Düzen Tekkal : Deutschland ist bedroht . Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen

Diskurs Aktuell
D. Tekkal: Deutschland ist bedroht
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Online-Publikation: März 2016 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
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224 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-8270-1328-6; € 16,99 [D], € 17,50 [A], sFr 22,90
Berlin Verlag; http://www.bloomsbury-verlag.de; http://www.berlinverlag.de

Charakteristika
- »Wir dürfen nicht länger zusehen, wie unsere Grundwerte mit Füßen getreten werden.«
   Düzen Tekkal

Inhalt
»Krieg macht ehrlich«, ist das Motto von Düzen Tekkal. Als deutsche Jesidin hat sie 2014 den Genozid an ihrem Volk im Nordirak mitangesehen. Gerade deswegen sorgt sie sich angesichts des wachsenden Zuspruchs, den extremistische Strömungen in Deutschland erfahren, um unsere Demokratie: »Extremisten bedrohen das Fundament jeglichen Zusammenlebens. Wer davor die Augen verschließt oder auch nur gleichgültig zusieht, macht sich mitschuldig am Verlust unserer politischen Freiheit.« Tekkals Analyse zielt daher nicht nur auf die islamistischen Hardliner, sondern auch auf die wachsende Gewalt von rechts: Jeder der beiden »bösen Zwillinge« verhöhnt die Errungenschaften des Grundgesetzes und stellt Werte wie Meinungs- und Religionsfreiheit in Frage. Die Politik reagiert auf diese Entwicklung hilflos oder überfordert. Düzen Tekkal aber will nicht länger schweigen: Sie möchte offen über die Probleme sprechen, die die Integration mit sich bringt. Sie redet Klartext, wenn es darum geht, rechten Gesinnungstätern das Handwerk zu legen. Vor allem aber will sie die Werte verteidigen, für die sie als Deutsche und als Autorin einsteht.

Autorin
Düzen Tekkal, ist Kurdin, Jesidin und Deutsche. Die renommierte Fernsehjournalistin und Filmemacherin wurde 1978 als eines von elf Kindern einer jesidischen Einwandererfamilie in Hannover geboren. Schon als Dreijährige nahm sie ihr Vater in den niedersächsischen Landtag mit. Die Frage, wie Integration gelingen kann, beschäftigt sie seit vielen Jahren. Für ihre Reportage »Angst vor den neuen Nachbarn«, in der sie jugendliche Straftäter mit Migrationshintergrund porträtiert, erhielt sie 2010 den Bayerischen Fernsehpreis. 2014 erlebte sie mit, wie der »Islamische Staat« (IS) im Nordirak ihr eigenes Volk verfolgte und ermordete. Was sie dort an unfassbarem Leid mitansehen musste, hat sie in dem Dokumentarfilm »Háwar – Meine Reise in den Genozid« verarbeitet.


Fazit, vorangestellt
Die Jesidin* und Mediengestalterin (TV, Film) Düzen Tekkal fragt in ihrem hochaktuellen Diskursbuch "Deutschland ist bedroht": 'Warum wir unsere Werte jetzt verteidigen müssen'. Sie beantwortet mit einer klaren, narrativen Sprache, mit der sie ihre Reise nach Deutschland erzählt - nachdem sie Kriegsberichterstatterin im Irak war und  ihre Begegnung mit der  Macht als Mass zur eigenen Ehrlichkeit erkannte.
Dann stiess in Deutschland auf die Frage im RTL: 'Was macht ein/e Kanake/in in diesem Medium : Schaf und zugleich Löwe sein, wobei ein Löwe sich selbst treu bleiben kann ein Schaf wird dabei 'schwarz'.Auf der eigenen Seite steht, ruft sie den Muslimen zu: Hinterfragt Eure Werte!
Sie fordert schliessend den Weg vom 'Ich zum Wir', weg von 'German Angst', hin zum 'German Dream': Und schliesst mit der Hoffnung, dass dieser Kampf im Kopf jedes Einzelnen entschieden werden wird - ein wichtiger aktueller Diskursbeitrag eines mittendrin Seienden ehrlichen Menschen. m+w.p16-3

