Viktor Frankl: Logotherapie und Existenzanalyse

96 Lebensgestaltung<<Kollektiv - nicht schuldig. SINN-Verantwortung zählt>>
W+B Agentur-Presseaussendung vom März 2001
<<Viktor Frankl: Logotherapie und Existenzanalyse>>
Texte aus sechs Jahrzehnten
(Wissenschaftlicher Beirat der PVU besteht aus folgenden Universitäts-Prof. Dr.-en: W.Bungard/Mannheim, E.D. Lantermann/Kassel; R.K.Silbereisen/Jena, H.U.Wittchen/München)
Diskursbuch, Psychologie Verlags Union / Verlagsgruppe, Beltz, Frankfurt; 1998; 334 S.; kartoniert; DEM 54.- / ATS 394.- / SFR 51.50

".. ich lehne es ab jemanden kollektiv für schuldig zu sprechen.." sagt Viktor Frankl, nach dem Holocaust 1988 vor 35.000 Zuhörern in Wien. Denn, folgert er weiter, Kollektivschuld gibt es nicht, nur persönliche Schuld, psychiatrisch gesehen ist rückwirkende Kollektivschuld jeman-dem Dritten einzureden ein Verbrechen, Wahnsinn. Es ist immer der ganze Organismus (planetarisch gesehen), der erkrankt ist. Das sagt einer, dessen gesamter Familien- und Freundeskreis in KZ-Lagern umgekommen ist und er selbst überlebt hat, ohne "in den Draht" zu rennen.
Diese Rede kennzeichnet auch zugleich der Sinn des Lebens von Frankl, anderen zu helfen, in ihrem Leben einen Sinn zu sehen, führt Giselher Guttmann in seinem Vorwort aus.
In zwölf Abhandlungen wird die geistige Pro-blematik der Psychotherapie vorgestellt (1938), die hinter körperlichen Symptomen die seelischen Ursachen sieht. Hinzu tritt die seelen-ärztliche Selbstbesinnung. Immer noch wird die Analyse mit der Therapie der Psyche verwechselt.
Das macht Frankl klar: Therapie ist in doppelter Hinsicht eine Existenzanalyse im Ganzen (Eros, Logos, Ethik, 1939) und eine Analyse auf die Existenz hin (Menschsein, Dasein als Verantwortlichsein). Dieser weltanschauliche Aspekt ist für Frankl eine notwendige Zeitforderung .
Dazu tritt die Erfahrung medikamentöser Unterstützung der Therapie, vor allem bei Zwangs-/ Neurosen (1939). Dabei wird die Denkfunktion gefördert, sie wird treffsicher und präziser, gesprächsfähig, zumindest zeitweise.
1959, beschäftigt sich Frankl mit dem Grundriss der Existenzanalyse (Geistigkeit, Freiheit, und wofür und wovor Verantwortlichkeit des Men-schen bei Lust und Wert, Trieb und Sinn steht); dabei werden kollektiven Neurosen mit einbezogen, da sie ein existenzielles Vakuum aufzeigen. Das ist sein anthropologische Ansatz. Der psychotherapeutische Ansatz umfasst die Logotherapie als ärztliche, psychotherapeutische Behandlungsform. Dazu dient die Differenzial-diagnose: Wahnsinn oder Ahnsinn/Prophetie (Muralt). Im weiteren gliedert Frankl den homo sapiens grafisch in einem Kreuzdiagramm in den homo faber: waagrecht <Misserfolg : Erfolg> und homo patiens: lotrecht <Erfüllung : Verzweiflung>.
In der ersten Linie gilt die Erfolgsethik, in der zweiten Linie stellt sich die Frage nach der Sinnethik (Anm. d.Rez.).
Schliesslich führt uns Frankl zur Frage nach dem Sinn des Lebens und dem Sinnbedürfnis. Er zitiert dazu Werfel: "Durst ist der beste Beweis für die Existenz von so etwas wie Wasser". Leiden ist also der beste Beweis, dass Lust existiert, folgern und schliessen wir und sind dankbar für dieses wertvolle Diskursbuch zur Seele und unserer Verantwortung für sie

Die Einzelnen und ihr/der Staat

PA4-Diskurs-/Denkbild-Grundlage für den 25.03.2004

<<Die Einzelnen und ihr/der Staat>>

Alain, Carolle, Marga, Walter;

Quellen: PA4 25.06.00; Butterwegge 07.03.04 SWR2; Platon, Politeia 420b ff, 473e, 519ff, 564a, 576c

 

Kennzeichnend für die Gesprächsführung bei Platon und für die PA4 ist die Enthaltung

Jeglicher Festlegung auf irgendeinen dogmatischen Standpunkt.

Diese Einstellung bildet den Rahmen, in dem all unsere Diskurse sich gestalten.

