Das Viele ... Vielfalt in der Einheit

PA4-Diskurs-/Denkbild-Grundlage für den 24.04.2004

<<Vielfalt in der Einheit>>

Alain, Carolle, Heribert, Luigi, Marga, Walter;

Quellen: PA4 25.06.00; Thomas Meyer 21.3.04 SWR2; Platon, Politeia 351ff, 476ff, 477ff, 525ff…

 Das Unsagbare (das der Sprache Entzogene) / indicibile ; das Unaussprechliche (jedoch für das überbewusste Vermögen metaphysisch Erfahrbare) / ineffabile ; Ge-WAHR-en („Wittern“: Hyponoia) des Unausdrückbaren (inexprimabile) und Unbeschreiblichen im absoluten Schweigen
Das Eine / unum entzieht sich der Sprache und ist deshalb undefinierbar archê tu pantos (Prinzip von Allem, das diesem gegenüber nicht absolut transzendent sein kann) Subsistenz (Hyparxis) des Einen vor dem Sein: Henologie geht der Ontologie

Kennzeichnend für die Gesprächsführung bei Platon und für die PA4 ist die Enthaltung Jeglicher Festlegung auf irgendeinen dogmatischen Standpunkt. Diese Einstellung bildet den Rahmen, in dem all unsere Diskurse sich gestalten.

(Apollinische En-stase) Verinnerlichung
Eintracht, Freundschaft…

 

Vernunft & Wissen (Doxosophie)

 

 Einheit um jeden Preis

(Prinzipienreiterei; Vereinnahmung)

 

 

 Eindeutigkeit

Das Schöne

 

Erkenntnis vom Existenten

 

 

 Eins (Nicht-Vieles)


Das Eine

  Unerschütterliches, unveränderliches Sein

(Platonische Eu-stase)

Ausgewogenheit

 

351ff

 

Gerechtigkeit (Philosophie)

Rahmen-Identität:

Einheit, welche die Vielfalt akzeptiert und den ihr entsprechenden Platz zuweist

 476-477ff

 Adäquate Deutung

Wahrhaftigkeit: Die Wahrheit schauen wollen

 Erfassen der Seinsquelle, des (Un-)Gerechten sowie von Gutem und Schlechtem

 525ff

Schau des wahren Seins Einzigkeit, Einheitlichkeit, Einfalt  

 Einheit in der Vielfalt  

Stabile Seinsträger, die den wechselhaften Erscheinungen zugrundeliegen

(Dionysische Ex-stase)

Ent-Äusserung

 

 Zwistigkeit, Hader, Hass

 

Glauben, Meinen (Philodoxie), Lieben

 Vielfalt um der Vielfalt willen

(Beliebigkeit: „anything goes“)

 

 Doppel-, Mehrdeutigkeit
Das Hässliche  

Nichterkenntnis vom Nichtexistenten

 

 

 

 

Uneins (Nicht-Eines)
Das Viele  

Ständig sich wandelndes, vergängliches Seiendes

Fazit: „[…] die Seele forscht nach, indem sie in sich das Denken erweckt, und sie fragt, was denn die Eins an sich ist; und so würde dann das Wissen um die Eins zu jenen Kräften gehören, die uns umwenden und zur Schau des wahren Seins führen.“ . Mai 2004

 Zum EUROPA der 25: Die (Teilhabe-)Demokratie ist eine andauernde Baustelle, ein Bruchgiebel, mehr auf politischer (offener) Identität, als auf kultureller Identität beruhend, daher der unbezwingbare Drang zur regionalen Vielfalt und peripheren Blickweise.. Es kann eine europäische Bürgeridentität sich nur mit individueller Kultur und Prägung von Vielfalt entfalten.  

