SWR2 Wissen: Aula - Jürgen Kegelmann: Rollenspiele in der Firma . Theater und Management
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Inszenierung - Maske/n - Rollenspiel
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SWR2 Wissen: Aula - Jürgen Kegelmann: Rollenspiele in der Firma . Theater und Management
Dauer29:29 min| QuelleSWR2 . Stand: 12.2.2018, 10.34 Uhr; https://www.swr.de/swr2/programm/
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
AUTOR
Jürgen Kegelmann, geb. 1965, ist Prorektor der Hochschule Kehl.
Seit 2009 ist er Professor an der Fakultät II Wirtschafts-, Informations- und Sozialwissenschaften.
Seine Themenschwerpunkte sind: Personal- Organisations- und Changemanagement; Governance - Steuerung zwischen Markt-Staat und Drittem Sektor, Organisationstheorie.
ÜBERBLICK
Zwischen der Welt des Theaters und der eines modernen Unternehmens gibt es viele Überschneidungen und Parallelen.
Hier wie dort dominiert eine Vielzahl an Rollen und Rollenkonflikten, die bearbeitet werden müssen; beide Bereiche unterliegen einer bestimmten Prozess- und Verlaufsdynamik, auf der Bühne und im Unternehmen gibt es Gewinner, Verlierer, Mitläufer und Rebellen, die sich alle auf verschiedene Weise ins "Stück" einbringen. Jürgen Kegelmann, Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl, zeigt, warum die Theatermetapher fruchtbar gemacht werden kann für die Unternehmensorganisation. (Produktion 2016)
INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: "Rollenspiele in der Firma – Theater und Management". Am Mikrofon Ralf Caspary.
Der heutige Aula-Autor ist Professor für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl, und seine These lautet: Die Welt des Theaters und die Welt des Unternehmens überschneiden sich in vielen Aspekten, Elemente des Theaters lassen sich sogar fruchtbar machen für Veränderungsprozesse, für Change-Management. Jürgen Kegelmann beginnt seinen Vortrag mit der Welt des Theaters.
Die ursprünglich für heute angekündigte Sendung von dem gleichen Autor wird zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt.
Jürgen Kegelmann:
Das "Stück" ist das Leben selbst. Auf der Bühne wird das Leben in seiner ganzen existenziellen Grundsituation zur Anschauung gebracht.
Die Aufführung braucht den Schauspieler, der, im Rahmen seiner Rolle, eine Maske trägt. Sehr interessant ist die etymologische Herleitung des Begriffs "Maske". Im Griechischen wird Maske mit "prosopon" übersetzt, im Lateinischen mit "person". Beiden Wörtern ist eines gemeinsam: Beide bedeuten neben "Maske" auch "Gesicht". Ist dies nicht ein Widerspruch, verdeckt doch die Maske gerade das Gesicht und ist damit eben nicht "Gesicht"? So kommt das Wort "Person" ja auch von "personare", was soviel wie „durchtönen“ heißt. Dies deckt sich mit unserer Vorstellung von Gesicht. Es tönt etwas durch einen Menschen hindurch. Ein Mensch ist authentisch, echt und das, was in ihm ist, wird durch das Gesicht zum Ausdruck gebracht.
Aber hier liegt ein Missverständnis vor. Die "Person", der Mensch ist Gesicht und Maske zugleich. Er ist er selbst und spielt doch immer auch eine Rolle. Dies ist es, was den Autor Richard Weihe in seinem Buch von der "Paradoxie der Maske" sprechen lässt. Die Maske schützt das Gesicht, so dass nicht alles Persönliche offenbar wird. Gleichzeitig offenbart sie etwas von der Person und ihrer Rolle.
Was tut der Schauspieler? Indem er eine Maske aufsetzt, spielt er eine Rolle, beispielsweise den "Helden", den "Bösen", den Narren usw. Das Rollenverständnis ist verbunden mit einem Skript, mit Verhaltenserwartungen, die damit einhergehen. Doch dies ist lediglich ein Rahmen. Die Rolle muss nun vom Schauspieler selbst, seiner Person, gefüllt werden. Denn durch die Maske hindurch strahlen die echten Augen des Schauspielers. Damit gilt, und auch das ist im Einklang mit dem Paradox der Maske: Der Schauspieler spielt nicht sich selbst, denn er spielt ja eine Rolle. Gleichzeitig spielt er eben doch sich selbst, füllt doch nur er die Rolle.
