Marco Gerster : Gewalt ohne Grund . Über die narrative Bewältigung von Amokläufen

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Gewalt ohne Grund (M. Gerster)
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Online-Publikation: Dezember 2016 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<<  Marco Gerster : Gewalt ohne Grund  . Über die narrative Bewältigung von Amokläufen >>
308 Seiten, kart. ; ISBN 978-3-95832-097-0 ; € 34,90
Dieser Titel ist auch im Verlag Humanities Online als E-Book erhältlich: http://www.humanities-online.de
Velbrück Wissenschaft, D-53919 Weilerswist-Metternich; http://www.velbrueck-wissenschaft.de

Inhalt
Dieses Buch beschäftigt sich aus kultursoziologischer Perspektive mit der gesellschaftlichen Bewältigung von Amokläufen. Es thematisiert die sozialen Mechanismen und narrativen Muster, die aus der »grundlosen« Gewalt Sinn und Bedeutung schöpfen. Die Studie folgt einem konstruktivistischen Paradigma: Ihr Ziel ist es nicht, einen Erklärungsversuch zu unternehmen, sondern die Debatte um Amokläufe selbst deutend zu verstehen, um aus den Ergebnissen Erkenntnisse in Bezug auf das Selbstverständnis der Gesellschaft zu gewinnen.
 Amokläufe sind Beispiele für vermeintlich »grundlose« Gewaltereignisse, die einen ernsten gesellschaftlichen Erklärungsnotstand hervorrufen. Die Beliebigkeit von Tätern und Opfern, das Fehlen von verständlichen Motiven sowie die Ausführung der Taten als rational geplante Exzesse werden in modernen Wissens- und Risikogesellschaften, in denen nichts ohne letzte Ursache bleiben darf, zur Anomalie. In den Debatten um Ursachen und Motive, Schuld und Verantwortung sowie Sicherheit und Prävention zeigt sich, wie gerade das vermeintlich »Sinnlose« zur Sinnstiftung zwingt und das bedrohliche »Nichts« eine Überfülle an Bedeutung produziert.

Autor
Marco Gerster studierte Soziologie und Politikwissenschaften und wurde 2016 an der Universität Konstanz promoviert. Er war dort am Lehrstuhl für Makrosoziologie von 2010 bis 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter und assoziiertes Mitglied am Graduiertenkolleg »Das Reale in der Kultur der Moderne «.

Fazit
'Wie vor Amok schützen? Alle Arten von Alibis einschliesslich dem Zufall  schliesst sowohl diesen ein, aber es widerstrebt mir eine durch Zufall gelenkte Welt - so sie harmlos und sinnlos zu sehen -  genauso sie von objektiven Ursachen beherrscht zu wissen..' (sinngemäss Baudrillard)...
Dazu die Quintessenz des Autors Marco Gerster:
'Es ist nicht das Moment des Zufälligen einer Logik des Verdachts unterworfen und systematisch ausgeschlossen, vielleicht (vielmehr?, k.) ist es sogar beruhigend, die Möglichkeit einer Gewalt ohne Grund hinzunehmen. Die Suche nach  Gründen mag einen Abgrund offenbaren, der weitaus beunruhigender ist als deren Abwesenheit.'
Mit seinem geistigen Tiefgang und zugleich Weitsicht, sowie der vollendet-systematischen Klarlegung der Fragestellung zum Topos 'Amok' ist es ein bleibendes Diskurs-  ja sogar ein Therapie-Werkzeug auf dem Weg für unsere Zukunft. m+w.p17-1

Wir zeichnen aus:
M Gerster:"Gewalt ohne Grund" 2017
Der Kultur-Punkt zeichnet diese exzellente Studie  von Marco Gerster:"Gewalt ohne Grund" aus: Mit seiner geistigen Tiefe und zugleich Weitsicht, sowie der vollendet-systematischen Klarlegung der Fragestellung zum Topos 'Amok' .

