PA4 - Sichtweisen-Modell zu Besprechungen/Rezensionen von Medien
PA4-12-11risikenIV0.2sichtweisen >PA4-12-11risikenIV4.2werteEU-prange + PA4-12-11risikenIV4.2werte-nussbaum <
PA4 - Sichtweisen-Modell zu Besprechungen/Rezensionen von Medien
(Print- , 40 J.), E-Media, AV/TV..,12 J.) Aktueller Stand 17.8.’12
Erkenntnisstufen in Platons Höhlengleichnis + Werte nach Prange, Nussbaum …. |
Sichtung+Wirkkraftauf der Basis der Schrift/Sprache/des Bildes: Elemente / Werkzeuge( Blickleseeffizienz, -führung, Textur, Struktur, Farb- bis s/w-Komposition, Perspektiven* mit und ohne Fluchtpunkt: höhlenmalerisch, kindlich bis ca. 9 J.; Shan Shui; axometrische*, Zentral-P.; sich annähernde Symmetrie, vorder- bis hintergründige Intentionen….) Wirkkraft–Stileabstrakt aktionistisch animistisch artbrut bukolisch dekonstruktiv dekorativ expressiv figurativ geomantisch geometrisch ichbezogen illustrativ impressiv indigen informel inszenierend konstruktiv kubistisch lyrisch monoman mythisch naiv ökoorientiert parodisch pathetisch poetisch popartig realistisch schamanisch sozreal subreal surreal universalistisch …
|
Charakteristika (oberhalb ---: Entbergung; unterhalb ---: Fragmentierung) http://de.wikipedia.org/wiki/Nocebo-Effekt hier transdisziplinär kultur-ästhetisch wirkschwächend zu betrachten |
5 Die Einsicht |
Sichtweisen: fragend nach Lebenswerten (5-1), -schichten, -stufen , dem „Leben in Amplitudenform (Prange, Prankl)“ durch- bis überschauend Leben+Sinn; Schönheit+Wahrheit; Selbstverwirklichung+Solidarität; Bewahrung+Erneuerung; … |
P: transdisziplinär: Humboldt > PA4, kultur-punkt … ------------------------------------------------------------------------------ N: disziplinär: einseitig, uneinsichtig; fachspezifisch bis zur Fachidiotie.. |
4 Die Erkenntnis |
:Umfeld Natur+Kultur; Idealismus+Realismus; Zivilcourage+Pflichtbewusstsein; Gleichheit+Elite; Fortschritt+Skepsis; Freiheit+Verantwortung; Toleranz+Prinzipientreue; Heimatliebe+Weltoffenheit; Nation+Union… |
P: nach Punkt, Absatz, Leere, zwischen Flächen, Pause, Stille, Zufall (Cage), das Unsichtbare, Unausgesprochenes… zusammen (mit 1-3) fassen ! ------------------------------------------------------------------------------ N: Sich verlieren, Verlorensein |
3 Die Bewegtheit |
: Ober/-Linie/-Feld Wissen+Fantasie (Glaube); Arbeit+Musse; Glück+Askese; Eros+Agape (Nächstenliebe); … |
P: Wirkkraft: immunkräftigend, re-/präsentativ bis aktivierend, innovativ-modisch, putativ abwehrend, protestierend ------------------------------------------------------------------------------ N: Wirkkraft: immunschwächend, epigonisch-modisch, banal, gewaltfördernd, herablassend, mobben, ausgrenzen .. |
2 Die Verwirrung |
: Mittel/-Linie/-Feld Glaube+Recht; |
P: Selbstsein: Entwirren, Entbergen, Klären ------------------------------------------------------------------------------ N: Selbstverwirrung: Es, Tag-/Traum, Rück/-blick,-zug |
1 Das Abgründige |
: Unter/-Linie/-Feld Friede+Selbstbehauptung; |
P: Aussersichsein : Traum, Ekstase, Verfremdung, Artbrut, Individuelle Mythologie … ------------------------------------------------------------------------------ N: Insichgefangensein: Trauma, (endogen fixiert), in urbanen Randzonen (banlieu, bidonville, Hinterhof, Souterrain).. bis zu exzessiver Gewalt: von Suicid bis Amok, para-/staatliche Folter bis anonymer Anarcho-Gewalt (links - rechts)…. |
m+w.p12-8 *) Projektionen, Perspektiven: X Breite horizontal-schräg hoch, Y Tiefe horizontal-schräg quer, Z Höhe vertikal-schräg .. Isometrie Design 1:1:1 , 30°/ 30° ; Dimetrie 1: 0,5:1 , 7°/42°; Architektur- Ingenieur-/Zentralperspektive 1:0,5:1 Höhe zu Breite 90° http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/ ; http://de.wikipedia.org/wiki/Axonometrie; Weitere Hinweise: http://archiv.kultur-punkt.ch/kulturreisen/merian-cmv13-2pilgern-boomt.htm http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-09-8transparenz-diskurs.htm http://archiv.kultur-punkt.ch/ereignisse/prankl-autofreies-biografisches06-1.htm
Die Lebenskunst und Das Abgründige
Diskurs Einladung ab März 2007 - virtuell & persönlich ab sofort zur Thematik
Die Lebenskunst und Das Abgründige Diskurs auf der Grundlage von PLATON, Der Staat : ..nur der Gerechte lebt gut und glücklich 353e-354a; ..im Leben werden vielfach die grossen Schurken nicht bestraft 364a; sorgfältige Erziehung dauert das ganze Leben 403c; Ungerechtigkeit stürzt das ganze private und öffentliche Leben um 424e; die Lebensordnung wird durch das Anschwellen des Triebhaften gestört 442b; mehr als der Verfall des Körpers macht der der Seele das Leben nicht lebenswert;…..das Leben eines Demokraten ist konsequente Inkonsequenz 561c/d (A); ….und 2 aktuelle Quellen, 2007 , SWR2 :
Wilhelm Schmid: Hilfe bei der Sinnfrage - Philosophie als Lebenskunst und Roman Herzog: Im Abgrund des Menschen - Zur Philosophie Giorgio Agambens << PA4-Diskurs-Tafel -Thema 07-3 Lebenskunst und Abgründiges>> Das Unsagbare (das der Sprache Entzogene) / indicibile ; das Unaussprechliche (jedoch für ein Subjekt mystisch Erfahrbare) / ineffabile ; Gewahren des Unausdrückbaren (inexprimabile) und Unbeschreiblichen im absoluten Schweigen ************************************************************************* Das Eine / unum entzieht sich der Sprache und ist deshalb undefinierbar archê tu pantos (Prinzip von allem, vgl. Sonnengleichnis) Ideen erkennen ihre Ursache
Kennzeichnend für die Gesprächsführung bei Platon und für PA4 ist die Enthaltung jeglicher Festlegung auf irgend einen dogmatischen Standpunkt. Diese Einstellung bildet den Rahmen, in dem all unsere Diskurse sich gestalten
Be- und Erziehung (Paideia) lebensbegleitend
Das kognitiv Eine: Wahre / verum Apollinisches digital - noetisch Mit logischer Erkenntnis arbeiten, begründetes Wissen Noetische Erkenntnis des einheitl. Ganzen in der Seele (= was erkennbar (gnôston) und wahr (alêthes) ist); Erkenntnis des Ursprünglichen Grund/Begründung des Logos |
Das ethisch Eine: Gute / bonum, kalokagathia syndesmos = Band (zw. göttl. Seele mit göttlicher Idee). Original, Modell: An-Sich-Sein Die Einsicht (noêsis), die dem Ganzen/Einen in den Seelen am nächsten kommt… = Annäherung; ≠ Verschmelzung 1.Ebene > SCHATTENWELT< Die Behinderung, Gefangenschaft, << ------Das Abgründrige------->> |
Das ästhetisch Eine: Schöne / pulchrum Dionysisches analog - metaphorisch Kenntnisse lassen sich nicht in Worte fassen nicht begründbares Wissen Sich Hineinleben, es entsteht ein Seelenlicht (Lichtmetaphorik)… es folgen Fingerzeige, Bilder des Hinweisens ausserhalb der logischen Sprache Stimmung(emotional) Assoziationen, |
PS.: Gerne empfangen wir von Euch wieder Diskursbeiträge zu dieser Thematik und weitere Anregungen:
Anselm Grün: Mein Weg in die Weite
W+B Agentur-Presseaussendung Mai 2003
<<Zum Grund des eigenen Lebens finden>>.