Im griechischen Theater bestand das Stück zunächst aus einem Schauspieler, dem Protagonisten. Erst im weiteren Verlauf kam ein zweiter Schauspieler, der Antagonist, hinzu und schließlich noch der Tritagonist. Damit wird deutlich: Auf der Bühne werden Grund-Archetypen mit ihren Gefühlen, Gedanken und Taten dargestellt und jeder Figur entspringt eine Gegenfigur.
Auch die Dramaturgie im Sinne des Handlungsverlaufs folgt einer klaren Stringenz: Nach einer Einleitung (1. Akt), in der zum Stück hingeführt wird, erfolgt eine "aufsteigende Handlung" (2. Akt), die zu einem Höhepunkt (3. Akt/Klimax) führt. Dabei werden im zweiten, aufsteigenden Akt die Grundkonflikte entfaltet, die dann zu einer Entscheidungssituation führen. Es folgt dann wieder eine "absteigende", verlangsamende Handlung, die am Ende in Akt 5 in eine Katastrophe oder eine Lösung mündet. Die Inszenierung baut damit intelligente Spannungsbögen auf, löst sie wieder auf, entwickelt sie erneut, um sie schließlich ausklingen zu lassen.
Schon Aristoteles schreibt, dass der Zweck der Tragödie letztendlich in der Erreichung des Zuschauers liegt, indem die Katharsis hervorgerufen wird. Sie soll eine befreiende Wirkung haben, indem sie dem Publikum die Gelegenheit gibt, den Affekten freien Lauf zu lassen und ihm durch diese Entladung Vergnügen verschafft. Auch der russische Regisseur Meyerhold sieht das Publikum als den vierten Mitschöpfer des Theaters, neben dem Autor, dem Regisseur und dem Schauspieler. Damit ist der Zuschauer kein passiver Rezipient, sondern ein aktiver Mitgestalter und Co-Autor. Er entscheidet, inwiefern die eigenen Bedürfnisse befriedigt sind, und gibt eine Rückmeldung durch den Applaus, der das Feedback zum Gesehenen, Erlebten und Gehörten ausdrückt. Damit tritt das Publikum in Beziehung mit den Schauspielern und überbrückt die Distanz zwischen Bühne und Publikum.
Forschungen zur Motivation von Theaterbesuchen haben ergeben, dass es im Wesentlichen die Motive nach Unterhaltung, nach intellektueller Stimulanz und nach emotionaler Aktivierung sind, die zu einem Besuch motivieren. Auch der soziale Hedonismus, das Gesehen-werden-wollen, spielt eine Rolle.
Mit der Beschreibung des Publikums sind die zentralen Elemente des Theater vorgestellt. Ab dieser Stelle kann nun die Übertragung auf das Management erfolgen. Dabei folgt die Übertragung folgendem Referenzrahmen:
Das erste Element war das Stück, das gespielt wird. "Was wird gespielt". Um was geht es? Wurde im Theater als klassische Grundform die Tragödie, also das Scheitern, der Misserfolg, vorgestellt, ist Kernthema des Unternehmens der Erfolg, das Gelingen. Damit sind die Fragen nach den Inhalten und Zielen der Organisation gestellt.
Das zweite Element war der Schauspieler, also der Akteur mit seinen jeweiligen Rollen. Hier ist eine Übertragung besonders einfach, aber auch interessant. Denn auch in Organisationen gibt es eine Vielzahl von Rollen und Rollenkonflikten. Damit ist die Frage nach den Rollen in der Organisation gestellt, insbesondere auch die Frage nach den Rollendilemmata. Haben wir doch als Grundtyp der Rollen den Protagonisten und Antagonisten identifiziert. Auch im Unternehmen spiegelt sich die Frage nach Rolle und Person, Maske und Gesicht.
