Hans Küng: Vertrauen das trägt - Weltehos

 

Titel 09-2/3 << Wir gratulieren Hans Küng zum 80.* + Weltethos ( piper & kultur-punkt.ch) >>


u.a Foto: Schlensog

*Freiheit *Glauben*Wahrheit*Weltethos*  > Menschenwürdig sterben <

http://archiv.kultur-punkt.ch/titelbilder/titel-09-3kueng-weltethos.htm < Bildzugang

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W+B Agentur-Presseaussendung Mai 2003
<<Spiritualität für heute –Vertrauen mutig gestalten – nur eine Vision für morgen?>>.
Buchbesprechung
366<<Hans Küng: Vertrauen das trägt>>
Herausgegeben von Prof. Dr. Hermann Häring, Wissenschaftstheoretiker, Theologe an der Uni Nimwegen-NL
157 S.; kartoniert; EUR 8,90
Herder Verlag
, Freiburg-Basel-Wien; 2003 / www.herder.de

Hans Küng macht Mut zur Wahrheit und gibt Kraft zu hoffen, wenn er öffentlich spricht und hier schreibt.
Hier geht es ihm und das Vertrauen, das wir suchen und finden sollen. Küng geht davon aus, dass Glaube unverzichtbar ist und sich im Vertrauen zu Mitmenschen und Welt realisiert. Die Kapitel heissen dann auch so: Vertrauen wagen, gestalten, Vertrauen durch Liebe erfüllen und damit Krisen überwinden.
Mut zur Wahrheit gehört somit zu den Kerntugenden jedes Denkens. Es geht Küng darum, Vertrauen mutig zu gestalten. Sein Fazit: s/ein persönliches Gebet setzt Hans Küng an den Schluss, im Kern heisst es da: "...Führe Du unsere Religionsgemeinschaften und ihre Vorsteher / damit sie die Botschaft vom Frieden nicht nur verkünden / sondern auch so leben ..."

Hans Küng (Hrsg.): Dokumentation zum Weltethos

Online-Publikation: Mai 2009 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Hans Küng (Hrsg.): Dokumentation zum Weltethos >>
304 Seiten Kartoniert. ISBN: 9783492234894 . € 9,90 [D], € 10,20 [A], sFr 18,50
Piper Verlag München 2002, www.piper.dewww.malik.de;  

Inhalt
Weltethos bedeutet keine neue Weltanschauung und erst recht nicht die Herrschaft einer Religion über alle anderen. Mit einem Weltethos ist die Verpflichtung auf einen Grundkonsens verbindlicher Werte gemeint, der als weltweiter Maßstab für politische und wirtschaftliche Entscheidungen gelten darf. Hans Küngs These von einem universalen Menschheitsethos und sein daraus entstandenes »Projekt Weltethos« haben mittlerweile Kreise gezogen. In diesem Band sind die zentralen Dokumente der Diskussion um Idee und Begriff des Weltethos versammelt. – »Hans Küngs ›Projekt Weltethos‹ ist ein anregender Beitrag, ein Appell an die Vernunft.« (Die Zeit)

Autor
Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, ist Professor emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos. Sein Werk liegt im Piper Verlag vor. Zuletzt erschien von ihm »Umstrittene Wahrheit«, der zweite Band seiner Erinnerungen.

Fazit
Herausgeber Hans Küng klärt in seiner "Dokumentation zum Weltethos", was er unter diesen Begriff verstanden wissen will, nämlich die Verpflichtung auf einen Grundkonsens mit weltweitem Massstab und sieht es als ein universales Konzept: Dazu werden von ihm die Welt-Religionen gegliedert: in nahöstlich-prophetisch (Juden-, Christentum, Islam) indisch-mystisch (Hinduis-, Buddhismus) und fernöstlich-weisheitsorientiert (Kofuzian-, Taoismus, Japanisch). Die Dokumentation ist ausgezeichnet recherchiert und gibt zu Hoffnung Anlass. w.p. 09-5

Hans Küng: Anständig wirtschaften . Warum Ökonomie Moral braucht

Online-Publikation:Januar 2011 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Hans Küng: Anständig wirtschaften . Warum Ökonomie Moral braucht >>
342 Seiten, 978-3-492-05424-9; 19.95 Euro
Piper Verlag, München; www.piper.de;  

Autor
Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, ist Professor emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos. Sein Werk liegt im Piper Verlag vor. Zuletzt erschien von ihm »Was ich glaube« – sein persönlichstes Buch – sowie »Anständig wirtschaften«. Weiteres zum Autor unter www.weltethos.org.
 
Inhalt mit Fazit
Der in der Schweiz geborene katholischer Theologe Hans Küng ist international als Kirchenkritiker bekannt, aber auch mit unserem heutigen Wirtschaftssystem global beschäftigt. In seinem neuesten Buch heißt "Anständig wirtschaften. Warum Ökonomie Moral braucht" hält er ein Plädoyer für Menschenanstand, analysiert die Krise der Weltwirtschaft und die Globalisierung in ihrem Zwielicht. Im zweiten Teil beschäftigt er sich mit dem ökonomischen Ultraliberalismus und seinen Vordenkern Mises und Hayek, Friedman contra Keynes, der einen Sozialstaat vertritt (Schumpeter bleibt unerwähnt, schade). In den übrigen Kapiteln wird die Frage nach einer sozialen Marktwirtschaft gestellt, Irrläufer aufgezeigt und Wege aus der Krise verdeutlicht: Verantwortung mit einem globalen Ethos, gegen unanständiges Wirtschaften wird positioniert mit kulturübergreifenden Normen. So kommt zu einem Manifest für ein Globales Wirtschaftsethos mit den Grundwerten Gewaltlosigkeit, Achtung vor dem Leben, Gerechtigkeit und Solidarität, Wahrhaftigkeit und Toleranz, sowie gegenseitige Achtung und Partnerschaft. In seinem Schlussplädoyer verpflichtet er die Akteure im Rahmen der UN, ILO, und der UN "Convention Against Corruption" an dieser Erklärung festgehaltener Erfordernissen einer globalen Wirtschaftsethos sich zu beteiligen und diese umzusetzen. Gut , soweit möglich. m+w.p11-1

Online-Publikation: Juli 2010 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Hans Küng, Klaus M. Leisinger, Josef Wieland : Manifest Globales Wirtschaftsethos . Konsequenzen und Herausforderungen für die Weltwirtschaft . Vorwort von Jeffrey Sachs . Deutsch / Englisch >>
304 Seiten; 978-3-423-34628-3; 9,90 [D] 10,20 [A] 16,90
Deutscher Taschenbuch Verlag, München; 2010; www.dtv.de;

Kurzinhalt
Manifest Globales Wirtschaftsethos
Manifesto Global Economic Ethic
Wie kann es gelingen, die wirtschaftliche Globalisierung der Welt in Zukunft auf der Basis auch transkulturell akzeptierter rechtlicher und moralischer Spielregeln zu gestalten?
Das hier vorliegende Manifest für ein globales Wirtschaftsethos wurde 2009 in einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem UN Global Compact am Hauptsitz der UNO in New York präsentiert. Zu seinen Erstunterzeichnern zählen international renommierte Führungspersönlichkeiten wie Mary Robinson, die ehemalige Staatspräsidentin von Irland und Erzbischof Desmond Tutu, Friedensnobelpreisträger.

Autorenteam
http://www.dtv.de/autoren/hans_kueng_14038.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_M._Leisinger
http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Wieland

Fazit
Hans Küng, Klaus M. Leisingerund Josef Wieland zeigen mit ihrem " Manifest Globales Wirtschaftsethos . Deutsch / Englisch" Konsequenzen und Herausforderungen für die Weltwirtschaft auf, die etwas schwamming und in gutmenschlicher Annahme zelebriert werden, wenn sie die Wertemanagementsysteme dem neoliberal-global wirkendem"..moralischen Versprechen von Unternehmen und ihrer Mitarbeiter..." in deren Wirkungsfeldern belassen und uns andere dabei ausliefern ... Welt ade. w.p10-7

Hans Küng : Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft (1)

Hans Küng : Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft (1)
www.swr2.de 
Dieses Thema ist im folgenden Buch weiterentwickelt: Hans Küng, »Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion«, Piper Verlag München, 8. Auflage 2006
piperverlag@t-online.de / www.piper.de

Autor und Sprecher: Prof. Hans Küng *;Redaktion: Ralf Caspary; Susanne Paluch;
Sendung: Karfreitag, 14. April 2006, 8.30 Uhr, SWR 2
Bitte beachten Sie:Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

ÜBERBLICK
Die moderne Astrophysik konnte in den letzten Jahrzehnten viele neue Erkenntnisse über den Anfang und die Entwicklung des Kosmos sammeln, die wohl kein Laie mehr nachvollziehen kann. Es geht um dunkle Materie, schwarze Löcher, um den Urknall und Parallel-Universen.
Und obwohl sich viele Physiker oft genug in spekulative Bereiche vorwagen, scheuen sie sich vor der Auseinandersetzung mit einer theologischen Kernfrage: Lässt die moderne Astrophysik in ihren Modellen noch Platz für Gott? Hans Küng, emeritierter Professor für ökumenische Theologie, Präsident der Stiftung Weltethos, beantwortet die Frage mit einer Reise durch die astrophysikalischen Gedankengebäude.

TEIL 1
Ansage:

Heute mit dem Thema: „Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft“, Teil 1.

Hans Küng zählt zu denjenigen Theologen, die nicht nur kontinuierlich Stellung nehmen zu gesellschaftlichen Fragen, sondern mit denen man auch naturwissenschaftliche Probleme diskutieren kann. Mit anderen Worten: Küng weiß Bescheid über dunkle Materie, schwarze Löcher, Darwinismus, und er versucht immer wieder Brücken zu bauen zwischen Naturwissenschaften und Religion.

Wir beginnen heute in der SWR2 AULA eine dreiteilige Serie mit und von Hans Küng. Er beschäftigt sich mit Astrophysik, mit der modernen Biologie, mit der Hirnforschung, und er erkundet, ob die modernen Naturwissenschaften im postmetaphysischen Zeitalter überhaupt noch Platz lassen für den Gedanken an Gott. Die Frage ist umso berechtigter, wenn man bedenkt, das viele Astrophysiker immer wieder versucht haben, mit ihren komplizierten spekulativen Theorien Gott auszublenden, der Theologie damit quasi ein Schnippchen zu schlagen, was aber nicht klappte. Denn eins ist klar: Wir wissen heute sehr viel über den Kosmos und seine Geschichte, über Quarks und Gluonen, aber wir wissen nichts über den Sinn des Ganzen, über sein Woher und sein Warum. Genau da setzt für Küng das religiöse Denken ein, das - davon ist er überzeugt - keinesfalls die naturwissenschaftliche Logik ad absurdum führen soll.

Hören Sie also den ersten Teil, heute geht es um die Astrophysik und um den Big Bang, den Urknall.


Hans Küng:

„Big Bang“ ist kein bloßer „Beginn“! Geht es doch nicht nur um einen einzelnen ersten Moment, um die erste „100stel Sekunde“, innerhalb einer Abfolge vieler vergleichbarer Momente einer beginnenden Welt-Geschichte. Nein, es geht um die schlechthinige Ermöglichung einer Welt-Geschichte: nicht nur um den zeitlichen Anfang, sondern um den Anfang der Zeit! Das heißt, kein relativer, sondern der absolut erste Anfang, der kein Anfang innerhalb der Welt-Zeit oder Zeit-Welt sein kann, ja, ohne den die Welt-Zeit oder Zeit-Welt gar nicht erklärt werden kann.