Hans Küng : Was die Welt (Das Viele) im Innersten zusammenhält -

Hans Küng : Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft (1)
www.swr2.de 
Dieses Thema ist im folgenden Buch weiterentwickelt: Hans Küng, »Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion«, Piper Verlag München, 8. Auflage 2006
piperverlag@t-online.de / www.piper.de

Autor und Sprecher: Prof. Hans Küng *;Redaktion: Ralf Caspary; Susanne Paluch;
Sendung: Karfreitag, 14. April 2006, 8.30 Uhr, SWR 2
Bitte beachten Sie:Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

ÜBERBLICK
Die moderne Astrophysik konnte in den letzten Jahrzehnten viele neue Erkenntnisse über den Anfang und die Entwicklung des Kosmos sammeln, die wohl kein Laie mehr nachvollziehen kann. Es geht um dunkle Materie, schwarze Löcher, um den Urknall und Parallel-Universen.
Und obwohl sich viele Physiker oft genug in spekulative Bereiche vorwagen, scheuen sie sich vor der Auseinandersetzung mit einer theologischen Kernfrage: Lässt die moderne Astrophysik in ihren Modellen noch Platz für Gott? Hans Küng, emeritierter Professor für ökumenische Theologie, Präsident der Stiftung Weltethos, beantwortet die Frage mit einer Reise durch die astrophysikalischen Gedankengebäude.

TEIL 1
Ansage:

Heute mit dem Thema: „Was die Welt im Innersten zusammenhält - Religion und Naturwissenschaft“, Teil 1.

Hans Küng zählt zu denjenigen Theologen, die nicht nur kontinuierlich Stellung nehmen zu gesellschaftlichen Fragen, sondern mit denen man auch naturwissenschaftliche Probleme diskutieren kann. Mit anderen Worten: Küng weiß Bescheid über dunkle Materie, schwarze Löcher, Darwinismus, und er versucht immer wieder Brücken zu bauen zwischen Naturwissenschaften und Religion.

Wir beginnen heute in der SWR2 AULA eine dreiteilige Serie mit und von Hans Küng. Er beschäftigt sich mit Astrophysik, mit der modernen Biologie, mit der Hirnforschung, und er erkundet, ob die modernen Naturwissenschaften im postmetaphysischen Zeitalter überhaupt noch Platz lassen für den Gedanken an Gott. Die Frage ist umso berechtigter, wenn man bedenkt, das viele Astrophysiker immer wieder versucht haben, mit ihren komplizierten spekulativen Theorien Gott auszublenden, der Theologie damit quasi ein Schnippchen zu schlagen, was aber nicht klappte. Denn eins ist klar: Wir wissen heute sehr viel über den Kosmos und seine Geschichte, über Quarks und Gluonen, aber wir wissen nichts über den Sinn des Ganzen, über sein Woher und sein Warum. Genau da setzt für Küng das religiöse Denken ein, das - davon ist er überzeugt - keinesfalls die naturwissenschaftliche Logik ad absurdum führen soll.

Hören Sie also den ersten Teil, heute geht es um die Astrophysik und um den Big Bang, den Urknall.


Hans Küng:

„Big Bang“ ist kein bloßer „Beginn“! Geht es doch nicht nur um einen einzelnen ersten Moment, um die erste „100stel Sekunde“, innerhalb einer Abfolge vieler vergleichbarer Momente einer beginnenden Welt-Geschichte. Nein, es geht um die schlechthinige Ermöglichung einer Welt-Geschichte: nicht nur um den zeitlichen Anfang, sondern um den Anfang der Zeit! Das heißt, kein relativer, sondern der absolut erste Anfang, der kein Anfang innerhalb der Welt-Zeit oder Zeit-Welt sein kann, ja, ohne den die Welt-Zeit oder Zeit-Welt gar nicht erklärt werden kann.

Doch sofort Warnung: Machen wir uns die Arbeit nicht zu leicht! Naive Christen haben die Theorie von der „Singularität“, vom „Urknall“, herangezogen zum Beweis der Wahrheit einer Weltschöpfung: „Und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht … Der erste Tag“. Bei diesem plötzlichen Schöpfungsakt hören manche Bibelgläubige frohlockend den „Urknall“ knallen. Das ist ein grundlegendes Missverständnis des schöpferischen Lichtwortes der Bibel. Warum? Weil die Bibel nicht naturwissenschaftliche „Fakten“ bieten will. Doch ernst zu nehmen, von Gläubigen und von Nichtgläubigen, ist zweifellos die mit dem Urknall verbundene Erkenntnis: Unser Universum ist endlich.

