Brechsucht genannt, und Anorexia nervosa, die sogenannte Magersucht, sind in den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt der wissenschaftlichen Forschung gerückt. Typische Ausprägungen bei Personen mit Essstörungen sind die starke Kontrolle des Körpergewichts etwa durch Diäten und Extremsport sowie das wiederholte Auftreten von Essanfällen. Das Selbstwertgefühl dieser Frauen ist in einem hohen Maß an ein "Idealgewicht" gekoppelt. Die Mainzer Wissenschaftler vermuten, dass diese Frauen beispielsweise eine uneindeutige soziale Situation wie Kritik oder Zurückweisung auf den Unterschied zwischen ihrem Wunschgewicht und ihrem tatsächlichen Gewicht zurückführen. Diese Frauen unterliegen somit schnell einem Schwarz-Weiß-Denken und interpretieren eine solche Situation wesentlich schlimmer und selbstwertbedrohlicher als gesunde Probandinnen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Frauen mit Essstörungen weniger gute Bewältigungsstrategien für derartige Situationen zur Verfügung haben. Wahrscheinlich gehen sie eine solche Situationen in einem geringeren Maß aktiv und lösungsorientiert an, sondern versuchen, eher ihre aufkommenden negativen Emotionen zu bewältigen, beziehungsweise sie versuchen, eine geistige Auseinandersetzung mit dem Problem zu vermeiden. Welche Rolle dabei mögliche Schwachstellen im nichtsprachlichen und sprachlichen Verhaltensrepertoire dieser Personen spielen, soll bei der neuen Studie genau untersucht werden. Die Studie soll insgesamt zwei Termine umfassen. Zum ersten Termin wird ein diagnostisches Gespräch geführt und zu einem zweiten Termin ein kurzes Rollenspiel mit der Probandin stattfinden, um die aufgestellten Vermutungen zu überprüfen. Zusätzlich sind eine Reihe von Fragebögen auszufüllen. Interessierte Teilnehmerinnen sollten bereit sein, die beiden Termine wahrzunehmen und an der Fragebogenuntersuchung mitzumachen. "Wir hoffen damit Anhaltspunkte für das genaue Bewältigungsverhalten und Aufschluss über mögliche nonverbale und verbale Verhaltensdefizite bei essgestörten Frauen zu bekommen, um die Therapie von Essstörungen weiter zu verbessern", sagt Dr. Legenbauer. Sie untersucht in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie seit mehreren Jahren die Zusammenhänge bei der Entstehung von Essstörungen und Möglichkeiten zu ihrer Überwindung. Kontakt: Arbeitsgruppe "Projekt Essstörungen-Bewältigungsverhalten" Dr. Tanja Legenbauer / Dipl. Psych. Ralf Wölfges Psychologisches Institut Abt. Klinische Psychologie und Psychotherapie Johannes Gutenberg-Universität Mainz Tel. 06131 39-24621 Fax 06131 39-24623

Essstörung - Essgewohnheiten -Kids

Uta Meier-Gräwe: Zwischen Völlerei und Diätwahn - Über die Essgewohnheiten der KidsSWR2 AULA Autorin und Sprecherin: Professor Uta Meier-Gräwe * Redaktion: Ralf Caspary Sendung: Sonntag, 6. August 2006, 8.30 Uhr, SWR 2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. ÜBERBLICK 10 bis 20 Prozent der Schulanfänger sind heute zu dick, darunter befinden sich wiederum zwischen 4 und 8 Prozent Kinder, die sogar fettsüchtig sind. Parallel dazu gibt es den anderen Trend: Viele Mädchen eifern bereits im zarten Alter von 9 Jahren einem Körperideal nach, das eindeutig im untergewichtigen Bereich liegt. Sie wollen schön sein, und hervorgerufen wird dieser Normdruck durch umstrittene TV-Sendungen wie "Germany's next Topmodel" und durch die neuen Körperideale der Gesellschaft. Uta Meier-Gräwe, Professorin für Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, beschreibt Ursachen und Folgen dieser Entwicklung. INHALT Ansage: Heute mit dem Thema: „Zwischen Völlerei und Diätwahn - Über die Essgewohnheiten der Kids“. Es gibt zwei Trends, die signalisieren, dass etwas nicht in Ordnung ist: Es gibt viele Kinder, die einfach zu dick sind, Experten sprechen in Bezug auf Schulanfänger von 10 bis 20 Prozent, cirka 5 Prozent der Schulanfänger wiederum sollen fettsüchtig sein. Parallel dazu wird man immer häufiger mit Magersucht konfrontiert, das betrifft viele Mädchen, die bereits im zarten Alter von 12 Jahren einem Ideal nacheifern, dass eindeutig im untergewichtigen Bereich angesiedelt ist. Wie gesagt: Da ist etwas nicht in Ordnung mit den Essgewohnheiten der Kinder, mit der Qualität der Nahrung, mit den Körperbildern und Körperidealen. Uta Meier-Gräwe ist Professorin für Familienwissenschaft und Wirtschaftslehre des Privathaushaltes an der Universität Gießen. Sie beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der veränderten Esskultur und auch mit der Frage, wie die durch die Medien verbreiteten Schlankheitsideale das Essverhalten der Kinder beeinflussen. In der SWR2 AULA beschreibt Meier-Gräwe diesen Zusammenhang und skizziert den geschichtlichen Kontext. „Drum esse und trinke ein jeglicher so, dass er am Jüngsten Tage seine Völle zu verantworten wisse.