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Die Jesiden
(kurdisch ئێزیدی Êzîdî, auch Yeziden oder Eziden genannt) sind eine zumeist Nordkurdisch sprechende religiöse Minderheit ..
https://de.wikipedia.org/wiki/Jesiden
Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion mit Elementen aus westiranischen, altmesopotamischen Religionen sowie aus Judentum, Christentum und Islam.
Anders als Juden, Christen und Muslime besitzen die Jesiden kein heiliges Buch, schreibt Tolan in seiner Darstellung "Das Yezidentum - Religion und Leben". Die Jesiden geben ihren Glauben an die nachfolgenden Generationen in mündlicher Überlieferung weiter---
http://www.evangelisch.de/inhalte/113536/12-08-2014/Wer%20sind%20die%20Jesiden%3F%20

Jesidinnen
IS-Terror gegen Jesidinnen"Frauen werden bis zu 40 Mal am Tag vergewaltigt"Rund 5.000 Jesidinnen seien vom IS in den letzten 18 Monaten versklavt worden, sagte Holger Geisler vom Zentralrat der Jesiden in Deutschland, im DLF. Die religiöse Minderheit versuche, ihre Frauen freizukaufen. Der höchste Preis, der bisher an den IS bezahlt wurde, seien 150.000 Dollar für eine versklavte Jesidin gewesen.
http://www.deutschlandfunk.de/is-terror-gegen-jesidinnen-frauen-werden-bis-zu-40-mal-am.694.de.html?dram:article_id=337399

Weitere, vertiefende  Inhalte:
- Vorwort
- Leseprobe : Die Reise ...