Buchbesprechung
365<<Anselm Grün: Mein Weg in die Weite>>
Im Gespräch mit Jan Paulas, 38, Kulturredakteur und Jarolsav Sebek, 33, Publizist, beide aus Tschechien
175 S.; mit zahlreichen biografischen Abbildungen im Anhang; kartoniert; EUR 8,90
Herder Verlag, Freiburg-Basel-Wien; 2003 / www.herder.de
Anselm Grün, 58, Dr.Theol., Verwaltungsleiter der Benediktinerabtei Münsterschwarzach, geistlicher Berater und Kursleiter, in denen er im Kern die Lebenskunst , erfüllt von Sehnsucht und Glück lehrt.
In einfachsten und zugleich berührenden Worten findet Anselm Grün überfüllte Säle vor, wenn vorträgt.
Wie lebt der Mensch, was sind seine Sehnsüchte, Antriebe? Was macht er anders als andere? Was sind seine Wurzeln? Schliesslich: Was ist seine persönliche Lebenskunst? Und was bestimmt seinen Alltag? Wie sieht der Mensch die Zukunft der Mystik im neuen Jahrtausend? Diesen Fragen spürt das Gespräch nach.
In der abschliessenden Frage wird Anselm Grün animiert zu sagen, was für eine Botschaft er den Menschen bringen wolle, würde er zum Engel: "...ich möchte sie aufmuntern, ihre Herzen zu öffnen... und ihnen auch sagen, dass sie sich selbst nicht verurteilen dürfen, weil Gott sie so annimmt, wie sie sind.... und wenn sie diesen Weg gehen, gelingt ihr Leben."
Alexander Nehamas: Die Kunst zu leben
86<<Die Lebenskunst verbirgt sich hinter vielen Masken>>
W+B Agentur-Presseaussendung vom Februar 2001
<<Alexander Nehamas: Die Kunst zu leben>>
Sokratische Reflexionen von Platon bis Foucault
Herausgegeben von Otto Kalscheuer
EuropäischeVerlagsanstalt/Rotbuch Rationen, Hamburg; 2000; 411 S.; kartoniert;
DEM 58,-/ ATS 423,- / SFR 52,- / EUR 29,80
www.rotbuch.de
Produktive Neugier, Orientierung, Vernunft im Plural, Antiautorität, aufklärende Kultur, das hat sich der Herausgeber Kallscheuer vorge-nommen, in seiner bereits 16 Themen umfas-senden Reihe. Nun ist Lebenskunst angesagt.
Alexander Nehamas ist Athener, Nietzschianer, 45 Jahre alt, Professor der Filosofie und Ver-gleichenden Literaturwissenschaft an der Uni Princeton.
Seine Beschäftigung mit der Lebenskunst gliedert Nehamas in zwei Abschnitte.
Das Schweigen und Stimmen.
Im Brennpunkt seiner Ausführungen steht die sokratische Methode: Filosofie als gelebte Technik, wobei der Fragende sich dabei verbirgt und der Angesprochene dazu aufgefordert wird, in eigenständiger Weise weiterzugehen, ohne dass er dabei sicher ist, unbeirrt zu sein.
Da kommt Ironie auf. Die Charaktere wird entblösst, aber nur, um mit dem Diskurs die Gesprächspartner zu verunsichern, zu "durch-löchern" (Nehamas). Dazu kommt er auch auf Montaigne zu sprechen:"Unsere Augen sehen nichts von dem, was hinter uns ist". Nehamas kommt zur der Einsicht, das die sokratische Ironie im Diskurs nicht als Täuschung des Gegenübers aufzufassen ist, sondern eine Weg-weisung in die Tiefe seiner oder zu einer anderern Seele bedeutet. Soweit Teil I.
Im Teil II: Stimmen kommt es zur Sichtung der Gründe. Dazu benutzt Nehamas den Ausdruck Physiognomie, Gesicht.
Platonisch gesehen, handelt es sich dabei um eine Symmetrieachse, wobei der Diskurs von links oder rechts sich quer bewegt und so dass das Mittige wohl einbezogen wird, jedoch keine Verweildauer hat, gleich einem sprechenden Gesicht (Anm.d.Rez.).
Dazu trägt vertiefend Kierkegaard's Aussage bei, dass "Ironie als Haltung" zu sehen ist und nicht als Werkzeug. Die Ironie steht also im Dienst der Idee/nlehre Platons und der praktizierten Reflexion vom Charakter Sokrates bis heute. Das ist "möglicherweise bereits die filosofische Kunst zu leben" (Nehamas).
Denn, folgert er weiter, in der Politea sind für die Handwerker, Mitbürger und Künstler, die Filosofen die Experten des Lebens.
Dennoch ist Platons Ironie, nach Nehamas, verstörender als die Sokrates. Dazu nennt er beispielhaft Thomas Mann's Zauberberg und die ironische Figur von Castorp als ausführlich diskutierten Beitrag.
Weiter nimmt er sich "seinen" Nietzsche zu Herzen und und lässt ihn über Sokrates u.v.a.m. reden: "lieber die Memorabilien des Sokrates" in die Hand, als Bibel, wo Montaigne und Ho-raz Vorläufer und Wegweiser zum Verständnis der Weisheit von Sokrates beitrugen.
Schliesslich, im letzten, 6. Kapitel wird Fou-cault und seine Position zu Sokrates behandelt.
Diesem geht es zentral um den Diskurs, knapp vor Sokrates Wissen um seinen Tod. Dieser allerletzte Diskurs ist nicht-politischer Beschaf-fenheit, Sokrates sorgt sich vielmehr um "eine Sorge, die sich um das Selbst sorgt" (verständ-lich gekürzt, Anm.d.Rez.).
