SWR2 Aula - Hans Giessen: Zeig' mir deine Webseite und ich sag' dir, wer du bist . Wie präsentieren sich Unternehmen online?

Unternehmen online (H. Giessen)
Diskurs SWR2
H. Giessen: ..Unternehmen online?
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SWR2 Aula - Hans Giessen: Zeig' mir deine Webseite und ich sag' dir, wer du bist . Wie präsentieren sich Unternehmen online?
Sendung: Sonntag, 26. April 2015, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary, Susanne Paluuch, Produktion: SWR 2015
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Service:

AUTOR
Hans Giessen studierte an der FU Berlin, der Université de Metz und der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Er arbeitete im Medienbereich, Saarbrücken und Luxembourg. Wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität des Saarlandes und an verschiedenen französischen Hochschulen.

ÜBERBLICK
Was ist wichtiger beim Online-Auftritt eines großen Unternehmens, die jeweilige Kultur des Landes oder das Medium und seine Strukturen? Gibt es charakteristische Arten, wie und weshalb Webseiten genutzt werden, gibt es vielleicht eine einheitliche globale Kultur, die alles andere dominiert? Der Informationswissenschaftler Hans Giessen von der Universität in Saarbrücken nimmt nationale und internationale Webseiten unter die Lupe.

INHALT
Ansage:
Mit dem Thema: "Zeig mir deine Webseite und ich sage dir, wer du bist! – Was macht das Internet mit kulturellen Unterschieden?"
Was ist wichtiger beim Onlineauftritt eines großen, weltweit agierenden Unternehmens: seine spezifische Kultur aus dem Herkunftsland oder so etwas wie eine globalisierte eingeebnete unterschieds- und eigenschaftslose Weltkultur?
Die Fragen beantwortet heute der Informationswissenschaftler Hans Giessen von der Universität Saarbrücken, und zwar in zwei Schritten: Zum einen zeigt er erst einmal, wie man kulturelle Unterschiede zwischen Nationen ziemlich messen kann, dann wie sich diese Unterschiede durch das digitalen Medium, also z. B. durch die Webseite, verändern. Giessen bezieht sich dabei vor allem auf einen Forscher aus Holland.
Hans Giessen:
Besonders eindrucksvoll und auch wirksam in der Öffentlichkeit waren die Studien von Geert Hofstede aus den Niederlanden. Geert Hofstede war Personalchef bei IBM und führte in dieser Funktion seit den späten sechziger Jahren verschiedene Umfragen durch, um arbeitsrelevante Einstellungen der IBM-Mitarbeiter herauszufinden. Die Untersuchungen waren bereits quantitativ eindrucksvoll: Es wurden 116.000 Fragebögen ausgewertet; die Probanden kamen aus mehr als 50 Herkunftsnationen. Dabei war auffällig, dass in der Tat Mitarbeiter aus dem jeweils selben Kulturraum die Fragen ähnlich beantworteten, während sich Antworten von Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zum Teil stark voneinander unterschieden. Da sie alle IBM-Mitarbeiter waren, konnten Branchen- oder Unternehmensspezifika als ebenfalls wirksame Prägungen ausgeschlossen werden. Die Herkunftsnationen stellten laut Hofstede die einzige veränderbare Variable dar, mit der solche systematischen Differenzen erklärt werden konnten.
Natürlich ist der Begriff der Nation oder auch des Kulturraums relativ grob. Möglicherweise verhalten sich ein Pfälzer und ein Elsässer in vielen Belangen sehr ähnlich, ähnlicher jedenfalls als ein Pfälzer und ein Mecklenburger. Das Verhalten ähnelt sich bei Pfälzern und Elsässern vermutlich sogar mehr als zwischen beiden und Südfranzosen auf der einen und Norddeutschen auf der anderen Seite.
Ein Kulturraum ist also kein monolithischer Block. Innerhalb Deutschlands unterscheiden sich, um nur auf die Ebene der Bundesländer zu gehen, die Niedersachsen und die Bayern sehr stark – und innerhalb des Bundeslandes Bayern gibt es erneut gravierende Unterschiede zwischen den evangelisch geprägten Franken und den katholischen Bayern.