“ (Paracelsus) Uta Meier-Gräwe: Die Weltgeschichte der Macht ist ernährungssoziologisch betrachtet eine Geschichte der Völlerei, eine Story des imposanten Fressens, einer kaum unterbrochenen Sequenz gewaltiger Mahlzeiten, Trinkgelage, ja Orgien gewesen. Seit 1209 gehörte selbst in Deutschland, das lange Zeit als kulinarische Wüste galt, das Amt des Küchenmeisters zu den vier höchsten Rängen am königlichen Hofe. Bereits im Mai 1059 beklagte eine Lateransynode, die Ernährungsregeln der Kirche von Aachen würden eher der Gefräßigkeit von Zyklopen denn christlicher Enthaltsamkeit entsprechen. Zumindest in reicheren Abteien dürften die täglichen Klosterrationen selten 6.000 Kalorien unterschritten haben (Montanari 1993). Bis ins 18.Jahrhundert hinein behielt das üppige Gastmahl seine Bedeutung als eine wichtige Darstellungsform fürstlicher Repräsentation. Opulente Festessen avancierten an den absolutistischen Höfen zu Staatsakten, an denen nur diejenigen teilnehmen durften, die in der Gunst des Herrschers standen. Körperfülle war ein sinnfälliger Ausdruck von hohem gesellschaftlichen Rang, ein Statussymbol, das von Macht und Prestige zeugte. Nur an einigen wenigen Festtagen wurde in den vorindustriellen Mangelgesellschaften der ansonsten unter den armen Schichten der Bevölkerung bestehende Regelkreis von Hunger und Knappheit durchbrochen. Könige und Fürsten gaben zu ihrer Selbstinszenierung und Machtdemonstration große Gelage für die Untertanen, bei denen die sonst so knappen Nahrungsmittel in Hülle und Fülle vorhanden waren. Ganze Ochsen und Schweine wurden gebraten, Bier und Wein flossen reichlich, Milch und Honig gab es zur Genüge. Das gemeine Volk sollte für einige Tage alle Sorgen vergessen und sich den Bauch voll schlagen. Das ist der Stoff, aus dem gleichzeitig die Vorstellungen vom Schlaraffenland als dem Paradies entstanden sind. Im Mittelalter sind es vor allem die aus dem Orient importierten Luxusgüter, darunter die exotischen Gewürze, die ihren Besitzer als privilegierten Zeitgenossen auswiesen. Sie zählten damals zu den kostbaren Insignien der Macht. Pfeffer, Zimt, die Gewürznelke, die Muskatnuss, Ingwer oder Safran verbindet ihre nichteuropäische Herkunft. Die arabische Kultur zeigte Wirkung auf das Europa des Mittelalters in Form von Luxusgegenständen: dem Teppich, dem Baldachin, der Seide, dem Samt, mit denen ein neuer Lebensstil in der europäischen Oberschicht Einzug hielt, aber eben auch die „Verkleidung“ der einheimischen Speisen, indem man sie orientalisch (über-) würzte. Wolfgang Schivelbusch spricht in seinem intelligenten Essay über die Gewürze oder den Beginn der Neuzeit von einer „entliehenen“ Kultur, weil die Stoffe dieser Neueinkleidung allesamt importiert wurden, was zu einer beträchtlichen Abhängigkeit des Abendlandes vom Orient geführt hat. Die Geschichte hat bewiesen, dass der Hunger nach Gewürzen ähnliche Energien zu mobilisieren imstande war wie das Bedürfnis nach Energiequellen.“ (Schivelbusch 2005). Zu Beginn der Neuzeit mehrten sich jene Verordnungen, die dazu dienen sollten, den Luxuskonsum des sich etablierenden Bürgertums einzudämmen. 1356 wurde von den Stadtvätern von Florenz eine Anordnung erlassen, die vorschrieb, dass eine Hochzeit nicht mehr als drei Gänge umfassen sollte. Selbst Ravioli und Makkaroni sollten fortan als ein Gang zählen und ebenso wurde das Gewicht der Fleischstücke festgelegt. Auch in Österreich wurden im Verlaufe des 18. Jahrhunderts vielfältige Strategien gegen die unbeherrschte Völlerei kreiert (Ehalt 1996). Die „Häferlgucker“ waren die Kontrollorgane, die Kaiser Leopold II. eingesetzt hatte. Sie waren befugt, Hausfrauen und Köchinnen in die Töpfe und Pfannen zu schauen, um ein Übermaß an kulinarischen Gerichten zu unterbinden. Aufgabe der Kontrolleure war es auch, die Anzahl der Gänge festzulegen und die Dauer des Festmahls zu bestimmen. Dahinter stand ein noch ständisches Zuteilungsmuster von Prestige und Ehren. Durfte sich der Adel bis zu sechs Stunden den Essgenüssen hingeben, so sahen die Verordnungen vor, dass die Festtafeln der