Kernaussage: Überleben der Yanomami - Philosophie. ÜBERLEBEN - SCHÖNHEIT

 

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Selbst - Philosophie -Yanomami . D.Kopenawa - G.v.Lüpke
dp-ds-swr2-20-7yanomami-philosophie

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ÜBERBLICK
Kernaussage: Überleben der Yanomami - Philosophie. ÜBERLEBEN - SCHÖNHEIT

Davi Kopenawas Kampf für die Indigenen im Amazonasgebiet

Der Journalist Geseko von Lüpke im Gespräch mit dem geistigen Führer der Yanomami in Brasilien, Davi Kopenawa.
mailto:hutukaraassociacaoyanomami@gmail.com;
https://www.swr.de/swr2/programm/index.html

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ÜBERBLICK
Protagonist Davi Kopenawa
Mein Name ist Davi Kopenawa Yanomami, ich bin der offizielle Vertreter der Völker der Yanomami und Equuana im Territorium der brasilianischen Bundesstaaten Amazonas und Oreima.
Ich vertrete aber auch unser Stammesmitglieder, die auf dem Gebiet von Venezuela leben.
Ich bin zudem der Präsident der Hutukara Assoziation und arbeite dort als traditioneller Häuptling, aber auch als ein Koordinator mit der weißen Außenwelt, da ich Portugiesisch spreche.
Ich bin der Schamane meines Volkes und heile die Männer, Frauen und Kinder.
Goldsucher bedrohen die Yanomami
Eins der größten Probleme, vor denen wir stehen, betrifft unsere Landrechte. Immer wieder dringen fremde Menschen in unser Territorium ein, das uns schon lange ganz offiziell garantiert worden ist.
Goldgräber des Amazonas verkaufen ihren Fund (Foto: Imago, imago images / Rolf Hayo)
Nachdem in Brasiliens Wäldern Gold gefunden wurde, machten sich Tausende auf den Weg, ihr Glück bei der Goldsuche zu finden.
Bild: Imago imago images / Rolf Hayo
Es handelt sich dabei primär um Goldsucher, die niemals ein Land verlassen wollen, solange sie Gold finden können. Sie bedrohen ganz unmittelbar unser Überleben.
Eine weitere große Bedrohung liegt in den Krankheiten, die die Goldsucher mitbringen, und dem Alkohol, den sie dabei haben; der ist im Yanomami-Land verboten. Den schmuggeln sie hinein.

Der Regenwald ist unser Bruder
Die Erde und der Wald wurden einstmals von einem männlichen Wesen erschaffen, von dem niemand weiß, wo er lebt.
Nur wir als Schamanen kennen den Ort. Wir nennen dieses Wesen "OMAMA". Er lebte und er verliebte sich einst und erschuf daraus den Wald, der die Quelle allen Lebens ist.
Im Wald leben wir gut – nicht nur als Yanomamis – das kann auch für die Weißen gelten. Der Wald repräsentiert Gesundheit, er ist voller Schönheit. Wir sehen den Wald wie unseren Bruder. Ohne ihn hätten wir nichts zu essen.
Die Yanomami leben den Wäldern (Foto: Imago, imago images/Agencia EFE)
Die Yanomami leben in Wäldern und bezeichnen sich selbst als "Wächter des Waldes". Für sie ist der Wald nicht nur Lebensraum, sondern die Quelle allen Lebens.
Bild: Imago imago images/Agencia EFE

Druck auf Jair Bolsonaro
Für mich ist die wichtigste Botschaft an die Menschen der Städte, dass Ihr Eure Kraft dafür einsetzen solltet, Druck auf die brasilianische Regierung auszuüben.
So können die Regierungen in Europa die brasilianische Regierung bitten, die Goldsucher aus unserem Gebiet herauszuholen. Das würde uns dabei unterstützen, diese Invasion unseres Territoriums aufzuhalten.
Ein Kontakt zum Stamm ist über die E-Mail-Adresse möglich.
mailto:hutukaraassociacaoyanomami@gmail.com;
https://www.swr.de/swr2/programm/index.html

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MANUSKRIPT
Anmoderation:
Mit dem Thema: „Davi Kopenawas Kampf für die Indigenen im Amazonasgebiet“.
