Horst Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst.

Architektur Lebensraum
Bredekamp : Gartenkunst
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SWR2 MANUSKRIPT
Horst Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst.
Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter
Wagenbach Verlag
176 Seiten
29,90 Euro
(Barbara Eisenmann)

AUTOR
Der französische Barockgarten als Verkörperung des Ancien Regime, der Despotie der
absoluten Macht des Herrschers und der englische Landschaftsgarten als Inbegriff des
aufklärerischen Pathos der Freiheit, unhierarchischer Verhältnisse, des Individuellen und
Natürlichen, diese Gegenüberstellung ist ein politisch aufgeladener Gemeinplatz, der seinen
Höhepunkt Ende des 18.Jahrhunderts erreicht hat. Das ging so weit, wie der Kunsthistoriker
Horst Bredekamp in seinem neuen Buch „Leibniz und die Revolution der Gartenkunst“
schreibt, dass von der britischen Insel her gesehen, der englische Landschaftsgarten die
französische Revolution gewissermaßen vorweggenommen bzw. symbolisch ersetzt habe.
Auch in Deutschland wurde der englische Landschaftsgarten gefeiert, obwohl die Wirklichkeit
der Geschichte der Gartenkunst und ihrer Gärten weitaus widersprüchlicher ist.
O-TON (3.10)
Es ist eine voraussetzungslose Bestimmung, dass, wie es im 18.Jahrhundert in Deutschland
hieß, die Natur republikanisch sei. Die Natur selbst sei republikanisch, wohingegen ein
autoritatives Gesellschaftssystem dieser freien Natur den strikten Gestaltungswillen der
Geometrie übergestülpt hätte. Und diese Bilder waren so stark, dass sie im Grunde bis heute
Stereotypen geblieben sind.
AUTORIN
Bredekamp nun schlägt in seinem Buch, eine Untersuchung der um 1700 herum
entstandenen barocken Gartenanlage von Herrenhausen-Hannover, eine alternative Lesart
vor, die die bipolare - französischer versus englischer Garten -, aber auch die lineare
Betrachtung - italienischer Renaissance-, französischer Barock-, englischer
Landschaftsgarten - durchkreuzt und die Modernität des Barockgartens in den Blick
bekommt.

