Schönheiten . H. Heere . Oder dass „das Schöne nichts als des Schrecklichen Anfang sei“, so Rilke..


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Schönheiten . H. Heere .
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Dass „das Schöne nichts als des Schrecklichen Anfang sei“, gehört nicht erst seit Rilkes berühmten Eingangsversen der „Duineser Elegien“ zum Inventar des Schönheitsdiskurses. In der wechselvollen Geschichte des „Erhabenen“ spiegelt sich vielmehr eine seit der Antike nie ganz unterbrochene und vor allem in jüngster Zeit reformulierte Begrifflichkeit, die vom Komischen und Hässlichen bis zum Schrecklichen, Übermächtigen und Überwältigenden reicht.
Meine Beschäftigung mit dem Erhabenen datiert bis in meine Studienzeit und meine damaligen Präferenz für Künstler des amerikanischen „abstrakten Expressionismus“ wie Jackson Pollock, Mark Rothko und Barnett Newman. Letzterer hat dem Erhabenen seinen ersten großen Auftritt in der Avantgarde verschafft. Unter dem programmatischen Titel „Das Erhabene jetzt“ bezeichnet er in einem Essay, der 1948 in New York erschien, das Schöne als „das Schreckgespenst der europäischen Kunst und ihrer ästhetischen Philosophien“. So bewundert er Michelangelo, „der sich „Bildhauer nannte“ und als solcher „der grandiosen Ansage christlicher Erhabenheit genügen konnte“, der „weder eine Kathedrale bauen wollte“, „noch einen Menschen wie einen Gott gestalten, sondern aus dem Menschen eine Kathedrale schaffen“. Gegenüber einer Malerei „des Schönheitskultes mit üppigem Samt und Brokat und schön abgestuften Fleischtönen“ setzt Newman die metaphysische Erhabenheit der Kathedrale. Auch die klassische europäische Moderne von den Impressionisten bis zu den Kubisten habe zwar „das Verlangen gehabt, das Schöne im Sinne der Renaissance zu zerstören“, was „das primäre Verlangen der modernen Kunst“ sei, habe aber nur „einen Transfer von Werten, anstatt neuer Visionen“ geschafft.

Inzwischen aktualisierte Jean-Francois Lyotard wiederum – im Anschluss an Newman – das Erhabene über den abstrakten Expressionismus hinaus zu einem allgemeinen Begriff. So weist er ihm das „Nicht-Darstellbare“ und das „Hervorrufen des Absoluten“ zu.

Christine Pries hat auf die Grenzerfahrung des modernen Erhabenen hingewiesen.
Das Erhabene markiert die Grenze zwischen den Extremen. „Erhaben“ bedeutet etymologisch „bis unter die oberste Schwelle. Das Erhabene ist die Grenze. Es berührt beide Extreme, beide Reiche. Das Erhabene bleibt unentschieden, in der Schwebe.“

Das Glamouröse, Posierende, Theatralische, Scheinhafte ihres „Bildkörpers“ sind die Lebenselixiere der Models, ihr Raum ist die Inszenierung, die Show, der Catwalk. Der Begriff „Glamour“ kommt aus dem frühen Schottischen und bedeutet „Zauber“ und „Verzauberung“.
Damit wird die Ereignis-Qualität der Schönheit angesprochen: Sie kann uns in bestimmten Momenten verzaubern und uns in ihren Bann ziehen. Die Schönheit der Helena muss einen solchen Zauber ausgestrahlt haben, dass ihretwegen ein langer Krieg ausbrach, der immerhin zu den zwei Gründungsepen der westlichen Kultur führte. Übrigens auch wieder ein Hinweis auf das Schreckliche, das der Zauber der Schönheit mit sich führen kann.

Das Unheimliche ist nach Freud nichts anderes als das Heimliche, was bis in unsere Kindheit hineinreicht. Sind aber nicht die Unheimlichkeiten unseres individuellen Daseins letztlich Animalität und Tod?
Das Monströse ist eine Maskerade, denn die Maske ist das fleischgewordene Chaos.
Die Maske des Monströsen fingiert den Schrecken des eigenen Todes.
Doch der maskierte Dämon des nächtlichen Schreckens birgt zugleich die taghelle Freude und die Begeisterung der Fülle des Lebens.

