David Graeber: Bürokratie. Die Utopie der Regeln
Diskurs Aktuell
Horizontalistischer Anarchismus
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Online-Publikation: Mai 2016 im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
<< David Graeber: Bürokratie. Die Utopie der Regeln >>
Klett-Cotta Aus dem Amerikanischen von Hans Freundl und Henning Dedekind (The Utopia of Rules)
329 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-608-94752-6; 22,95 EUR
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2016; https://www.klett-cotta.de
Charakteristika
- Anarchisches zu globalem Bürokratie-Kapitalismus
- horizontalistisch-globale Organisationsform & Regeln
Karl Rahner hat es den radikalen Horizontalisten in den Mund zu legen versucht,
'gesellschaftspolitisches & -kritisches Engagement & Weltverantwortung' zu übernehmen..
https://de.wikipedia.org/wiki/Horizontalismus
Inhalt
David Graeber, der bedeutendste Anthropologe unserer Zeit, entfaltet eine fulminante und längst überfällige Fundamentalkritik der globalen Bürokratie! Er erforscht die Ursprünge unserer Sehnsucht nach Regularien und entlarvt ihre Bedeutung als Mittel zur Ausübung von Gewalt.
Zugegeben, dass Menschen alle Regeln kennen und sich an sie halten, können wir getrost als unwahrscheinlich bezeichnen. Sehr viel spannender und überraschender als die versuchte Rehabilitierung der eigenen Position ist allerdings Graebers gut belegte Beobachtung, die Bürokratie diene vor allem den Interessen neoliberaler Eliten. Für Europa und die USA kann er zeigen, wie ausgerechnet die Ideologie der marktkonformen, staatsfernen und deregulierten Gesellschaft zu einem Mehr an Regulierung, also Regeln, Verfahren, Formularen, Vorschriften, Zertifikaten und entsprechend damit befassten Beamten und Angestellten geführt hat.
Der Begriff der Deregulierung hat es Graeber angetan, scheint er doch das genaue Gegenteil von Bürokratisierung zu bedeuten. Dabei verbirgt sich hinter ihm ein politisches Täuschungsmanöver, denn es ging dem Neoliberalismus nie um ein Mehr oder Weniger von Regeln, sondern immer nur um andere Regeln, etwa solche, die Banken erlaubten, sich zu großen, „systemrelevanten“ Finanzkonzernen zusammenzuschließen, zu bürokratischen, die Grenzen zwischen staatlichen und privaten Akteuren aufhebenden Herrschaftskomplexen. Der neoliberale Beitrag zur Bürokratisierung der Gesellschaft gehört zu den wirklich erhellenden Einsichten von Graebers Buch.
Autor
David Rolfe Graeber (* 12. Februar 1961) ist ein US-amerikanischer Ethnologe und Anarchist. Er lehrt an der London School of Economics and Political Science
Graeber ist ein bekannter sozialer und politischer Aktivist, der unter anderem 2002 an den Protesten gegen das Weltwirtschaftsforum in New York City teilnahm. Darüber hinaus ist er Mitglied der Gewerkschaft Industrial Workers of the World und der Internationalen Organisation für eine Partizipatorische Gesellschaft....
Bis Juni 2007 war Graeber Professor für Ethnologie an der Yale University, wo die umstrittene Entscheidung getroffen wurde, Graebers Vertrag nicht zu erneuern. Stattdessen lehrte er bis zum Sommer 2013 Ethnologie am Goldsmiths College der Universität London und wechselte daraufhin an die anthropologische Fakultät der London School of Economics ...https://de.wikipedia.org/wiki/David_Graeber
Stimmen
»Ein fulminanter Angriff auf das Prinzip Bürokratie - und auf unsere heimliche Lust an ihr... Graeber stellt Fragen, die gestellt werden müssen.«
Lisa Herzog, Zeit Literatur, März 2016
»David Graebers Buch wirft eine große Frage auf: Müssen wir akzeptieren, dass Bürokratie notwendig ist?«
Gillian Tett, Financial Times
David Graeber, der bedeutendste Anthropologe unserer Zeit, entfaltet eine fulminante und längst überfällige Fundamentalkritik der globalen Bürokratie! Er erforscht die Ursprünge unserer Sehnsucht nach Regularien und entlarvt ihre Bedeutung als Mittel zur Ausübung von Gewalt.
»Ein fulminanter Angriff auf das Prinzip Bürokratie - und auf unsere heimliche Lust an ihr... Graeber stellt Fragen, die gestellt werden müssen.«
Lisa Herzog, Zeit Literatur, März 2016
Wir alle hassen Bürokraten. Wir können es nicht fassen, dass wir einen Großteil unserer Lebenszeit damit verbringen müssen, Formulare auszufüllen. Doch zugleich nährt der Glaube an die Bürokratie unsere Hoffnung auf Effizienz, Transparenz und Gerechtigkeit. Gerade im digitalen Zeitalter wächst die Sehnsucht nach Ordnung und im gleichen Maße nimmt die Macht der Bürokratien über jeden Einzelnen von uns zu. Dabei machen sie unsere Gesellschaften keineswegs transparent und effizient, sondern dienen mittlerweile elitären Gruppeninteressen. Denn Kapitalismus und Bürokratie sind einen verhängnisvollen Pakt eingegangen und könnten die Welt in den Abgrund reißen.