Dennoch scheint man natürlich Deutsche im Vergleich zu Angehörigen anderer durch staatliche Strukturen definierter Kulturräume bezüglich ihrer Wertvorstellungen und ihrer Verhaltensweisen auseinander halten zu können: identisch nach innen, differenzierend nach außen. Die Differenzierungen lassen sich offenbar messen und auch im statistischen Sinn signifikant nachweisen. Geert Hofstede hat deshalb gesagt, dass die Nationenzugehörigkeit "das einzige brauchbare Kriterium für eine Klassifizierung" (1993. 27) sei. Zumindest bei einer globalen Studie ist das wohl so –
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bei einer Studie innerhalb Europas oder gar Deutschlands würde und müsste man sicher feiner differenzieren.
Viele Einflussfaktoren haben dazu geführt, dass sich Kulturräume voneinander unterscheiden. So dass man den Deutschen und den Mexikaner an seinem Verhalten und an seinen Wertvorstellungen erkennen kann. Nicht immer, nicht überall, aber doch überraschend oft und überraschend eindeutig.
Geert Hofstede hat verschiedene Bereiche herauskristallisiert, in deren Kontext seine Befragten jeweils systematisch unterschiedliche Antworten gegeben haben. Ich muss zugeben, dass ich dies das Faszinierende an seinem Ansatz finde, denn es ist, meiner Meinung nach, eine der Hauptaufgaben der Sozialwissenschaften, die Wirklichkeit besser zu verstehen, besser zu beschreiben, im Idealfall theoretisch zu klassifizieren.
Wie klassifiziert Hofstede Verhaltensweisen und Wertvorstellungen? Ich möchte das anhand zweier Beispiele deutlich machen: an dem, was er Machtdistanz nennt und an dem, was er als Unsicherheitsvermeidung bezeichnet.
Als Machtdistanz definiert Hofstede "das Ausmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist" (1993. 42).
Er hat verschiedene Indikatoren entwickelt, um zu klären, ob es in einer Gesellschaft eine hohe oder eine geringe Machtdistanz gibt.
Von einer hohen Machtdistanz spricht er, wenn die Befragten tendenziell sagten, dass es normal und selbstverständlich sei, wenn Mächtige Privilegien genießen, wenn Privilegien und Statussymbole für – in seinem Fall – eben IBM-Mitarbeiter erwartet werden und kein Problem darstellen, wenn Mitarbeitende erwarten, Anweisungen zu erhalten. Darüber hinaus, also gesamtgesellschaftlich, gilt beispielsweise die Tatsache, dass Schüler die Lehrpersonen grundsätzlich und immer mit Respekt behandeln sollen beziehungsweise müssen, als wichtiger Indikator. Lehrpersonen seien Gurus, die ihr eigenes Wissen vermitteln. Jede Initiative gehe von der Lehrperson aus. Eltern bestätigten, dass es ihr wichtigstes Ziel sei, ihre Kinder zu Gehorsam zu erziehen. Ganz allgemein: Ungleichheit unter den Menschen wird erwartet und ist erwünscht.
Umgekehrt können wir, so Hofstede, von Gesellschaften mit niedriger Machtdistanz reden, wenn sich die Mehrheit der Befragten darüber einig ist, dass alle die gleichen Rechte haben sollen, wenn Privilegien und Statussymbole auf Missbilligung stoßen, wenn Mitarbeitende erwarten, in Entscheidungen mit einbezogen zu werden. Wenn Schüler die Lehrpersonen tendenziell eher wie ihresgleichen behandeln. Wenn Lehrpersonen als Experten akzeptiert werden, die losgelöstes Wissen vermitteln und von den Schülern Eigeninitiative erwarten, wenn sie sich Wissen erarbeiten. Wenn Eltern und Kinder einander respektvoll, fast jeweils wie ihresgleichen behandeln. Ganz allgemein: Wenn man der Meinung ist, dass Ungleichheit zwischen Menschen eher gering sein sollte.