 

Apollinische En-stase

 

Die Ethik der Väter, der alten Dichter und der Religion

setzt sich für die Gerechtigkeit ein

wegen dessen, was ihr folgt:

guter Status in der Gesellschaft, Hochschätzung in der Meinung

der anderen, Belohung durch die Götter im Jenseits bzw.

in dieser Welt mittels vieler Nachkommen

 

unbefangene Sittlichkeit,

jedoch keine Reflexionen über das, was Sittlichkeit und Gerechtigkeit ihrem Wesen nach eigentlich sind

 

objektivistisch-utilitaristische Auffassung:

die Gerechtigkeit ist kein unmittelbares Gut,

sondern nur wegen ihrer Folgen erstrebenswert

 

vom Subjekte entfernt,

konstituiert von anderen als ihm,

d.h. von der Gesellschaft

bzw. von den Göttern:

 

Was diese als gerecht setzen, gehört befolgt, denn auf die Belohnung kommt es an

 

Bewusstsein, gerecht und fromm

das Leben verbracht zu haben

ist ein wichtiger Garant für ein friedliches und hoffnungsvolles, ein heiteres Alter

 

Allgemein-verbindlich und

objektivitätskonstituierend

Platonische Eu-stase

 

Annahme einer Homologie von subjektivem (←) und

objektivem (→) Geist,

von Individuum und Polis

 

In der individuellen Seelen („der kleingeschriebene Staat“) wie im Staate („der grossgeschriebene Mensch“° sind die gleichen ontologischen Gesetze konstitutiv

 

Indem die Seele sich unmittelbar und wahrhaft selbst verwirklicht, schafft sie zugleich einen gerechten und vernünftigen Staat

 

Die Gerechtigkeit wird immanent, rein aus dem (in sich geordneten) Subjekt erklärt, und zwar aus dem Zusammenspiel der drei Seelenteile

 

Wie der Staat ist auch die Seele eine Einheit, die zugleich Vielheit ist:

 

Aufgabe des philosophischen Pädagogen ist es, die Gerechtigkeit als Einheit in dieser Dreiheit bzw. Vielheit sich entwickeln zu lassen:

 

Sind die drei anderen Kardinaltugenden Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit jeweils besonders einem Seelenteil zugeordnet, kommt der Gerechtigkeit deshalb der Primat zu, weil sie die verschiedenen Seelenteile in das Seelenganze integriert, indem sie auf die Funktionserfüllung eines jeden Seelenteils achtgibt.

 

Dionysische Ex-stase

 

Pseudoliberalität und hemmungsloser Subjektivismus der damaligen ‚progressiven’ Sophisten

 

 

Gerecht ist, was dem selbstbewussten Starken

 unmittelbar und ohne Rücksicht

auf andere Freude macht

 

 

Im subjektiven Hedonismus liegt der Ursprung dessen, was gerecht ist

 

 

 

der Utilitarismus der alten vorsophistischen und vorsokratischen Polis – für die Gerechtigkeit nur um eines mit objektiven Kategorien faßbaren Guten willen erstrebenswert ist – ist überwunden

 

Verlagerung der Gerechtigkeit ins Subjekt und deren Emanzipation von einem relativen zu einem absoluten, um seiner selbst willen erstrebenswerten Gut

 

Fortschritt, der erkauft ist um den Preis eines Verlustes an Substanzialität und an innerem Wert der Tüchtigkeit (Arete)

 

Brutaler Machtpositivismus, in dem jede politische Meinung gleichermassen akzeptabel erscheint

 

Dem Subjekt genehm, aber die Allgemeinheit zersetzend

Fazit:

Platons Staat will den Bürger wahrhaft befreien – von sophistischer Kontingenz des Willens hin zu einem ‚guten Leben’, in dem die Seele – in deren Idealität der Staat gründet – wahrhaft sich selbst findet.

Platons ‚Politeia’ findet ihren Ausgangspunkt in der Abweisung und Widerlegung des Machtpositivismus, der die notwendige Folge eines schrankenlosen Liberalismus ist und der wie dieser weltanschaulich in einem relativistischen Skeptizismus wurzelt.

Arete / Tüchtigkeit / Das Beste im Menschen

PA4 Diskurs vom 19. November 2000

Arete / Tüchtigkeit / Das Beste im Menschen

Auf der Grundlage von Platon: Politea, Otfried Höffe / E. Schüttrumpf, H.G. Gadamer

Diskurs-Mitte

Politea 348c.. Tüchtigkeit : Laster (Ungerechtigkeit, Unverstand)

349d/21.

+

Der Gerechte ist >

Gleichen alle einander>

Musikalische, Heilkundige, Fachkundige

Übertreffen den Wesensverschiedenen> notwendigerweise, wollen in Wort und Tat den Kollegen gleichen

Facit:

-

weder vernünftig noch gut

sind sie voerst undurchschaubar

Unverständigen, Schlechten; dieser will sowohl den Wesensgleichen als auch den Wesensverschiedenen/ das Gegenbild

Politea 403 Tüchtigkeit

von Körper und Seele

 

405a/14.