Am Mikrofon: Ralf Caspary

Davi Kopenawa ist Schamane und geistiger Führer der Yanomami-Indigenen in Brasilien.
Immer wieder verlässt er den Regenwald, reist um die Welt, um auf die Gefahren für sein
Volk aufmerksam zu machen. Es wird bedroht vom Klimawandel, von skrupellosen
Goldsuchern, Holzfällern, von einer Politik, die auf die rücksichtslose Abholzung des
Regenwalds setzt. Für sein Engagement erhielt Kopenawa den Alternativen Nobelpreis.
Der Journalist Geseko von Lüpke hat mit diesem außergewöhnlichen Mann gesprochen
über sein Volk, die Zivilisation und die Magie des Regenwalds.
Interview:
Geseko von Lüpke:
Ich bin sehr froh, dass wir die Gelegenheit finden, uns mit Ihnen über die Welt der
Yanomamis, zurückgezogen im Regenwald Brasiliens, zu unterhalten. Wollen Sie sich
unserem Publikum vorstellen, was Sie sicher besser können als ich.
Davi Kopenawa:
Mein Name ist Davi Kopenawa Yanomami, ich bin der offizielle Vertreter der Völker der
Yanomami und Equuana im Territorium der brasilianischen Bundesstaaten Amazonas und
Oreima. Ich vertrete aber auch unser Stammesmitglieder, die auf dem Gebiet von
Venezuela leben. Ich bin zudem der Präsident der Hutukara Assoziation und arbeite da als
traditioneller Häuptling, aber auch als ein Koordinator mit der weißen Außenwelt, da ich
Portugiesisch spreche. Ich bin auch der Schamane meines Volkes und heile die Männer,
Frauen und Kinder, weil es bei uns keine Ärzte gibt. Bei diesen Heilungen unterstützen
mich die Kräfte des Waldes. Wir leben in der Wotoric-Gemeinschaft im Bundesstaat
Oreima an der Grenze zwischen Venezuela und Brasilien. Watoric heißt in unserer
Sprache 'Der Berg des Windes'.
Geseko von Lüpke:
Wie haben Sie reagiert, als Sie hörten, dass Sie mit dem Alternativen Nobelpreis
ausgezeichnet werden?
Davi Kopenawa:
Als ich zuerst davon hörte, war ich gerade in Brasilien unterwegs. Ich habe eine große
Neugierde gespürt, was mich hier erwarten und mir angeboten wird. Ich hoffe, dieser Preis
wird sehr viel mehr Aufmerksamkeit für das Volk der Yanomami und seinen Kampf ums
Überleben bringen.
Geseko von Lüpke:
Vor welchen aktuellen Herausforderungen stehen Sie und andere indigenen
Gemeinschaften im Amazonas zurzeit?
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Davi Kopenawa:
Eins der größten Probleme, vor denen wir stehen, betrifft unsere Landrechte. Immer
wieder dringen fremde Menschen in unser Territorium ein, dass uns schon lange ganz
offiziell garantiert worden ist. Es handelt sich dabei primär um Goldsucher, die niemals ein
Land verlassen wollen, wo sie Gold finden können. Sie bedrohen ganz unmittelbar unser
Überleben. Eine weitere große Bedrohung liegt in den Krankheiten, die die Goldsucher
mitbringen, und im Alkohol, den sie dabei haben und der im Yanomami-Land verboten ist.
Den schmuggeln sie hinein. Das sind die größten Bedrohungen. Und ich frage mich, ob
dieser Preis uns dabei helfen wird, diese Bedrohungen zu überwinden.
Geseko von Lüpke:
Sie sind ein Reisender zwischen den Welten. Wir dagegen bleiben meist in unserer einen
Welt. Wenn Sie zwischen den Welten hin und her reisen, dann ist es ja durchaus möglich,
dass Sie diese westliche Lebensart mit in Ihrem Gepäck haben und die schwer wieder
loszuwerden ist, wenn Sie in den Wald zurückkehren. Auf der anderen Seite gibt Ihnen der
Wald sicher auch genug Stärke, um diesen Wechsel auszuhalten. Wie ist das, zwischen
den Welten hin- und herzugehen und was für einen Effekt hat das auf Sie?