»Graeber entzaubert die prägenden Denkmuster unserer Zeit.«
John Gray, The Guardian
Stimme
Geregelte Herrschaft Von Christian Schlüter
Bürokratie schafft auch Gerechtigkeit und Rechtssicherheit: Eine Angestellte in der Dokumentation des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Foto: REUTERS
Hauptsache legal: David Graebers neues Buch „Bürokratie“ nimmt wieder den Kapitalismus aufs Korn.
Bürokraten haben keinen guten Leumund. Dass sie ganz allgemein als Aktenmenschen bezeichnet werden, gehört noch zu den vornehmeren Etikettierungen. Man kennt sie aber auch als Prinzipien- oder Paragraphenreiter, als Pfennigfuchser, Haarspalter, Korinthenkacker oder Schreibtischtäter. Bürokraten gehören zu den ungeliebten Zeitgenossen, ihr strikt regelgeleitetes Verhalten findet seine Vollendung in einem starren Formalismus, der von jedweden Inhalten, von konkreten Lebensläufen und Lebenswelten absieht. Der Bürokrat wie die Bürokratie sind mitleidslos, das Individuum und seine besonderen Umstände gelten ihnen nichts.
Der Soziologe Max Weber hat diese bürokratische Gleichgültigkeit gegen den Einzelfall als moderne Form der „legalen Herrschaft“ verteidigt. Sie folge, so Weber, einer eigenen Rationalität, gerade wegen ihrer Regelgebundenheit und ihrer Unpersönlichkeit bedeute sie eine Befreiung aus den ständisch organisierten, absolutistischen oder diktatorischen Herrschaftssystemen, denn sie verhindere die Bevorzugung oder Benachteiligung der Einzelnen durch Willkür. Stattdessen herrschten nun verbindliche, überprüfbare Spielregeln, eben die Gesetze: Der Rechtsstaat sei eine große Errungenschaft und die Bürokratie seine Erscheinungsform.
Dieses Argument hat bis heute nicht jeden überzeugt. Von rechter wie linker Seite wurde die bürokratisierte, durchregelte Gesellschaft als Unterdrückung mal des völkischen, mal des revolutionären Willens, als marktfeindlich oder herrschaftsdienlich, als undemokratisch oder unflexibel denunziert. Die Kritik folgte dabei stets der Idee, dass staatliche oder private Verwaltungsapparate – der Moloch der Bürokratie – den Menschen von seinen eigentlichen Fähigkeiten oder Bestimmungen entfremden. Auch der bekennende Anarchist David Graeber steht mit seinem neuen Buch „Bürokratie. Die Utopie der Regeln“ in dieser Tradition.
Die falsche Doppelgängerin
Der in London an der School of Economics lehrende Ethnologe wirft allerdings auch die nur auf den ersten Blick einfache Frage auf, ob wir akzeptieren müssen, dass Bürokratie unvermeidlich ist. Seine Antwort, die er uns auf über 300 Seiten gibt, lautet erwartungsgemäß: Nein! Nun ist Graeber spätestens seit seinem Weltbestseller „Schulden. Die ersten 5000 Jahre“ bekannt dafür, dass er seine starken Thesen nicht nur charmant verpackt, sondern auch beispielreich und anschaulich darlegt. Und seine Schwarzmalerei, was die Zukunft der Menschheit betrifft, klingt niemals schwarzmalerisch, möchte er uns alle doch für die Idee eines guten Lebens gewinnen.
Bleibt die Frage, wie ein gutes Leben jenseits der Bürokratie aussieht. Graeber kann und will uns hier nur eine melancholische Antwort geben: Jenes gute, also erfüllte und glückliche Leben scheine bloß in kurzen, immer schon vergangenen, weil sofort von der Wirklichkeit überholten Momenten auf, in denen Menschen „in spielerischer Freiheit“ einen politischen, solidarischen Neubeginn gewagt haben – etwa so wie bei der Occupy-Wall-Street-Bewegung im Jahre 2011, zu deren intellektuellen Galionsfiguren der Wissenschaftler ja gehörte. Sein Buch möchte an diesen prekären Freiheits-Impuls erinnern und seine bürokratische Entsorgung beschreiben. Für letzteres nimmt sich Graeber viel Platz.
Dabei gibt er sich redlich Mühe, seine Position, die er selber als utopistisch bezeichnet, nämlich den „Anti-Autoritarismus, der in seinem Schwerpunkt auf kreative Synthese und Improvisation die Freiheit grundsätzlich als Form des Spielens betrachtet“, als gleichberechtigt zum „bürokratischen Utopismus“ darzustellen: Denn auch der „verkappte Republikanismus, welcher die Freiheit in letzter Konsequenz als Möglichkeit ansieht, sämtliche Formen der Macht auf klare und transparente Regeln zu reduzieren“, werde „immer eine schillernde Illusion bleiben, die sich in nichts auflöst, sobald wir sie berühren“.
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