Nehamas kommt zum Schluss, dass je länger er sich mit der Figur Sokrates beschäftigt und über Platon und nachfolgende Quellen zu destillieren versucht, desto vielschichtiger wird Sokrates.
Immerhin gesteht er, dass er "auf der Erde (mehr) beheimat" ist als Nietzsche und er hofft, dass seine tiefschürfenden Überlegungen seine Ergriffenheit um die sokratische Kunst zu leben und vom Leser bemerkt werden.
Da kann Alexander sicher sein, dass die interessierten Leser merken, wovon er so erfüllt ist, da seine Sprachkultur uns überzeugt, dafür auch Dank dem Übersetzer.
Dieses Buch ist überzeugend strukturiert, interpretiert, analysiert und übersichtlich geglie-dert. Quellenhinweisen gibt es zu jedem der sechs Kapitel, einer überzeugenden Biblio-grafie, ein Register mit Themen und Personen, sowie ein kluges Nachwort des Übersetzers aus dem Amerikanischen.
Es ist ein Diskurs-Buch für alle jene, die an der Entwicklung und Förderung der Filosofie, ins-besondere der von Sokrates, Platon, Mon-taigne, Nietzsche, Th. Mann und Foucault interessiert oder professionell beteiligt sind
Martin Kämpchen : Einfach tun . 44 Schritte zur Lebenskunst
Online-Publikation April2010 im Internet-Journal <<kultur-punkt>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Martin Kämpchen : Einfach tun . 44 Schritte zur Lebenskunst >>
rororo Taschenbuch, 112 S.; 978-3-499-62572-5; 8,95 €
Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek- Berlin, 2009; rororo - Reinbek, Berlin 2009; www.rowohlt.de;
Inhalt
Bewusster Leben durch Einfachheit – indische Lebenserfahrung verbunden mit europäischem Denken
Erwachen, sitzen, stehen, liegen: Das tun wir alle jeden Tag – ohne weiter darüber nachzudenken.
Der in Indien lebende Schriftsteller Martin Kämpchen verbindet westliches und östliches Denken und entdeckt, was diese Tätigkeiten wirklich bedeuten: Was der Morgen für eine besondere Zeit ist, weshalb das Sitzen die Haltung des Plänemachens ist und das Stehen zu höchster Wachheit führt, wir aber wirkliche Standfestigkeit und Ruhe erst im Liegen erreichen.
Die 44 poetischen Texte zeigen, wie aus dem Alltäglichen Schritt für Schritt eine bewusste Lebenspraxis wird. Martin Kämpchen macht klar: Wir können glücklich und erfüllt leben, wenn wir die Dinge «einfach tun».
Autor
Martin Kämpchen, 1948 geboren in Boppard am Rhein, studierte in Wien, Paris und Indien. Er lebt in Santiniketan (West-Bengalen/Indien), Kalimpong (Himalaya) und in Boppard als freischaffender Schriftsteller. Zuletzt erschien "Ghosaldanga. Geschichten aus dem indischen Alltag" (2006). Er übersetzte Rabindranath Tagore, Shri Ramakrishna und Svami Vivekananda. Bei Rowohlt erschien die Monographie "Rabindranath Tagore" (rm 50399).
Fazit
In acht Schritten (mittlerer Weg ?) gliedert Martin Kämpchen sein Anleitungsbuch " Einfach tun" der 44 Schritte zur Lebenskunst. Dabei geht es um "erwachen, wandern, kontaktieren, sich sammeln, einfach sein, baden, zuhören, suchen und ankommen "- bei sich - und das wünschen wir auch für uns. w.p.10-4
Wilhelm Schmid: Hilfe bei der Sinnfrage - Philosophie als Lebenskunst
SWR2 AULA - Prof. Wilhelm Schmid: Hilfe bei der Sinnfrage - Philosophie als Lebenskunst
Autor und Sprecher: Prof. Wilhelm Schmid *
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluch
Sendung: Montag, 1. Januar 2007, 8.30 Uhr, SWR 2
Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen. Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
ÜBERBLICK
Was hat Philosophie mit Lebenskunst zu tun? Es ist so
weit gekommen, dass man diese Frage stellen muss. Wer
Philosophie studiert, um mit ihrer Hilfe Lebensfragen
fuer sich zu klaeren, dem wird meistens von Spoettern
eine Psychotherapie empfohlen. Dabei stammt der Begriff
Lebenskunst aus der antiken Philosophie, ist also von
vorneherein philosophisch. Allerdings hat die Philosophie
diesen Bereich in den letzten Jahrzehnten aus den Augen
verloren, was mit der Dominanz von Wissenschaft und
Technik in der Moderne zu tun hat. Wilhelm Schmid,
Professor fuer Philosophie und Lebensphilosoph, zeigt,
warum es wichtig ist, zu den Wurzeln einer Lebenskunst
zurueckzukehren.
INHALT
Ansage:
Heute mit dem Thema: „Hilfe bei der Sinnsuche- Philosophie als Lebenskunst“.
Wer Philosophie studiert, um mit ihrer Hilfe wichtige Lebensfragen für sich und andere klären zu können, dem wird meistens von Spöttern eine Psychotherapie empfohlen, mit dem Hinweis: Moderne Philosophie habe sich schon längst aus der Lebenspraxis verabschiedet, sie sei blind geworden für die konkreten Bedürfnisse des Menschen. Infolgedessen kümmern sich die Exponenten der Universitätsphilosophie eher um Erkenntnistheorie, weniger um die Frage, was ist ein gelungenes Leben.
Genau für diesen Aspekt, diesen Bezug zum Leben, interessiert sich Wilhelm Schmid, Professor für Philosophie und Lebensphilosoph aus Berlin. Seine zahlreichen Bücher, seine Vorträge, sein Engagement in einem Hospiz – das alles dient einem Ziel: Schmid will zurückkehren zu den Wurzeln einer Lebenskunst, er will zeigen, dass die Philosophie dabei helfen kann, sein Leben auf sinnvolle Weise selbst in die Hand zu nehmen, selbst zu gestalten.
In der SWR2 AULA beschreibt Schmid die wichtigsten Aspekte seiner Lebenskunst.
Wilhelm Schmid:
Es ist das Anliegen meiner Arbeit seit vielen Jahren, Philosophie und Lebenskunst wieder aufeinander zu beziehen und eine „Philosophie der Lebenskunst“ neu zu begründen. Philosophie meint dabei zunächst nichts anderes als ein Innehalten und Nachdenken – das ist eine bescheidene Definition, aber Philosophie beginnt seit jeher mit diesem Moment. Sie ist die Eröffnung eines geistigen Raums, innerhalb dessen Lebensfragen gestellt und erörtert werden können, ohne dass es hierfür eines pathologischen Hintergrunds bedürfte. Wer Fragen an das Leben hat, ist nicht notwendigerweise krank, auch nicht „gestört“, und nicht unbedingt therapiebedürftig. Es gibt offenkundig heute eine wachsende Zahl von Menschen, die von Lebensfragen umgetrieben wird; das hängt mit der Situation und dem Zustand der Moderne zusammen. An wen können diese Menschen sich eigentlich wenden? Sie adressieren sich vermehrt an die Philosophie, jedenfalls solange bei manchen Therapien noch die Unterstellung eines pathologischen Hintergrunds vermutet wird, und solange Theologen noch fälschlicherweise mit überkommenen Methoden der „Seelsorge“ in Verbindung gebracht werden. Aber was für eine Art von Lebenshilfe bietet die Philosophie?
