Agota Kristof: Irgendwo . Erzählungen Audio-CD

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A. Kristof:  Irgendwo . Erzählungen
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Online-Publikation: Dezember 2015  im Internet-Journal <<kultur-punkt.ch>>
Ereignis-, Ausstellungs-, AV- und Buchbesprechung
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Inhalt
Kurze Prosastücke, in denen sich das Drama von Exil, Entwurzelung und Einsamkeit spiegelt. Sie handeln von der Suche nach einem verlorenen Glück, von der Hoffnung auf bessere Zeiten, von Resignation. Tiefschwarz, lakonisch und gnadenlos im Blick auf die Welt und das eigene Ich. Die frühen Erzählungen und kurzen Prosastücke, die in dem Band „Irgendwo“ versammelt sind, muten wie Skizzen zu ihrem Debütroman „Das große Heft“ an, der 1986 erschien und sie berühmt machen sollte.

Stimmen zu Irgendwo.
1 ) Prosa von Agota Kristof (2007, Piper - Übertragung Carina von Enzenberg).
Besprechung von Martin Krumbholz in Neue Zürcher Zeitung vom 21.4.2007:
Und bei Ihnen?
Agota Kristofs Prosaband «Irgendwo»
Kann man ein Buch «Egal» («C'est égal») nennen? Im Deutschen offenbar nicht, im Französischen schon. Lapidar und rätselhaft sind Agota Kristofs kleine Erzählungen («nouvelles», den Gattungstitel hat die deutsche Ausgabe beibehalten). Die Titelgeschichte ist zwei Seiten lang und besteht aus drei Kapiteln. «Und morgen? Du stehst auf?» So beginnt ein Dialog. Nirgendwohin oder irgendwohin: «Egal, man fühlt sich sowieso nirgends wohl.» Im zweiten Kapitel lernen wir zwei Schaffner in einer Tram kennen. Einer von ihnen betet. Niemand steigt ein oder aus. «Egal.» Dann wieder ein Dialog. «Was gibt es Neues?» – «Und bei Ihnen?»
Bedenkt man, dass in «nouvelle» die Neuigkeit steckt und damit auch die Veränderung, wird man bemerken, dass in diesen Geschichten durchaus von Veränderungen die Rede ist, wenn auch nicht von solchen zum Guten. Der Pessimismus, den Kristofs Texte ausstrahlen, ist gravierend, der Humor düster. In der ersten Geschichte, «Die Axt», erschlägt eine Frau ihren Gatten und versucht den Mord als Unfall zu tarnen, aber derart durchsichtig, dass dem herbeigerufenen Arzt nichts anderes übrig bleibt, als die treuherzige Täterin in eine Heilanstalt einzuweisen. Hat die Frau diese Lösung – diese Erlösung aus ihrer Misere – bezweckt? Gut möglich. Die Heilanstalt als Zufluchtsort, als einzige Alternative zum Status quo, das passt zu den heillosen Dystopien, die Kristof in diesem Buch entwirft. Ein wenig plakativer könnte man resümieren: die Welt, eine Irrenanstalt.
Oder, um es erneut um eine Nuance zu verschieben: ein Freudenhaus. Die Erzählung «Die Mutter», ebenfalls nur gerade zwei Seiten lang, berichtet vom verlorenen Sohn, der nach vier Jahren in die Wohnung seiner Mutter zurückkehrt, um in ihrem Wohnzimmer ein Bordell zu etablieren. «Er ist ein guter Junge. Ein netter Junge», sagt die Mutter, während die Partnerin ihres Sohnes sie mit «traurigen, dunkel umrandeten Augen» anschaut.
Ein ähnlich schreckliches Szenario entfaltet die Geschichte «Meine Schwester Line, mein Bruder Lanoé» in der Form zweier knapper Monologe. Die grosse Kunst der Erzählerin Agota Kristof besteht darin, das Ungeheuerliche in den kargen, minimalistischen Gehäusen ihrer Texte förmlich zu verstecken; noch die grösste Katastrophe instrumentiert sie ganz unspektakulär, mit einem stillen sardonischen Lächeln.
[...diese und weitere Besprechungen finden Sie unter ]
Leseprobe I Buchbestellung 0407 LYRIKwelt © NZZ
2)
Irgendwo.
Prosa von Agota Kristof (2007, Piper - Übertragung Carina von Enzenberg).
Besprechung von Ulrich Steinmetzger aus der NRZ vom 24.06.2007:
Reisende ohne Ziel