„Nein, mein liebes Tier, Ihr dürft nicht sterben“, sagt die Schöne zum Biest – und gibt dem Begehren des Tieres endlich nach und – oh Wunder – „das Tier verschwindet. Zu ihren Füßen erblickt sie einen Prinzen, schön wie Amor, der ihr dafür dankt, dass sie ihn aus seiner Verzauberung erlöst habe. In der märchenhaften Diktion des 18. Jahrhunderts der Autorin Madame Leprince de Beaumont, die auf ältere Motive der Tiermetamorphosen, etwa im „Goldenen Esel“ des Apuleius zurückgreift, entdeckte die Schöne nicht das Tier im Manne, sondern den Mann im Tier.
Die Fabelwesen sind nur in ihrem Werden, in ihren Metamorphosen zu begreifen.
Doch was heißt „Tier-Werden“? „Die Arten des Tierwerdens sind weder Träume noch Phantasmen. Sie sind durch und durch real“ meinen Deleuze/Guattari in ihren „Tausend Plateaus“. Diese Realität bezieht sich auf das Werden:
„Was real ist, ist das Werden selbst, der Block des Werdens…Das Werden kann und muss als ein Tier-Werden bestimmt werden, ohne einen Endzustand zu haben, der das gewordene Tier wäre.“
Die Monster der Vormoderne vermögen das Bedrohliche und Unheimliche auszudrücken und erscheinen in meinen Arbeiten der Serie „Die Schöne und das Biest“ als ironisches Bild mit all seinen Verweisungscharakteren.
Die Schöne und das Biest begegnen sich in meinen Arbeiten ziemlich entspannt in einer paradiesischen Landschaft, als deren „Vorbild“ die Toskana dient.
Diese Serie besteht aus „Klapp-Ikonen“ und kastenförmigen Wandobjekten mit Öl- bzw. Acrylmalerei. Damit greife ich an den Seiten der Objekte eine formale Struktur wieder auf, die auf meine künstlerischen Anfänge mit dem „erhabenen“ All-Over zurückgeht. Auf der Vorderseite dagegen male ich in einer malerischen „Faktur“ phantastisch-schöne Szenarios.
Damit intendiere ich eine Erprobung der Grenze, eine Transitivität, ein Spiel der Metamorphosen.

Der Renaissance-Dichter Agnolo Firenzuola schreibt 1548 in seinen „Dialogen über die Schönheit der Frauen“: „Denn unsere Meinung geht dahin, dass die Grazie nichts anderes sei als ein Glanz, der sich auf geheimnisvolle Weise aus einer bestimmten eigenartigen Verbindung einiger Glieder, gleichgültig welcher, ergibt, die mit der ganzen vollkommenen Schönheit oder höchsten Vollendung zusammen verknüpft, vereinigt, geordnet sind. Dieser Glanz drängt sich unseren Augen mit solcher Stärke, solcher Herzensfreude und innerer Befriedigung auf, dass uns notwendigerweise die Grazie bedeutend besser gefällt als die Schönheit; Unausbleiblich wendet sich unser Verlangen schweigend diesen holden Strahlen zu. Weil wir gleichsam eine Berührung von oben her empfunden haben, bemerken wir gar oft ein Gesicht, das nach den gewöhnlichen Begriffen durchaus nicht schön ist, diesen Glanz der Grazie ausstrahlen.“

Jüngst hat Boris Groys unter dem Titel „Schaffe dir dein eigenes Bild“ den Narzissmus als ein Dispositiv unserer Kultur entfaltet.
„Unsere Kultur wird gewöhnlich als eine narzisstische charakterisiert. Und Narzissmus wird verstanden als eine totale Konzentration auf das Selbst, als ein Mangel an Interesse für die Gesellschaft. Allerdings lässt sich vom Narziss der griechischen Mythologie nicht behaupten, dass er sich ausschließlich für sich selbst interessiere. Ganz offensichtlich strebt er nicht nach Wunschbefriedigung, sondern lehnt sie asketisch ab. Ebenso wenig ist er an einer subjektiven, nur seiner eigenen Kontemplation zugänglichen Vision interessiert, die ihn von den anderen isolieren würde.“
Nach Groys müssen die „zeitgenössischen Narzisse“ heute mehr als nur eigene Spiegelbilder produzieren. Sie müssen „Selbstdesign“ praktizieren, um von der Gesellschaft gemocht zu werden. So ist für sie „das Begehren, begehrt zu werden“ notwendig für ihr und unser Selbstbewusstsein.
Dieses Selbstdesign schafft einen zweiten künstlichen Körper, der den Körper des Menschen potentiell ersetzt und überlebt.
Damit erweitert er das, was ich den zweiten, den Bildkörper der Models nenne, zu einer kulturellen Perspektive.
Im einigen meiner „Beauty“-Bilder kommt meine Liebe zur Schönheit der Parks, in diesem Falle des Barockgartens, zum Ausdruck. Seine geometrischen Anlagen erinnern mich immer daran, dass der Barockgarten ein Abbild des Kosmos ist. Doch Gott wohnt inzwischen nicht mehr im himmlischen Empyräum oder auf dem Olymp oder in einem imaginären paradiesischen Garten, sondern er weilt mitten unter uns. Irgendwie sind wir heute alle – Götter, wenn auch, wie Freud meint „Prothesengötter“. Denn wir haben ja, wie Heinrich Heine in seinem „Wintermärchen“ dichtete, „den Himmel den Spatzen und den Engeln überlassen“.
Oktober 2019
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