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Vorwort
Weil ich Jesidin bin und die demokratischen Werte verteidige, erhalte ich Todesdrohungen. Eine große Kinokette will meinen Film über die Verbrechen des »Islamischen Staates« (IS) nicht zeigen – aus Angst vor Anschlägen. Ein Bürger, der die Produktion meines Films unterstützt hat, möchte im Abspann nicht namentlich genannt werden – aus Angst vor Repressalien. Die Angst zieht sich heute wie ein roter Faden durch mein Leben. Dabei bin ich eigentlich kein ängstlicher Mensch. Aber ich spüre die Angst überall. Ich spüre, wer sie verbreitet, wer Angst hat, wer etwas zu verlieren hat. Angst schafft Unruhe und verbreitet Unsicherheit. Angst lähmt uns, und sie nimmt uns die Freiheit. Was ich um mich herum erlebe, bringt mich zu dem Schluss: Das Fundament unseres Zusammenlebens ist bedroht. Deutschland ist bedroht. Das klingt hart, und viele denken insgeheim: »Mich und meine Familie wird es schon nicht treffen. Das geht mich nichts an.«
Die Bedrohung betrifft nicht nur diejenigen, die sich laut äußern. Die Bedrohung fängt im Persönlichen an, doch sie erstreckt sich auf unsere demokratische Gesellschaft als Ganzes. Sie beginnt, wenn ich lese, was hasserfüllte muslimische Hardliner in den sozialen Netzwerken über mich schreiben. Wenn Journalisten auf mich zukommen und sagen: »Sie werden massiv bedroht.« Wenn ein Salafistenprediger wie Pierre Vogel öffentlich behauptet, ich mache den Islam als Religion schlecht, dann tut er das, weil er darauf spekuliert, dass manche Leute mich zu hassen beginnen. Was er sagt, ist eine Lüge, die gefährlich für mich ist. Aber es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte. An einem Ort wie Dinslaken, wo gewaltbereite Salafisten ihr Unwesen treiben, werden kritische Journalisten wie ich schon lange mit bösen Blicken und giftigen Bemerkungen verfolgt. Was habe ich verbrochen?
Anfangs galt das, was ich tue, als mutig. Inzwischen heißt es, ich begebe mich in Gefahr. Ich gehe ein persönliches Risiko ein, wenn ich die Wahrheit sage. Die Frage ist: Wenn ich der Angst gehorche und mich still verhalte – geht es mir dann besser? Die Antwort lautet: Nein. Viele in diesem Land trauen sich nicht mehr, ihre Meinung zu äußern. Andere müssen unter Einsatz ihres Lebens zu ihr stehen. Aber wenn wir als Bürger dieses Landes meinen, wir würden sicherer leben, wenn wir uns aus den Konflikten heraushalten, dann unterliegen wir einem fatalen Irrtum. Wir müssen vielmehr wieder sprechen lernen.
Seit ich gesehen habe, was Ungerechtigkeit und die Verweigerung von Religionsfreiheit mit Menschen machen, verteidige ich dieses Land. Der Völkermord, den der IS an den Jesiden im Nordirak verübt hat und den ich mit eigenen Augen gesehen habe, hat mich mutig gemacht. Wir sollten dankbar sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem die Menschenrechte nicht mit Füßen getreten werden, in einem Staat, in dem wir alle Möglichkeiten haben, zu partizipieren und zu gestalten. In anderen Ländern wird man umgebracht, wenn man sich für diese Rechte einsetzt.
Wenn Deutschland bedroht ist, stehe ich auf. Das tue ich auch mit diesem Buch: Es ist ein Aufruf, sich zu wehren. Wir müssen uns als neue und als alte Deutsche gemeinsam neu definieren. Wir müssen Entschlossenheit zeigen gegenüber den bösen Zwillingen, den rechtsextremen wie den islamistischen Feinden der Demokratie. Wir müssen aufhören, unpolitisch zu sein. Wir müssen uns unsere Rechte nehmen und sagen: Es geht mich etwas an, was da draußen passiert. Ich mache das zu meiner Sache.
