PA4-Aktions-Modell . Sprachbewegtheit . Dialektik
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PA4-Aktions-Modell . Sprachbewegtheit . Dialektik
1995-1999
PA4 Modell – Bildung
PA4-Aktions-Modell
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-aktionsmodell.htm Sprachbewegtheit
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/sprachbewegtheit-t.htm Dialektik
http://archiv.kultur-punkt.ch/akademie4/diskurs/pa4-dialektik.htm
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PA4 Aktionsmodell : Langzeitliche kulturelle Verhaltens-Paradigmen
Langzeitliche kulturelle Verhaltens-Paradigmen
PA4 Aktionsmodell zur Entfaltung verbesserter ethisch-ästhetischer Verhaltensmuster in der Gesellschaft
Was haben wir: Was können wir:
Desorientierende Ziele Halluzination Wilde Prophetismen, -gewaltbestimmte Anarchie -Egoismus, Arroganz, Narzissmus -Selbstkritik als Aufstiegskalkül -Anpasserei, Speichelleckerei, Verrat -Entfremdung opportun nutzen -Staatskunst, Kitsch produzieren -Nostalgie um jeden Preis/Verdrängung -Opportunes Verhalten vergeht Staat> als schlanker Bräutigam schwach: unwirksam..als Folge Herrschaft von wenigen, die Geld-, Einfluss, nationalsozial-eschatologische Ambitionen auf Kosten aller umsetzen, Verwirrung stiften, falsifizieren: falsche Aussagen, Theorien & Thesen verbreiten Neoliberalisten & Die Reichen und ihre Untertanen im Unternehmen als schlanke Braut, Bestbietern im Multipack, Arbeitsleben vernichten, -Anfang &-Ende ausschliessen, Innovatoren &Kreative ausgrenzen, Armut aggressiv privatisieren, Errichtung globaler Standort- karussels, auf Kosten lokalregionaler Ausblutung Mengenherrschaft, Fascesbündel, gelenkt von Ver-Führern aus Wirtschaft, Politik & eschatologisch-nationalsozialen Be-schwörern, gedeckt & gesponsert durch das Eventmarketing von Reichen und ihrer Funktionierer Natur als Mythos, Traum, Flucht –Arroganz -Verachtung für die Andersseienden -Tod als Heldenwesen >Krieg -Gleichheit durchsetzen -Einheit zentralisieren -Häufung von Pluralismen -Ungesicherte Datenautobahn Opfer, erwünscht, da hier der Ansatz zu immerwährender Todesbereitschaft in Richtung Opfertod und damit Heldentum stilisiert werden kann - in Richtung Krieg/Krompromiss> Selbstvernichtung Rückschläge als Leergut -Anders-Scheinen und –Sein -Heimatlosigkeit, Deprivation/GläsenerMensch -Abwendung, Unerbittlichkeit, Hass -Ausgrenzen/Verbannen/Verfolgen/ Vernichten Beharren auf dem Gestrigen/Atavismus |
< -/+ > Obere Ebene:Koesis |
Sorge für Bedarfsorientierte Ziele Zuversicht > Der Weg ist das Ziel Warner, Zeichengeber -geistig-soziale Anarchie -Laterales Denken & Handeln, Rückzug -Selbstkritik als Demut -Rückzug, Widerstand -Entfremdung als Material nutzen -Inneren Auftrag realisieren -Vergangenheitsabbau/Trauerarbeit leisten -Kunstschaffen besteht als Regulativ &Fürsorglich Regierende qualitativ stark: Sicherheit, Kooperation, Umdenkbereitschaft, Monopolreduktion Mobilisierung des immateriellen Reichtums-Fleiss-Ideen-Hilfsbereitschaft-direkte Mitbestimmung-Geborgenheit-Redlichkeit-Teilen im Ganzen-Realismus statt Sparsamkeit Soziale Makrowirtschaftler, die die Armen im global-lokalen Unternehmen integrieren: Arbeitsleben-Anfang & -Ende geben, mitverantworten, mit Innovatoren & Kreativen kooperieren, Armut progressiv aus dem Reichtum bewältigen, Vertiefung regionaler Präsenz mit globaler Nutzung vorhandener Produktivkräfte, mithilfe der qualifizierten und gesicherten Datenautobahn für die Arbeitslebensplätze vor Ort, global und zeitlebens, insbesondere für jung und alt Qualitative Demokratie, in der Führer ><Bürger kooperieren Direkte kooperative Führung & Entscheidung zur Bewältigung der belasteten Vergangenheit Natur & Mensch in Richtung der ökolateralen -Diskurs-Gesellschaft -Natur als Ökosphäre -De-Mut -Achtung vor dem Andern -Verschiedenheit anerkennen -Vielheit lokalisieren - Datenautobahn-Herberge + Firewall Entscheidungsstarke Aktivisten die Lebensfreude ausstrahlen, um die Not von vielen Bescheid wissen und Antworten auf diese geben & vermitteln können in Richtung Friedfertigkeit/Konsens Rückbesinnung/Erhalten als Lerngut -Sein und Schein optimieren/Schatten abbauen -Alltag als Heimat/Geborgenhei/Privatheit -Freundschaft, Zuwendung, Schicklichkeit -Eingrenzung/Integration, laterales Füreinander Beharrlichkeit im Vermitteln der |
Sprachbewegtheit - Ein Kernanliegen der PA4
Sprachbewegtheit ist ein grundsätzliches wie bildhafte Anliegen an der Platon Akademie und am Kultur-Punkt |
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Unser generelles Kernanliegen am Kultur-Punkt: verstanden Neue, aufrichtende Muster der herrschenden Entfremdung und Beliebigkeit entgegenzustellen. Denn unternehmerische wie einzel-<menschliche Beziehungen können nur lebendig bleiben, wenn die Partner immer und immer wieder versuchen, aus ihrer Verschiedenheit etwas Neues zu machen>: Margarete Mitscherlich, Psychoanalytikerin, zu Melville D. Mummert, Fusionsberater.Die Zeit Nr.23/99. Vertiefend kommt hinzu Wir bevorzugen professionelle Dilettanten / -onkel und statt der Lauf-/Zapp- oder Surf- die Langzeit- Bahn. Wir achten statt auf den Wortlaut mehr auf das Begriffliche und Ungewisse, ziehen uns - gleich Platon - oft auf das Vage, das Zwischenzeilige zurück. Wir sind auch respektlos; wir gucken nach Ozon-Löchern in die Luft, gehen auf der Sonnenseite der Energie, sind Flaneure, Autodidakten und vergeben nach einer persönlichen Beratung und einer gelungenen Verunsicherung / Entschleunigung die Auszeichnung <prof. dil.> nach dem alltagspraktischen Modell von Helmut Qualtinger und Hazel Rosenstrauch, 13. 2/99 swr2, sowie Zé de Rock (im Rezensionsteil/Jugendkultur, nachzulesen). Sprache also professionell-dilletantisch empfunden statt verstanden, das heisst bei uns, bildhaft statt Wort- oder Faktendrescherei. Und im platonischen Diskurs was heisst wir bedienen drei spaltige Aussagefelder: links, das Positive, Erkenntnisreiche (der kurze Weg zum Einen), mittig die Fragende Position und rechts das Negative oder Umwegige (Der lange Weg zum Einen oder Ke/ain/em) Denn das Übliche kann jeder in entsprechenden Sprachgeschichtsbüchern selbst herholen. 