Herausragende Kapitel-Topoi mit ihren Highlights und angefügten Legenden zum weiteren Diskurs
1   Überblick :Ganz normale Jugendliche

2   Entschuldung des Täters oder: Die Abwesenheit des Bösen?
Forschungsstand und Fragestellung
Das kranke Individuum  und die kranke Gesellschaft

3   Culture-Bound Syndrome
Als kulturgebundenes Syndrom (englisch culture-bound syndrome, kurz CBS) werden in der Medizin, Klinischen Psychologie, Medizinethnologie und Ethnomedizin psychische oder somatische Symptome bezeichnet, die auf eine bestimmte (ethnische) Gesellschaft oder Kultur beschränkt sind und bei denen biochemische Ursachen oder Organveränderungen nicht nachweisbar sind. In anderen Kulturen ist das Krankheitsbild unbekannt.
Der Begriff wurde 1994 aufgenommen in das amerikanische Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV); im Anhang 1 dieses Werkes ist auch eine Übersicht der häufigsten kulturgebundenen Syndrome verzeichnet
https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturgebundenes_Syndrom
https://en.wikipedia.org/wiki/Culture-bound_syndrome

6   Performanz
     Achilles und Ajax als literarische Furorsubjekte
Achilleus
(dt. Achill oder latinisiert Achilles; altgriechisch-gelehrt Ἀχιλλεύς [Akhilleús] /akʰilleǔ̯s/, heutiges Griechisch-volkssprachlich Αχιλλέας) ist in der griechischen Mythologie ein beinahe unverwundbarer Heros der Griechen (Achäer) vor Troja und der Hauptheld der Ilias des Homer. Er ist der Sohn des Peleus, des Königs von Phthia in Thessalien, und der Meernymphe Thetis.
https://de.wikipedia.org/wiki/Achilleus
Ajax
(auch Aias oder Rasender Ajax, griech. Αἴας) ist eine Tragödie des antiken griechischen Dichters Sophokles.
Nachdem Achilleus im Trojanischen Krieg gefallen ist, sprechen die Heerführer nicht Aias, der ein vertrauter Kampfgefährte des Gefallenen war, seine Waffen zu, sondern Odysseus. Aias will sich dafür rächen und die griechischen Heerführer töten. Er wird von Athene jedoch mit Wahnsinn geschlagen und tötet daraufhin einige Herdentiere, die er für die Heerführer hält. Als der Wahnsinn schwindet, erkennt er die Schande seiner eigenen Handlung und stürzt sich in sein Schwert.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ajax_(Sophokles)
Ajax (play)
Sophocles' Ajax, or Aias (/ˈeɪdʒæks/ or /ˈaɪ.əs/; Ancient Greek: Αἴας [a͜í.aːs], gen. Αἴαντος), is a Greek tragedy written in the 5th century BCE. Ajax may be the earliest of Sophocles' seven tragedies to have survived, though it is probable that he had been composing plays for a quarter of a century already when it was first staged. It appears to belong to the same period as his Antigone, which was probably performed in 442 or 441 BCE, when he was 55 years old.[1] The play depicts the fate of the warrior Ajax, after the events of the Iliad but before the end of the Trojan War.
https://en.wikipedia.org/wiki/Ajax_(play)
     Gewalt des Symbolischen

10 Enthymeme
Das Enthymem (gr.: ἐνθύμημα enthýmema – ‚das Erwogene, das Beherzigte, das Argument‘) ist ein auf Aristoteles zurückgehender Begriff der Rhetorik bzw. der Argumentationslehre.
Man spricht auch von einem „enthymemischen Wahrscheinlichkeitsschluss“[1] oder „rhetorischen“ oder „dialektischen“ Schluss,[2] d. h. einem Schluss mit nicht ausgesprochenen Prämissen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Enthymem

