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I.Dachwitz + S.Hilbig: Digitaler Kolonialismus“
Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen.
351 S. mit 8 Karten und 1 Abb..ISBN 978-3-406-82302-2, 28,00 €
info@beck.de: www.beck.de

Charakteristik
> Digitaler Kolonialismus: Innovativ, mächtig, rücksichtlos:
> Demokratischer IMPETUS statt „Digitaler Kolonialismus“

Inhalt
Kaum eine Geschichte wird so oft erzählt wie die vom unaufhaltsamen Aufstieg der Tech-Konzerne an die Spitze der global vernetzten Welt. Nur ein Kapitel wird dabei ausgelassen: Der Preis, den der globale Süden dafür bezahlt. Der Tech-Journalist Ingo Dachwitz und der Globalisierungsexperte Sven Hilbig beleuchten diesen blinden Fleck und zeigen die weltweiten Folgen des digitalen Kolonialismus sowie bestehende Ansätze für eine gerechtere Digitalisierung auf. Soviel steht fest: AI will not fix it.

Das Versprechen der Digitalen Revolution ist die Heilserzählung unsererZeit. Dieses Buch erzählt eine andere Geschichte: Die des digitalen Kolonialismus. Statt physisches Land einzunehmen, erobern die heutigen Kolonialherren den digitalen Raum. Statt nach Gold und Diamanten lassen sie unter menschenunwürdigen Bedingungen nach Rohstoffen graben, die wir für unsere Smartphones benötigen. Statt Sklaven beschäftigen sie Heere von Klickarbeiter:innen, die zu Niedriglöhnen in digitalen Sweatshops arbeiten, um soziale Netzwerke zu säubern oder vermeintlich Künstliche Intelligenz am Laufen zu halten. Der Kolonialismus von heute mag sich sauber und smart geben, doch eines ist gleich geblieben: Er beutet Mensch und Natur aus und kümmert sich nicht um gesellschaftliche Folgen vor Ort. Im Wettkampf der neuen Kolonialmächte ist Digitalpolitik längst zum Instrument geopolitischer Konflikte geworden – der Globale Süden gerät zwischen die Fronten.

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Fazit, vorangestellt
Der Krn der Botschaft von Ingo Dachwitz und Sven Hilbig ist es mit Bravour und globalem Blick dem Digitalen Kolonialismus offensiv technologisch demokratisch zu entgegnen, indem sie folgende Werkzeuge vorweisen wie Kooperation statt Konzerngier, einen globalen Schuldenschnitt anvisieren, um die Ausbeutung zu minimieren, sowohl regulierend als auch gestaltend zu wirken, im Sinne von Bildung statt BigTech, sowie Technologie im Dienst planetarer Zukunft weiter zu entwickeln.
Dieses Buch ist somit ein grossartiges Manifest für unsere demokratische Zukunft.
m+w.p25-3 k.

Weitere Quellen:

Der Siegeszug der Digitalisierung basiert darauf, dass die großen Tech-Unternehmen Arbeitskräfte und Rohstoffe im Globalen Süden rücksichtslos ausbeuten, kritisieren Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Davor dürfe Europa nicht länger die Augen verschließen.

Der Siegeszug der Digitalisierung basiert darauf, dass die großen Tech-Unternehmen Arbeitskräfte und Rohstoffe im Globalen Süden rücksichtslos ausbeuten, kritisieren Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Davor dürfe Europa nicht länger die Augen verschließen.
Podcast: Studio 9
Aus dem Podcast
Studio 9
Die Kritik an den Schattenseiten der Digitalisierung ist allgegenwärtig. Ob Überwachung, Monopolmacht oder der ökologische Fußabdruck durch KI: Dass Big-Tech mehr Regulierung braucht, ist unumstritten. Dazu gehört auch, dass der Globale Süden endlich gerecht an der Digitalisierung beteiligt werden muss. Gerade Letzteres aber werde in Europa bislang kaum gehört, kritisieren der Journalist Ingo Dachwitz und der Digitalisierungsexperte Sven Hilbig. Mit Ihrem Buch wollen sie genau das ändern.
Tatsächlich ist die Last überproportional groß, die Länder in Afrika, Asien oder Südamerika zu tragen haben, damit Industrienationen des Nordens zunehmend digital werden. Die Autoren zeigen dies entlang der Herstellungskette und der Verwertung von Technologie. Ganz vorn dabei: Künstliche Intelligenz. ChatGPT etwa funktioniert vor allem deshalb so gut, weil in Nairobi schlecht bezahlte „Geisterarbeiter“ vorher aussortieren, welche Inhalte der Chatbot keinesfalls als Antwort ausspucken darf: Verstörendes oder Gewalt.
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Ausbeutung in der gesamten Herstellungskette
Auch bei der Datenextraktion wird der Globale Süden ausgenutzt. Wegen des schwachen Datenschutzes lassen sich auf Webseiten, Apps oder bei Zahlungsanbietern in den Ländern des Südens fast ungehindert Daten sammeln. Die Gewinne daraus landen jedoch bei den Tech-Unternehmen des Nordens, die die Daten für Werbezwecke vermarkten. Dasselbe Prinzip bei den Rohstoffen. Für zweieinhalb Dollar Tageslohn etwa schürfen im Kongo Minenarbeiter nach Kobalt, ohne das keine Smartphone-Batterie auskommt.
Viele der Ungerechtigkeiten, die Ingo Dachwitz und Sven Hilbig anführen, sind längst bekannt. Doch die pure Masse an Fakten, für die sie auch auf die Arbeit von Forschenden aus dem Globalen Süden selbst zurückgreifen, ist schlicht alarmierend. Ebenso wie die Schilderungen der prekären Arbeitsbedingungen, mit denen die beiden die nüchternen Zahlen unterlegen. Nathan aus Burundi etwa berichtet von schreienden Kollegen, die als Content-Moderatoren für Facebook brutale Kriegsbilder „wegmoderieren“ müssen. Ishani aus Indien erzählt, wie sie als Tagelöhnerin auf einer Mikrowork-Plattform grundlos gefeuert wird.
Der Globale Süden könnte dauerhaft abgehängt werden
Ändern soll sich daran nichts, zumindest wenn es nach den Tech-Unternehmen geht. Deshalb warnen Dachwitz und Helbig davor, dass die Länder des Globalen Südens Gefahr laufen, vom Globalen Norden dauerhaft abgehängt zu werden. Dieser nutze – nach kolonialem Muster – die wirtschaftliche Schwäche der Länder aus, um günstig an Rohstoffe zu kommen und Arbeit billig outzusourcen.
Sie verhindern so auch, dass dort eine eigene (Digital-)Industrie entstehen kann. Auch hier sprechen die Zahlen für sich: Statt in gut bezahlten Jobs zu arbeiten, haben in Indien über neunzig Prozent aller outgesourcten KI-Arbeiter einen Universitätsabschluss.
Diese Dimensionen sichtbar zu machen, ist das Verdienst dieses wichtigen Buches.

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