Im Rahmen seiner Studien bei IBM hat Geert Hofstede, wie bereits beschrieben, Mitarbeiter aus über 50 Ländern befragt. Die Auswertung der 116.000 Fragebögen hat zu einer Rangfolge geführt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung wies Malaysia die
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höchsten Machtdistanzindexwerte auf. Hohe Werte fanden sich auch bei anderen asiatischen Nationen, zudem auch bei den romanischen Ländern Europas, wie Frankreich und Spanien, sowie bei lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern. Niedrige Werte lassen sich für angelsächsisch geprägte Länder wie die USA, Kanada, Australien wie auch für Großbritannien selbst feststellen. Auch die skandinavischen und verschiedene west- und mitteleuropäische Nationen weisen sehr niedrige Machtdistanzindexwerte auf; den niedrigsten Wert erzielte Österreich.
Hofstedes Vorgehen hat natürlich auch Kritik hervorgerufen. Manche Kritikpunkte sind allgemeiner Art – darauf wird gleich zurückzukommen sein. Andere sind sehr konkret. Bleiben wir bei der Machtdistanz. Man kann sich beispielsweise daran reiben, dass ausgerechnet Österreich den niedrigsten Machtdistanzindexwert erzielt – ein Land, das eine Generation zuvor eine höchst autoritäre Regierung hatte und sich dann auch relativ willig dem nationalsozialistischen Deutschland angeschlossen hatte. Umgekehrt irritiert, dass eine demokratisch verfasste Gesellschaft wie Malaysia so hohe Machtdistanzindexwerte aufweist. Wie passt das zusammen? Das Beispiel zeigt, dass man sehr genau schauen und differenzieren muss. Malaysia ist ein, auf der politischen Ebene, demokratischer Staat, der das britische System nach der Unabhängigkeit übernommen hat – wenn es hier dennoch hohe Machtdistanzindexwerte gibt, zeigt das, dass politisches System und gesellschaftliche Werte nicht unbedingt miteinander korrelieren müssen. Dennoch kann auch ein demokratisch verfasstes Land hohe Machtdistanzindexwerte aufweisen – und umgekehrt kann ein Land niedrige Werte aufweisen, dessen Bevölkerung, aus welchen Gründen auch immer, ihr parlamentarisches System ablehnt.
Vielleicht ist auch der Begriff der Machtdistanz problematisch. Aber es ist eindeutig, dass Geert Hofstede etwas herausgefunden hat, was eben messbar ist und irgendwie in einem Kontext zu verorten ist, den man mit Machtdistanz oder einem ähnlichen Begriff beschreiben kann. Sonst gäbe es nicht auf solche Indikatorenfragen so vergleichbare Antworten in Abhängigkeit zur Herkunftskultur.
Eine andere Kategorie, die Geert Hofstede isolieren konnte, betrifft den "Grad, in dem Mitglieder einer Kultur sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen", so seine Definition (1993. 133) – die Unsicherheitsvermeidung. Die Formulierung wirkt vielleicht sehr existenziell. Hofstede versteht darunter die Art, wie eine Gesellschaft mit Unsicherheit und Ungewissheit oder noch allgemeiner mit der Unvorhersehbarkeit von Situationen umgeht.
Unsicherheit kann natürlich Angst oder zumindest Irritationen verursachen. In Kulturen mit starker Unsicherheitsvermeidung ist Unsicherheit, Hofstede zufolge, eine ständige Bedrohung. Umgekehrt kann die Kategorie Unsicherheitsvermeidung aber auch als Toleranz gegenüber Mehrdeutigkeiten verstanden werden. In Gesellschaften mit schwacher Unsicherheitsvermeidung werden uneindeutige Situationen als tägliche Erscheinung hingenommen.