13
Flottierender Signifikant
floatend ·   flüchtig ·   frei flottierend ·   nicht durchgängig (zu beobachten) ·   nicht in der Konstanz ·   nicht kalkulierbar ·   nicht kontinuierlich ·   nicht persistent ·   nicht verlässlich ·   nicht vorhersehbar ·   schwankend ·   sporadisch ·   sprunghaft ·   unbeständig ·   unstet ·   vagabundierend ·   volatil ·   mal so, mal so (ugs.) 
Assoziationen: ◾ fehlende Konstanz · Flatterhaftigkeit · Launenhaftigkeit · ...
Ändern...
https://www.openthesaurus.de/synonyme/frei+flottierend
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Als Signifikant (französisch signifiant) oder Signans, deutsch auch Bezeichnendes oder Bezeichner, wird in der strukturalistischen Linguistik und Semiotik die Ausdrucksseite eines sprachlichen Zeichens (frz. „signe linguistique“) bezeichnet, also die materielle oder quasi-materielle Form, in der beispielsweise ein Schriftzeichen oder ein Lautzeichen (als Formativ) ausgedrückt und (als Zeichenkörper) wahrnehmbar wird – und damit auf eine Bedeutung oder einen Begriff verweist, das Signifikat (frz. „signifié“) auf der Inhaltsseite eines Zeichens.
Signifikanten spielen auch in der vom Strukturalismus beeinflussten Psychoanalyse Jacques Lacans eine tragende Rolle als Element des Symbolischen innerhalb der Psyche (Psychosomatik)...

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort . 11

Teil I: Einführung
1 Einleitung . 15
1.1 ›Ganz normale Jugendliche‹ . 15
1.2 Überblick 19

2 Forschungsstand und Fragestellung . 23
2.1 Die Frühgeschichte des archaischen Amoklaufs . 24
2.2 Ursachen- und Präventionsforschung im Kontext moderner Amokläufe . 24
2.2.1 Das kranke Individuum 25
2.2.2 Die kranke Gesellschaft 26
2.2.3 Institutionen, soziales Umfeld und kollektive Akteure 28
2.2.4 Die Entschuldung des Täters oder: Die Abwesenheit des Bösen? . 30
2.3 Die kulturelle, soziale und historische Konstruktion moderner Amokläufe . 31
2.4 Eigene Perspektive und Arbeitsdefinition . 33
2.5 Forschungsfragen 35
2.6 Datenmaterial und Methode . 36

Teil II: Die Geschichte des Amoklaufs
3 Vom Krieger zum Kranken. Die Frühgeschichte des Amok 43
3.1 Fremdheit und Exotik. Reiseberichte aus dem
16. Jahrhundert und Amok-Krieger in Batavia 44
3.2 Exkurs: Mythos und Ritual. Der kěris als erste Waffe des Amok 49
3.3 Pathologie und Störfall. Ethnopsychiatrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts . 52
3.3.1 Amok als ›Culture-Bound Syndrome‹ . 54
3.3.2 Kulturelle Konditionierung von Amok und ritueller Ehrerwerb . 57
3.3.3 Amok als Störung und ›grundloses Verbrechen‹ 59
3.4 Zusammenfassung 60

4 Vom Wahnsinn zum Wertewandel
   Fünf Fälle von Amok in der modernen Gesellschaft 63
4.1 Bremen am 20. Juni 1913 – Ernst Schmidt 64
4.2 Degerloch am 4. September 1913
– Ernst August Wagner 66
4.3 Köln-Volkhoven am 11. Juni 1964 – Walter Seifert . 70
4.4 Austin, Texas am 1. August 1966
– Charles Joseph Whitman 73
4.5 L ittleton, Colorado am 20. April 1999
– Eric Harris und Dylan Klebold . 76
4.6 Zusammenfassung . 78

Teil III: Theoretische Konzepte
5 Sinn, Ereignis und Erzählung 83
5.1 Sinn und Sinnlosigkeit . 83
5.2 Ritual und Ereignis 91
5.3 Erzählung und Diskurs . 96
5.4 Zusammenfassung . 103