Das dritte Element bestand aus der Dramaturgie. Drama ist immer Prozess- und Verlaufsdynamik. Auch im Unternehmen gibt es Prozesse vielfältigster Art: Prozessmanagement, Kernprozesse, Prozessabläufe, Managementprozesse; die Liste der Begriffe, die das Unternehmen im Kern als Prozess darstellt, ließe sich beliebig verlängern.
Diese 3 Grundfragen des Theaters, was (das Stück) wird von wem (dem Schauspieler), wie (der Verlauf und die Dramaturgie) inszeniert, werden im Folgenden für das Management und die Organisation gestellt. Dabei soll einerseits gezeigt werden, wie im Rahmen klassischer Managementvorstellungen diese Fragen beantwortet werden und welche "Bereicherungen" sich durch die "Brille des Theaters" ergeben könnten. These ist: Das klassische Management blendet viele Themen aus, die durch die Theatermetapher wieder eingeblendet werden. Oder anders formuliert: Die Welt des Managements oder auch der Politik entpuppt sich in vielen Fällen als "Schein" und ist somit mehr Theater und Inszenierung als Realität.
Das Stück
Im Management wird der Erfolg aufgeführt. Was ist das Ziel jeder Organisation? Der Erfolg und damit das langfristige Überleben des Unternehmens. Erfolg kann dabei im Detail sehr unterschiedlich definiert werden. Im Kern sind es aber immer die gleichen Grunddimensionen, die, zumindest auch nach außen hin, den Erfolg ausmachen:
Da ist der finanzielle Erfolg in Form der Rendite, des Umsatzes, des Gewinns, ohne den ein Unternehmen langfristig nicht bestehen kann. Der finanzielle Erfolg ist das Ergebnis guter Produkte, die sich durch eine hohe Qualität, Langlebigkeit und Top-Funktionalität im Vergleich zu den Mitbewerbern auszeichnet. Dies führt zu Zufriedenheit, vielleicht sogar Begeisterung der Kunden, die sich an das Unternehmen binden und sich mit dem Produkt identifizieren. Selbstredend wird das
Ganze von top motivierten Mitarbeitern und Führungskräften vollbracht, die sich mit dem Unternehmen identifizieren.
Finanzieller Erfolg, Produkterfolg, begeisternde Kunden und zufriedene Mitarbeiter sind die Erfolgsdimensionen. Dieser Erfolg muss, um wahrgenommen zu werden, gezeigt werden: Kennzahlen, Mitarbeiter- und Kundenbefragungen, interne Programme wie "Total Quality Management" oder "Qualitätsmanagement" stellen den Erfolg nach außen da. Die Tragödie, der Misserfolg ist nicht "Teil" des Stücks. Was nicht verwundert, ist das Scheitern, der Misserfolg, das Nicht-Gelingen Zeichen von Versagen und Unfähigkeit.
Der Unterschied zum Theater kann folgendermaßen zum Ausdruck gebracht werden: Im Theater wird in vielen Fällen die "Tragödie" inszeniert, das Scheitern und Nicht-Gelingen. Im Management wird dieses "Stück" ausgeblendet, stattdessen wird die Komödie, das Lachen, der Erfolg, das Gelingen aufgeführt. Doch wenn das Leben so ist, wie es ist, dann besteht es aus Erfolg und Misserfolg. Insofern können zwei Fragen gestellt werden, die spannende Einsichten zulassen:
1. Ist der Erfolg real oder inszeniert, ist er Schein oder Sein? Und sind die Kennzahlen, die Zahlen, Daten, Fakten, die Qualitätsmanagementsysteme und Optimierungsprogramme Sein oder Schein? Jeder Controller weiß, dass mit Zahlen, Inszenierungen betrieben werden können. Nicht umsonst beinhaltet das Wort "erzählen" die "Zahl". Zahlen erzählen Geschichten und manchmal sind es eben Mythen oder, anders gesagt, Inszenierungen.
2. Die zweite Frage, die sich dann anschließen muss lautet: Wie findet die Inszenierung des Erfolges denn statt? Da sind die internen Pressestellen, die den Außenauftritt steuern und auf einen tollen Fassadenanstrich achten. Da sind die Corporate Identity designten Broschuren, die das Unternehmen im besten Licht erscheinen lassen, die Jahresberichte, die Pressestatements und die bunten und großartigen Inszenierungen auf Messen und Ausstellungen.