Sie sind ein Reisender zwischen den Welten des Waldes und der Zivilisation, während wir
meistens in einer Welt verbleiben. Wenn Sie so reisen, kann es ja auch sein, dass die
westliche Zivilisation ein ziemlich schweres Gepäck ist, wenn man zurückkehrt in den
Wald. Wie fühlt sich dieses Hin- und Hergehen an für Sie?
Davi Kopenawa:
Das ist richtig. Ich lebe mit meinem Volk im Regenwald – und manchmal muss ich diese
Welt hinter mir lassen. Wenn ich reise, bin ich mit vielen Themen konfrontiert. Es gibt in
der Welt außer mir niemanden, der die Geschichte meines Volkes erzählen könnte. Dann
brauchen sie mich als einen traditionellen Häuptling, der Portugiesisch spricht und der mit
den nicht-indigenen Menschen kommunizieren kann. Also ist es nicht zu umgehen, dass
ich meine Gemeinschaft immer wieder verlassen muss. Innerhalb Brasiliens ist es so,
dass ich dann in diese großen Städte komme, so wie die Hauptstadt Brasilia. Das ist eine
riesige Metropole, die auf den drei Säulen der Macht errichtet wurde. Aber diese Säulen
schließen uns aus. Es ist der Platz der staatlichen Autoritäten, des Parlaments und des
Präsidenten, aber niemand vertritt uns. Ich versuche trotzdem, den Kontakt zu halten, bitte
um Schutz und will gemeinsam mit ihnen Lösungen für die Probleme der Yanomami
finden.
Geseko von Lüpke:
Was sind die zentralsten Probleme, von denen die Yanomami heute stehen?
Davi Kopenawa:
Die fremden Menschen, die unser Land überfallen. Es war mir bislang nicht möglich, diese
Bedrohung abzuwenden. Und die staatlichen Behörden sind nicht bereit, uns zu helfen.
Keine der staatlichen Stellen in Brasilien hilft uns wirklich. Das ist der eigentliche Grund
dafür, dass ich in alle Welt reise: Ich suche nach Unterstützung.
Geseko von Lüpke:
In Ihren jungen Jahren sind Sie in den Westen gereist und haben fast den Kontakt zu Ihrer
Yanomami-Kultur verloren. Was hat Sie dazu bewogen, in den Regenwald
zurückzukehren. Was war der Ruf?
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Davi Kopenawa:
Ja, das stimmt. Und das passiert uns indigenen Völkern immer wieder: Nämlich dass die
jungen Menschen in unserem Volk sich erst einmal dafür entscheiden, den traditionellen
Weg zu verlassen und in die Städte zu gehen. Dann kommen sie dort an und stellen fest,
dass es dort keine anderen Yanomami gibt. Sie können nur noch portugiesisch sprechen,
was dann immer mehr ihre Gedanken prägt und ihre Wahrnehmung dominiert. Das ist mir
auch selbst so ergangen: Ich war ein Jahr in den Städten der Weißen und bin mit einem
Regierungsbeamten gereist, der indigenen Stämmen helfen und ihre Interessen
unterstützen sollte. Es wohnten einfach immer zwei Seelen in mir. In dieser Zeit bin ich z.
B. auch nach Sao Paulo gekommen. So ein wunderbarer Platz, aber eben auch geprägt
von viel Zerstörung, schmutzigen Flüsse und Unmengen Müll. Sie schmeißen sogar die
Autos weg, die sie nicht mehr haben wollen. So habe ich eigentlich durch die pure
Zeugenschaft gelernt, mich zu entscheiden. Ich wurde Zeuge von Orten voller
Verschmutzung und Zerstörung. Das hat mich dazu bewegt, zurückzukehren zu meiner
Gemeinschaft, um ihr klar zu machen, dass es in den Städten der Weißen kein gutes
Leben gibt und wir Yanomamis lieber im Wald bleiben sollten.
Geseko von Lüpke:
Was hatte die westliche Welt für eine Wirkung auf Ihren Geist, auf Ihre Wahrnehmung?
Und als Sie wieder nach Hause gekommen sind: Konnten Sie die Städte und die westliche
Welt hinter sich lassen? Oder ist die Seele dann wie besetzt?