Bürger nach drei Stunden aufgehoben wurden – es sei denn, die ungebetenen Gäste konnten zum Mitfeiern überredet werden. Die Kulturgeschichte des Essens ist zugleich ein Prozess fortschreitender Disziplinierung gewesen. In seinem berühmten Essay „Soziologie der Mahlzeit“ argumentiert Georg Simmel, dass in dem Maße, wie man die Mahlzeit als einen soziologischen Akt im historischen Entwicklungsverlauf betrachtet, selbige sich stilisierter, ästhetisierender und regulierender gestaltet. Einer Zeitdisziplinierung in punkto Nahrungssicherung und Essen folgte die Mengendisziplin, wiederum gefolgt von einem normierenden Regelwerk, das Auswahl und Qualität der zugänglichen Nahrungsmittel zum Gegenstand hatte. Nicht zu vergessen schließlich die Verhaltensdisziplinierung. Die Zeitplanung beim Anlegen von Vorräten war schon in der Jäger- und Sammlergesellschaft eine wichtige Überlebensstrategie. In der bäuerlichen Agrargesellschaft wurde eine überlegte kalendarische Zeitplanung dann zu einem unverzichtbaren Erfolgsfaktor für eine gute Ernte. Mit der Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise schließlich war dann eine unvergleichlich strengere Zeitdisziplin erforderlich, auch was den Mahlzeitenrhythmus im Alltag anbetraf. Der disziplinierte Umgang mit Zeit wird im 20. Jahrhundert schließlich zu einer grundlegenden Kulturtechnik, die bereits in der Herkunftsfamilie eingeübt wird. Ein weiterer, auf das Essen bezogener Disziplinierungsprozess betrifft die Kontrolle über das Quantum der zum Verzehr verfügbaren Lebensmittel. Kein geringerer als Norbert Elias hat in seinem bekannten Werk über den Prozess der Zivilisation die gesellschaftliche Rahmung und die psychosozialen Wirkungen einer wachsenden Triebregulation und Affektkontrolle im neuzeitlichen Europa beschrieben. Mäßigung und Verzicht, das Zurückdrängen der Affekte der Ess- und Trinklust erlangten im Bürgertum eine besondere Bedeutung. Im 20. Jahrhundert erfuhr die Vorstellung von „angemessenen“ Nahrungsmengen eine weitere Standardisierung. Es war die Zeit der zielgruppenbezogenen Kalorientabellen für Schwangere, Kranke und alte Menschen, für körperlich hart arbeitende Bevölkerungsgruppen oder für die Büroangestellten. Eine Reglementierung erfuhren seit der Neuzeit aber auch Art und Auswahl, Qualität und Hygiene und nicht zuletzt die Art der Darbietung der Nahrungsmittel und Speisen. So wurden die Innereien aus dem Kanon der als gut und genießbar geltenden Speisen mehr und mehr verdrängt; ebenso vollzog sich eine Tabuisierung der Geschlechtsorgane der Tiere als Nahrungsmittel, die lange Zeit als besondere Rarität gegolten hatten. Dieser Vorgang vollzog sich gleichlaufend mit der Intimisierung und Unterdrückung der menschlichen Sexualität im 18. und 19. Jahrhundert. Lange Zeit hatte das Zerlegen von Fleisch unmittelbar zum Leben der Oberschicht gehört. Später wurde diese Tätigkeit mehr und mehr als peinlich empfunden; im 20. Jahrhundert schließlich verschwanden das Schlachten der Tiere und das Zerlegen ihrer Körper „hinter den Kulissen des öffentlichen Lebens“ (Ehalt 1996). Schließlich war dieser Disziplinierungsprozess durch eine Ausdifferenzierung der Tischsitten bzw. Essgebärden gekennzeichnet, für die es einen ganzen Kanon an Verhaltensregeln gab bis hin zu den Themen der Konversation bei Tisch. Zunächst kam es zu einer Verfeinerung des Werkzeugs zur Zerkleinerung und Portionierung der Nahrung, dem Messer. Seine Spitze wurde abgerundet, es war nicht mehr schicklich, sich damit die Zähne zu reinigen und es verlor seine Bedeutung als Waffe. Im 16. und 17. Jahrhundert schließlich gesellte sich – in den besseren Kreisen zunächst – die Gabel zum Messer, so dass die Hände sauber blieben. Es galt fortan auch als unkultiviert, ja barbarisch, sein Wohlbehagen bei Tisch durch Rülpsen und Furzen auszudrücken oder den Teller mit der Zunge abzulecken. Der Prozess der Ausdifferenzierung der Tischsitten hat vielfältige Facetten. Er führte zu einer immer größer werdenden Distanz zwischen dem Esser und den verzehrten Produkten. Die einst gegebene Unmittelbarkeit, in der sich essende Menschen Teile der sie umgebenden Pflanzen- und Tierwelt im sprichwörtlichen Sinne „einverleibten“, ging mehr und mehr verloren (Ebenda). Als Kind haben mich immer wieder zwei Geschichten beeindruckt: Das Märchen vom süßen Brei und die Erzählungen vom Schlaraffenland. Wie habe ich es der armen, offensichtlich allein erziehenden Mutter und ihrer