Dass die Fragen durchaus berechtigt sind, zeigt der tiefe Fall von VW. Unter Schein- und Sein-Aspekten des Erfolges kann als Quintessenz festgehalten werden: VW gibt sich als hochinnovatives Unternehmen, das qualitativ hochwertige, nachhaltige und umweltfreundliche Autos produziert, die begeisterte Kunden kaufen. Dieses angebliche Sein entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Schein. VW macht damit eindrücklich deutlich: Das, was für das "Sein" gehalten wird, ist in Wirklichkeit "Schein", Inszenierung. Und so wird die Inszenierung zur Realität.
Kommen wir zur zweiten Vergleichsdimension, der Rolle.
Jeder Mensch hat Rollen, jedes Unternehmen vergibt "Rollen", in dem es Mitarbeiter auswählt, die Funktionen erfüllen sollen. Eine Funktion ist eine Verhaltenserwartung des Unternehmens an die Mitarbeiter, verbunden mit Handlungsmöglichkeiten und -restriktionen. Besonders interessant und in der Wissenschaft breit diskutiert sind die Führungsrollen.
Mintzberg, ein bekannter Managementforscher, hat zehn Führungsrollen definiert, die eine Führungskraft zu erfüllen, man könnte auch sagen, zu spielen hat. Er unterscheidet hierbei personenorientierte Rollen: der "Repräsentant", der Führer und der Koordinator. Neben den personenorientierten Rollen nennt er die
informationsorientierten Rollen, worunter er Sammeln und Verteilen von Informationen nach innen und außen versteht. Als letzten Rollentypus nennt er die handlungsorientierten Rollen: Hier nennt er den Unternehmer, den Krisenmanager, den Ressourcenzuteiler und den Verhandlungsführer. Auch wenn die beschriebenen Rollen unscharf sind, so kann bereits hier in Anlehnung an das Theater und die Schauspielrollen festgehalten werden.
Die Rollen, die beschrieben werden, sind antagonistisch, man könnte auch sagen dilemmatisch. Ein Dilemma ist ein klassischer Rollenkonflikt, bei dem zwei Rollen gespielt werden sollen, die eigentlich gegensätzlich sind. Einerseits soll der Chef nach innen zuhören, verständig sein, Menschen entwickeln und Coach sein. Gleichzeitig soll er sachlich aufgrund der Informations- und Faktenlage entscheiden, Ressourcen zuteilen, Führer und Chef sein. Oder er soll Innovation und Veränderung fördern und gleichzeitig Kontinuität und Sicherheit geben.
Noch deutlicher wird dies bei der Führungsrolle eines Bürgermeisters einer Gemeinde. Der Bürgermeister ist einerseits Chef der Verwaltung und Vorsitzender des Gemeinderates. Zum anderen ist er der Repräsentant nach außen. Und die Bürger wie auch die Mitarbeiter erwarten, dass der Bürgermeister einerseits auch wirklich Entscheidungen trifft und als "Chef" auftritt. Dies schafft Distanz und macht den Bürgermeister zum "local hero", gott- oder königgleich. Gleichzeitig erwartet die Bevölkerung, dass der Bürgermeister "einer von ihnen" ist, nahe ist, moderiert und auf die Erwartungen der Bürger eingeht. Dies ist oder scheint ein Widerspruch. Timm Kern hat in seiner Dissertation zur Abwahl von Bürgermeistern sehr schön herausgearbeitet, dass Bürgermeister dann abgewählt werden, wenn sie dieses Spiel zwischen "Grüß-Gott-Onkel" und "Chef" nicht erfolgreich spielen. Die Bürgerschaft will beides: einen "distanzierten" Führer, an dem sie sich orientieren können im Sinne von Vorbild und Entscheidung, gleichzeitig wollen sie einen "menschennahen" Versteher.