Junge Menschen, die in diesem Land geboren sind, erliegen der Propaganda gewaltbereiter Salafisten und des IS. Wenn junge Männer nach Syrien reisen, um im Dschihad zu sterben, wenn die Mädchen ihnen folgen, um einen islamistischen Kämpfer zu heiraten, dann ist das ein Problem, das uns alle betrifft. Mit diesen fanatisierten Jugendlichen exportieren wir den Terror in die Länder des Mittleren Ostens, deren Schicksal uns zu lange gleichgültig war. Diese jungen Menschen sind Opfer einer Ideologie, die Religion in den Dienst der Politik stellt und sich dabei auf konservative Auslegungen des Islam stützen kann.
Umgekehrt importieren wir den Terror nach Deutschland, indem wir islamistischen Fundamentalisten Einlass in unser Land gewähren. Es ist nicht die große Zahl der hierher geflüchteten, bedrohten und verfolgten Menschen, die mir Sorgen bereitet. Die meisten von ihnen sind dankbar, dass sie in Deutschland Schutz gefunden haben. Mir geht es um die Hardliner, die – unregistriert und mit falscher Identität ausgestattet – in unser Land kommen. Sie nutzen die Wege der Flüchtlinge, um in Deutschland unterzutauchen.
Zugleich radikalisiert sich eine Allianz aus NPD und Pegida. Beinahe jeden Tag müssen wir erleben, dass Flüchtlingsheime angezündet und Anschläge auf Asylsuchende verübt werden. Menschen, die vor dem Terror des IS und den Fassbomben Assads zu uns geflohen sind, werden in Deutschland erneut angegriffen und bedroht. Auch diejenigen, die sich für Flüchtlinge engagieren, sind vor verbalen und physischen Attacken nicht mehr sicher.
All das führt uns vor Augen, dass wir ein Integrationsproblem haben, das nicht nur Migranten betrifft: Es gibt zu viele Menschen in diesem Land, die unsere demokratischen Werte nicht teilen. Und was tun wir? Nur zu gern überlassen wir die Politik den Profis und den Extremisten. Wir meckern, wenn es nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen. Für mich grenzt ein solches Verhalten an unterlassene Hilfeleistung. Selbstverantwortung und politisches Bewusstsein sind für mich Bürgerpflicht. Ich weiß, dass ich selbst die Verantwortung für mein Leben trage, und nehme mir das Recht auf eine politische Meinung und auf politische Teilhabe. Das nenne ich demokratische Machtausübung. Wer sich dieses Recht nimmt, kann die Entwicklung beeinflussen, kann Prozesse in seinem Sinn gestalten.
Wir alle müssen uns heute fragen, in welcher Welt wir leben und in welche Welt wir unsere Kinder entlassen wollen. Wir müssen endlich aus unserem Traum erwachen und von der rosaroten Wolke herunterkommen, auf der wir es uns schon zu lange bequem gemacht haben. Wir müssen die Augen aufmachen und erkennen, was um uns herum los ist. Was wir dann sehen werden, ist nicht schön. Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei: Der Friede in Deutschland ist bedroht.
Wir als Bürger können entscheiden, wie wir mit dieser Bedrohung umgehen. Wenn Migranten, ihre Kinder und Enkel auch dazugehören sollen und dürfen, dann ist Deutschland bedroht, und zwar in dem Moment, in dem die neuen Deutschen bedroht sind, weil sie die hiesigen Werte verteidigen. Wer das verstanden hat, erkennt, dass auch die Gewalt nichts mit Herkunft zu tun hat, sondern mit Werten im Kopf.