Doch sofort Warnung: Machen wir uns die Arbeit nicht zu leicht! Naive Christen haben die Theorie von der „Singularität“, vom „Urknall“, herangezogen zum Beweis der Wahrheit einer Weltschöpfung: „Und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht … Der erste Tag“. Bei diesem plötzlichen Schöpfungsakt hören manche Bibelgläubige frohlockend den „Urknall“ knallen. Das ist ein grundlegendes Missverständnis des schöpferischen Lichtwortes der Bibel. Warum? Weil die Bibel nicht naturwissenschaftliche „Fakten“ bieten will. Doch ernst zu nehmen, von Gläubigen und von Nichtgläubigen, ist zweifellos die mit dem Urknall verbundene Erkenntnis: Unser Universum ist endlich.

Wenn sich dieses Universum einem Zeitpunkt verdankt, dann ist es endlich in der Zeit, wie heute viele Naturwissenschaftler annehmen. Es gab unser Universum nicht immer und wird es vielleicht irgendwann nicht mehr geben. Der Kosmos hat also ein bestimmtes Alter, vermutlich 13,7 Milliarden Jahre, so die neuesten Messungen der 2001 vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral gestarteten Sonde WMAP.

Ist das Universum aber als offen oder als geschlossen zu betrachten, der Kosmos unendlich groß oder hat er ein endliches Volumen? Ist er endlich im Raum? Auch das neue weltgrößte Teleskop in Arizona, LBT, – zwei riesige Spiegel mit Durchmesser von jeweils 8,4 Metern – wird zwar das Licht einer brennenden Kerze in 2,5 Millionen Kilometern nachweisen können, doch keine Grenzen des Universums. Die Frage nach dem richtigen Weltmodell ist wohl noch immer nicht endgültig beantwortet. Nach wie vor ist nicht eindeutig geklärt, ob die Expansion des Weltalls dauernd weitergeht oder einmal zum Stehen kommt und danach vielleicht wieder in Kontraktion übergehen wird.

Als um die Mitte des 20. Jahrhunderts in apologetischen christlichen Schriften versucht wurde, den Zeitpunkt des Urknalls tatsächlich mit einer göttlichen Weltschöpfung zu identifizieren, haben auch nichtmarxistische Naturwissenschaftler, so berichtet der deutsche Astronom Otto Heckmann, „beunruhigt über diese theologischen Tendenzen, ihre kosmologische Quelle einfach zu verstopfen beschlossen: Sie schufen die ‚Steady State Cosmology’, die Kosmologie des expandierenden, aber doch unveränderlichen Universums“.

Diese Theorie wurde vertreten vor allem vom Mathematiker und Astronom Fred Hoyle, der 1950 in einem Radiovortrag das Wort „Big Bang“ sozusagen als Schimpfwort erfunden hatte. Er vertritt ein ewiges Universum im Gleichgewicht, das sich ohne zeitlichen Anfang und zeitliches Ende ausdehnt und bei dem durch fortwährende Materieerzeugung eine gleichbleibende Materiedichte vorliegt. Doch muss die Verdünnung der Materie infolge fortwährender Expansion ausgeglichen werden durch eine Spontanerzeugung von Materie. Doch dies widerspricht aber dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, dem Entropiesatz von der Nichtumkehrbarkeit physikalischer Vorgänge. Und nach der Entdeckung der Hintergrund-Strahlung und stets neuer Bestätigungen des Standard-Modells, neuestens im Januar 2005 durch zwei unabhängig arbeitende Forscherteams mit Teleskopen in New Mexico und Australien, gilt das Steady-State-Modell erst recht als widerlegt und wird heute bestenfalls von Außenseitern vertreten.

Doch auch die Urknall-Theorie wirft grundlegende Fragen auf, die bisher erst wenig befriedigende Antworten gefunden haben und die Naturwissenschaftler nicht mit einem Achselzucken abtun sollten.

Dies gilt selbst für manche hochkarätige Physiker angesichts der Frage nach dem letzten Woher des Kosmos. So erklärt etwa der Nobelpreisträger für Physik 1986 Gert Binnig: „Vielleicht ist das Ganze so entstanden: Durch eine Reproduktion von irgendetwas, ich weiß noch nicht, was, ist überhaupt Vakuum entstanden oder der Raum. Mit diesem Raum sind auch die Eigenschaften des Raumes entstanden, z. B. seine Symmetrien. Und durch Reproduktion dieser Eigenschaften sind irgendwelche Energieformen entstanden, wie, das kann ich nicht sagen …“

Oder aber der Elementarteilchenphysiker Steven Weinberg, geb. 1933, der 1979 mit zwei anderen Physikern den Nobelpreis für die vereinheitlichte Theorie der schwachen und elektromagnetischen Wechselwirkungen erhielt, und der in seinem höchst instruktiven Buch über „Die ersten drei Minuten. Der Ursprung des Universums“ ausführt: „Noch weniger begreift man, dass dieses gegenwärtige Universum sich aus einem Anfangszustand entwickelt hat, der sich jeder Beschreibung entzieht und seiner Auslöschung durch unendliche Kälte und unerträgliche Hitze entgegengeht. Je begreiflicher uns das Universum wird, um so sinnloser erscheint es auch. – Doch wenn die Früchte unserer Forschung uns keinen Trost spenden, finden wir zumindest eine gewisse Ermutigung in der Forschung selbst. Die Menschen sind nicht bereit, sich von Erzählungen über Götter und Riesen (der Edda-Sagen) trösten zu lassen, und sind nicht bereit, ihren Gedanken dort, wo sie über die Dinge des täglichen Lebens hinausgehen, eine Grenze zu ziehen. Damit nicht zufrieden, bauen sie Teleskope, Satelliten und Beschleuniger, verbringen sie endlose Stunden am Schreibtisch, um die Bedeutung der von ihnen gewonnenen Daten zu entschlüsseln. Das Bestreben, das Universum zu verstehen, hebt das menschliche Leben ein wenig über eine Farce hinaus und verleiht ihm einen Hauch von tragischer Würde.“

Also Sinnlosigkeit des Universums und Tragik des Menschenlebens? Da ist man versucht, solchen Physikern die viel diskutierte „Wette“ des genialen Physikers, Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal vorzulegen, die nicht von Schwarzen Löchern oder Göttern und Riesen handelt, sondern eine fundamentale Alternative zur Wahl stellt: „Dieu est, ou il n’est pas, Gott ist – oder er ist nicht“. Beide Möglichkeiten sind freilich ungewiss: „Die Vernunft kann hier nichts bestimmen“, sagt Pascal, „worauf wollen Sie setzen? Aus Gründen der Vernunft können Sie weder das eine noch das andere tun. Aus Gründen der Vernunft können Sie aber auch weder das eine noch das andere verbieten. Zeihen Sie also nicht die des Irrtums, die eine Wahl getroffen haben; denn darüber können Sie nichts wissen.“ Das ist für Pascal der entscheidende Punkt, er sagt: „Man muss wählen! Nicht-Wählen ist auch eine Wahl. Und wie stehen die Chancen? Aus der Natur der Alternative: unendliches, glückliches Leben oder dem Nichts, und aus der Größe des Einsatzes: endlicher Einsatz für Unendliches – überlegt man dies genau – stehen die Chancen von Unglauben und Glauben wie ‚Null zu Unendlich’“. Man verliert also nach Pascal in jedem Fall nichts, wenn man an Gott glaubt, kann aber alles gewinnen.

Einer der mehr als andere unter dem Problem des Atheismus litt, der „Antichrist“ Friedrich Nietzsche, hat sich in seinen letzten Jahren deutlich gegen den selbstsicheren, optimistischen Atheismus „unserer Herren Naturforscher und Physiologen“ gewandt, den er nur noch als schlechten „Spaß“, sagt er, empfinden könne, denn: „... ihnen fehlt die Leidenschaft in diesen Dingen“, schreibt Nietzsche, „das Leiden an ihnen … Man muss das Verhängnis an … sich selbst erlebt, man muss an ihm fast zugrunde gegangen sein, um hier keinen Spaß zu verstehen.“ Aber unsere Herren Naturforscher und Physiologen können uns vielleicht helfen bei der Präzisierung der wichtigen Fragestellung:

Woher kommt die kosmische Feinabstimmung?

Die Astrophysik konzentriert sich zur Zeit vor allem auf zwei Themengebiete: auf die Entstehung der ersten Strukturen im Universum und auf die Suche nach extraterrestrischem Leben. Ich konzentriere mich zunächst auf das erste Themengebiet, das zusammenhängt mit der Frage nach den Anfangsbedingungen des Universums: Was legte schon in der frühesten Phase die Bedingungen fest, die garantierten, dass noch nach 13,7 Milliarden Jahren das Universum die Eigenschaften haben würde, die wir heute beobachten: Woher also die fundamentalen universellen Naturkonstanten?

Ich mache das Problem noch einmal deutlich mit einem quantifizierten Beispiel: In unserem gemeinsamen Tübinger Colloquium von Theologen und Physikern 1994 formulierte der Physiker Amand Fässler das Problem mathematisch: Wie genau war doch der kleine Überschuss der Materie gegenüber der Antimaterie „kalkuliert“, wie präzis der winzige Überschuss der Protonen gegenüber den Antiprotonen „berechnet“ -1 + 10–9 = 1,000.000.001. Ohne diesen winzigen Überschuss“ der Protonen wäre es nie zu einem Strahlungs- und Materieuniversum gekommen, nie zur verblüffenden Relation von 25 Prozent Urhelium und 75 Prozent Wasserstoff. Und folglich auch nicht zur Bildung von Galaxien, Sternen und Planeten, die stabil genug waren für Leben in diesem Universum!

Doch auf die Grundfrage nach dem Woher der kosmischen Ordnungsprinzipien geben die Handbücher der Astrophysik keine Antwort; das ist verständlich. Weniger verständlich aber ist, dass sie solche Grundlagenfragen normalerweise nicht einmal andeuten – „instinktives Sträuben also“, wie ein Nobelpreisträger für Physik meint? Die Handbücher beginnen, wenn man so will, mit dem zweiten Schöpfungstag – oder mit der ersten 100stel Sekunde nach dem Urknall. Ob noch gilt, was das amerikanische Nachrichtenmagazin „Time“ nach Befragung bekanntester Astronomen der Vereinigten Staaten vor ein paar Jahren festgestellt hat? „Auf die letzte Frage, was ‚vor’ dem Urknall existierte, bleiben die meisten modernen Wissenschaftler stumm.“

Doch Vorsicht: Soll das etwa ein Plädoyer für „Gott“ am Anfang aller Dinge sein, nur weil es eine Erkenntnislücke gibt? Nein, kein Plädoyer meinen für einen „Gott der Erkenntnislücken“, von denen gewiss noch manche geschlossen werden. Wohl aber eine Einladung zum Nachdenken über die fundamentalen Voraussetzungen dieses Weltmodells überhaupt, die auch und gerade an die Physiker geht. Was waren ihre Reaktionen auf die kosmische Feinabstimmung? Es sind zwei entgegengesetzte Reaktionen festzustellen: einerseits die kosmologische Spekulation, andererseits die kosmologische Demonstration.