Davi Kopenawa:
Ich reise mittlerweile immer wieder in die Stadt, aber mein Leben ist im Wald verwurzelt.
Es ist immer noch so wie damals in meinen jungen Jahren: Ich berichte meinem Volk und
meiner Familie davon, was ich gesehen und erfahren habe, ich teile meine Erfahrungen
mit ihnen, damit sie nicht irgendwelchen falschen Gerüchten Glauben schenken, die sie
aufschnappen. Ich habe die Welt der weißen Menschen kennengelernt. Und ich bin davon
überzeugt, dass sie für die Yanomami nichts taugt. Unser Wald ist ein wunderbarer Ort der
Schönheit. Aber die Straßen der Städte sind kein Platz für uns. Aus unserer Perspektive
sind die Stadt-Menschen verrückt, sie trinken Alkohol und machen komische Sachen. Also
erzähle ich die Geschichten, die ich erlebe, damit die Menschen in der YanomamiGemeinschaft sich nicht vorschnell dafür entscheiden, den Regenwald zu verlassen – so
wie viele es tun und so wie ich es auch einmal gemacht habe. Das passiert auch heute,
wir verlieren immer wieder Menschen an die Städte. Aber die meisten glauben mir, was ich
berichte, und entscheiden sich, an einem wunderschönen Ort im Wald zu bleiben und ein
ruhiges und glückliches Leben zu führen.
Geseko von Lüpke:
Sie sagten gerade 'Der Wald ist wunderbar'. Für uns, glaube ich, ist der Wald eher etwas
materielles, Holz mit einem ökonomischen Wert. Was ist für Sie die tiefere Bedeutung des
Waldes? Wie ist der Wald gefüllt mit Wesen? Können Sie uns einen Eindruck geben von
der tiefen seelischen Verbindung, den sie gegenüber dem Regenwald haben und
inwieweit er gefüllt ist von Hilfsgeistern und Wesenheiten?
Davi Kopenawa:
Ich will Euch vom Leben des Waldes erzählen: wie er erschaffen wurde, so dass er zu
dem werden konnte, was er heute ist. Die Erde und der Wald wurden einstmals von einem
männlichen Wesen erschaffen, von dem niemand weiß, wo er lebt. Nur wir als Schamanen
kennen den Ort. Wir nennen dieses Wesen 'OMAMA'. Er lebte und er verliebte sich einst
und erschuf daraus den Wald, der die Quelle allen Lebens ist. Im Wald leben wir gut –
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nicht nur als Yanomami – das kann auch für die Weißen gelten. Der Wald repräsentiert
Gesundheit, er ist voller Schönheit. Wir sehen den Wald wie unseren Bruder. Ohne ihn
hätten wir nichts zu essen. Und er ist voller Schätze: Er schenkt uns das Obst, die
Budditchi-Beeren, die Assa-i-Beeren, den Kakoa. Der Wald ist ein Ort des Reichtums:
nicht reich an Geld oder Flugzeugen oder an Öl. Er ist reich, weil der Schöpfer OMAMA
gute Dinge in ihm gepflanzt hat. Er hat Schönheit, Reichtum und saubere Luft.
Geseko von Lüpke:
Die Yanomami nennen sich selber auch die 'Wächter des Waldes' – 'The Guardian of the
Forest'. Das klingt fast kriegerisch.
Davi Kopenawa:
Wir verteidigen den Wald eher, weil wir ihn lieben. Es ist der Ort, wo wir aufgewachsen
sind. Er ist uns tief vertraut, seine gute Energie, das saubere Wasser der Wasserfällen. Er
ist voller Tiere: Fische in den Flüssen, bunte Vögeln, die durch die Luft fliegen. Das ist –
wie Ihr es nennen würdet –, was die Yanomami priorisieren. Ihr nennt das Ganze einen
'Wald', wir nennen es 'Urichi' – und das ist etwas grundsätzlich anderes. Es ist die
unmittelbare Schönheit. Das ist anders als die Stadt. Sie wurde nicht geboren, Ihr habt sie
gebaut. Und Ihr Weißen liebt die Städte auch, aber aus einem anderen Grund: wegen des
elektrischen Lichtes, wegen der Straßen und den vielen Autos. Aber Eure Flüsse atmen
nicht. Es ist eine andere Welt als jene, die 'OMAMA' erschaffen hat. Es ist ganz anders als
unser Wald, der lebt.