Tochter gegönnt, jederzeit über den süßen Griesbrei zu verfügen und mir den Kopf darüber zerbrochen, was wohl passiert wäre, wenn auch das kleine Mädchen das Zauberwort vergessen hätte... DER SÜSSE BREI Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das hat mit seiner Mutter allein gelebt, und sie haben nichts mehr zu essen gehabt. Da ist das Kind in den Wald hinausgegangen, und dort ist ihm eine alte Frau begegnet. Die hat den Jammer des Kindes schon gewußt und hat ihm ein Töpferl geschenkt, zu dem sollt es sagen: "Töpferl, koch!" Dann kocht's guten, süßen Grießkoch, und wenn es sagt: "Töpfen, steh!", dann hört's wieder auf zu kochen. Das Mädchen hat den Topf seiner Mutter heimgebracht; jetzt waren sie nicht mehr arm und haben nimmer Hunger gehabt und süßes Grießkoch gegessen, so oft sie wollten. Einmal aber ist das Mädchen fortgegangen, da hat die Mutter gesagt: "Töpferl, koch!" Da kocht es, und sie ißt sich satt. Nun will sie, daß das Töpferl wieder aufhören soll, aber sie weiß das Wort nicht. Also kocht es fort, und das Grießkoch steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu, die Küche voll und das ganze Haus voll und das zweite Haus voll und die ganze Straße voll, als wollt's die ganze Welt satt machen, und ist die größte Not, und kein Mensch weiß sich da zu helfen. Endlich, als nur noch ein einziges Haus übrig war, da ist das Kind nach Haus gekommen und spricht nur: "Töpferl, steh!" Da steht es still und hört auf zu kochen. Aber wer wieder in die Stadt hat hineinwollen, der hat sich durchessen müssen. Vom Schlaraffenland, wo Wein und Honig fließen und einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, hat meine Mutter gern erzählt. Die Erfahrungen von Hunger und Mangel während der letzten Kriegsjahre und in der unmittelbaren Nachkriegszeit vermögen ihre Faszination für dieses paradiesische Sehnsuchtsbild zu erklären. Als Älteste von sechs Geschwistern hat sie ihre Jugend damit zubringen müssen, unter unsäglichen Umständen des Mangels für ihre jüngeren Schwestern und Brüder etwas „zu beißen“ herbeizuschaffen. Folglich war das Essen in meiner Familie immer ein sehr zentrales Thema: Die West-Pakete mit Kakao, Kaffee und schwarzer Herrenschokolade, der übervolle Kühlschrank mit der „guten Butter“ gehören zu meiner Kindheitserinnerung ebenso wie der Großvater, der sich, in einer Mittelstadt lebend, bis in die 1960er Jahre hinein auf dem Hof Kaninchen hielt, um nie mehr abhängig zu sein von öffentlicher Fleischversorgung. Als ich an einem Sonntagmorgen den heiß geliebten Großvater dabei beobachtete, wie er den Vierbeinern das Fell über die Ohren zog, war mein Verhältnis zu Fleisch zum ersten Mal gestört. Was haben sich die Eltern alles ausgedacht, um mich, für meine Körpergröße viel zu dünn, wie sie meinten, wieder zum genüsslichen Essen zu bewegen bis hin zur In-Aussicht-Stellung von mehr Taschengeld für jede aufgegessene Portion. Meine Familie liebte das Essen; mein Vater kochte mit Begeisterung, mein Bruder kombinierte sein Abitur mit einem Facharbeiter als Koch und wurde schließlich Berufsschullehrer in dieser Branche. Der Gefahr von Übergewicht sind wir seinerzeit als Kinder dennoch nicht erlegen. Unser Alltag war notwendigerweise mit viel körperlicher Aktivität verbunden, denn da gab es kein Auto, aber viel Bewegung an frischer Luft und Sport in der Schule, von dem einen niemand so einfach befreit hat. Die Schulspeisung war zwar nicht optimal, aber weit davon entfernt, zu fett oder zu süß zu sein. Gegenwärtig erregt das Thema Übergewicht und Fettsucht (Adipositas) Land auf, Land ab die Gemüter. 10 bis 20 Prozent aller Schulanfänger sind zu dick; darunter befinden sich zwischen 4 und 8 Prozent, die sogar als fettsüchtig gelten. Die Hälfte dieser Kinder wird auch im Erwachsenenalter übergewichtig sein mit allen Folgen, die das gesundheitlich nach sich zieht. Diabetes mellitus 2, die sogenannte Altersdiabetes, wurde inzwischen schon bei Vorschulkindern diagnostiziert. Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, die man nie wieder loslässt. Renate Künast, Ernährungs- und Verbraucherministerin a. D., hat angesichts des insgesamt schlechten Gesundheitszustands der heutigen Kindergeneration vielfältige Initiativen wie die Plattform „Ernährung und Bewegung“ begründet, um eine öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern auch in diesem Bereich zu signalisieren und wirksame Gegenstrategien in Gang zu setzen. Von Essstörungen wie Magersucht (Anorexie nervosa) oder Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa) blieben meine Freundinnen und ich ebenso verschont: Der Schlankheitswahn unserer Tage war in der Zeit meiner Pubertät keineswegs allgegenwärtig. Heute dagegen berichten Studien darüber, dass bereits 80 Prozent aller 9-jährigen Mädchen in San Francisco schon eine Schlankheitskur hinter sich haben, obwohl sie sehr dünn sind. Und selbst bei kleinen dreijährigen Mädchen beobachteten Expertinnen wie Susie Orbach, Psychotherapeutin und Mitbegründerin eines Frauen-Therapiezentrums in London, dass sie sich stärker mit dem Aussehen ihres Körpers als mit dessen Potenzial beschäftigen: Sie sind nicht stolz darauf, wie hoch sie klettern können, sondern darauf, wie gut sie die Kleidung und das „Wackeln“ von Britney Spears imitieren können. Das eigene Erscheinungsbild und eine schlanke Figur ist bei einer erschreckend großen Zahl der fünfzehnjährigen Mädchen inzwischen zur Sorge Nummer eins beim Erwachsenwerden geworden. Einer aktuellen britischen Studie zufolge sind Mädchen, die mit Barbie-Puppen spielen, potenzielle Essstör-Kandidatinnen. Die dünne Spielzeugblondine mit ihrer Wespentaille verbreitet ein Schönheitsideal, dem schon fünf- bis achtjährige Mädchen nacheifern wollen. Susie Orbach spricht von einer globalen Epidemie. War Magersucht noch vor einigen Jahren symptomatisch für junge weiße Frauen aus westlichen Ländern, so greifen Essstörungen inzwischen immer mehr um sich. Der Terror des schönen, schlanken Körpers grassiert weltweit. Selbst junge afrikanische Mädchen, die aus Volkswirtschaften stammen, in denen die Unterernährung eines der wichtigsten Gesundheitsprobleme ist, werden über Print-Medien und über das Fernsehen dazu verführt, ihre Körper auf eine Weise zu betrachten, die den normalsten Appetit schwächt und sie auf eine westliche Art, Frau zu sein, einschwört. Die Psychotherapeutin Orbach zieht eine drastische Parallele: „Mädchen und Frauen werden heute durch eine zeitgenössische Version der eingebundenen und damit verkrüppelten Füße chinesischer Frauen gequält. Doch die Version, die wir im Westen entwickelt haben, ist vielleicht noch heimtückischer.“ Während chinesische Mütter ihren Töchtern Schmerzen und Erniedrigungen bereiteten, indem sie ihnen die Zehen in dem Bewusstsein brachen, weil das für die Mädchen der einzig mögliche Weg war, in jener Gesellschaft sozial „aufzusteigen“, werden Mädchen und junge Frauen heute auf eine sehr subtile, aber beständige Weise mit der Vorstellung konfrontiert, dass „ihr Körper – die Hülle, in der sie leben - gefährlich ist.“ Der weibliche Körper wird in unserer Gesellschaft als eine Art Rohmasse betrachtet, aus der sich mit Selbstdisziplin und einem entsprechenden Aufwand ein ansehnliches Objekt herstellen lässt. Wem die Kontrolle der Essensgelüste misslingt, verstellt sich den Weg zu Schönheit und gesellschaftlicher Anerkennung. Wie sich die Zunahme bestimmter Nahrungsmittel auf ihre Figur auswirkt, beherrscht heute das Denken vieler Mädchen und Frauen. Sie erlegen sich in ihrem Alltag gezügelte Esspraktiken (restrained eating) in Permanenz zu. Das kontrollierte Essverhalten erfordert eine hohe Motivation und bindet intellektuelles Potential, um die selbst gesetzten Diätregeln durchzuhalten. Aus dem wiederkehrenden Zusammenbrechen der kognitiven Kontrolle des Essverhaltens kann sich das Krankheitsbild der Bulimie, auch Stierhunger genannt, entwickeln: Auf ein stark reglementierendes Essverhalten folgen Heißhungerattacken, die mit einem schlechten Gewissen einhergehen und zu selbst herbeigeführtem Erbrechen oder zur Einnahme von Appetitzüglern bzw. Abführmitteln führen. Ein Essverhalten, das zwar noch nicht als Essstörung diagnostiziert wird, aber in der Tendenz in diese Richtung weist, ist weit verbreitet. Der Anteil der Mädchen, die „bulimische“ Verhaltensweisen zeigen, d. h. besonderen Wert auf ihre Figur legen, ständig ihren Appetit zügeln und gelegentlich Heißhungerattacken entwickeln, wird immerhin auf 18 Prozent beziffert (Striegel-Moor 2001). Wie kommt es zu diesem Essverhalten, gerade bei Mädchen und jungen Frauen? Ihre Sozialisation ist von Anfang an immer auch eine Geschlechtersozialisation. Insbesondere im Zeitraum von der Pubertät bis zum Erreichen des Erwachsenenstatus müssen sie nun aber mit den offensichtlichen Veränderung ihres Körpers zurecht kommen, mit der Ablösung vom Elternhaus, der Ausbildung einer