Wenn sich dieses Universum einem Zeitpunkt verdankt, dann ist es endlich in der Zeit, wie heute viele Naturwissenschaftler annehmen. Es gab unser Universum nicht immer und wird es vielleicht irgendwann nicht mehr geben. Der Kosmos hat also ein bestimmtes Alter, vermutlich 13,7 Milliarden Jahre, so die neuesten Messungen der 2001 vom Weltraumbahnhof Cape Canaveral gestarteten Sonde WMAP.

Ist das Universum aber als offen oder als geschlossen zu betrachten, der Kosmos unendlich groß oder hat er ein endliches Volumen? Ist er endlich im Raum? Auch das neue weltgrößte Teleskop in Arizona, LBT, – zwei riesige Spiegel mit Durchmesser von jeweils 8,4 Metern – wird zwar das Licht einer brennenden Kerze in 2,5 Millionen Kilometern nachweisen können, doch keine Grenzen des Universums. Die Frage nach dem richtigen Weltmodell ist wohl noch immer nicht endgültig beantwortet. Nach wie vor ist nicht eindeutig geklärt, ob die Expansion des Weltalls dauernd weitergeht oder einmal zum Stehen kommt und danach vielleicht wieder in Kontraktion übergehen wird.

Als um die Mitte des 20. Jahrhunderts in apologetischen christlichen Schriften versucht wurde, den Zeitpunkt des Urknalls tatsächlich mit einer göttlichen Weltschöpfung zu identifizieren, haben auch nichtmarxistische Naturwissenschaftler, so berichtet der deutsche Astronom Otto Heckmann, „beunruhigt über diese theologischen Tendenzen, ihre kosmologische Quelle einfach zu verstopfen beschlossen: Sie schufen die ‚Steady State Cosmology’, die Kosmologie des expandierenden, aber doch unveränderlichen Universums“.

Diese Theorie wurde vertreten vor allem vom Mathematiker und Astronom Fred Hoyle, der 1950 in einem Radiovortrag das Wort „Big Bang“ sozusagen als Schimpfwort erfunden hatte. Er vertritt ein ewiges Universum im Gleichgewicht, das sich ohne zeitlichen Anfang und zeitliches Ende ausdehnt und bei dem durch fortwährende Materieerzeugung eine gleichbleibende Materiedichte vorliegt. Doch muss die Verdünnung der Materie infolge fortwährender Expansion ausgeglichen werden durch eine Spontanerzeugung von Materie. Doch dies widerspricht aber dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, dem Entropiesatz von der Nichtumkehrbarkeit physikalischer Vorgänge. Und nach der Entdeckung der Hintergrund-Strahlung und stets neuer Bestätigungen des Standard-Modells, neuestens im Januar 2005 durch zwei unabhängig arbeitende Forscherteams mit Teleskopen in New Mexico und Australien, gilt das Steady-State-Modell erst recht als widerlegt und wird heute bestenfalls von Außenseitern vertreten.

Doch auch die Urknall-Theorie wirft grundlegende Fragen auf, die bisher erst wenig befriedigende Antworten gefunden haben und die Naturwissenschaftler nicht mit einem Achselzucken abtun sollten.

Dies gilt selbst für manche hochkarätige Physiker angesichts der Frage nach dem letzten Woher des Kosmos. So erklärt etwa der Nobelpreisträger für Physik 1986 Gert Binnig: „Vielleicht ist das Ganze so entstanden: Durch eine Reproduktion von irgendetwas, ich weiß noch nicht, was, ist überhaupt Vakuum entstanden oder der Raum. Mit diesem Raum sind auch die Eigenschaften des Raumes entstanden, z. B. seine Symmetrien. Und durch Reproduktion dieser Eigenschaften sind irgendwelche Energieformen entstanden, wie, das kann ich nicht sagen …“