„Spekulieren“ meint – wenn man vom „Spekulieren“ an der Börse auf unsichere zukünftige Gewinne mal absieht – sehr oft abschätzig über die erfahrbare Wirklichkeit hinausgehende Mutmaßungen, ein hypothetisches Ausdenken bloßer Möglichkeiten.

Man kann sich fragen, ob man vielleicht auch bestimmte kosmologische Hypothesen als schiere Spekulationen bezeichnen muss, wenn man also vollständig unabhängige Raum-Zeit-Gebilde jenseits unseres Erfahrungshorizontes, alternative Universen als real postuliert.

Der spekulativen Phantasie sind bei den Viele-Welten-Theorien keine Grenzen gesetzt, und man hat die Qual der Wahl und die Wahl der Qual:

– Soll man mit einigen amerikanischen Physikern eine unbeschränkte Ausdehnungsphase annehmen, in der viele Universen aus getrennten Urknallen in getrennte Universen oder Raum-Zeit-Gefüge hineinwachsen?
– Oder soll man mit anderen vermuten, dass in einem Schwarzen Loch ein neues Universum entstehen kann, welches sich in ein neues Gebiet von Zeit und Raum erstreckt und uns nicht zugänglich ist?
– Oder soll man mit wieder anderen mutmaßen, dass andere Universen getrennt von uns in außerräumlichen Dimensionen existieren können und sich gegenseitig durch Gravitation beeinflussen oder auch nicht?

Ich vermag nicht zu beurteilen, welche der zahlreichen Theorien - Steady-State-Theory, String-, Superstring- oder M-Theorie - vor allem mit dem Ziel entwickelt wurden, die kosmische Singularität als irrelevant aufzuzeigen, um so der Herausforderung des Buches Genesis auszuweichen und die Gottesfrage ignorieren zu können. Selbst über ein unserem aktuellen Universum vorausgegangenes „Proto-Universum“ und eine „Vor-Urknall-Ära“ spekuliert man, aber ohne alle Belege, wären doch seine Strukturen durch den uranfänglichen Feuerball ohnehin zerstört worden.

Eine große physikalische Theorie von einem völlig in sich geschlossenen Universum ohne Rand und ohne Grenze, ohne Anfang und ohne Ende – das postulierte wieder ohne alle empirischen Belege der berühmte Stephen Hawking, und was ist sein Interesse? Er gesteht offen: „Es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?“ Und im Vorwort weist der amerikanische Physiker und Fernsehautor Carl Sagan auf das eigentliche Thema des Buches hin: die Abwesenheit Gottes.

Es ist jedenfalls verwunderlich, wie Kosmologen sich mühen, in der Frage der Anfangsbedingungen des Kosmos mit komplizierten mathematischen Operationen elementare philosophische Sätze auszuhebeln wie etwa „Ex nihilo nihil fit – aus Nichts entsteht nichts“. Da versucht man doch allen Ernstes, das Entstehungsproblem zu umgehen dadurch, dass man ein Universum konstruiert, das als seine eigene Mutter fungiert! Die Selbsterzeugung des Universums: „it created itself“. „How nice“, möchte man da ausrufen. Angesichts der Selbstsicherheit, mit der solche Theorien vorgetragen werden, fühle ich mich an das Wort erinnert, das der russische Nobelpreisträger für Physik Lew Landau gesagt haben soll: „Kosmologen irren sich oft, aber sie zweifeln nie.“

Dazu darf ich den verdienten Tübinger Physiker Herbert Pfister zitieren, der seine Abschiedsvorlesung an der Universität Tübingen am 14. Februar 2001 mit den Worten beendete: „Heute verkünsteln sich ganze Heerscharen von sogenannten Physikern bereits mehr als 10 Jahre an z. B. 11- oder noch höher-dimensionalen Superstring-Theorien, an heterotischen M-Theorien oder Gruppen E8 x E8 und SO(32) usw., ohne dass sie bisher ein einziges prinzipiell testbares, geschweige denn erfolgreich getestetes Datum produziert haben.“

Zu zahlreich sind die Zeugnisse kompetenter Naturwissenschaftler von einer „instinktiven Opposition“ oder einem beabsichtigten „Umweg“ angesichts einer „Singularität“, als dass man die Frage des Motivationshintergrundes kosmologischer Theorienbildung vernachlässigen dürfte. Und so muss ich denn schließlich nach der Rahmenfrage der Anfangsbedingungen des Universums in den nächsten Gedankengängen auf die Kernfrage nach dem Anfang überhaupt eingehen: Warum gibt es nicht nichts?

Neue Ergebnisse der Forschung werfen auch immer wieder neue Fragen auf. Immer mehr wissen wir, und immer weniger scheinen wir das Ganze zu verstehen. Denn immer schwieriger wird es, sich ein kohärentes Bild vom Kosmos zu machen. Unendlich viel bleibt ungeklärt. Die physikalische Wirklichkeit ist weithin unanschaulich. Wie der faszinierende physikalische Makrokosmos, so lässt sich auch der nicht weniger faszinierende Mikrokosmos der subatomaren Teilchen nur noch unscharf mit unseren Begriffen darstellen.

Wie soll ich mir die von der Elementarteilchenphysik erforschten unglaublich kleinen Prozesse vorstellen – in der Größenordnung bis zu 10-15cm = 1 Billiardstel cm und Geschwindigkeiten von 10-22sec = 1 durch 10 Trilliarden sec?

Auch viele Naturwissenschaftler sehen es so: Ihre Wissenschaft sitzt auf Inseln des Wissens und hat nur ein eingeschränktes Bild vom Kosmos. Nach den neuesten Messungen jener schon erwähnten Weltraumsonde WMAP steht ebenfalls fest: Wir kennen nur 4 Prozent des Weltalls; nur so viel nämlich besteht aus gewöhnlicher, sichtbarer Materie, also aus Sternen, Planeten, Monden! Und der unbekannte „Rest“? Der besteht aus 23 Prozent Dunkler Materie und 73 Prozent Dunkler Energie. Das heißt:

23 Prozent Dunkle Materie, die örtlich gebunden als Gravitationskraft wirken soll, damit die Galaxien nicht auseinander fliegen: vermutlich eine gewaltige Masse unsichtbarer und unhörbarer Elementarteilchen, nach denen man seit langem in verschiedenen Forschungsteams fieberhaft sucht; bezeichnet werden sie als WIMPs, zu deutsch „Feiglinge“, doch gemeint sind „schwach wechsel-wirkende massive Teilchen“, im Fachjargon heißt es: Weakly Interacting Massive Particles.

Es ist ein schwindelerregendes Wunder und erregt in uns Menschen doch keinen Schwindel, was sich da Stunde um Stunde abspielt: Mit etwa 1000 km pro Stunde, abhängig vom Breitengrad - in Tübingen am 51. Breitengrad 1050 km/h -, kreisen wir um unsere eigene Erdachse. Unsere Erde aber kreist mit über 100.000 km/h um die Sonne. Und unser ganzes Sonnensystem gleichzeitig mit 800.000 km/h um das Zentrum der Milchstraße. Das alles war nicht immer so und wird wohl auch nicht immer so bleiben. Eine großartige Illustration für die Nichtnotwendigkeit, die Kontingenz, die Instabilität und Relativität der Menschheit, unseres Planeten, eines Weltalls, das sich ausdehnt … Wohin? Zumindest die Frage nach dem Woher müsste zu klären sein.

Während die Argumente der Physik, auf Beobachtung, Experiment und Mathematik aufgebaut, einen logisch zwingenden Charakter haben, können die philosophisch-theologischen Argumente für die Annahme einer metaempirischen Wirklichkeit bestenfalls eine Hinführung und Einladung sein. Das heißt: In diesen letzten Fragen herrscht kein intellektueller Zwang, sondern Freiheit.

Zugleich hat sich deutlich gezeigt: Das naturwissenschaftliche Instrumentarium versagt angesichts der Frage nach dem letzten Woher dieser rätselhaften Wirklichkeit. Die Ereignisse zum Zeitpunkt t = 0 sind der Physik grundsätzlich unzugänglich. Wissenschaftliche Methoden können auch mit ständig zunehmender Reichweite und Raffinesse nicht in Erfahrung bringen, was vor diesem Zeitpunkt war.

Woher also letztlich die von Anfang an gegebenen universalen Naturkonstanten, oder – falls eine Vereinheitlichung der Kräfte erreicht wird – die eine Naturkonstante, woher das Universum überhaupt, das mit dem Big Bang seinen Anfang nahm? Es ist dies nicht nur die Frage nach einem Anfangsereignis, sondern die Frage nach der Wirklichkeit überhaupt: Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Dies ist nach dem großen Mathematiker und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz die Grundfrage der Philosophie, ja, dies ist die Ur-Frage des Menschen, die der Naturwissenschaftler, der jenseits des Erfahrungshorizonts nicht mehr zuständig ist, nicht beantworten kann. Hier geht es nicht um einen Lückenbüßer-Gott , um “God of the Gaps“: hier geht es nicht um eine „Lücke“, sondern um den absoluten Anfang. Hier stößt der Mensch auf das Urgeheimnis der Wirklichkeit, jenes Urgeheimnis der Wirklichkeit, das Juden, Christen, Muslime und Gläubige mancher anderer Religionen mit dem viel missverstandenen, viel missbrauchten Namen „Gott“ bezeichnen.

Aber – letzte Frage: Wie finde ich nun aber Zugang zum Urgeheimnis? Wie wird es mir gewiss, dass„Gott“ nicht nur eine Hypothese, eine „Idee“, sondern „Wirklichkeit“ ist? Es ist bereits deutlich geworden: Nicht auf dem Boden reiner Theorie, sondern – im Prinzip hat Kant Recht – auf dem Weg der gelebten und reflektierten Praxis sind auf die großen Grundfragen der Wirklichkeit Antworten zu suchen. Also nicht durch theoretische Operationen der reinen Vernunft. Allerdings auch nicht nur durch irrationale Gefühle oder pure Stimmungen. Vielmehr auf Grund einer vertrauenden, rational verantwortbaren Grundentscheidung und Grundeinstellung. Ich habe diese Vertrauenshaltung für mich immer mit Schwimmenlernen verglichen, das nicht durch Stehen am Ufer oder einen Trockenschwimmkurs erfolgt, sondern, vielleicht von anderen geholfen, durch das Wagnis, sich mit Haut und Haar auf das rätselhafte Wasser einzulassen, das freilich nur den trägt, der sich ihm anvertraut und sich nicht steif verhält, sondern sich bewegt.

Das Ja zu Gott ermöglicht ein radikal begründetes Grundvertrauen zur Wirklichkeit. Denn wer Gott bejaht, weiß um den Urgrund, das Urgeheimnis der Wirklichkeit; er weiß, warum er der Wirklichkeit von Welt und Mensch trotz aller Fraglichkeit im Grunde vertrauen kann. Mein Gott-Vertrauen als qualifiziertes, radikales Grundvertrauen vermag mir die Bedingung der Möglichkeit der fraglichen Wirklichkeit anzugeben. Insofern zeigt es eine radikale Rationalität, die sich vom ideologischen Rationalismus, der die Ratio verabsolutiert, klar unterscheidet.