Geert Hofstede hat zur Ermittlung des Grads der Unsicherheitsvermeidung ebenfalls Indikatoren entwickelt: Auf eine starke Unsicherheitsvermeidung deute demnach der Eindruck, Unsicherheit sei eine Bedrohung und müsse bekämpft werden. Was anders sei tendenziell gefährlich. Deshalb gebe es eine nur schwache Toleranz gegenüber abweichenden Ideen und abweichendem Verhalten, und umgekehrt ein emotionales Bedürfnis nach Regeln. Man glaube an Experten und Spezialisten.
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Weitere Indikatoren seien, so Hofstede, ein hoher Aktivitätslevel, Geschäftigkeit, viel Stress. Aggressionen und Emotionen können gezeigt werden.
Umgekehrt akzeptiere man in Gesellschaften mit schwacher Unsicherheitsvermeidung als natürlichen Teil des Lebens. Daher gehe man mit abweichenden Ideen und abweichendem Verhalten eher tolerant um. Mehr noch: Was anders ist, mache neugierig. In der Folge gebe es das Bestreben, so wenig einschränkend wirkende Regeln wie möglich zu haben. Man glaube an Generalisten und an den gesunden Menschenverstand. Aggressionen und Emotionen sollten nicht gezeigt werden. Im Gegenteil herrsche in Gesellschaften mit schwacher Unsicherheitsvermeidung Ruhe und Gelassenheit, es gebe weniger Stress.
Erneut hat Hofstede eine Rangfolge erstellt, die sich auf die Herkunftsländer der befragten IBM-Mitarbeiter bezogen hat. Den höchsten Wert in seinem ,Unsicherheitsvermeidungsindex' hatten demnach Griechenland, Portugal und Guatemala sowie andere romanische und Mittelmeerländer, den niedrigsten Wert hatten die früheren englischen Kolonien Singapur und Jamaica, dann die skandinavischen Länder, zunächst Dänemark, direkt danach Schweden sowie verschiedene angelsächsische Staaten, und dann auch wieder Österreich, Deutschland und die Niederlande.
Auch hierzu gibt es natürlich Kritik. Obwohl Hofstede es mit seinen Kategorien ermöglicht hat, kulturelles Verhalten zu klassifizieren, ist doch manches sehr vage und interpretierbar. Natürlich gibt es auch in Gesellschaften mit schwacher Unsicherheitsvermeidung Angst vor Bedrohungen. Gerade mit Deutschland, das ja eine eher schwache Unsicherheitsvermeidung hat, verbindet man im englischen Sprachraum das Wort von der "German Angst" – der Begriff stammt aus den achtziger Jahren, als es die Angst unter anderem vor dem Waldsterben gab.
Noch ein Beispiel für scheinbare oder tatsächliche Inkohärenzen: Hofstede behauptet, in Gesellschaften mit starker Unsicherheitsvermeidung gebe es viele Regeln, um eben die ständige Bedrohung einzuschränken und so weit wie möglich zu beherrschen. Man mache sich Sorgen um die Zukunft; um diese Sorgen zu kontrollieren, werden Gesetze aufgestellt, die sich an die Mitmenschen wenden und die viele Lebensbereiche regeln. Aber: Wie passt das zum Verhalten der Südländer, die munter auch bei rot über die Straße gehen? Offensichtlich gibt es nicht überall und immer die gleiche Form der Unsicherheitsvermeidung, zumindest nicht in allen Lebensbereichen. Ist die Kategorie also doch nicht so universell, so grundlegend das Verhalten prägend, wie gedacht?