Geseko von Lüpke:
Sie haben ein Buch mit dem Titel 'The falling sky', auf Deutsch vielleicht 'Der fallende
Himmel' geschrieben. Es ist ein sehr außergewöhnliches Buch, weil es nicht aus
westlicher Sicht über den Schamanismus spricht, sondern ein Schamane des Amazonas
selbst von seiner Welt berichtet. Wie kam es dazu?
Davi Kopenawa:
Das Buch habe ich mit meinem guten Freund Bruce Albert geschrieben. Er ist ein
französischer Anthropologe. Oft ist es tatsächlich so, dass die Stadtmenschen als
Anthropologen zu uns kommen. Sie sammeln unser traditionelles Wissen ein, aber es
handelt sich nicht um ihr Wissen und ihre Ideen von der Welt. Tatsächlich ist das unser
Wissen. Und ich habe lange gebraucht, um all dieses Wissen von unseren Alten zu lernen.
Bruce wusste darum und er nahm sich die Zeit, um unsere Sprache zu lernen und damit
auch zu lernen, wie wir denken. Und er wollte daraus mit mir ein Buch machen, weil
Wissen bei Euch über Bücher weitergeben wird. Bis dahin wollte ich mit Anthropologen
aus der Stadt möglichst wenig zu tun haben, weil sie unser traditionelles Wissen
missbrauchen und auch immer nur das sammeln, was sie sehen und wahrnehmen
können. Ich sagte Bruce, dass dann ich derjenige sein muss, der in so einem Buch die
Geschichte erzählt. Ich bat ihn darum, mir dabei zu helfen, meine Worte aufzunehmen.
Dann habe ich ihm alle Geschichten erzählt, die ich kenne. Ich stehe in der Tradition der
früheren Anführer der Yanomami, sie brachten mir immer sehr viel bei. Also setzte ich mich
mit Bruce eine ganze Woche zusammen und wir verwendeten diese ganze Zeit – ohne
Reisen oder andere Aufgaben –, um über das alte Wissen zu sprechen und 'gute
Gedanken' aufzunehmen. So konnte ich die Geschichten so erzählen, wie sie der
Wahrheit entsprach. Dann machte sich Bruce daran, diese Geschichten in seiner eigenen
Sprache niederzuschreiben. Das war alles andere als einfach, er arbeitete vier Jahre
daran. In diesem Buch sind jetzt meine Worte. Sie sind nicht vermischt mit seinen
Gedanken. Das war möglich, weil wir es vorher so besprochen und vereinbart hatten, dass
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er seine Gedanken draußen lässt. Das bezieht sich auch auf den Titel des Buches, der
lautet 'Der fallende Himmel'.
Geseko von Lüpke:
Sie beschreiben in diesem Buch Ihr Weltbild so, dass es Schichten von Himmeln gibt und
dass es einstmal passierte, dass einer dieser Himmel auf die Erde stürzte. Sie sind davon
überzeugt, dass die Lebensweise der Yanomami uns alle davor bewahrt, dass so etwas
wieder passiert. Was bedeutet diese Metapher des „falling sky“? Wann würde der Himmel
auf die Erde stürzen? Ist das eine Metapher für eine vor uns liegende Gefahr?
Davi Kopenawa:
Die Geschichte geht so: Für die Yanomami liegt der Anfang der jetzigen Welt in einer Zeit,
die lange vor der westlichen Zivilisation begann. Ich glaube nicht, dass sich die weißen
Menschen an diese Zeit erinnern. Es gab damals einen Riss im Himmel. Dann stürzte der
Himmel herunter und tötete sehr viele Menschen. Auch die meisten Yanomami starben.