1 Sprache langzeitlich betrachtet gleicht also dem Wasser (Quelle, Bach, Fluss, Meer, VerDUNSTung, Wolke, Kristall und zurück) was soviel heisst wie VerWANDlung >Metamorfose. 2 Sprache gewinnt und verliert im Zeit-Raum-Diskontinuum. Sprache hat sich auf den Weg gemacht, hat empfunden und gefunden sowie verloren 3 Sprache hat eine babylonische Unterflächen-Architektur gezeugt deren Ausdehnung und Struktur sich als Pilzgeflecht mehr innert der Erd- und Mensch-Oberfläche also geomantisch vernetzt 4 Sprache hat eine virtuell-funktionalistisch-rationelle Oberfächen-Architektur erzeugt deren 0/1-Bewegtheit einem Minimal-Kompromiss statt Optimum-Konsens realisiert und so für uns professionelle DiletTanten und – Onkeln nur im Zwischenraum (zwischen im Schrägfeld "/"und in der Pause "." oder im Leerraum zwischen zwei Zeichen / / eine tiefer bewegende Bedeutung mitzuteilen imstande ist... Nachtrag vom Samstag 16.2.02 zu Zwischenraum-Mitteilung Sprach /Sprechbeispiel: Greenspan wird von einem amerikanischen Kongressmitglied nach seinem Vortrag über die Finanzlage angesprochen: " ..Ich glaube jetzt, dass ich Sie ganz genau verstanden habe". Greenspan entgegnet:"Dann haben Sie mich nicht verstanden". 5 Sprache als Tat- und Heil-Denkzeug
6 Sprache ist auch Atem /Lebensstoff, der beim Einatmen tief in den Körper eindringen kann (Mund, Nase, Haut > Brust, Bauch, After und beim Ausatmen zurück in den Kopf gelangt in das im Yoga, Chi und Ayurveda genannte Zentrum des Ichs zum Selbst und in der Aura darüber in das Kosmisch-Erleuchtende, Licht, Göttliche auch Metaphysische, schliesslich das von Platon genannte EINE. Bitte an Alain, Gaetano und Martine evt. weitere Statements, die dazu dienen da in Schliengen weiter besprochen zu werden.. Alles Liebe Gute und Schöne bis 24.2. Von Marga und Walter
Liebe Martine lieber Gaetano Ich habe Deine Frage nach der Sprachbewegung, die Dich bewegt (Du hast schon mehrfach danach gefragt) in Geschichtsbüchern und Lexika nachgesehen und habe folgendes daraus gelernt. Ich hoffe es gefällt Dir, da ich es sehr kurz und bündig, mit allen Wassern Europas gewaschen, zusammengefasst habe. Indo-europäische SPRACH-BEWEGUNGEN (geo-politisch- und fluss-landschaftlich betrachtet) von Walter Prankl 12/2001 für Gaetano D'Emma zu weiterem Diskurs geeignet. 5.-1. Jahrtausend vor Christus
1.Jahrtausend nach Christus: Völkerwanderung. Mit ihr wandern die Sprachen vor allem nach Fluss oder Meer
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Dialektik der Akademie Platons /PA4
Die Frage ist zu stellen, was uns heute bewegt. Es darf die Art der platonischen Dialektik nicht nur unter dem Aspekt betrachtet werden, wieviel von dem heute Gängigen bereits damals erarbeitet und praktiziert wurde.
Überblick für den Schnellleser
"Vielleicht nähern wir uns eines Tages wieder der Auffassung Platons, dass es für alle Bereiche der Theorie und des ethischen Handelns – Natur und Geschichte, Mathematik und Politik, Logik und Technik – einen gemeinsamen Begründungshorizont gibt und dass in diesem Horizont das humane Leben gerade deswegen am ehesten gewährleistet ist, weil hier nicht der Mensch als das Mass aller Dinge gilt."
1 Einführung
F: Heutzutage scheint Dialektik zu einem Schlagwort geworden zu sein, mit dem man unklaren Aussagen den Anschein des Geistreichen und Tiefgründigen geben will. Lässt sich trotz der verschiedenen Bedeutungen, die das Wort »Dialektik« angenommen hat, eine allgemeine Grundbedeutung herauskristallisieren?
A: »Dialektisch« mag man ein Denken nennen, welches mit Gegensätzen, Alternativen, Antinomien und dergleichen mehr umgeht.
F: Aber eigentlich ist damit noch gar nicht viel gewonnen: Bestehen nicht grundsätzlich zweierlei Tendenzen im Umgang mit dieser Bipolarität?
A: Ganz recht. Der Dialektiker kann einerseits die Unversöhnlichkeit der Widersprüche betonen und auszuhalten versuchen, oder auf der anderen Seite sich um eine Synthese, Vermittlung oder Aufhebung bemühen.
F: Angesichts der Begriffsverwirrung darf man sich vielleicht eine Klärung davon erhoffen, indem man zum Ursprung der Geschichte des Begriffs »Dialektik« zurückgeht, also zu Platon. Er hat das Wort geprägt und mit ihm den Kern seiner Philosophie bezeichnet.
A: Nun ja. So einfach ist es leider nicht, denn ein Vergleich mit der Meinungsvielfalt der Interpreten dieser antiken Dialektik scheint uns vor die gleichen Schwierigkeiten zu stellen. Die Hauptursache dieser Unsicherheit scheint darin zu liegen, dass die modernen Exegeten vielfach eigene Vorstellungen von Dialektik und vorbildlicher Philosophie auf Platon zurückprojizieren.
F: An was ist dabei zu denken?
A: Man betont das Methodische, Offene, Alternierende, Formale – so wie es dem modernen Zeitgeist entgegenkommt. Der redliche Philosoph hat angeblich allein Probleme und Reflexionsmethoden zu bieten, aber beileibe keine inhaltlich bestimmten Antworten. Alles, was irgendwie nach Metaphysik, Objektivismus und Systematisierung aussieht, wird abgelehnt.
F: Und was bewirkt nun eine derartige anachronistische Deutung?
A: Von modernen Standpunkten aus droht daher verdeckt zu werden, dass die platonische Dialektik in erster Linie nicht zwischen gleichberechtigt-antithetischen Gegensätzen zu vermitteln sucht, sondern es ganz allgemein und prinzipiell mit Einheit und Vielheit zu tun hat. Es wird verdrängt, dass Platons Dialektik Endgültigkeit, Letztbegründung, universale Einsicht sucht und auch erreicht zu haben glaubt.
F: Nun könnte man sich dabei beruhigen und sagen: Jeder hat den Platon, den er verdient; und um so besser, wenn die platonische Philosophie durch das Hervorheben gewisser Aspekte dem modernen Bewusstsein angenähert und sympathisch gemacht wird...Wie steht’s damit?
A: Das Desiderat wird damit keineswegs aufgehoben, höchstens aufgeschoben: Es gilt zunächst das ursprüngliche Ganze der platonischen Dialektik historisch richtig zu erfassen – und dann erst die Frage zu stellen, was es uns heute bedeuten mag. Es darf nicht der umgekehrte Weg eingeschlagen werden und diese Art der Dialektik (und die damit verbundenen Philosopheme) unter dem Aspekt betrachtet werden, wieviel von dem heute Gängigen bereits damals erarbeitet und praktiziert wurde.