Und hier ist ein wunderschöner Vergleich mit dem Theater möglich. Die Rolle des Bürgermeisters ist ebenfalls antagonistisch und der erfolgreiche Bürgermeister muss beide Rollen, man könnte auch sagen: Masken, beherrschen. Aber gleichzeitig ist der Bürgermeister ja auch Mensch mit einer einzigartigen Persönlichkeitsstruktur. Diese ist mit entsprechenden Eigenschaften verbunden. Es gibt den sachorientierten Entscheider und den beziehungsorientierten Entwickler, es gibt den menschen- und bürgernahen Kumpel und den eher distanzierten Entscheider. Wichtig ist, dass der Akteur, wie der Schauspieler auch, einerseits sein ureigenstes Gesicht zeigt, d.h. auch etwas von seiner Persönlichkeit zum Ausdruck bringt. Sonst ist die Gefahr, dass die Führungskraft nur noch "Maske" ist und keinerlei Authentizität durchleuchtet. Gleichzeitig muss sie ihr eigenes Gesicht auch "verbergen", d.h. die Führungskraft/der Bürgermeister darf nicht ganz authentisch sein, da er sonst seine Komplementärrolle nicht spielen kann. Dies ist wieder das bereits geschilderte Paradoxon der Maske oder der Rolle. Die Maske und Verhaltenserwartung muss bedient werden, aber das "Gesicht", das Eigene, das Wesen der Person muss trotzdem durchklingen.
Und dies, so meine feste Überzeugung, ist die Tragik vieler Top-Führungskräfte, ob im politischen oder im wirtschaftlichen Bereich. Je höher die Position, desto mehr Verhaltenserwartungen, auch diametraler Art, sind an die Rolle gerichtet. Das heißt im übertragenen Sinne: Die Maske, nein, man muss sagen die Vielzahl der Masken wird immer wichtiger und das eigene Gesicht, die eigene Person rückt immer mehr in
den Hintergrund. Bis die Person nur noch Maske und Rolle ist und dabei ihr Gesicht, vielleicht auch ihre Seele verliert.
Kernfrage an dieser Stelle wäre: Wie kann die Rolle gelingen und trotzdem das Gesicht, das eigene Wesen zum Ausdruck kommen? Dies gelingt, wie im Schauspiel auch, indem der Rollenspieler, hier die Führungskraft, sich mit der Rolle identifiziert und sich gleichzeitig distanziert. Distanziertheit deshalb, da hinter der Rolle immer auch noch ein unverfügbarer Mensch ist, jenseits von Rolle und Funktion. Identifikation deshalb, da Mensch sein, auch und immer heißt, Rollen zu spielen, d.h. Masken zu tragen. Die Rolle ist, wie gesagt, Teil der Person. Auch für den Bürgermeister gilt also: Rollenidentifikation und Rollendistanz sind zwei Seiten derselben Medaille und damit Bestandteile erfolgreichen Rollenspiels, hier: erfolgreicher Führung.
Soweit einige Anmerkungen zum Schauspieler. Ich komme nun zur Dramaturgie: die Inszenierung Management- und Steuerungsprozesse.
Klassisch rationale Managementprozesse folgen einem klaren Steuerungskreislauf. Dieser beinhaltet die Phasen Planung, Entscheidung, Vollzug, Kontrolle. Idealtypisch machen umfangreiche Informationen Planung und Entscheidungen möglich, die dann idealtypisch 1:1 in die Umsetzung kommen. Abschließend erfolgt die Evaluation und Erfolgskontrolle am besten durch Kennzahlen und Indikatoren. Damit soll im Rahmen einer vermuteten Wirkungskette gezeigt werden, dass es einen linearen und kausalen Zusammenhang zwischen der Planung und den zugrundeliegenden Informationen, der Entscheidung und ihrer Umsetzung und den damit produzierten Ergebnissen und Wirkungen gibt. Nun lassen sich wieder, ausgehend von der Theateranalogie zwei wichtige Frage stellen:
1. Ist der rationale Steuerungskreislauf "real", also folgt die Steuerung im Unternehmen oder in der Politik tatsächlich dieser suggerierten Logik. Oder handelt es sich um eine Inszenierung, d.h. es wird suggeriert, dass Entscheidungen so sachlich-rational zustande kommen, in der Wirklichkeit folgen die Prozesse einer anderen, vielleicht auch eher dramaturgischen Logik.