Dass nicht alle, auch nicht alle dominanten Werte überall gleich wirken, darauf komme ich später zurück, wenn ich eigene Forschungsergebnisse vorstelle. Aber unabhängig davon: Hofstede hat ganz offensichtlich etwas messen können, was es auch ist und ob es tatsächlich das ist, was er definiert und beschreibt. Aber was es auch sei: Es wird deutlich, dass die verschiedenen Kategorien miteinander zusammenhängen können. Wenn ein hohes Vertrauen in Experten und Spezialisten und gleichzeitig ein höheres Bedürfnis nach Regeln vorherrscht, ist auch naheliegend, den Anweisungen der Experten, die ja in der Regel auch Lehrer oder Vorgesetzte sind, zu gehorchen. Zwar beschreiben die Kategorien Machtdistanz und Unsicherheitsvermeidung unterschiedliche Sachverhalte, aber offenbar gibt es auch einen inneren Zusammenhang zwischen den Kategorien. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass sie Phänomene beschreiben, die vielleicht nicht offensichtlich, in der Tat
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aber existent und wirksam sind. Für den inneren Zusammenhang spricht im übrigen auch die Tendenz, die sich bei der Auswertung der Hofstede'schen Daten wiederfindet: Demnach weisen viele der Nationen, in denen eine große Machtdistanz vorgefunden wird, auch eine eher starke Unsicherheitsvermeidung auf. Allerdings ist dies nicht immer der Fall – ansonsten wäre es auch nicht nachvollziehbar, dass es sich um unterschiedliche Kategorien handelt. So weist Singapur den niedrigsten Wert bezüglich der Unsicherheitsvermeidung auf, obwohl es bezüglich der Kategorie Machtdistanz eine tendenziell konträre Position eingenommen hatte. Die Unterschiede können mit der konfuzianistischen Tradition erklärt werden, die – um ein Beispiel mit jeweils in beiden Kategorien hohen Werten zu nennen – im romanischen Kulturraum natürlich nicht wirksam war.
In jedem Fall ist überraschend, wie sehr auch Menschen, die sich als Individualisten verstehen, gemäß dieses Rasters einem Kulturkreis zugeordnet werden können.
Weitere vergleichbare Forschungsprojekte sind beispielsweise der Survey of Values von Shalom H. Schwartz (2008) oder der World Values Survey von Pippa Norris und Ronald Ingehardt (2009). Interessanterweise haben sie alle die Ergebnisse Hofstedes in vielen Bereichen bestätigt, obgleich sie mehr als eine Generation später und auf methodisch durchaus unterschiedliche Art durchgeführt wurden.
Und es gibt auch noch weitere Kriterien, die teilweise bereits von Hofstede, teilweise sogar schon zuvor und auch erneut in den Folgestudien herausgearbeitet worden sind, beispielsweise der Individualismusindex, der Maskulinitäts- beziehungsweise Femininitätsindex einer Gesellschaft oder die Frage, ob sich die Menschen auf kurzfristige Ziele orientieren oder eher langzeitorientiert sind. Ruth Benedict hat schon in den dreißiger Jahren die Art und Weise des Umgangs mit Konflikten einschließlich der Kontrolle von Aggressionen untersucht und ist ebenfalls zu einer Systematisierung gelangt. Edward Hall hat die jeweiligen Einstellungen zum individuell beziehungsweise subjektiv benötigten Raum untersucht oder auch die jeweiligen Zeitkonzeptionen (monochron – polychron).
Wie gesagt, gibt es aber auch grundsätzliche Kritik an diesen Studien. Ein aus meiner Sicht häufig übersehenes Problem ist, dass die als relevant eingeschätzten und daher erforschten Fragen vor dem Hintergrund des jeweils eigenen Kulturkreises und der dort als besonders wichtig empfundenen Werte entstanden sind. Handelt es sich bei der Machtdistanz, der Unsicherheitsvermeidung oder beim Maskulinitäts- bzw. Femininitätsgrad tatsächlich und notwendigerweise um die einzigen oder auch nur die wichtigsten Kategorien, die untersuchenswert sind? Dies mögen in der Tat (und eventuell miteinander zusammenhängend) besonders relevante Fragen vor dem Hintergrund des niederländischen beziehungsweise des angelsächsischen Kulturkreises oder auch der Firmenkultur eines unter ökonomischen Zwängen agierenden Großunternehmens sein. Dennoch ist auch denkbar, dass Vertreter anderer Kulturen andere Fragen als mindestens ebenso relevant erachten könnten. Der palästinensische Professor Edward Said von der New Yorker Columbia University hat darauf, wenngleich in etwas anderem Zusammenhang, immer wieder hingewiesen.