Ich übe mich selbst ein wenig darin, mit der regelmäßigen Arbeit in einem Krankenhaus nicht nur Theorien über die Lebenskunst aufzustellen, sondern auch in der Praxis damit zu arbeiten. Dass der Philosoph im Krankenhaus ein säkularer Seelsorger ist, mag fragwürdig erscheinen, aber der christlichen Seelsorge ging nun mal schon bei Sokrates und Platon die „Sorge um die Seele” (epiméleia tes psyches) voraus, die unter modernen Bedingungen wieder zu entdecken ist. Mit der vielleicht einzigen Differenz zur theologischen Seelsorge, dass die Philosophie lediglich mit Ideen arbeitet, während die Theologie auch in Bildern und Geschichten sprechen kann. Entscheidend sind die Gespräche, dieses gemeinsame Innehalten und Nachdenken, wie es abstrakt in Büchern geschieht. Am Spital sind es konkrete Gespräche, von Person zu Person, im Grunde mit jedem: Im Unterschied zum therapeutischen Gespräch also nicht nur mit Patienten und nicht nur aus Anlass eines sich stellenden Problems, auch nicht zielführend im Hinblick auf eine zu findende Lösung, sondern als Versuch, das je eigene Denken zu formulieren, alte Ideen zu überprüfen und neue Anregungen aufzunehmen. Was viele suchen, ist das Gespräch über das Leben, um sich über sich klarer zu werden. Das Gespräch wird zum Lebensgespräch und betrifft alles, was eine Rolle fürs Leben spielt. Beide Seiten kommen zu Einsichten und auf neue Gedanken, beide können gleichermaßen lernen in diesem Lebensgespräch. Wichtig ist, dem Gegenüber die Möglichkeit zu bieten, sich in Bezug auf das, was ist und was möglich ist, neu zu orientieren und eine tragfähige Lebenswahrheit für sich zu gewinnen. Dazu dient die philosophische Frage: „Was ist das eigentlich?“ Dazu dient es, Ideen zu klären, etwa die, die ein Mensch vom „Leben“, vom „Glück“, vom „Sinn“ hat, um klarer zu sehen, was sie beinhalten, sie sodann beizubehalten oder zu verändern und nach ihrer Umsetzung in die Praxis zu fragen. Wie die Erfahrung zeigt, kann das bloße Gespräch schon hilfreich sein. Das Selbst erfährt im Gespräch die Aufmerksamkeit, die ihm fehlte, die Zuwendung, die es entbehrte. Die bloße Aufmerksamkeit eines Anderen kann die Kräfte eines Menschen in außerordentlichem Maße aktivieren. Beflügelt hierdurch, wird das Gespräch zum Anlass für eine neue Selbstaufmerksamkeit. So wird es zum Ereignis, in dem ein Selbst sich von selbst wieder findet.
Das philosophische Gespräch ist seit der Zeit des Sokrates ein maieutisches Verfahren, eine Verfahrensweise der Geburtshilfe: Dem Anderen dazu zu verhelfen, seine Gedanken zu gebären. Denn nur diese Gedanken wird er als seine eigenen anerkennen, und das ist wesentlich für die Lebenskunst, denn nur den eigenen Einsichten wird ein Mensch letztlich, wenn überhaupt, auch folgen. Philosophie der Lebenskunst meint das Innehalten und Nachdenken über die Grundlagen und möglichen Formen eines bewusst geführten Lebens, und dieses „bewusst geführte Leben“, das ist Lebenskunst. Was darunter zu verstehen ist, war in der Tradition oft sehr genau, geradezu normativ, festgelegt, vor allem in der stoischen Philosophie: Man hatte leidenschaftslos und unantastbar zu sein, eben „stoisch“. Unter Bedingungen moderner Freiheit wird aber vieles im Leben zu einer Frage der Wahl, daher verfährt die erneuerte Philosophie der Lebenskunst optativ: Optionen, Möglichkeiten eröffnend, sie vor den Augen des Individuums ausbreitend, auch für und gegen die unterschiedlichen Optionen im Gespräch argumentierend, ohne jeden Anspruch auf alleinige Wahrheit oder gar Vollständigkeit, um letztlich eine überlegte eigene Wahl zu ermöglichen; nicht jedoch Normen vorschreibend, neue Verbindlichkeiten schaffend. Zu den Bedingungen moderner Freiheit gehört die Notwendigkeit der Selbstsorge und Selbstverantwortung des jeweiligen Individuums. Die Philosophie kann gleichwohl eine Reihe von konkreten Vorschlägen machen, die zur Gestaltung des Lebens und zum Gewinn von Selbstmächtigkeit dienen können, immer ausgehend von der Frage: Was ist grundlegend für das Leben, welche Möglichkeiten des Umgangs gibt es damit? Offenkundig hat menschliches Leben immer mit Gewohnheiten, Lüsten, Schmerzen und Tod zu tun und mit Fragen des Umgangs damit. Und vorweg mit dem Selbst selbst.
Auffällig häufig ist in der philosophischen Lebenskunst vom Einzelnen, vom Selbst, vom „Ich“ die Rede. Ein Schlüsselproblem unserer Zeit scheint allerdings darin zu liegen, dass dieses „Ich“, das von der Zeit der Moderne freigesetzt worden ist, gar keine Selbstbeziehung gewinnt oder sie stets aufs Neue verfehlt, und dies nach zwei Seiten hin: Als Selbstverlust, der keine gewählte, souveräne Selbstlosigkeit ist. Und als Selbstsucht, die keine gewählte, souveräne Selbstbeziehung ist. Daher geht es in der Lebenskunst zuallererst um die Beziehung des Einzelnen zu sich selbst. Deren Verfehlung würde zur Folge haben, dass auch die Beziehungen zu anderen nicht mehr zustande kommen. Lebenskunst ist die Sorge um ein maßvolles Selbstverhältnis, das in der Lage ist, das Selbst zu festigen und zu anderen hin zu öffnen.
