Felix Keller: Anonymität und Gesellschaft . Die Beschreibung der Anarchie, Bd. 1

Die Provokation des Namenlosen
Denkbild: Topologie des Namenlosen
Schema einer Markierung nach Greimas (1)

 

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PA4 Diskurse (1995-2021) 2021 EU-Demokratien . Natur : Kultur
Gesellschaft - Anonymität > Anarchie . F. Keller
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Online-Publikation: Februar 2022 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Felix Keller: Anonymität und Gesellschaft . Die Beschreibung der Anarchie, Bd. 1 >>
590 Seiten, 22.2 x 14 cm, broschiert, ISBN 9783958322509, 59,90 €
Dieser Titel ist auch im Verlag Humanities Online als E-Book erhältlich:
Velbrück Wissenschaft, D-53919 Weilerswist-Metternich; http://www.velbrueck-wissenschaft.de

Inhalt
Der erste Band der vorliegenden Untersuchung entwickelt einen theoretischen Rahmen, indem er gängige Namenstheorien auf den Kopf stellt und hin zu einer Theorie des Namenlosen umformuliert. Dieser theoretische Horizont bildet den Hintergrund für die Frage, in welchem technisch-sozialen Zusammenhang Anonymität ausgestaltet wurde. Dies geschieht im Bereich der Textproduktion und dem Versuch, eine Ordnung von Texten, Wissen und Fiktionen zu etablieren und zu kontrollieren. In der Presse werden immer wieder heftige Debatten entfacht über Sinn und Legitimität von Zeichnungsrecht und von Publikationen anonymer Stimmen. Analog erzeugt die Erfindung der Sociétés Anonymes (Aktiengesellschaften) Kontrollkrisen angesichts anonym zirkulierenden Kapitals. Erst allmählich erregt die Präsenz von unbekannten Menschen in den Städten Aufmerksamkeit. Hier zeigt sich eine spezifische Konstellation erwachender Anonymitätsdiskurse: Die Leute kennen sich sehr wohl, allein die kontrollierende Beschreibung der anarchisch anmutenden Gesellschaft und ihrer gefährlichen Klassen scheitert. Was zur bürokratischen Überförderung führt, freut die Literatur. Die Erfindung von Anonymität eröffnete Zonen der Unentschiedenheit, der Ambivalenz, die bis heute fortdauern. Die vorliegende Untersuchung liefert Mittel, ihre Unhintergehbarkeit zu begreifen.

Autor
Felix Keller lehrt und forscht als Soziologe an der Universität St. Gallen, wo er sich mit der vorliegenden Untersuchung habilitierte. Zuvor unterrichtete und arbeitete er an verschiedenen Universitäten (Zürich, Lausanne, Paris, Luzern). Zu seinen Forschungsgebieten gehören wissenssoziologische Fragen der Gesellschaftsbeschreibung, der Vermessung des Sozialen, die Geschichte der Sozialforschung, Utopieforschung sowie Soziologie des Visuellen, insbesondere der Fotografie.

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Fazit, vorangestellt
'..vieles, wenn nicht das Meiste, hat keinen Namen..'. So beginnt der Soziologe Felix Keller in seiner umfassenden Untersuchung "Anonymität und Gesellschaft" die Beschreibung der Anarchie, des Anonymen, als eine Provokation des Namenlosen zwischen den Zonen des Konflikts und der Irrelevanz (namenlos und anonym), sowie zwischen den Zonen des Wissens und der Artikulation (namenstragend) nach dem Schema der Topologie von AJ Greimas (1).
Das Namenlose übt vorerst Provokation aus, jedoch nach filigraner Markierung (Greimas ) kann sie als eine mögliche Welt erscheinen, wobei schliesslich im Ausblick von Keller das Paradoxon sichtbar gemacht wird. So, dass die Anarchie nach Gleichgewicht sucht. Insofern ist die Anonymität als Bezeichnungsform auch ein Instrument der Ordnung, in der brillanten Quintessenz vom Autor. Dabei wandelten sich in den Zirkulationszonen wie 'Texte, Kapital und Menschen' - gesellschaftlich veranlasst - sich zu refigurieren und zu stabilisieren. Auf diese Weise kann das Anonyme als Resultante der immensen Produktivität der Gesellschaft begriffen werden'.
So bilden sich neue Techniken heraus die neue Vorstellungen des Soziales bedingen wie 'literarische, polizeiliche und wissenschaftliche Beschreibungen der 'anarchisch urbanen Realität und des Raumes'. Kurz gesagt treten statt anonymer Mönchs-schriften, -bilder nunmehr Digital-Programmierer in Erscheinung, um einen neuen Mythos des Anonymen zu produzieren, Das lädt dazu ein diesen ausserordentlichen Diskurs im zweiten Band zu erweitern und zu vertiefen.
m+w.p22-2 < k. >

1) Mitbegründer der École de Paris der Semiotik.
https://de.wikipedia.org/wiki/Algirdas_Julien_Greimas /