Wie auch immer, dass es Kulturkategorien gibt, die man valide und reliabel messen kann, ist eindeutig. Bezüglich vieler Kriterien verhalten sich Menschen aus demselben Kulturkreis immer wieder jeweils ähnlich. Die Werte und
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Verhaltensweisen sind jeweils charakteristisch und können erkannt und herausgearbeitet werden.
Es gibt allerdings einen weiteren wichtigen Aspekt, der zwar vermutlich von keinem Kulturforscher bezweifelt würde, der aber vor dem Hintergrund der so überzeugend statistisch herausarbeitbaren Kulturkategorien explizit betont werden muss: Weder Nationen noch Wertvorstellungen sind etwas Festes für alle Ewigkeit. Sie wandeln sich ständig. Beispielsweise habe die Werte und Verhaltensweisen der Deutschen heute nur noch wenig gemein mit denjenigen der Deutschen vor 100 Jahren.
Aus meiner Sicht ist daher durchaus verblüffend, dass die von Robert House, von Shalom Schwartz und von Pippa Norris und Ronald Ingehardt initiierten Studien die Ergebnisse von Geert Hofstede in so vielen Bereichen bestätigt haben, obgleich sie, wie gesagt, eine Generation später durchgeführt wurden. Gerade bezüglich kulturraumabhängiger Werte und Verhaltensweisen ist eigentlich kaum zu erwarten, dass sie stets gleich bleiben. Im Gegenteil ist ein alter Topos der Geistesgeschichte, dass es kontinuierlich stattfindende kulturelle Wandlungsprozesse gibt.
Es wird auch immer wieder betont, dass dieser Wandel von äußerst vielen Faktoren bestimmt wird. Bereits 1748 hat Charles de Montesquieu ein Spektrum aufgelistet, das von klimatischen Faktoren über Kriege und politische Veränderungen bis hin zu neuen technischen Errungenschaften reicht. Übertragen auf die Gegenwart impliziert dies, dass beispielsweise die Medien und nicht zuletzt das Internet und seine Dienste Faktoren in einem solchen Wandlungsprozess sein können, unterschiedlich wichtig und wirkungsmächtig, aber in jedem Fall verändern sie die Welt, und damit müssten sich auch Einstellungen, Verhaltensweisen und Werte ändern.
Kann man auch diesen Wandel untersuchen und beschreiben?
Der Amerikaner Aaron Marcus hat bereits vor etwas mehr als eineinhalb Jahrzehnten Internet-Auftritte von Universitäten miteinander verglichen. In der Tat waren Webseiten von Universitäten aus Ländern, die sich bezüglich der Kulturkategorien stark unterscheiden, sehr unterschiedlich gestaltet. Es hat auch eine Verbindung zwischen der Art der Gestaltung und den Kategorien von Hofstede gegeben. So hatten Seiten aus Kulturen, in denen eine starke Machtdistanz beobachtet worden ist, stark strukturierte Informationen. Sie verwiesen auf Autoritäten und Führungspersönlichkeiten. Beispielsweise waren Webseiten malayischer Hochschulen buchstäblich Auftritte, mit denen sich die jeweiligen Universitätspräsidenten dargestellt hatten.
Wenn man die Seite einer Uni anklickt, begrüßt einen der Universitätspräsident mit einem längeren Text, in der Regel mit Foto und Autogramm. Es gibt noch ein paar Informationen, etwa wann die Universität gegründet wurde – das war es dann schon.
Dagegen dienten Webseiten etwa aus den Niederlanden, die sich durch eine niedrige Machtdistanz beziehungsweise auch Unsicherheitsvermeidung auszeichnet, weniger der Darstellung von Autoritäten und Strukturen, sondern orientieren sich an den Bedürfnissen der Studierenden und ordnen Informationen in flachen Hierarchien und leicht zugänglich an.
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Dort gibt es dann Informationen zu einzelnen Lehrveranstaltungen, zum Thema, um das es dort geht, mitunter wird gar der Verlauf dargestellt inklusive der exakten Themen an den einzelnen Tagen.