 

 

Alles Musiche endet in der Liebe zum Schönen

Dazu kommt das Gymnastische,

Vorrang hat die Seele, weil sie durch ihre Kraft den Körper auf das Beste vervollkommnet.

Facit:

Den Geist der Seele lebensbegleitend weiterbilden "bis zuletzt"

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bildungsmangel führt zur Krankheit

 

Politea 427e

Vier Kardinaltugenden der >

432b

441c

444e

445c

Tüchtigkeit

.des Staates / Inbegriff aller 4 Tugenden

.des Einzelnen / gleich der des Staates

.der Gesundheit, Schönheit, edlen

seelischen Haltung

.hat nur eine Form der Vollendung

Fazit:

Der Einzelne und der Staat sind Partner

 

 

Leitkultur des Staates

Leitkultur des Einzelnen

 

viele Formen bedeuten Schlechtigkeit

Der Staat diktiert die Leitkultur von oben

grenzt aus..

Der Einzelne entzieht sich dem Staat

wird gewalttätig

Politea 492e

Masse : Tüchtigkeit

Diomedische Notwendigkeit

 

Gegen den Einfluss der Masse >

>

Facit: >

kann niemand zur Tüchtigkeit erziehen

Meinung wird als Weisheit verkauft

Unüberwindlicher Zwang, Nötigung, Zugzwang entsteht

Masse hat keinen filosofischen Geist, daher tadelt sie den Filosofen

Politea 518d

Denkfähigkeit >

Seele als geistige Kraft>

Heidegger hat hier den Kern der Aussage Platons für sich erkannt>

 

 

Walter spricht hier von der Wende/l

In der Erkenntnisbewegtheit>

ist angeboren, alle anderen Fähigkeiten werden erworben.

Lernt sich gleich dem Körper/Auge vom Dunkel ins Licht wenden und mit der ganzen Seele aus der Welt des Werdens herum drehen bis sie fähig, wird den Blick in das Seiende, ja ins Hellste des Seienden, auszuhalten

Facit: Dieses Hellste ist das Gute

Die Erziehungskunst ist die Umwendung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Politea 588a

Pythagoräische Dreiecksformel:Quadrat+Wurzel= 729 x>

Der Gerechte übertrifft den >

Edle Lebensführung, Schönheitsstreben

Facit: Angenehmes Leben 729 x besser als>

Ungerechten um ein Vielfaches, nämlich durch

Tyrannenlust

Christoph Butterwegge: Abschaffen oder umbauen? – Die Zukunft des Sozialstaats

 

 SWR2 Aula - Manuskriptdienst  Redaktion: Ralf Caspar. Sendung: Sonntag, 7. März 2004
Bestellungen an das LMZ: Telefon (07 21) 88 08 – 20, Fax 88 08 – 69, e-mail: hschneider@lmz-bw.de   Prof. Christoph Butterwegge: Abschaffen oder umbauen? – Die Zukunft des Sozialstaats

Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Entwicklung des Sozialstaates, bin aber auch politisch auf diesem Felde sehr engagiert, und zwar vor allen Dingen deshalb, weil ich glaube, dass es um eine gesellschaftspolitische Richtungsentscheidung geht. In welcher Art der Sozialstaat um- bzw. abgebaut wird, dürfte mit darüber entscheiden, wie die Gesellschaft der Bundesrepublik in einigen Jahren und Jahrzehnten aussieht, ob wir es mit einer solidarischen Gesellschaft zu tun haben oder mit einer Gesellschaft, in der Solidarität und soziales Verantwortungsbewusstsein keine Rolle mehr spielen. Das heißt, der Sozialstaat ist ein wesentliches Bindeglied zwischen den auf dem Markt agierenden Individuen einerseits und deren gesellschaftlichem Zusammenhalt. Deshalb ist es so wichtig zu gucken, in welche Richtung sich der Sozialstaat entwickelt, genauer gesagt: In welche Richtung wird er entwickelt?

 Der Sozialstaat in Deutschland, denke ich, ist ein Vorbild gewesen, ein Modellfall, der prägend war für die ganze Welt. Er besteht letztlich seit ungefähr 120 Jahren. In den 80-er Jahren des 19. Jahrhunderts hat Bismarck die ersten Sozialversicherungen geschaffen: 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung und 1889 die Invaliditäts- bzw. Altersversicherung. Dieses Sozialversicherungsmodell, das eigentlich für die ganze Welt von Bedeutung war, steht gegenwärtig, denke ich, zur Disposition. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat gesagt: Was im kulturellen Bereich für Europa Beethoven, Mozart und Goethe sind, das stellt im Grunde im Sozialen der Wohlfahrtsstaat in Europa dar. Ich glaube deshalb, dass man um seine Erhaltung kämpfen muss, dass man dafür eintreten muss, dass er nicht demontiert wird, dass er nicht in einer Art und Weise umgebaut wird, die letztlich einen Abbau darstellt.