2 Weg und Ziel
F: Es ist immer schon unangenehm aufgefallen, dass Sokrates in den Dialogen Platons (insbesondere in den frühen und mittleren) stets Recht hat. Inwiefern wird die Überlegenheit seiner Position legitimiert?
A: In der Tat ist für die platonische Dialektik gerade dies kennzeichnend, dass der Philosoph in diesen Dialogen nicht mit gleichrangigen Partnern diskutiert, sondern die weniger weit Fortgeschrittenen der Erkenntnis näherbringt. Hier unterredet man sich nicht, um unterschiedliche Meinungen aufeinander abzustimmen und die Wahrheit durch Verständigung im Sinne eines Ausgleichs zu erreichen.
F: Mit anderen Worten: Nicht der Konsens ist das Kriterium der Wahrheit, sondern eine Sachgemässheit, deren Sokrates auch ohne die Zustimmung seiner Gesprächspartner gewiss ist.
A: Völlig zutreffend. Sokrates als der dialektische Gesprächsführer ist den anderen immer schon voraus, weil er die Wahrheit kennt. Er kann sie nur nicht jedem einfach mitteilen, sondern muss Rücksicht auf die mehr oder weniger beschränkte Aufnahmefähigkeit der anderen nehmen. Auf dem Weg des Höhlengleichnisses geht der eine voran, der andere soll ihm folgen.
F: In diesem Zusammenhang sagt Sokrates im Phaidon (99 c-e), da die Wahrheit und die Ursache aller Dinge unmittelbar zu erkennen schier unmöglich scheine, habe er sich bei seiner Suche zu einer »zweitbesten Fahrt« gesehen. d.h. nicht mit vollem Segel, sondern mit der Anstrengung des Ruderns. Wofür steht diese Metapher aus der Seefahrt?
A: Damit ist die Flucht in die Logoi des dialektischen Forschens gemeint.
F: Dies klingt wie ein Verzicht auf die sichere Wahrheitserkenntnis...
A: Nun, Platon spricht hier offenbar von einem Umweg (Politeia 504 b-d; Phaidros 274 a), der desto sicherer zur Erkenntnis der wahren Seinsursache führt. Der Sokrates des Phaidon sieht also einen Weg, auf dem man dem Logos immer weiter folgen muss – so lange, bis deutlich wird, dass der Weg ein Ende hat, bei dem das Suchen aufhört, weil man dasjenige, wodurch alle Dinge zusammengehalten werden (99 c5-6), gefunden hat.
F: Das heisst also, es gibt ein letztes Ziel der philosophischen Dialektik.
A: Jawohl. In den Büchern VI und VII der Politeia wird genauer angedeutet, was dafür angesehen wird: die Idee des Guten. Sie steht als Ursache über allem Seienden wie die Sonne über allem Sichtbaren. Der Dialektiker steigt von den ersten Voraussetzungen der Mathematiker aus hinauf zum absolut Voraussetzungslosen dieses Ursprungs (510b, 511b). Der Aufstieg aus der Höhle führt zu dieser ganz bestimmten höchsten Erkenntnis und von ihr wieder zurück in die Welt der Schatten, in die Welt des Scheins. Sokrates lässt keinen Zweifel daran, dass das immer wieder neue Suchen und Forschen notwendig sind, doch alle Wege auf das eine Zeile hin ausgerichtet sind und hier das Suchen zur Ruhe kommt (532d – 534bc).
F: Trägt diese Aszendenz und Deszendenz, dieses Auf und Ab seinerseits metaphorischen Charakter?
A: Freilich. Dies wird durch eine Parallelstelle im Phaidros (278de) nahegelegt, an der Sokrates sagt, der Philosoph habe »Wertvolleres als das, was einer verfasst und schreibt, es auf und ab wendend in der Zeit, es aneinanderklebend und voneinandertrennend«.
F: Und was ist damit für das Verständnis der dialektischen Verfahrensweise gewonnen?
A: Das Auf und Ab im Text des Schriftstellers und das Zusammenkleben und Trennen in der Buchrolle wird hier deswegen mit diesen Worten geschildert, weil Platon damit zugleich an das Auf und Ab sowie das Verbinden und Trennen der dialektischen Untersuchungen erinnern will. Hätte die Dialektik nicht ein inhaltlich bestimmtes Ziel, würde es wenig Sinn machen, von einem Auf und Ab zu reden.
F: Die – angeblich allzu zeitgemäss argumentierenden – Erklärer, die Platons Dialektik als dauerndes Unterwegssein und In-der-Schwebe-Bleiben verstehen wollen, pflegen hingegen als Trumpfkarte die erotische Deutung der Philosophie im Symposion auszuspielen. Der Text scheint ja einer solchen Deutung nicht nur entgegenzukommen, sondern andere geradewegs auszuschliessen. Wie ist dem zu begegnen?
A: Hier wird in der Tat erklärt, dass der Philosoph mit dem Eros das Streben – zwischen menschlichem Nichtwissen und göttlichem Wissen – gemein hat. Der Eros wird als Dialektiker bezeichnet, wenn Diotima sagt: durch die Vermittlung der Daimones, zu denen auch der Eros zu zählen ist, geschehe zwischen dem Menschlich-Unvollkommenen und dem Göttlich-Vollkommenen aller Umgang, alles Miteinander-Reden (202e-203a).
F: Vor welchem Hintergrund ist nun diese Zwischenstellung, die der Philosoph quasi als »Götterbote«, als Medium zwischen Göttlichem und Menschlichem einnimmt, zu sehen?
A: Diese Mittelstellung des Eros wie des philosophischen Dialektikers setzt voraus, dass es das vollkommene Wissen gibt und dass das Streben des Philosophen ihm mehr oder weniger nahe kommen kann. Der Philosoph wird sich seiner Bedürftigkeit eben im Blick auf das absolut Vollkommene bewusst. Ja, Diotima erklärt ausführlich, dass die verschiedenen Arten der Liebe über mehrere Stufen zu dem einen Urgrund hinführen, der das Schöne selbst ist (210a – 212a). Der Dialektiker weiss um die endgültige Wahrheit und orientiert sich an ihr, auch wenn er über sie nicht wie über einen sicheren Besitz verfügt. Das Eros-Motiv macht also insgesamt klar, dass das Suchen und Streben des Dialektikers oft schwierig, aber nie ziellos ist, weil er der unwiderstehlichen Faszination der Wahrheit folgt.
3 Anspruch und Leistung der Dialektik
F: Das bisher Zusammengetragene lässt sich vielleicht auf den Nenner bringen: Weg und Ziel der Dialektik bedingen sich gegenseitig. Denn nur wer das anstrengende Unterwegssein auf sich nimmt, kann das Ziel erreichen, und nur die Bestimmtheit des Ziels lässt die Anstrengung als lohnend erscheinen und gibt dem Weg einen Sinn. Unweigerlich wird damit der Anspruch der Dialektik ins Feld geführt.
A: Genau. Ein erster Punkt: Weil die platonische Dialektik nicht nur ein methodisches, alles in der Schwebe lassendes Verfahren ist, sondern ein hochgestecktes Ziel zu erreichen sucht, stellt Platon an den Dialektiker Forderungen, die nur sehr wenige erfüllen können und wollen.
F: Der Blick auf das Ziel der platonischen Dialektik hat gezeigt, dass ihr Zweck gerade nicht skeptische Auflösung, sondern Ermittlung einer neuen, höheren Gewissheit ist. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob angesichts der von Platon erhobenen Forderung jeglicher Umgang mit der Dialektik zu dieser Gewissheit führt.