Allerdings: Wenn man sich heute die Webseiten malayischer Universitäten betrachtet, unterscheiden die sich kaum noch von niederländischen Webseiten; auch hier dominieren inzwischen die Service-Funktionen. Offensichtlich hat sich die Art geändert, wie Webseiten gestaltet werden. Mehr noch: Es geht in ein und dieselbe Richtung.
Können also die weltweit wirksamen Medien kulturelle Verhaltensweisen beeinflussen – zumindest im Kontext mit ihnen? Gib es charakteristische Arten, wie und weshalb Webseiten genutzt werden, so dass sich die eigentlichen Qualitäten des Mediums im Lauf der Zeit durchsetzen? In der Tat kann der Befund von Marcus auch so erklärt werden, dass zwar der Ausgangspunkt bei der Webseitengestaltung in Malaysia ein anderer war als in den Niederlanden, wo man vielleicht gleich von Beginn an die Struktur weniger hierarchisch angelegt hatte. Man beginnt also jeweils vor dem Hintergrund der eigenen Kultur – womit auch sonst? Aber Marcus’ Befund wäre dann eine Momentaufnahme in einem historischen Prozess, in dem sich das Medium die ihm angemessenen Inhalte erzwingt. Dominieren also die Nutzerbedürfnisse über kulturelle Kategorien?
In einer eigenen Studie habe ich versucht, das anhand der beiden Nachbarländer Frankreich und Deutschland zu untersuchen – zwei Ländern, die sich bezüglich der Kategorien Machtdistanz und Unsicherheitsvermeidung ebenfalls stark unterscheiden: das eine dem romanischen Kulturkreis angehörend, das andere dem germanischen. Zudem wurden nicht Universitätswebseiten, sondern Webseiten multinationaler Unternehmen untersucht. Da Deutschland und Frankreich füreinander die jeweils wichtigsten Handelspartner sind, existiert ein Pool bi- und multinationaler Unternehmen, die jeweils die gleichen Produkte in beiden Ländern vertreiben wollen. Das Internet ist für sie eine günstige Möglichkeit, mit überschaubaren Kosten und ohne große Streuverluste viele Kunden anzusprechen. Die Unternehmen sollten daher eine ausgesprochene Kundenorientierung haben (also im sogenannten Business-to-Customer-Bereich agieren). Die Palette der Websites der untersuchten Unternehmen reicht von der Automobilindustrie bis zu Herstellern von Produkten zur Körperhygiene. Sie wurden aus der Liste der 500 größten Konzerne ausgesucht, die jährlich vom Fortune Magazine veröffentlicht werden. Voraussetzung zur Teilnahme an der Untersuchung: ein und dasselbe Großunternehmen musste jeweils einen eigenen Internetauftritt in jedem der beiden Länder haben.
Dabei wurde nun ebenfalls untersucht, wie die Informationen strukturiert sind. Ob es beispielsweise ausgeprägte Hierarchien gibt – oder ob die Hierarchien eher flach sind. Fokussiert sich die Webseite auf das Unternehmen und gegebenenfalls gar auf Unternehmerpersönlichkeiten – oder steht der Nutzer mit seinen Bedürfnissen im Vordergrund? Existiert ein einfaches, klares Design mit klaren Navigationsstrukturen – oder ist der Web-Auftritt komplex und enthält viele Inhalte und Optionen? Da untersucht werden sollte, ob sich dies möglicherweise in einem historischen Prozess geändert hat, mussten zudem alte Webseiten mit neuen verglichen werden.
Citroën hatte früher beispielweise eine visuell eindrucksvolle Seite, das Auto stand direkt am Meer. Man sollte staunen – aber es gab keine Möglichkeit zu erfahren, wo der nächste Händler war oder ob es eine Warteliste gab.