 Ich will im Folgenden vier Argumentationsmuster darstellen und kritisieren, die benutzt werden, um zu vermitteln, warum ein Um- bzw. Abbau des Sozialstaates unvermeidlich sei:

 Erstens wird gesagt, der Sozialstaat sei in der Bundesrepublik Deutschland so hoch entwickelt, dass er im Grunde nicht länger finanzierbar sei auf die Art und Weise, wie das gegenwärtig geschieht. Das zweite Argument, welches vorgebracht wird, um zu begründen, warum ein Sachzwang bestehe, den Sozialstaat grundlegend zu verändern, ist sein angeblich massenhafter Missbrauch. Das dritte – wie ich finde – schon ernster zu nehmende Argument besteht in dem demografischen Wandel und in der mangelnden Generationengerechtigkeit. Und das vierte Argumentationsmuster, mit dem ich mich beschäftigen möchte, besteht in dem Schlagwort Globalisierung. Wenn die verschiedenen Länder als Wirtschaftsstandorte mit- bzw. gegeneinander konkurrieren, so wird gesagt, dann könne ein Sozialstaat wie die Bundesrepublik Deutschland auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig sein, wenn andere Länder einen weniger hoch entwickelten Sozialstaat hätten. Daraus wird ebenfalls der Zwang abgeleitet, Sozialstaatlichkeit zu beschneiden.

 Das erste Argument, der Sozialstaat der Bundesrepublik Deutschland sei sehr hoch entwickelt, beruht auf der Vorstellung, dass kein anderer Sozialstaat eigentlich so großzügig mit seinen Mitteln verfahre wie der deutsche. Wenn man Menschen in der Bundesrepublik Deutschland – Passanten auf einem Marktplatz beispielsweise – fragen würde, welches der entwickeltste Sozialstaat auf der Welt oder zumindest in Europa sei, würden fast alle Befragten antworten: der deutsche. Und dasselbe würde auch passieren, wenn man Norwegerinnen und Norweger befragen würde oder Italienerinnen und Italiener oder Kanadierinnen und Kanadier. Da aber natürlich nicht alle Recht haben können, wenn sie annehmen, dass der eigene Sozialstaat der entwickeltste, der großzügigste sei, muss man fragen: Wie verhält es sich tatsächlich mit den unterschiedlichen Sozialstaaten?

 Nun gibt es eine Wissenschaftsrichtung, die empirische vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung, die das untersucht. Und sie gelangt, wahrscheinlich auch für viele Hörerinnen und Hörer überraschenderweise, zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik Deutschland keineswegs auf Platz 1 der Weltrangliste liegt in Bezug auf den entwickelten Sozialstaat, sondern unter den 15 EU-Mitgliedstaaten nur einen Rang im Mittelfeld, Platz 8 oder 9, einnimmt. Und eine andere Möglichkeit, um die Frage zu beantworten, ob denn der deutsche Sozialstaat wirklich so entwickelt ist, dass er zurückgestutzt werden müsste, besteht darin, nicht international vergleichend zu gucken, sondern einen historischen Vergleich anzustellen: also zu vergleichen: Wie entwickelt ist der Sozialstaat in der Bundesrepublik Deutschland heute, und wie verhielt es sich vor einigen Jahrzehnten? Ist er in der letzten Zeit wirklich, wie seine neoliberalen Kritiker behaupten, so weit entwickelt worden, dass er sich wie ein Krake über die ganze Gesellschaft legt, dass er die wirtschaftlichen Aktivitäten seiner Bürger unterdrückt, dass die Sozialbürokratie alles andere an Dynamik erstickt? Wenn man diese Frage historisch untersucht, dann braucht man ein Kriterium, das angelegt wird an den Sozialstaat, und dieses Kriterium ist normalerweise die Sozialleistungsquote, das heißt, der Anteil dessen am Bruttoinlandsprodukt, also an dem, was gesamtwirtschaftlich an Produkten und an Dienstleistungen erwirtschaftet wird pro Jahr, jener Anteil, der davon für Soziales ausgegeben wird - und dieser Anteil, die Sozialleistungsquote, betrug im Jahr 2003 über den Daumen gepeilt 33 Prozent. Also ein knappes Drittel all dessen, was erwirtschaftet worden ist, wurde für Soziales ausgegeben: für Medizin, für Krankengeld, für Renten, für Bafög, für all die sozialen Leistungen, die im Wohlfahrtsstaat Bundesrepublik Deutschland gesetzlich festgeschrieben und vorgesehen sind.