Oder aber der Elementarteilchenphysiker Steven Weinberg, geb. 1933, der 1979 mit zwei anderen Physikern den Nobelpreis für die vereinheitlichte Theorie der schwachen und elektromagnetischen Wechselwirkungen erhielt, und der in seinem höchst instruktiven Buch über „Die ersten drei Minuten. Der Ursprung des Universums“ ausführt: „Noch weniger begreift man, dass dieses gegenwärtige Universum sich aus einem Anfangszustand entwickelt hat, der sich jeder Beschreibung entzieht und seiner Auslöschung durch unendliche Kälte und unerträgliche Hitze entgegengeht. Je begreiflicher uns das Universum wird, um so sinnloser erscheint es auch. – Doch wenn die Früchte unserer Forschung uns keinen Trost spenden, finden wir zumindest eine gewisse Ermutigung in der Forschung selbst. Die Menschen sind nicht bereit, sich von Erzählungen über Götter und Riesen (der Edda-Sagen) trösten zu lassen, und sind nicht bereit, ihren Gedanken dort, wo sie über die Dinge des täglichen Lebens hinausgehen, eine Grenze zu ziehen. Damit nicht zufrieden, bauen sie Teleskope, Satelliten und Beschleuniger, verbringen sie endlose Stunden am Schreibtisch, um die Bedeutung der von ihnen gewonnenen Daten zu entschlüsseln. Das Bestreben, das Universum zu verstehen, hebt das menschliche Leben ein wenig über eine Farce hinaus und verleiht ihm einen Hauch von tragischer Würde.“

Also Sinnlosigkeit des Universums und Tragik des Menschenlebens? Da ist man versucht, solchen Physikern die viel diskutierte „Wette“ des genialen Physikers, Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal vorzulegen, die nicht von Schwarzen Löchern oder Göttern und Riesen handelt, sondern eine fundamentale Alternative zur Wahl stellt: „Dieu est, ou il n’est pas, Gott ist – oder er ist nicht“. Beide Möglichkeiten sind freilich ungewiss: „Die Vernunft kann hier nichts bestimmen“, sagt Pascal, „worauf wollen Sie setzen? Aus Gründen der Vernunft können Sie weder das eine noch das andere tun. Aus Gründen der Vernunft können Sie aber auch weder das eine noch das andere verbieten. Zeihen Sie also nicht die des Irrtums, die eine Wahl getroffen haben; denn darüber können Sie nichts wissen.“ Das ist für Pascal der entscheidende Punkt, er sagt: „Man muss wählen! Nicht-Wählen ist auch eine Wahl. Und wie stehen die Chancen? Aus der Natur der Alternative: unendliches, glückliches Leben oder dem Nichts, und aus der Größe des Einsatzes: endlicher Einsatz für Unendliches – überlegt man dies genau – stehen die Chancen von Unglauben und Glauben wie ‚Null zu Unendlich’“. Man verliert also nach Pascal in jedem Fall nichts, wenn man an Gott glaubt, kann aber alles gewinnen.

Einer der mehr als andere unter dem Problem des Atheismus litt, der „Antichrist“ Friedrich Nietzsche, hat sich in seinen letzten Jahren deutlich gegen den selbstsicheren, optimistischen Atheismus „unserer Herren Naturforscher und Physiologen“ gewandt, den er nur noch als schlechten „Spaß“, sagt er, empfinden könne, denn: „... ihnen fehlt die Leidenschaft in diesen Dingen“, schreibt Nietzsche, „das Leiden an ihnen … Man muss das Verhängnis an … sich selbst erlebt, man muss an ihm fast zugrunde gegangen sein, um hier keinen Spaß zu verstehen.“ Aber unsere Herren Naturforscher und Physiologen können uns vielleicht helfen bei der Präzisierung der wichtigen Fragestellung:

Woher kommt die kosmische Feinabstimmung?