A: Der Beantwortung dieser Frage misst Platon grösste Bedeutung bei. Es bedarf nämlich einer charakterlichen Reife, einer Bereitschaft, normativ gültige Werte sowohl zu erkennen wie anzuerkennen, um einen Missbrauch dieses zweischneidigen Schwertes zu vermeiden. Seine eigene Auffassung von Dialektik steht im Gegensatz zu einem anderen, eristisch-unverbindlichen Umgang mit den dialektischen Methoden.
F: Worin lauert denn die mögliche Gefahr und wie ist ihr der Boden zu entziehen?
A: Im VII. Buch der Politeia (537e – 539d) erklärt Platon zum Erziehungsweg im Idealstaat: Die Dialektik rufe eine grosse Erschütterung hervor, weil sie die geltenden Werte zunächst in Frage stelle und alles relativiere. Dies verführe die jungen Leute zu dem Irrglauben, alles sei beliebig kritisierbar und manipulierbar und es gebe überhaupt keine verbindliche Wahrheit Deshalb dürfe man noch nicht die jungen Leute, sondern erst die Dreissigjährigen nach gründlicher mathematischer Vorbildung mit der Dialektik vertraut machen.
F: Bleibt diese Restriktion auf die jungen Leute beschränkt oder stellt der Zugang zur letzten anzustrebenden Gewissheit ein Privileg unabhängig von der Altersklasse dar?
A: In Platons Perspektive ist auch von den Erwachsenen längst nicht jeder fähig, das höchste Ziel zu erreichen. Wer auf den Wegen der Dialektik die volle Wahrheit erkennen will, muss sich nicht nur lange Zeit darauf vorbereiten; er muss auch eminent begabt sein, und zwar sowohl mit den Fähigkeiten des rationalen Denkens als auch mit dem Vermögen der intuitiven Zusammenschau.
F: Lässt sich diese Synopsis, dieses intellektive Einsehen etwas näher fassen?
A: Die höchste, alles umfassende Erkenntnis geschieht als eine Art Erleuchtung (VII. Brief, 341c-e, 344 ab); und das heisst, dass hier das diskursiv vorgehende dialektische Prüfen und Argumentieren sich schliesslich selbst aufhebt. Die mittels der Dialektik zuletzt erreichbare unmittelbar einleuchtende Einsicht, die dem Erkennenden das ganze Sein zu voller Evidenz bringt, ist zwar durchaus in Sätzen formulierbar, aber sie ist auf diese Weise nicht einfach mitteilbar: Sie lässt sich, wie sie durch die vorbereitenden Logoi der Dialektik erreicht werden kann, zwar auch mit Logoi darstellen, aber so nicht als wahr erweisen.
F: Und was bewirkt dieses unmittelbar einleuchtende Einsehen beim Dialektiker?
A: Er vermag sich nunmehr kraft seiner Natur und anderer günstiger Voraussetzungen am wahrhaft Guten zu orientieren und weiss infolgedessen auch die dialektische Methode zielsicher zu handhaben.
F: Die Überlegenheit des echten Dialektikers scheint so gesehen bei Platon insbesondere auf dieser aussergewöhnlichen Art von Erkenntnis zu beruhen. So erscheint die in den Dialogen oft zu machende Beobachtung in neuem Licht, dass die Dialektik nicht voraussetzungslos sucht, sondern sich von bestimmten Grundüberzeugungen leiten lässt.
A: Ganz genau. Sokrates findet die wahren Ausgangspunkte nicht durch die Dialektik, sondern durch eine richtige Ahnung, eine Eingebung, eine innere Verwandtschaft mit dem Wahren – die dann allerdings mittels der Dialektik befestigt und in sicheres Wissen verwandelt wird. Es gilt sich nur zu vergegenwärtigen, dass z. B. die philosophische Unterweisung, es gebe einen göttlichen Grund alles Gutseienden, in den Dialogen immer schon vorausgesetzt ist, ohne radikal in Frage gestellt und argumentativ bewiesen zu werden.
F: Worin besteht also letzten Endes die Schwierigkeit der Dialektik?
A: Rein als Methode genommen, könnte die Dialektik zu allen möglichen Beweisführungen dienen und auch völlig falsche Ergebnisse produzieren. Sie geht zwar vom sichtbar Vorhandenen und allgemein Bekannten aus, dieses aber soll transzendiert werden auf die überempirische Realität der Ideen hin, die dem gewöhnlichen Menschenverstand entzogen sind (vgl. Politikos 285e-286a), und schliesslich auf das letzte Ziel hin. Dieses wird in den Dialogen tatsächlich immer nur angedeutet, nicht jedoch direkt beschrieben. Das höchste Prinzip ist derart voraussetzungsreich, dass der Versuch einer schriftlichen Mitteilung bei den allermeisten Lesern zu Missverständnissen führen müsste.
F: Womit wir wohl mit der Leistungsfähigkeit der platonischen Dialektik angelangt wären...
A: Wie viel sie zu leisten vermag, zeigt sich darin, dass sie den Menschen nicht nur der Wahrheit, sondern – da sie zur Erkenntnis des Guten führt – zugleich der Eudaimonie, der Glückseligkeit, nahebringt. Am schönsten sei das ernsthafte Bemühen um das Gerechte, Schöne und Gute (Phaidros 276e – 277a), denn der Vernünftige soll sich nicht darin üben, Mitsklaven zu Gefallen zu sein – es sei denn als Nebenzweck –, sondern guten Herren von guter Herkunft (ebenda, 274a).
4 Die Grundfigur
F: Wie funktioniert nun aber die so anspruchsvolle platonische Dialektik im einzelnen und im ganzen und auf welche Weise führt sie zu dem überragenden Ziel hin?
A: Leider sagt Platon nirgends in den Dialogen klipp und klar, was er insgesamt unter »Dialektik« versteht. Doch ebenso eindeutig und entschieden gilt es festzuhalten, dass Platon nirgends in den Dialogen darauf hinweist, dass sich für ihn die Bedeutung von »Dialektik« wesentlich verändert hätte.
F: Wahrscheinlich gibt er deswegen nirgends eine umfassende Beschreibung der Methode, weil er dem Leser die dialektische Aufgabe, sich den Gesamtsinn der verschiedenen Aspekte klar zu machen, nicht abnehmen konnte und wollte.
A: Warum auch nicht? – Nicht unterschlagen werden darf jedoch die Herkunft und die dabei mitschwingenden Bedeutungsnuancen: Das Wort »Dialektik« wächst in den platonischen Dialogen gleichsam organisch aus der prägnanten Bedeutung von »dialegesthai« heraus. Damit bezeichnet Platon nicht nur ein beliebiges Miteinandersprechen, sondern eigentlich ein Fragen und Antworten, das die Wahrheit zu erkunden und zu sichern sucht, also über die Erscheinungswelt hinausgeht in die Welt der Ideen, weil Platon überzeugt ist, dass man die Wahrheit nicht empirisch, sondern nur mit dem reinen Denken finden und erfassen kann (vgl. Politikos 285e-286a). Anscheinend hat Platon bei der Prägung dieses Wortes auch die beiden anderen etymologischen Wurzeln genutzt, nämlich in der homerischen Bedeutung »durchzählen«, »durchüberlegen« sowie das Aktivum, das »aussondern«, »unterscheiden« bedeutet.