1 Guckt man nun zurück auf das Jahr 1975 und fragt, wie das vor 28/29 Jahren aussah, stellt man fest: Damals lag die Sozialleistungsquote ebenfalls bei ungefähr 33 Prozent, d. h., auch damals wurde ein knappes Drittel all dessen, was erwirtschaftet wurde, ausgegeben für soziale Leistungen. Allerdings – das ist der wesentliche Unterschied -, die Arbeitslosigkeit betrug im Jahre 1975 knapp über eine Million Arbeitslose, heute jedoch 4,5 Millionen. 1989/90 sind durch die Vereinigung von DDR und Bundesrepublik soziale Leistungen und soziale Lasten hinzugekommen, und obwohl die Arbeitslosigkeit gestiegen ist und obwohl, besonders in manchen Regionen Ostdeutschlands, ein enormer Sozialaufwand nötig ist, trotzdem ist die Sozialleistungsquote in dieser Zeit über mehrere Jahrzehnte hinweg ungefähr konstant geblieben. Das heißt, der Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland ist heute nicht entwickelter, als er dies 1975 war. Daraus ziehe ich den Schluss, dass die Behauptungen, der Sozialstaat sei in letzter Zeit zu großzügig, zu weit entwickelt worden, falsch sind.

2 Das zweite Argument, das vorgetragen wird, um den Umbau des Sozialstaates zu rechtfertigen, geht in die Richtung zu sagen, es finde ein massenhafter Missbrauch von Sozialleistungen statt, und weil dies so sei, müssten strengere Kontrollen angelegt werden, es müsse auch die Struktur des Sozialstaates in die Richtung verändert werden, dass ein solcher Missbrauch in dem Maße nicht mehr möglich sei.

 Ein solcher Missbrauch besteht ganz sicherlich, wie alle Rechte und alle Leistungen, die es gibt, auch missbraucht werden. Aber niemand würde ein Grundrecht, wie z. B. das Post- und Fernmeldegeheimnis deshalb in Frage stellen, weil über Telefone auch Verbrechen verabredet werden. Genauso, denke ich, ist bei Sozialleistungen zu fragen: In welchem Maße werden sie missbraucht? Wenn dies in einem minimalen Ausmaß der Fall ist, dann – denke ich – muss man einen solchen Missbrauch hinnehmen. Missbrauch von Sozialleistungen, den es gibt, wird aber in der Öffentlichkeit und in den Medien häufig dramatisiert. Es wurde im Jahre 2003 über viele Wochen hinweg in großen Boulevardzeitungen berichtet über den sog. Florida-Rolf, einen Sozialleistungsempfänger in Miami/Florida, der angeblich auf Kosten der deutschen Steuerzahler mit Sozialhilfeleistungen eine Luxuswohnung unter Palmen unterhielt. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass dies nicht nur ein hochgespielter Einzelfall war, sondern dass es auch eine absolute Ausnahme war, ja dass es sich eigentlich auch nicht um Missbrauch handelte. Denn es gibt das Urteil eines niedersächsischen Gerichtes, das feststellte, diesem Sozialhilfebezieher könne wegen Selbstmordgefahr nicht zugemutet werden, zumindest in den nächsten Monaten in die Bundesrepublik Deutschland umzuziehen. Die meisten derjenigen unter Tausend von fast drei Millionen Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern, die im Ausland leben - knapp Tausend unter ungefähr drei Millionen sind es überhaupt nur - die meisten sind Jüdinnen und Juden, denen man nach 1945 die Rückkehr nach Deutschland nicht zumuten mochte.

3 Die nächste Argumentation, die ich thematisieren möchte, ist schon sehr viel ernster zu nehmen. Es wird behauptet, der demographische Wandel unterhöhle die Grundlagen des Sozialstaates. Dadurch, dass die Gesellschaft kollektiv altere und dann auch ein Bevölkerungsschwund längerfristig feststellbar sei, dadurch sei es nicht mehr möglich, wie bisher die Renten zu finanzieren, sondern es müssten immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentnerinnen und Rentner aushalten und dies – so wird gesagt – sei im Grunde auf Dauer in den nächsten Jahrzehnten so nicht mehr möglich.

 Diese Argumentation bauscht ebenfalls eine Entwicklung, die ich nicht leugnen will, auf. Ich bezweifle, dass dies so entscheidend ist für den Sozialstaat. Denn so plausibel es auf den ersten Blick erscheint, dass wenn es mehr Rentnerinnen und Rentner gibt, und Menschen, auch weil sie eine höhere Lebenserwartung haben, über einen längeren Zeitraum hinweg Rentenzahlungen bekommen, so plausibel es erscheint, dass dann entweder die Renten gekürzt werden müssen oder aber die Beiträge erhöht, so unvollständig ist eigentlich diese Alternative. Denn es gäbe natürlich dritte Möglichkeiten: Man könnte weitere Bevölkerungsgruppen in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen, z. B. Beamte, Selbstständige, Abgeordnete, Minister. Man könnte auch den Bundeszuschuss erhöhen, also mehr Steuergelder in das System hinein nehmen. Man könnte aber auch die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen, das heißt, die Solidarität derjenigen, die einzahlen in die Gesetzliche Rentenversicherung, nicht enden lassen bei einem monatlichen Einkommen von 5.150 Euro, sondern sie auch für das Rentenversicherungsbeiträge zahlen lassen, was sie darüber hinaus verdienen. Denn ich glaube, gerade über das, was jemand über 5.150 Euro im Monat verdient, kann er solidarisch mit anderen sein und in die Gesetzliche Rentenversicherung, zusammen mit seinem Arbeitgeber, einzahlen. Also Rente ist keine Frage der Biologie, sondern eine Frage der Politik. Diese entscheidet darüber, wie der wachsende gesellschaftliche Reichtum auf die verschiedenen Altersgruppen verteilt wird.