Ich-Identität und ihrer Berufs- und Lebensplanung. Sie werden in dieser Zeit massiv mit Weiblichkeitskonstruktionen konfrontiert, in denen Frau-Sein mit Schönsein, mit Schlanksein gleichgesetzt, oft darauf reduziert wird. Der Einfluss der Medien ist in diesem Zusammenhang fatal; die dort erzeugten und vermittelten Bilder von Weiblichkeit bleiben nicht ohne Wirkung; daran gibt es auch unter Experten keinen Zweifel mehr. So nimmt die messbare Selbstachtung von gut aussehenden Mädchen im Teenager-Alter nach dem einstündigen Lesen eines der Hochglanz-Modemagazine dramatisch ab. Das gängige weibliche Schönheitsideal des straffen, extrem schlanken Körpers kontrastiert in der Pubertät mit ihrer faktischen Körperentwicklung: In dieser Lebensphase steigt der Anteil des Körperfettgewebes der Mädchen an, die Körperform wird rundlicher und weicher. Kindheitsforscherinnen betonen, dass Mädchen im allgemeinen so sozialisiert werden, dass sie ihren Körper nicht akzeptieren können. Sie zeigen ein hohes Maß an Unzufriedenheit mit ihrem Äußeren; insbesondere Busen, Beine, Bauch oder Po erscheinen ihnen als nicht richtig proportioniert. Um dieses Thema kreisen ihre Gedanken vor allem auch deshalb so zentral, weil sie von ihrer Umwelt in der Pubertät vorrangig nach ihrem Äußeren beurteilt werden, wohingegen Jungen auch auf anderem Wege, z. B. durch gute schulische oder sportliche Leistungen zu Anerkennung gelangen. Über die in den Medien dargestellten Körperformen werden immer auch bestimmte Vorstellungen transportiert; etwa, dass ein extrem schlanker Körper nicht nur mit Schönheit, sondern auch mit anderen positiven Eigenschaften verbunden wird: mit Erfolg, Kompetenz, Selbstdisziplin und sexueller Ausstrahlung. Demgegenüber wird Dicksein als selbstverschuldetes Leiden angesehen. Eine füllige Person, die zudem noch mit ihrem Aussehen zufrieden ist, erscheint heute kaum vorstellbar. Der dicke Körper gilt – anders als in vorindustriellen Zeitepochen - als ein aus der Kontrolle geratener Körper. Er steht für Faulheit, Trägheit und Willensschwäche. Die Bewertung eines Menschen aufgrund seiner Körperform, aber auch die Verschränkung von Schlankheit und Schönheit setzt bereits im Kindesalter ein. In einer Befragung von Fünf- bis Achtklässlerinnen über ihre Einstellungen zu übergewichtigen Menschen empfanden es etwa ein Drittel der Schülerinnen als schlimm, wenn ein Junge dick ist, aber etwa 40 Prozent der befragten Mädchen und mehr als die Hälfte der befragten Jungen stimmten der Aussage zu, dass es schlimm sei, wenn ein Mädchen dick ist. Ca. ein Drittel der Kinder stimmte auch der Aussage zu, dass dicke Kinder und Erwachsene hässlich seien. 70 Prozent der Jungen und 64 Prozent der Mädchen waren außerdem der Auffassung, dass eine Frau nur gut aussieht, wenn sie schlank ist. Folglich haben bereits Kinder den gesellschaftlichen Symbolgehalt der Körperformen nachweislich verinnerlicht, wobei insbesondere die Verbindung von Schlank-Sein und Schönheit weiblich konnotiert wird. Hervorgerufen durch diesen hohen Normdruck kommt es zu einer weit verbreiteten Anwendung unterschiedlicher Methoden zur Gewichtskontrolle bei Mädchen und Frauen. Sie reichen vom täglichen Wiegen, Diät halten und einer oft extremen sportlichen Betätigung über die Einnahme von Medikamenten bis hin zu entsprechenden chirurgischen Eingriffen, darunter die Magenklammerung. Ein weiteres, durchaus verbreitetes Mittel zur Kontrolle des Körpergewichts bei Mädchen und jungen Frauen ist das Rauchen von Zigaretten. Die sicherste Einstiegsdroge in eine Ess-Störung ist das Kalorienzählen mit dem Ziel, willkürliche Gewichtsgrenzen einzuhalten oder zu erreichen. Einer Umfrage zufolge quält sich in England bereits jede zehnte Sechsjährige mit Kalorientabellen herum. Auch in Deutschland eifern bereits Mädchen im Alter zwischen 7 bis 11 Jahren einem Körperideal nach, das im untergewichtigen Bereich angesiedelt ist. Einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zufolge stellen sich 27 Prozent der befragten Frauen täglich auf die Waage, 16 Prozent verwenden Entwässerungstabletten; fast 10 Prozent greifen sogar täglich oder wöchentlich zu Abführmitteln. Appetitzügler konsumieren 18 Prozent; 8 Prozent nehmen sie täglich oder wöchentlich ein. Immerhin gaben 6 Prozent der Befragten auch an, gelegentlich das bewusste Erbrechen zur Kontrolle des Körpergewichts anzuwenden. In der Bundesrepublik Deutschland leiden derzeit schätzungsweise bis