Die Astrophysik konzentriert sich zur Zeit vor allem auf zwei Themengebiete: auf die Entstehung der ersten Strukturen im Universum und auf die Suche nach extraterrestrischem Leben. Ich konzentriere mich zunächst auf das erste Themengebiet, das zusammenhängt mit der Frage nach den Anfangsbedingungen des Universums: Was legte schon in der frühesten Phase die Bedingungen fest, die garantierten, dass noch nach 13,7 Milliarden Jahren das Universum die Eigenschaften haben würde, die wir heute beobachten: Woher also die fundamentalen universellen Naturkonstanten?

Ich mache das Problem noch einmal deutlich mit einem quantifizierten Beispiel: In unserem gemeinsamen Tübinger Colloquium von Theologen und Physikern 1994 formulierte der Physiker Amand Fässler das Problem mathematisch: Wie genau war doch der kleine Überschuss der Materie gegenüber der Antimaterie „kalkuliert“, wie präzis der winzige Überschuss der Protonen gegenüber den Antiprotonen „berechnet“ -1 + 10–9 = 1,000.000.001. Ohne diesen winzigen Überschuss“ der Protonen wäre es nie zu einem Strahlungs- und Materieuniversum gekommen, nie zur verblüffenden Relation von 25 Prozent Urhelium und 75 Prozent Wasserstoff. Und folglich auch nicht zur Bildung von Galaxien, Sternen und Planeten, die stabil genug waren für Leben in diesem Universum!

Doch auf die Grundfrage nach dem Woher der kosmischen Ordnungsprinzipien geben die Handbücher der Astrophysik keine Antwort; das ist verständlich. Weniger verständlich aber ist, dass sie solche Grundlagenfragen normalerweise nicht einmal andeuten – „instinktives Sträuben also“, wie ein Nobelpreisträger für Physik meint? Die Handbücher beginnen, wenn man so will, mit dem zweiten Schöpfungstag – oder mit der ersten 100stel Sekunde nach dem Urknall. Ob noch gilt, was das amerikanische Nachrichtenmagazin „Time“ nach Befragung bekanntester Astronomen der Vereinigten Staaten vor ein paar Jahren festgestellt hat? „Auf die letzte Frage, was ‚vor’ dem Urknall existierte, bleiben die meisten modernen Wissenschaftler stumm.“

Doch Vorsicht: Soll das etwa ein Plädoyer für „Gott“ am Anfang aller Dinge sein, nur weil es eine Erkenntnislücke gibt? Nein, kein Plädoyer meinen für einen „Gott der Erkenntnislücken“, von denen gewiss noch manche geschlossen werden. Wohl aber eine Einladung zum Nachdenken über die fundamentalen Voraussetzungen dieses Weltmodells überhaupt, die auch und gerade an die Physiker geht. Was waren ihre Reaktionen auf die kosmische Feinabstimmung? Es sind zwei entgegengesetzte Reaktionen festzustellen: einerseits die kosmologische Spekulation, andererseits die kosmologische Demonstration.

„Spekulieren“ meint – wenn man vom „Spekulieren“ an der Börse auf unsichere zukünftige Gewinne mal absieht – sehr oft abschätzig über die erfahrbare Wirklichkeit hinausgehende Mutmaßungen, ein hypothetisches Ausdenken bloßer Möglichkeiten.

Man kann sich fragen, ob man vielleicht auch bestimmte kosmologische Hypothesen als schiere Spekulationen bezeichnen muss, wenn man also vollständig unabhängige Raum-Zeit-Gebilde jenseits unseres Erfahrungshorizontes, alternative Universen als real postuliert.

Der spekulativen Phantasie sind bei den Viele-Welten-Theorien keine Grenzen gesetzt, und man hat die Qual der Wahl und die Wahl der Qual:

– Soll man mit einigen amerikanischen Physikern eine unbeschränkte Ausdehnungsphase annehmen, in der viele Universen aus getrennten Urknallen in getrennte Universen oder Raum-Zeit-Gefüge hineinwachsen?
– Oder soll man mit anderen vermuten, dass in einem Schwarzen Loch ein neues Universum entstehen kann, welches sich in ein neues Gebiet von Zeit und Raum erstreckt und uns nicht zugänglich ist?
– Oder soll man mit wieder anderen mutmaßen, dass andere Universen getrennt von uns in außerräumlichen Dimensionen existieren können und sich gegenseitig durch Gravitation beeinflussen oder auch nicht?