 Hier, denke ich, liegt das Problem. Nicht dass die Gesellschaft altert, ist das Problem, sondern dass eine Gesellschaft, die insgesamt immer reicher wird, diesen Reichtum immer ungerechter verteilt. Würde das wachsende Bruttoinlandsprodukt, das trotz einer sinkenden Bevölkerungszahl erwirtschaftet wird, auf diese sinkende Bevölkerungszahl gerechter verteilt werden, dann müsste keine einzige Rente gekürzt werden, ja ganz im Gegenteil: Ich denke, alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, in einem so wohlständigen, so reichen Land hätten die Möglichkeit, ohne Angst vor sozialem Abstieg, vor Armut ihr Leben zu gestalten.

 Das Schlagwort, das in dem Zusammenhang immer vorgebracht wird, nämlich mangelnder Generationengerechtigkeit, diese Feststellung, denke ich, lenkt von einem anderen Problem ab: Nicht zwischen den Generationen ist der Reichtum falsch verteilt, sondern innerhalb einer jeden Generation gibt es auf der einen Seite wachsenden Reichtum, auf der anderen Seite zunehmende Armut. Also nicht zwischen Alt und Jung verläuft eine soziale Scheidewand, sondern zwischen Arm und Reich.

 Es gibt auf der einen Seite zwar, so wie das in der Öffentlichkeit zu Recht, aber manchmal auch demagogisch thematisiert wird, immer mehr wohlhabende Renterinnen und Rentner, auch solche, die ihren Winter auf Teneriffa verleben. Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch viele hunderttausend, vor allen Dingen arme Frauen, die mit einer Minirente auskommen müssen. Dasselbe auch im Bereich der jungen Menschen. Es gibt auf der einen Seite zunehmend Armut bei Kindern, über eine Million Kinder in der Bundesrepublik Deutschland leben in Sozialhilfe-Haushalten, 2 bis 2,8 Millionen Kinder sind arm, wenn man andere Kriterien zugrunde legt, entweder, dass ihre Familien weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung haben, oder das Kriterium, dass jemand in unterschiedlichen Lebensbereichen Defizite aufweist, im Bereich von Bildung, Gesundheit, Wohnen oder Freizeit. Auf der anderen Seite gab es aber auch noch nie so viele reiche Kinder in der Bundesrepublik wie heute: Wohlhabende, reiche Eltern verschenken kurz nach der Geburt ihrer Kinder aus steuerlichen Gründen einen Teil ihres Vermögens, ihres Wertpapierdepots, an ihre Kinder, und insofern polarisiert sich die Bevölkerung.

 Wer sich für Generationengerechtigkeit verwendet, der muss gerade künftigen Generationen einen ausgebauten Sozialstaat hinterlassen. Denn nur dieser schafft eigentlich die Möglichkeit, dass künftige Generationen ohne Angst vor Armut, vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg leben.

4 Das vierte Argumentationsmuster, das den Umbau des Sozialstaates rechtfertigt, ist die Globalisierung. Es handelt sich hier um einen Prozess, den ich lieber als neoliberale Modernisierung bezeichne, weil alle gesellschaftlichen Bereiche nach dem Vorbild des Marktes, neoliberalen Konzepten folgend, umstrukturiert werden. Diese Globalisierung wird als Argument benutzt, um zu sagen: Wenn unterschiedliche Wirtschaftsstandorte auf dem Weltmarkt miteinander konkurrieren, dann ist letztlich das Soziale ein Klotz am Bein der Wirtschaft. Dann ist dieser Sozialstaat, so wie wir ihn kennen, nicht mehr finanzierbar, zumindest dann nicht, wenn die Bundesrepublik auf den Weltmärkten erfolgreich sein will als Wirtschaftsstandort.