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* Zum Autor:
Hans Küng, geboren 1928, studierte nach dem Abitur Philosophie und Theologie. 1954 wurde er ordiniert und bekam ein Jahr später das Lizenziat der Theologie. 1957 wurde er in Frankreich promoviert zum Dr. theol., 1960 wurde er ordentlicher Professor der Fundamentaltheologie an der Universität Tübingen. 1962 ernannte Papst Johannes der 13. ihn zum offiziellen theologischen Konzilsberater. 1963 - 80 war Küng ordentlicher Professor der Dogmatik und ökumenischen Theologie an der Universität Tübingen; nachdem ihm 1979 die kirchliche Lehrbefähigung entzogen wurde, schied er aus der Fakultät der Universität aus, blieb aber Professor für ökumenische Theologie und Direktor des Instituts für ökumenische Forschung. Eine neue wichtige Aufgabe übernahm er als Präsident der 1995 gegründeten "Stiftung Weltethos". Wie kaum ein Theologe seiner Zeit bestimmte und bestimmt Küng die öffentliche Diskussion über Christentum, Kirche sowie andere religiös-theologische Probleme. Im Rahmen seiner Stiftung fordert er die Religionen dieser Welt dazu auf, in einen friedlichen Dialog miteinander zu treten, um sich auf ein gemeinsames Ethos zu besinnen.


Buchauswahl:

- Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion. Piper-Verlag.
- Das Christentum. Piper-Verlag.
- Die Frau im Christentum. Piper-Verlag.
- Der Islam. Piper-Verlag.
- Ewiges Leben? Piper-Verlag.
- Christentum und Weltreligionen (zusammen m. H. Bechert). Piper-Verlag.
- Credo. Das apostolische Glaubensbekenntnis, Zeitgenossen erklärt. Piper-Verlag.
- Die heiligen Schriften der Welt, 5 Bde (Hrsg.). Verlag Diederichs.
- Projekt Weltethos. Piper-Verlag

Hans Küng: Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft (2)

Hans Küng: Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft (2)
www.swr2.de 
Dieses Thema ist im folgenden Buch weiterentwickelt: Hans Küng, »Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion«, Piper Verlag München, 8. Auflage 2006
piperverlag@t-online.de  / www.piper.de

Autor und Sprecher: Prof. Hans Küng *; Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch;
Sendung: Ostersonntag, 16. April 2006, 8.30 Uhr, SWR 2
Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.


ÜBERBLICK

Noch immer ist die Frage unentschieden, ob sich die Evolution qua Zufall entwickelt hat oder ob sie auf einem notwendigen, vielleicht sogar metaphysischen Prinzip beruht. In den letzten Jahren sind einige Bücher erschienen, die die Bedeutung und die Macht des Zufalls herausarbeiten, nach dem Motto: Die Natur würfelt sehr gerne und hat, quasi nebenbei, den Menschen samt Geist hervorgebracht.

Die Frage nach Zufall oder Notwendigkeit ist zugleich das Einfallstor für die religiöse Spekulation, die sich nicht fürchten braucht vor den "harten" Erkenntnissen der modernen Biologie. Hans Küng, emeritierter Professor für ökumenische Theologie, Präsident der Stiftung Weltethos, zeigt, warum Gott und Evolutionsbiologie durchaus zusammen passen.

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Ansage:

Heute mit dem Thema: Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft, Teil 2.

Der Tübinger Theologe Hans Küng fragte vor zwei Tagen, wo die moderne Astrophysik noch Raum lässt für religiöse Aspekte, und dieses Gedankenmuster wendet er heute auch auf die moderne Biologie an. Die hat mit Siebenmeilenstiefeln die genetischen und biochemischen Landschaften des Lebens erobern können, sie hat Gesetze formulieren können, die die Evolution maßgeblich bestimmen. Doch noch immer ist eine wichtige Frage unbeantwortet: Ist das Leben, ist die Entwicklung hin zum intelligenten Menschen nun das Resultat puren Zufalls oder steckt dahinter ein Plan, vielleicht sogar der Plan eines Schöpfergottes, eines hochintelligenten Designers?

Auch diese Frage mündet, so Küng, in Religion, denn nur die kann dem Evolutionsprozess einen metaphysischen Sinn geben. Allerdings sollte dieser Sinn die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht konterkarieren, er sollte damit kompatibel sein. Und genau darum geht es ja auch Küng: Er will Religion und Naturwissenschaft nicht gegeneinander ausspielen, sondern in einen Dialog verwickeln, in dem sich beide Bereiche auf gleicher Augenhöhe treffen.

Hören Sie nun also Teil 2 der insgesamt dreiteiligen Reihe von und mit Hans Küng, heute geht es, wie erwähnt, um die Entwicklung des Lebens.


Hans Küng:

Eine zentrale Frage für uns Menschen heute ist die nach der Entstehung des Lebens. Gerade in dieser Frage hat die Biologie der letzten Jahrzehnte sensationelle Erfolge zu verzeichnen. Derart, dass Darwins Evolutionstheorie heute als geradezu physikalisch begründet und experimentell nachgeprüft angesehen werden darf, nicht nur auf der Ebene der lebendigen Zelle, sondern auf der Ebene der Moleküle. Schon Darwin hatte die Hoffnung geäußert, dass das Prinzip des Lebens eines Tages als Teil oder Folge eines allgemeinen Gesetzes erkannt würde. Was aber vor wenigen Jahrzehnten ein Traum schien, ist heute Wirklichkeit geworden: Die Molekular-Biologie, seit der Mitte des 20. Jahrhunderts so etwas wie die neue Basis der Biologie, hat dieses Gesetz gefunden; James D. Watson und Francis H. C. Crick erhielten dafür 1962 den Nobelpreis. Dadurch wurde die Biologie ebenso revolutioniert wie wenig früher die Physik durch die Quantenmechanik.

Was an Bakterien und Viren erforscht wurde, gilt auch für höhere Organismen und vermutlich für alles Leben auf diesem Planeten: Elementare Träger des Lebens und seiner Grundeigenschaften sind zwei Klassen von Makromolekülen, nämlich Nukleinsäuren und Proteine.

So funktioniert das Leben und pflanzt sich fort: eine „Wunderwelt“ auf der elementarsten Ebene, wo auf kleinstem Raum Moleküle oft in einer Millionstelsekunde ihre Umsetzungen durchführen.

Man fragt sich unwillkürlich: Steckt hinter der Entstehung des Lebens vielleicht doch ein geheimnisvoller Schöpfungsakt, der die einzelnen Atome so anordnet, dass überhaupt Leben entstehen kann?

Wir wissen freilich nach wie vor nicht sicher, wie erstmals aus Unbelebtem Leben entstanden ist. Nicht sicher, welche genauen Ereignisse die Biogenese eingeleitet haben. Eines freilich wissen wir: Wie auch immer man diesen Übergang zum Leben im einzelnen erklärt, er beruht auf biochemischen Gesetzmäßigkeiten und somit auf Selbstorganisation der Materie, der Moleküle. Und wie sich aus der Urmaterie durch elektrische Entladungen immer komplexere Moleküle und Systeme gebildet haben, so aus Nukleinsäuren und Proteinen das auf Kohlenstoff basierende Leben.

Doch weswegen steigt überhaupt die Evolution an zu höheren Arten, ohne von äußeren Faktoren erzwungen oder gesteuert zu sein? Das ist die große Entdeckung: Schon auf der Ebene der Moleküle regiert das von Darwin zunächst in der Pflanzen- und Tierwelt festgestellte Prinzip der „natürlichen Auswahl“ und des „Überlebens der Tüchtigsten“: Diese Tendenz zur „Fitness“ treibt die Entwicklung auf Kosten der weniger tüchtigen Moleküle unaufhaltsam nach „oben“! So kommt es zur Entwicklung von einzelligen, dann von mehrzelligen Lebewesen und schließlich von höheren Pflanzen und Tieren.

Dass es bei diesen höchst komplexen Prozessen eines besonderen Eingriffs des Schöpfergottes bedurft hätte, ist nach den neuesten biochemischen Ergebnissen nicht einzusehen. Die Entstehung des Lebens ist bei den vorgegebenen materiellen Voraussetzungen und trotz aller noch ungeklärter Fragen ein physikalisch-chemisch verständliches Geschehen. Freilich werden Sie mich fragen: Herrscht bei all dem der pure Zufall?

Die Einzelereignisse in ihrer zeitlichen Abfolge sind in der Tat unbestimmt: Die Wege der Evolution im einzelnen sind nicht von vornherein festgelegt. Zufällig sind die jähen, mikroskopisch kleinen Erbänderungen, die Mutationen, aus denen durch lawinenartiges Anwachsen oder Hochschaukeln sich auch im makroskopischen Bereich plötzliche, ungerichtete Veränderungen und neue Erscheinungen ergeben. Aber vielleicht herrscht doch beides in einem: Zufall und Notwendigkeit! Schon der griechische Philosoph und Atomist Demokrit - ca. 470-380 v. Chr. - hatte geschrieben: „Alles, was im Weltall existiert, ist Frucht von Zufall und Notwendigkeit.“ Unter dieses Motto stellte auch der 1976 gestorbene französische Molekularbiologe Jacques Monod, der 1965 den Nobelpreis für die Entdeckung der genetischen Steuerung der Enzym- und Virussynthese erhalten hatte, sein bekanntes Buch „Zufall und Notwendigkeit“. Doch räumte er dem Zufall entschieden den Vorrang ein, indem er notiert: „der reine Zufall, nichts als der Zufall, die absolute, blinde Freiheit als Grundlage des wunderbaren Gebäudes der Evolution“.

Zu Recht polemisiert Monod, bekennender Atheist, gegen die Annahme einer von vornherein gegebenen Evolutionskraft oder Energie, die den Aufstieg der Evolution erklären und bis zu einem Punkt Omega führen soll, um so auf den Schöpfergott zurückzuweisen: Diese aus dem Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts stammende „Kraft“ oder „Energie“ der „Vitalisten“ stellt – so Monod – eine „animistische Projektion“ dar, die naturwissenschaftlich ungerechtfertigt ist.

Ebenfalls zu Recht polemisiert Monod, ehemaliger Kommunist, gegen eine rein materialistische Biologie, die der ewigen Materie eine unbekannte und unerkennbare Kraft zuschreibt. Auch dies ist nach Monod eine „animistische Projektion“ und ein „anthropozentrisches Trugbild“, das mit „Wissenschaft unvereinbar ist“.

Aber die Frage ist, ob Monod auch zu Recht gegen einen Schöpfergott polemisiert, den er mit seiner Theorie ebenso radikal wie die schöpferische Materie ausschließen will? Diese Frage ist genauer zu untersuchen.

