Anastasia Khoroshilova. Annabel von Gemmingen : Die Übrigen . Lettland zwischen gestern und heute

Online-Publikation: Januar 2015 im Internet-Journal <<kultur-punkt>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Anastasia Khoroshilova. Annabel von Gemmingen : Die Übrigen . Lettland zwischen gestern und heute .Hrsg. Anne Maier, Vorwort von Anne Maier, Text von Annabel von Gemmingen, Gestaltung von Hermann Hülsenberg . Deutsch, Englisch, Lettisch, Russisch>>
176 Seiten, 41 Abb.; Broschur; 16,50 x 24,30 cm; ISBN 978-3-7757-3934-4; € 30,00
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern; http://www.hatjecantz.demailto:m.gatermann@hatjecantz.de;

Inhalt
Lettland ist nicht nur ein atemberaubend schönes Land, sondern auch reich an individuellen und kollektiven Erinnerungen – guten wie schlechten. Letten, Deutsche, Russen und Juden haben hier zwischen den Gestaden der Ostsee und weiten Wäldern ihre Spuren hinterlassen. Anastasia Khoroshilova (*1978 in Moskau) und Annabel von Gemmingen (*1979 in Düsseldorf) setzen sich, 25 Jahre nach dem Mauerfall und dem darauffolgenden Zerfall der Sowjetunion, damit auseinander, wie unterschiedlich Erinnerungen aussehen. In Fotografien und Texten betrachten die Künstlerinnen Geschichte von zwei unterschiedlichen Polen aus und justieren den Blick dabei in verschiedene Richtungen immer wieder neu, sodass eine objektivierende Lesart der Geschehnisse entsteht. Unvermittelt und eher en passant entwickelte sich ein fotoessayistisches Projekt, das persönliche Erzählungen mit gesellschaftlichen Narrationen verbindet

Protagonistin und narrative Fotografin
Anastasia Khoroshilova...
Latvia is a breathbreaking beautifully country, full of blood-soaked soil. The Latvians, Germans, Balts and Russians left their foot and blood prints everywhere between the Baltic Sea and the Russian woods.
Anastasia Khoroshilova and Annabel von Gemmingen, friends since boarding school in Northern Germany, found, unexpectedly, a common interest in Latvia. As a child, Anastasia Khoroshilova spent most of her holidays, together with her family, in Jurmala, on the Baltic Sea, a popular vacation destination for Russian families. These were moments of unclouded joy, clear as the deep horizon on the seaside and fun, full of carefree youthfulness. Only occasionally was this idyll of childhood disturbed by talk of hostile comments. Russian seem not to be welcomed there, nor were the inhabitants fond of them. How can one explain this antipathy?
Annabel von Gemmingen never thought about Latvia. Well, she knew, that one of her grandfathers had died on a battlefield somewhere in Courland during World War II. Only when her father started searching for the tomb of his father did she become interested in this unknown person and in the country where the Germans left traces of heaven and hell.
The artist and the journalist found an allegory to their personally motivated research: Latvian and Russian veterans - an affair of profound dissent. While the Russian Red Army veterans, who the highly decorated, were the acclaimed heroes, the Latvian veterans, who fought on the side of the Germans, with and without consent, were considered leftovers.
Times changed, the Russians left, and Latvia gained its independence again in 1991. History has not come back to Latvia. The jackets of the veterans that hang on their chairs are left over. Now the victorious Red Army veterans are no longer the respected heroes, the Latvian veterans have taken their place in the history. It is just a matter of a split in two. One community celebrates peacefully and mellowly under the branches of a tree in Lestene; the others still parade, leftover in the cities.
Anastasia has found the resort of her childhood: a hotel, abandoned and overgrown by nature. The place where Annabel's grandfather was killed in action is unknown to this day.
Anne Maier: Catalogue text for the exhibition "Drifting" at Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2013)

Autorin
Annabel von Gemmingen lebt und arbeitet als Freie Journalistin in Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt auf Sozial- und Gesellschaftsthemen in Form von Reportagen, Porträts oder Glossen. Ihr journalistisches Handwerk eignete sich die 33-Jährige während ihres Studiums der Politikwissenschaften in Berlin an, wo sie u.a. längere Zeit beim Tagesspiegel war und in das Förderprogramm „Inside Media“ der Verlagsgruppe Holtzbrinck aufgenommen wurde. Vertiefend folgte eine zweijährige Journalistenausbildung an der Hamburg Media School, begleitet von mehreren Hospitanzen (Deutsche Welle TV, Spiegel Online und Stern) und Veröffentlichungen im Print-, Online- und Fernsehbereich. 
mailto:annabelgemming@gmx.de
http://www.hamburgmediaschool.com/koepfe/alumni/maj-masterklasse-2009/von-gemmingen-annabel/http://www.emma.de/authors/annabel-von-gemmingen