Die grundlegende Aufgabe der Selbstbeziehung ist die Begründung eines „Wir“ – zunächst jedoch nicht in der Beziehung zu anderen, sondern innerhalb des Individuums selbst. Denn ein „Ungeteiltes“, wie das Wort glauben macht, ist das Individuum schon lange nicht mehr, daher die Arbeit am Wir im Selbst. Insofern das Ich selbst bereits eine Vielheit ist, finden sich in ihm alle Fragen und Probleme einer Gemeinschaft und Gesellschaft, die der Integration in einer Art von Wir bedürfen, einer Selbstbefreundung, um das Leben und Zusammenleben mit sich zu ermöglichen. Kunstvolle Gestaltung des Selbst und seiner Existenz setzt mit der Gestaltung der inneren Bindungen und Beziehungen ein, und das ist die eigentliche Herausforderung. Damit gibt das Selbst sich selbst Struktur und Form und macht sich und sein Leben zum Kunstwerk. Mit dem Zustandekommen des inneren wird die Arbeit an einem äußeren Wir neu begründet. Erst auf der Grundlage einer Einsicht in dessen Bedeutung wächst die Bereitschaft zu seiner Herstellung und Pflege. Zwar lässt sich weiterhin behaupten, der Mensch sei nun mal „von Natur aus“ ein soziales Wesen, aber dies kann in moderner Zeit negiert, ignoriert und destruiert werden, alle Beschwörungen ändern daran nichts. Das Zerbrechen von Gemeinschaft geschieht überall dort, wo Individuen Gründe dafür sehen, sich aktiv von Bindungen und Beziehungen zu befreien oder sie passiv durch mangelnde Pflege schwinden zu lassen.
Der Anfang für ein neues, inneres und äußeres Wir ist die Selbstbeziehung. Denn nicht über andere, nur über sich kann das Individuum im Zweifelsfall selbst verfügen. Aus guten Gründen galt in der antiken Philosophie das Erlernen des Umgangs mit sich selbst als Grundlage für den Umgang mit anderen: Denn nur der, der den Umgang mit sich selbst zu gestalten weiß, wird ein umgänglicher Mensch auch für andere. Im selben Maße, in dem ein Selbst die Beziehung zu sich gestaltet, wird es fähig zur freien Gestaltung der Beziehung zu anderen, und darum geht es bei der Arbeit an sich selbst, soll sie nicht bloßer Selbstzweck bleiben.
Was das Selbst eigentlich ist: Diese Frage muss offen bleiben. Es geht hier zuerst um eine provisorische Selbstkenntnis, die den Kriterien von Plausibilität und Evidenz genügt, als Resultat einer reichhaltigen Erfahrung und kritischen Betrachtung seiner selbst, um sich über sich selbst klarer zu werden. Die Kenntnis des gegebenen Selbst ist die Voraussetzung für die Selbstgestaltung, eine Arbeit an sich, die dem Selbst einen definierten Kern gibt, eine innere Festigkeit, eine „Integrität“. Es sind, aus Gründen der Überschaubarkeit, kaum mehr als sieben Eckpunkte, die diesen Kern bestimmen, und nur das Selbst kann sie für sich definieren:
1. Die wichtigsten Beziehungen der Liebe und der Freundschaft.
2. Die wenigen Erfahrungen, die fester Bestandteil des Selbst bleiben sollen.
3. Die Idee, der Traum, der Glaube, der besondere Weg und vielleicht das bestimmte Ziel des Lebens; die Sehnsucht, aus der das Selbst fast allein bestehen kann.
4. Die bestimmten Werte, die besonders geschätzt werden sollen.
5. Die bestimmten Charakterzüge und Gewohnheiten, die sorgsam zu pflegen sind.
6. Auch die spezifische Angst, die Verletzung, das Trauma, wodurch das Selbst sich im Kern definiert.
7. Vor allem aber „das Schöne“, an dem das Selbst sich orientieren kann: Wie immer es individuell und inhaltlich definiert wird, allgemein und formal kann es als Bejahenswertes gelten, als das, wozu das Selbst „Ja“ sagen kann, auch bezogen auf sich und die eigene Gestalt. Schön ist etwas, das Sinn macht, eine Arbeit, eine Lust, ein Schmerz, ein Gedanke – all das, was besonders bejaht wird und somit zur Quelle des Lebens wird, die mühelos auch größte Schwierigkeiten zu bewältigen ermöglicht.
Von Bedeutung sind die Gewohnheiten: Sie sind nicht etwa nebensächlich, denn ein großer Teil unseres Lebens spielt sich in Gewohnheiten ab. Die regelmäßige Wiederholung und die Dauerhaftigkeit des immer gleichen Vollzugs (eine Geste zu machen, eine Handlung auszuführen, eine Perspektive einzunehmen, einen bestimmten Gedanken zu denken etc.) dienen dazu, etwas zur Gewohnheit werden zu lassen, so dass es sich von selbst versteht und ohne Mühe, ohne weiteres Nachdenken abläuft und in der Zeit verankert wird. Aufgrund von Repetition und Regelmäßigkeit der Ausübung bringt die Gewohnheit eine Entlastung von der Wahl mit sich. Aus dem Prozess der Gewöhnung geht zudem jene Vertrautheit mit einer Umgebung hervor, die man im engeren, unmittelbaren und im weiteren, übertragenen Sinne Wohnung nennen kann. Das Leben kann sich einrichten, wenn Gewohnheiten die Fremdheit durchbrechen und für Vertrautheit sorgen. Die innige Verflochtenheit von Gewohnheit und Wohnung charakterisiert den Raum, der bewohnt wird. Mit jedem Wechsel einer Wohnung, bei jedem Verlust eines persönlichen Umgangs, bei jeder Auflösung einer Beziehung ist das eigentliche Problem die Entwöhnung von Gewohnheiten. Mit verschiedenen Arten von Gewohnheiten hat das Subjekt der Lebenskunst grundsätzlich zu tun: Zunächst unreflektiert aus der Erziehung und der umgebenden Kultur übernommenen, die man heteronome Gewohnheiten nennen kann. Eine Bewegung, eine Geste wird übernommen und angeeignet, ohne es recht zu bemerken, nur weil sie gefällt oder weil zufälligerweise keine andere Form zur Hand ist. Das alltägliche Leben wird gewöhnlich aus diesem Fundus bestritten. Die andere, für die Lebenskunst besonders relevante Form sind autonome Gewohnheiten, die der Selbstgesetzgebung unterliegen. Es kann sich hierbei erneut um heteronome Gewohnheiten handeln, die jedoch nicht mehr unreflektiert bleiben, sondern nun bewusst angeeignet werden. Es käme darauf an, sich die eigenen Gewohnheiten bewusst zu machen, um diejenigen beizubehalten, die sinnvoll erscheinen, und sei es nur dafür, in einem Netz von Gewohnheiten leben zu können; andere aber womöglich sich abzugewöhnen.