Agota Kristofs Gedanken kreisen um die Einsamen und die Rätsel der Existenz.
Einer flieht vor dem Lärm der Stadt aufs Land und sieht sich bald umzingelt von Autobahn und Müllverbrennungsanlage, wogegen sein einstiges, nun unerreichbares Viertel zur verkehrsberuhigten Zone gemacht wurde. Ein anderer wartet in der stillen Einsamkeit seines Zimmers so sehr auf das Telefonklingeln, dass er sogar mit den falsch Verbundenen ins Gespräch zu kommen versucht. Als sich daraufhin eine schöne Frau mit ihm im Café verabredet, ist er zu schüchtern, sie anzusprechen. Wieder ein anderer will sich nach 40 Arbeitsjahren - "Tag für Tag die gleiche Handbewegung" - und vom Krebs zerfressen, auf dem Totenbett an etwas erinnern. Aber da ist nichts. Alle Figuren der ungarisch-schweizerischen Dichterin Agota Kristof sind Einsame. In kurzen, lapidaren Sätzen, kreist sie um die Rätsel der Existenz. Der Heimatverlust im Realen ist ihr lebenslanges Thema, das aus ihrer Biographie erwachsen ist. Geboren 1935 im Dorf Csikvand, las sie schon mit vier, was sie in die Finger kriegen konnte. Mit 14 ins Internat abgeschoben, fand sie vom Leben zum Schreiben.
Früh von ihm schwanger, exilierte sie 56 nach dem Ungarnaufstand mit ihrem Geschichtslehrer durch die österreichischen Wälder. In der Schweiz fand sie Arbeit in einer Uhrenfabrik. Im Rhythmus der Maschinen empfing sie Verse, denen sie nachts ihre Form gab. Nach fünf Jahren in der Fremde verließ sie ihren Mann. In Neuchâtel dann studierte sie die neue Sprache, in der sie ihr schmales Werk verfasste, in einem simplen, immer wie angelernt klingenden Französisch, das sie als Feindessprache begriff, weil es ihre Muttersprache tötete. Ihre große Trilogie der Trennungen - "Das große Heft" (1987), "Der Beweis" (1988) und "Die dritte Lüge" (1992) - zählt zur Weltliteratur. Nur wenige Striche braucht diese unverwechselbare Autorin in ihrem holzschnittartigen Schreiben, um die Gefahr aus den Zeilen wachsen zu lassen. Stets droht alles ins Brutale zu kippen, oft tut es das auch. Kritiker haben ihre kompromisslos minimalistische Schilderung der Geworfenheit in die Existenz immer wieder mit Albert Camus verglichen. In ihrer schmalen Autobiographie "Die Analphabetin" (2005) hat sie sich auf Thomas Bernhard berufen. Mit ihm teilt sie einen Sarkasmus, der oft in eine Art Galgenhumor kippt.
Nicht anders ist das in diesen erstaunlichen Erzählungen. Gut zwei Dutzend Geschichten auf 100 luftig gesetzten Seiten. "Man fühlt sich sowieso nirgends wohl", steht da, "niemand wartet auf mich" oder "die Bilder dieses bösen Traums, der mein Leben war". Männer haben nicht gemerkt, wie ihre Frauen längst gegangen sind, Körper können in der Fremde nicht zur Ruhe kommen, und wenn der Sohn schon zurückkehrt, dann um seine Mutter auszunutzen. Reisende ohne Ziel, Versteinerte, Ortlose, Gefühlsanalphabeten, am Anker Sprache in ein unerbittliches Licht gezerrt. (NRZ)

Fazit
25 Erzählungen der hintergründigen bis abgefeimten, ja bösartigen Art bilden einen kriminellen Reigen aus figurierter Frauensicht. Die gesamte Lebenswelt tut sich auf, im  Haus, Briefkaten, auf Strassen auf dem Land, über einer Stadt, Einbrecher und Mörderinnen treten auf, alles auf vordergeründige scheinglückliche und vor allem allein und einsam auf unheimlich-surreale, böse Weise. Es ist ein eindrücklicher, tief in die Gefühlswelt eindringender Sprachduktus, der die Erzählungen gleich einem Schraubendreher in das Innere der Lesenden zu schrauben scheint, I. Bermann und F.Kafka ähnelnd und doch - unverkennbar Frauensprache im Duktus - einfach und erschreckend abgründig zugleich. m+w.p15-12

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