Ich vermag nicht zu beurteilen, welche der zahlreichen Theorien - Steady-State-Theory, String-, Superstring- oder M-Theorie - vor allem mit dem Ziel entwickelt wurden, die kosmische Singularität als irrelevant aufzuzeigen, um so der Herausforderung des Buches Genesis auszuweichen und die Gottesfrage ignorieren zu können. Selbst über ein unserem aktuellen Universum vorausgegangenes „Proto-Universum“ und eine „Vor-Urknall-Ära“ spekuliert man, aber ohne alle Belege, wären doch seine Strukturen durch den uranfänglichen Feuerball ohnehin zerstört worden.

Eine große physikalische Theorie von einem völlig in sich geschlossenen Universum ohne Rand und ohne Grenze, ohne Anfang und ohne Ende – das postulierte wieder ohne alle empirischen Belege der berühmte Stephen Hawking, und was ist sein Interesse? Er gesteht offen: „Es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?“ Und im Vorwort weist der amerikanische Physiker und Fernsehautor Carl Sagan auf das eigentliche Thema des Buches hin: die Abwesenheit Gottes.

Es ist jedenfalls verwunderlich, wie Kosmologen sich mühen, in der Frage der Anfangsbedingungen des Kosmos mit komplizierten mathematischen Operationen elementare philosophische Sätze auszuhebeln wie etwa „Ex nihilo nihil fit – aus Nichts entsteht nichts“. Da versucht man doch allen Ernstes, das Entstehungsproblem zu umgehen dadurch, dass man ein Universum konstruiert, das als seine eigene Mutter fungiert! Die Selbsterzeugung des Universums: „it created itself“. „How nice“, möchte man da ausrufen. Angesichts der Selbstsicherheit, mit der solche Theorien vorgetragen werden, fühle ich mich an das Wort erinnert, das der russische Nobelpreisträger für Physik Lew Landau gesagt haben soll: „Kosmologen irren sich oft, aber sie zweifeln nie.“

Dazu darf ich den verdienten Tübinger Physiker Herbert Pfister zitieren, der seine Abschiedsvorlesung an der Universität Tübingen am 14. Februar 2001 mit den Worten beendete: „Heute verkünsteln sich ganze Heerscharen von sogenannten Physikern bereits mehr als 10 Jahre an z. B. 11- oder noch höher-dimensionalen Superstring-Theorien, an heterotischen M-Theorien oder Gruppen E8 x E8 und SO(32) usw., ohne dass sie bisher ein einziges prinzipiell testbares, geschweige denn erfolgreich getestetes Datum produziert haben.“

Zu zahlreich sind die Zeugnisse kompetenter Naturwissenschaftler von einer „instinktiven Opposition“ oder einem beabsichtigten „Umweg“ angesichts einer „Singularität“, als dass man die Frage des Motivationshintergrundes kosmologischer Theorienbildung vernachlässigen dürfte. Und so muss ich denn schließlich nach der Rahmenfrage der Anfangsbedingungen des Universums in den nächsten Gedankengängen auf die Kernfrage nach dem Anfang überhaupt eingehen: Warum gibt es nicht nichts?

Neue Ergebnisse der Forschung werfen auch immer wieder neue Fragen auf. Immer mehr wissen wir, und immer weniger scheinen wir das Ganze zu verstehen. Denn immer schwieriger wird es, sich ein kohärentes Bild vom Kosmos zu machen. Unendlich viel bleibt ungeklärt. Die physikalische Wirklichkeit ist weithin unanschaulich. Wie der faszinierende physikalische Makrokosmos, so lässt sich auch der nicht weniger faszinierende Mikrokosmos der subatomaren Teilchen nur noch unscharf mit unseren Begriffen darstellen.