2. Die zweite Frage, die sich anschließt, wäre dann: Wenn es sich um eine Inszenierung handelt, nach welchen Logiken und Dramaturgien erfolgt diese? Und dann kommt man ggfs. zu Logiken, die auf der Bühne oft aufgeführt werden. Statt aufgabenorientierter sachlicher Zweckoptimierung gibt es Spieler und Gegenspieler, die eigene, gerade nicht sachorientierte Interessen verfolgen. Es gibt Neid, Missgunst, persönliche Interessen, Intrigen, Kräfte und Gegenkräfte, die jenseits aller Sachlogiken zu Entscheidungen führen. Oft auch nicht auf der Vorderbühne, im transparenten Scheinwerferlicht also, sondern eher im Verborgenen auf der Hinterbühne. Insofern lohnen die historischen Dramen von Shakespeare, die vielleicht ein realistisches, wenn auch nicht gerade schmeichelhaftes Bild auf die "Steuerungsprozesse" und Verläufe wirft. Dann sind Geschäftsprozessoptimierungen, Prozesskennzahlen und Prozessdokumentation Symbole, die Prozessrationalität suggerieren und die eigentlichen Prozesslogiken verschleiern. Auch hier wieder: der Prozess "als ob".
Was bedeutet nun all dies für die konkrete Praxis? Sind dies lediglich nette, aber letztendlich sinnlose Metaphern ohne jegliche Handlungsrelevanz? Ich glaube nicht. Ich glaube, dass genau die hier dargestellte Perspektive des Managements oder
auch der Politik und Verwaltung als Theater hilfreiche und ergänzende Einsichten vermitteln kann, die auch das eigene Handlungsrepertoire erweitern. Hierzu einige abschließende Bemerkungen, formuliert in der Form von Thesen und Fragen, die sich ein letztes Mal an den Grundelementen des Theaters orientieren:
These 1: Organisationen sind nicht nur sach-rationale Unternehmungen, die einer klaren, linearen Zweck- und Aufgabenlogik folgen und die mit Hilfe klar definierter Aufgaben motivierten Mitarbeitern und intelligenten Geschäftsprozessen und Strukturen erfolgreich gesteuert werden. Organisationen im Sinne von Theater sind auch Schau-Spiele, Inszenierungen, in denen ein Stück namens "Erfolg" oder übertragen: "gelingendes Leben", aufgeführt wird. Die Tragödien im Sinne von Scheitern, Misserfolg werden ausgeblendet. Dann ist aber auch die Frage erlaubt, ob das gespielte Stück auch "real-wirklich" oder ob es gespielt ist. Ob das Sein wirklich Sein oder doch eher Schein ist. VW lässt grüßen. Wenn in diesem Sinne damit gerechnet wird, dass Organisationen auch Schauspiele sind, dann wird der Blick geöffnet für Inszenierungen aller Art. Dann werden die Erfolgsbeteuerungen, vorgeführt durch Kennzahlen, Optimierungsszenarien, Tools aller Art, kritisch hinterfragt, ggfs. sogar durchschaut.
These 2: Die Grundlogiken der Inszenierungen im Theater folgen grundlegenden Ur-Spannungslinien und Ur-Dilemmata, die das Stück vorantreiben. Wer dieser Logik folgt, kann auch im Unternehmen diese Ur-Spannungen und damit Dilemmata erkennen. Diese spiegeln sich auch in den dargestellten Rollenkonflikten. Einige davon wurden genannt. Wer diese Spannungslinien erkennt und weiß, dass sie nicht nach einer Seite aufgelöst werden können und dürfen, der geht gelöster und entspannter mit den damit verbundenen (Rollen)Konflikten um. Gleichzeitig wächst das Gespür, an welcher Stelle welche Rolle sinnvoll ist. Einmal der kraftvolle Entscheider, ein andermal der wahrnehmende und entwickelnde Beziehungsgestalter.