zu drei Prozent aller Frauen unter Bulimie. Heißhungerattacken, allerdings ohne spätere „Gegenmaßnahmen“ wie Abführmittel oder Erbrechen, kommen bei weiteren fünf Prozent vor. Wie viele Magersüchtige es gibt, ist nur schwer zu schätzen. Das ist sicher auch auf den Umstand zurückzuführen, dass die Betroffenen versuchen, ihr extremes Essverhalten unter allen Umständen zu kaschieren. Das Thema Essen ist für sie persönlich mit peniblem Zählen, Wiegen und Planen verbunden. Zugleich neigen viele von ihnen dazu, für andere zu kochen und mit anderen ausgiebig über dieses Thema Essen zu reden. Beunruhigen muss, dass diese Form der Selbstaggression und der permanenten Selbstkontrolle offenbar nur die berühmte „Spitze des Eisberges“ ist, also keineswegs nur bei manifesten Essstörungen auftritt, sondern den Essalltag vieler Mädchen und junger Frauen prägt. Anfällig für Essstörungen sind insbesondere Mädchen und junge Frauen, die dem widersprüchlichen Anforderungsprofil der heutigen modernen Frau nachzukommen versuchen; die also sowohl gefühlsbetont und fürsorglich anderen gegenüber als auch erfolgreich und unabhängig sein wollen. Eigenschaften, die in einer Studie von den befragten Mädchen mit dem Ideal der „Superfrau“ verbunden wurden, waren eine weitgehende Unabhängigkeit von anderen und die Fähigkeit, ihren Körper dem geltenden Schönheitsideal anzupassen. Auffällig war schließlich, dass es den Mädchen, die diesem Ideal der „Superfrau“ nacheiferten, nicht oder kaum gelang, eine kritische Distanz gegenüber den geltenden Geschlechterrollennormen zu entwickeln, und dass sie in ihrem Selbstwertgefühl stark von ihrem Äußeren abhängig waren (Steiner-Adair 1992). Diese Gruppe von ca. 40 Prozent der Befragten tendierte eher zu Essstörungen als die Vergleichsgruppe der „klugen Frau“, der es gelang, die Gefahr einer (Über-)Identifikation mit dem heutigen Frauenbild wahrzunehmen und ein eigenes Weiblichkeitsbild auszubilden. Die reflektierte Auseinandersetzung mit den gängigen Geschlechterrollenstereotypen unter Einschluss der widersprüchlichen Anforderungsprofile der Frauenrolle und den medialen Schönheitsidealen erweist sich demnach als eine erfolgversprechende präventive Strategie gegen Essstörungen. Schulen und Ausbildungsstätten sind hier ebenso gefordert wie bei der Prävention von Übergewicht. Während aber Fettsucht, Übergewicht und Bewegungsmangel in ihrer gesundheitspolitischen Dimension inzwischen erkannt worden sind, steht eine gleichrangige Auseinandersetzung mit den politischen und sozialen Ursachen von Magersucht und Bulimie noch aus. Folglich gilt es, Kindergärten und Schulen als sozialräumliche Gelegenheitsstrukturen, als Lern- und Lebensorte auszugestalten, an denen eine gesunde Kost von hoher Qualität angeboten wird, in denen Jungen und Mädchen essen lernen, wo sie aber auch in den Prozess der Mahlzeitenvorbereitung und –zubereitung einbezogen werden und wo sie lernen, sich mit tradierten Geschlechterrollen und tradierten Körperbildern und Schönheitsidealen auseinander zu setzen. Es handelt sich dabei keineswegs um eine triviale Angelegenheit, sondern um die Sicherstellung einer guten Grundversorgung für Kinder, die ihre Lern- und Leistungsfähigkeit steigert, aber auch um den Erwerb entsprechender Alltagskompetenzen und Kulturtechniken. Solche Handlungsstrategien sind auch deshalb vonnöten, weil nirgendwo sonst in Europa die Anzahl von übergewichtigen und adipösen Kindern so stark zunimmt wie in Deutschland. Zur Realisierung dieser Zielstellung bedarf es intelligenter, präventiver Bündnisse zwischen Schule, Elternhaus, Gesundheitsamt, Kommune, Wirtschaft und Politik. Wenn es gelingt, bereits bei Kindern im Kindergarten und Schule Lust auf gesundes Essen und Leben zu wecken und ein reflektiertes Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln, so dürfte das zugleich auch positiv auf die Ernährungspraktiken in den Herkunftsfamilien zurückwirken. Kinder werden heute demokratischer an Kaufentscheidungen beteiligt als in früherer Zeit, und ihre Bedürfnisse und Wünsche finden mehr Beachtung. Gleichwohl bleibt es ebenso wichtig, differenzierte gesundheitsförderliche und alltagstaugliche Angebote direkt an die Elternhäuser zu adressieren. Denn was nützt es, an öffentlichen Lernorten von Kindern einen gesunden Mittagstisch einzuführen, wenn im Elternhaus alles beim Alten bleibt? Ernährungspolitisch bedeutet das, auch für Mütter und Väter vielfältige Bildungsangebot