Der deutsche Physikochemiker Manfred Eigen, dem 1967 für seine Untersuchungen der Kinetik sehr schneller chemischer Reaktionen der Nobelpreis verliehen worden war, hat in seinem Buch „Das Spiel“ von 1985 die heute weithin von Biologen geteilte Gegenthese zu Monod formuliert: „Naturgesetze steuern den Zufall“ – so programmatisch schon der Untertitel. Oder wie Eigen im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Monod schreibt: „So sehr die individuelle Form ihren Ursprung dem Zufall verdankt, so sehr ist der Prozess der Auslese und Evolution unabwendbare Notwendigkeit. Nicht mehr! Also keine geheimnisvolle inhärente ‚Vitaleigenschaft’ der Materie, die schließlich auch noch den Gang der Geschichte bestimmen soll! Aber auch nicht weniger – nicht nur Zufall!“ „Gott würfelt also?“, fragt auch der Wiener Biologe Rupert Riedl und antwortet, „Gewiss! Doch er befolgt auch seine Spielregeln. Und nur die Spanne zwischen beiden gibt uns Sinn und Freiheit zugleich.“

Es bleibt also dabei: Für die Erklärung der Evolution sind Zufall oder Notwendigkeit, Indetermination oder Determination, ja, Materialismus oder Idealismus falsche Alternativen. Doch angenommen, Gott würfele so innerhalb der Regeln, stellt sich noch immer die Frage: Würfelt hier überhaupt Gott? Machen die sich selbst organisierende Materie und die sich selbst regulierende Evolution Gott nicht überflüssig?

Monod steht mit seiner negativen Meinung sicher nicht allein unter den Biologen. Was ist darauf zu antworten? Ich möchte unterscheiden: Eine unbegründete Annahme ist es – darin würde ich Monod zustimmen –, aufgrund des Übergangs von der unbelebten Welt zur Biosphäre oder auch aufgrund der molekularen Unbestimmtheit die Existenz Gottes zu postulieren; dies wäre nur ein unseliger Lückenbüßergott! Darin stimmt auch der Biologe Eigen dem Biologen Monod zu, indem er schreibt: „Die ‚Entstehung des Lebens’, also die Entwicklung vom Makromolekül zum Mikroorganismus, ist nur ein Schritt unter vielen, wie etwa der vom Elementarteilchen zum Atom, vom Atom zum Molekül, … oder auch der vom Einzeller zum Organverband und schließlich zum Zentralnervensystem des Menschen. Warum sollten wir gerade diesen Schritt vom Molekül zum Einzeller mit größerer Ehrfurcht betrachten als irgendeinen der anderen? Die Molekularbiologie hat dem Jahrhunderte aufrecht erhaltenen Schöpfungsmystizismus ein Ende gesetzt, sie hat vollendet, was Galilei begann.“

Ob der Schritt vom Makromolekül zur ersten Zelle nicht doch als sehr viel bedeutender angesehen werden muss, ist unter Biologen umstritten. Für uns indessen stellt sich die zentrale Frage: Muss die Ablehnung eines „Schöpfungsmystizismus“, wie Monod meint, gleichzeitig die Ablehnung Gottes als eines Schöpfers und Lenkers der Welt nach sich ziehen?

Keineswegs, sage ich, denn unbegründet ist auch die Annahme, aufgrund des molekularbiologischen Befundes sei eine Existenz Gottes auszuschließen. Darin widerspricht denn auch zu Recht der Biologe Eigen dem Biologen Monod. Eigen schreibt: „In Monods Forderung nach ‚existentieller Einstellung zum Leben und zur Gesellschaft’ sehen wir eine animistische Aufwertung der Rolle des ‚Zufalls’. Sie lässt den komplementären Aspekt des Gesetzmäßigen weitgehend außer acht. Die – unserer Meinung nach berechtigte – Kritik an der dialektischen Überbewertung der ‚Notwendigkeit’ sollte nicht zur völligen Leugnung ihres ganz offensichtlich vorhandenen Einflusses führen.“

Unter den Biologen gibt es so viele verschiedene Meinungen zur Gottesfrage, so antwortete Manfred Eigen mir in einem Gespräch, wie unter den Menschen überhaupt. Die erwähnten entgegengesetzten Positionen zweier Koryphäen der Biologie machen jedenfalls deutlich: Wie jeder Mensch sieht sich auch der Biologe als Mensch, wenn er tief genug nachdenkt, vor die existentielle Alternative gestellt: Sinnlosigkeit des Evolutionsprozesses und eine letzte Verlassenheit des Menschen – oder? Lapidar formuliert, was sich im konkreten Leben in unendlich vielen individuellen Situationen variiert:

Entweder ein Mensch sagt Nein zu einem Urgrund, Urhalt und Urziel des ganzen Evolutionsprozesses: Dann muss er die Sinnlosigkeit des ganzen Prozesses und die totale Verlassenheit des Menschen in Kauf nehmen. Oder ein Mensch sagt Ja zu einem Urgrund, Urhalt und Urziel: Dann darf er die grundlegende Sinnhaftigkeit des ganzen Prozesses und der eigenen Existenz zwar nicht aus dem Prozess selbst begründen, wohl aber darf er sie vertrauend voraussetzen.

Ungefähr 3,5 Milliarden Jahre hat die Evolution gebraucht, um Leben im heutigen Reichtum der Gestalten und Verhaltensweisen und schließlich sogar Leben mit Geist hervorzubringen. Eine erstaunliche Entwicklung: Was musste da alles genau „stimmen“ seit dem Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren, damit solches Leben einmal entstehen konnte! Wir erinnern uns an die kosmischen Naturkonstanten: Die Ladung des Elektrons e, das Plancksche Wirkungsquantum h, die Boltzmann-Konstante k, die Lichtgeschwindigkeit c … Und wie musste da im Kosmos alles genau und keineswegs immer symmetrisch austariert sein, damit nach Milliarden Jahren einmal Leben entstehen konnte: die Feinabstimmung von Energie und Materie, von nuklearen elektromagnetischen Kräften, von Gravitationskraft und Energie durch Kernreaktion in unserer Sonne.

Und das Erstaunlichste von allem: Auf unserer Erde konnte sich schließlich nach Jahrmilliarden aus dem Tierreich sogar Leben mit Geist entwickeln: der Mensch. Überträgt man mit einem Zeitraffer die 13,7 Milliarden Jahre Geschichte des Kosmos auf ein einziges Jahr, dann entwickelt sich komplexeres Leben erst zu Beginn des 10. Monats, der Mensch aber erst in den letzten Stunden des letzten Tages des Jahres. Die ganze Entwicklung des Kosmos in 13,7 Milliarden Jahren also zielgerichtet auf uns hin? „Das Universum wusste, dass wir kommen würden“, hört man bisweilen sogar von Physikern. Aber weiß denn das Universum überhaupt etwas? Weiß vielleicht der Urknall, was er auslöst? Das ist doch eine eher komische Vorstellung. Aber wer wusste dann, dass wir Menschen kommen würden? Die Frage, die angesichts dieser ungeheuren Entwicklung unausweichlich bleibt: alles vielleicht doch nach einem ganz bestimmten „Rezept“ oder „Plan“ für ein lebens- und geistfreundliches Universum? Alles wirklich reiner Zufall?

Wenn aber nicht der Zufall, was dann? Nun, vielleicht könnte eines Tages doch noch ein Genie die mathematische Struktur der physikalischen Grundgesetze entdecken, die ein Leben auf unserem Planeten ermöglichen. Ja, warum nicht? Doch nachdem bisher alle Bemühungen von Physikern, eine Weltformel zu finden, bei der Einsicht Stephen Hawkings gestrandet sind, dass eine solche aufgrund des Gödelschen Axioms grundsätzlich nicht möglich sei, bleibt für absehbare Zeit auch den Biologen nicht allzu viel Hoffnung auf eine baldige grundsätzliche Lösung. Und warum sollten in 13,7 Milliarden Jahren nicht auch andere kosmische Lösungen möglich gewesen sein, die gerade nicht zu Leben mit Geist geführt hätten? Dies von vornherein auszuschließen dürfte schwierig sein. Aber was erklärt dann diese unsere Entwicklung?

Einerseits kann man aus den physikalischen Anfangsprinzipien und Grundgesetzen in keiner Weise auf eine Entwicklung zum Leben und gar zu menschlichem Leben schließen, andererseits möchte man den Zufall als leeres Erklärungsprinzip lieber ausschließen: da fragen sich manche Physiker und Biologen, ob es da nicht so etwas wie ein „Metagesetz“ hinter all den Feinabstimmungen und Naturgesetzen gebe: so etwas wie ein „Supergesetz“ über allen Naturgesetzen, welches die Entwicklung durch die 13,7 Milliarden Jahre des Kosmos auf die Entstehung von Leben und schließlich menschlichem Leben hinsteuert? Nein, keine vitalistische Kraft, auch kein von Anfang an gegebenes Bewusstsein der Materie – beides lässt sich nicht beweisen. Erst recht keine Vorsehung eines anthropomorph gedachten Weltenlenkers, der einen detaillierten anthropozentrischen Weltplan ausgearbeitet hätte – was ebenfalls nicht beweisbar ist.

Aber was dann? Hier setzen nun nicht wenige Kosmologen, Physiker und Biologen ein „Meta-Naturgesetz“, ein sogenanntes anthropisches Prinzip an, das garantiert, dass die Anfangsbedingungen und Naturkonstanten unseres Universums von vornherein so beschaffen sind, dass schließlich ein „Beobachter“, also Leben und Intelligenz entstehen kann. So zuerst vom bedeutenden amerikanischen Physiker Robert H. Dicke 1961 „weich“ formuliert. Also nicht entstehen muss, wie 1973 der britische Physiker Brandon Carter im „starken“ Sinn zuspitzte: Der Kosmos sei von Anfang an darauf ausgerichtet und in seinen Grundkonstanten und Grundgesetzen so beschaffen, dass irgendwann unweigerlich Leben und Intelligenz entstehen mussten. Der australische Physiker Paul Davies will deshalb in der Evolution sogar ausdrücklich einen „Plan Gottes“ erkennen.

Dies erscheint mir nun doch eine allzu anthropomorphe und anthropozentrische Vorstellung vom Verhältnis des Schöpfers zu seiner Schöpfung zu sein. Es würde ausreichen, das Prinzip im weichen Sinn zu verstehen: dass man im Rückblick erkennt, wie der Kosmos faktisch so ist, dass Leben und Leben mit Geist möglich wurde. Ein solches Prinzip wäre sicher kein Beweis, dass Gott den Menschen gewollt hat. Wohl aber dürfte es ein Hinweis darauf sein, dass das Ganze des Evolutionsprozesses nicht sinnlos ist, sondern zumindest für den Menschen, der als erstes Wesen zur Reflexion fähig ist, einen Sinn hat.

Von daher wäre auch besser verständlich, warum der Mensch und er allein fähig war, mit seiner Vernunft mathematische Formeln zu erarbeiten, um dann festzustellen, dass die Natur selbst in der Sprache der Mathematik verfasst ist, die er langsam, langsam zu entziffern vermag. Jede Abänderung der kosmischen Zahlenwerte hätte ja ein anderes Weltall geliefert, in welchem die Entwicklung von Leben, zumal geistigem Leben, unwahrscheinlich oder gar unmöglich gewesen wäre.