Düzen Tekkal
Berlin, im Januar 2016  

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Die Reise, die mein Leben verändert hat
Gegen Ende unseres Flugs nach Erbil im Norden Iraks wurde es dunkel an Bord. Alle Lichter waren ausgeschaltet. Ich fragte einen Flugbegleiter nach dem Grund. Er antwortete: »Wir schalten die Lichter aus, damit wir nicht beschossen werden.« Das war der Moment, in dem ich mich fragte, was ich in einem Flugzeug mache, das demnächst beschossen werden könnte. Es war erst vier Tage her, dass mich die Hilferufe aus dem Irak erreicht hatten.
Ich war mit einem Filmteam in Oldenburg unterwegs gewesen, um für einen deutschen Fernsehsender über die Zustände in einem Altenheim zu recherchieren. Als mein Telefon an diesem Tag zum ersten Mal klingelte, wollte ich das Gespräch erst nicht annehmen. Dann aber sah ich die Nummer, die Vorwahl war exotisch, und das machte mich neugierig. Ein Mann, mit dem ich noch nie gesprochen und dessen Namen ich nie zuvor gehört hatte, sagte: »Hilf uns, wir werden alle getötet!« Er sprach eindringlich und versuchte mir deutlich zu machen, wie ernst es ihm mit seiner Bitte war. Aber ich hatte längst verstanden, und diese Erkenntnis war schrecklich. Wenn Menschen in Todesangst sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als eine unbekannte Fernsehjournalistin in einem fernen Land anzurufen, dann heißt das, dass sie vollkommen allein und schutzlos sind.
Mein Telefon hörte an diesem Tag nicht mehr auf zu klingeln. Manche Anrufer flehten, manche weinten und waren vollkommen aufgelöst, manche waren sehr ruhig und klar. Aber ihre Botschaft war immer dieselbe: »Hilf uns, wir werden alle getötet!« Milizen des »Islamischen Staates« (IS) waren in die jesidischen Siedlungsgebiete eingefallen und hatten Männer, Frauen und Kinder ermordet. Wer überlebte, war geflohen. Zehntausende waren eingekesselt in einer karstigen Berglandschaft, in der kein Baum wächst. Tagsüber wird es im Sommer bis zu 50 Grad heiß, nachts ist es kalt. Viele Menschen starben schon auf dem Weg ins Gebirge. Die Menschen, die mich anriefen, fürchteten um ihr Leben, und sie hatten Angst vor dem Ende des Jesidentums im Irak. Ich bin als Tochter jesidischer Eltern in Hannover geboren worden. Wir Jesiden sind eine kleine Gemeinschaft, und es hatte sich auf den kargen Hängen des Sindschar-Gebirges herumgesprochen, dass es in Deutschland eine jesidische Journalistin gibt.
Seit diesem Tag, es war der 5. August 2014, ist für mich und viele andere nichts wie zuvor. So ist das manchmal im Leben: Plötzlich ergibt sich eine Situation, in der man sich fragen muss, ob man hinsieht oder wegschaut. Ob man sich zum Handeln entschließt oder passiv bleibt. Ob man das Richtige tut oder das Falsche. Ich habe mich noch an diesem Tag entschieden, dem Hilferuf der Jesiden zu folgen. Deswegen heißt der Film, den ich wenig später im Norden des Irak zu drehen begann, »Háwar«, auf Kurdisch ›Hilfe‹. Die dramatische Situation der Jesiden im Sindschar machte mir einmal mehr bewusst, dass der Weltgemeinschaft ein jesidisches Leben nichts wert war. Was wäre wohl passiert, wenn 5000 amerikanische oder deutsche Frauen in die Hände des IS geraten wären? Es waren aber »nur« Jesidinnen. Ich wollte, dass dieses »nur« aus den Köpfen verschwindet.
In dieser Nacht habe ich sehr schlecht geschlafen. Ich dachte daran, wie gefährlich es sein würde, in das Kriegsgebiet zu reisen. Ich hatte Angst. Aber dann sagte ich mir, dass ich schon oft in meinem Leben Angst gehabt hatte. Nie hat mich das davon abgehalten, mich den Herausforderungen zu stellen. Dies war die größte Herausforderung meines bisherigen Lebens. Ich wusste: Es ist so weit. Ich habe keine andere Wahl.
Ich hatte meinen Entschluss gefasst. An meinen Vater hatte ich dabei nicht gedacht. Als ich ihm tags darauf aber von meinem Vorhaben erzählte, bemerkte ich an seiner Reaktion recht schnell, dass es für ihn nicht infrage kam, seine Tochter allein in den Irak reisen zu lassen. Mein Argument, dass ich Journalistin sei und er Rentner, ließ er nicht gelten: »Im Irak herrschen andere Regeln. Du bist eine Frau, und du bist meine Tochter. Ich bin dein Vater, und ich werde dich begleiten.« So beschlossen wir, diese Mission gemeinsam zu unternehmen. Dass der Rest der Familie dagegen war und uns von dieser Reise abzuhalten versuchte, konnte an unserer Entscheidung nichts ändern. Wir beide waren uns einig: jetzt oder nie.
Schon lange hatten mein Vater und ich über eine solche Reise zu unseren jesidischen Wurzeln gesprochen. Mir erschien sie beinahe als vorbestimmt. Von Kindesbeinen an bin ich darauf vorbereitet worden. Als ich noch für die Mediengruppe RTL arbeitete, drängte mein Vater immer wieder: »Du bist Journalistin. Du bist zwar fest angestellt bei einem Sender, aber deine Aufgabe ist eine andere. Du musst nach deinen Wurzeln fragen.« Geduldig erklärte ich ihm jedes Mal aufs Neue, dass Journalisten das öffentliche Interesse im Blick haben und problemorientiert arbeiten. Und wenn ich das Thema Jesiden in der Redaktionskonferenz vorschlug, bekam ich stets dieselbe Antwort: »Mit Verlaub, aber wer ihr seid und wo ihr herkommt – das interessiert den Leser doch nicht.«
Als der IS in Sindschar einfiel, gelangten die Jesiden nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu trauriger Berühmtheit. Unser Leben und unsere Religion wurden nun plötzlich erzählbar. Die Geschichte, die mein Vater und ich schon lange in die Öffentlichkeit tragen wollten, war jetzt gefragt. Das Telefon stand nicht mehr still, jeder wollte etwas über uns und unsere Glaubensgemeinschaft wissen. Die Reise, die unser Leben für immer verändern sollte, begann.  

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