 Guckt man sich nun aber an, welche Wirtschaftsstandorte denn nach dieser neoliberalen Logik auf den Weltmärkten besonders erfolgreich sind, dann stellt man fest, dass unter den Hauptkonkurrenten der Bundesrepublik Deutschland eigentlich nur mehr oder weniger entwickelte Wohlfahrtsstaaten sind. Das heißt, ein Sozialstaat ist kein Hindernis auf dem Weg zur Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt, sondern ganz im Gegenteil: Er bildet die Voraussetzung dafür, dass Menschen so beruflich flexibel und geographisch mobil sein können, wie es gerade im Zeichen der Globalisierung von ihnen gefordert wird. Nur wenn ein ausgebautes Netz sozialer Sicherung besteht, können sie eben heute in Kiel und wenige Monate später in Konstanz arbeiten. Nur dann ist es möglich, dass sie flexibel auf Veränderungen reagieren, dass sie anpassungsfähig sind. Das heißt, der Sozialstaat ist im Grunde kein Hindernis für Konkurrenzfähigkeit, sondern auch in dieser neoliberalen Logik sogar eine Bedingung dafür.

5 Die Mechanismen Nachdem ich die Argumentationsmuster dargestellt und kritisiert habe, die benutzt werden, um den Um- und Abbau des Sozialstaates zu legitimieren, will ich jetzt die verschiedenen Mechanismen beschreiben, nach denen der Sozialstaat umgebaut wird, und anschließend darauf kommen, welche Alternativen denkbar sind.

.1 Die Mechanismen, nach denen der Sozialstaat umgebaut wird, sind in dieser neoliberalen Standortlogik zu finden. Es wird versucht, den Bereich des Sozialen sowie andere gesellschaftliche Bereiche auch betriebswirtschaftlicher Effizienz zu unterwerfen; was auch im Bereich des Sozialen stattfindet, ist eine Privatisierung. Privatisiert werden nicht nur öffentliche Unternehmungen, sondern auch soziale Dienstleistungen, privatisiert werden aber auch soziale Risiken. Das heißt, dafür, wofür vormals die Solidargemeinschaft einstand, wird jetzt wieder jeder Einzelne verantwortlich gemacht. Wenn es darum geht, etwa für den Zahnersatz zu sorgen, dann muss jeder Einzelne wieder eine Extraversicherung abschließen, wenn man mal dieses Beispiel aus der Gesundheitsreform nimmt.

 Ich sehe im wesentlichen vier Tendenzen, wie der Sozialstaat ab- und umgebaut wird. Erstens wird der Sozialstaat zum Minimalstaat. Dort, wo früher, besonders im sozialen Bereich, ein ausgebauter Staat war, wird jetzt ein schlanker Staat erwartet. Dieser schlanke Staat ist aber sehr häufig eher ein magersüchtiger Staat, der soziale Leistungen nicht mehr bereit hält, die lange Zeit eigentlich eine Selbstverständlichkeit waren.

.2 Zweitens wird der Wohlfahrtsstaat zu einem „nationalen Wettbewerbsstaat“ gemacht. Das Soziale wird nicht mehr als Eigenwert betrachtet, so wie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 20 und in Artikel 28 es fordern, sondern das Soziale wird dem Wirtschaftlichen untergeordnet. Der Sozialstaat soll dafür sorgen, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland konkurrenzfähiger wird. Dies soll beispielsweise erreicht werden dadurch, dass der Kündigungsschutz gelockert wird.

.3 Drittens wird aus dem Sozialstaat zumindest der Tendenz nach ein Kriminalstaat. Während der Bereich des Sozialen dereguliert und verschlankt wird, werden andere Bereiche des Staates, der Teil, den man als Sicherheitsstaat, auch als Repressionsapparat des Staates bezeichnen kann, eher weiter verstärkt. Denn ein Staat, der Sozialleistungen abbaut, muss sich gerade gegen Proteste wappnen und womöglich gar in anderen Bereichen ein sehr starker Staat sein. Die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, die Einschränkung demokratischer Rechte, der Platzverweis für Gruppen, die wie Bettler, wie Obdachlose, wie Punks nicht in das Bild von luxuriösen Innenstädten hinein passen - all diese Maßnahmen bedeuten eher, dass der Sicherheitsstaat ausgebaut wird, während der Sozialstaat verschlankt wird. Ein Staat, der am Sozialen spart, der wird wahrscheinlich auf der anderen Seite die Sicherheitsapparate ausbauen, und er wird auch ein Mehr an Kriminalität, ein Mehr an Drogensucht, ein Mehr von Verelendung und Verwahrlosung der Jugend beobachten und natürlich dann auch mit entsprechenden polizeilichen Mitteln bekämpfen müssen.

4. Viertens schließlich wird aus dem aktiven Sozialstaat, so wie wir ihn in den letzten Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland gekannt haben, ein „aktivierender Sozialstaat“. Es wird mit dieser Formel an sich etwas Positives beschworen, nämlich dass Sozialleistungsempfänger nicht nur Geld erhalten, sondern auch motiviert werden sollen, sich selber z. B. als Arbeitslose um eine Stelle zu bemühen. Aber gerade dann, wenn Menschen privat vorgesorgt und sich so verhalten haben, wie das in diesem neoliberalen Diskurs des Umbaus des Sozialstaates von ihnen gefordert wird, wenn sie z. B. in jungen Jahren eine Kapitallebensversicherung für ihr Alter abgeschlossen haben, wenn sie dann mit 50 oder noch mehr Jahren arbeitslos, langzeitarbeitslos werden, dann wird ihnen gerade dieses sogenannte Schonvermögen verringert, das bisher dafür gesorgt hat, dass Kapitallebensversicherung und anderes, womit sie für das Alter vorgesorgt haben, nicht angetastet wurde. Also gerade in der Reform des Sozialstaates, gerade bei der Agenda 2010, wird die Möglichkeit, sich selber zu beteiligen, Eigenvorsorge zu betreiben, letztlich vom Staat auch wieder bestraft.