F: Vor diesem Hintergrund sollten wir nun auf die Möglichkeit und Gestalt eines Leitmotivs in Platons Dialektik zu sprechen kommen.
A: Nur zu. Ohne sich einer unzulässigen Vereinfachung schuldig zu machen, lässt sich durchaus eine einheitliche Grundfigur angeben, die überall wiederzufinden ist, wo Platon dialektisches Denken vorführt. Wie Platon selbst in den späteren Dialogen öfters sagt, hat es Dialektik immer mit dem Verhältnis zwischen Einheit und Vielheit zu tun, genauer: mit dem gestuften, gegliederten, vermittelnden Übergang zwischen Einheit und Vielheit (vgl. Phaidros 266 b5-6; Sophistes 253d; Philebos 15b; Nomoi 903e – 904a, 965 bc).
F: Diese Feststellung erlaubt es sehr wahrscheinlich auch, das Auf und Ab der Dialektik, von der vorhin die Rede war, genauer zu fassen oder etwa nicht?
A: Das ist korrekt. Um den Zusammenhang zwischen Einheit und Vielheit zu erkunden, geht das dialektische Verfahren immer wieder aus von einer noch unbestimmten, ungeklärten Voraussetzung, in der Einheit und Vielheit noch ungeschieden sind, und führt über die bestimmte, differenzierte Vielheit ›hinauf‹ zur bestimmten, absoluten Einheit. Umgekehrt beschreitet es ebenso auch den Weg ›hinab‹ von der absoluten Einheit in die differenzierte, gegliederte Vielheit bis herunter zum Konfusen und Unbestimmten, was sich wie folgt veranschaulichen lässt:
Bestimmte, wahre EINHEIT
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Bestimmte, differenzierte VIELHEIT
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Unbestimmte, konfuse EINHEIT = VIELHEIT
F: Aber eine solche formelhafte Umschreibung ist doch trivial!
A: Dennoch liegt das Geheimnis der Welt darin, dass sie einerseits unendlich vielfältig, unbestimmt wechselnd und widersprüchlich ist und andererseits auch, weil alles zu allem in Beziehung steht, ein geordnetes Ganzes, eine Einheit bildet.
F: Macht es sich Platon bei der Bewertung des Einheitlichen und Vielheitlichen nicht zu leicht, wenn er von der Annahme ausgeht, dass wir mit dem Bestimmten, Begrenzten und Einheitlich-Ganzen näher beim Wesentlichen und Guten sind als mit dem Unbestimmt-Vielfältigen und Disparat-Auseinanderfallenden?
A: Man mag in der Option, von der sich Platon leiten lässt, ein Vorurteil sehen. Sie ist jedoch für das griechische Denken insgesamt kennzeichnend und lenkt im Grunde auch noch unser Denken und Handeln. Platon sieht aber auch die Schwierigkeit, dass sich vor die wahre, bestimmte Einheit falsche, irreführende Einheitsvorstelllungen drängen. Eben dazu bedarf es, wie er meint, der Dialektik, dass wir das nur scheinbar Einheitliche von wahrhaft Einen unterscheiden.
F: Und was soll das wiederum bedeuten?
A: Der platonische Dialektiker stellt fest, dass es im Bereich der gewöhnlichen Sprache, der sinnlichen Erfahrungen und blossen Meinungen immer nur unechte, konfus-widersprüchliche Einheiten gibt, während das wahrhaft Einheitliche, das nicht zugleich auch Vieles ist, nur in der Welt des reinen Denkens, bei den Ideen vorkommt.
F: Geht damit aber nicht eine Abwertung des erfahrungsmässig Näherliegenden einher?
A: Die Dialektik belässt es nicht mit solch einfachen Qualifizierungen wie Einheit ist »gut«, Vielheit dagegen »schlecht«. Die Erscheinungen verhalten sich zur Idee und zum Prinzip nicht unbedingt wie Vielheit zu Einheit, sondern eher wie die unbestimmte Vermengung von Einheits- und Vielheitsmomenten zu der bestimmten, genau fassbaren Verbindung (Logos) des Vielen im Einen. Niemals gelangt der Dialektiker zur wahren Einheit ohne die genau abgrenzende Distinktion der Vielheit. Er muss das Eine als das dem Vielen Gemeinsame und das Viele als das in der Einheit Begründete versehen. Weil, wie Platon öfters sagt, alles mit allem zusammenhängt, kann man eines nur in Verbindung mit allem anderen erkennen (vgl. Menon 81c9 – d1; Symposion 202 e6-7; Philebos 18 c7-8).
F: Womit wir wiederum bei der Zusammengehörigkeit von Weg und Ziel der Dialektik wären.
A: Wenn das Ziel die bestimmte Einheit ist, so erreicht man sie doch nur durch die methodisch planmässige Erforschung der reichgegliederten Strukturen zwischen Einheit und unbestimmter Vielheit, in denen sich das Moment der Einheit ordnungsstiftend auswirkt. Man gelangt zur begründenden Einheit nicht durch Simplifizierung, sondern durch äusserste Verdichtung und Konzentration der Vielheit.
F: Schliessen sich aber die einander entgegengesetzten Richtungen, in denen sich die Dialektik bewegt – gleichsam aufsteigend von den Erscheinungen zu den Ideen und Prinzipien, sprich: die Reduktion, und absteigend von dem höchsten Ursprung zurück zu den Erscheinungen, d.h. die Deduktion – aus oder ergänzen sie sich gegenseitig?
A: Nicht nur der Aufstieg, sondern in gewisser Weise auch für den Abstieg gilt, dass das dialektische Verfahren vom noch Unbestimmten über die differenzierte Vielfalt zur bestimmten Einheit fortschreitet.
- Beim Aufstieg ist die zunächst unbestimmte Voraussetzung ein sprachlicher Ausdruck (der Name einer Sache), eine Erscheinung, eine gewöhnliche Meinung. Das so Vorgegebene wird in seine verschiedenen Komponenten auseinandergelegt; und diese werden weiter auf die gemeinsam zugrundeliegende, prinzipielle Einheit zurückgeführt.
- Bei der umgekehrten Prozedur des Abstiegs ist das umfassend-allgemeine Erste, von dem die Untersuchung ausgeht, zunächst noch unbestimmt, aber im Zuge der Entfaltung der in ihm angelegten und von ihm begründeten Vielheit wird es schliesslich als spezifizierte, inhaltlich bestimmte Einheit begreifbar.
F: Das tönt nach einer jeweils zweiteiligen Vorgehensweise bei der Aszendenz wie bei der Deszendenz.
A: Ganz genau. Zudem ist das zielsichere Beschreiten der beiden Wege um so schwieriger, da die Prozeduren, die sowohl bei der Reduktion wie auch bei der Deduktion in Betracht kommen, recht verschieden sind:
[1] Die Reduktion beinhaltet [a] den ›generalisierenden‹ und integrierenden Prozess der Zusammenschau (Synopsis, Synagogé) der einzelnen Individuen und Arten auf die allumfassende Gattung hin und [b] den ›elementarisierenden‹ Prozess der Auflösung (Analysis) konkreter Phänomene in die einfachsten, massgebenden Bestandteile (Stoicheia), die wiederum untereinander durch eine einheitliche Ordnung verbunden sind.