Fazit
Da hat sich ein einmaliges, ethnografich-ästhetisches Team von Anastasia Khoroshilova, Fotografie, und Annabel von Gemmingen, Text, hochbegabt mit Stift/Tastatur und Fotokamera, und zu zweit zusammengetan, um Lettland, ein 'atemberaubend naturschönes', zugleich ge- und verstörtes Land,- aufgrund der grauenerregenden Vorgänge im 20. Jahrhundert - mit Tiefblick und hohem Einfühlungsvermögen zu Mensch und Umfeld künstlerisch zu dokumentieren. Ergebnis: Der nachhaltig wirkende Soz-Realismus (Stalin-Gorki, 1934) hat in ihrem Diskursbuch "Die Übrigen" in eine farbig-melancholische Trauer-Werk-Szenerie, narrativ verschlungen - gleich einem unentwirrbarem Flechtband zwischen viersprachigem Dokument (lettisch, deutsch, russisch , ostjiddischem verlorenem Restflair ) und künstlerischem Anliegen.
Die 'Übrigen' Zitat: 'übrig geblieben sind die Jacken der Veteranen, die lose über Stuhllehnen hängen. Längst haben die lettischen Veteranen im Auge der Geschichte die Plätze derjenigen der Roten Armee eingenommen. Zwei Seiten einer Medaille ... die einen auf dem Soldatenfriedhof ... die anderen übrig Gebliebenen halten ihre Paraden ab in den Städten ...das Leben geht weiter' . Und wie es diesem essayistischen Bildband poetisch heraufscheint - in gelungener neoveristischer Art (2) diesmal lettisch - bravissimo e elegante. m+w.p15-1

(1)
Sozialistischer Realismus (kurz auch Sozrealismus genannt) war eine ideologisch begründete Stilrichtung der Kunst des 20. Jahrhunderts mit dem Versuch einer starken Wirklichkeitsnähe und dem Fehlen von Abstraktion und Ästhetisierung. Der sozialistische Realismus stellte Themen aus dem Arbeitsleben und der Technik des sozialistischen Alltags in den Vordergrund, etwa optimistisch nach vorn blickende Arbeiter eines Kolchos auf einem Traktor. Der Moderne zugewandte Künstler empfanden den Sozialistischen Realismus als „billige Massenkunst“[1] und gingen aus Angst vor politischer Verfolgung in die innere Emigration.
Die weite Verbreitung dieser Stilrichtung fand innerhalb des „Ostblocks“ statt und ging von der Sowjetunion (UdSSR) aus. Sie wurde 1932 vom Zentralkomitee der KPdSU als Richtlinie für die Produktion von Literatur, bildender Kunst und Musik in der UdSSR beschlossen, später für das gesamte sozialistische System maßgebend, auch in den mit der Sowjetunion verbündeten Staaten. In der DDR spielte der sozialistische Realismus seit Staatsgründung 1949 eine wichtige Rolle. Als offizielle Doktrin dominierte er die sowjetische Kunst bis zur Auflösung der Sowjetunion im Jahre 1991. Die stärksten Auswirkungen hatte er in der Zeit direkt nach dem Zweiten Weltkrieg; erst nach Stalins Tod 1953 wurden die Vorgaben etwas gelockert.
http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistischer_Realismus
(2)
Der Italienische Neorealismus bezeichnet eine bedeutende Epoche der Filmgeschichte und der Literatur von 1943 bis etwa 1954. Der Neorealismus, auch Neorealismo oder Neoverismo genannt, entstand noch während der Zeit des italienischen Faschismus unter der Diktatur Mussolinis und wurde von italienischen Literaten, Filmautoren und Regisseuren begründet, darunter Roberto Rossellini, Luigi Zampa, Luchino Visconti, Federico Fellini, Vittorio De Sica. Der Neorealismus war eine Antwort auf den Faschismus in Italien, künstlerisch vom Poetischen Realismus Frankreichs beeinflusst, aber auch politisch durch den Marxismus motiviert. Die ersten Filme dieses Stils entstanden noch während der Zeit, in der das Land im Norden von den Deutschen und im Süden von den Alliierten besetzt war. Die Filme des Neorealismus sollten die ungeschminkte Wirklichkeit zeigen; das Leiden unter der Diktatur, Armut und Unterdrückung des einfachen Volkes. Der Neorealismus ist in erster Linie ein „moralischer Begriff“, so Roland Barthes, der „genau das als Wirklichkeit darstellt, was die bürgerliche Gesellschaft sich bemüht zu verbergen“.


http://it.wikipedia.org/wiki/Neorealismo