Aber der Schöpfer OMAMA hielt, wie wir sagen, das Gewicht der Erde. Er beschützte die
Erde mit der Unterstützung von 15 anderen Menschen, die den Absturz des Himmels
überlebt hatten. Diese sehr starke und in unserem Leben sehr bekannte Geschichte vom
'Fallenden Himmel' gab dem Buch seinen Titel. Wir Yanomami glauben daran, dass wenn
unsere Schamanen sterben werden, die Welle dieses Ereignisses uns alle wieder
erreichen wird. Deswegen haben wir eine Botschaft für die Menschen der Städte: Wir
möchten Euch warnen, dass der Himmel wieder zusammenstürzen wird, wenn alle
Yanomami, alle Equuana-Völker des Amazonas und die anderen indigenen Völker
gestorben sind. Die lebendige Welt will uns indigene Völker, die aus ihrem Leib geboren
sind. Ich erzähle die Geschichte immer wieder als Warnung, denn dieser Prozess hat
schon begonnen. Wasserfluten überschwemmen die Städte und spülen die Autos mit sich,
die Erde übergibt sich und spuckt Schlammfluten aus, wie jüngst in den Minen von
Brumadino und Mariana in Brasilien, wo Hunderte starben. Der Kern der Botschaft lautet:
Wenn die Menschen der Städte weiter die Welt zerstören und uns vergessen, die wir diese
Welle der Zerstörung aufhalten, dann wird es wieder passieren. Wenn Ihr uns alle an
vergiftetem Wasser zugrunde gehen lasst, wer wird sich dann um die Erde sorgen? Wir
haben alle eine Aufgabe: Ich, Davi, werde vom Regenwald aus handeln, denn das ist es,
was wir Schamanen machen können. Ihr müsst Euch um die Städte kümmern, wir sorgen
uns um die Wälder.
Geseko von Lüpke:
Nun, wo Ihnen quasi die Weltöffentlichkeit zuhört: Was wollen Sie den Menschen
außerhalb des Regenwaldes mitteilen?
Davi Kopenawa:
Für mich ist die wichtigste Botschaft an die Menschen der Städte, dass Ihr Eure Kraft dafür
einsetzen solltet, Druck auf die brasilianische Regierung auszuüben. So können die
Regierungen in Europa die brasilianische Regierung bitten, die Goldsucher aus unserem
Gebiet herauszuholen. Das würde uns dabei unterstützen, diese Invasion unseres
Territoriums aufzuhalten.
Geseko von Lüpke:
Im Jahr 2019 wurde Jair Bolsonaro zum brasilianischen Präsidenten gewählt. Was hat sich
seitdem für Sie verändert?
Davi Kopenawa:
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Es war ein Regierungswechsel, Regierungen kommen und gehen. Der gegenwärtige
Präsident wurde von der nicht-indigenen Bevölkerung Brasiliens gewählt, er vertritt uns
nicht. Ein guter Politiker sollte alle Völker seines Landes in den Dörfern und Städten
ebenso wie in den indigenen Gemeinschaften kennen. Für mich ist er alles andere als ein
guter Mann. Seit Bolsonaro gewählt wurde, hat sich die Situation der Yanomami sehr
verschlechtert. Deshalb kann ich nicht sagen, dass er das Richtige tut. Er lässt es zu, dass
wir bedroht werden, er hat persönlich unserem Volk gedroht und unsere Landrechte in
Frage gestellt. Er setzt die Politik des früheren Präsidenten Figueiredo fort, der die
Yanomamis benachteiligte. Er verhält sich ähnlich, als kämen die beiden aus der gleichen
schlechten Familie. Bolsonaro ist ein Militär, der die Interessen der Armee vertritt. Er
vertritt nicht mein Volk, sondern regiert uns wie ein Diktator. Seine Gedanken sind von der
Zerstörung des Landes und der Wälder geprägt, er will weiteren Bergbau und die
Ausbeutung der Bodenschätze legalisieren und unser Territorium beschneiden. Er sagt,
unser Land wäre viel zu groß für so wenige Menschen. Er hat kein Recht, so etwas zu
sagen. Nur ein guter Mensch sollte dieses Land regieren.
Geseko von Lüpke:
Was können Sie gegen diese sehr bedrohlichen Entwicklungen tun?
