Jacques Rancière : In welchen Zeiten leben wir? Ein Gespräch mit Éric Hazan .Übersetzt von Richard Steurer-Boulard

Dieser Diskurs bietet einen panoramatischen, zugleich treffsicheren Denk-Blick zur gegenwärtigen Lage.

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Lebenszeiten? - Diskurs: J. Rancière - É. Hazan
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Online-Publikation: Oktober 2020 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< Jacques Rancière : In welchen Zeiten leben wir? Ein Gespräch mit Éric Hazan .Übersetzt von Richard Steurer-Boulard >>
Reihe Passagen Hefte, Peter Engelmann Hg.: 80 Seiten, 168 x 108 mm, Broschur, ISBN 9783709204405, 11,20 EUR
Passagen Verlag mehr als 25 Jahre, Wien; http://www.passagen.at; http://www.iwm.at/

Charakteristika
> Das philosophische Denken Rancieres sieht im Unvernehmen: der Politik eine Kette von Subjektivierungen zu denken, als Praxis des Streits, die ihren Anfang bereits in der griechischen Polis nimmt.
Ein weiterer Schwerpunkt zeigt sich in seiner Sichtweise zur aktuell enthierarchiesierenden Ästhetik...
> Jacques Rancière antwortet in diesem Buch auf die Fragen seines französischen Verlegers Éric Hazan zur Lage der Gegenwart: Wo stehen wir? Was haben die politischen Ereignisse der letzten Jahre zu bedeuten? Welche Möglichkeiten eröffnen sich? Kurz, in welchen Zeiten leben wir?
> Topoi
Gespräch | Politische Philosophie | Gegenwart

Inhalt
Der Titel dieses Buches ist wörtlich zu nehmen: Im Gespräch mit Éric Hazan durchleuchtet Jacques Rancière die politische Gegenwart. Er spricht vom Volk, von der Demokratie, von Repräsentation, von der ästhetischen und politischen Revolution, von Aufständen der Vergangenheit und Besetzungen der Gegenwart. Vor allem aber spricht Rancière von einer Zeit, der die Geschichte nichts versprochen und der sie keine Lehren vermacht hat – einer Zeit aus reinen Momenten, die so weit wie möglich auszudehnen sind. In der Politik gibt es nur Gegenwarten, und in jedem Augenblick stellt sich von neuem die Frage, ob die Fesseln der inegalitären Knechtschaft erneuert oder Wege der Emanzipation eröffnet werden.
Jacques Rancière, geboren 1940, lehrte zwischen 1969 und 2000 Philosophie und Kunsttheorie an der Universität Paris VIII.

Diskurs-Team
Jacques Rancière
(* 10. Juni 1940 in Algier) ist ein französischer Philosoph, der vor allem für seine Arbeiten zur politischen Philosophie und zur Ästhetik bekannt ist. Von 1969 bis 2000 lehrte er an der Universität Paris VIII (Vincennes und Saint-Denis).
https://de.wikipedia.org/wiki/Jacques_Ranci%C3%A8re
Éric Hazan
ist Arzt, Autor, Übersetzer und Gründer des Verlags La Fabrique. Er lebt in Paris. Auf Deutsch erschien zuletzt: Die Erfindung von Paris.
(* 1936 in Paris, Frankreich) ist ein französischer Autor, Verleger und Chirurg.
https://edition-nautilus.de/autorinnen/hazan-eric/