Auch der Tübinger Entwicklungsbiologe Alfred Gierer hält die Viele-Welten-Theorien für „Gedankenkonstruktionen“, die „hinter die Klarheit moderner Wissenschaft zurückfallen, die mit Keplers Planetenbahn- und Galileis Fallgesetzen ihren Anfang nahm“. Da erscheint ihm „das anthropische Prinzip eines Meta-Naturgesetzes als die bessere Alternative“. Doch ob es dafür je „eine mathematisch-logische Begründung gibt“, dies bleibt nach Gierer offen. Wahrscheinlich sei, „dass das anthropische Meta-Naturgesetz – unterstellen wir seine Geltung – ähnlich wie die bekannten Grundgesetze der Physik nur an seinen Auswirkungen zu erkennen, eine Letztbegründung hingegen nicht möglich ist.“

Die Wissenschaft vermag in dieser alle Empirie übersteigenden Frage wohl grundsätzlich keine „Letztbegründung“ zu bieten. Für dieses „Rezept“ einer Genesis dieser Welt, ein meta-empirisches Gesetz aller Naturgesetze, ist, was gleich zu präzisieren sein wird, die Religion zuständig. Religion vermag den großen Zusammenhang zu erkennen und zu interpretieren, der zwischen den unterschiedlichen Ebenen unserer Welt besteht – den Zusammenhang vom Mikrokosmos mit den Elementarteilchen, Atomen und Molekülen über die verschiedenen Formen des Lebens, Zellen und Organismen, bis zum Makrokosmos der Planeten, Sterne, Galaxien und dem Universum als ganzem.

Naturwissenschaft und Religion – beide eigenständig und eigengesetzlich – können sich im Rahmen einer holistischen Gesamtsicht aller Dinge ergänzen:

- Religion kann die Evolution als Schöpfung interpretieren.
- Naturwissenschaftliche Erkenntnis kann Schöpfung als evolutiven Prozess konkretisieren.
- Religion kann so dem Ganzen der Evolution einen Sinn zuschreiben, den die Naturwissenschaft von der Evolution nicht ablesen, bestenfalls vermuten kann.

Man kann in der jüdisch-christlich-muslimischen Tradition auch durchaus von „Glauben“ reden. Glaube freilich nicht verstanden als „das Fürwahrhalten all der Lehrsätze, welche die Kirche zum Glauben vorlegt“; so eine traditionalistische römisch-katholische Formel. Glaube vielmehr gut biblisch verstanden als Vertrauen - wie es Hebräer-Brief heißt: „Glaube ist ein Feststehen in dem, was man erhofft, ein Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ Oder philologisch wohl noch genauer in jener sich an Luther anschließenden Übersetzung: „Der Glaube aber ist die Grundlage dessen, was man erhofft, und die Gewissheit über Dinge, die man nicht sieht.“ Unzweideutig wird hier die Wirklichkeit Gottes bezeichnet, wie es im selben Bibeltext heißt: „Aufgrund des Glaubens erkennen wir, dass die Welt durch Gottes Wort erschaffen worden und dass so aus Unsichtbarem das Sichtbare entstanden ist.“ Insofern glaube auch ich, was der gemeinsame Glaube von Juden, Christen und Muslimen ist, an Gott als den „Schöpfer des Himmels und der Erde“.

Dies führt indes zur grundsätzlichen theologischen Frage: Wie kann man sich Gottes Wirken denken?

Eine allzu äußerliche, anthropomorphe Vorstellung wäre es zu meinen, Gott als Herr und König „kontrolliere“ oder „steuere“ die Ereignisse, auch die scheinbar zufälligen, sogar die subatomar unbestimmten Abläufe. Wie stünde es denn da um all die Verschwendungen und Sackgassen der Evolution, wie um die ausgestorbenen Arten und die elend umgekommenen Tiere und Menschen? Und wie um die unendlichen Leiden und all das Böse in dieser Welt und Weltgeschichte? Darauf hat eine solche Konzeption von einem Herr-Gott keine Antwort.

Für ein neuzeitlich-evolutionäres Wirklichkeitsverständnis, bei dem Gott als Geist in der Welt und die Welt in Gott ist, die Transzendenz in Immanenz, ist grundlegend:

- Gottes Geist wirkt in den gesetzmäßigen Strukturen der Welt, ist aber mit ihnen nicht identisch. Denn Gott ist reiner Geist und wirkt in der Weltgeschichte fortdauernd nicht in der Weise des Endlichen und Relativen, sondern als das Unendliche im Endlichen und als das Absolute im Relativen.

- Gottes Geist wirkt nicht von oben oder außen als unbewegter Beweger in die Welt hinein. Vielmehr wirkt er als die dynamische wirklichste Wirklichkeit von innen im ambivalenten Entwicklungsprozess der Welt, den er ermöglicht, durchwaltet und vollendet. Er wirkt nicht erhaben über dem Weltprozess, sondern im leidvollen Weltprozess: in, mit und unter den Menschen und Dingen. Er selbst ist Ursprung, Mitte und Ziel des Weltprozesses!

- Gottes Geist wirkt nicht nur an einzelnen besonders wichtigen Punkten oder Lücken des Weltprozesses. Vielmehr wirkt er als schöpferischer und vollendender Urhalt im System von Gesetz und Zufall und so als weltimmanent-weltüberlegener Lenker der Welt – allgegenwärtig auch im Zufall und Unfall – unter voller Respektierung der Naturgesetze, deren Ursprung er selber ist.

Es dürfte damit klar geworden sein: Welt oder Gott – das ist keine Alternative: weder die Welt ohne Gott noch Gott identisch mit der Welt! Sondern Gott in der Welt, und die Welt in Gott. Gott und Welt, Gott und Mensch also nicht als zwei konkurrierende endliche Kausalitäten nebeneinander, wo die eine gewinnt, was die andere verliert, sondern ineinander: Wenn Gott wirklich der alles umfassende unendliche geistige Urgrund, Urhalt und Ursinn von Welt und Mensch ist, wird deutlich, dass Gott nichts verliert, wenn der Mensch in seiner Endlichkeit gewinnt, sondern dass Gott gewinnt, wenn der Mensch gewinnt.

Es gibt für mich keinen schöner vertonten Hymnus auf Gottes Geist als das „Veni Sancte Spiritus“, „Komm, Heiliger Geist“, den Stephan Langton, Erzbischof von Canterbury, schon um 1200 dichtete und der die Wirkung des Geistes Gottes als Licht beschreibt, ich zitiere nur einige Zeilen:

Strahlend Licht, dein seliger Glanz
Fülle Geist und Sinne ganz,
mache leicht, was sonst zu schwer!

Ohne daß du in uns webst,
ohne daß du uns belebst,
sind die Herzen tot und leer.

Wasche, was im Schmutz vergeht!
Gieße, was zu trocken steht!
Heile all das Leid der Welt!

Biege, was zu fest und hart!
Taue, was zu Eis erstarrt!
Halte fest, was stürzt und fällt!

Denen, die dir hier vertraun,
die auf keinen Sand mehr baun,
schenke alle Gaben dein!

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Hans Küng : Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft (3)