[2] Die Deduktion umfasst dementsprechend umgekehrt [a] die differenzierende Zergliederung (Dihairesis) der Gattung in die einzelnen Arten und Unterarten und [b] die konkretisierende Zusammensetzung (Synthesis) komplexer Gebilde aus den elementaren Bestandteilen.
Auch in diesen unterschiedlichen Aspekten muss der Dialektiker schliesslich die sachliche Übereinstimmung und Konvergenz erkennen.
5 Beispielhafte Dialogstellen
F: Nach diesen abstrakten Bemerkungen wäre es vielleicht angebracht durch einen Blick auf einzelne Passagen aus den Dialogen zu untermauern, dass diese modellhaft skizzierte Grundfigur der Dialektik die Gespräche prägt.
A: Wir wollen mit den frühen, noch in einer Aporie endenden Dialogen beginnen. In ihnen ist die unbestimmte Einheit, von der die Untersuchung ausgeht, der mit verschiedenen Meinungen verbundene Name der gesuchten Tugend (Areté). Im Laches etwa fragt Sokrates nach dem, was mit dem Begriff Tapferkeit bezeichnet wird. Es zeigt sich, dass das unterschiedliche Ansichten hervorrufende Wort die Einheit der Sache noch keineswegs klar macht. Tapferkeit scheint darin zu bestehen, dass man die Feinde mutig angreift; aber auch vieles andere, ja das Gegenteil kann tapfer sein.
F: Wahrscheinlich würde diese Relativierung gerade ein sophistischer Eristiker dazu ausnützen, eine beliebige These eindrucksvoll zu verfechten oder die destruktive Auffassung zu vertreten, dass es so etwas wie die Tapferkeit eigentlich gar nicht gebe.
A: Dies ist sehr wohl anzunehmen. Der philosophische Dialektiker hingegen versucht nun erst recht, im Durchgang durch die vielen Aspekte das wahrhaft Tapfere und überhaupt das Gute zu finden, und zwar als das den vielen Aspekten und Fällen einheitlich Zugrundeliegende. Die elenktische Prüfung nimmt die ganze Reihe der hypothetischen Definitionsansätze durch, um das Partikuläre und Widersprüchliche so abzuarbeiten, dass das Gemeinsame allmählich hervortritt. Diese Bemühung führt über die bestimmte Vielheit der verschiedenen Möglichkeiten schliesslich hinaus zu der umfassenden, wahren Einheit jenseits der Erscheinungen und Meinungen – auch wenn die Idee in den aporetischen Frühdialogen nur unsicher angedeutet wird.
F: Es lässt sich gewiss auch aus der mittleren Schaffensperiode ein anschauliches Beispiel für dieses Verfahren anführen.
A: In der Politeia wird die dialektische Kunst ausdrücklich zunächst im V. Buch zu Rate gezogen, wo es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht – im übrigen eine Frage, die auch heute noch nur eine dialektische Antwort zulässt. Sokrates vertritt in diesem Gesprächsabschnitt (453e-454b) die These, dass Männer und Frauen die gleichen politischen Aufgaben erfüllen sollen. Diese Gleichberechtigung und Gleichverpflichtung soll gelten, falls Frau und Mann ihrer Natur (Physis) nach gleich sind (453b).
F: Aber es zeigt sich doch hier, dass sie insofern verschieden sind, als der Mann zum Zeugen, die Frau zum Gebären fähig ist. Also scheint sich Sokrates in einen Widerspruch zu verstricken, wenn er trotzdem dafür plädiert, dass sie die gleichen Aufgaben wahrnehmen sollen!
A: Ein Widerspruch entsteht nur dann, wenn man sich wie die Eristiker an das Wort »Gleichheit« oder »Ungleichheit« hält und behauptet, das eine schliesse das andere aus. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man die Sache dialektisch betrachtet und sieht, dass verschiedene Aspekte zu bedenken sind: In einer Hinsicht – nämlich biologisch – sind männliche und weibliche Natur verschieden, in anderer – nämlich politischer – Hinsicht sind sie gleich. Dabei ist der zweite, politische Aspekt bedeutsamer, weil er die gemeinsame Vernunftnatur von Mann und Frau, die wahre Einheit der menschlichen Physis berücksichtigt.
F: Na gut, einverstanden. Es gilt also die verschiedenen Aspekte gegeneinander abzuwägen. – Ausserordentlich wichtig scheint zudem der Zusammenhang zwischen Mathematik und Dialektik zu sein, der am Ende des VI. und VII. Buches der Politeia zum Hauptthema des Gesprächs wird. Man erfährt (zunächst im Liniengleichnis, dann auch bei der Auslegung des Höhlengleichnisses), dass die Dialektik von den ersten Voraussetzungen der Mathematik ausgeht und diese durch den Ideenbereich hinaufverfolgt bis zur Idee des Guten, um dann von dieser wieder herabzusteigen zu den einzelnen Ideen (510b – 511c). Was hat es damit auf sich?
A: Die mathematischen Wissenschaften werden hier als Modellbereich dargestellt, an dem sich die Dialektik orientiert. Im VII. Buch spricht Sokrates zweimal (531cd, 537bc) von einer Zusammenschau der mathematischen Entitäten, die dem Dialektiker den Weg weisen soll zur Erkenntnis der allgemeinsten Seinsprinzipien, letztlich der Idee des Guten. Diese Synopsis der im Bereich der Mathematik erzielten Ergebnisse sei »die stärkste Probe dafür, ob einer dialektisch begabt ist oder nicht; denn wer zur Zusammenschau fähig ist, ist es auch zur Dialektik, der andere nicht« (537 c6-7). Anhand dieser Passagen lässt sich zeigen, dass das Gemeinsame der mathematischen Entitäten gerade der Grundgegensatz von Einheit und Nicht-Einheit, Bestimmtheit und Unbestimmtheit ist.
F: Gibt es nur diesen einen Vergewisserungsbereich für den Dialektiker oder kommt noch anderen eine ähnliche Rolle zu?
A: Neben der Mathematik bildet ausserdem die Sprache den anderen Modellbereich der Dialektik. Sie wird als Medium der Dialektik im Kratylos thematisiert. Der Dialog entwickelt die Orientierungsfunktion wie auch die vom Dialektiker zu überwindende Defizienz der Sprache.
F: Damit ist doch wohl gemeint, dass sich der Dialektiker auf die Sprache stützt, weil sich auch in ihr die Grundstruktur von Einheit und Vielheit manifestiert?
A: Korrekt. In der Einheit des sprachlichen Wortes (oder Namens) zeigt sich, wenn auch in unzulänglicher Form, etwas von der Einheit des Begriffs und der Idee. Im sprachlichen Logos treten Regeln des Verbindens und der Unvereinbarkeit hervor. Weil die traditionelle Sprache nun aber der wahren Seinsordnung nur unvollkommen gerecht wird, muss der Dialektiker die gewöhnliche Sprache im Blick auf die Sprache selbst korrigieren und in die Metasprache des reinen Denkens transformieren.
F: Und was heisst das konkret?
A: Eine gewisse Beliebigkeit weist zunächst die Lautgestalt jedes Wortes auf. Ausserdem bietet die Sprache für dieselbe Sache oft verschiedene Namen (Synonymie, Polyonymie) und für verschiedene Sachen den gleichen Namen (Homonymie, Äquivokation). Der Dialektiker hat daher die doppelte Aufgabe, im Pluralismus der Namen das Gemeinsame zu fassen und im scheinbar Gleichen – genauer: im Gleichlautenden – die sachlichen Unterschiede zu ermitteln.