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Inhaltsfolge
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1 Einführung in das Namenlose 11
1.1 Die Ordnung der Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Die Sichtbarkeit der Namen . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Namen erzeugen Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Die Unruhe in den Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1.2 Die Provokation des Namenlosen . . . . . . . . . . . . . 25
Das Markierte und das Unmarkierte . . . . . . . . . . . . 33
Von Sternen und Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Der Name des Namenlosen . . . . . . . . . . . . . . . . 57
1.3 Das Namenlose als mögliche Welt . . . . . . . . . . . . . 65
Namen, Existenzen und Potenzialitäten . . . . . . . . . . 66
Die Taufe und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Namen als Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Eine soziologische Alchemie . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Das Namenlose der Namensordnungen . . . . . . . . . . 92
2 Die Regulation von Fiktionen 97
2.1 Von Texten und Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Texte als Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
Unsichtbare Produzenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Die Anarchie der Textwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
Zensur und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
2.2 Subversion und Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . 125
Wider die Neministen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Das Traktat über die drei Betrüger . . . . . . . . . . . . . 138
Das Anonyme: Ein Objekt der Begierde . . . . . . . . . . 144
Such- und Jagdstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
Das Scheitern der Anonymalexika . . . . . . . . . . . . . 159
2.3 Anonymität: Die Fabrikation einer symbolischen Form . . 166
Die Enzyklopädisierung des Namenlosen . . . . . . . . . 173
Verrechtlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184
3 Anarchische Öffentlichkeiten 190
3.1 Politiken des Verdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Stimmen aus dem Untergrund . . . . . . . . . . . . . . . 197
Die Post und das »Mystery of Deciphering« . . . . . . . . 205
3.2 Die Presse: Anonymität als Kriegsmaschine . . . . . . . . 214
»Living in Glass Houses« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Frankreich: Die Ökonomie der Presse . . . . . . . . . . . 219
Der Kult der Anonymität: Die angelsächsische Presse . . . 230
Deutschland: Öffentliche Meinung und Anonymität . . . 242
Émile Zolas Epilog auf die Anonymität in der Presse . . . 262
4 Anonymes Kapital 267
4.1 Text und Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
4.2 Die Société Anonyme und der moderne Kapitalismus . . 269
Kapital, Verfügungsmacht, Person . . . . . . . . . . . . . 270
Kapitaltausch unter Unbekannten . . . . . . . . . . . . . 275
4.3 Die Zirkulation des Kapitals: ein »Theater ohne Autor« . . 282
Der Kapitalist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Die Funktionäre des Kapitals . . . . . . . . . . . . . . . . 293
4.4 Anonymes Kapital und Konspiration . . . . . . . . . . . 298
Das imaginäre Zentrum des anonymen Kapitals . . . . . 305
Der Mythos der »zweihundert Familien« . . . . . . . . . 313
4.5 Die Société Anonyme als Utopie der Gesellschaft . . . . . 323
5 Die Republik der Namenlosen 330
5.1 Die neuen Beobachter des Sozialen . . . . . . . . . . . . 330
Der Mythos der anonymen Großstädte . . . . . . . . . . 332
Eine neue Beschreibungsweise des Sozialen . . . . . . . . 335
Der »Hibou-Spectateur«: Ordnung und Anarchie . . . . . 337
Mercier: Die Beobachtung der Multitude . . . . . . . . . 341
Der höfische Blick und die Menge . . . . . . . . . . . . . 348
Das Urbane und das Unmarkierte . . . . . . . . . . . . . 353
5.2 Die Emergenz des sozialen Raumes . . . . . . . . . . . . 355
Die Polizei und die Produktion von Gesellschaft . . . . . 359
Guillautés Traum von einer total erfassbaren Gesellschaft . 361
Der utopische Verbrecher . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
L’art de décrire: Die Markierung der Individuen . . . . . 376
5.3 Die »classes dangereuses« und die Kriminalstatistik . . . . 400
Wahrscheinliche Namen: die Datenbanken des Verdachts 416
Das sprechende Portrait von »X« . . . . . . . . . . . . . . 424
Das Herz der Republik: Der utopische Verbrecher . . . . 427
6 Kontrollkrisen und Verrätselungen 435
6.1 Kontrollkrisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
Gesellschaft als System- und Dingraum . . . . . . . . . . 440
»Espèces Sociales«: die Typisierung des Sozialen . . . . . 449
Kulturindustrielle Gegenbeschreibungen . . . . . . . . . 461
Zwischen System und Eigennamen . . . . . . . . . . . . 476
Le Plays Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
Die Grenzen der Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 487
6.2 Die Verrätselung des Namenlosen . . . . . . . . . . . . . 491
Der »anonyme Mensch« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492
Das Zeichen des Anonymen . . . . . . . . . . . . . . . . 500
Das Spektakel namenloser Leichen . . . . . . . . . . . . 503
Das Rätsel des »Bureau d’Annonces Anonymes« . . . . . 517
7 Anonymität – eine Geschichte der Gesellschaft 521
7.1 Zirkulation und Anarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
7.2 Die Markierung des Sozialen . . . . . . . . . . . . . . . . 526
7.3 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529
Abbildungsverzeichnis 531
Literatur 533
Quellen 570
Index 582
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