Wie soll ich mir die von der Elementarteilchenphysik erforschten unglaublich kleinen Prozesse vorstellen – in der Größenordnung bis zu 10-15cm = 1 Billiardstel cm und Geschwindigkeiten von 10-22sec = 1 durch 10 Trilliarden sec?

Auch viele Naturwissenschaftler sehen es so: Ihre Wissenschaft sitzt auf Inseln des Wissens und hat nur ein eingeschränktes Bild vom Kosmos. Nach den neuesten Messungen jener schon erwähnten Weltraumsonde WMAP steht ebenfalls fest: Wir kennen nur 4 Prozent des Weltalls; nur so viel nämlich besteht aus gewöhnlicher, sichtbarer Materie, also aus Sternen, Planeten, Monden! Und der unbekannte „Rest“? Der besteht aus 23 Prozent Dunkler Materie und 73 Prozent Dunkler Energie. Das heißt:

23 Prozent Dunkle Materie, die örtlich gebunden als Gravitationskraft wirken soll, damit die Galaxien nicht auseinander fliegen: vermutlich eine gewaltige Masse unsichtbarer und unhörbarer Elementarteilchen, nach denen man seit langem in verschiedenen Forschungsteams fieberhaft sucht; bezeichnet werden sie als WIMPs, zu deutsch „Feiglinge“, doch gemeint sind „schwach wechsel-wirkende massive Teilchen“, im Fachjargon heißt es: Weakly Interacting Massive Particles.

Es ist ein schwindelerregendes Wunder und erregt in uns Menschen doch keinen Schwindel, was sich da Stunde um Stunde abspielt: Mit etwa 1000 km pro Stunde, abhängig vom Breitengrad - in Tübingen am 51. Breitengrad 1050 km/h -, kreisen wir um unsere eigene Erdachse. Unsere Erde aber kreist mit über 100.000 km/h um die Sonne. Und unser ganzes Sonnensystem gleichzeitig mit 800.000 km/h um das Zentrum der Milchstraße. Das alles war nicht immer so und wird wohl auch nicht immer so bleiben. Eine großartige Illustration für die Nichtnotwendigkeit, die Kontingenz, die Instabilität und Relativität der Menschheit, unseres Planeten, eines Weltalls, das sich ausdehnt … Wohin? Zumindest die Frage nach dem Woher müsste zu klären sein.

Während die Argumente der Physik, auf Beobachtung, Experiment und Mathematik aufgebaut, einen logisch zwingenden Charakter haben, können die philosophisch-theologischen Argumente für die Annahme einer metaempirischen Wirklichkeit bestenfalls eine Hinführung und Einladung sein. Das heißt: In diesen letzten Fragen herrscht kein intellektueller Zwang, sondern Freiheit.

Zugleich hat sich deutlich gezeigt: Das naturwissenschaftliche Instrumentarium versagt angesichts der Frage nach dem letzten Woher dieser rätselhaften Wirklichkeit. Die Ereignisse zum Zeitpunkt t = 0 sind der Physik grundsätzlich unzugänglich. Wissenschaftliche Methoden können auch mit ständig zunehmender Reichweite und Raffinesse nicht in Erfahrung bringen, was vor diesem Zeitpunkt war.

Woher also letztlich die von Anfang an gegebenen universalen Naturkonstanten, oder – falls eine Vereinheitlichung der Kräfte erreicht wird – die eine Naturkonstante, woher das Universum überhaupt, das mit dem Big Bang seinen Anfang nahm? Es ist dies nicht nur die Frage nach einem Anfangsereignis, sondern die Frage nach der Wirklichkeit überhaupt: Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts. Dies ist nach dem großen Mathematiker und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz die Grundfrage der Philosophie, ja, dies ist die Ur-Frage des Menschen, die der Naturwissenschaftler, der jenseits des Erfahrungshorizonts nicht mehr zuständig ist, nicht beantworten kann. Hier geht es nicht um einen Lückenbüßer-Gott , um “God of the Gaps“: hier geht es nicht um eine „Lücke“, sondern um den absoluten Anfang. Hier stößt der Mensch auf das Urgeheimnis der Wirklichkeit, jenes Urgeheimnis der Wirklichkeit, das Juden, Christen, Muslime und Gläubige mancher anderer Religionen mit dem viel missverstandenen, viel missbrauchten Namen „Gott“ bezeichnen.