Quelle:
SWR2 MANUSKRIPT
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Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung
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O-TON (4.33)
Ja, der Garten von Herrenhausen ist dadurch ausgezeichnet, dass sich in ihm Gottfried
Wilhelm Leibniz über Jahrzehnte bewegt hat, und dass dieser große Philosoph auch ... in die
Planung einbezogen war. ... Leibniz hat mit dem Garten von Herrenhausen, der für unseren
ersten Blick strikt geometrisch, in der Tradition von Versailles sich darbietet, etwas anderes
verbunden, nämlich das Prinzip einer unendlichen Individualität, also etwas, von dem wir
annehmen, dass es eher eine Errungenschaft der Moderne gewesen sei. ... Nicht nur in
Bezug auf Tausende von Blätter (lacht), die er verglichen hat und, wie bei einem modernen
Fingerabdruck, in Bezug auf die er keine Gleichförmigkeit hat finden können, sondern auch,
das ist weiter zu extrapolieren, in Bezug auf die Gestaltung des Gartens.
AUTORIN
Die Leibnizsche “Philosophie der Blätter“, wie Bredekamp sie nennt, ist eine zentrale Spur in
seiner reigenhaft angelegten Argumentation, in der Anekdoten und Bilder, häufig auch von
der Forschung bislang unbeachtete, nebensächliche Zeichnungen miteinander ein
kurzweiliges und ebenso gelehrtes Zusammenspiel entfalten. Die Blätter-Anekdote
manifestiert sich hier an einem Bild, einem Kupferstich aus dem späten 18.Jahrhundert, der
Zeit einer Leibniz-Renaissance. Zu sehen sind der Philosoph zusammen mit seiner engen
Vertrauten Kurfürstin Sophie, deren Ehemann Kurfürst Ernst August von Hannover den
bereits vorhandenen Garten von Herrenhausen ausbauen ließ, und 3 weitere Personen, 2
Hofdamen und ein junger Adliger, im Großen Garten von Herrenhausen. Der junge Mann hält
zwei Blätter nebeneinander, um Leibniz´ These zu überprüfen, wonach es in der Natur nichts
Gleichförmiges gäbe. Auf einem anderen Stich, den Bredekamp für seine
Bilderargumentation benutzt, ist der Königsbusch, die Hecken vor dem Galeriegebäude,
abgebildet: vier blockartig beschnittene, jeweils links und rechts wuchtig in die Höhe ragende
Büsche. Aber, wie der Bildwissenschaftler an einem Detailausschnitt zeigen kann, gleicht
hier kein Blatt dem anderen. Und auf gewisse Weise bringt die symmetrische und geradlinige
Heckenarchitektur die unendliche Vielfalt ihrer Blätter nur um so prägnanter zum Ausdruck.
Die Freiheit des Individuellen findet sich bei Leibniz also, in Bredekamps Deutung, in der
Variabilität des geometrischen Gartens.
O-TON (6.00)
Er spricht in der Monadologie von der Natur als einer sich unendlich nach innen
verschachtelnden Gartenstruktur. ... Und vor diesem Hintergrund ist fest anzunehmen, dass
SWR2 MANUSKRIPT
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Leibniz grade in Herrenhausen das Prinzip einer unendlichen Variation entwickelt und aus
dem Garten herausgezogen hat, die wir eher mit den geschwungenen Linien des englischen
Landschaftsgartens verbinden. Das war eine für mich ja überraschende Erkenntnis.
AUTORIN
Der Komplexität des Barockgartens stellt Bredekamp die Paradoxie des Landschaftsgartens
gegenüber, die schon mit den Eigentumsverhältnissen als Kehrseite der englischen
Gartenutopie eines herrschaftsfreien Raums begann, denn der Natur als Garten und dem
Garten als Natur gingen die enclosures, die enteignenden Einhegungen voraus.
O-TON (16.30)
Ich muss natürlich, um meine, ich glaube, ich kann sagen, neue Sicht dieser Komponente
der Gartengeschichte begründen zu können, eine Anti-These gegenüber der bisherigen
Zuschreibung des Gartens, des englischen Landschaftsgartens vornehmen. D.h. aber nicht,
und dazu komme ich zum Schluss, dass ich den englischen Garten, Landschaftsgarten, jetzt
ins zweite Glied setzen würde, sondern ganz im Gegenteil, er ist in seiner wunderbaren
Gestaltungsweise in sich selbstverständlich eine großartige Entwicklung. Ich plädiere nur für
2 Wege zur Moderne. Sowohl die Geometrie wie auch die schwingende Natur, beides sind
Wege, die sich mit den zentralen Begriffen, ob nun zu Recht zugeschrieben oder nicht, wie
Individualität, Unendlichkeit, Freiheit durchaus vereinbaren lassen, beide Formen. Und das
ist der Punkt.
AUTORIN
Wie Bredekamp seine Deutung aus dem anekdotischen und dem Bildmaterial heraus
entwickelt, ist schon bemerkenswert. Wie er dafür gleichsam detektivisch, über mehrere
Seiten hinweg eine beiläufig scheinende kryptische Zeichnung von Leibniz entziffert, aber
auch die vielen Anekdoten, die er beibringt, machen die Lektüre zu einer positiv
merkwürdigen Erfahrung, die ebenso unterhaltsam wie anspruchsvoll ist. Dass
Herrenhausen der Stammsitz der englischen Könige war, Sophies Sohn und Enkelsohn
waren George I und George II, und dass George I darüber hinaus auch noch eine große
Abneigung gegen das Hofzeremoniell hegte, ist nur eines der vielen narrativen Details in
Bredekamps Geschichte, mit der die gängige Typologie der Gartenkunst von
verschiedensten Seiten unterwandert wird. Dass am Ende Leibniz gewissermaßen als der
erste Vertreter avant la lettre der extended mind theory in Erscheinung tritt, gehört unbedingt
auch zur Bredkampschen Verfahrensweise.
SWR2 MANUSKRIPT
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O-TON (17.30)
Die Art, in der im 18. Jahrhundert und im 17. Jahrhundert bereits über die Bewegung im
Garten reflektiert wird, und dafür ist Leibniz ein starkes Beispiel, ... ist, dass der Mensch
während der Bewegung im Garten nicht nur Emotionen entwickelt, sondern eben auch in
seinen Gedanken weitergebracht wird. Und das ist eine sehr präzise Vorformulierung
dessen, was dann in den letzten 2 Jahrzehnten den Begriff der extended mind bekommen
hat, also eine ambientale Definition des Bewusstseins, die nicht nur über das zerebrale
System des Gehirns, über den Körper, sondern auch die Umgebung hinausgeht. Und das ist
für meinen Begriff eines der überraschendsten Ergebnisse, die ich mit diesem Buch zu
begründen versuche.
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