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In der Tat waren noch in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts rund zwei Drittel der französischen Webseiten Produkt- und Unternehmenspräsentationen – aber nur weniger als ein Fünftel der deutschen Seiten. Noch deutlicher war damals die Bedeutung, die konkrete Produktinformationen für deutschsprachige Seiten hatten. Hier gab es keine deutsche Seite, in der Informationen und Service keine wichtige Rolle spielten. Bei immerhin einem Viertel der französischen Sites spielte dies damals eine untergeordnete Rolle, so dass zumindest von der Hauptseite aus Produktinformationen nicht oder nicht eindeutig auffindbar waren. – Inzwischen gibt es aber fast kaum noch simple Unternehmenspräsentationen. Die Websites der multinationalen Unternehmen wie Mercedes, Citroën oder Sony haben sich aneinander angeglichen. Der Vorher-Nachher-Vergleich hat gezeigt, dass sich die Situation innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten grundlegend geändert hat. Offenbar dominiert das Medium, seine Zwäng, seine Nutzungswege über Kulturdimensionen. Sie verschwinden überraschend schnell, wenn sie in einem bestimmten Umfeld hinderlich sind.
Heute sehen die deutsche und die französische Citroën-Seite fast gleich aus, natürlich mit Ausnahme der Sprache. Oben gibt es eine Linkleiste, die zu den einzelnen Modellen führt, aber auch Kontakt und Hilfe ermöglicht. Sogar eine Händlersuche gibt es, an identischer Stelle auf der französischen wie der deutschen Seite. Auch L'Oréal hat identische Seiten, in beiden Ländern mit Händlerliste, und es ist leicht, zu den Produkten zu durchzuklicken und dort beispielsweise auch zu sehen, welche Inhaltsstoffe enthalten sind. Wenn wir zu deutschen Firmen blicken, haben wir dasselbe Bild, sei es bei Nivea von Beiersdorf, sei es bei Volkswagen, sei es bei der Allianz-Versicherung. Alle Firmen haben offenbar Marktforschung getrieben, das Nutzerverhalten analysiert, aus den Kundenreaktionen gelernt und das jeweils Beste übernommen; es ist jeweils ohne autoritäres Gehabe, ohne ,Machtdistanz', wenn man so will, dafür klar strukturiert, und führt zu vielen Informationen. Und offensichtlich besteht auch nicht mehr die Furcht, dass die vielen Informationen verwirren und zu Unsicherheit führen.
Das bedeutet nicht, dass sich alle Werte und Verhaltensweisen sofort und gänzlich ändern – zunächst gibt es diesen Wandel ja nur in einem eng bestimmten Kontext. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass auch dominante Werte nicht immer gleichartig und gleich intensiv wirken; so wird noch einmal sehr deutlich, dass auch kulturelle Werte nicht monolithisch sind, genauso wenig wie Nationen und Kulturkreise. Alleine diese Beobachtung ist nicht unbedeutsam!
Ja, man kann kulturelle Werte und Verhaltensweisen messen und darstellen, und man kann sie dabei beobachten, wie sie sich zumindest punktuell ändern. Es können sich Bereiche herauskristallisieren, in denen kulturell geprägte Werte und Verhaltensweisen sogar ganz verschwinden – ohne dass die Werte selbst grundsätzlich in Frage gestellt werden müssten.
Auffällig ist auch, wie schnell und unsentimental dies geschehen kann. So stabil kulturelle Werte und Verhaltensweisen oft wirken mögen: Auf keiner der überprüften Webseiten wurde thematisiert, dass und warum das Vorgehen so abrupt geändert wurde; man hat es einfach getan, weil es sinnvoll war. Kulturell geprägtes Handeln kann, wenn notwendig, also fast beiläufig und selbstverständlich aufgegeben werden.
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Wenn dies hier möglich ist, ist es auch woanders möglich. Problematisch wird es offenbar erst, wenn der Kontext nicht so eindeutig ist wie hier, wo das Medium quasi automatisch zum Wandel geführt hat.
Wäre das doch immer der Fall.
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Hans Giessen studierte an der FU Berlin, der Université de Metz und der Universität des Saarlandes, Saarbrücken. Er arbeitete im Medienbereich, Saarbrücken und Luxembourg. Wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität des Saarlandes und an verschiedenen französischen Hochschulen.