Hans Küng : Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft (3) www.swr2.de  Dieses Thema ist im folgenden Buch weiterentwickelt: Hans Küng, »Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion«, Piper Verlag München, 8. Auflage 2006 piperverlag@t-online.de / www.piper.de
Autor und Sprecher: Prof. Hans Küng * ; Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch, Sendung: Ostermontag, 17. April 2006, 8.30 Uhr, SWR 2 Bitte beachten Sie:Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
ÜBERBLICK Angesichts der Erkenntnisse der modernen Hirnforschung warnen Kritiker vor einem Materialismus, der nach folgenden Maximen funktionieren könnte: Wir Menschen sind Bioautomaten, unsere Gefühle und Gedanken basieren auf neuronalen und biochemischen Prozessen, unser Geist ist nicht vom Himmel gefallen, sondern lediglich Resultat der Evolution.
Wozu brauchen wir also noch Metaphysik! So ist es nicht verwunderlich, wenn es Hirnforscher gibt, die die Gehirne ihrer Patienten scannen, auf der Suche nach dem religiösen Gefühl. Und wo bleibt Gott? Hans Küng, emeritierter Professor für ökumenische Theologie, Präsident der Stiftung Weltethos, zeigt, warum die Hirnforschung und andere naturwissenschaftliche Disziplinen das religiöse Denken nicht ausklammern können -------------------
Ansage:
Heute mit dem Thema: „Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft, Teil 3“.
Der Tübinger Theologe Hans Küng hat in den letzten beiden Teilen seiner Sendung gefragt, ob und wie die moderne Astrophysik und die Biologie noch Platz lassen für Religion, für den Gedanken an Gott. Und Küng zeigte, dass Religion vor allem dann die harten Naturwissenschaften ergänzt und bereichert, wenn es um die Fragen nach dem Anfang und dem Ende aller Dinge geht, wenn es um die Suche nach Sinn geht. Denn natürlich können wir im Sinne der Naturwissenschaften sagen: Wir Menschen sind nichts weiter als zufällig entstandene Kohlenstoffeinheiten, wir sind allein im kalten Universum, unser Geist ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Produkt evolutionsbiologischer chemischer Vorgänge, mehr nicht.
Wirklich nicht mehr? Im dritten und letzten Teil kritisiert Hans Küng sehr engagiert den Reduktionismus der Naturwissenschaften, speziell der Hirnforschung. Die behauptet ja, wir Menschen seien Bioautomaten ohne metaphysische Dimension. Küng macht klar, wie unhaltbar aus seiner theologischen Sicht dieser Ansatz ist und wie man in Zeiten, die von empirischen Wissenschaften dominiert werden, religiöses Denken wiederentdecken kann. Im Mittelpunkt steht auch diesmal die für Küng zentrale Kategorie, das Vertrauen.
Hans Küng:
Dem tief in unserem Gehirn verborgenen limbischen System mit den Basalganglien, unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis, schreibt der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth die „Letztentscheidungen des Menschen“ zu: Das bewusste Ich sei „nicht der eigentliche Herr unserer Handlungen“ und „Willensfreiheit im starken Sinn eine Täuschung“. Roth konkretisiert seine Position: „Wir Menschen erleben uns bei unserem Denken, Fühlen, Wollen, unserer Handlungsplanung und der Ausführung unserer Handlungen als frei. Unser Ich empfindet sich dabei als Verursacher dieser Zustände und Handlungen. Dies aber ist offensichtlich eine Illusion. Psychologische und neurowissenschaftliche Experimente und Beobachtungen zeigen vielmehr, dass Gedanken und Absichten, die uns in den Sinn kommen, weithin durch das limbische System veranlasst und gesteuert werden, das besonders stark auf das Stirnhirn einwirkt.“
Das Gefühl also, der Urheber unserer Handlungen zu sein, sei eine ebenso hartnäckige Täuschung wie die frühere Vorstellung, wir Menschen stünden im Mittelpunkt des Universums. Faktisch seien alle unsere Absichten und Entscheidungen, Ideen und Wünsche durch physiologische Prozesse determiniert. Alles werde vom Unbewussten, vom limbischen System gesteuert, wo schon im Kindesalter beispielsweise darüber entschieden werde, ob ein Mensch ein Triebtäter werde oder nicht. Sie merken, welche Konsequenzen eine solche Anwendung neurophysiologischer Erkenntnisse für Recht und Ethik hätten.
Das Mentale also bloß ein Epiphänomen des Neuronalen? Welche „Entlastung“ bringt eine solche neurowissenschaftliche Hypothese dem Verbrecher: Nur ja keine Schuldgefühle – alles Illusion! Von den horrenden Naziverbrechen gegen die Menschlichkeit möchte ich gar nicht reden. Gleichzeitig mit Roths Referat ging durch die deutsche Presse ein Schauerbericht über eine Clique erwachsener Männer und Frauen, die einen fünfjährigen Jungen mehrfach vergewaltigten und schließlich umbrachten. Sind also solche Scheusale und auch alle die Erwachsenen, die in Deutschland jedes Jahr mindestens 15.000 Kinder missbrauchen, aufgrund der Mechanismen des limbischen Systems unfrei und deshalb durch ein perfektes wissenschaftliches Alibi von Schuld und Verantwortung entlastet?
Im Tübinger Universitätsklinikum freut man sich seit Januar 2005 zu Recht über die Installation eines der modernsten Diagnosegeräte Europas, einer Kombination aus einem Computertomographen und einem Positronen-Emissions-Tomographen, das kleinste Ansiedlungen von Krebszellen frühzeitig erkennen lässt. Doch leider sind neurowissenschaftliche Hypothesen, die unser Selbstverständnis als freie Menschen für Selbsttäuschungen erklären, dafür mitverantwortlich, dass die Hirnforschung, die mit Hilfe solcher Geräte phantastische Fortschritte macht, heutzutage nicht nur Hoffnungen auf die Bekämpfung schwerer Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und auf die Rückgewinnung von Autonomie und Entscheidungsfreiheit hervorruft. Sie fördert auch Ängste. Ängste: wir Menschen würden zu kalten Bio-Automaten; von Neuronen gesteuert könnten wir allen möglichen bewusstseinsmanipulativen Eingriffen ausgesetzt werden, könnte so unsere Identität und Autonomie verlieren. Erfreulicherweise werden sich aber die meisten Hirnforscher der Problematik solchen reduktionistischen Vorgehens, das vor allem an den Gemeinsamkeiten zwischen Menschengehirn und Menschenaffen-Hirnen interessiert ist, zunehmend bewusst. Dass der Mensch zwar besser denken, der Affe aber besser klettern kann, ist eine dieser lächerlichen Nivellierungen. Deshalb jetzt nach der kurzen Würdigung der Fortschritte der Hirnforschung ebenso deutlich zu ihren Grenzen:
Je genauer die Neurowissenschaftler die Funktionsweise unseres Gehirns zu beschreiben vermögen, desto deutlicher wird, dass alle ihre Messungen und Modelle just den zentralen Aspekt des Bewusstseins nicht erfassen: nämlich das subjektive Innewerden von Qualitäten wie Farbe oder Geruch, einer Überlegung oder einer Emotion.
Wenige Monate nach Gerhard Roths aufsehenerregenden Publikationen veröffentlichen 2004 elf führende deutsche Neurowissenschaftler – darunter nun bemerkenswerterweise auch Roth selbst – ein „Manifest über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung“. Es sei der Eindruck entstanden, die Hirnforschung „stünde kurz davor, dem Gehirn seine letzten Geheimnisse zu entreißen“, meinen die Forscher einleitend. Zur Beruhigung einer alarmierten Öffentlichkeit ziehen sie nun für ihre kühn voranstürmende junge Wissenschaft eine nüchtern differenzierende Bilanz.
Mit Hilfe neuer Methoden seien bedeutende Fortschritte erzielt worden – auf der obersten, auf der untersten, aber nicht auf der mittleren Ebene:
- bedeutende Fortschritte auf der obersten Ebene: Erforscht wurden Funktionen und Zusammenspiel größerer Hirnareale; die thematische Aufteilung des Gehirns nach Funktionskomplexen: Sprache verstehen, Bilder erkennen, Töne wahrnehmen, Musikverarbeitung, Gedächtnisprozesse und Erleben von Emotionen;
- bedeutende Fortschritte auch auf der untersten Ebene: Wir verstehen heute weithin die Vorgänge auf dem Niveau einzelner Zellen und Moleküle, die Entstehung und Weiterleitung neuronaler Erregung;
- aber kleine Fortschritte auf der mittleren Ebene: Wir wissen – sagen die Hirnforscher selber - „erschreckend wenig“, was innerhalb von Hunderten oder Tausenden Verbänden von Zellen geschieht: „Völlig unbekannt ist, was abläuft, wenn Hunderte Millionen Nervenzellen miteinander ‘reden’“.
Bestätigungen dieser anti-reduktionistischen Sicht gibt es in Fülle, selbst innerhalb Tübingens Stadtgrenze: Der Tübinger Verhaltensneurobiologe Niels Birbaumer etwa, der jetzt mit einem neuartigen Magnet-Enzephalographen auch die elektrische Hirnaktivität von Ungeborenen, ihre Wahrnehmungs- und Lernfähigkeiten, untersuchen wird, empfiehlt seinen Kollegen „bescheidene Zurückhaltung bei der Generalisation und Interpretation neurobiologischer Daten“. Er - Birbaumer - könne nichts über einen freien oder unfreien Willen sagen, da sich ein solcher nicht messen lässt.
Diese Sicht wird nun paradoxerweise bestätigt durch den amerikanischen Hirnphysiologen Benjamin Libet. Er führte als erster schon 1985 die vielzitierten verhaltensphysiologischen Experimente durch, denen zufolge das Gehirn etwa bei Heben des rechten oder linken Fingers oder Arms ein neuronales „Bereitschaftspotential“ aufbaut, das dem subjektiv erlebten Handlungswillen um 350 bis 400 Millisekunden voraus sein soll. Doch – fragt man sich - bindet dieses „Bereitschaftspotential“ überhaupt den Willen? Im Jahr 1999 erklärt Libet, dass das Bewusstsein, das zeitlich nachhinkt, durchaus in der Lage sei, das, was das Gehirn als Handlung suggeriert, zu unterbinden. Der „freie Wille“ habe also bei allem Handlungsdrang zumindest die Macht des Veto. Libets Schlussfolgerung ist nunmehr, „dass die Existenz eines freien Willens zumindest eine genauso gute, wenn nicht bessere wissenschaftliche Option ist als ihre Leugnung durch die deterministische Theorie.“
Im Übrigen fängt man erst neuerdings an, diese kurzatmigen Experimente zu hinterfragen, insofern ja der Experimentator schon durch die Versuchsabsprache dem Gehirn Impulse erteilt, die sofort eine unbewusste neuronale Tätigkeit auslösen.
Anders als die Autoren des Hirnforscher-Manifests hält es Wolfgang Prinz vom Münchner Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften noch längst nicht für ausgemacht, dass aufgrund der Hirnforschung „‘unserem’ Menschenbild beträchtliche Erschütterungen ins Haus stünden“: Wie die Schönheit einer Bach’schen Fuge, so könne auch das Menschenbild von jeglicher Reduktion und Dekonstruktion unberührt bleiben: „Was sicher revidiert werden muss“ - schreibt Prinz – „ist der kaum reflektierte Naturalismus, der dieses Menschenbild und auch das mancher Hirnforscher prägt. Menschen sind aber das, was sie sind, nun einmal nicht nur durch ihre Natur, sondern vor allem auch durch ihre Kultur.“
Der Philosoph Peter Bieri aus Berlin hält die angeblich empirische Widerlegung der Willensfreiheit für „ein Stück abenteuerliche Metaphysik“. Er merkt kritisch an: „Man sucht in der materiellen Zusammensetzung eines Gemäldes vergebens nach der Darstellung oder Schönheit, und im selben Sinn sucht man in der neurobiologischen Mechanik des Gehirns vergebens nach Freiheit oder Unfreiheit. Es gibt dort weder Freiheit noch Unfreiheit. Das Gehirn ist der falsche logische Ort für diese Idee … Unser Wille ist frei, wenn er sich unserem Urteil darüber fügt, was zu wollen richtig ist. Der Wille ist unfrei, wenn Urteil und Wille auseinanderfallen …“.
Mir ist noch ein weiterer Aspekt wichtig: Auch Hirnforscher setzen in ihrem alltäglichen Selbstverständnis die verantwortliche Urheberschaft bei sich, ihren Mitarbeitern und den Patienten ständig voraus. Dieses Selbstverständnis einfach als Epiphänomen zu erklären, verrät einen deterministischen Dogmatismus, der zu hinterfragen ist. Dabei ist die Laborperspektive durch die Perspektive der Lebenswelt zu ergänzen, Außen- und Innenschau sind zu verschränken. Neben der neurophysiologischen Methode ist die Introspektion, das nach Innenhineinschauen, keineswegs zu verachten. Muss sie doch faktisch auch ständig vom Neurophysiologen geübt werden, wenn er seine Bilder und festgestellten Prozesse interpretieren will. Auch er muss dann, statt in den Kernspintomographen, „in sich selber hineinsehen“: Die jedem Menschen mögliche Selbstbeobachtung, unterstützt durch Verhaltensbeobachtung anderer, kann nicht nur zurückschauen. Sie kann die psychologischen Vorgänge sogar gleichzeitig im Ablauf erfassen.