6 Vielfalt der Sachbereiche
F: Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die dialektische Kunst auf verschiedenen Wegen die bestimmte Einheit ermittelt, die als Grund aller Seiendheit, Ganzheit, Ordnung, Beständigkeit, Erkennbarkeit gegenüber der unbestimmten Vielheit der Erscheinungen zu verstehen ist...
A: – und es ist wichtig festzuhalten, dass es für Platon keinen Gegenstandsbereich gibt, der nicht auf diese Weise dialektisch untersucht und erschlossen werden könnte.
F: Zwei Bereichen kommt dabei modellhafte Bedeutung zu: der Mathematik und der Sprache. In diesen beiden Bereichen spiegelt sich die Struktur der Gesamtrealität derart repräsentativ, dass sich der Dialektiker hier – wenn auch nur vorläufig – orientieren kann.
A: Doch in reiner Form ist die von der Dialektik gesuchte Seinsordnung nur im Bereich des Intelligiblen zu finden. Deshalb sind die eigentlichen Gegenstände der Dialektik die Ideen und Prinzipien. Weil aber die Ideen in der Welt der Erscheinungen abbildhaft auftreten, werden auch alle Bereiche der empirischen Erfahrung und des praktischen Lebens zu Feldern der Übung und der Anwendung dialektischer Methoden.
F: Ergänzend dazu wird in der Politeia (532e) gesagt, es gebe verschiedene Arten oder Aspekte und Wege der Dialektik. Ist damit etwa ein Methodenpluralismus angedeutet?
A: Was sonst? Es wird auf einzelne Methoden hingewiesen, die im Rahmen der dialektischen Gesamtmethode unterschieden werden können. Die verschiedenen Wege bestimmen die Untersuchungen im Gespräch, und sie arbeiten entsprechend verschiedene Sachstrukturen heraus. Bedeutsamer aber als die Verschiedenheit dieser Methoden ist ihre innere Übereinstimmung oder Isomorphie, die es erlaubt, dass man auf den verschiedenen Wegen doch dem gleichen Ziel näher kommt. All die diversen dialektischen Methoden dienen doch dem gleichen Programm Platons: der Aufdeckung des gestuften und gegliederten Übergangs zwischen Einheit und Vielheit.
F: Interessant wäre natürlich zu wissen, an welche Methoden Platon dabei denkt.
A: Im Wesentlichen sind in etwa die folgenden Methoden der platonischen Dialektik zu unterscheiden:
- Elenxis: die Prüfung der einzelnen Fälle, bei der im Durchgang durch das Widersprüchliche und Unwesentliche das Gemeinsame und Wesentliche herausgearbeitet wird;
- Dihairesis und Synagogé: die zur Begriffspyramide führende klassifizierende Gliederung nach Gattung und Arten;
- Analysis und Synthesis: die Ermittlung des Verhältnisses zwischen dem komplexen Ganzen und den elementaren Bestandteilen (Stoicheia);
- Mesotes: die Feststellung der normativ massgebenden Mitte zwischen den Abweichung zum Mehr und Weniger, Zuviel und Zuwenig;
- Hypothesis: die Einführung von Hypthesen zwischen den allgemeinsten Ursachen (einfachsten Grundvoraussetzungen) und den einzelnen empirisch feststellbaren Phänomenen;
- Mimesis: die Erforschung der Entsprechungen (Ähnlichkeiten und Abweichungen) zwischen dem einen massgeblichen Urbild (idealen Paradeigma) und den vielfältigen Nachbildungen.
7 Theorie und Praxis
F: Bekanntlich sind bei Platon überall Theorie und Praxis unlösbar miteinander verbunden. Wie soll nun die theoretische Erkenntnis für die praktische Lebensgestaltung fruchtbar werden? Hat gerade auch die platonische Dialektik praktische Implikationen und Folgen?
A: Selbstverständlich. Sie ist Tatsachen- und Gebrauchswissen zugleich. Die nur scheinbar inhaltsarme Bestimmung des Guten als des Einen hat in Wahrheit normative Kraft, weil Einheit als massgebender Grund von Ordnung, Ordnung als Wesensmerkmal des jeweils zu erstrebenen und zu verwirklichenden Guten verstanden werden kann. Aus den von der Dialektik aufgewiesenen Seinsverhältnissen lassen sich praktisch anwendbare Normen für die verschiedensten Bereiche des Handelns gewinnen: für das Gespräch, für Ethik und Politik, für alle Künste.
F: Und wie sieht dies im Einzelnen aus?
A: Es bieten sich insbesondere drei Aspekte an, die es näher zu betrachten gilt:
- Das Fragen und Antworten im Gespräch ist einerseits das Medium, in dem der Dialektiker Erkenntnisse gewinnt. Andererseits vermag er, von seiner überlegenen Einsicht aus, Gespräche am besten zu führen. Daher sind Platons Dialoge praktizierte Dialektik. Die Gesprächsstrategie des Sokrates dient hier dazu, den Dialogpartner (und so auch den Leser) je nach seiner Fähigkeit des Verstehens auf dem Weg der Wahrheitserkenntnis voranzubringen.
- Von der mit dialektischen Methoden in den Blick gebrachten Idee des Guten aus ergeben sich auch Direktiven für die Gestaltung des ethisch-politischen Lebens. Praktisch anwendbar ist insbesondere die Wertstruktur der richtigen Mitte. Das grosse Gesetzeswerk der Nomoi Platons ist nichts anderes als die konkrete, für die Praxis bestimmte Ausarbeitung der politischen Regelungen, die auf sachgemässer Verbindung gegensätzlich-komplementärer Werte beruhen.
Mehrfach, besonders in Politeia VIII/IX und in Nomoi III, vertritt Platon die Ansicht, dass die gute Staatsordnung und Erziehung auf der richtigen Mischung von Herrschaft und Freiheit, Unterordnung und Gleichberechtigung. Und in diesem Sinne rät er, wie aus dem VIII. Brief (354c ff) hervorgeht, den Freunden in Syrakus, die politische Krise durch einen gesetzlichen Ausgleich zwischen monarchischen und demokratischen Intentionen praktisch zu bewältigen. Ihre Verbindlichkeit erhält diese Forderung für Platon aus der dialektisch gesicherten Erkenntnis, dass die gesamte Natur- und Seinsordnung auf der Einhaltung von Mass und Mitte beruht.
- Auch die Gesetzmässigkeiten der Technai, der handwerklichen und schönen Künste, stehen, wie wir im Philebos 16c lesen, seit jeher im Einklang mit der von der Dialektik prinzipiell begriffenen Seinsordnung. Demgemäss fordert Platon nun von der Dialektik her eine bewusste Neubegründung auch aller einzelnen Technai. Wie philosophisch fundierte Werke der Poesie und Rhetorik aussehen, zeigen beispielhaft die platonischen Dialoge, in denen nicht nur kritisch und programmatisch über Dichtkunst und Redekunst gesprochen wird, sondern die selbst Kunstwerke sein wollen.
8 Zur Aktualität
F: Nachdem in den bisherigen Ausführungen gerade diejenigen Züge der platonischen Dialektik hervorgehoben wurden, die uns wegen ihres ungemein hohen Anspruchs als befremdlich und unglaubwürdig oder vielleicht auch als verführerisch und gefährlich erscheinen, stellt sich erst recht die Frage: Was bedeutet diese Art der Dialektik – Platons Programm, die letzten Ursachen der Realität zu ermitteln und von ihnen her alles zu erklären – für uns Heutige?