Grundlegend und eine Herausforderung für das Leben und somit für die Lebenskunst ist der Umgang mit Lüsten: Wenn Lebenskunst auch der Sorge bedarf, so doch ebenso der Sorglosigkeit, wie sie der Genuss der Lüste verspricht, die genießerische Form der Existenz, die ohnehin im Begriff der Lebenskunst immer vermutet, hier aber optionalisiert wird. Gegenüber der Anspannung der Sorge, der ängstlichen wie auch der klugen Sorge, bürgt der Genuss für die erforderliche Entspannung, nicht um die Sorge völlig aufzuheben, sondern um sie erneut zu ermöglichen, ein Wechselspiel von Lust und Sorge. Das Kalkül beim bewussten Gebrauch der Lüste zielt darauf, sie im Maß zu halten und nicht auf einmal aufzuzehren. Die vorsätzliche Begrenzung der Lüste hält die Sehnsucht nach ihrem Genuss wach, denn Sehnsucht gilt nur einem Gut, das nicht beliebig verfügbar ist. Das richtige Maß ist dabei nicht von vornherein festgelegt, es kann gelegentlich auch der Exzess damit gemeint sein, etwa um sich allzu starr gewordener Gewohnheiten wieder zu entledigen; der Genuss gibt dem Leben neuen Auftrieb. Vieles liegt an der wählerischen Haltung im Umgang mit den Lüsten, um selbst darüber zu befinden, welche Lust wann, wie lange, mit wem, in welcher Situation, in welchem Maße und bis zu welchem Punkt zu gebrauchen ist. Die Lebenskunst kann auch in einer Vervielfältigung der Lüste bestehen, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen: Lüste der Sinne, also des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens und Spürens, die ein inniges, intimes Genießen gestatten; Lüste des Denkens und der Reflexion, die sich in der Distanz der Abstraktion vollziehen; Lüste des Träumens und der Phantasie, in denen das Selbst fern ist von jedem Kalkül; Lüste der Erinnerung, die das gelebte Leben zu wiederholen erlauben; Lüste der Lektüre und des Gesprächs, die die Weite des Lebens zwischen Einsamkeit und Geselligkeit erfahrbar machen; Lüste des Lachens in allen Variationen, die Körper, Seele und Geist zugleich in Vibrationen versetzen; Lüste des bloßen Seins, die sich der Muße und Gelassenheit verdanken; Lüste des nomadischen Seins, die aus der vielfältigen Begegnung mit Anderen und Anderem resultieren. Die Fülle der Lüste und der gekonnte Umgang mit ihnen ermöglicht ein Wohlfühlglück, ein Wohlgefühl in einzelnen Momenten. Es wäre allerdings überfordert, wenn ihm Dauerhaftigkeit abverlangt würde.
Neben den Lüsten sind es die Schmerzen, die von Bedeutung fürs Leben und die Lebenskunst sind. Der Umgang mit Schmerzen zeigt vielleicht am deutlichsten, was die Rede vom „Optativen“ meint. Keine Frage, dass es eine Schwelle der Erträglichkeit von Schmerz für jedes Individuum gibt, aber nicht jeder Schmerz muss geflohen, nicht jeder noch so kleine somatische Schmerz betäubt, nicht jedes psychische Leid schon im Ansatz erstickt werden. Medizin und Schmerztherapie verfügen zwar über ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten, auf Schmerzen zu antworten, die aber nicht alle dem Konzept der Intervention folgen müssen, wonach Schmerzen zu bekämpfen und nach Möglichkeit aufzuheben sind; sie können vielmehr, wo immer dies möglich ist, dem alternativen Konzept der Integration folgen, wonach Schmerzen ebenso wie Lüste ins Leben aufzunehmen und der Integrität des Selbst einzugliedern sind. Der Schmerz scheint das Eigenste zu sein, dessen das Selbst fähig ist, denn es ist sein Schmerz, sein Eigentum – ein Eigentum, das niemand sonst haben will, das einzige Eigentum, das keinen Neid auf sich zieht. Wie die Lust ist der Schmerz zu einer unerhörten Intensität in der Lage, aber im Unterschied zu ihr trifft er die Existenz tatsächlich in ihrem eigensten Kern, dort nämlich, wo sie von Auslöschung bedroht ist. Diejenigen, die durch den Schmerz gegangen sind, wollen gerade diese Erfahrung nicht missen, die ihnen das Leben auf neue Weise erschlossen hat. Der Schmerz zwingt die Sorge herbei, die das Selbst wieder auf den Weg zu bringen vermag. Er lässt nicht nach und lässt keine Gewöhnung zu, die das Selbst darüber hinwegtäuschen könnte, dass seine Sorge nun existenziell vonnöten ist. Der Schmerz erinnert uns auch frühzeitig an den Tod, den wir vielleicht aus unserem Leben, wenngleich vergebens, auszuklammern versuchen. Findet der Schmerz, das „Negative“ überhaupt, noch in der eigenen Idee des Lebens Platz, dann ist ein dauerhaftes, umfassendes Glück möglich: Das Glück der Fülle.
Aber soll das nun die neue Norm sein: Sich und das Leben gestalten zu müssen? Keineswegs, auch dies obliegt grundsätzlich einer Wahl. Es gibt lediglich ein gutes Argument dafür: Die Begrenztheit des Lebens ist das finale Argument dafür, das eigene Leben nicht im bloßen Möglichkeitsfeld zu belassen, sondern als Element seiner Gestaltung die Auswahl einiger Möglichkeiten zu verstehen, deren Realisierung alle Energie gewidmet wird, mit Bezug auf jene Möglichkeit des Lebens, die der Tod ist, dem offenkundig nicht zu entkommen ist, so dass der Umgang mit ihm grundlegend für das Leben ist. Tod bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Leben überhaupt, sondern dass es in dieser Form zu Ende ist. Der Tod ist eine Grenze, und die philosophische Lebenskunst gründet im Bewusstsein von der Begrenztheit des Lebens. Man kann sogar sagen, dass dem Tod die Begrenzung des Lebens zu verdanken ist, denn wenn es diese Grenze nicht gäbe, könnte das Leben in der Tat als gleichgültig erscheinen. Gäbe es den Tod nicht, müsste man ihn wohl erfinden, um nicht ein unsterblich langweiliges Leben zu führen, das darin bestünde, das Leben endlos aufzuschieben. Welchen Ehrgeiz sollte es geben, die schwierige Arbeit des Lebens, ja schon die Mühe des Aufstehens an jedem Morgen auf sich zu nehmen, wenn all dies auf ewig verschoben werden könnte? Der Tod als Grenze des Lebens fordert dazu auf zu leben und auf erfüllte Weise zu leben.