In der Tat, jedermann kann es bei sich selber feststellen: So sehr ich in meinem ganzen Dasein äußerlich und innerlich abhängig und bestimmt bin, so bin ich mir doch dessen bewusst, dass dieses oder jenes zu guter Letzt eben doch an mir liegt: ob ich rede oder schweige, aufstehe oder sitzen bleibe, ob ich dieses oder jenes Getränk oder Kleidungsstück, diese oder jene Reise vorziehe. So sehr mein Gehirn spontan entscheidet, dass mein Auge jemanden anschaut oder mein Fuß einem Hindernis ausweicht: Sobald es jedoch nicht nur wie in jenen Experimenten um physische Kurzvorgänge etwa das Heben eine Arms oder Fingers geht, sondern um langzeitige Prozesse, die meine Reflexion erfordern – etwa die Wahl eines Berufs, die Annahme eines Jobs, die Wahl eines Lebenspartners – da muss ich mich mit verschiedenen Denkinhalten und Handlungsalternativen auseinandersetzen, muss mich entscheiden und unter Umständen auch meine Entscheidung korrigieren.
Der Tübinger Entwicklungsbiologe Alfred Gierer sagt: „Der Wille anderer ist mit objektiven Mitteln vermutlich nicht vollständig zu erschließen. Der Mensch kennt sich nicht einmal selbst zur Genüge – der Blick nach innen ist unvollständig –, und er erlebt sich in vieler Hinsicht erst in seinen eigenen Handlungen.“
Freiheit: eine Erfahrung also nicht nur des Denkens und Fühlens, sondern des Tuns. Eine Erfahrung aber nicht nur des Tuns, sondern – das möchte ich hinzufügen – auch des Nichttuns, des Versagens, des Schuldigwerdens. Denn im Vollziehen kann ich auch dieses Negative unmittelbar erfahren: Ich habe es nicht getan, aber ich hätte es tun sollen; ich habe das Versprechen gegeben, aber nicht gehalten; ich bin selber schuld, ich anerkenne meine Schuld, bitte um Entschuldigung – und hier müssen wir einen weiteren Gedankengang vollziehen: Ich fordere auch vom anderen Anerkennung der Schuld, wo ich nicht schuld war; das lag schließlich ganz in seiner Freiheit … In der Tat: was wäre Sittlichkeit ohne Verantwortung, was Verantwortung ohne Freiheit? Doch: auch die Sittlichkeit, das Ethos des Menschen hat sich erst langsam entwickelt! Und die Frage nach dem Anfang aller Dinge schließt auch ein: Woher kommen denn bestimmte ethische Werte, Maßstäbe, Normen?
Es ist nicht zu bestreiten, dass das ethische Verhalten des Menschen in seiner biologischen Natur verankert ist. Zu Recht stellen Soziobiologen die evolutionsbiologischen Faktoren in der Entwicklung zu ethischem Verhalten heraus: Der Mensch, aus dem Tierreich stammend, war zunächst vor allem egoistisch orientiert, er musste es sein. Gerade in den frühen Phasen der Menschwerdung war der Mensch um seines Überlebens willen stark an die biologischen Grund- und Rahmenbedingungen gebunden. Doch schon bei höheren Tieren findet sich ein genetisch angelegtes kooperatives Verhalten vor allem unter Verwandten oder sozial Vertrauten.
Auf den biologischen Grundbedingungen konnte nach der Zeit der Jäger- und Sammlerhorden die höhere kulturelle Entwicklung aufbauen. Die konkreten ethischen Normen, Werte und Einsichten haben sich allmählich – in einem höchst komplizierten soziodynamischen Prozess – herausgebildet. Je nachdem, wo sich Bedürfnisse des Lebens anmeldeten, wo sich zwischenmenschliche Dringlichkeiten, Notwendigkeiten zeigten, da drängten sich für menschliches Verhalten von allem Anfang an Handlungsorientierungen und Handlungsregulative auf: bestimmte Konventionen, Weisungen, Sitten, kurz: bestimmte ethische Maßstäbe, Regeln, Normen. Sie wurden im Lauf der Jahrhunderte, ja Jahrtausende, überall in der Menschheit erprobt. Sie mussten sich sozusagen einschleifen.
Erst nach Perioden von Eingewöhnung und Bewährung kam es zur allgemeinen Anerkennung solcher eingelebter Normen, später auch satzhaft formuliert, ja, in einzelnen Kulturen, exemplarisch in den „Zehn Geboten“ der Hebräischen Bibel, schließlich unter den Willen des Einen Gottes gestellt: Nicht nur „nicht morden, stehlen, falsches Zeugnis ablegen, Unzucht treiben“, sondern: „Ich bin der Herr, dein Gott … Du sollst nicht morden, stehlen, falsches Zeugnis ablegen!“ (Exodus 20,1-17).
Es gibt kein Volk ohne Religion und erst recht kein Volk ohne Ethos, das heißt: ohne ganz bestimmte Werte und Maßstäbe. Auf ihnen baut schließlich jede menschliche Gesellschaft auf. Dabei kann es sich wie bei den Urvölkern um ungeschriebene Normen handeln, überliefert in Geschichten, Parabeln und Vergleichen.
Es ist auffällig: Bestimmte elementare sittliche Standards scheinen sich überall auf der Welt zu gleichen. Ungeschriebene ethische Normen bilden nach Auffassung namhafter Kulturanthropologen den „Felsen“, auf dem die menschliche Gesellschaft aufgebaut ist. Man kann dies ein „Ur-Ethos“ nennen, das den Kern eines gemeinsamen Menschheitsethos, eines Weltethos, bildet. Ein Weltethos hat also sein Fundament nicht nur syn-chronisch in den heute gemeinsamen Grundnormen der verschiedenen Religionen und Kulturen weltweit. Es hat sein Fundament auch dia-chronisch in den schon in vorgeschichtlicher Zeit sich durchsetzenden Grundnormen der Stammeskulturen. Auch wenn selbstverständlich nicht jede Norm Element eines ursprünglich schon gegebenen Ethos ist, lässt sich doch zur Betonung der bei allen Transformationen gegebenen Kontinuität sagen: Heute gelebtes Welt-Ethos im Raum basiert letztlich auf einem in der Zeit erprobten Ur-Ethos.
Doch nun bin ich durch die Logik der Gedanken und die Kohärenz der Geschichte weit über meine ursprüngliche kosmologisch-anthropologische Thematik hinausgeführt worden. Da aber zumindest physikalisch die Theorie vom Anfang und die vom Ende des Kosmos zusammenhängen und sich auch in den biblischen Visionen verschiedene Parallelen zwischen Anfang und Ende finden, möchte ich zum Abschluss dieser Vortragsreihe kurz auf das – uns freilich ebenso wie der Anfang verborgene – „Ende aller Dinge“ zu sprechen kommen.
Die erste physikalische Hypothese geht aus von einem „pulsierenden“ oder „schwingenden“ Universum, das sich allerdings bisher in keiner Weise verifizieren ließ: Einmal, meint man, würde sich die Expansion verlangsamen; sie käme zum Stillstand und schlage in Kontraktion um, so dass das Universum sich in einem viele Milliarden Jahre dauernden Prozess wieder zusammenzieht und die Galaxien mit ihren Sternen schließlich immer rascher aufeinander zufallen, bis es möglicherweise – man spricht von mindestens 80 Milliarden Jahren nach dem Ur-Knall – unter Auflösung der Atome und Atomkerne in ihre Bestandteile zu einem erneuten großen Knall kommt, zum Big Crunch, zum End-Knall. Dann könnte vielleicht in einer erneuten Explosion wieder eine neue Welt entstehen. Vielleicht: denn – offen gesagt - mehr als reine Spekulation ist ein solches zwischen Phasen der Kontraktion und der Expansion „oszillierendes“ Universum nicht.
Die zweite Hypothese, die heute die Mehrheit der Astrophysiker hinter sich scharen dürfte: Die Expansion des als sehr flach vermessenen Universums schreitet ständig fort, ohne abgebremst zu werden und in Kontraktion umzuschlagen. Ja, das Universum, beschleunigt möglicherweise durch eine über das ganze Universum verteilte „dunkle Energie , dehnt sich immer rascher aus. Auch hier machen die Sterne ihre Entwicklung durch: Wenn ihr Energievorrat verbraucht ist, kommt es bei schweren Sternen zur Supernova-Explosion; da stürzt der innere Teil der Masse durch Gravitation ins Zentrum und es bildet sich ein Neutronenstern. Bei kleineren Sternen, wie etwa der Sonne, bildet sich zum Schluss ein sogenannter „Weißer Zwerg“, vielleicht so groß wie unsere Erde; dieser wird durch den Druck der Elektronen gegen ein Kollabieren durch die Gravitationskraft stabilisiert. Werden sich so aus der im Inneren der Sterne umgewandelten, ausgestoßenen Materie neue Sterne und Sterngenerationen bilden, so werden auch in diesen wieder Kernprozesse vor sich gehen, bei denen die Materie im Sterninneren schließlich zu „Sternenasche“ , zu Eisen und Nickel, verbrennt. Langsam wird Kälte im Kosmos einziehen, Tod, Stille, absolute Nacht. Aber schon lange vorher bläht sich unsere Sonne auf zu einem „Roten Riesen“ und verschluckt die Erde. Schließlich erlischt auch die Sonne, weil ihr Wasserstoff verbraucht ist. Auch dies reine Spekulation? Nein, die ständig weitergehende Ausdehnung des Universums ist beobachtbar und die verschiedenen Stadien von Sternentwicklung werden von den Astronomen erstaunlich präzise verifiziert.
Doch ich frage mich, soll man sich Angst machen um etwas, was sich, wenn überhaupt, erst in 5 Milliarden Jahren ereignen wird, wenn der Wasserstoffvorrat im Inneren der Sonne erschöpft ist? Das drängende, bedrohliche Problem für den durchschnittlichen Zeitgenossen ist nicht so sehr das Ende unseres Universums, von dessen ungeheurer zeitlicher wie räumlicher Ausdehnung die biblischen Generationen ohnehin keine Ahnung hatten. Das Problem ist vielmehr der Untergang der Welt für uns: das Ende unserer Erde, genauer das Ende der Menschheit: Weltuntergang als Ende der Menschheit – von Menschen gemacht.
Die Bilder und Visionen vom Weltende aus der jüdischen und christlichen Apokalyptik würden nun aber zweifellos missverstanden, wenn sie als eine Art chronologischer „Enthüllung“, als Apo-kalypsis, oder als Informationen über die „letzten Dinge“ am Ende der Weltgeschichte aufgefasst würden. Nein, alle diese biblischen Ankündigungen können für uns keinesfalls ein Drehbuch von der Menschheitstragödie letztem Akt sein. Denn sie enthalten keine besonderen göttlichen „Offenbarungen“, die unsere Neugierde hinsichtlich des Endes befriedigen könnten. Hier erfahren wir gerade nicht – gewissermaßen mit unfehlbarer Genauigkeit –, was im Einzelnen auf uns zukommt und wie es dann konkret zugehen wird. Wie die „ersten Dinge“, so sind auch die „letzten Dinge“ direkten Erfahrungen nicht zugänglich.
Aber was ist dann der Sinn dieser poetischen Bilder und Erzählungen vom Anfang und Ende? Sie stehen für das durch die reine Vernunft Unerforschliche, für das Erhoffte und Befürchtete. In den biblischen Aussagen über das Ende der Welt geht es um ein Glaubenszeugnis für die Vollendung des Wirkens Gottes an seiner Schöpfung: Auch am Ende der Geschichte von Welt und Mensch steht – Gott! Deshalb hat die Theologie keinen Anlass, das eine oder andere wissenschaftliche Weltmodell zu favorisieren, wohl aber das Interesse, den Menschen Gott als Ursprung und Vollender der Welt und des Menschen verständlich zu machen. Hier ist nämlich jeder Mensch vor eine Glaubensentscheidung gestellt. Nach der Botschaft der Bibel geht die Geschichte der Welt und das Leben des einzelnen Menschen hin auf jenes letzte Ziel der Ziele, das wir Gott, eben den Vollender-Gott heißen. Und wenn der Mensch ihn auch wie den Schöpfergott nicht beweisen kann, so kann er ihn doch bejahen, in jenem für ihn so vernünftigen, geprüften, aufgeklärten Vertrauen, in dem er schon Gottes Existenz bejaht hat.
Mit Walter Jens, mit dem ich vor 25 Jahren das Studium generale neu begründet hatte, habe ich vor gut zehn Jahren über „Menschenwürdig sterben“ geredet. Zu meinem persönlichen Verständnis von Menschenwürde gehört die theologisch begründete Hoffnung: Sterben ist Abschied nach innen, ist Einkehr und Heimkehr in der Welt Urgrund und Ursprung, unsere wahre Heimat: ein Abschied – je nachdem – vielleicht nicht ohne Schmerz und Angst, aber hoffentlich doch in Gefasstheit und Ergebenheit, jedenfalls ohne Gejammer und Wehklage, auch ohne Bitterkeit und Verzweiflung, vielmehr in hoffender Erwartung, stiller Gewissheit und beschämter Dankbarkeit für all das Gute und weniger Gute, das nun endlich definitiv hinter uns liegt – Gott sei Dank.
So kann ich denn das unfassbare Ganze der Wirklichkeit verstehen: Gott als Alpha und Omega, der Anfang und das Ende aller Dinge. Und deshalb ein Sterben ins Licht hinein: Mit dem Wort vom Licht auf der letzten Seite der Bibel, der Offenbarung des Johannes, möchte ich diese Vortragsreihe beschließen:
„Und es wird keine Nacht mehr geben, und sie brauchen weder das Licht einer Lampe noch das Licht der Sonne. Denn der Herr, ihr Gott, wird über ihnen leuchten und sie werden herrschen in alle Ewigkeit“.
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