rund um das Thema Essen und Leben anzubieten und dabei nicht defizitär zu argumentieren, sondern positive Konsequenzen für das persönliche Wohlergehen unmittelbar erlebbar zu machen. Kuß-Kuß Dieses freundliche Essen unserer arabischen Schwestern macht sich im Handumdrehen. a) Kichererbsen, Backpflaumen, Rosinen einweichen b) Kuß-Kußkörner im Dampfbad mit etwas Butter garen c) in einem Topf mit Öl folgendes versammeln und anbraten: Zwiebeln, Knoblauch, Sellerie, Peperoni, Möhren, Erbsen und Bohnen, Tomaten, Tomatenmark, scharfen Pimento, Kümmel, Ras-el-Hanut (Gewürz) mit Wasser bedecken. Bachpflaumen, Kichererbsen und Rosinen hinzufügen. Leise eine Stunde kochen. Wer mag, reicht Perlhuhn, Pute oder Ente dazu. Die Kusskusskörner mit Rosinen auf einen geben, die Soße drumherum – und sonst gar nichts! SommerKuß-Kuß Die gleiche Präparation (ohne Huhn, Pute oder Ente) wird auf dem Teller serviert, zusammen mit frischem Schafs- oder Ziegenquark und einer Scheibe Wassermelone. Dazu feingehackte Pfefferminzblätter. (Aus: Vandrey, L.(1998): Kochkunst für weibliche Lebenskunst, Rüsselsheim, S. 50/1)) Verwendete Literatur: - Ehalt, H. C. (1996): Essen und Moral. In: MAK. Österreichisches Museum für angewandte Kunst. mäßig und gefräßig. Ausstellungskatalog, Wien, S. 150 - 159. - Montanari, M. (1993): Der Hunger und der Überfluß. Kulturgeschichte der Ernährung, München. - Orbach, S. (2002): Schlankheitswahn – die globale Epidemie. In: pro familia magazin. 30. Jg. 01/2002, S. 9 - 11. - Schivelbusch, W. (2005): Die Gewürze oder der Beginn der Neuzeit. In: Schivelbusch, W.: Das Paradies der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genussmittel. 6. Aufl., Frankfurt, S. 13 – 24. - Steiner-Adair, C. (1992): Körperstrategien. Weibliche Adoleszenz und die Entwicklung von Essstörungen. In: Flaake, K./King, V. (Hrsg.) (1992): Weibliche Adoleszenz. Zur Sozialisation junger Frauen . Frankfurt/Main/New York. - Striegel-Mohr (2001): Zur Verbreitung von Essstörungen. In: Schön-Klinik-Forum, 1/2001, S. 9. - Striegel-Mohr (2001): Zur Verbreitung von Essstörungen. In: Schön-Klinik-Forum, 1/2001, S. 9. - Vandrey, L.(1998): Kochkunst für weibliche Lebenskunst, Rüsselsheim. ***** * Zur Autorin: Prof. Uta Meier-Gräwe, geb. 1952, studierte Ökonomie und Soziologie in Ostberlin, 1978 Promotion zu einem industriesoziologischen Thema; 1986 Dissertation B (vergleichbar der Habilitation nach Einigungsvertrag) als Familiensoziologin an der Humboldt-Universität zu Berlin; wissenschaftliche Tätigkeit am Institut für Soziologie und Sozialpolitik der Akademie der Wissenschaften der ehemaligen DDR; 1990 - 94 wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut in München; 1993 - 98 Bundesvorsitzende von Pro Familia; 1994 Berufung auf den Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Giessen; seit 2002 Mitglied der Enquete-Kommission "Bildung und Erziehung" des Thüringer Landtags. Seit 2003 Vorstandsmitglied der Deutschen Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft. Arbeitsgebiete: Frauenforschung, Familiensoziologie, Haushaltswissenschaften, nachhaltiges Haushalten. Bücher: - Steckbriefe von Armut. Haushalte in prekären Lebenslagen (zus. mit anderen). Wiesbaden. - Vom Oikos zum modernen Dienstleistungshaushalt (Hrsg.). Frankfurt am Main

Essstörung - Orthorexie

Besessen vom gesunden Essen - Orthorexie: aus Gesundheitsbewusstsein wird einengender Zwang 24.04.2006 - 09:30 Uhr, Wort und Bild - Apotheken Umschau Baierbrunn (ots) - Eigentlich eine gute Idee: bewusst gesund essen. Aber viele übertreiben dabei derart, dass ein neuer Krankheitsbegriff geprägt wurde: Orthorexie. Neben Magersucht, Ess-Brech-Sucht und Binge-Eating (Fressanfälle) müssen Ernährungsmediziner sich jetzt mit Menschen beschäftigen, die aus Angst, etwas Ungesundes zu essen, unter- und mangelernährt sind, berichtet das Gesundheitsmagazin "Apotheken Umschau". Wie viele Menschen betroffen sind, lässt sich schwer sagen. Viele sind lange stolz auf ihre Essdisziplin - dient sie vermeintlich doch nur ihrer Gesundheit. Experten aber warnen: Die Fixierung auf immer weniger als gesund akzeptierte Lebensmittel kann im Wahn enden: Der amerikanische Autor Steven Bratman, Mediziner und Biobauer, der den Begriff Orthorexie geprägt hat, war selbst betroffen. Zum Schluss aß er teilweise nur noch Obst aus dem eigenen Garten - maximal eine Viertelstunde vor dem Verzehr geerntet.

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