Daher die Affirmation der Begrenzung: Um das Leben nicht einfach nur dahingehen zu lassen, sondern es wirklich zu leben, solange es währt. Daraus, dass diese Grenze in jedem Fall gezogen wird, in welcher Form und wann auch immer, bezieht das Subjekt der Lebenskunst die entscheidende Motivation zur Gestaltung des Lebens. Natürlich muss man kritisch fragen: Kann das Leben, das wir leben, wirklich unser „eigenes“ sein? Es wird bestimmt von Faktoren, auf die wir anscheinend keinen Einfluss haben, von Mächten, die nach Belieben mit uns umzuspringen scheinen. Gleichwohl wird dieses Leben zu unserem eigenen – spätestens am letzten Tag. Nur wir selbst werden es zu Ende bringen, niemand sonst, wer oder was auch immer es bestimmt haben mag. Wir allein sind – vor uns selbst – für dieses Leben verantwortlich, niemand sonst wird – jedenfalls am ultimativen Punkt – diese Verantwortung übernehmen. Das ist der äußerste existenzielle Ernst, der allein dazu führen kann, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Grundlegend für die Lebenskunst ist zuletzt jedoch, dem Leben ein Ziel und auch auf diese Weise Sinn zu geben. Erneut hat das Selbst für sich selbst eine Wahl zu treffen. Ein Vorschlag hierfür: In der antiken Philosophie wurde das Ziel der Lebenskunst gerne als das Schöne bezeichnet, ein ebenso faszinierender wie zerfließender Begriff. Sagte jemand, er tauge nicht zur Philosophie, erhielt er von Diogenes (der in der Tonne lebte) umgehend zur Antwort: „Wozu also lebst du, wenn du dich nicht darum sorgst, schön zu leben?“ In der Tat ist es fraglich, ob ein Leben ohne Orientierung am Schönen überhaupt möglich ist. Daher erscheint es sinnvoll, „das Schöne“ zu rehabilitieren und zugleich neu zu definieren, um dem Begriff einen fassbaren Inhalt zu geben: Schön ist das, was als bejahenswert erscheint. Als bejahenswert erscheint es in einer individuellen Perspektive, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Das Schöne sollte aber nicht zu einem ästhetizistischen Missverständnis führen: Bejahenswert kann keineswegs nur das Angenehme, Lustvolle, „Positive“ sein, sondern ebenso das Unangenehme, Schmerzliche, „Negative“ – weil es die tiefere Erfahrung sein kann, die weiter bringt. Das Schöne umfasst auch das Misslingen, entscheidend ist, ob das Leben insgesamt als bejahenswert erscheint.
Wenn das Motiv dafür, das Leben überhaupt zu gestalten, von der Kürze des Lebens herrührt, dann der Anstoß dazu, es schön zu gestalten, von der Sehnsucht nach der Möglichkeit, es voll bejahen zu können. Schön ist das, wozu das Individuum Ja sagen kann. Vor diesem Hintergrund kann der grundlegende Imperativ der Lebenskunst formuliert werden, der jeden einzelnen Schritt des Individuums in den Horizont der Gesamtheit der Existenz stellt und nur vom Individuum selbst in Kraft gesetzt werden kann, ein einfach erscheinender existenzieller Imperativ: Gestalte dein Leben so, dass es bejahenswert ist. Das stellt den Prüfstein dar, an dem das eigene Leben immer wieder gemessen und beurteilt werden kann. Sollte das Leben so, wie es gelebt wird, nicht bejahenswert sein, dann wäre es zu ändern. Das schöne Leben ist auch politisch zum Argument zu wenden, um an gesellschaftlichen Verhältnissen zu arbeiten, die bejahenswerter sein könnten als die gegenwärtigen, und die im Gegenzug wiederum eine bejahenswertere Existenz ermöglichen würden. In keiner Weise ist mit der Rede von Bejahenswertem schon eine Aussage darüber gemacht, ob das Bestehende auch das Bejahenswerte sei.
So kann Lebenskunst tatsächlich heißen, sich ein schönes Leben zu machen, im Sinne von: Das Leben bejahenswerter zu machen, und hierzu eine Arbeit an sich selbst, am eigenen Leben, am Leben mit Anderen und an den Verhältnissen, die dieses Leben bedingen, zu leisten. Jedenfalls meint das schöne Leben nicht das Wohlfühlglück allein, meist als angenehmer Dauerzustand vorgestellt, voller Lust, ohne Schmerz – ein Zustand, den die meisten nicht erreichen und darob unglücklich sind, während die, die ihn erreichen, auch nicht zu beneiden sind: Ihnen wird langweilig. Es war der Utilitarismus, der das „Glück“ für die Moderne als Maximierung von Lust und Eliminierung von Schmerz definierte. Wenn für das schöne Leben der Begriff des Glücks eine Rolle spielt, dann eher der wiedergewonnene eines Glücks der Fülle, zurückzubeziehen auf die aristotelische und epikureische Eudaimonia sowie die stoische Beatitudo: Es beruht auf der Selbstaneignung und Selbstmächtigkeit des Individuums, das sein Leben bewusst führt. Es handelt sich nicht unbedingt um das, was man ein leichtes Leben nennt, eher um eines, das voller Schwierigkeiten ist, die zu bewältigen sind, voller Widerstände, Komplikationen, Entbehrungen, Konflikte, die ausgefochten oder ausgehalten werden – all das, was gemeinhin nicht zum Glücklichsein zählt. Ein Leben auch, das möglicherweise über seine Endlichkeit hinaus zu einer Transzendenz hin geöffnet ist. Dazu zu befähigen, das Leben unter Abwägung all der grundlegenden Aspekte richtig zu führen, ist das Anliegen einer philosophischen Lebenskunst.
*****
* Zum Autor:
Wilhelm Schmid, freier Philosoph, geb. 1953, lebt in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Regelmäßige Tätigkeit als „philosophischer Seelsorger“ am Spital Affoltern am Albis bei Zürich.
Homepage: www.lebenskunstphilosophie.de
Jüngste Buchpublikationen:
- Mit sich selbst befreundet sein. Von der Lebenskunst im Umgang mit sich selbst, Suhrkamp Verlag, Reihe Bibliothek der Lebenskunst, Frankfurt a. M. 2004, 3. Auflage 2004. Übersetzungen: Niederländisch (2004).
- Die Kunst der Balance. 100 Facetten der Lebenskunst, Insel Taschenbuch, Frankfurt a. M. 2005, 3. Auflage 2006. Übersetzungen: Niederländisch (2005), Lettisch (2006).
- Die Fülle des Lebens. 100 Fragmente des Glücks, Insel Taschenbuch, Frankfurt a. M. 2006
Otfried Höffe: Macht Tugend schön? Über Lebenskunst und Moral
Online-Publikation: Oktober 2011 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Otfried Höffe: Macht Tugend schön? Über Lebenskunst und Moral . Jackob Burckhardt - Gespräche 25 auf Castelen >>
38 Seiten. Broschiert. ISBN 978-3-7965-2746-3; sFr. 14.- / € (D) 10.- / € (A) 10.50
Schwabe Verlag, Basel; www.schwabe.ch; Christoph Merian Stiftung, www.merianverlag.ch;
Inhalt
«Die schöne Seele begnügt sich weder mit einer nur ästhetischen Schönheit noch mit bloßer Moral. Sie bedeutet eine Ganzheit und umfassende Wertschätzung, eine umfassende und zugleich in sich ruhende Humanität.» Otfried Höffe
Macht Tugend schön? – Schon diese Frage wirkt irritierend, weil wir die Schönheit eines Menschen mit seiner körperlichen Schönheit verbinden, die aber kaum mit der Moral zusammenhängt. Dieses verkürzte Verständnis herrschte freilich nicht immer vor: Noch in Schillers «schöner Seele» begegnet uns das aus der Antike stammende Verständnis der Schönheit als jener vollkommenen Einheit des Menschen, in der sich ästhetische Schönheit und Moral mit dem eigenen Glück verbinden. Weil sich jedoch das eigene Glück und die Moral zu widersprechen scheinen, entsteht eine Schwierigkeit: Muss, wer glücklich sein will, der Moral zuwiderhandeln, und muss, wer die Moral anerkennt, sein eigenes Lebensglück aufs Spiel setzen? Der Frage, die sich auch im alltäglichen Leben immer wieder stellt, geht Otfried Höffe in dem Büchlein «Macht Tugend schön? Über Lebenskunst und Moral» nach.