Erfolgreiches Rollenspiel gelingt nur dort, dies ist These Nr. 3, wenn "Maske" und "Gesicht", also das Funktionale und das Personale, in einem ausgewogenen Verhältnis sind. Wer immer nur "personal" und damit Gesicht ist, wird im Unternehmen und in der Politik genauso scheitern wie derjenige, der nur noch Maske und damit Funktion ist. Der eine scheitert in der Organisation als Rollen- und Funktionsträger, der andere als Mensch und authentische Persönlichkeit. Mit dieser These wird allen einseitigen Erfolgsformeln im Sinne "Sei authentisch" bzw. "Sei nicht authentisch" eine Absage erteilt. Der Bücher- und Bestsellermarkt ist voll von Büchern zum "Impression Management", deren Kern die Aussage ist, dass es nicht darum geht, authentisch zu sein, sondern eine Maske aufzusetzen. Dies ist die Tradition von Machiavelli, der kraftvoll dafür plädiert, immer nur Masken aufzusetzen, um im Spiel um die Macht erfolgreich zu sein. Genauso ist die Ratgeberliteratur voll von Büchern, die die "authentische" Führungskraft proklamieren. All diese Ratgeber haben das Paradox des Menschseins nicht begriffen. Dass "Person" sein immer und überall heißt: Gesicht zu zeigen im Sinne von "es tönt etwas durch" und gleichzeitig der Mensch, sobald er in Beziehung ist, ein Rollen- und damit Maskenträger ist.
Mit diesen Grunderkenntnis lassen sich folgende Fragen an jeden Einzelnen, ob Führungskraft oder anderweitige Rollenträger stellen:
- Passt die Rolle bzw. die Maske zu mir? Entspricht sie auch meinem Gesicht, meinem Wesen und dem, was grundsätzlich durch mich hindurchtönen will? Die Kernfrage ist dann: Ist mir die Rolle gemäß?
- Dies heißt aber auch, dass ich weiß, welche Erwartungen an die Rolle gestellt wird. Welches Skript damit verbunden ist. Denn wenn ich mich im Grundsatz nicht an das Skript halte, dann ist der Misserfolg vorprogrammiert. Viel Scheitern in beruflichen, aber auch sonstigen Rollen könnte verhindert werden, wenn im Vorfeld klar über die Rollenerwartungen und die damit verbundenen Verhaltenserwartungen nachgedacht würde.
- Auch die Frage könnte sich anschließen: Wo identifiziere ich mich zuviel oder auch zuwenig mit der Rolle? Oder umgekehrt gefragt: Wo sollte ich mich mehr abgrenzen, wo aber auch mehr Gesicht zeigen?
These 5: Nimmt man die Dramaturgie des Theaters auch für die Politik und das Unternehmen ernst, dann kann man die Frage stellen, ob der rationale Steuerungskreislauf, ähnlich wie das Stück selbst, das aufgeführt ist, eine Realität darstellt oder ebenfalls inszeniert ist. Dann ist die Frage erlaubt, ob vermeintliche Sachargumente subtilen Macht- und Durchsetzungsstrategien folgen. Ob die angepriesene Evaluation tatsächlich den Erfolg abbildet oder Inszenierung ist. Nicht umsonst gibt es zu jedem Gutachten ein genauso rationales und objektives Gegengutachten. Hier werden vermeintliche Sachargumente und -prozesse vorgeschoben, um subtile Macht- und Interessenprozesse zu verheimlichen. Auch hier gilt das bereits oben gesagte: Das eigentliche Sein, der sachrationale Prozess ist Schein, ist Inszenierung. Wird die Dramaturgie des Theaters angelegt, mit auf- und absteigenden Spannungsbögen, dann werden politische und organisatorische Inszenierungsprozesse plötzlich nachvollziehbar und verständlich.
These 6: Das Theater lebt von der Bühne, vom Licht, also von der Hervorhebung. Alles, was nicht auf der Bühne im Lichtkegel erscheint, also beleuchtet wird, bleibt im Hintergrund. Inszenierung ist immer Beleuchtung. Alles andere wird ausgeblendet, negiert. Hier ist die Frage erlaubt: Könnte es sein, dass das Scheinwerferlicht absichtlich auf etwas gerichtet ist, was als Wirklichkeit gelten soll? Und ist die solchermaßen dargestellte Wirklichkeit auch wirklich oder womöglich Schein? Und wenn es womöglich Schein ist, wer hält die Scheinwerfer "unsichtbar" in der Hand?
Betrachten Sie mit diesen Anregungen und Fragen aus dem Theater organisationale und politische Prozesse. Ich glaube, es könnte eine Bereicherung sein.
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