A: Nun, etwas von der Faszination, die Platon bei der Dialektik verspürte, ist uns gut vertraut. Wir erfahren sie, wenn wir wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, zumal wenn eine wissenschaftliche Entdeckung den Reiz der Neuheit hat. Die Wissenschaften vermitteln uns in Teilbereichen das, was Platon auch im Blick auf das Ganze der Realität ergründen wollte: das eine Gesetz in der unendlichen Vielfältigkeit der Phänomene, den einen Begriff in den vielen Ansichten, die Grundstruktur in allen Variationen. Die Erbin der platonischen Dialektik ist in einem engeren Sinne die wissenschaftliche Forschung, die auf den verschiedensten Gebieten mit dialektischen Methoden – Begriffsbildung und Klassifizierung, Analyse und Systematisierung, Hypothesenprüfung und Regeldefinition – grösste Erfolge erzielt hat. Die Entdeckung einer rationalen Ordnung in zunächst undurchschauten Erscheinungen kann uns begeistern, wie uns auch die in einem Kunstwerk spürbar werdende Fügung fasziniert und erhebt.
F: Liegt nicht gerade darin das Problematische und Ungeheure der platonischen Dialektik, dass sie nicht nur für Teilbereiche, sondern für die gesamte Wirklichkeit herausfinden zu können glaubte, wie sich das Eine zum Vielen verhält?
A: Freilich. Dieser Anspruch lässt sich nur einlösen, wenn man weit über das empirisch Gegebene hinausgeht und mit transzendenten, metaphysischen Ideen und Prinzipien rechnet. Schon damals waren die meisten nicht bereit, Platon auf diesem Wege zu folgen; und erst recht begegnet man ihm heute mit Skepsis.
F: Auch dieses Problem kann sicherlich dialektisch auseinandergelegt werden.
A: Allerdings. Und zwar zunächst im Blick auf die Ferne und die Nähe Platons, dann im Blick auf die negative und die positive Wirkung.
[1a] Platon ist uns durch den Gang der Geschichte wie durch das neuzeitliche Geschichtsverständnis ferngerückt. Für Hegel, Marx und ihre Nachfolger liegt der dialektische Prozess im Inneren des denkenden Subjekts und in der Dimension des Zeitverlaufs. Die auftretenden Widersprüche sollen im Lauf der Entwicklung des Geistes oder durch gesellschaftliche Umwälzungen überwunden werden. Wo das transzendente Sein fragwürdig wird, muss aus der Seinsdifferenz eine Zeitdifferenz werden und die Vermittlung der Gegensätze im zeitlichen Nacheinander stattfinden. Eine historische Dialektik, deren Ziel in einer künftig zu erreichenden Vollkommenheit und im Glück des individuellen Subjekts liegt, ist uns daher verständlich, während Platons transhistorisch-ontologische Dialektik, die vom Zeitlich-Unvollkommenen zum Überzeitlich-Idealen aufstrebt, obsolet erscheint.
[b] Und doch ist uns Platon gerade im Blick auf Geschichtsverlauf und Geschichtstheorie auch wieder ganz nah. Die gegenwärtige Philosophie des Noch-Nicht und der Hoffnung, die das Heil in einer besseren Zukunft sucht, lebt ja noch von dem ursprünglichen, radikalen Idealismus Platons, der sich nicht mit dem unmittelbar Vorhandenen zufrieden gegen wollte. Platon hat auch schon versucht, die geschichtlichen Prozesse dialektisch zu begreifen. Er sah in der Geschichte eine Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Entwicklungen: Aufstieg zu höherer Erkenntnis und Zerfall der ethisch-politischen Lebensordnungen, beides endend und neu beginnend mit periodisch wiederkehrenden Naturkatastrophen. Heute hat diese Konzeption eine makabre Aktualität, weil wir uns vorstellen können, dass die Katastrophe geradezu die Konsequenz der Höherentwicklung der intellektuellen Fähigkeiten des Menschen ist. Eine andere aktuell anmutende Einsicht der dialektischen Geschichtsbetrachtung Platons liegt in der Feststellung, dass die Extreme ineinander umschlagen können, besonders die anarchische Demokratie in die tyrannische Despotie.
F: Damit stehen wir schon vor der Frage der wertenden Beurteilung. Platons Ansehen wird öfters mit dem Vorwurf diskreditiert, sein Denken sei mindestens potenziell totalitär – ein Verdacht, der besonders durch den definitiven Erkenntnisanspruch der platonischen Dialektik nahegelegt wird. Auch wenn Platon, wie man ihm glauben darf, primär an der Erkenntnis, nicht an der Macht interessiert war, muss man doch wohl zugeben, dass er, wenn schon nicht selbst der Versuchung erlegen, so doch andere zu dem Versuch angestiftet hat, die vielen, die der Erkenntnis nicht teilhaftig werden können, zu ihrem Glück zwingen zu wollen.
A: Nun ja. Die moderne und postmoderne Kritik des Rationalismus, das Aufbegehren gegen überindividuelle Ordnungen und Absolutheitsansprüche, richtet sich gerade auch gegen einen Universalismus, wie ihn das platonische Denken vertreten hat.
[b] Man sollte sich die Kritik an Platon aber auch nicht zu leicht machen. Selbst im politischen Bereich sind Platons dialektisch begründete Forderungen, wenn man sie nur richtig versteht, zumal die Forderung eines Ausgleichs zwischen den gegenstrebigen Werten und Tendenzen, durch die neueren Erfahrungen nicht desavouiert, sondern eher als berechtigt erwiesen worden. Es hilft offenbar nichts, individuelle Freiheit und kollektive Ordnung immer wieder gegeneinander auszuspielen, statt – mit Platon – dialektisch nach dem gemeinsamen Konvergenzpunkt zu fragen. Deutlich genug ist ja doch zu sehen, dass wir ohne eine Antwort auf die von allen spezialwissenschaftlichen Disziplinen offen gelassene Frage nach dem, was für das Ganze und für jedes Individuum gleichermassen gut ist, kaum auskommen können, kaum überleben werden.
Platons Annahme, dass die idealen Strukturnormen reale Ursachen sind, ist so fundamental, dass sie nicht mit übergeordneten Kriterien bewiesen, aber auch nicht falsifiziert werden kann. Der Geltungsanspruch des empirischen und positivistischen Standpunktes, ja auch des radikalen Skeptizismus ist im Grunde ebenso absolut und total wie der platonische Idealismus. Dem Einwand, dass die meisten Menschen von der Richtigkeit seines Wirklichkeitsanspruches nicht zu überzeugen sind, hat sich Platon von vornherein entzogen, indem er die allgemeine Verständlichkeit, die Mehrheits- und Konsensfähigkeit als Wahrheitskriterium gerade ablehnte.
F: Ein kleiner Ausblick zum Abschluss der Bemerkungen zur Methodik Platons?
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A: Vielleicht nähern wir uns eines Tages wieder der Auffassung Platons, dass es für alle Bereiche der Theorie und des ethischen Handelns – Natur und Geschichte, Mathematik und Politik, Logik und Technik – einen gemeinsamen Begründungshorizont gibt und dass in diesem Horizont das humane Leben gerade deswegen am ehesten gewährleistet ist, weil hier nicht der Mensch als das Mass aller Dinge gilt.
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