5. Es müsste ein Sozialstaat entstehen, der auf die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen der Individualisierung, der Modernisierung, der Globalisierung antwortet, der aber gleichzeitig vermeidet, dass manche Menschen eher in Armut gedrängt werden, wohingegen es anderen immer besser geht, ohne dass sie in die soziale Verantwortung für die Gesellschaft in dem bisherigen Maße einbezogen werden. Das heißt, eine Steuerreform wäre nötig, die gerade bei den Wohlhabenden das soziale Verantwortungsbewusstsein einfordert für die sich stark verändernde Gesellschaft.

.01 Eine Form, mit der ein solidarischer Umbau des Sozialstaates möglich wäre, ist die Bürgerversicherung. Darunter verstehe ich die Einbeziehung aller Wohnbürgerinnen und Wohnbürger in die Sozialversicherung, nicht nur der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der abhängig Beschäftigten, sondern auch die Einbeziehung von Beamten, von Selbstständigen, von Freiberuflern, von Abgeordneten und Ministern.

.02 Zweitens müsste gewährleistet sein, dass in einer solchen Bürgerversicherung alle Einkommensarten berücksichtigt werden, also nicht nur wie bisher auf Arbeitseinkommen Sozialversicherungsbeiträge erhoben werden, sondern auch z. B. auf Miet- und Pachterlöse, auf Dividenden, auf Kapitaleinkünfte.

.03 Schließlich wäre unbedingt erforderlich in einer Bürgerversicherung, dass man die Beitragsbemessungsgrenzen und auch die Krankenversicherungsflucht- bzw. -pflichtgrenze aufhebt, das heißt, die Solidarität nicht beschränkt auf eine bestimmte Einkommenshöhe, sondern auch wenn jemand mehr verdient, ihn verpflichtet, für dieses Mehr an Einkommen auch Beiträge in die gesetzliche Sozialversicherung zu zahlen.

.04 Was mir sehr wichtig erscheint, ist, dass das von Bismarck zwar widerwillig, aber doch schon im 19. Jahrhundert eingeführte Sozialversicherungsprinzip beibehalten wird, dass nicht soziale Sicherung stärker steuerfinanziert wird, so wie das in der Diskussion gegenwärtig sehr häufig gefordert wird. Ich glaube, das Versicherungsprinzip hat gegenüber der Steuerfinanzierung mehrere Vorteile:

.001 Erstens würde eine Steuerfinanzierung von Sozialleistungen bedeuten, dass bei jeder Haushaltsberatung der Finanzminister an die Sozialleistungen herangehen würde, sobald die öffentlichen Kassen und weil die öffentlichen Kassen leer sind. Das heißt, Sozialleistungen wären nicht in dem Maße sicher, wie gegenwärtig. Das zweite Argument, welches für eine Versicherungslösung spricht, ist, dass Versicherungsleistungen weniger demütigend sind für diejenigen, die sie bekommen, als steuerfinanzierte Sozialleistungen. Es handelt sich eben nicht um ein Almosen, sondern um etwas, das bezahlt wird im Risikofall, nachdem vorher entsprechende Beiträge eingezahlt wurden in die Sozialversicherung.

.002 Der Bismarcksche Sozialstaat darf in keiner Weise idealisiert werden. Er hat autoritäre, patriarchale Züge. Er muss ganz bestimmt modernisiert werden. Aber dieser Umbau des Sozialstaates sollte eher ein Ausbau, sollte eher der Versuch sein, sozialstaatliche Regelungen anzupassen an eine sich verändernde Erwerbsgesellschaft. Es müsste beispielsweise eine eigenständige Sicherung der Frauen geben; es müsste reagiert werden auf die Veränderung der Lebensformen, dass beispielsweise nicht mehr die Alleinernährer-Ehe das Modell ist, nach dem Menschen heute zusammen leben.

.003 Das Ziel eines Umbaus des Sozialstaates muss sein, dass die Menschen ohne Angst vor Armut, Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg zusammen leben, dass sie gegen elementare Lebensrisiken gesichert werden durch eine solidarische Gemeinschaft, an deren Finanzierung alle diejenigen beteiligt werden, die dazu in der Lage sind, und zwar nach dem Prinzip der sozialen Gerechtigkeit, je nachdem, wie viel sie selbst beitragen können