Davi Kopenawa:
Ich bin es seit langem gewohnt zu kämpfen, zusammen mit unserer Organisation, der
Assoziation Hutukara, die eine sehr wichtige Rolle dabei spielt, die Rechte meines Volkes
zu vertreten: unsere Landrechte, unser Recht auf Gesundheit. Und ich bin da nicht allein,
das betrifft nicht nur die Yanomami. Auch andere indigene Völker Brasiliens und ihre
Führer kämpfen um diese Rechte. Wir werden da nicht zurückweichen, unser Kampf ist
nach vorne gerichtet.
Geseko von Lüpke:
Was ist die Aufgabe Ihrer Hutukara Yanomami Assoziation?
Davi Kopenawa:
Hutukara ist für uns ein heiliges Wort. Es bedeutet in etwa „der Teil des Himmels, aus dem
die Erde geboren wurde“. Vor 16 Jahren trafen sich Yanomami aus elf Siedlungen, um
angesichts der schweren Angriffe unsere Rechte wirkungsvoller zu verteidigen und eigene
Projekte aufzubauen. Vor neun Jahren sind die Yanomami in Venezuela dazu gekommen
und haben eine ähnliche Organisation namens Horonami gegründet. Wir haben alle
begriffen, dass wir eine Interessenvertretung brauchen, die von uns selbst aufgebaut ist.
Sie hat die Aufgabe, unser Land, unsere Flüsse, unseren Wald, unsere Gesundheit,
unsere indigene Sprache, unsere schamanischen Geistwesen und unsere Schamanen
selbst zu beschützen. Sie verteidigt auch unsere kulturellen Traditionen und unsere Feste,
unsere Weltsicht. Das soll dazu dienen, dass auch künftige Generationen von Yanomami
unsere Lebensweise mit ihren Traditionen fortsetzen und Hutukara als Werkzeug nutzen
können, um unsere Rechte zu verteidigen.
Geseko von Lüpke:
Sie sind nicht nur der Präsident von der Organisation Hutukara, sondern haben in Ihrem
Volk auch die Rolle des Schamanen inne. Was ist da Ihre Aufgabe in der Gemeinschaft?
Davi Kopenawa:
Ich kann die Neugier gut verstehen, denn Ihr kennt unsere Realität nicht. Der Schamane
spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Erhaltung der Gesundheit und auch dabei, der
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nächsten Generation beizubringen, Schamane zu werden und sich um die Gesundheit
unseres Volkes zu kümmern.
Geseko von Lüpke:
Sie sind Schamane der Yanomami. Arbeiten Sie mit den Ärzten der weißen Kulturen
zusammen? Gibt es da eine Kooperation zwischen den Kulturen und den
unterschiedlichen Heilungsansätzen?
Davi Kopenawa:
Ja, manchmal arbeiten wir auch zusammen. Die Geistwesen, die uns beim Heilen
unterstützen, heißen ebenso wie die Schamanen selber: 'Yanomami Shapiri'. Wir
Schamanen und diese Geister kooperieren mit den Ärzten und ihren Helfern, die zu uns in
die Gemeinschaft kommen. Die westlichen Doktoren wissen Bescheid über Malaria und
Tuberkulose. Sie kennen sich mit den Krankheiten aus den Städten aus. Wenn sie mit
ihrer Diagnose erfolglos bleiben, können wir Schamanen trotzdem etwas finden. Denn wir
kennen die Krankheiten des Waldes. Auf diese Weise arbeiten wir zusammen.
Geseko von Lüpke:
Sie sprachen vorhin von uns, von den 'Menschen der Städte'. Wie geht es Ihnen, wenn
Sie nun nach Stockholm, Berlin oder London reisen?
Davi Kopenawa:
Ich glaube, es ist gut, dass die Menschen der Städte sich für einen Ort entschieden haben,
an dem sie leben, auch wenn es in Euren Städten keine indigenen Gemeinschaften mehr
gibt. Euer Häuptling, den Ihr Präsident nennt, und seine Verwaltung wählte für die nichtindigenen Menschen diesen Platz der Städte aus. Für Euch Menschen der Städte ist es
gut und richtig, dass die Behörden die Stadt gesät und haben wachsen lassen. Auch, dass
Ihr Öl benutzt, um Elektrizität zu erschaffen, Euer Wasser zu erhitzen und Eure Nahrung
frisch zu halten. Es erscheint mir gut, dass alles, was die Menschen der Stadt brauchen,
auch in den Städten zu finden ist. Ich habe allerdings viel darüber nachgedacht und mich
gefragt, was daran wirklich 'Fortschritt' ist. Und mein Gefühl ist, das die Menschen der
Städte mittlerweile zu Wesen ihrer Produkte und des Handels geworden sind. Es mag
wunderbar für sie sein, in ihren Häusern zu sein. Ehrlich gesagt, ist es mir sogar lieber,
wenn sie in ihren Häusern bleiben, anstatt in unser Land einzudringen, um es
auszubeuten und uns wegzunehmen. Ich würde mir wünschen, dass es dabei bleibt. Ich
bin gegen die Invasion der Stadtmenschen in den Amazonas, das will ich aufhalten.