Der Autor
Otfried Höffe, geb. 1943, studierte Philosophie, Theologie, Geschichte und Soziologie in Münster, Tübingen, Saarbrücken und München, wo er 1970 zum Dr. phil. promovierte. Seit 1992 ist er Lehrstuhlinhaber für Philosophie am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen, Mitglied ihrer Juristischen Fakultät und seit 1994 Gründer sowie Leiter der Forschungsstelle Politische Philosophie. Darüber hinaus ist er ständiger Gastprofessor für Rechtsphilosophie der Universität Sankt Gallen, überdies Mitglied deutscher und ausländischer wissenschaftlicher Akademien..
Fazit
«Die schöne Seele begnügt sich weder mit einer nur ästhetischen Schönheit noch mit bloßer Moral. Sie bedeutet eine Ganzheit und umfassende Wertschätzung, eine umfassende und zugleich in sich ruhende Humanität.»Genau das vermittelt mit grossem Impetus die Schrift von Otfried Höffe" Macht Tugend schön? Über Lebenskunst und Moral im Jackob Burckhardt - Gespräch 25 auf Castelen " von Otfried Höffe. Er stellt fest, dass heute das Verständnis als "vollkommene Einheit" des Menschen verloren gegangen sei - Schiller, Rousseau und Wieland sind sozusagen die letzten Zeitzeugen auf dieser Zeitreise. Höffe thematisiert diese Lebenskunst in I Besonnenheit./ Eudaimonie, frägt - ist Autonomie kontra Eudaimonie und warum moralisch? Schliesslich kommt Höffe zu Kant und dessen These dazu, für diesen " wäre die schöne Seele ein Ideal / Vollkommenheit, sofern sie in einem Individuum / nur im stoischen Weisen und nicht in einer realen Person / nur als personalisiertes Ideal, existiert". Diese visionäre Utopie zur tugendhaften Schönheit wäre aber ein mögliches Gegenmuster zur Lebenskunst, gerade heute, das schimmert optimistisch leuchtend aus den verständisinnigen Ausführungen von Höffe hervor. m+w.p11-10
|
Zechyr oder Das Monomane: Das Abgründige im Selbst
<<sammlung am kulturpunkt>> Othmar Zechyr + 6
http://archiv.kultur-punkt.ch/galerie/sammlung/gs-zechyr.htm (Bildzugang)
Fazit
Zechyr oder Das Monomane: Das Abgründige im Selbst, das im inneren Ich Be- und Ge-fangenSein, dessen Widerschein nach aussen projizieren
Textquelle: Othmar Zechyr: Grafik Nur ein toter Künstler ist ein guter Künstler. Autobiografisches rund um Zechyr: ZECHYR habe ich Anfang 1960 kennen und zugleich schätzen gelernt. Zu dieser Zeit organisierte ich erstmals eine eigene Ausstellungsaktivität, die Galerie 7 für Zeitgefährten in Wien, die ähnliche oder auch gegensätzliche Ziel hatten, jedenfalls aber im wesentlichen figurativ Tätige einlud, auszustellen. Damals arbeitete Zechyr vorallem mit schwarzer Kreide und einer geradezu unheimlichen dramaturgischen Tragik, die auch seine Lebensumstände kennzeichnete. Er war immer unterwegs etwas Geld auszuleihen, das derjenige, wie auch ich, nie mehr zurückbekam. Aber irgendwie schaffte es Zechyr, wie in der Erzählung von Böll: Das schwarze Schaf, ein Vertrauen aufzubauen, um so zu seinem für ihn auch existenziell wahrhaftigen Ziel zu kommen. Allerdings gab er auch im Gegenzug Grafiken, so wurde ich auch damit entschädigt. Immerhin hatte er damals bereits mit Marini, E. Greco, Manzu und Kokoschka Bekanntschaft gemacht und sich so sehr früh vororientiert, um effienter zu seinem Weg zu kommen. Seine Thematik galt zu dieser Zeit besonders dem Aussenraum: Bahnhöfe und Bauten in Wien und in Salzburg....; darüber hinaus interessierten Zechyr die Wartesäle und die dort Herumstehenden, Sitzenden und Liegenden. So habe ich seine Ent- und Verwicklungen in seinem Leben kennengelernt, auch mit meinen damals wie heute kargen Mitteln unterstützt, aber mit der steten geistigen Präsenz für schöpferische Menschen wie ihn, Zechyr ist inzwischen verstorben, eine geistig-soziale Zuwendung geübt, damals mehr instinktiv, die ich bis heute mit anderen Zeitgefährten gleichermassen lebensbegleitend pflege. So hatte ich bei Zechyr oft ein etwas banges Gefühl, ob er sein Leben als Person entfalten kann. Als Künstler war er für mich sofort unanfechtbar, obgleich Leute wie Peter Baum, später Leiter der Neuen Galerie in Linz, sowie andere Kritiker damals, ihm nicht sehr wohlwollend gegenüber standen. Erst nach seinem Tod darf er, nach Wien, als „Grosser“ in die Linzer Galerie einziehen: Nur ein toter Künstler ist ein guter Künstler. Zechyr war für mich ein Stadtindianer und ästhetischer Revoltierer und Visionär zugleich, auch bis hinein ins Rotlichtmilieu. Da ich damals als freier Grafiker, werdender Architekt und -Zeichenknecht, Städtebauvisionär und beginnender Publizist tätig war, haben wir uns meist nachts in den Stadtcafes rund um den Ring und den Gürtel, den sogenannten Arbeitervierteln herumgetrieben und diskutiert über „ den Umbau, Rückbau und die De-Struktion der Zuvielisations-Gesellschaft, von der damals nicht einmal Coop Himmelblau träumten. Jedenfalls haben wir im Schatten der Zeit unbeirrt weiter gearbeitet, wie es sich für einen toten, daher guten Künstler gehört, zeitlebens. Zechyrs Bilder insbesondere von damals zeigen die Vision einer anarchischen, asozialen Stadt, samt den Trümmern, Resten, Schutt- und Schrotthaufen der ausgedienten und auch noch von den Bomben des Krieges gezeichneten Häusern in den Aussenbezirken Wiens... Fazit: Zechyr verbleibt als künstlerischer Weggefährte der frühen Jahre für immer in meinem Innersten geborgen. Walter Prankl, MA., DJV 11/ 2003 *****