Aber – letzte Frage: Wie finde ich nun aber Zugang zum Urgeheimnis? Wie wird es mir gewiss, dass„Gott“ nicht nur eine Hypothese, eine „Idee“, sondern „Wirklichkeit“ ist? Es ist bereits deutlich geworden: Nicht auf dem Boden reiner Theorie, sondern – im Prinzip hat Kant Recht – auf dem Weg der gelebten und reflektierten Praxis sind auf die großen Grundfragen der Wirklichkeit Antworten zu suchen. Also nicht durch theoretische Operationen der reinen Vernunft. Allerdings auch nicht nur durch irrationale Gefühle oder pure Stimmungen. Vielmehr auf Grund einer vertrauenden, rational verantwortbaren Grundentscheidung und Grundeinstellung. Ich habe diese Vertrauenshaltung für mich immer mit Schwimmenlernen verglichen, das nicht durch Stehen am Ufer oder einen Trockenschwimmkurs erfolgt, sondern, vielleicht von anderen geholfen, durch das Wagnis, sich mit Haut und Haar auf das rätselhafte Wasser einzulassen, das freilich nur den trägt, der sich ihm anvertraut und sich nicht steif verhält, sondern sich bewegt.

Das Ja zu Gott ermöglicht ein radikal begründetes Grundvertrauen zur Wirklichkeit. Denn wer Gott bejaht, weiß um den Urgrund, das Urgeheimnis der Wirklichkeit; er weiß, warum er der Wirklichkeit von Welt und Mensch trotz aller Fraglichkeit im Grunde vertrauen kann. Mein Gott-Vertrauen als qualifiziertes, radikales Grundvertrauen vermag mir die Bedingung der Möglichkeit der fraglichen Wirklichkeit anzugeben. Insofern zeigt es eine radikale Rationalität, die sich vom ideologischen Rationalismus, der die Ratio verabsolutiert, klar unterscheidet.


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* Zum Autor:
Hans Küng, geboren 1928, studierte nach dem Abitur Philosophie und Theologie. 1954 wurde er ordiniert und bekam ein Jahr später das Lizenziat der Theologie. 1957 wurde er in Frankreich promoviert zum Dr. theol., 1960 wurde er ordentlicher Professor der Fundamentaltheologie an der Universität Tübingen. 1962 ernannte Papst Johannes der 13. ihn zum offiziellen theologischen Konzilsberater. 1963 - 80 war Küng ordentlicher Professor der Dogmatik und ökumenischen Theologie an der Universität Tübingen; nachdem ihm 1979 die kirchliche Lehrbefähigung entzogen wurde, schied er aus der Fakultät der Universität aus, blieb aber Professor für ökumenische Theologie und Direktor des Instituts für ökumenische Forschung. Eine neue wichtige Aufgabe übernahm er als Präsident der 1995 gegründeten "Stiftung Weltethos". Wie kaum ein Theologe seiner Zeit bestimmte und bestimmt Küng die öffentliche Diskussion über Christentum, Kirche sowie andere religiös-theologische Probleme. Im Rahmen seiner Stiftung fordert er die Religionen dieser Welt dazu auf, in einen friedlichen Dialog miteinander zu treten, um sich auf ein gemeinsames Ethos zu besinnen.


Buchauswahl:

- Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion. Piper-Verlag.
- Das Christentum. Piper-Verlag.
- Die Frau im Christentum. Piper-Verlag.
- Der Islam. Piper-Verlag.
- Ewiges Leben? Piper-Verlag.
- Christentum und Weltreligionen (zusammen m. H. Bechert). Piper-Verlag.
- Credo. Das apostolische Glaubensbekenntnis, Zeitgenossen erklärt. Piper-Verlag.
- Die heiligen Schriften der Welt, 5 Bde (Hrsg.). Verlag Diederichs.
- Projekt Weltethos. Piper-Verlag