6 Gewalt, Gefühl und Transgression 104
6.1 Grenzen: Normalität, Abweichung und Ausnahme 107
6.2 Entgrenzung: Exzess, Beziehungs- und Motivlosigkeit . 110
6.2.1 Motivlosigkeit und Selbstreferentialität 110
6.2.2 Affektive Gewalt: Wut, Zorn, Exzess 114
6.2.3 Exkurs: Achilles und Aias als literarische Furorsubjekte . 120
6.2.4 Beziehungslosigkeit, Gewaltsubjekt und die Gewalt des Symbolischen 122
6.3 Eingrenzung: Sanktion, Narration und Performanz 125
6.4 Zusammenfassung . 127

7 Verbrechen, Risiko und Solidarität 130
7.1 Verbrechen und Solidarität 130
7.2 Unreinheit und Ansteckung . 137
7.3 Angst, Schuld und Moral . 140
7.4 Risiko, Gefahr und Prävention 145
7.4.1 Risikogesellschaft und kulturelle Ansätze 145
7.4.2 Risiko, Gefahr und Betroffenheit aus systemtheoretischer Perspektive 149
7.4.3 Prävention und Vorsorge 156
7.5 Zusammenfassung . 157

Teil IV: Empirische Analyse
Die Amokläufe von Erfurt und Winnenden 162
8 Trauma: Diesseits und Jenseits von Sinn und Sprache . 163
8.1 Das Einbrechen des Außerordentlichen . 163
8.1.1 Alltag und Ereignis . 163
8.1.2 Tatbeschreibungen 166
8.2 Reden, Schweigen und Rituale der Trauer . 171
8.2.1 Paradoxien der Sprachlosigkeit . 172
8.2.2 Rituale der Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
8.2.3 Exkurs: ›Amok‹ als Metapher . 180
8.3 Figuren des Außerordentlichen 181
8.3.1 Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
8.3.2 Opfer 197
8.3.3 H elden 201
8.3.4 Experten . 203
8.4 Zusammenfassung . 207

9 Schuld: Symbole des Bösen und Rituale der Reinigung . 209
9.1 Jörg K. vor Gericht 209
9.2 Gewalt und Medien . 214
9.2.1 Negative Zuschreibungen . 215
9.2.2 Positive Zuschreibungen . 223
9.3 Waffen und Schützenvereine 229
9.3.1 Negative Zuschreibungen . 229
9.3.2 Positive Zuschreibungen . 237
9.4 Zusammenfassung . 240

10 Krise: Soziales Versagen und Enthymeme der guten Gesellschaft . 247
10.1 Schulkultur und Bildungspolitik 248
10.1.1 Schulen als Brennpunkte der Gesellschaft . 248
10.1.2 Pisa, Schulsysteme und Bildungspolitik . 250
10.1.3 Prävention und Vorsorge 253
10.2 Familie und Werte . 256
10.2.1 Eltern und Familie 256
10.2.2 Gesellschaft und Werte . 260
10.3 Zusammenfassung . 264

11 Triumph: Rückkehr der Lebenden und Repräsentation der Toten 267
11.1 Transformation von Räumen 267
11.2 Kollektives Erinnern und die Repräsentation der Opfer . 269
11.3 Zusammenfassung 273

12 Die narrative Bewältigung von Amokläufen 277
12.1 Vom Trauma zum Triumph . 277
12.2 In schlechter Gesellschaft 278
12.3 Ohne Anfang kein Ende 279

13 Schluss 282
13.1 Drei Thesen über Amok . 282
13.1.1 Von der Ent-Ritualisierung zur Re-Ritualisierung des Amoklaufs 282
13.1.2 Ein Plädoyer für die Kategorien der ›Grund und Sinnlosigkeit‹ in der (Gewalt-) Soziologie . 283
13.1.3 Amok als ›flottierender Signifikant‹ 284
13.2 Ausblick . 285
Literatur . 287
Personenregister . 304

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