Geseko von Lüpke:
Vor 30 Jahren waren Sie das erste Mal in Stockholm, um für die Organisation 'Survival
International' deren Alternativen Nobelpreis entgegenzunehmen. Jetzt sind Sie wieder hier
und bekommen den Preis höchstpersönlich für Ihre Arbeit für die indigenen Völker. Was
hat sich in diesen 30 Jahren für die Yanomami geändert?
Davi Kopenawa:
Ja, ich war vor 30 Jahren schon einmal in Stockholm. Aber auch damals war es nicht
einfach nur ein Besuch. Schon damals habe ich um Unterstützung gebeten und sprach
hier im Fernsehen mit Journalisten, mit den Behörden. In den letzten 30 Jahren haben wir
viele sehr schwierige Phasen durchlebt. Viele der 40.000 Yanomami erkrankten an Malaria
und Grippeviren. Es gab viele Versuche, unsere Gemeinschaften zu zerstören. Und
deshalb kam und komme ich: Ich will mit Menschen sprechen, die zuhören können, damit
sie sich unserer Probleme bewusst werden. Mein Plan ist, mit den Menschen in Europa zu
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sprechen, damit die europäischen Regierungen mit der brasilianischen Regierung
sprechen. Es dauerte lange, bis ich auch die UN in New York aufmerksam machen konnte
und bis es internationale Kampagnen gab, um die Goldsucher aus unserem Gebiet zu
vertreiben und unser Land offiziell anzuerkennen. Das lief eine zeitlang gut, aber dann
verschlechterte sich die Situation wieder. Deshalb bin ich jetzt wieder da.
Geseko von Lüpke:
Was wäre Ihr Wunsch an uns? Was könnten wir im Westen, in der sogenannten
zivilisierten Welt, Sie unterstützen?
Davi Kopenawa:
Im Moment hoffe ich, dass dieser Preis uns helfen wird, dass brasilianische und
internationale Politiker uns mehr respektieren. Unser Land wurde bereits rechtlich
gesichert und offiziell registriert und anerkannt. Dieser Alternative Nobelpreis soll dazu
beitragen, dass die 'Menschen der Stadt' diese Rechte auch weiter respektieren. Das ist
meine große Hoffnung. Jetzt wo ich die Gelegenheit habe, über das Radio gleichzeitig zu
Tausenden von Euch zu sprechen, richtet sich meine Botschaft besonders an die jungen
Menschen. Sie melden sich jetzt laut zu Wort, weil sie sich um unseren Planeten sorgen,
um die schmutzigen Flüsse, um vergiftete Regionen und Böden – letztlich um die
Gefahren, vor denen die indigenen Gemeinschaften der Welt schon immer warnen. Ich will
mich an unsere nicht-indigenen Freunde wenden, die wie wir darum ringen, die Seele der
Wälder, die Seele des Amazonas zu schützen. Jeder Platz rund um die Welt hat eine
bestimmte Rolle dabei – sei es hier in Stockholm oder in Olso, in Italien oder in
Deutschland. Und ich hoffe, meine Botschaft wird verstanden: Jeder kann sich beteiligen
an der Verteidigung des Planeten Erde. Wir alle wollen gutes und gesundes Essen zu uns
nehmen, gut und in Frieden leben. Deshalb richtet sich diese Botschaft an alle:
Erwachsene, Jugendliche, Kinder, aber auch an die Regierungen, uns Yanonami-Yeguana
zu helfen, damit wir zusammen auf einem Planeten leben, den wir gemeinsam
beschützen.
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