Fazit, entlang der Diskursfolge
In einem schriftlich erfolgtem Gespräch von Jacques Rancière mit Éric Hazan, das sich innert eines halben Jahres 2016-2017 vollzog, verorteten die gesellschaftliche Frage: "welchen Zeiten leben wir".:
- Welche Regeln ermöglichen in einem 'repräsentativen System sich für demokratisch zu erklären, wenn es durch Losentscheid gelingt das Regierungspersonal zu gewinnen, das die Macht liebt und geschickt genug ist...
Zu den Charakteristika des Diskurses zählen:
- Die Repräsentation ist ein Beruf geworden, die sich im Wesentlichen selbst reproduziert..
- Es ist eine betrügerische, entmutigende Logik der höheren Niedrigen (Jakotot *) entstanden und man braucht dazu den medialen Werbebotschafter zur Verinnerlichung der Zustände..
- Dass ein System einen Entmutigungseffekt, z.B. in der empörten Minderheit Jugend, produziert bedeutet nicht, dass jeder entmutigt ist..
- Ein Phänomen wie 'Nui debout**' , als eine Dynamik der Bewegung von Plätzen und Besetzungen zeigt, dass der Drang nach dem Gemeinschafts- , Gleichheits-Wunsch sich selbst lähmt, indem er sich in sein eigenes Bild , in die Inszenierung des Zusammensein-Glücks einschliesst (verbarrikadiert, k.)', statt zu einer anderen Gemeinschaftsform....
- Statt einem 'grossen defätistischen Brei‘ : Die Kernfrage ist, wie denkt man das, was 'gewollt' wird, wenn Leute sich zusammentun, die Bestimmung eines Ortes verändern und eine andere Zeit eröffnen? Wie denkt man Zeit und 'Wille' neu, um davon zu sprechen?..
- Die Antwort auf alles erzeugt keinen Raum der Übereinstimmung zwischen Wahrnehmung, Denken, Affekt und Aktion..
Deshalb hat das post-heideggerianische Denken der grossen Katastrophe mehr oder weniger seinen Platz eingenommen
- Die Antwort auf die Frage zur 'ästhetischen Revolution' ist:
Einerseits hat sich die Kunst als Sphäre sinnlicher Erfahrung und Erfindungen verselbstständigt und zugleich die Grenzen aufgehoben, die sie von der Alltagserfahrung getrennt haben,
andererseits schliesst die Frage nach der Verwandlung sinnlicher Erfahrung, Institutionen und Gesetzen in das Zentrum des revolutionären Denkens und von Praktiken mit ein..
KünstlerInnen haben einen grossen Platz eingenommen - nicht im Dienst des 'Volkes' - sondern als ErfinderInnen von Gesten und Dramaturgien (Wörtern, Bilder..) der Differenz.
- Der Begriff Aufstand hat vor allem einen sinnbildlichen Wert: zielt auf eine Welt Gleichheit zu erschaffen.. mittels einer einheitliche Kraft...
- In Bezug auf die Denkmaschinerien von Jean Baudrillard ist ein Widerstand (das, was einem Denken passieren kann, das ihm nichts widersteht) und das, was das Denken stört, aber auch das was es bereichert, indem es ihm widersteht (Einwände, Gegenstand.. )..

Die Quintessenz des Diskurses
von Jacques Rancière mit Éric Hazan lotet die aktuelle Lage der Gegenwart auf treffende und vielschichtige Weise aus.
Dabei entbergen sie die betrügerische, entmutigende Logik der höheren Niedrigen, die Dynamik der Bewegung von Plätzen und Besetzungen mit dem Drang nach dem Gemeinschafts-, Gleichheits-Wunsch, der jedoch sich selbst lähmt dass das post-heideggerianische Denken der grossen Katastrophe mehr oder weniger seinen Platz eingenommen hat.
Und schliesslich hat sich die 'ästhetischen Revolution' als Sphäre sinnlicher Erfahrung und Erfindungen verselbstständigt und zugleich die Grenzen aufgehoben.
Dieser Diskurs bietet einen panoramatischen zugleich treffsicheren Denk-Blick zur gegenwärtigen Lage.
m+w.p20-10 < k. >


*) Jean Joseph Jacotot (* 4. März 1770 in Dijon; † 30. Juli 1840 in Paris) war ein französischer Gelehrter und Begründer der nach ihm benannten Unterrichtsmethode
https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Joseph_Jacotot

**) Nuit debout
https://de.wikipedia.org/wiki/Nuit_debout